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Ein Buch wie ein Seelenwärmer! Markus Bundi in seiner launigen Erzählung Zur Krummen Brücke gibt die Aufzeichnungen eines Gastwirts, eines Patrons namens Rousseau wieder – in Anekdoten, Skizzen und Klosprüchen, aber auch in feinsinnigen Charakterzeichnungen, kleinen, filigranen Schilderungen außerordentlicher Vorkommnisse. Etwa in der Geschichte vom spurlosen Verschwinden der Köchin – oder wie der Sohn vom Italiener in derselben Straße vor lauter Liebeskummer am Tresen auf Grund läuft. Lauter solche Sachen. Die geneigte Leserschaft nimmt also Platz in einer kleinen Wirtschaft am Bach. Es ist die Wirtschaft der Stammgäste. Wo sie alle fast schon daheim sind. Wo das Vertraute wartet, wo die Hektik draußen bleibt, wo niemand sich verstellen muss. Frisch Gezapftes und Altbewährtes, Herzensangelegenheiten halt … Schier unmöglich, dass sich in der Krummen Brücke Kneipengänger nicht wiedererkennen. Ein Buch wie eine Einladung!
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Seitenzahl: 65
Veröffentlichungsjahr: 2025
Markus Bundi Zur Krummen Brücke
Aufzeichnungen eines Gastwirts
KRÖNEREDITIONKLÖPFER
Man hält dem Glück die Treue – im Glauben, dass man es einmal hatte.
FRANZ SCHUH
Mir schon klar, dass Restaurants selten Gästebücher führen, die finden sich in Berghütten, Hotels, auch in Stadthäusern, nicht aber in Kneipen.
Das Gästebuch Zur Krummen Brücke ist denn auch kein gewöhnliches, sein Verfasser bin ich, der Pächter und Wirt.
»Ich liebe die Menschen, ist ja sonst keiner da.« – Das stand auf der Innenseite der Klotür, als ich die Krumme Brücke übernahm. Wurde dann nachträglich noch entfernt, weil man mir eine saubere Kneipe übergeben wollte.
Das Entfernen von Klosprüchen ist vollends vergebens. Ein Männer-WC bleibt nie lange unbefleckt. Die Reinigungen finden selbstredend nach wie vor statt, und zwar regelmäßig. Was sich aber an Kunst ereignet, bleibt. Schließlich saß schon der Philosophenkaiser bei uns auf dem Thron und vermerkte: »So sieh auch wachend die Unannehmlichkeiten des Lebens nur als Träume an.« Gezeichnet: »M. A.« – Eines Abends klärte mich Max – oder war’s doch Moritz? – auf, meinte, es handle sich um keinen Geringeren als Marc Aurel, eben jenen römischen Kaiser, der auch als Philosoph in die Geschichte einging. Nicht schlecht, oder?
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind alles andere als zufällig. Aber, aber …, wohlgemerkt: Niemand wird hier verleumdet oder karikiert. Ich verfremde nichts, es sei denn, ich verliere mich. Eine Kneipe wie das Brüggli – so wird sie liebevoll im Volksmund genannt – besteht ausschließlich aus Originalen, wie es sie in jeder Stadt gibt. Und in jeder Stadt gibt es einen Ort wie die Krumme Brücke.
Max und Moritz versuchen wieder einmal, sich gegenseitig im Schach zu überbieten. Eben hat Ladina vorbeigeschaut, beide begrüßt, umarmt und geküsst. Ein Ritual. Hat sich so eingespielt, seit Ladina sich von ihrem Mann getrennt hat und vermehrt hier anzutreffen ist.
Max und Moritz kennen sich seit der Schule. Mitte fünfzig, die beiden, schätze ich. Stammgäste. Der eine unterrichtet Geschichte, der andere ebenfalls. Max bevorzugt das Lamm-Curry, Moritz Cordon bleu. So ist es, und so wird es auch bleiben.
»Wir kommen nicht vom Fleck.« – Das sagten sie auch schon im Chor.
Wenn wir dienstags um 17 Uhr aufsperren – Montag ist Ruhetag –, ist Lukas oft schon zur Stelle. Lukas war früher einmal Journalist, oder er ist es noch immer, so frei, wie er es sich seit Jahren gewünscht – oder auch nicht gewünscht hat. Freiberufler. Ein Mann ohne Aufträge.
Also erteilt er sie sich selbst. Wie ein Guru ohne Jünger. So kommt er mir manchmal vor. Genau genommen handelt es sich immer um denselben Auftrag: Gerechtigkeit für Gaps. Das hat sich Lukas auf die Fahnen geschrieben. Seine Mission.
Mary, die häufig vor mir ihren Dienst in der Krummen Brücke antritt, kennt die Geschichte auswendig. Nun, wer nicht? Einmal am Tresen mit Lukas und man weiß um seine Botschaft.
Ich fürchte, so wird das nichts. Wenn ich jedes Mal von jemand anderem erzähle, wird mir niemand folgen können. Eine Kneipe wie das Brüggli ist ein Ganzes. Weit mehr als nur ein gutes Dutzend. Das lässt sich nicht so leicht auseinandernehmen. Aufzählen hilft nicht weiter. Erzählen? Anfangen.
Wir beginnen jede Woche mit frischen Kräutern. Die besorgt Leila. Das ist dieselbe Frau, die montags immer in der Krummen Brücke saubermacht.
Ein einzigartiges Geschäftsmodell, übrigens. Ursprünglich aus der Not geboren, wie sie mir erzählte. Eigentlich sei sie gelernte Friseurin. Dann kam die Allergie. Dann das Putzen – und die Nebeneinkünfte, die Besorgungen aus dem Wald.
Wenn früher der erste Kontakt ausschließlich die Putzkraft betraf, kämen heute auch Anrufe der Pilze wegen, der Kräuter, und seit sie Trüffel im Angebot habe, verdiene sie zwischendurch ganz ordentlich.
Es ist ein guter Start, wenn dir der Geruch von frischen Kräutern in die Nase steigt: Thymian, Rosmarin, Basilikum. Leila hat über die Jahre ihren Garten immer mehr ausgebaut. Das tut aber ihren Waldgängen keinen Abbruch. Diesmal ist’s der Bärlauch, der alles dominiert. Und ihr Zettel dazu: »Frische Spitzmorcheln?«
Erst Bier, dann Wein, nach dem Essen das Schachspiel. Wer den zweitletzten Fehler mache, gewinne, so die ehernen Regeln unter Patzern, haben mich Max und Moritz aufgeklärt. Auch Lehrer können nicht aus ihrer Haut, schon klar. Dies gelte selbst für die Wettkämpfe um die Weltmeisterschaft. Sie beide seien allerdings keine Konkurrenten mehr, niemand könne auf sie setzen, sie hätten das Spiel zum Spiel gemacht. Nun ja … das Bier, der Wein und was pädagogische Dienstleister, wie sich die beiden Herren zuweilen selbst nennen, so von sich geben.
Ein überschaubares Feld, so ein Schachbrett, jedoch nur auf den ersten Blick. So weit bin ich selbst schon gekommen. Viele Bauern, das Fußvolk, sozusagen, und beiderseits König und Königin, doch nirgendwo ein Wirt.
Sie war Ski-Olympiasiegerin und mehrfache Abfahrtsweltmeisterin, ein Idol, vielfach ausgezeichnet und geehrt, eine derjenigen, die sich nie um Mitleid scherte, vielmehr davon sprach, dass man sich Neid erst verdienen müsse. In einem Wort: Gaps. Gabriele Maria Ginther mit bürgerlichem Namen, den Niederungen des Alltags allerdings längst entstiegen.
Uneinholbar über viele Jahre, die Gintherin, wie man die Frau aus Tirol zunächst nannte, als man sie noch im Zaum zu halten gedachte, eine Stürmerin jedoch, der kein Sprung zu gewagt war, Gaps eben, jede sich auftuende Lücke zur Beschleunigung nutzend, eine, die immer auf den Füßen landete, wie eine Katze und ebenso geschmeidig in ihren Bewegungen, mit dem Abgrund kokettierend, so schoss sie talwärts, von einem Podest auf das nächste. Einer der wenigen Orte übrigens, wo sie sich eine Verschnaufpause gönnte, genüsslich auf Edelmetall biss – bis zum Autounfall im Dezember 2018.
So also beginnt Lukas’ Geschichte.
Im Schritttempo, für so manche bis heute kaum vorstellbar, war Gabriele Ginther von der Fahrbahn abgekommen, hatte auf Glatteis die Herrschaft über ihren SUV verloren, der Wagen überschlug sich mehrfach und sie zog sich, obschon sie angeschnallt gewesen sein soll, schwerste Kopfverletzungen zu.
Umgehend flackerten Gracia Patricia und Lady Di wieder über die Bildschirme, die Medienberichte gerieten zum Serienfeuer, jene Eigendynamik beschwörend, die sich dem Menschen, der da Pferdestärken zu bannen suchte, doch ganz unzweifelhaft entzogen hatte.
Noch Fragen?
Motor und Motiv in Wechselwirkung, das ruft Unwägbarkeiten auf den Plan, überhitzte Gemüter, durchdrehende Räder. Selbstverschuldet? Zum Zeitpunkt des Unfalls war kaum Verkehr auf der Straße was die Spekulationen freilich noch in eine andere Richtung lenkte. Wer aber hätte auf blankem Eis Hinweise zum Hergang des Unfalls finden wollen?
Wenn Lukas ausnahmsweise nicht im Brüggli auftaucht, erzählen Mary und ich uns die anhaltende Tragödie. Und zwar im O-Ton, sprich Lukas zitierend.
Wenn unser Journalist etwas modifiziert, tun wir das ebenfalls.
Gutes Hirntraining, meint Mary. Aber auch anspruchsvoll, weil die Geschichte mit der Zeit immer länger geworden ist. Und der Erzähler feilt noch immer an den Details.
Sitzt einer in der Kneipe, werden Fragen nach dem Warum überflüssig. Das meint die Einkehr, die mythologische Konstante, sozusagen. Das waren jetzt nicht meine Worte. Von Mythologie verstehe ich grad nicht viel. Klingt aber gut, oder?
Vielleicht spielen Max und Moritz deswegen Schach, bewegen Bauern und Springer. Deswegen? – Tja, manchmal schreibt es schneller, als es denkt. Als ließe sich auch betrunken noch klar denken … Jede Figur kann, was sie kann, springen oder laufen. Das Spielfeld ist abgesteckt, die Kontrolle nur scheinbar. Ein Wort gibt das andere. Kein Versteck nirgendwo.
Du bist am Zug!
Ein Wirt ist stets auch Buchhalter. Das holt mich jeweils gegen Ende des Monats wieder ein. Dann bin ich Geschäftsmann. Im Fall der Krummen Brücke spricht allerdings niemand von Gewinnmaximierung; die Wirtschaft finanziell im Gleichgewicht zu halten, darum geht’s. Sehe ich uns in den roten Bereich abdriften, beneide ich manchmal das Bella Napoli am anderen Ende der Straße. Pasta und Pizza, die haben die besten Margen. Noch ein bisschen Öl und Knoblauch dazu, und fertig ist der Italiener.