Zweckbau für Ziegen - Angelika Rainer - E-Book

Zweckbau für Ziegen E-Book

Angelika Rainer

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Beschreibung

Poesie als Dach über dem Kopf Angelika Rainer schafft mit ihrer Lyrik ein Zuhause in der Schwerelosigkeit. "Die Erde schwebt frei im Raum. Das muss man sich zuerst einmal vorstellen, dann ertragen können." Damit werden wir unentwegt konfrontiert. Und wir: haben Angst. Angst, runterzufallen. Aber was dagegen tun? Sind wir doch auf das Engste in ihr verwurzelt. Stets in der Abwägung, loszulassen und gleichzeitig: nicht loszulassen. Während der Wind die Steine aus der Erde reißt, die Sterne sich verirren, der Mond sich auf den Kopf stellt, die Arbeit eines ganzen Tages zu Frost wird, suchen wir. Nach etwas, das den Namen "Zuhause" verdient hat. Etwas, das uns die Angst nimmt. Ein Ort, an dem die Wände trocken bleiben, die Erinnerungen mehr als verlorene Notizen in alten Mänteln sind, wo der Schlaf nicht gestört wird, ängstliche Herzen sicher sind und Gefühl und Gedanke sich frei entfalten können. Wie leben wir, wenn Regen durch die Wände des Idylls dringt, wenn das Idyll unverlässlich ist? Ein Zweckbau also, oder ist es mehr? Oder brauchen wir gar nicht mehr? Keine Verzierungen, keine überflüssige Schönheit. Vielleicht sind einfache Worte genug. Vielleicht können wir uns auch ohne Floskeln an den Wänden entfalten, aufrechterhalten, festhalten. Basierend auf dem Entwurf eines Zweckbaus für Ziegen des Architekten Gion A. Caminada und der Angst der Menschen, von der Erde zu fallen, baut Angelika Rainer Silbe für Silbe und Vers für Vers an einem Unterschlupf für die Ewigkeit. Ähnlich den Formen und Linien der Natur, die sich ungefragt und unaufgefordert in unsere Haut eingravieren, am Firmament der Sprache rütteln, wirken die Gedichte von Angelika Rainer.

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Seitenzahl: 47

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Angelika Rainer

ZweckbaufürZiegen

Inhaltsverzeichnis

DER ZWECKBAUODER VOM DACH ÜBER DEM KOPF

ZWECKBAUTEN(60 BLÄTTER)

VON DER ZIEGEODER VOM EINFACHEN FROHEN GEMÜT

ÜBER DIE AUTORIN

IMPRESSUM

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DER ZWECKBAUODER VOM DACH ÜBER DEM KOPF

Der Schweizer Architekt Gion A. Caminada hat eine einfache, zweckmäßige Unterkunft für Ziegen – einen Zweckbau – entworfen.

Ich habe diese Arbeit gesehen und zur gleichen Zeit über die Angst des Menschen, von der Erde zu fallen, gelesen.

Muss er übers Feld gehen, wo der weite Himmel über seinem Haupte offen steht, so geräth er in unaussprechliche Angst, kriecht auf Umwegen unter Hecken und Bäumen fort und spannt, wo auch die fehlen, zum Notbehelf einen Regenschirm auf.

Ich habe Angst, von der Erde zu fallen, wenn ich über ein freies Feld gehe, und frage mich, kann diese Angst, von der Erde zu fallen, mit meinem Besuch in Frankfurt zusammenhängen?

Die Erde schwebt frei im Raum.

Das muss man sich zuerst einmal vorstellen, dann ertragen können. Was sollen die Ängstlichen gegen die Angst unternehmen?

Ein Zweckbau ist ein allein nach den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit errichteter Bau.

Er ist ein Nutzbau, ein Gebäude für eine begrenzte Zeit.

Der Zweckbau schützt wie die Hecke, der Baum, der Schirm vor dem fremden, dem neugierigen, dem beschämenden Blick.

Ein Zweckbau ist weniger als ein Stall, aber mehr als die Welt ohne Dach über dem Kopf.

Er kommt ohne Verzierungen aus, bietet keine zusätzliche oder überflüssige Schönheit an.

Er ist Unterschlupf für eine Weile und für einen ungestörten, unbeschwerten Schlaf.

Für diese Weile wird er zu einem idyllischen Ort, schützt er die Seele vor Wetter und Weite, vor dem lärmenden Rauschen der Bäche, der Zeit, vor dem freien Himmel in all seinen Farben.

Von innen heraus, mit einem Dach über dem Kopf, lässt sich ein verstohlener Blick aus sicherer Stellung auf das freie Feld, auf die unbeschirmte, Angst einflößende Ebene hinaus wagen.

Eine Behausung ermöglicht es, sich im Verborgenen, im Stillen aufzuhalten und zu entfalten.

Eine Behausung lässt sich auch mit Worten errichten.

Sätze schaffen ein Dach über dem Kopf.

Damit die Stunde nicht ungeschehen verstreicht, arbeitet man ausgehend von nichts ins Nichts hinein.

Ein Tag findet statt, es geschieht nichts Besonderes, aber etwas Eigenes, wenn es festgehalten wird.

Es werden Ereignisse in verschiedenen Größen, Farben, Formen gesammelt.

Nichts ist zu gering, alles ist gleich gültig, um ein schützendes Dach über dem Kopf zu schaffen.

Ein Stein wird auf den anderen gesetzt, eine Zeile folgt auf die andere.

Den Stunden wird Glanz verliehen, ein Stundenbüchlein entsteht.

Langsam wird ein Leben zusammengetragen.

Es wird eine Behausung geschaffen für den Rückblick,

für die Veranlagung des Menschen, sich erinnern zu müssen,

für die irrlichternde Seele, den unruhigen, hüpfenden Geist.

Die Erinnerung schützt vor der Angst, sich blind in der Zeit zu verlieren. Auch sie ist eine Art Zweckbau.

Sie ist für eine bestimmte Zeit gültig, wird gewandelt mit jeder neuen Erfahrung.

Die Zeit wird in den Raum ausgebreitet, die Räume werden gefüllt mit Stimmen, Gerüchen, allerlei Käfern und anderem Getier, mit Erschütterungen mehr als mit Erkenntnissen.

Wer spricht?

Wer andere für sich sprechen lässt, ist sich selbst ein Stückchen vorausgegangen.

Es sprechen eine Dame, ein Hirte, eine Großtante oder niemand anderer als ich, vielleicht ist es aber doch Oknos der Zauderer, der spricht.

Er knüpft am Binsenseil, das ein Esel hinter seinem Rücken auffrisst.

Er knüpft und knüpft ewig weiter.

Er verfasst kleine, irre Zustandsbeschreibungen.

Er wählt keinen hohen Ton, hält sich an das Gewöhnliche.

Er erzählt und erzählt ewig weiter.

Da Sie mich nach Erlebnissen fragen, sagt er, fällt mir noch einiges ein –

ZWECKBAUTEN(60 BLÄTTER)

1

Es kommt dem Sinn nicht auf die Schliche

wer nicht gelernt hat zu unterscheiden

ob die Glocke Schiedung, Mittag oder Wetter läutet

ob die Glocke also des Wetters, der Mittagsstunde

oder eines Sterbefalls wegen geläutet wird.

Jemand schied.

Jemand ist verschieden.

In breiten Schalen liegen Erbsen und in Zellophan gewickelte Biskotten.

Ich streife die nassen Mäntel von den Nüssen.

Im weißen Rosenköpfchen erscheint ein dunkelrotes Blatt.

Seit Jahren ist die Rose auf derselben Höhe geblieben

als sei ihr eine einzige Größe eingeschrieben gewesen

wie einer Hunderasse.

Woher kommt diese Anwandlung, diese Erneuerung?

Ich befrage den Kaffeesatz zur Zukunft von Rosen

Zuckerwattenkurblern

den unter rostigen Wagen rastenden Katzen.

Wir gehen und wissen nicht wohin.

Wenn sich nur die Sterne nicht verirren.

2

Ich wehrte mich gegen jemanden

der an meiner Decke zerrte

während ich schlief

schlug mir dabei die Stirn an der Rauputzwand blutig

träumte von Kaminbränden

die mit Wasser aus Karaffen gelöscht wurden.

Stand- oder Schreitfiguren

mit mehrere tausend Jahre alten Augen aus Kupfer

drängten ins Zimmer und verkündeten

nach dem Vollzug des Mundöffnungsrituals

sei die Statue ewiger Ersatzkörper der Verstorbenen

für ihre vergangene Erdenschwere

und alles von ihnen je Erfasste.

Alles von ihnen je Erfasste –

Fahnen, Wäsche, Fliegen in den Gassen

Hinterhöfe, Kirchen, Krebse

Zuckerstangen, vergreiste Bäume, erstarrte Wellen

verlorene, in Stein verwandelte Locken

der in einer Plastikwanne sich windende Aal

schwarz und glänzend wie Lakritze.

3

Auf der Kommode vor gestreifter Tapete liegt ein ängstliches Herz.

Es gehört zur Dame im Pelzmantel

dem der Geruch des Vorzimmers anzusehen ist.

Ängstlich ist das Herz

weil es nicht fliegen, nicht tanzen kann

weil es sich außerstande sieht

von der Brust- in die Kopfstimme zu wechseln.

Auf den Lidern der Dame glänzen die Farben des Orients.

Orte, sagt sie, altern wie Hände

und es gibt Orte

an die ich mich eigens nicht erinnern will

an denen ich Feuersteine zusammentragen

Weideflächen begrenzen

Gelände einhegen

Fische aussetzen musste.

Mitten in der Arbeit

bin ich nicht nur einmal vom Schwindel erfasst worden