Zwei Fälle für Kommissar Duval (2in1-Bundle) - Christine Cazon - E-Book
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Zwei Fälle für Kommissar Duval (2in1-Bundle) E-Book

Christine Cazon

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Beschreibung

Doppelte Einladung nach Südfrankreich – das eBook-Sparpaket! »Mörderische Côte d'Azur« (Band 1) Frühling an der Côte d'Azur. In Cannes beginnt das Filmfestival mit einem Eklat: Während der Pressevorführung für seinen neuen Dokumentarfilm wird der berühmte Regisseur Serge Thibaut ermordet. Kommissar Léon Duval, frisch aus Paris in den Süden gezogen, nimmt unverzüglich die Ermittlungen auf. Schon bald führen ihn seine Nachforschungen in ein scheinbar undurchdringliches Dickicht aus Eitelkeiten, Intrigen und Korruption. Und auch in seinem Privatleben gibt es noch ein paar ungelöste Fälle …. »Intrigen an der Côte d'Azur« (Band 2) Ein Spaziergänger findet eine Leiche, im ehrwürdigen Hotel Beauséjour wird Schmuck gestohlen, eine junge Frau verschwindet spurlos. Schon bald muss sich Duval fragen, ob es zwischen den Fällen nicht einen Zusammenhang gibt. Ein scheinbar unentwirrbares Netz aus Neid, Gewalt und Intrigen tut sich auf. Duval wird viel diplomatisches Geschick abverlangt und es werden ihm Einblicke in die gefährliche Verstrickung von Politik und Unterwelt in der schillernden Welt der Reichen und Schönen gewährt.

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Seitenzahl: 781

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Christine Cazon

Zwei Fälle für Kommissar Duval

(2in1-Bundle)

Mörderische Côte d'Azur – Intrigen an der Côte d'Azur

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Christine Cazon

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Mörderische Côte d’Azur

Karten der Côte d’Azur

Hinweis zum Buch

Widmung

Motto

Karte

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

Epilog

Intrigen an der Côte d’Azur

Karte der Côte d’Azur

Hinweis zum Buch

Motto

Karte

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

Epilog

Inhaltsverzeichnis

Christine Cazon

Mörderische Côte d’Azur

Der erste Fall für Kommissar Duval

Karten der Côte d’Azur

 

 

 

 

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Die Handlung und alle handelnden Personen sind frei erfunden.

Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.

À mon Polarophile tranquille

Un beau jour, ou peut-être une nuit,

Près d’un lac je m’étais endormie,

Quand soudain, semblant crever le ciel,

Et venant de nulle part,

Surgit un aigle noir

Barbara: L’AIGLE NOIR

1

»Monsieur Duval? Commissaire Léon Duval?«

»Ja?!«

»Gut, hier ist Tilly, Staatsanwalt Tilly aus Grasse. Tut mir leid, dass ich Sie schon behelligen muss, ich weiß, Sie sollten erst in einer Woche anfangen … aber wir haben ein großes Problem: Bei einer Filmvorführung heute Morgen im Palais wurde jemand erschossen.«

»Bonjour, Monsieur le Procureur. Ein Mord im Palais, sagen Sie?«

»Ja, im Palais de Festival. Sie wissen doch, wir haben das alljährliche Filmfestival?! Ich weiß nicht, ob Sie sich vorstellen können, was das bedeutet. Sehr heikel, das alles. Ich muss Sie daher bitten, sofort zu kommen. Ich habe den Direktor des Palais verständigt, Mercier, er ist auch stellvertretender Bürgermeister, er wird Sie im Palais erwarten und Sie am Eingang abholen. Außerdem habe ich gerade meinen Stellvertreter nach Cannes beordert, Delavoix, Sie kennen sich ja, der wird Sie mit allen bekannt machen. Bitte, Sie können sich denken, äußerste Eile ist geboten und absolute Diskretion. Das Filmfestival muss ungestört weitergehen können. Die Presse lechzt natürlich nach Informationen. Sie werden vermutlich Tag und Nacht belagert sein, es sind mehrere Tausend Journalisten in Cannes. Noch kennt Sie keiner, das ist in diesem Fall von Vorteil. Wenn es nicht anders geht, erzählen Sie denen irgendwas, aber nichts von Belang. Wir machen täglich eine Pressekonferenz, zu Beginn wird mein Stellvertreter das übernehmen. Später sollten Sie dann schon auch dabei sein. Wie gesagt, Eile und Diskretion, wir können keine weitere Katastrophe gebrauchen.«

»Natürlich, Monsieur le Procureur. Bin schon auf dem Weg.«

»Sie kommen sofort? Danke, Monsieur le Commissaire. Wie gesagt, Delavoix wird in Kürze vor Ort sein. Von ihm erfahren Sie alles Weitere.«

 

Eine Woge von Nervosität durchflutete Léon Duval. Er legte die Bohrmaschine zur Seite, mit der er eben noch zwei Löcher in die Wand gebohrt hatte, um im Badezimmer eine Handtuchstange anzubringen. Er war gerade erst eingezogen und versuchte sich auf die Schnelle einzurichten. Noch lebte er überwiegend aus Kartons. Aber er hatte die Einrichtung seines Vaters weitgehend übernommen, der wiederum eine der Kommoden und zwei Schränke von seinen Eltern übernommen hatte. Die dunklen, großen Möbel waren zwar altmodisch, gleichzeitig hatte die Wohnung so bereits etwas Vertrautes für ihn. So, als sei er schon ein bisschen daheim. Er selbst schätzte eher einen minimalistischen Stil, kühl und modern. Die Pariser Stadtwohnung, in der er zuletzt gelebt hatte, war zudem alles andere als geräumig gewesen. In der alten Villa, die er von seinem Vater geerbt hatte, waren die Räume jedoch groß und die Decken hoch. Selbst das Badezimmer, in dem er gerade werkelte, war ein Saal.

Duval war schlagartig angespannt. Seinen Start in Cannes hatte er sich etwas geruhsamer vorgestellt. Nicht gleich mit einem Mord während des Filmfestivals. Er sah in den Spiegel: Sein Gesicht war verschwitzt und voller Mörtelstaub. Er war nicht rasiert. Er fuhr sich durch die Haare, schnupperte unter seinen Achseln. Ok, für den ersten Tag ging es so wohl nicht. Kurz entschlossen sprang er unter die Dusche, rasierte sich in Windeseile und suchte dann im Kleiderstapel auf dem Sessel neben seinem Bett nach einem sauberen und nicht verknitterten Hemd. Im Wohnzimmer sang Georges Brassens gerade vom mottenzerfressenen Unterrock der schönen Hélène, die andere deswegen hässlich gefunden hätten … les trois capitaines l’auraient appelée vilaine … Duval sang gegen seine aufsteigende Nervosität an, inbrünstig, aber falsch. Er konnte keine Melodie halten. Er liebte das Lied immer noch, und natürlich dachte er immer noch an Hélène. Hélène aber hatte das Lied irgendwann nicht mehr hören wollen. Sie wollte gar nichts mehr von Brassens hören. Sie hatte die Nase voll. Von Brassens, aber vor allem von ihm. Er konnte Brassens immer hören. War er gestresst, begann er seine Tage am liebsten schon mit Brassens. Bei den Gitarrenklängen konnte er wegtauchen. Sich isolieren und dennoch nachdenken. Unbehelligt von allem, was ihn umgab. Er hörte dann weder Lilly schreien noch Matteo rufen, und er sah Hélène nur wie hinter einer Milchglasscheibe agieren. Bis Hélène eines Tages eine Platte von Brassens, die er gerade hörte, vom Plattenspieler nahm und zerbrach. Ich kann nicht mehr, sagte sie. Geh!

Das Einzige, was er bisher angeschlossen hatte, waren seine Stereoanlage und der Fernseher. Der Plattenspieler für die Vinylplatten stand auch schon und seine LPs nahmen mehrere Meter Raum ein. Endlich hatte er Platz dafür. Trotz oder vielleicht auch wegen seiner Unmusikalität brauchte er Musik. Er genoss es, dass er in diesem Haus die Anlage aufdrehen konnte, ohne dass Nachbarn an die Decke klopften. Musik muss man laut hören, war seine Ansicht.

Er hatte kein passendes Hemd gefunden und wühlte nun in einem Kleiderkarton. Er zog ein Polohemd heraus. Die meisten seiner Sachen waren noch nicht ausgepackt. Er seufzte. Einmal wieder im Dienst, würde dieser Zustand bis in alle Ewigkeit fortdauern. Er kannte sich und den Job. Jemanden, der seine Hemden bügelte, würde er auch bald brauchen. Er wusste nicht, ob die Wäscherei neben dem benachbarten Gymnasium noch existierte. Er wählte eine saubere Jeans, griff nach der Lederjacke, zögerte jedoch. Erster Tag immerhin. Ein Mord im Palais. Erneut betrachtete er sich im Spiegel. Er wusste, dass die rötlichen Locken ihm etwas Wildes und Jungenhaftes gaben. Frauen hatten stets Lust, ihm durch die lockigen Haare zu fahren, ganz egal, wie kurz er sie auch trug. Heute wollte er allerdings gern etwas seriöser wirken. Er nahm das Sakko aus dem Garderobenschrank. Und los, sagt er zu seinem Spiegelbild. Neue Stadt, neuer Job, neues Glück.

Er würgte Brassens mitten im Wort ab, zog die Tür hinter sich zu und überlegte, während er die Treppen hinablief, wo er das Auto geparkt hatte. Als er die Haustür öffnete, strahlte ihm die Sonne warm entgegen und kurz entschlossen entschied er, zum Palais zu laufen. So konnte er vielleicht schon ein bisschen Festivalatmosphäre schnuppern, außerdem lief er ganz gern. Auf seinem Weg die stark befahrene Avenue de Grasse hinab kam er am kleinen Parc Méro vorbei, der anscheinend neu gestaltet worden war, seitdem er das letzte Mal hier gewesen war. Der Eingang lag jetzt zurückgesetzt und die ehemals staubigen Wege waren durch weinroten Teer ersetzt worden. Eine ältere Dame fütterte auf einer Bank gleich hinter dem Eingang mehrere Katzen, die laut miauend um sie herumstrichen. Duval versuchte die Straße zu überqueren und wunderte sich über die nicht nachlassende Menge an Motorrädern, Pkws und sogar Lieferwagen, die sich die kurvige Straße hinaufbewegten. So viele waren es doch früher nicht gewesen, dachte er. Er fand es unerträglich laut. Er kam an der Polsterei vorbei, die es dort schon seit Jahrzehnten gab, im Schaufenster stand noch immer der gleiche Sessel, der in der Mitte aufgeschnitten war und so das Innenleben eines Polstersessels zeigte. Duval registrierte die wenigen Geschäftsbetriebe, die es noch gab. Eine Autowerkstatt, eine Apotheke, eine kleine Wäscherei, einen Friseur, eine Änderungsschneiderei, ein jüdisches Beerdigungsinstitut und hinter einer pinkfarbig gestrichenen Fassade einen Elektroeinzelhandel, in dessen Schaufenster noch immer und vermutlich ganzjährig kleine Weihnachtslämpchen blinkten. Keinen einzigen Lebensmittelladen, keinen Bäcker, keinen Metzger gab es mehr in diesem Viertel, dafür ein Tätowier- und Piercingstudio, einen Kosmetiksalon und ein Fingernagelstudio, ach, und immerhin einen Pizzalieferanten, gut zu wissen. Er überquerte die große Kreuzung Pont Carnot, wo auch das Polizeipräsidium lag, ließ es jedoch links liegen, genauer gesagt rechts, und lief geradeaus weiter durch ein Sträßchen, in dem sich Boutiquen aneinanderreihten: Mode, Blumen, Schmuck und viel dekorativer Kleinkram. Dazwischen lagen eine Bank und allein drei Immobilienmakler. Ein lukratives Geschäft an der Côte d’Azur. Er sah den weißen eckigen Koloss des Filmpalastes schon vor sich liegen. Wie angenehm kurz hier die Distanzen waren. Wenn nur die vielen Menschen nicht wären, die sich durch die engen Straßen drängten.

Er erreichte die Rue d’Antibes, die luxuriöse Einkaufsstraße von Cannes, der er aber nur einen kurzen Blick nach rechts und links gönnte, um sie schnell bei Rot zu überqueren. Duval hatte noch nie so viele Menschen hier gesehen. Aber er war auch noch nie während des Festivals in Cannes gewesen. Sein Mobiltelefon klingelte. Es war der Polizeidirektor, sein oberster Chef.

»Monsieur le Commissaire, sind Sie schon unterwegs?«

»Kurz vor dem Palais, Monsieur le Directeur.«

»Gut, gut. Bisschen plötzlicher Einstieg, aber so ist das in unserem Metier, Sie machen das schon, n’est-ce pas? Hören Sie, Villiers und LeBlanc sind vor Ort. Die kennen Sie ja bereits. Sie bekommen natürlich alle Unterstützung, die Sie brauchen. Ich werde Ihnen noch ein paar Leute zur Verfügung stellen. Wir müssen das so schnell wie möglich hinter uns bringen. Diskret und effizient. Hier steht das Telefon nicht still, das können Sie sich ja denken. Der Innenminister, der Kultusminister … gut, Duval, ich will Sie nicht aufhalten, bon courage! Und halten Sie mich auf dem Laufenden.«

»Jawohl, Monsieur le Directeur. Geht in Ordnung.«

Duval war in der Zwischenzeit vor dem Palais des Festivals angekommen. Palais des Festivals et des Congrès hieß das vieleckige Gebäude offiziell. Aber alle sprachen nur vom Palais. Duval hatte Schwierigkeiten, hineinzukommen. Alles war abgesperrt. Selbst der Dienstausweis schien keine Gültigkeit zu haben. So musste erst lange hin und her telefoniert werden, bis er schließlich jemanden durch das Telefon des Sicherheitsbeamten bellen hörte, dass man den Commissaire gefälligst einlassen solle, er würde dringend erwartet. Der Sicherheitsbeamte, der Duval den Zutritt verwehrt hatte, salutierte zackig mit dem Telefon am Ohr, öffnete die Absperrung und Duval durfte in das Palais des Festivals eintreten.

Duval hatte sich bisher keine Vorstellung vom Inneren gemacht. Er war jedoch überrascht, sich in einem Treppenhausgewirr mit relativ niedrigen Decken wiederzufinden. Unbewusst hatte er hohe Hallen erwartet, aber man hatte wohl versucht, ein Maximum an Etagen in diesem Gebäude unterzubringen. Alles war sehr eckig, sehr kühl, aber unverkennbar in einem schon aus der Mode gekommenen Achtziger-Jahre-Stil gestaltet. Er sah vorerst nur Treppen, Türen, lange Flure, Teppichböden mit eingewebter Palme, verspiegelte Wände, und das Licht kam von Tausenden goldfarbiger Glühlampen. Es wimmelte von Menschen, er hatte keine Ahnung, wohin er sich wenden sollte, als ihm ein Mann im dunklen Anzug entgegeneilte.

»Monsieur le Commissaire? Sehr erfreut. Mercier, ich bin der Direktor des Filmpalastes. Danke, dass Sie gleich gekommen sind«, fügte er hinzu und schüttelt ihm überschwänglich die Hand. »Ich sage es Ihnen gleich, wir müssen den Saal sofort wieder zur Verfügung haben. Die Filmvorführung um halb zwölf, meinetwegen auch die um 15 Uhr, können wir zur Not ausfallen lassen, aber für die beiden Vorstellungen heute Abend, um 19 Uhr und um 23 Uhr, wenn alle Stars und die Prominenz die Stufen erklimmen, brauchen wir den großen Saal …«

»Sagen Sie mir doch erst mal, was genau passiert ist«, bat Duval, als er neben dem erregten Direktor durch den Saal lief.

»Serge Thibaut, der Filmemacher, ist während der Filmvorführung heute Morgen getötet worden. Erschossen.«

»Thibaut? Während er einen Film sah?« Duval zuckte innerlich zusammen. Er verstand die angespannte Nervosität. Nicht irgendjemand war erschossen worden, was schlimm genug wäre, nein, er hatte es mit einem Prominentenmord beim Filmfestival zu tun. Na, herzlichen Glückwunsch, Duval, dachte er zynisch. Super Anfang.

»Während der Vorführung seines eigenen Films, um genau zu sein.«

»Wie ist es passiert?«

»Keine Ahnung. Fragen Sie Ihre Kollegen. Der Film lief bis zum Ende durch. Erst als das Licht anging, und sich alle ihm zuwandten, sah man, dass er nicht entspannt, sondern leblos in seinem Sessel lag. Während der Vorstellung ist es natürlich dunkel im Saal, und es gibt eine ausgezeichnete Rundumtechnik. Wir haben die neueste Technik hier … Die Zuschauer sehen und hören nur den Film. Vermutlich ist Thibaut einfach ein bisschen zusammengesackt, die Umsitzenden dachten vielleicht, er mache ein Nickerchen. Wissen Sie, nach den langen Abendveranstaltungen kommt das schon mal vor, dass man im Dunkeln kurz einnickt. Aber das können Ihnen Ihre Kollegen vermutlich genauer erzählen. Die sind ja alle schon mittendrin. Ach, da ist ja auch schon die rechte Hand des Staatsanwalts … der kann Sie gleich mit allen bekannt machen, kommen Sie, Monsieur le Commissaire, kommen Sie …«

Mercier führte ihn in Richtung mehrerer Herren im schwarzen Anzug, einer von ihnen sprach aufgeregt und gestenreich.

»Ah, Commissaire Duval!« Jean Delavoix, der stellvertretende Staatsanwalt, erkannte ihn und stellte ihn der Runde vor: »Unser neuer Mann in Cannes. Rechtzeitig aus der Hauptstadt eingetroffen …«

Duval atmete tief durch, setzte ein höfliches, aber indifferentes Gesicht auf und murmelte sein »Sehr erfreut« in die Runde. Er sah jedem der Herren in die Augen, während er Hände schüttelte, und versuchte sich ein Bild zu machen. Er blickte in kühle, ihn musternde Gesichter. Offensichtlich stand er der Crème de la Crème von Cannes gegenüber.

»Auf gute Zusammenarbeit, Monsieur le Commissaire«, sagte der stellvertretende Staatsanwalt nun. »Staatsanwalt Tilly möchte, dass Sie die Ermittlungen führen. Der Polizeidirektor hat mir eben zugesichert, dass Sie jede Unterstützung bekommen, die Sie brauchen. Ein paar Mann mehr können ja nicht schaden. Gut, dass Sie da sind. Wir können Ihre Hauptstadterfahrung ganz gut gebrauchen. Fingerspitzengefühl, wenn Sie verstehen, was ich meine.«

»Monsieur le Commissaire, ich BRAUCHE diesen Saal!« Der Mann, der ihm als Charles Leclerc, Präsident des Filmfestivals, vorgestellt wurde, wirkte gestresst. »Bitte, ab wann kann ich wieder darüber verfügen?«

Das ist jetzt nicht dein Ernst, dachte Duval, noch hatte er von nichts eine Ahnung und sollte schon Auskünfte geben. Aber noch bevor er etwas sagen konnte, antwortete der stellvertretende Staatsanwalt an seiner Stelle:

»Wir werden unser Möglichstes tun, Monsieur le Président. Glauben Sie mir, dass wir uns Ihrer Lage bewusst sind, wir werden mit Hochdruck daran arbeiten, nicht wahr, Monsieur le Commissaire?«

Duval nickte höflich.

»Monsieur Duval, kommen Sie, bei dieser Gelegenheit können Sie gleich den Bürgermeister kennenlernen.« Mercier machte eine einladende Geste.

»Monsieur le Maire, darf ich Ihnen unseren neuen Commissaire vorstellen?«

Ein kleiner gedrungener Mann wandte sich Duval zu, während Mercier ein Loblied auf ihn sang.

»Monsieur Duval, hier haben Sie den besten Mann von Cannes vor sich, Jean-Marie Lecoq, unseren Bürgermeister. Solide und dynamisch.«

Duval schüttelte die Hand des braun gebrannten älteren Mannes, der auf einem Kaugummi herumkaute und ihn mit kalten hellblauen Augen prüfend musterte, während er ein professionelles Lächeln zur Schau trug.

»Bienvenue in der schönsten Stadt Frankreichs, Monsieur le Commissaire, unser Cannes wird Ihnen guttun. Gerade eine unglückliche Situation, aber das werden Sie uns schnell lösen, nicht wahr?! Ansonsten ist Cannes eine wunderbare Stadt. Es lebt sich gut hier. Wir haben keine Getto-Vorstädte, hier werden keine Autos verbrannt oder Steine geworfen. Cannes ist sicher. Fast so sicher wie das Fürstentum Monaco. Dank eines perfekten Sicherheitssystems, aber das werden Sie ja bestimmt wissen … Wir haben bislang keine Krise, und ich tue alles dafür, dass das so bleibt. Das Festival ist unser Aushängeschild Nummer eins und da brauchen wir ganz bestimmt keinen Skandal, wenn Sie verstehen … Suchen Sie den Mörder, schnell und diskret, und sorgen Sie dafür, dass unser guter Freund Leclerc seinen Saal so bald wie möglich benutzen kann, n’est-ce pas?! Das Festival muss weitergehen!« Er sah Beifall heischend in die Runde. »Sie erlauben doch, dass ich mich verabschiede? Wenn Sie mich brauchen, wissen Sie ja, wo ich zu finden bin, die Mairie ist nur einen Katzensprung entfernt. Und ich stehe Ihnen natürlich jederzeit zur Verfügung. Mercier ebenso, nicht wahr, Mercier?« Lecoq sah seinen Stellvertreter aufmunternd an.

Mercier nickte.

»Natürlich, Monsieur le Maire, natürlich«, sagte Duval höflich, aber etwas lahm, »bonne journée.«

Im Gehen winkte Lecoq wie ein Star in die Runde, als sei er auf einer Wahlkampfveranstaltung und als sei hier nicht gerade ein Mord geschehen. Nomen est omen, dachte Duval, was für ein selbstgefälliger Gockel.

»Dann mal an die Arbeit, Monsieur le Commissaire, es muss schnell gehen. Wir haben die Journaille an den Hacken. Die ganze Welt schaut auf Cannes. Na, was sag’ ich Ihnen … Die obligatorische Pressekonferenz nehme ich Ihnen heute natürlich ab. Keine Sorge, fangen Sie erst mal an. Ach, eins noch, Ihr Ermittlungsrichter ist Madame Marnier. Eine tüchtige Frau. Setzen Sie sich baldmöglichst mit ihr in Verbindung. Sie erwartet Ihren Anruf. Und jetzt: bon courage, Commissaire!« Der stellvertretende Staatsanwalt entließ Duval, der sich bereits der Absperrung im Saal näherte.

 

»Na, Bekanntschaft gemacht mit dem Dream-Team von Cannes?! Einen schöneren Start kann man sich ja kaum vorstellen. Willkommen in Cannes!« Villiers grinste seinen neuen Vorgesetzten an. »An diesen Herren kommen Sie nicht vorbei. Besser, Sie stellen sich gut mit beiden. Täuschen Sie sich nicht, Mercier ist ein gerissener Hund. Sehr intelligent und ein Karrierist. Der Bürgermeister ist offen aggressiv. Mercier ist subtil.«

»Hm«, machte Duval, ließ sich aber nicht anmerken, was er dachte. »Bringen Sie mich doch mal auf den neuesten Stand«, bat er.

»Serge Thibaut, das sagt Ihnen doch was?«

»Klar«, Duval nickte mit dem Kopf. Thibaut war ein Naturfilmer, ein gut aussehender charismatischer Typ, der extrem erfolgreich geworden war, seitdem er angefangen hatte, die Welt aus geringer Höhe aus einem Helikopter heraus abzufilmen. Sehr engagiert hatte er sich in den letzten Jahren bei der Rettung des Regenwalds und war so zum Ökohelden geworden, mit dem sich alle Naturschutzorganisationen schmückten. Lange galt er als Idealbesetzung des Präsidentschaftskandidaten für die ökologische Partei. In letzter Minute hatte man sich für eine Frau entschieden. Sie war weniger medienwirksam und nach dem schlechten Abschneiden der ökologischen Partei bei den Wahlen war Thibauts Popularität noch gestiegen. Hätte man nur ihn genommen, dachten so manche.

»Thibaut zeigte seinen neuesten Film zur Rettung des Regenwalds im Amazonasbecken. Und jemand hat ihn wohl währenddessen erschossen. Er ist übrigens mit einer Gruppe Indios angereist, komisches Völkchen …« Villiers wies in eine Ecke des Saals.

»Hm«, brummte Duval. Er sah ein Grüppchen verloren aussehender Indios in bunten Kleidern und Hosen, die teilweise auf dem Fußboden saßen und teilnahmslos vor sich hinstarrten. Was für eine abstruse Idee, diese Menschen nach Cannes zum Filmfestival zu schleppen. Was sollten sie hier? Ein kleines Mädchen war unter ihnen. Sehr niedlich, die Kleine, dachte er. Das Mädchen sah ihn mit großen Augen an und lächelte breit. Er sah, dass sie eine Zahnlücke hatte. Das gab ihm einen Stich, er musste an Lilly denken … ach Lilly … er würde sie anrufen, gleich heute Abend, nahm er sich vor.

Villiers hatte die ganze Zeit weitergeredet.

»Die Journalisten sind übrigens außer Rand und Band. Es waren wohl Tausende im Saal.«

Duval zog die Augenbrauen hoch. Er kannte den Commandant Villiers und Capitaine LeBlanc bereits ein wenig von seinen zwei letzten Aufenthalten in Cannes. Noah Villiers war groß, schlank und gut durchtrainiert. Seine Mutter kam von der Insel Réunion und hatte ihm etwas von ihrer Hautfarbe und den biblisch klingenden Vornamen mitgegeben. Sein Vater war Angehöriger des französischen Militärs, das auf der Insel stationiert war. Villiers vereinte wohl die Charakterzüge beider Eltern. Er war immer gut gelaunt, redete viel und konnte nicht umhin, überall kleine alberne Wortspielereien einzubauen. Immer auf der Suche nach einem Lacher. Außerdem nahm er es mit den Regeln oft nicht so genau. »Locker bleiben!« war sein Motto. Er wirkte dadurch ein bisschen unseriös, war im Grunde aber zuverlässig und ein guter Flic. Es schien, als erführe er durch seinen Charme und seine unkonventionelle Art mehr als andere. Villiers hatte erst vor Kurzem geheiratet, eine sanfte, sehr hellhäutige blonde Französin, die auf Anhieb von ihm schwanger geworden war. Villiers war zerrissen zwischen dem Anspruch, ein guter Vater und treuer Ehemann zu werden, und seinem Bedürfnis, stets und überall zu flirten. So hatte er Tage, an denen er den seriösen und verantwortungsvollen Ehemann verkörpern wollte, an anderen Tagen brach sein jungenhafter Charme durch und er konnte es nicht lassen, den hübschen Mädchen nachzusehen und Komplimente zu machen. »Vous les femmes …«, sang er gern den schmelzenden Schlager von Julio Iglesias und warf tiefe Blicke. Duval mochte ihn, hoffte nur, dass die Zusammenarbeit auf Dauer nicht ebenso von seinem Gemüt abhängig war. Bislang kam er mit der Mischung aus Leichtigkeit und Seriosität ganz gut zurecht.

Er blickte auf die andere Seite des riesigen Saales. Dort war es schwarz vor Menschen. Es wogte, raunte, schrie. Es wurde gedrängelt und wild gestikuliert. Die Journalisten waren wie immer aufgeregt und aufgebracht, weil man sie nicht umgehend und umfassend informierte. Information! Die Menschheit hat ein Recht auf Information! Oh, wie ihn diese heuchlerische Meute ankotzte. Duval hasste die Journalisten. Er kannte nicht einen, der sein Handwerk ordentlich machte. Er versuchte, die Zahl abzuschätzen. Es war unmöglich. Tausende? Es schien ihm wirklich übertrieben. Dennoch, gut, dass Delavoix die Pressekonferenz auf sich nahm. Diese Art öffentlichen Auftritts war ihm verhasst. Es lag ihm nicht, inhaltslose Sätze von sich zu geben, nur um irgendetwas zu sagen. Er redete grundsätzlich eher wenig, in solchen Situationen wurde er dann ganz trocken und spröde. Und auf einen heftigen Schlagabtausch mit dieser Horde von gierigen Journalisten hatte er schon gar keine Lust. Er war froh, dass ihn noch keiner kannte.

 

»Wir sollten den Saal sobald wie möglich wieder freigeben … Leclerc hatte mich schon am Wickel …«

»Jaja, immer mit der Ruhe, Villiers«, unterbrach Duval. »Erst mal sollen die Spurenermittler hier in Ruhe ihre Arbeit machen. Was denken sich die Leute immer? Hier ist verdammt noch mal jemand ermordet worden. Aber dann soll alles blitzschnell so weitergehen, als sei nichts passiert.«

»Ah, Monsieur le Commissaire, das müssen Sie verstehen, das Festival ist ein logistischer Kraftakt, und ohne diesen Saal sind sie verloren … und es geht um viel Geld.«

Blitzlichter erhellten grell die Szene. Alarmiert blickte Duval in Richtung des Fotografen. Er fürchtete einen Ansturm der Presse, aber es war nur der Polizeifotograf, der seine Arbeit machte.

 

Duval sah sich im großen Saal um. Ein riesiger Raum mit großer Bühne, der als Kino oder Theatersaal fungieren konnte. Es gab mehrere Ränge. Die Anzahl der pinkfarbenen Polstersitze konnte er nicht schätzen. Er versuchte, die Sitze einer Reihe zu zählen.

»War der Saal voll?«, fragt er Villiers.

»Mehr oder weniger, Monsieur le Commissaire, 2300 Menschen passen hier rein. Es war nicht ganz voll, aber 2000 Menschen waren wohl da.«

»Wer kann hier alles rein? Muss man eingeladen sein? Kann man nachvollziehen, wer da war? Wer kontrolliert den Einlass?«

»Ja, in gewisser Weise muss man eingeladen sein. Das Filmfestival wird von einem privaten Sicherheitsdienst betreut. Der Chef ist ein ehemaliger Fremdenlegionär, Nick O’Reilly, ein Ire glaube ich, hat seinen Sitz in Antibes. Hat bislang einen guten Ruf hier an der Côte d’Azur. Disziplin. Diskretion. Sicherheitsservice Nummer eins. Bis eben zumindest. Das ist er übrigens.« Villiers zeigte auf einen kleinen Mann mit kahl rasiertem Kopf. »Der, der da telefoniert.«

Duval nickte und bewegte sich auf den Mann im schwarzen Anzug zu. Der Anzug spannte, man ahnte die Muskeln darunter.

 

»Monsieur O’Reilly?«

»Wer will das wissen?« O’Reilly knurrte unwirsch und sah Duval prüfend an. Er hatte ein Funktelefon in der Hand und Duval sah den kleinen Kopfhörer des Headsets an seinem Ohr.

»Commissaire Duval, ich leite die Ermittlungen.«

»Kenn’ Sie nicht?!« O’Reilly sah in abschätzig an. Er hatte einen hörbaren Akzent.

Duval zeigte seinen Ausweis. O’Reilly nickte. »Neu hier?«, fragte er.

Duval nickte und O’Reilly drückte ihm wortlos die Hand, während er in das Telefon bellte. Ein Bullterrier, dachte Duval. Dann begann O’Reilly übergangslos und noch bevor Duval zu einer Frage ansetzen konnte zu reden.

»Glauben Sie mir, ich möchte auch wissen, welcher Trottel da nicht aufgepasst hat. Ich krieg’s auch raus. Das ist eine Katastrophe für mich. Noch nie ist mir so etwas passiert. Ich habe die besten Leute, den besten Ruf an der Côte d’Azur. Alle vertrauen mir. Russen, Araber, VIPs. Wir machen das Festival seit 1994. Seit 1994! Seit zwanzig Jahren, wissen Sie, was das heißt? Absolutes Vertrauen heißt das. Das Festival kann ich jetzt abschreiben, krieg ich nie wieder als Kunde. Ich werd’ schon rausfinden, was da los war.«

Sein Telefon klingelte.

»Verzeihung … Ja?!«, bellte er in den Apparat. »Ok. Ja. Ich komme gleich.« Er sah den Kommissar an. »Kann ich noch etwas für Sie tun, oder …?!«

»Erklären Sie mir, wie man hier reinkommt. Wer, vor allem.«

»Wer, gute Frage. Wir haben 25000 akkreditierte Festivaliers hier. 25000! Das ist ein Viertel der normalen Einwohnerzahl von Cannes. Darunter sind etwa 11000 Professionelle der Filmbranche aus der ganzen Welt. Und etwa 4500 Presseleute. Aus allen Ländern der Welt kommen Menschen hierher, um Filme zu zeigen, zu verkaufen, Kontakte zu knüpfen. Das hier ist eine riesige Messe. Das bisschen Trallala auf dem roten Teppich und die Filmvorführungen sind nur die sichtbare Spitze eines Eisbergs. Akkreditiert heißt, die haben ein Badge.« Er zeigte auf die Bänder mit einer scheckkartengroßen Plastikkarte, die alle Menschen hier um den Hals trugen. »Und mit diesem Badge kommen sie hier rein. Aber jede hier ausstellende Filmfirma, ob aus den USA, aus Japan oder aus Hinterindien, hat zusätzlich ein Kontingent normaler Eintrittskarten, die an Mitarbeiter oder Besucher oder potenzielle Kunden vergeben werden können. Problem ist, dass die die Karten manchmal nicht selbst nutzen, sondern weitergeben oder tauschen. Und, unter uns, selbst eigentlich Unbefugte kommen so rein, weil draußen ein semi-offizieller Schwarzmarkt für diese Karten existiert.«

»Und das Badge könnte ja theoretisch auch weitergegeben werden oder geklaut sein …«

»Da ist ein Foto drauf. So einfach ist es nicht. Die Leute schlafen mit dem Ding, glauben Sie mir. Die Akkreditierung ist teuer, und wer sein Badge verliert, bekommt so schnell kein neues. Ganz strikte Regelung. Gut. Zwei Mal zwei Leute kontrollieren an jedem Eingang, es gibt eine Code- und unter Umständen eine Taschenkontrolle. Und es gibt eine weitere Taschenkontrolle vor den Eingängen des Saals. Fakultativ allerdings.«

»Sie benutzen keinen Metalldetektor?«

»Nein.« O’Reilly schüttelte den Kopf und zuckte bedauernd mit den Achseln. »Unter uns, die Taschenkontrollen sind etwas lax und dienen mehr einer symbolischen Abschreckung, aber wenn wir es machen wollten wie beispielsweise am Flughafen, bräuchten wir Stunden. Die Zeit haben wir hier nicht. Sie haben keine Ahnung, wie eng hier alles getaktet ist. Während die 2300 Leute aus dem großen Saal noch rausgehen, kommen weitere 2300 von vorne für die nächste Vorstellung schon wieder rein, und so ist es den ganzen Tag. Die erste Vorstellung ist um 8.30 Uhr, die letzte um 23 Uhr. Verstehen Sie? Meine Leute laufen aber zusätzlich durch das Palais und haben auf alles ein Auge, was ihnen suspekt erscheint. Die sind geschult, glauben Sie mir.«

»Hmm«, machte Duval. Irgendetwas war den geschulten Augen der Sicherheitsleute dennoch entgangen. »Wie viele Leute waren Ihrer Ansicht nach da?«

»Der Saal hat 2300 Sitzplätze. Es waren nicht alle Plätze belegt. 2000 würde ich sagen.«

Das bestätigte die Information, die er von Villiers erhalten hatte.

»Und wie viele davon sind noch da?«

»Sagen wir mal so, gut zwei Drittel sind schon weg.«

Duval stöhnte.

»Was wollen Sie, um 8.30 Uhr, das ist die Presse-Vorstellung. Das sind alles professionelle Zuschauer, die keine Zeit zu verlieren haben. Die sind nach dem Film sofort wieder aus dem Saal geströmt. Vor allem die Zuschauer aus den Rängen, denen der Tumult in den vorderen Reihen im Orchester nicht aufgefallen war, waren sofort weg. Die schauen sich nicht noch gemütlich den Abspann an, um zu erfahren, wo der himmelblaue Kakadu aufgenommen worden ist. Die wollen nur schnell ein paar Infos weitergeben und dann zum nächsten Film oder zur nächsten Pressekonferenz. Als ich begriffen habe, was los war, wollte ich vor allem vermeiden, dass es eine Panik gab, und wollte, dass alle so schnell wie möglich, aber in aller Ruhe verschwinden. Vor allem die hysterische Presse. Reibungsloser Abgang, verstehen Sie?« O’Reillys Funktelefon krächzte und piepte. »Ich muss jetzt zum Technikeingang … das Festival geht ja weiter. Was machen wir jetzt mit diesem Saal? Kann die nächste Vorstellung hier laufen?«

»Sind Sie alle verrückt geworden, oder was? Thibaut liegt noch da unten, und Sie wollen hier weitermachen, als wäre nichts gewesen?«

O’Reilly zuckte mit den Achseln. »Business«, sagte er trocken. »Sie wissen nicht, was das Festival bedeutet.« Er rieb Daumen, Zeige- und Mittelfinger aneinander. »Le fric«, sagte er, »der Rubel muss rollen.«

Duval schüttelte den Kopf.

»Dass es hier schleunigst weitergeht, daran habe ich keinen Zweifel, Commissaire. Sie kennen das hier noch nicht. Hat Ihnen Ihr Bürgermeister das nicht klargemacht? Sie sind neu hier, Monsieur le Commissaire. Legen Sie sich nicht gleich mit den Ranghöchsten an, ist nicht gut für die Karriere.«

Duval zog es vor, darauf nichts zu sagen. Karriere, Karriere. Dass es bislang aufwärtsgegangen war, verdankte er nur sich selbst und der Tatsache, dass er seinen Job gut gemacht hatte, nicht irgendwelchen Beziehungen.

»Wir bleiben in Kontakt«, sagte er kurz. »Ich rechne fest mit Ihrer Kooperation, was immer Sie rauskriegen, will ich auch wissen … Haben Sie vielleicht eine Telefonnummer für mich?«

»Yep. Sicher.« O’Reilly zog eine Visitenkarte aus der Brieftasche und reichte sie ihm. Dann nickte er kurz, drückte Duval noch einmal kräftig die Hand und verschwand, während er schon wieder in sein Funktelefon sprach. EDS Protection – Event Security stand in Gold auf dem schwarzen hochglänzenden Kärtchen.

 

Duval seufzte. 2000 potenzielle Täter und Zeugen gleichzeitig. Dass der Täter im Saal gewesen war, stand immerhin fest. Aber er hatte sicher nicht abgewartet, bis der Mord entdeckt wurde, sondern hatte sich alsbald diskret verdünnisiert. Man müsste dennoch alle Namen und Anschriften bekommen können, zumindest von denen, die noch da waren. Und versuchen, eine Liste der akkreditierten Zuschauer zu bekommen, die offiziell eingelassen worden waren. Was für ein Aufwand. Hatte denn niemand der 2000 Menschen irgendetwas bemerkt? Zumindest die Leute in unmittelbarer Nähe?

 

»Wissen Sie, wer neben ihm saß, hinter ihm, vor ihm? Die müssen doch etwas bemerkt haben? So ein Schuss macht doch ’ne Menge Lärm, selbst wenn die Waffe einen Schalldämpfer hatte«, fragte er Villiers.

Villiers machte eine Grimasse.

»Er war wohl umgeben von den Indios. Das kleine Mädchen, wohl so eine inoffizielle Adoptivtochter, saß neben ihm, ein paar Indios saßen vor ihm. Aber die waren wohl so absorbiert von dem Film, die haben gar nichts anderes mitbekommen.«

Es könnte also durchaus einer der Indios gewesen sein, dachte Duval. Auch wenn es absurd ist, dass sie ihren charismatischen Retter und Verteidiger umbringen sollten. Aber wer weiß, vielleicht gefiel es ihnen gar nicht, so an die Öffentlichkeit gezerrt zu werden.

»Sie sind aber alle noch da, irgendwie freundlich und abwesend. Und eine Waffe wurde bislang nirgends gefunden«, sagte Villiers, als habe er seine Gedanken gelesen.

»Kann man sich mit ihnen verständigen? Was sprechen sie? Portugiesisch? Englisch?«

»Weder noch, Monsieur le Commissaire. Sie sprechen wohl eine Art Dialekt.«

»Gibt es jemanden, der da übersetzen kann?«

»Die Kleine kann ein paar Brocken Französisch.«

Duval verdrehte die Augen.

»Lassen Sie einen Ethnologen suchen oder was weiß ich, irgendjemanden, der da zukünftig übersetzen kann.«

 

Dann sah er Thibaut, der auf einer Bahre lag. Thibaut war vielleicht Ende fünfzig. Schlank. Weißblond, braun gebrannt, wettergegerbt, viele kleine Fältchen im Gesicht. Duval hatte Thibaut oft genug im Fernsehen gesehen, um ihn sofort wiederzuerkennen. Ein gut aussehender Typ. Jetzt sah sein Gesicht wie eine Fratze aus. Ein Auge starrte ins Leere, das andere war weggeschossen. Duval sah die leere blutverkrustete Augenhöhle. Ein Rinnsal von inzwischen angetrocknetem Blut war zusätzlich aus seiner Nase ausgetreten.

 

»Docteur?!« Duval sprach den Gerichtsmediziner an, der gerade seine Handschuhe auszog und seine Instrumente in einem Koffer verstaute. Er blickte auf.

»Ja?!«

»Docteur, ich bin Commissaire Duval, ich leite die Ermittlungen.«

»Ah, oui, sehr erfreut, Sie sind der neue Commissaire, frisch aus Paris.« Der Arzt gab ihm die Hand. »Charpentier mein Name, Dr. Charpentier. Na, Sie haben sich ja einen hübschen Fall für den Anfang ausgesucht. Heiß und fettig, sozusagen. Drunter machen Sie’s nicht, was? Ich geb’ Ihnen mal die ersten Infos: Wir haben es mit einem Tötungsdelikt durch Schussverletzung zu tun, das wissen Sie vermutlich schon. Ging präzise ins rechte Auge. Guter Schütze. Professionell würde ich sagen. Wahrscheinlich wurde mit einem Kleinkalibergewehr geschossen. Keine Kugel ausgetreten, vermute, es handelt sich um ein sich zerlegendes Teilmantelgeschoss. Kaliber .22 möglicherweise. Das werde ich Ihnen nach der Untersuchung aber noch genauer sagen können. Thibaut war vermutlich sofort tot. Der Todeszeitpunkt ist dieses Mal auch recht einfach zu ermitteln. Vor dem Film hat er noch gelebt. Danach war er tot. Haha, kleiner Scherz … Ich schau ihn mir aber noch genauer an.«

Duval wollte etwas sagen, der Mediziner ließ ihn jedoch nicht zu Wort kommen.

»Es eilt, keine Sorge, Monsieur le Commissaire, das brauchen Sie mir nicht zu sagen, das haben selbst wir hier in der Provinz verstanden. Ich rufe Sie an, sobald die Untersuchung abgeschlossen ist. Morgen gegen Mittag, würde ich sagen. Ich gebe Ihnen mal meine Karte, aber Ihre Sekretärin hat die Nummer auch.« Duval nickte dankend und steckte die Karte in seine Brieftasche. Der Mediziner grüßte in die Runde und verschwand.

Duval stöhnte innerlich auf. Warum konnte es nicht einmal nur einfach sein mit den Gerichtsmedizinern? Dieser hier schien vor allem darunter zu leiden, dass er selbst nicht bis nach Paris gekommen war. Paris. Für die echten Pariser zählte natürlich nur Paris. Der Rest von Frankreich bestand für sie nur aus mehr oder weniger unwichtigen Provinzstädten, und sie benahmen sich dort entsprechend arrogant. In den Provinzstädten sah man die Pariser daher ungern. C’est un Parisien! war in Marseille gleichbedeutend mit einem Schimpfwort und konnte auch als Kampfansage verstanden werden: »Das ist ein arroganter Drecksack aus Paris! Schlagt ihm die Fresse ein!« Duval war sich bewusst, dass man in ihm lange den Pariser sehen würde, vor allem anderen. Er wandte sich wieder Villiers zu. Der immerhin schien vorurteilsfrei zu sein.

 

»War er verheiratet? Kinder?«

»Verheiratet ja, anscheinend keine Kinder.«

»Anscheinend?«

»Na ja, keine Kinder mit seiner Frau zumindest. Aber vielleicht hatte er ›ein zweites Büro‹, wie man bei uns auf der Insel sagen würde.«

»Ein zweites Büro«?

»Oh, Monsieur le Commissaire, muss ich Ihnen das erklären? Oui. Eine zweite Frau, eine Geliebte. Oft eine zweite Familie. So was kommt vor im Leben eines Mannes. Na, schauen Sie mich nicht so an, selbst Mitterrand hatte eine zweite Familie, das wissen wir doch heute alle.«

Duval seufzte. Ja, natürlich gab es das. Er war auch nicht immer treu gewesen, aber zwischen gelegentlicher Untreue und dem Gründen einer zweiten Familie lag doch ein Unterschied. Und war Villiers nicht gerade erst frisch verheiratet?

»Wo ist seine Frau?«

»Nicht hier zumindest. Wir haben versucht, sie zu erreichen. Sie haben eine Wohnung in Paris im 17. Arrondissement und eine Villa im Luberon. Aber bislang konnten wir sie weder in Paris noch im Luberon auftreiben. Wir versuchen weiter, sie zu finden, aber ich befürchte, sie wird es zunächst aus der Presse erfahren.« Villiers zuckte bedauernd mit den Achseln.

»Gut, lassen Sie weitersuchen. Irgendwann muss sie ja auftauchen.«

»Was ist mit seinem Hotelzimmer? Hat schon jemand das Hotelzimmer durchsucht? Wo war er untergebracht? Wo ist LeBlanc eigentlich?« Er sah sich suchend um.

»Zur Stelle, Monsieur le Commissaire!« LeBlanc salutierte. »Er wohnte im Majestic, Monsieur le Commissaire. Das ist gleich gegenüber dem Palais, ein Luxushotel, Monsieur le Commissaire.«

»Schon gut, LeBlanc, schon gut.«

Michel LeBlanc war äußerlich und vom Charakter genau das Gegenteil von Villiers. Seriös, ein bisschen angestrengt, war er jemand, der sich festbeißen konnte und hartnäckig nach den kleinsten Details suchte, dabei allerdings oft einen missgelaunten Eindruck machte. Ein kleiner rundlicher Mann mit bereits etwas schütterem Haar. Seine Fülligkeit schien noch etwas stärker geworden zu sein, seit Duval ihn das letzte Mal gesehen hatte. Duval wusste nicht viel von ihm, anders als Villiers verbreitete LeBlanc wenig Details aus seinem Privatleben. Gerüchteweise war ihm jedoch einiges zu Ohren gekommen: LeBlanc war verheiratet, aber wie so oft in diesem Beruf war seine Frau mit der steten Abwesenheit ihres Gatten wenig zufrieden und hatte ihn zunächst verlassen. Aber dann war sie wohl wieder zurückgekommen und LeBlanc hatte gleich ein paar Kilo zugenommen. Sehr glücklich sah er allerdings dennoch nicht aus.

Duval seufzte. Flic sein und ein glückliches Privatleben haben schlossen sich eigentlich aus. Vielleicht sollten Polizisten nur untereinander Paare bilden, dann war wenigstens das Verständnis für die Arbeitszeit gegeben. Aber er kannte trotzdem nur wenige Paare, die sich im Polizeidienst kennengelernt hatten und immer noch zusammen waren. Denn war man mit einem Flic zusammen, hatte man ja auch nie wirklich Feierabend. Blieben die dienstlichen Affären. Damit bekam der Ausdruck »Ein zweites Büro« zumindest die richtige Bedeutung.

»Alles in Ordnung, Monsieur le Commissaire?«

»Ja.« Er riss sich zusammen. »Was gibt’s noch?«, wandte Duval sich an Villiers und LeBlanc. »Noch irgendwas Besonderes?«

»Uns wurde zugetragen, dass es zwischen Thibaut und einem anderen Filmemacher Krach gab, gestern Abend während eines Empfangs im Hotel Majestic. Im Hotel Majestic sind traditionell Abendveranstaltungen während des Festivals. Nur für die Schönen und Reichen«, erklärte Villiers. »Fast in allen Hotels sind jetzt Partys und Empfänge, meist organisiert von Film- oder Sponsorenfirmen.«

»Aha. Wissen wir, wer der andere Filmemacher ist?«

»Noch nicht.«

»Gut, dann fangen wir doch gleich mal mit diesem Hotel an. Hier können wir ja sowieso nichts tun, lassen wir die Kriminaltechniker in Ruhe ihre Arbeit machen. Inspizieren wir das Zimmer und hören mal, was sich gestern Abend dort ereignet hat. Ist das weit?«

»Ein Katzensprung. Wirklich.«

»Gut, dann los.«

»Monsieur le Commissaire?«

»Ja?«

»Ich würde mir gern vorher ein Sandwich zwischen die Kiemen schieben …«

»Gute Idee. Ich habe auch Hunger. Wie spät ist es denn?«

»Kurz vor zwei, Monsieur le Commissaire.«

»Schon?« Duval war überrascht, der Vormittag war wie im Flug vergangen.

»Wollen Sie richtig essen gehen, Monsieur le Commissaire?«

»Ah, nein, keinesfalls. Nicht jetzt, zumindest. Ein Sandwich reicht.«

»Gut, dann zeige ich Ihnen meinen Lieblingssnack, da gibt es auch frische Salate und es geht alles fix. Manchmal findet man auch einen Sitzplatz.«

»Wirklich nur kurz, Villiers.«

»Keine Sorge, Monsieur le Commissaire. Aber essen müssen wir schon, oder?«

 

Duval und Villiers gingen ein paar Schritte Richtung Hafen, vorbei an langen Menschenschlangen, die in mehreren Windungen vor diversen Nebeneingängen des Palais auf Einlass für Filmvorstellungen warteten. Fast alle waren, während sie warteten, damit beschäftigt, auf ihren Smartphones zu lesen oder zu schreiben. Die meisten trugen einen Hut oder versuchten auf andere Art, das Display vor der blendenden Sonne abzuschirmen. Das Gelände um das Palais war weitläufig abgesperrt, ebenso die Stirnseite des Hafens, von dem man nichts sah. Es wimmelte von Menschen. Überall standen kleine weiße Pavillons, in denen Aussteller präsent waren. Filmschaffende, Filmfirmen aus aller Herren Länder waren während des Festivals in Cannes und hofften auf Kontakte und gute Geschäfte. Der Zugang zu dem kleinen Kiosk am Hafen war jedoch möglich. Ein paar kleine weiße Tische, weiße Plastikstühle und bunte Sonnenschirme standen etwas lieblos herum. Ein Tisch wurde gerade frei. Villiers nötigte Duval, sich zu setzen.

»Nur fünf Minuten, Monsieur le Commissaire. Geht wirklich schnell, keine Sorge.«

Schon stand ein etwas rau wirkender Mann an ihrem Tisch, wischte mit einem Lappen imaginäre Krümel davon und sah sie erwartungsvoll an.

»Tag, die Herren, was kann ich für Sie tun?«

»Irgendein Sandwich und ein Perrier für mich«, sagte Duval.

»Schinken, Schinken-Käse, Salami, Griechisch, Italienisch, Amerikanisch, Vegetarisch, Pan Bagnat …«, zählte der Kellner auf.

»Was war das Letzte?«

»Pan Bagnat?«

»Ja.«

»Ein Pan Bagnat, und für Sie Monsieur?«

»Griechisch und auch ein Perrier.«

»Geht klar, ein Griechisch, ein Pan Bagnat, zwei Perrier«, rief der Kellner Richtung Kiosk.

»Eigentlich wollte ich nur wissen, was das ist, ein Pan Bagnat.«

»Keine Sorge. Ist gut. Pan Bagnat ist ein rundes, aufgeschnittenes Brot, dessen beide Hälften in Olivenöl getränkt wurden. Gefüllt ist das Ganze mit einer Art Salade Niçoise, also mit Thunfisch, Salat, Tomate, Ei, Zwiebeln und viel Soße. Das einzig Schwierige daran ist, sich beim Essen nicht mit der Soße zu bekleckern. Aber ganz köstlich. Sie werden sehen.«

»Aha.«

Schon standen die Sandwichs auf Plastiktellern vor ihnen. Duval bewaffnete sich mit mehreren Servietten, biss hungrig in das üppige runde Brot und versuchte, die Soße wirklich nur auf den Plastikteller tropfen zu lassen. Beide Männer aßen eine Weile schweigend.

»Und, schmeckt’s?«

Duval nickte mit vollem Mund. »Bisschen fettig«, sagte er, als er das Sandwich bewältigt hatte.

»Das ist nicht fettig, das ist Olivenöl, gutes mediterranes Olivenöl, so ist das hier im Süden.«

»Wenn Sie es sagen. Aber jetzt brauche ich noch einen café.«

»Zwei café bitte noch«, rief Villiers Richtung Kiosk. Der Mann hinter dem Tresen nickte.

Sie bekamen jeder einen café in einem kleinen Plastikbecher. Duval erwartete Schlimmstes, während er den Zucker hineinrührte, aber er war wider Erwarten trinkbar.

»Nicht schlecht, Villiers, gar nicht schlecht.« Er nickte Villiers zu, der erfreut lachte. Duval sah auf die Uhr. »Ok, gehen wir.«

 

Vor dem Palais des Festivals direkt gegenüber den berühmten rot ausgelegten Stufen, über die allabendlich die Stars nach oben schritten, standen in mehreren Reihen dicht gedrängt und in allen Variationen Stehleitern, Tritte und Hocker. Kein Mensch nahm davon Notiz, nur Duval sah sie mit Erstaunen an.

»Für die Fotografen«, erklärte Villiers. »Die kommen aber erst, wenn sich was Interessantes auf den Stufen ankündigt. In der Regel kommen die Stars erst abends zur 19-Uhr- oder zur 23-Uhr-Vorstellung. Da ist immer großes Spektakel.«

Sie gingen ein paar Schritte die Croisette entlang, die Prachtstraße von Cannes. Duval sah im Vorübereilen die Vitrinen von Chanel, Prada, Gucci … und schon standen sie vor dem pompösen Hotel Majestic. Das große zweiflügelige Fünfsternehotel stand etwas zurückgesetzt von der Croisette und hatte einen weitläufigen parkartigen Aufgang.

Das Hotel war kürzlich von Grund auf renoviert worden und strahlte von außen in makellosem Weiß. Vor den Fenstern waren blutrote Markisen angebracht. Das Innere des Hotels war in Creme und Dunkelbraun gehalten. Die Säulen in der Mitte der Eingangshalle waren mit aufwendigem Blumenschmuck dekoriert. Die beiden Polizisten wandten sich an die Rezeption, zeigten ihre Dienstausweise vor, erklärten die Situation und baten darum, das Zimmer von Serge Thibaut sehen zu dürfen.

»Die Suite meinen Sie«, lächelte die junge Rezeptionistin.

»Die Suite?«

»Ja, wir haben 265 Zimmer und 82 Suiten. Monsieur Thibaut logiert mit seinen Freunden in der großen Majestic Suite mit Terrasse und Meerblick im siebten Stock.«

»Mit seinen Freunden?«

»Monsieur Thibaut logiert, logierte meine ich, mit einer Gruppe … ähm … brasilianischer Ureinwohner in seiner Suite. Ich werde Ihnen die Hausdame rufen, die wird Sie nach oben führen.«

»Danke schön. Wir würden auch gern mit jemandem sprechen, der gestern Abend bei dem Hotelempfang dabei war. Es soll da einen Streit gegeben haben mit Serge Thibaut und einem anderen Gast.«

»Davon weiß ich nichts. Aber ich will mich gerne darum kümmern. Wenn Sie einen kleinen Moment Geduld haben, werde ich den Maître d’Hôtel rufen.«

»Villiers, übernehmen Sie das. Ich schaue mir oben derweil die Zimmer an.«

»Jawohl, Chef.«

Während Duval mit der Hausdame darauf wartete, dass der Aufzug im Erdgeschoss ankam und sich die Türen öffneten, hörte er die junge Frau an der Rezeption lachen und drehte sich noch einmal um. Villiers lehnte lässig am Tresen und plauderte und scherzte angeregt mit der Rezeptionistin. So ein Schwerenöter. Duval schüttelte leicht den Kopf. Dieses »Chef« musste er ihm abgewöhnen.

 

In dem geräumigen Aufzug fuhren sie bis in den siebten Stock und gingen den langen. mit hochflorigem Teppichboden ausgelegten Flur entlang. Die Hausdame öffnete die dunkle breite Tür, hinter der sich die Majestic Suite verbarg.

Duval versuchte zu verbergen, dass er beeindruckt war. Natürlich wusste er, dass es Räumlichkeiten dieser Art in Hotels gab, aber die schiere Größe der Suite überraschte ihn doch, genau wie die konsequente Zweifarbigkeit des Hotels. Die Flure, sämtliche Zimmer und auch diese Suite waren in Creme- und Schokoladentönen gehalten. Die moderne Einrichtung fand Duval eher banal, wenn sie auch sicherlich sehr luxuriös war. Hinter dem Entree lag ein in dunklen Brauntönen gestaltetes Esszimmer: Um einen ovalen Tisch standen zwölf cremeweiß gepolsterte Stühle. Von dort gelangte man in einen großen Salon mit einer cremeweißen Sitzlandschaft, zu beiden Seiten lagen zwei cremeweiße Schlafzimmer, und weitere kleine Salons schlossen sich an. Selbst der Blumenschmuck fügte sich in die Farbgebung und bestand aus cremeweißen Orchideen in dunkelbraunen Vasen. Was Duval aber den Atem nahm, war der Blick, den er hatte, als die Hausdame die bodenlangen schweren Vorhänge an der Stirnseite des Salons aufzog. Von einer breiten Terrasse blickte man auf die Bucht von Cannes. Die Intensität des Sonnenlichts, das leuchtende Blau des Himmels und die Türkistöne des Mittelmeers trafen ihn mit einer Wucht, die er nicht erwartet hatte. Die Côte d’Azur. Was für ein großartiger Anblick. Er stand einen Moment stumm und blickte beinahe andächtig hinab auf die Bucht, das Meer, in dem unzählige weiße Jachten vor Anker lagen, auf den von Palmen gesäumten Strand und den Filmpalast. Man sah das Gewimmel der Menschen und hörte den Lärm, der von unten heraufdrang, gleichzeitig aber hatte man hier oben nichts damit zu tun. Fantastisch. Er riss sich von dem Anblick los und ließ den Blick durch die Räume schweifen. Natürlich war das oder vermutlich waren die Zimmermädchen schon da gewesen. Alles sah aus wie unberührt und er fragte sich, wie die Bettenaufteilung war, und wo sich die persönlichen Dinge von Serge Thibaut und seinen brasilianischen Freunden befinden mochten. Im linken Schlafzimmer hatte offensichtlich Thibaut genächtigt. Hier standen und lagen persönliche Gegenstände, eine Sonnenbrille, Magazine, ein Notebook, zwei schwarze Kästchen, die Duval als externe Festplatten identifizierte. Ein Aktenkoffer. Duval zog sich Handschuhe an und öffnet ihn. Darin eine Agenda, ein Adressbuch, viel bedrucktes Papier. Er blätterte alles durch. Daneben stand eine schwarze, dick gepolsterte Reisetasche. Offenbar hatte er Thibauts Fotoausrüstung entdeckt: eine Canon EOS-I und mehrere Objektive. Sogar ein 500-mm-Objektiv fand er darin. Dann öffnete er einen Metallkoffer. Hier lag auf schwarzem Schaumstoff eine Panasonic-Handkamera. Vermutlich teuer. Vermutlich der letzte technische Schrei. Er hatte davon keine Ahnung. Als Nächstes öffnete er die Schränke. Dort fand er ordentlich hängend zwei Anzüge, sechs weiße Hemden, einen Smoking, ein Frackhemd, in den Regalen lagen Krawatten und Fliegen, Unterwäsche, Socken, schwarze Schuhe. Auf der anderen Seite fand Duval die weniger offizielle Garderobe. Badehose, leichte Mokassins, Poloshirts, zwei Hemden mit Blumenmuster und kurzem Arm, ein Hut. In dem sich anschließenden kleinen Salon zog er die Schubladen einer Kommode auf und fand mehrere Kinderkleider, einen roten Mini-Bikini mit weißen Punkten, eine Kindersonnenbrille der Marke MiuMiu und kleine flache Riemchensandalen. In der mittleren Schublade stieß er auf einen gelben Plüschbären, eine in Pink gekleidete Barbiepuppe, eine angebrochene Tafel Bitterschokolade und außerdem einen dunkelroten runden, noch eingepackten Lutscher mit Kirschcola-Geschmack. In der untersten Schublade lag eine unförmige Plastiktüte. Er öffnete sie vorsichtig und fand darin Muscheln und Steine, ein Stück Holz, zwei Sandförmchen, eine Glasmurmel und eine Plastikdose voller Sand. Kinderschätze. Duval war gerührt.

Dann untersuchte er den Plüschbären, roch daran, überprüfte die Nähte und drückte instinktiv darauf herum, um zu spüren, ob in seinem Bauch möglicherweise etwas Unerwartetes steckte. Er wirkte schon etwas mitgenommen, das Gelb war voller Flecken und ein Ärmchen war fast kahl. Vermutlich hatte die Kleine den Arm anstelle ihres Daumens in den Mund gesteckt und abgelutscht. Duval nahm den Bären an sich und legte die Plastiktüte wieder vorsichtig zurück an ihren Platz.

Im Kleiderschrank des Eingangsbereichs fand er eine große schwarze Reisetasche, die mehrere weiße T-Shirts, drei gebügelte und gefaltete bunte Hemden enthielt, drei leichte Leinenhosen und drei Paar Jogginghosen, dann einige gefaltete Stofftücher mit Batikmuster. Duval faltete eines der Tücher auseinander, es wurde riesengroß und er vermutete, dass es eine Art Wickelrock oder Kleid für Frauen war. Er faltete es mühsam wieder zusammen und legte es zurück. Ganz zuunterst lagen Sweatshirts, zwei davon waren mit den Logos amerikanischer Universitäten bedruckt. Duval schob alles wieder zurück und widmete sich nun mehreren großen Plastiktüten, die ganz offensichtlich den neu erworbenen Besitz der Indianer beinhalteten. Als er die Tüten öffnete, entströmte ihnen ein eigentümlicher Duft, eine Mischung aus Patschuli und altmodischem Mottenkugelgeruch. In den Tüten fand er weitere Hemden mit afrikanischem Muster, große bunte Tücher, mehrere Regenschirme, Plastikbadeschlappen und Espadrilles, jede Menge bunte Perlenketten, Lederarmbänder, ein Plüschhündchen zum Aufziehen, Sonnenbrillen und falsche Rolex-Uhren, diverse Strohhüte und eine weiße Kapitänsmütze. Vermutlich alles Dinge, die sie den afrikanischen Straßenhändlern, die die Straßen von Cannes während des Festivals bevölkerten, abgekauft hatten. Der Geruch stammte zweifelsohne von den Hemden und Tüchern, die vor dem Transport in Containern damit eingenebelt wurden, um sie während der Reise vor Motten und anderem Ungeziefer zu bewahren. Duval schnupperte dennoch misstrauisch an einigen Tabakpäckchen und Lakritzstangen, die er ebenfalls in einer Plastiktüte fand. Normaler Tabak, und tatsächlich Lakritze, so wie es schien zumindest. Er nahm dennoch alles an sich.

 

Dann hob er den Blick und fand einen Karton, der ganz oben im Schrank verstaut war. Er zog ihn vor. Vorsichtig nahm er ihn herunter und öffnete ihn. Darin lagen gelbe Federn. Nein, es waren keine Federn, korrigierte er seine Gedanken, es waren drei Federkronen, indianischer Federschmuck. Er nahm eine Krone heraus und hielt sie nach oben. Sie war erstaunlich schwer, was vermutlich an den vielen kunstvoll miteinander verwobenen Lederbändern lag. Er betrachtete sie lange. Das Gelb der Federn strahlte wie ein Sonnenkranz, das Wort Heiligenschein fiel ihm dazu ein. Irgendwo hatte er solche Kronen schon einmal gesehen. Er suchte in seiner Erinnerung, aber es fiel ihm nicht ein. Schließlich legte er die Federkronen zurück, schloss den Karton und schob ihn wieder an seinen Platz im Schrank.

Er drehte sich einmal um seine eigene Achse. Diese Suite war unglaublich. Verspiegelte Wände warfen ihm sein eigenes Bild mehrfach zurück und täuschten den Eindruck von noch mehr Raum vor.

Als Nächstes untersuchte er die Badezimmer. Zwei gab es sowie zwei weitere abgetrennte Toiletten. Beide Badezimmer waren in schwarzem Marmor gefliest, die goldfarbenen Armaturen und die Spiegel blitzten. Weiße flauschige Handtücher in allen Größen lagen auf der Ablage, zwei weiße Bademäntel hingen an goldenen Haken und mehrere kleine weiße Fläschchen gefüllt mit Shampoo, Duschgel und Körperlotion standen dekorativ auf dem Waschtisch. Nur in einem der beiden Badezimmer der Suite fand sich ein lederner Kulturbeutel mit einem Hornkamm, einem Rasierapparat, Creme, Zahnbürste und Zahncreme und einem Herrenduft in einem klassischen Flakon. Pour un homme von Caron. Duval öffnete den Verschluss und roch daran. Ein altmodischer Duft nach Lavendel, Bergamotte und Vanille umgab ihn … sehr gewürzig. Er stellte die Flasche zurück.

Die ganze Suite war in einem tadellosen Zustand. Außer dem Notebook, den Festplatten, dem Teddybären und dem Aktenkoffer hatte nichts seine Aufmerksamkeit erregt.

»Ich würde gerne mit den Zimmermädchen sprechen, die hier aufgeräumt haben, vielleicht ist ihnen etwas aufgefallen.«

»Ich werde veranlassen, dass sie noch einmal herkommen.«

 

Kurze Zeit darauf standen zwei junge Frauen in beige-weißer Zimmermädchenuniform vor ihm. Selbst die Kleidung ist farblich auf die Einrichtung abgestimmt, dachte Duval. Eine der jungen Frauen war eher afrikanischer, die andere vielleicht osteuropäischer Herkunft. Beide wirkten nervös und besorgt.

»Keine Angst, Mesdemoiselles, es gibt keine Kritik an Ihrer Arbeit, zumindest nicht von meiner Seite. Sie haben die Räume perfekt gemacht – beinahe zu perfekt, wenn ich das sagen darf …« Er stockte, weil die beiden jungen Frauen nun noch erschrockener schauten. »Keine Angst«, wiederholte er daher. »Vielleicht könnten Sie mir etwas über den Zustand der Räume sagen, bevor Sie hier aufgeräumt haben?«

»Vor dem Room Service?«

»Ja, wenn das so heißt. Wie sah es aus, als Sie heute Morgen in das Zimmer kamen? In die Suite meine ich.«

Die beiden jungen Frauen zögerten. Sie sahen sich an und schwiegen.

»Nun?«

»Schmutzig, Monsieur«, sagte dann erbost das dunkelhäutige Zimmermädchen. Die blonde junge Frau nickte bestätigend.

»Schmutzig? Wie schmutzig?«

»Überall, Monsieur. Überall. Sand und schmutzig und klebt von Cola. Auch auf den Sofa Flecken von Cola. Badezimmer voll Wasser, Toilette so schmutzig.« Sie verzog das Gesicht. »Und nasse Handtücher auf Bett. Und überall spucken, Männer spucken. Und Pinkeln in Palme auf Terrasse, verstehen Sie? Stinkt. Schmutzig!«, beendete sie ihren Ausbruch.

Duval sah die andere junge Frau fragend an. Sie nickte.

»Ist immer so«, ergänzte sie leise.

»Immer?«

»Nicht immer so. Aber immer schmutzig. Wissen Sie, Leute in Luxushotel wollen, dass alles gemacht wird. Nix selbst. Zahlen viel Geld für Zimmer, also mach’ du. Suiten sind immer mit große russische, arabische oder afrikanische Familie. Ist immer viel schmutzig, liegt alles herum. Haben zu Hause viele Hilfe, viele Personal, verstehen Sie? Alles wird immer gemacht. Machen sie hier wie zu Hause. Ist Hotel. Ist so.« Sie zuckte mit den Achseln.

Duval nickte nachdenklich. So hatte er es sich in Luxushotels nicht vorgestellt. Tatsächlich hatte er unbewusst eine Klientel schöner, reicher, vielleicht aristokratischer, aber selbstverständlich gebildeter Menschen in einem Luxushotel erwartet. Er hatte vermutlich Bilder aus dem Ende des 19. Jahrhunderts im Kopf, als russische Prinzessinnen und britische Gentlemen die Côte d’Azur bevölkerten. Aber wirklich reich waren heute andere Menschen. Russische Geschäftsleute, arabische Erdölmagnaten und afrikanische Familienclans. Jetzt verstand er auch die Auswahl der Boutiquen, die die weitläufige Halle des Hotels säumten. Üppiger Gold- und Diamantschmuck, schwere Armbanduhren, prunkende Kunstobjekte, aberwitzige Kreationen, die nur den Zweck hatten zu zeigen, dass man sie sich leisten konnte. Er blickte die beiden jungen Frauen an. Aus ihrer Sicht war es vermutlich selbst zur glorreichen Belle Époque kein Vergnügen gewesen, verwöhnte Aristokraten zu bedienen.

»Nun, ist Ihnen vielleicht irgendetwas Besonderes aufgefallen? Etwas, das anders war als sonst?«

Das schwarze Zimmermädchen holte tief Luft:

»Pinkeln in Palme auf Terrasse ist nicht immer.«

Das war nicht das, worauf er gehofft hatte. Aber der Blick von Zimmermädchen, bei aller Gründlichkeit, ist nicht der eines Polizisten.

»Gut. Können Sie sich erinnern, was Sie heute Morgen weggeworfen haben? Irgendetwas Besonderes im Müll?«

Die jungen Frauen sahen sich an und zuckten die Schultern.

»Viel Cola.«

»Cola?«

»Leere Dosen Coca-Cola.«

»Nun gut. Ich danke Ihnen. Sie können gehen.«

Die dunkelhäutige junge Frau druckste nun etwas verlegen herum.

»Monsieur?!«

»Ja?«

»Bitte, Monsieur, ich wollte das nicht sagen.« Sie sah ihn mit großen Augen an.

Duval wartete schweigend auf eine Erklärung.

»Bitte, Monsieur«, sagte sie jetzt eindringlich. »Ist viel Arbeit, aber ist Arbeit in gute Hotel.«

Er nickte. Er verstand. Vermutlich hatte sie Angst, er würde ihre Beschwerde über die Gäste direkt an die Hausdame oder die Hotelleitung weitergeben, was sie vielleicht ihre Stelle kosten könnte. Der zahlende Gast ist König. Und Diskretion über die Gepflogenheiten der Gäste gehörte selbstredend dazu.

»Keine Sorge. Ich werde niemandem erzählen, was Sie mir gesagt haben. Keine Sorge«, wiederholte er, um das Zimmermädchen zu beruhigen, das ihn immer noch bittend ansah.

»Danke, Monsieur, vielen Dank.«

Beide gingen leise tuschelnd davon.

Als Duval wieder in der Halle ankam, erwartete er Villiers im Gespräch mit der Rezeptionistin, stattdessen fand er ihn vor den Vitrinen der Luxusboutiquen. Als Villiers ihn sah, kam er eilig auf ihn zu.

»Ah, Monsieur le Commissaire, wissen Sie, was ich gesehen habe? Einen Ring für 140000 Euro. 140000! Für einen Ring! Die letzten drei Nullen hatte ich erst nicht gesehen, ich dachte, für 140 Euro wäre das ein schönes Geschenk für meine Frau …«

Duvals Mobiltelefon klingelte. Er kannte die Nummer noch nicht. Es war der Staatsanwalt.

»Commissaire Duval? Hören Sie, ich hatte gerade den Präfekten am Telefon. Wir haben Order vom Kultusministerium, dass das Festival ungestört weitergehen soll. The Show must go on, Sie verstehen das … Ich habe daher eben den Saal wieder freigegeben. Die Spurenermittlung ist ja soweit abgeschlossen. Somit kann die Vorstellung um 19 Uhr wie geplant laufen und der Film von Thibaut läuft dann wie vorgesehen um 23 Uhr. Nur damit Sie Bescheid wissen. Wie kommen Sie voran? Halten Sie mich unbedingt auf dem Laufenden! Übrigens hatte ich die Ermittlungsrichterin am Telefon. Sie ist noch über nichts wirklich informiert. Vergessen Sie das nicht. Wir müssen gut zusammenarbeiten. Wir haben Druck von allen Seiten.«

»Ja, natürlich, denke ich mir. Danke für die Info. Selbstverständlich halte ich Sie auf dem Laufenden. Und ich werde mich bei der Ermittlungsrichterin melden. Ja, jetzt gleich.« Duval war genervt. Den meisten Druck bekam ja wohl er zu spüren.

 

»Ok, Villiers, abgesehen von den absonderlichen Preisen für Schmuck, was haben Sie sonst erfahren?«

»Nun, der Direktor möchte Sie gerne noch sehen. Und ich habe mit dem Maître d’Hôtel gesprochen. Die Equipe von gestern Abend ist erst heute Abend wieder da, aber der Maître arbeitet fast rund um die Uhr während des Festivals. Der Empfang gestern Abend fand im gesamten Erdgeschoss statt, einschließlich des Gartens, und für die VIPs unter den VIPs, Sie werden es nicht glauben, auf der Dachterrasse mit Swimmingpool. Sehr schick alles, musste ich mir natürlich genau ansehen. Toller Blick!« Villiers grinste. »Es waren mehrere Hundert geladene Gäste da, Musik, Buffet und Champagner à gogo. Nun, der Maître sagte, dass diese Empfänge eigentlich als zwangloses Zusammenkommen für informelle Businessgespräche gedacht sind. So viele Filmschaffende auf einen Haufen hat man das ganze Jahr nicht mehr. Deswegen gehen natürlich alle zu allen Empfängen. Präsent sein ist wichtig. Vielleicht ergibt sich was. Man weiß ja nie. Aber es ist auch ein Event für die Prominenz, die Schönen und die Reichen, Sehen und Gesehenwerden zählt. Und am späteren Abend wird es dann entspannter, der Champagner und die Dienste der langbeinigen Blondinen rücken in den Vordergrund, wenn Sie verstehen, was ich meine.« Villiers grinste breit.

Duval zog die Augenbrauen hoch und sah Villiers fragend an.

»Oh, Monsieur le Commissaire, das ist nicht meine Interpretation, das hat mir der Maître d’Hôtel gesagt, nicht so direkt natürlich, mehr zwischen den Zeilen. Und ich sage das nur, weil niemand wirklich gesehen hat, wie der Streit losging. Aber gegen Mitternacht brüllten Thibaut und dieser Typ sich auf der Terrasse an und der Typ wollte Thibaut in den Pool stoßen. Das Personal hatte Mühe, sie zu besänftigen. Letzten Endes hat man diesen anderen Filmemacher rausgeworfen. Thibaut war ja Gast des Hotels und hatte so einen Heimvorteil.«

»Wissen Sie jetzt, wer er ist, dieser Filmemacher?«

»Ja. Ein Deutscher glaube ich oder Österreicher, na ja, auf jeden Fall auch so ein Öko-Regenwald-Heini. Er heißt, Moment …«, Villiers sah seine Notizen durch, »er heißt Roman Erdler und wohnt in einem kleinen Hotel hier in Cannes, im Châlet de l’Isère.«

»Worum ging es denn in dem Streit, weiß man das?«

»Hier weiß keiner was Genaues. Aber dieser andere Filmemacher ist wohl bekannt als Krawallmacher. Ein Provokateur. Wissen Sie, einer von denen, die auf Schornsteine klettern und Plakate entrollen oder sich an Bäume anketten, um sie vor dem Abholzen zu bewahren. In diesem Stil.«

»Wunderbar. Haben wir es gleich auch noch mit Robin Wood und Greenpeace zu tun?«

»Muss man mal überprüfen. Scheint aber ein Einzelkämpfer zu sein. Auf jeden Fall ist er auch ein Dokumentarfilmer wie Thibaut, aber eindeutig weniger erfolgreich.«

»Gut, den knöpfen wir uns mal vor. Vielleicht rufen Sie ihn schon mal an, sagen Sie ihm, er möge sich bereithalten.«

 

»Monsieur le Commissaire?« Ein Angestellter des Hotels hatte sich ihnen genähert.

»Ja?«

»Der Directeur würde Sie gerne sprechen.«

Duval nickte und folgte dem jungen Mann.

 

»Bonjour, Monsieur le Commissaire, die Rezeption hat mich in Kenntnis gesetzt, dass Serge Thibaut, der ein sehr geschätzter Gast unseres Hauses war, Opfer eines tragischen Unglücksfalls geworden ist.«

»Nun ja, Unglücksfall würde ich es nicht nennen. Er wurde erschossen. Mord nennt man das gemeinhin.«

»Ah so, ja, natürlich, ich verstehe. Nun, wie dem auch sei, Sie haben an der Rezeption angedeutet, Sie würden die Suite versiegeln lassen?!«

»Ja, das hatte ich gesagt, aber ich glaube, das ist nicht nötig. Wir werden ein paar Dinge abholen lassen, bis dahin möchte ich, dass Sie die Suite verschlossen halten. Aber nichts weist dort auf einen Zusammenhang mit dem Mord hin. Ihre Gäste können ruhig weiter dort logieren, nachdem wir noch einmal dort waren. Aber ich werde das gleich veranlassen.«

»Nun, das ist genau das Problem. Die Gäste sind ein besonderer Fall, wenn Sie verstehen …«

»Ja?«