Zwei kleine Baronessen - Helga Torsten - E-Book

Zwei kleine Baronessen E-Book

Helga Torsten

0,0

Beschreibung

In der völlig neuen Romanreihe "Fürstenkinder" kommt wirklich jeder auf seine Kosten, sowohl die Leserin der Adelsgeschichten als auch jene, die eigentlich die herzerwärmenden Mami-Storys bevorzugt. Ihre Lebensschicksale gehen zu Herzen, ihre erstaunliche Jugend, ihre erste Liebe – ein Leben in Reichtum, in Saus und Braus, aber oft auch in großer, verletzender Einsamkeit. Große Gefühle, zauberhafte Prinzessinnen, edle Prinzen begeistern die Leserinnen dieser einzigartigen Romane und ziehen sie in ihren Bann. »Du machst dich ja so fein, Mami! Kommt der Papi von der Reise zurück?« Das kleine Mädchen lehnte schon eine ganze Weile in der offenen Tür und blickte aufmerksam zum Frisiertisch hinüber, wo die Mutter saß und sorgfältiger als sonst an den zierlich geschwungenen Augenbrauen herumstrichelte. Michaela legte den winzigen Pinsel aus der Hand und wandte sich lächelnd zu ihrer Tochter herum. »Du hast es erraten, Pamela. Der Papi hat ein Telegramm geschickt. Wir werden ihn in einer Stunde vom Flugzeug abholen. Freust du dich?« »Ganz toll!« Pamela nickte heftig und stürzte auf ihre Mutter zu, sich ungestüm in ihre Arme werfend. »Meinst du, daß er uns was mitbringt? Das letzte Mal hat er uns das süße kleine Äffchen geschenkt. Andrea hat gesagt, daß wir diesmal vielleicht ein kleines Krokodil kriegen.« »Ein Krokodil! Du lieber Himmel! Das sind aber ausgefallene Wünsche, die ihr habtt Wo steckt Andrea eigentlich? Ich habe sie eine ganze Weile nicht gesehen.« »Sie ist mit ihrem Freund ausgeritten. Ich finde es gemein, daß Andrea in die Schule gehen darf und Freunde hat und ich nicht. Wann darf ich endlich in die Schule, Mami?«

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 141

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Fürstenkinder – 41 –

Zwei kleine Baronessen

Sie wissen, was gut für die Mami ist

Helga Torsten

»Du machst dich ja so fein, Mami! Kommt der Papi von der Reise zurück?«

Das kleine Mädchen lehnte schon eine ganze Weile in der offenen Tür und blickte aufmerksam zum Frisiertisch hinüber, wo die Mutter saß und sorgfältiger als sonst an den zierlich geschwungenen Augenbrauen herumstrichelte.

Michaela legte den winzigen Pinsel aus der Hand und wandte sich lächelnd zu ihrer Tochter herum.

»Du hast es erraten, Pamela. Der Papi hat ein Telegramm geschickt. Wir werden ihn in einer Stunde vom Flugzeug abholen. Freust du dich?«

»Ganz toll!«

Pamela nickte heftig und stürzte auf ihre Mutter zu, sich ungestüm in ihre Arme werfend.

»Meinst du, daß er uns was mitbringt? Das letzte Mal hat er uns das süße kleine Äffchen geschenkt. Andrea hat gesagt, daß wir diesmal vielleicht ein kleines Krokodil kriegen.«

»Ein Krokodil! Du lieber Himmel! Das sind aber ausgefallene Wünsche, die ihr habtt Wo steckt Andrea eigentlich? Ich habe sie eine ganze Weile nicht gesehen.«

»Sie ist mit ihrem Freund ausgeritten. Ich finde es gemein, daß Andrea in die Schule gehen darf und Freunde hat und ich nicht. Wann darf ich endlich in die Schule, Mami?«

»Wann du in die Schule darfst?«

Michaela fuhr ihrer Jüngsten zärtlich über das hübsche Haar. Sie seufzte leicht: »Diesen Herbst, mein Spatz. Kannst du es so wenig erwarten, von deiner Mami wegzukommen, hm?«

Die Kleine sah die Mutter erstaunt aus ihren großen, klaren Augen an:

»Aber ich gehe doch nicht weg von dir, Mami! Ich bin bloß am Vormittag ein bißchen in der Schule, und mittags bin ich wieder da.«

Michaela nickte stumm und wandte sich wieder dem Frisierspiegel zu, um ihr Make-up zu beenden.

Sie wird wie ihre Schwester Freundschaften in der Schule schließen und keine Zeit mehr für ihree Mutter haben, dachte sie, während sie die sanftgeschwungenen Lippen mit einem zartroséfarbenen Stift nachzog und das Gesicht leicht überpuderte.

Aber das ist ganz natürlich. Ich habe es ebenso gemacht, als ich Kind war und wenig darüber nachgedacht, daß Mama darunter gelitten hat wie alle Mütter.

Die Tür flog auf, und Andrea kam hereingestürzt.

Sie sah ihrer Schwester sehr ähnlich, nur daß sie drei Jahre älter war und das süße schmale Gesichtchen mit den klaren blauen Augen und der sehr geraden Nase, klarere Konturen und etwas herbere Linien hatte als das der Kleineren. Andrea war für ihr Alter, sie war gerade neun geworden, schon sehr verständig und von einer hellen, wachen Intelligenz, die sie zur Klassenbesten prädestinierte und zu einer gewissen Überlegenheit ihren Altersgenossinnen gegenüber, die sie aber nicht auszunutzen pflegte.

»Papi kommt von der Reise zurück!« posaunte Pamela fröhlich und stibitzte ihrer Mutter den Lippenstift, um ihn heimlich auszuprobieren.

»Laß den Quatsch, Pam! Nachher heulst du wieder, wenn wir stundenlang an deinem Gesicht herumrubbeln müssen, um das Zeug wieder herunterzukriegen.«

Andrea nahm der Schwester den Stift weg und legte ihn auf den Frisiertisch zurück.

»Ist das wahr? Kommt Papi wieder?« fragte sie die Mutter, die fröhlich nickte.

»Ja, mein Schatz. In einer Stunde! Laßt euch von Frieda beim Umkleiden helfen. Wir fahren in zwanzig Minuten los.«

»Frieda hat doch heute Ausgang«, erinnerte Andrea die Mutter. »Aber wir können das ganz gut allein. Was sollen wir denn anziehen, Mami?«

»Die weißen Kleidchen. Papi sieht euch gern in Weiß. Aber beeilt euch. Wenn ihr nicht fertig seid, muß ich ohne euch losfahren.«

»Ja, Mami. Wir beeilen uns.«

Die beiden stürzten wie die Wilden aus dem Zimmer, die Tür hinter sich weit offen lassend.

Michaela sah ihnen lächelnd nach. Wie sie sich auf den Vater freuten! Es wurde aber auch Zeit, daß Ingo sich wieder auf seine Familie besann! Drei Monate Afrika waren eine lange Zeit. So lange war er noch nie weggeblieben. Und gerade diesmal hatte er ihr so gefehlt.

Sie seufzte sorgenvoll auf, als sie nach der Bürste griff, um das weiche Haar aus der Stirn zurückzubürsten.

Ja, es war gut, daß Ingo endlich nach Hause kam. Der Verwalter hatte ihr erst kürzlich eröffnet, daß dringende und umfangreiche Reparaturarbeiten am Schloßgebäude notwendig waren und das Gestüt Unmengen an Geld verschlang, die die Einnahmen bei weitem nicht deckten.

Ingo sollte entscheiden, was mit den Pferden geschehen sollte. Er würde die Bankreserven angreifen müssen, um die notwendigen Reparaturen durchführen zu lassen.

Sie wünschte, ihn mit besseren Nachrichten empfangen zu können. Aber vielleicht nahm er das alles nicht so schwer wie sie und lachte sie aus, weil sie sich Sorgen machte und aus diesem Grund schlaflose Nächte gehabt hatte. Sie seufzte leise.

Sie legte die Bürste aus der Hand und stand auf, um den Frisierumhang abzustreifen und sich anzukleiden. Es wurde höchste Zeit. Sie wählte ein pflaumenfarbenes Jackenkleid und einen breitkrempigen Aufschlaghut in der gleichen Farbe.

Als sie in die flachen Pumps schlüpfte, kamen die Kinder herein.

Sie waren tatsächlich sauber gewaschen und umgekleidet. Andrea hatte ihre neue Handtasche, die sie zum Geburtstag bekommen hatte, über den Arm gehängt, wie sie es bei ihrer Mutter gesehen hatte. Und Pamela trug ihren geliebten Snuffi im Arm, einen überdimensional großen Stoffhund, den Michaela ihr irgendwann einmal geschenkt hatte.

»Mami, wir sind fertig. Und du?«

Das klang vorwurfsvoll.

Michaela lachte: »Ihr habt ja recht. Ich habe gebummelt. Wie habt ihr das nur so schnell geschafft. Ist Frieda vielleicht doch da?«

Die beiden schüttelten heftig die Köpfe:

»Nein. Wir haben uns ganz doll beeilt. Können wir nun fahren?«

Michaela nahm die Krokodilledertasche vom Frisiertisch.

»Ja. Wir können. Hoffentlich hat Fritz den Mercedes aufgetankt. Daran habe ich überhaupt nicht gedacht.«

Sie liefen die breite, gewundene Treppe aus der oberen Etage des kleinen Landschlößchens in die Halle hinunter, wo Fritz, der Butler, stand und ihnen mißbilligend entgegensah.

Michaela verlangsamte sofort ihren Schritt.

In Gegenwart des Butlers hatte sie immer irgendwie das Gefühl, sich ständig danebenzubenehmen, obwohl sie eine erstklassige Erziehung in guten Schweizer Pensionaten genossen hatte, wenn sie auch nicht unbedingt eine Musterschülerin gewesen war.

»Wollen Frau Baronin ausfahren!«

Fritz warf Pamela, die gerade auf den breiten Messinggong schlug, einen vorwurfsvollen Blick zu, aus dem die Kleine sich nicht allzuviel machte, denn sie hämmerte munter weiter und freute sich diebisch, als das gesamte Schloßpersonal aus allen Himmelsrichtungen angestürzt kam.

»Es ist nichts, Leute. Die kleine Baronesse hat mal wieder ein bißchen Unsinn gemacht«, erklärte er und schickte die Leute wieder an ihre Arbeit zurück.

Michaela warf einen Blick auf die Uhr und stieß einen kleinen, erschreckten Aufschrei aus:

»Du lieber Himmel! Höchste Zeit, daß wir fahren! Ist der Mercedes aufgetankt, Fritz?«

Der Butler verneigte sich leicht:

»Jawohl, Frau Baronin. Soll ich ihn aus der Garage fahren?«

»Nicht nötig, Fritz! Das mache ich schon allein.«

Michaela nickte ihm freundlich zu und nahm die Kinder an die Hand, um mit ihnen durch die große, mit grauen Natursteinplatten ausgelegte Halle zur Tür zu laufen.

Sie hatte sie fast erreicht, als die Klingel plötzlich anschlug.

Fritz eilte herbei, um zu öffnen.

»Ein Telegramm, Frau Baronin!« sagte er und reichte ihr einen schmalen weißen Umschlag, den sie zögernd in Empfang nahm.

»Wer telegrafiert uns denn da?« murmelte sie und drehte den Umschlag unentschlossen in der Hand.

Vielleicht war es eine schlechte Nachricht. Vielleicht war es besser, sie las dieses Telegramm erst, wenn sie Ingo abgeholt hatte oder noch besser… sie gab es ihm, damit er einen Blick hineinwarf, bevor sie seinen Inhalt erfuhr.

Seit sie im Mädchenpensionat den Tod ihrer Mutter durch ein Telegramm erfahren hatte, hatte sie eine unüberwindliche Scheu, Depeschen zu öffnen.

»Warum liest du nicht, Mami?« fragte Andrea drängend. »Ich denke, wir müssen fahren.«

Der Butler stand ebenfalls da und sah sie vorwurfsvoll fragend an.

»Ja«, murmelte sie und bemühte sich, das Zittern ihrer Finger zu unterdrücken, als sie das Kuvert aufriß und den einmal gefalteten weißen Bogen herausnahm.

Ihre Augen weiteten sich in ungläubigem Entsetzen. Ihr Herz schien stillzustehen. Einen Augenblick lang drehte sich alles um sie, und sie fürchtete, zu Boden zu stürzen.

Während sie sich mit übermenschlicher Anstrengung bemühte, den Schock zu überwinden, hörte sie Andrea fragen:

»Was ist denn, Mami? Was machst du denn für ein Gesicht? Mami, was ist denn los?«

Michaela ließ die Hand mit dem Telegramm sinken und wandte sich mit einer zeitlupenhaft langsamen Bewegung, die sie ungeheure Kraft kostete, zu ihren Kindern herum.

»Wir fahren nicht zum Flughafen. Euer Vater kommt... heute... nicht zurück«, stieß sie tonlos hervor.

»Er kommt heute nicht? Wieso denn nicht?« entrüstete sich Pamela. »Nun haben wir uns die ganze Mühe mit dem Umkleiden gemacht, und er kommt nicht. Das finde ich nicht nett von ihm!«

Michaela schluckte. Die Zunge klebte ihr am Gaumen und schien schwer wie Blei, als sie stockend sagte:

»Euer Vater kommt nie mehr nach Hause. Er ist... es ist ihm etwas Schreckliches geschehen. Er hat einen Jagdunfall gehabt.«

Sie wußte später nicht zu sagen, wie sie in den nebenanliegenden Salon gekommen war.

Fritz mixte ihr einen Drink, irgendein scharfes Zeug, das wie Feuer in ihrer Kehle brannte, wonach ihr aber wieder besser wurde.

Sie hörte die Kinder laut schluchzen, hatte selbst Mühe, die Tränen zurückzuhalten und dachte verzweifelt: Ich darf jetzt die Fassung nicht verlieren. Ingo würde das nicht verstehen. Er hat immer gesagt, ich müsse den Kindern ein gutes Vorbild sein und sie ihrer gesellschaftlichen Stellung gemäß erziehen. Eine Dame weint nicht in Gegenwart von Personal! Hat er mir das nicht mehr als einmal gesagt?

Sie schickte den neugierig starrenden Butler hinaus und schloß die Tür hinter ihm.

Auch jetzt gestattete sie sich keine Tränen, auch wenn es sie unendliche Kraft kostete.

Sie ging zu ihren Kindern und nahm sie tröstend in die Arme.

Sie spürte die zarten Kinderkörper vor Schluchzen beben und drückte sie fest, ganz fest an sich, als könne sie damit den wilden Schmerz betäuben, der sie ganz ausfüllte und wie ein loderndes Feuer in ihr brannte.

Allmählich verebbte das laute Weinen der beiden. Sie tupften sich die Tränen von den Wangen und fragten, was passiert wäre.

Sie nahm das Telegramm aus ihrer Tasche und glättete es umständlich.

Sie las es noch einmal mit Augen, die nicht begreifen wollten, nicht begreifen konnten.

»Ein Elefant«, flüsterte sie und schluckte mühsam. »Ein Elefant hat ihn angegriffen.«

»Hat er Vati zertrampelt, der Elefant?« wollte Andrea wissen.

»Ich weiß es nicht, Kind.«

Sie nahm sich vor, später beim Grafen Tornidi, Ingos Jagdfreund in Afrika, anzurufen und ihn zu fragen, wie es zu dem schrecklichen Unfall gekommen war.

Die wahnwitzige Hoffnung, das Telegramm könne auf irgendeine Weise verstümmelt angekommen und alles ein schrecklicher Irrtum sein, machte ihr Herz schneller schlagen.

Als die Kinder in ihre Zimmer gegangen waren, ließ sie sich mit der Farm in Westafrika verbinden, auf der der Graf seit vielen Jahren lebte.

Die Verbindung kam überraschend schnell zustande. Sie hörte die Stimme des Grafen so laut und deutlich, als stände er dicht neben ihr:

»Es tut mir so furchtbar leid, Michaela. Er war gleich tot. Niemand hatte das voraussehen können, daß der Bulle in der Nähe war, als wir die Elefantenkuh schossen. Sie war verletzt. Irgendein Wilderer. Wir hatten dem Tier ja nur helfen, es von seinen Qualen erlösen wollen. Sind Sie noch da, Michaela?«

»Ja«, flüsterte sie erstickt. »Ja, ich bin noch da. Erzählen Sie weiter.«

»Da gibt es eigentlich nichts mehr zu erzählen. Jedenfalls möchte ich Ihnen Einzelheiten ersparen. Ich habe alles vorbereitet. Ich werde den Sarg selbst herüberbringen. Ich denke, daß wir morgen nachmittag fliegen können.«

Sie sagte irgend etwas. Dann war die Verbindung plötzlich unterbrochen.

Sie legte auf, stand noch einen Moment reglos da.

Dann stürzte sie zu den Ställen hinaus, sattelte Wildfang, ihr Lieblingspferd, und jagte in wildem Galopp zum Hoftor hinaus.

*

Alexander Kresin parkte den Wagen auf dem breiten Sandweg und ging die paar Schritte zum See zu Fuß hinunter. Tief zog er die klare Luft ein.

Es war herrlich kühl hier unten. Das Wasser des nicht sehr großen, idyllisch gelegenen Sees rauschte leise im aufkommenden Wind.

Eine alte, ausladende Weide breitete schützend ihre Zweige und Äste über die wurmstichige Holzbank am Ufer, die einladend genug wirkte, daß der große, breitschulterige Mann mit dem kantigen Gesicht und den wachen, aufmerksamen Augen sich darauf niederließ, um auszuruhen.

Er beobachtete gerade einen vorwitzigen Frosch, der sich mit einem gewaltigen Satz aus dem Wasser schnellte und um ein Haar auf dem großen Menschenfuß gelandet wäre, als ihn ein Geräusch in seinem Rücken herumfahren ließ.

Die Frau, die da, eng an den Hals des lackschwarzen Rappen geschmiegt, herangeprescht kam, war so schön, daß es ihm den Atem verschIug.

Langes, dichtes Haar wehte wie eine Fahne hinter ihr her. Die großen dunklen Augen blickten starr geradeaus. Der volle, weich geschwungene Mund war nur wenig geschminkt und zuckte leicht, als sie sich jetzt vom Pferd gleiten ließ, das noch nicht einmal zum Stehen gekommen war.

Sie schien den Mann auf der Bank nicht zu bemerken, als sie, die Pferdezügel aus der Hand gleiten lassend, zum Ufer hinunterging und bewegungslos stehenblieb.

Alexander Kresin, dem die schöne Unbekannte jetzt das Profil zuwandte fühlte eine fast andächtige Bewunderung in sich aufsteigen, wie er sie sonst nur beim Anblick besonders schöner Madonnenbildnisse empfand und den Wunsch, die hochgewachsene schlanke Frau da unten kennenzulernen.

Er wollte sich gerade erheben, als sie sich zu seinem Schrecken auf den Boden warf und in ein so wildes Schluchzen ausbrach, daß er mitten in der Bewegung innehielt.

Das Pferd, das seiner Besitzerin zögernd gefolgt war, wieherte laut auf, als fühle es den Schmerz der jungen Frau körperlich und leide mit ihr.

Alexander regte sich nicht. Der Wunsch, die schöne junge Frau zu trösten und eine Art zärtliches Mitleid erfüllten ihn und stritten gegen das Taktgefühl, das ihn auf seinen Platz bannte.

Erst als das Schluchzen immer verzweifelter wurde und die junge Frau sich erhob und dichter an das jetzt heftig gegen das Ufer brandende Wasser des Sees trat, erhob er sich und ging zu ihr, um behutsam und so leise, daß sie nicht erschrak, zu sagen:

»Verzeihung… Kann ich irgend etwas für Sie tun, gnädiges Fräulein?«

Sie fuhr herum und starrte ihn entsetzt an.

Sie hob den Arm und fuhr sich über die Augen, die naß von Tränen waren.

»Sind Sie... schon lange hier?« fragte sie mit einer Stimme, die zart wie eine Glocke aus hauchdünnem Material war.

Er schüttelte den Kopf.

»Nein«, log er lächelnd. »Ich kam gerade vorbei, als ich Sie hier stehen sah. Ich kann es nicht ertragen, Frauen weinen zu sehen«, setzte er leise hinzu. »Und da dachte ich, ich frage Sie eintnal, ob ich vielleicht…« Er brach ab.

Sie hob erneut den Arm, diesmal in einer deutlich abwehrenden Geste.

»Nein. Nein, Sie können nichts für mich tun. Es geht mir schon wieder besser. Bitte gehen Sie jetzt.«

Er gehorchte nicht sofort. »Ich würde so gern«, begann er vorsichtig, »ich würde Sie gern…«

Ein heftiges Kopfschütteln war die Antwort. Der gequälte Blick ihrer fast nachtschwarzen Augen brachte ihn dazu, sich stumm zu verneigen und zu gehen.

Hoffentlich tut sie es nicht, dachte er, während er langsam zum Wagen zurückschritt, den sie offensichtlich nicht bemerkt hatte.

Er dachte an den See, der sicher tief genug war, um allen Kummer der Welt zu ertränken. Das Gefühl der Verantwortung für die verzweifelte junge Frau wurde übermächtig in ihm und brachte ihn dazu, sich umzuwenden und in eiligem Lauf zurückzukehren.

Sie stand nicht mehr am Wasser. Sie war gerade dabei, sich auf ihr Pferd zu schwingen. Ein hochmütiger, erstaunter Blick traf ihn, dann raste sie wie die wilde Jagd an ihm vorbei und verschwand im dichten Grün des Tannenwaldes.

Und er stand da und sah ihr nach und ärgerte sich, daß er zurückgegangen war.

Er haßte hochmütige Frauen, weil sie ihn an die Frau seines ersten Chefs erinnerten, die ihn gedemütigt und gequält hatte, wo immer sie konnte.

Vielleicht hatte dieser unbändige Haß ihm sogar die Kraft gegeben, sich vom Sohn eines Tagelöhners zu dem emporzuarbeiten, was er heute war, millionenschwerer Großindustrieller und vielbegehrter Junggeselle, dem die Frauen in Scharen nachliefen, auch solche, die im allgemeinen auf Tagelöhnersöhne verächtlich und voller Hochmut herabzublicken pflegten.

*

Die Beisetzungsfeierlichkeiten waren vorüber und Michaela mit ihrem Schmerz und ihren materiellen Sorgen wieder allein.

Es hatte sich herausgestellt, daß Gut und Schloß total verschuldet waren und nur ein Wunder die Zwangsversteigerung verhindern konnte.

Michaela setzte sich mit Willems, dem alten Verwalter, zusammen und beratschlagte, was zu tun sei.

»Selbst wenn wir das ganze Personal entlassen und die Frau Baronin sich mit einem einzigen Auto begnügen würde, würden die Ausgaben auf jeden Fall die Einnahmen übersteigen. Davon, die Schulden, die der Herr Baron gemacht hat, um die Afrikasafari zu finanzieren, zurückzuzahlen, kann sowieso keine Rede sein«, stellte Willems fest und warf den Stift, mit dem er seine Berechnungen gemacht hatte, auf den Schreibtisch.

Michaela nickte stumm. Sie fuhr sich über die Augen und tupfte mit einer energischen Handbewegung die Tränen weg, die schon wieder an ihren Wimpern hingen.