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Der Autor Paul Plagge legt mit diesem Gedichtband eine subjektive Anthologie deutschprachiger Kurzgedichte vor. Den klassischen und modernen Originalen bekannter deutschsprachiger Lyrikerinnen und Lyriker werden eigene lyrische Inspirationen und Reflektionen gegenübergestellt, die als analoge Kompositionen den Lesern erstaunliche Einblicke in die Kunst der Lyrik gewähren.
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Seitenzahl: 181
Veröffentlichungsjahr: 2015
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für meine Mutter, meine beiden Schwestern, meine Ehefrau, meine beiden Söhne und für Karin T., mit der dieses Buch seinen Anfang nahm
gewidmet aber auch den
Lyrikerinnen und Lyrikern,
die verstarben in den 14 Jahren,
in denen ich an diesem Buchprojekt arbeitete,
namentlich:
Ernst Jandl († 9.6.2000)
Hilde Domin († 22.2.2006)
Robert Gernhardt († 30.6.2006)
Peter Rühmkorf († 8.6.2008)
Christa Reinig (†30.9.2008)
Gisela Kraft († 5.1.2010)
Eva Strittmatter († 3.1.2011)
Franz Josef Degenhardt († 14.11.2011)
Sarah Kirsch († 5.5.2013)
Helga Novak († 24.12.2013)
Liebe
Liebe (Caroline von Günderrode)
Kosmos (Paul Plagge)
Im Garten (Theodor Fontane)
Am Strand (Paul Plagge)
Bei den weißen Stiefmütterchen (Sarah Kirsch)
Im Park unter der Weide (Paul Plagge)
In meiner Erinnrung erblühen (Heinrich Heine)
Ich habe das Gesicht vergessen (Paul Plagge)
Lied (Sbylla Schwarz)
Klagelied der Sibylla Schwarz (Paul Plagge)
Ich werde nicht an deinem Herzen satt (R. Huch)
Ich finde keine Ruh’ in meiner Brust (Paul Plagge)
Liebe im Grase (Gertrud Kolmar)
Sommernachtstraum (Paul Plagge)
unsagbar (Nevfel Cumart)
vertraut (Paul Plagge)
Aufblickend (Ingeborg Bachmann)
Auf dich blickend (Paul Plagge)
Liebeslied (Wolfgang Borchert)
Sorgenlied (Paul Plagge)
Betrunkene Nacht (Hertha Kräftner)
Der Morgen danach (Paul Plagge)
Under der linden (Walther von der Vogelweide)
Unter den Linden (Paul Plagge)
Vom Strand wo wir liegen (Marie Luise Kaschnitz)
In einer Hütte am Ende der Welt (Paul Plagge)
Als mein Mädchen zu Besuch kam (Peter Hacks)
An dem Tag, an dem mein Mädchen (Paul Plagge)
Im ersten Licht (Karin Kiwus)
Der letzte Abend (Paul Plagge)
Eindringliche Absichten (Rajvinder Singh)
Tiefe Einsichten (Paul Plagge)
Liebe 45 (Inge Müller)
Liebe 1989 (Paul Plagge)
umbruch (Hasan Özdemir)
anfang (Paul Plagge)
Jalousie (Friedericke Mayröcker)
Eiserner Vorhang (Paul Plagge)
amour en passant (Jose F. A. Oliver)
lost love (Paul Plagge)
An meinen Sohn (Paula Ludwig)
Für meine Söhne (Paul Plagge)
Natur
In den Nachmittag geflüstert (Georg Trakl)
In die Nacht geflüstert (Paul Plagge)
Winterwanderung (Thekla Lingen)
Frühjahrswanderung (Paul Plagge)
Langsam (Suzan Emine Kaube)
Rasend (Paul Plagge)
eine egge für den regen (Raul Schrott)
lange furchen, sanftes schaukeln (Paul Plagge)
Krebse im Flakensee (Helga M. Novak)
Krabben aus Friedrichskoog (Paul Plagge)
Worpswede (Nora Bossong)
Vegesack (Paul Plagge)
Aus meinen Händen (Imma von Bodmershof)
Sonnengelbes Gold (Paul Plagge)
ambra (Jan Wagner)
adebar (Paul Plagge)
Umspannwerk Ost (Marion Poschmann)
drive-in-netherlands (Paul Plagge)
Septembermorgen (Eduard Mörike)
Novembermorgen (Paul Plagge)
Schlachteplatte (Kerstin Hensel)
Kohl und Pinkel (Paul Plagge)
Gegenstände
Die singende Muschel (Franzisca Stoecklin)
Die afrikanische Maske (Paul Plagge)
Der Regenschirm (Alexander Nitzberg)
Der Einkaufswagen (Paul Plagge)
Reflexionen
Verwandlung (Christa Reinig)
Durchdringung (Paul Plagge)
Alter Blick (Ilse Aichinger)
Neuer Blick (Paul Plagge)
Getrost das Leben schreitet (Novalis)
Utopia ist vergangen (Paul Plagge)
Was tust du (Zehra Cirak)
Blick zurück (Paul Plagge)
Rondeau Allemagne (Barbara Köhler)
Heimatlied (Paul Plagge)
Potsdamer Platz (Durs Grünbein)
Havelchaussee (Paul Plagge)
Venedig II (Rose Ausländer)
London Sommer 2011 (Paul Plagge)
Sair – Der Poet (Levent Aktoprak)
Der Riese im Berg (Paul Plagge)
was auch immer geschieht (Judith Zander)
was doch nicht geschieht (Paul Plagge)
am Abend (Katharina Schultens)
am Morgen (Paul Plagge)
Abend (F.C. Delius)
Viñales (Paul Plagge)
Formal nicht zu fassen (Peter Rühmkorf)
Lyrische Kollage (Paul Plagge)
Rätselhaftes
Versanden (Ursula Krechel)
Gestrandet (Paul Plagge)
Unschlaflied (Claire Goll)
Nosferatu (Paul Plagge)
Der südliche Herbst (Klabund)
Danza macabre (Paul Plagge)
brüderchen & schwesterchen (Uljana Wolf)
grimmige märchen (Paul Plagge)
Politisches
Lustgarten (Gisela Kraft)
Irrgarten (Paul Plagge)
Die Mauer (Reiner Kunze)
Zum Gedenken (Paul Plagge)
Die Mäuler auf! (Kurt Tucholsky)
Kaufen, kaufen über alles! (Paul Plagge)
Für einen übertreibenden Deutschthümler (Halein)
Sarrazinesisch - Übersetzungsübung (Paul Plagge)
Das Hungerlied (Georg Weerth)
Das große Fressen (Paul Plagge)
Über einige Davongekommene (Günter Kunert)
Fukushima (Paul Plagge)
Der Quälgeist der Deutschen (Halil Güvenis)
Die Gespenster der Globalisierung (Paul Plagge)
Der Nachgeborene (Bertold Brecht)
Gesunder Pessimismus (Paul Plagge)
Thränen des Vaterlandes (Andreas Gryphius)
Tränen der Erde (Paul Plagge)
Weltkrieg und Shoa
Mein blaues Klavier (Else Lasker-Schüler)
Das alte Klavier (Paul Plagge)
Wenn ich nur wüsste (Nelly Sachs)
das blutende Wort (Paul Plagge)
Der Rückzug (Peter Huchel)
Fern(seh)krieg (Paul Plagge)
Bleibtreu heißt die Straße (Mascha Kaleko)
Ist noch nicht so lange her (Paul Plagge)
Holunderblüte (Johannes Bobrowski)
Straßenbahngespräch (Paul Plagge)
Trauer und Tod
An die Parzen (Friedrich Hölderlin)
In memoriam Gordon Z. (Paul Plagge)
Appell (Hilde Domin)
Klage (Paul Plagge)
Sterben (Dagmar Nick)
Suche (Paul Plagge)
Einfache Gedanken über meinen Tod (Brinkmann)
Der Tod und der Dichter (Paul Plagge)
Letzte Worte (Elisabeth v. Droste - Hülshoff)
Erste Worte (Paul Plagge)
Komisches
Der Lattenzaun (Christian Morgenstern)
Das Baumhaus (Paul Plagge)
das Schnabeltier (Robert Gernhardt)
der Elefant (Paul Plagge)
Über das Faulenzen (Wiglaf Droste)
Über die Fleißigen (Paul Plagge)
Altes Lied (Frank Wedekind)
Neues Lied (Paul Plagge)
Gedicht in Bi-Sprache (Joachim Ringelnatz)
Gedicht in To-Sprache (Paul Plagge)
Zwei und zwei (Franz Josef Degenhardt)
Drei mal drei (Paul Plagge)
Wieso warum? (Erich Kästner)
Frag nicht warum! (Paul Plagge)
slam poetry and spoken word
Die Kinder schlafen (Nora Gomringer)
Flugzeuge fallen (Paul Plagge)
Babylon 2.8 (Bas Böttcher)
Generation zwei-null-elf (Paul Plagge)
Nachwort
Hinweis an Leserinnen
Urheberrechtliche Anmerkungen
Biografien und Anmerkungen
Quellenverzeichnis
O reiche Armuth! Gebend, seliges Empfangen!
In Zagheit Muth! in Freiheit doch gefangen.
In Stummheit Sprache,
Schüchtern bei Tage,
Siegend mit zaghaftem Bangen.
Lebendiger Tod, im Einen sel’ges Leben
Schwelgend in Noth, im Widerstand ergeben,
Genießend schmachten,
Nie satt betrachten
Leben im Traum und doppelt Leben.
Caroline von Günderrode (1780 – 1806)
Dein Haar, Gesicht und Körper so nah lässt mich schwitzen,
Du machst mich zittern nur durch Fingerspitzen.
In Blicke tauchen,
Dir Schwüre hauchen,
Mein Begehren, dich zu besitzen.
Nach tiefem Sehnen hoch auffliegendes Entzücken!
Ein Wunsch allein, uns beide zu beglücken.
Vier Hände - was fehlt?
Zwei Münder - die Welt!
Wir kehren dem Rest den Rücken.
Paul Plagge
Die hohen Himbeerwände
Trennten dich und mich,
Doch im Laubwerk unsre Hände
Fanden von selber sich.
Die Hecke konnt’ es nicht wehren,
Wie hoch sie immer stund:
Ich reichte dir die Beeren,
Und du reichtest mir deinen Mund.
Ach, schrittest du durch den Garten
Noch einmal im raschen Gang,
Wie gerne wollt’ ich warten,
Warten stundenlang.
Theodor Fontane (1819 – 1898)
Der rauhe Nordseewind zerzaust
Dein blondes Haar und Kleid;
Ich küsse dich und du schaust
Durch mich hindurch ganz weit.
Ich möchte dich noch fragen
Und streue Sand auf deinen Bauch;
Doch deine Augen klagen
Und so bleibe stumm ich auch.
Jetzt eilst du durch die Dünen
davon im schnellen Schritt;
Nun werde ich wohl sühnen,
was du um meiner litt’st.
Paul Plagge (geboren 1969)
Bei den weißen Stiefmütterchen
Im Park wie er’s mir auftrug
Stehe ich unter der Weide
Ungekämmte Alte blattlos
Siehst du sagt sie er kommt nicht
Ach sage ich er hat sich den Fuß gebrochen
Eine Gräte verschluckt, eine Straße
Wurde plötzlich verlegt oder
Er kann seiner Frau nicht entkommen
Viele Dinge hindern uns Menschen
Die Weide wiegt sich und knarrt
Kann auch sein er ist schon tot
Sah blaß aus als er dich untern Mantel küsste
Kann sein Weide kann sein
So wollen wir hoffen er liebt mich nicht mehr
Sarah Kirsch (geb. 1935)
Die nackten Zweige schwingen im Wind
Was stehst du hier und frierst
Du bist zu früh er kommt erst um fünfe
Ich weiß alte Weide ich weiß
Muss nachdenken schweig still
Sagte mir gestern er will mich heiraten
Und seine Frau, richtet sich die Alte auf
Was ist mit der Frau und den Kindern
Er wird für uns eine Wohnung suchen
Und im Sommer nach Rom mit mir fahren
Die Weide steht starr und raunt
Das wirst du nicht tun nicht wahr
Du musst ihn verlassen jetzt endlich
Lass gut sein Weide lass sein
Ich wünschte du hättest Recht behalten
Paul Plagge
In meiner Erinnrung erblühen
Die Bilder, die längst verwittert –
Was ist in deiner Stimme,
Das mich so tief erschüttert?
Sag nicht, dass du mich liebst !
Ich weiß, das Schönste auf Erden,
Der Frühling und die Liebe,
Es muss zu Schanden werden.
Sag nicht, dass du mich liebst !
Und küsse nur und schweige
Und lächle, wenn ich dir morgen
Die welken Rosen zeige.
Heinrich Heine (1797 – 1856)
Ich habe das Gesicht vergessen (Paul Plagge)
des Mädchens, das zuerst mich küsste –
Was finde ich in deinem Blick,
das ich nicht längst schon wüsste.
Sag jetzt, dass du mich liebst,
so will ich dir auch sagen,
wie schön du für mich bist,
und werd’ zum Bett dich tragen.
Sag jetzt, dass du mich liebst
und bleib’ die ganze Nacht –
Und gehst du vor dem Frühstück,
dann schließ die Tür ganz sacht.
Paul Plagge
O Phebus laß dein blicken
eß will sich iezt nicht schicken
du musst mir trawrig seyn
Schau wie auff meinen Wangen
die Wasser-Perlen hangen
alß Zeugen meiner Pein!
Ihr Himmel nembt mit Schmerzen
doch meine Noht zu Herzen!
Du schönes Firmament
Verender dich geschwinde
Weil ich kein Labsal finde
und bin so voll Elendt!
Nun muß ich das bald meiden
und kan mich nicht mehr weiden
An dem / dass meinen Sinn
kan unverbrüchlich binden;
So bald kan Lust verschwinden
Sie fleugt wie Rauch dahin.
Der welcher herzlich liebet
wird jederzeit betrübet
und hat doch solchen Sinn
dass er kann alles leiden;
Doch wenn er sich muß scheiden
so stirbt er gahr dahin.
Sibylla Schwarz (1621 – 1638)
Thanatos, wirst du weichen?
Dein Blick lässt mich erbleichen,
dass du mich schließlich zwingst,
zu quer’n mit nackten Fuße
des Hades schwarzen Flusse;
den frühen Tod mir bringst!
Willst nicht dich mir erbarmen,
dass eines Liebsten Arme
mein zart Gestalt liebkost;
einmal mein Mund sich freue
an süßer Lippen Treue
der leidvoll’ Seel’ zum Trost.
In meinen jungen Jahren
hab’ ich stets nur erfahren
des Kriegs Medusenhaupt;
dass Menschen Menschen quälen,
schlachten, vierteilen, pfählen,
all’s Mitgefühl beraubt.
Apoll, dein Licht nur selten
drang in die tiefen Welten
mein’s sehnsüchtigen Herz.
Nur wenn der Schwestern Liebe
weckte des Frohsinns Triebe,
sich linderte mein Schmerz.
Paul Plagge
Ich werde nicht an deinem Herzen satt,
Nicht satt an deiner Küsse Glutergießen.
Ich will dich, wie der Christ den Heiland hat:
Er darf als Mahl den Leib des Herrn genießen.
So will ich dich, o meine Gottheit, haben,
In meinem Blut dein Fleisch und Blut begraben.
So will ich deinen süßen Leib empfangen,
Bist du in mir und ich in dir vergangen.
Ricarda Huch (1861-1947)
Ich finde keine Ruh’ in meiner Brust,
Kann dir nicht treu sein, selbst in Gedanken.
Ich bereue, wie der Mönch die Wolllust,
Dass ich deine Treue dir nicht kann danken.
Doch tauche ich abends ein in deinen Schoß,
Und liebe dich zärtlich mit zornigem Stoß,
Dann weichen für kurze Zeit alle Schatten,
Wenn wir endlich Hand in Hand still ermatten.
Paul Plagge
Die Blumen standen, wie ein wirrer Kranz,
Brautkranz für mich, Siegerkranz für dich –
Sie leuchteten vor Scham und jungem Glanz
Und dachten sich
Wohl einen weißen, weißen Schmetterling
Oder einen raschen, roten Falter,
Der schwer an ihren off’nen Kelchen hing’.
Die Sonne kam, aus Rot und Gold und Braun,
Braungold wie mein Haar, Rotgold wie dein Leib –
Trat frei in Blätterhaus, uns anzuschaun,
Denn sie ist Weib,
Ist warm und weiß, wie schamlos Liebe gibt,
Und beschenkte uns mit blühenden Lichtern.
Die Sonne ist ganz nackt wie wir und liebt.
Die Sonne glühte nackt und freute sich:
Freude an dir, Wohlgefall’n an mir –
Und meine Augen glänzten ewiglich
Vor Glück in dir.
Und meine Brüste haben weich gelacht,
Da sich rings die bunten Vögel riefen,
Und streiften ein Marienwürmchen sacht
Aus deinen blonden Halmen, ehe wir entschliefen.
Gertrud Kolmar (1894 – 1943)
Im Mondschein hell dein Leib erstrahlt im Sand,
Ich schmecke deine Haut, Meersalz und Schaum,
Sanft plätschern Wellen an den weiten Strand.
Endlos der Raum,
Vereinzelt Sterne blinken, Steinen gleich
Ruht die Zeit, nur die Wolken eilen.
Ich spüre dich ganz tief und zart und weich.
Dein loses Haar der Wind zärtlich umspielt,
Der leise durch den Dünenhafer streicht,
Während du mich wie auf Wellen wiegst.
Einem Schiff gleich,
Das erkundet unbekannte Küste,
Umfahren meine warmen Hände sanft
Die weichen Buchten deiner Brüste.
Eine einsame Möwe zieht ruhelos
Kreischend ihre Bahnen vor dem Mond,
Der die Nacht erhellt, seltsam gelb und groß.
Du wie gewohnt -
Entzündest eine Zigarette, ziehst,
Und reichst sie dann weiter an mich,
Als ein Komet über den Himmel schießt:
Umsonst, denn ich bin wunschlos glücklich!
Paul Plagge
nichts gibt es
unter dieser sonne
worüber wir nicht sprechen können
alles fügt sich in buchstaben
silben hauchen leben ein
nichts kann der sprache entrinnen
alles lässt sich beschreiben
meeresferne sternenfinsternis
himmelsaugenlichter wolfsbrüderschaften
lassen sich in Worte fassen
nur
dein gesicht
geliebte
dein gesicht
als gott
dein gesicht
schuf
vergaß er
uns worte mitzugeben
Nevfel Cumart (geboren 1964)
dein gesicht
ist mir so vertraut
wie sonst nichts auf dieser welt
selbst die spuren der jahre
die wir gemeinsam gegangen
uns stritten und vertrugen
unsere kinder wachsen sahen
die vielen fältchen
die dein fröhliches lachen
um deine augen zauberte
die tieferen furchen
die alltagssorgen und müdigkeit
auf deine stirn gerbten
doch
für mich
hat
dein gesicht
nichts
an schönheit
eingebüsst –
ich
möchte es
küssen immerzu
Paul Plagge
Daß ich nach schalem Genusse,
Erniedrigt, bitter und lichtlos
Mich fasse und in mich greife,
Macht mich noch wert.
Ich bin ein Strom
Mit Wellen, die Ufer suchen,
Schattende Büsche im Sand,
Wärmende Strahlen von Sonne,
Wenn auch für einmal nur.
Mein Weg aber ist ohne Erbarmen.
Sein Fall drückt mich zum Meer.
Großes, herrliches Meer!
Ich weiß keinen Wunsch auf diesen,
Als strömend mich zu verschütten
In die unendlichste See.
Wie kann ein Begehren,
Süßere Ufer zu grüßen,
Gefangen mich halten,
Wenn ich vom letzten Sinne
Immer noch weiß!
Ingeborg Bachmann (1926 – 1973)
Auf einmal, du liegst unter mir,
Gleiten deine Hände von mir ab,
Wendest du den Kopf zur Seite,
Hältst die Augen geschlossen.
Meine Zärtlichkeiten
Lässt du reglos
Über dich ergehen.
Deine Hände suchen Halt
In den zerknautschten Laken.
Die Beine ziehst du an
Den gekrümmten Körper.
Plötzlich weiß ich, ich verliere dich,
Dass ich dich nicht mehr halten kann,
Spüre wie ein mächtiger Sog
Dich fortzieht von mir.
Wie kann ein Begehren
So ehrlich wie das meine
Dir Leiden verursachen,
Unerwidert bleiben?
Paul Plagge
Weil nun die Nacht kommt,
bleib ich bei dir.
Was ich dir sein kann,
gebe ich dir!
Frage mich niemals:
woher und wohin –
nimm meine Liebe,
nimm mich ganz hin!
Sei eine Nacht lang
zärtlich zu mir.
Denn eine Nacht nur
Bleib ich bei dir.
Wolfgang Borchert (1921 – 1947)
Nur eine Nacht lang
bliebst du bei mir.
warst eine Nacht nur
zärtlich zu mir.
Ich fragte nicht:
woher ? wohin ?
gab meine Liebe,
gab mich ganz hin!
Jetzt bist du fort
und ich allein.
Das Kind von dir,
es ist nun mein.
Paul Plagge
Der Gin schmeckt gleich um elf und drei,
das Soda wird nur schaler.
Wer will, der kann mich haben
für einen alten Taler.
Mein Bräutigam, mein Bräutigam
war einer von den sieben Raben,
der flog am Haus vorbei,
da war es zwölf vorbei,
mein Bräutigam, mein Bräutigam
tat einen dunklen Schrei
und wollte seinen süßen Schnabel
an meinem Herzen laben,
da spießte ihn ein fremder Mann
auf eine Silbergabel.
Nun kann mich jeder haben
für einen alten Taler.
Das Herz, mein Freund,
ist aber nicht dabei
bei diesem Preis,
dem Herzen, Freund, wird kalt und heiß
nur bei Zärtlichkeiten eines Raben.
Darum auch haben
meine Freunde mich ertränkt ...
Versprecht, daß ihr das Glas Chartreuse verschenkt,
in dem ich schwimme als ein gelbes Ei.
Hertha Kräftner (1928 – 1951)
Ich weiß nicht, ist es erst elf oder schon drei,
das Licht ist meinen Augen viel zu grell.
Mein Kopf, mein Kopf, wer will ihn haben?
Verflucht, wo bin ich? Ist das ein Hotel?
Das Bett ist nicht leer und auch nicht meins.
Was mach ich hier? Was soll der Scheiß?
Ach gestern abend die sieben Raben,
warum ist denn alles schon vorbei?
Doch der da liegt und schnarcht,
Verdammt, wer ist denn der?
Ist das, der seinen süßen Schnabel
an meinem Herzen labte
und der mich dann spießte
auf die Silbergabel?
Mein Hals ist trocken,
ich muss was trinken.
Mich kann jeder haben
für einen alten Taler?
Oh wie ist mir schlecht,
geht das denn nie vorbei?
Wo ist denn hier das Bad?
Wer will der kann mich haben?
Nie mehr Gin, das verspreche ich.
Mein Slip, mein Slip, wo ist der bloß?
Nur schnell anziehen und nichts wie los.
Paul Plagge
Under der linden (Walther von der Vogelweide)
an der heide,
dâ unser zweier bette was,
dâ muget ir vinden
schône beide
gebrochen bluomen unde gras.
Vor dem walde in einem tal,
tandaradei,
schône sanc diu nahtegal.
Ich kam gegangen
zuo der ouwe,
dô was mîn friedel komen ê.
Dâ wart ich enpfangen,
hêre frouwe,
daz ich bin sælic iemer mê.
Kuster mich? Wol tûsentstunt:
tandaradei,
seht, wie rôt mir ist der munt.
Dô het er gemachet
alsô rîche
von bluomen eine bettestat.
Des wirt noch gelachet
inneclîche,
kumt iemen an daz selbe pfat.
Bî den rôsen er wol mac,
tandaradei,
merken, wâ mirz houbet lac.
Daz er bî mir læge,
wessez iemen
nû enwelle got.
sô schamt ich mich.
Wes er mit mir pflæge,
niemer niemen
bevinde daz, wan er und ich,
und ein kleinez vogellîn -
tandaradei,
daz mac wol getriuwe sîn.
Walther von der Vogelweide (ca. 1160 – 1230)
Unter den Linden (Paul Plagge)
in der Heide
unser Liebesbett da war’s.
Das könntet ihr finden,
wo wir beide
brachen die Blumen in dem Gras
vor dem Wald in einem Tal.
Tandaradei,
schön sang die Nachtigal!
Ich kam gegangen
zu der Aue:
Mein Liebster wartete bereit’.
Da wurd’ ich empfangen
hold als Fraue,
dass ich bin selig alle Zeit.
Küsste er mich? Wohl tausend Stund’!
Tandaradei,
seht, wie rot mir ist der Mund!
Dort hat er gemacht
mir also reich
mit Blumen eine Liegestatt,
dass wohl innerlich lacht
jeder sogleich,
der findet diesen unsren Pfad:
An den Rosen er seh’n mag,
Tandaradei,
wo mein Haupt gebettet lag!
Dass er bei mir lag!
Wüsst’ es jemand,
mein lieber Gott,
was schämt’ ich mich.
Wie er mich liebte jen’n Tag!
Niemals niemand
darf’s erfahr’n als er und ich
und das kleine Vögelein:
Tandaradei,
das wird wohl getreu mir sein!
Walther von der Vogelweide
(neu übertragen von Paul Plagge)
Vom Strand wo wir liegen
Silberne Häute ausgespannt
Stehen wir auf
In der mondlosen Nacht
Begehen das Feigental
Und die feurige Macchia
Lieben im Fleische
Reden mit Zungen
Tauschen das Augenlicht.
Ziehen auf aus der Erde
Hausmauern
Tisch und Bett
Reichen uns ernsthaft
Der eine dem andern
Der andre dem einen
Handüber herüber
Bis zum Morgengrauen
Das rehrote Windei
Hoffnung.
Marie Luise Kaschnitz (1901 – 1974)
In einer Hütte am Ende der Welt
Ein Raum geteilt durch Bettlaken
Durch ein Loch im Wellblech
Blinkt ein Stern zu mir hinunter
Ich liege wach
Alle anderen schlafen
Der Lehrer Joseph Delio
Seine hübsche Ehefrau Melva
Und die fünf Kinder
Mein Reisegefährte Luis schnarcht
Die traurige Mulattin Darna
Hat sich im Schlaf
In meinen Arm geschmiegt.
Puerto El Bluff Bluefields
Für einen Tag war hier das Paradies
Sie hat mich hier angespült
Sie wird mich hier fortspülen
Das Schiff zurück
Geht schon morgen
Sehnsucht.
Paul Plagge
Als mein Mädchen zu Besuch kam,
Unerwartet wie ein Lied,
Als ich sie dann auf das Tuch nahm,
Das mein Bette überzieht,
Als die Frösche und die Vögel,
Munter quarrten in der Nacht,
Habe ich von Gottes Regel
Besser als zumeist gedacht.
Als mit Lachen und mit Stöhnen,
Als mit zärtlichem Gelüst
An der Schönheit meiner Schönen
Ich mich noch nicht sattgeküßt,
Als der Morgensonne Prangen
Aus den Wiesen sich erhob,
Wußte ich dem Unterfangen
Seiner ganzen Schöpfung Lob.
Diese Nacht war von den Nächten,
Wo der Mensch die Liebe spürt,
Wo die Knoten sich entflechten,
Die man ihm ums Herz geschnürt,
Als mein Mädchen zu Besuch kam,
Unerwartet wie ein Lied,
Als ich sie dann auf das Tuch nahm,
Das mein Bette überzieht.
Peter Hacks (1928 – 2003)