Zwiegespräche mit lebenden und toten Dichtern - Paul Plagge - E-Book

Zwiegespräche mit lebenden und toten Dichtern E-Book

Paul Plagge

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Beschreibung

Der Autor Paul Plagge legt mit diesem Gedichtband eine subjektive Anthologie deutschprachiger Kurzgedichte vor. Den klassischen und modernen Originalen bekannter deutschsprachiger Lyrikerinnen und Lyriker werden eigene lyrische Inspirationen und Reflektionen gegenübergestellt, die als analoge Kompositionen den Lesern erstaunliche Einblicke in die Kunst der Lyrik gewähren.

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Seitenzahl: 181

Veröffentlichungsjahr: 2015

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für meine Mutter, meine beiden Schwestern, meine Ehefrau, meine beiden Söhne und für Karin T., mit der dieses Buch seinen Anfang nahm

gewidmet aber auch den

Lyrikerinnen und Lyrikern,

die verstarben in den 14 Jahren,

in denen ich an diesem Buchprojekt arbeitete,

namentlich:

Ernst Jandl († 9.6.2000)

Hilde Domin († 22.2.2006)

Robert Gernhardt († 30.6.2006)

Peter Rühmkorf († 8.6.2008)

Christa Reinig (†30.9.2008)

Gisela Kraft († 5.1.2010)

Eva Strittmatter († 3.1.2011)

Franz Josef Degenhardt († 14.11.2011)

Sarah Kirsch († 5.5.2013)

Helga Novak († 24.12.2013)

Inhaltsverzeichnis

Liebe

Liebe (Caroline von Günderrode)

Kosmos (Paul Plagge)

Im Garten (Theodor Fontane)

Am Strand (Paul Plagge)

Bei den weißen Stiefmütterchen (Sarah Kirsch)

Im Park unter der Weide (Paul Plagge)

In meiner Erinnrung erblühen (Heinrich Heine)

Ich habe das Gesicht vergessen (Paul Plagge)

Lied (Sbylla Schwarz)

Klagelied der Sibylla Schwarz (Paul Plagge)

Ich werde nicht an deinem Herzen satt (R. Huch)

Ich finde keine Ruh’ in meiner Brust (Paul Plagge)

Liebe im Grase (Gertrud Kolmar)

Sommernachtstraum (Paul Plagge)

unsagbar (Nevfel Cumart)

vertraut (Paul Plagge)

Aufblickend (Ingeborg Bachmann)

Auf dich blickend (Paul Plagge)

Liebeslied (Wolfgang Borchert)

Sorgenlied (Paul Plagge)

Betrunkene Nacht (Hertha Kräftner)

Der Morgen danach (Paul Plagge)

Under der linden (Walther von der Vogelweide)

Unter den Linden (Paul Plagge)

Vom Strand wo wir liegen (Marie Luise Kaschnitz)

In einer Hütte am Ende der Welt (Paul Plagge)

Als mein Mädchen zu Besuch kam (Peter Hacks)

An dem Tag, an dem mein Mädchen (Paul Plagge)

Im ersten Licht (Karin Kiwus)

Der letzte Abend (Paul Plagge)

Eindringliche Absichten (Rajvinder Singh)

Tiefe Einsichten (Paul Plagge)

Liebe 45 (Inge Müller)

Liebe 1989 (Paul Plagge)

umbruch (Hasan Özdemir)

anfang (Paul Plagge)

Jalousie (Friedericke Mayröcker)

Eiserner Vorhang (Paul Plagge)

amour en passant (Jose F. A. Oliver)

lost love (Paul Plagge)

An meinen Sohn (Paula Ludwig)

Für meine Söhne (Paul Plagge)

Natur

In den Nachmittag geflüstert (Georg Trakl)

In die Nacht geflüstert (Paul Plagge)

Winterwanderung (Thekla Lingen)

Frühjahrswanderung (Paul Plagge)

Langsam (Suzan Emine Kaube)

Rasend (Paul Plagge)

eine egge für den regen (Raul Schrott)

lange furchen, sanftes schaukeln (Paul Plagge)

Krebse im Flakensee (Helga M. Novak)

Krabben aus Friedrichskoog (Paul Plagge)

Worpswede (Nora Bossong)

Vegesack (Paul Plagge)

Aus meinen Händen (Imma von Bodmershof)

Sonnengelbes Gold (Paul Plagge)

ambra (Jan Wagner)

adebar (Paul Plagge)

Umspannwerk Ost (Marion Poschmann)

drive-in-netherlands (Paul Plagge)

Septembermorgen (Eduard Mörike)

Novembermorgen (Paul Plagge)

Schlachteplatte (Kerstin Hensel)

Kohl und Pinkel (Paul Plagge)

Gegenstände

Die singende Muschel (Franzisca Stoecklin)

Die afrikanische Maske (Paul Plagge)

Der Regenschirm (Alexander Nitzberg)

Der Einkaufswagen (Paul Plagge)

Reflexionen

Verwandlung (Christa Reinig)

Durchdringung (Paul Plagge)

Alter Blick (Ilse Aichinger)

Neuer Blick (Paul Plagge)

Getrost das Leben schreitet (Novalis)

Utopia ist vergangen (Paul Plagge)

Was tust du (Zehra Cirak)

Blick zurück (Paul Plagge)

Rondeau Allemagne (Barbara Köhler)

Heimatlied (Paul Plagge)

Potsdamer Platz (Durs Grünbein)

Havelchaussee (Paul Plagge)

Venedig II (Rose Ausländer)

London Sommer 2011 (Paul Plagge)

Sair – Der Poet (Levent Aktoprak)

Der Riese im Berg (Paul Plagge)

was auch immer geschieht (Judith Zander)

was doch nicht geschieht (Paul Plagge)

am Abend (Katharina Schultens)

am Morgen (Paul Plagge)

Abend (F.C. Delius)

Viñales (Paul Plagge)

Formal nicht zu fassen (Peter Rühmkorf)

Lyrische Kollage (Paul Plagge)

Rätselhaftes

Versanden (Ursula Krechel)

Gestrandet (Paul Plagge)

Unschlaflied (Claire Goll)

Nosferatu (Paul Plagge)

Der südliche Herbst (Klabund)

Danza macabre (Paul Plagge)

brüderchen & schwesterchen (Uljana Wolf)

grimmige märchen (Paul Plagge)

Politisches

Lustgarten (Gisela Kraft)

Irrgarten (Paul Plagge)

Die Mauer (Reiner Kunze)

Zum Gedenken (Paul Plagge)

Die Mäuler auf! (Kurt Tucholsky)

Kaufen, kaufen über alles! (Paul Plagge)

Für einen übertreibenden Deutschthümler (Halein)

Sarrazinesisch - Übersetzungsübung (Paul Plagge)

Das Hungerlied (Georg Weerth)

Das große Fressen (Paul Plagge)

Über einige Davongekommene (Günter Kunert)

Fukushima (Paul Plagge)

Der Quälgeist der Deutschen (Halil Güvenis)

Die Gespenster der Globalisierung (Paul Plagge)

Der Nachgeborene (Bertold Brecht)

Gesunder Pessimismus (Paul Plagge)

Thränen des Vaterlandes (Andreas Gryphius)

Tränen der Erde (Paul Plagge)

Weltkrieg und Shoa

Mein blaues Klavier (Else Lasker-Schüler)

Das alte Klavier (Paul Plagge)

Wenn ich nur wüsste (Nelly Sachs)

das blutende Wort (Paul Plagge)

Der Rückzug (Peter Huchel)

Fern(seh)krieg (Paul Plagge)

Bleibtreu heißt die Straße (Mascha Kaleko)

Ist noch nicht so lange her (Paul Plagge)

Holunderblüte (Johannes Bobrowski)

Straßenbahngespräch (Paul Plagge)

Trauer und Tod

An die Parzen (Friedrich Hölderlin)

In memoriam Gordon Z. (Paul Plagge)

Appell (Hilde Domin)

Klage (Paul Plagge)

Sterben (Dagmar Nick)

Suche (Paul Plagge)

Einfache Gedanken über meinen Tod (Brinkmann)

Der Tod und der Dichter (Paul Plagge)

Letzte Worte (Elisabeth v. Droste - Hülshoff)

Erste Worte (Paul Plagge)

Komisches

Der Lattenzaun (Christian Morgenstern)

Das Baumhaus (Paul Plagge)

das Schnabeltier (Robert Gernhardt)

der Elefant (Paul Plagge)

Über das Faulenzen (Wiglaf Droste)

Über die Fleißigen (Paul Plagge)

Altes Lied (Frank Wedekind)

Neues Lied (Paul Plagge)

Gedicht in Bi-Sprache (Joachim Ringelnatz)

Gedicht in To-Sprache (Paul Plagge)

Zwei und zwei (Franz Josef Degenhardt)

Drei mal drei (Paul Plagge)

Wieso warum? (Erich Kästner)

Frag nicht warum! (Paul Plagge)

slam poetry and spoken word

Die Kinder schlafen (Nora Gomringer)

Flugzeuge fallen (Paul Plagge)

Babylon 2.8 (Bas Böttcher)

Generation zwei-null-elf (Paul Plagge)

Nachwort

Hinweis an Leserinnen

Urheberrechtliche Anmerkungen

Biografien und Anmerkungen

Quellenverzeichnis

Liebe

Liebe (Caroline von Günderrode)

O reiche Armuth! Gebend, seliges Empfangen!

In Zagheit Muth! in Freiheit doch gefangen.

In Stummheit Sprache,

Schüchtern bei Tage,

Siegend mit zaghaftem Bangen.

Lebendiger Tod, im Einen sel’ges Leben

Schwelgend in Noth, im Widerstand ergeben,

Genießend schmachten,

Nie satt betrachten

Leben im Traum und doppelt Leben.

Caroline von Günderrode (1780 – 1806)

Kosmos (Paul Plagge)

Dein Haar, Gesicht und Körper so nah lässt mich schwitzen,

Du machst mich zittern nur durch Fingerspitzen.

In Blicke tauchen,

Dir Schwüre hauchen,

Mein Begehren, dich zu besitzen.

Nach tiefem Sehnen hoch auffliegendes Entzücken!

Ein Wunsch allein, uns beide zu beglücken.

Vier Hände - was fehlt?

Zwei Münder - die Welt!

Wir kehren dem Rest den Rücken.

Paul Plagge

Im Garten (Theodor Fontane)

Die hohen Himbeerwände

Trennten dich und mich,

Doch im Laubwerk unsre Hände

Fanden von selber sich.

Die Hecke konnt’ es nicht wehren,

Wie hoch sie immer stund:

Ich reichte dir die Beeren,

Und du reichtest mir deinen Mund.

Ach, schrittest du durch den Garten

Noch einmal im raschen Gang,

Wie gerne wollt’ ich warten,

Warten stundenlang.

Theodor Fontane (1819 – 1898)

Am Strand (Paul Plagge)

Der rauhe Nordseewind zerzaust

Dein blondes Haar und Kleid;

Ich küsse dich und du schaust

Durch mich hindurch ganz weit.

Ich möchte dich noch fragen

Und streue Sand auf deinen Bauch;

Doch deine Augen klagen

Und so bleibe stumm ich auch.

Jetzt eilst du durch die Dünen

davon im schnellen Schritt;

Nun werde ich wohl sühnen,

was du um meiner litt’st.

Paul Plagge (geboren 1969)

Bei den weißen Stiefmütterchen (Sarah Kirsch)

Bei den weißen Stiefmütterchen

Im Park wie er’s mir auftrug

Stehe ich unter der Weide

Ungekämmte Alte blattlos

Siehst du sagt sie er kommt nicht

Ach sage ich er hat sich den Fuß gebrochen

Eine Gräte verschluckt, eine Straße

Wurde plötzlich verlegt oder

Er kann seiner Frau nicht entkommen

Viele Dinge hindern uns Menschen

Die Weide wiegt sich und knarrt

Kann auch sein er ist schon tot

Sah blaß aus als er dich untern Mantel küsste

Kann sein Weide kann sein

So wollen wir hoffen er liebt mich nicht mehr

Sarah Kirsch (geb. 1935)

Im Park unter der Weide (Paul Plagge)

Die nackten Zweige schwingen im Wind

Was stehst du hier und frierst

Du bist zu früh er kommt erst um fünfe

Ich weiß alte Weide ich weiß

Muss nachdenken schweig still

Sagte mir gestern er will mich heiraten

Und seine Frau, richtet sich die Alte auf

Was ist mit der Frau und den Kindern

Er wird für uns eine Wohnung suchen

Und im Sommer nach Rom mit mir fahren

Die Weide steht starr und raunt

Das wirst du nicht tun nicht wahr

Du musst ihn verlassen jetzt endlich

Lass gut sein Weide lass sein

Ich wünschte du hättest Recht behalten

Paul Plagge

In meiner Erinnrung erblühen (Heinrich Heine)

In meiner Erinnrung erblühen

Die Bilder, die längst verwittert –

Was ist in deiner Stimme,

Das mich so tief erschüttert?

Sag nicht, dass du mich liebst !

Ich weiß, das Schönste auf Erden,

Der Frühling und die Liebe,

Es muss zu Schanden werden.

Sag nicht, dass du mich liebst !

Und küsse nur und schweige

Und lächle, wenn ich dir morgen

Die welken Rosen zeige.

Heinrich Heine (1797 – 1856)

Ich habe das Gesicht vergessen (Paul Plagge)

Ich habe das Gesicht vergessen (Paul Plagge)

des Mädchens, das zuerst mich küsste –

Was finde ich in deinem Blick,

das ich nicht längst schon wüsste.

Sag jetzt, dass du mich liebst,

so will ich dir auch sagen,

wie schön du für mich bist,

und werd’ zum Bett dich tragen.

Sag jetzt, dass du mich liebst

und bleib’ die ganze Nacht –

Und gehst du vor dem Frühstück,

dann schließ die Tür ganz sacht.

Paul Plagge

Lied (Sbylla Schwarz)

O Phebus laß dein blicken

eß will sich iezt nicht schicken

du musst mir trawrig seyn

Schau wie auff meinen Wangen

die Wasser-Perlen hangen

alß Zeugen meiner Pein!

Ihr Himmel nembt mit Schmerzen

doch meine Noht zu Herzen!

Du schönes Firmament

Verender dich geschwinde

Weil ich kein Labsal finde

und bin so voll Elendt!

Nun muß ich das bald meiden

und kan mich nicht mehr weiden

An dem / dass meinen Sinn

kan unverbrüchlich binden;

So bald kan Lust verschwinden

Sie fleugt wie Rauch dahin.

Der welcher herzlich liebet

wird jederzeit betrübet

und hat doch solchen Sinn

dass er kann alles leiden;

Doch wenn er sich muß scheiden

so stirbt er gahr dahin.

Sibylla Schwarz (1621 – 1638)

Klagelied der Sibylla Schwarz (Paul Plagge)

Thanatos, wirst du weichen?

Dein Blick lässt mich erbleichen,

dass du mich schließlich zwingst,

zu quer’n mit nackten Fuße

des Hades schwarzen Flusse;

den frühen Tod mir bringst!

Willst nicht dich mir erbarmen,

dass eines Liebsten Arme

mein zart Gestalt liebkost;

einmal mein Mund sich freue

an süßer Lippen Treue

der leidvoll’ Seel’ zum Trost.

In meinen jungen Jahren

hab’ ich stets nur erfahren

des Kriegs Medusenhaupt;

dass Menschen Menschen quälen,

schlachten, vierteilen, pfählen,

all’s Mitgefühl beraubt.

Apoll, dein Licht nur selten

drang in die tiefen Welten

mein’s sehnsüchtigen Herz.

Nur wenn der Schwestern Liebe

weckte des Frohsinns Triebe,

sich linderte mein Schmerz.

Paul Plagge

Ich werde nicht an deinem Herzen satt (R. Huch)

Ich werde nicht an deinem Herzen satt,

Nicht satt an deiner Küsse Glutergießen.

Ich will dich, wie der Christ den Heiland hat:

Er darf als Mahl den Leib des Herrn genießen.

So will ich dich, o meine Gottheit, haben,

In meinem Blut dein Fleisch und Blut begraben.

So will ich deinen süßen Leib empfangen,

Bist du in mir und ich in dir vergangen.

Ricarda Huch (1861-1947)

Ich finde keine Ruh’ in meiner Brust (Paul Plagge)

Ich finde keine Ruh’ in meiner Brust,

Kann dir nicht treu sein, selbst in Gedanken.

Ich bereue, wie der Mönch die Wolllust,

Dass ich deine Treue dir nicht kann danken.

Doch tauche ich abends ein in deinen Schoß,

Und liebe dich zärtlich mit zornigem Stoß,

Dann weichen für kurze Zeit alle Schatten,

Wenn wir endlich Hand in Hand still ermatten.

Paul Plagge

Liebe im Grase (Gertrud Kolmar)

Die Blumen standen, wie ein wirrer Kranz,

Brautkranz für mich, Siegerkranz für dich –

Sie leuchteten vor Scham und jungem Glanz

Und dachten sich

Wohl einen weißen, weißen Schmetterling

Oder einen raschen, roten Falter,

Der schwer an ihren off’nen Kelchen hing’.

Die Sonne kam, aus Rot und Gold und Braun,

Braungold wie mein Haar, Rotgold wie dein Leib –

Trat frei in Blätterhaus, uns anzuschaun,

Denn sie ist Weib,

Ist warm und weiß, wie schamlos Liebe gibt,

Und beschenkte uns mit blühenden Lichtern.

Die Sonne ist ganz nackt wie wir und liebt.

Die Sonne glühte nackt und freute sich:

Freude an dir, Wohlgefall’n an mir –

Und meine Augen glänzten ewiglich

Vor Glück in dir.

Und meine Brüste haben weich gelacht,

Da sich rings die bunten Vögel riefen,

Und streiften ein Marienwürmchen sacht

Aus deinen blonden Halmen, ehe wir entschliefen.

Gertrud Kolmar (1894 – 1943)

Sommernachtstraum (Paul Plagge)

Im Mondschein hell dein Leib erstrahlt im Sand,

Ich schmecke deine Haut, Meersalz und Schaum,

Sanft plätschern Wellen an den weiten Strand.

Endlos der Raum,

Vereinzelt Sterne blinken, Steinen gleich

Ruht die Zeit, nur die Wolken eilen.

Ich spüre dich ganz tief und zart und weich.

Dein loses Haar der Wind zärtlich umspielt,

Der leise durch den Dünenhafer streicht,

Während du mich wie auf Wellen wiegst.

Einem Schiff gleich,

Das erkundet unbekannte Küste,

Umfahren meine warmen Hände sanft

Die weichen Buchten deiner Brüste.

Eine einsame Möwe zieht ruhelos

Kreischend ihre Bahnen vor dem Mond,

Der die Nacht erhellt, seltsam gelb und groß.

Du wie gewohnt -

Entzündest eine Zigarette, ziehst,

Und reichst sie dann weiter an mich,

Als ein Komet über den Himmel schießt:

Umsonst, denn ich bin wunschlos glücklich!

Paul Plagge

unsagbar (Nevfel Cumart)

nichts gibt es

unter dieser sonne

worüber wir nicht sprechen können

alles fügt sich in buchstaben

silben hauchen leben ein

nichts kann der sprache entrinnen

alles lässt sich beschreiben

meeresferne sternenfinsternis

himmelsaugenlichter wolfsbrüderschaften

lassen sich in Worte fassen

nur

dein gesicht

geliebte

dein gesicht

als gott

dein gesicht

schuf

vergaß er

uns worte mitzugeben

Nevfel Cumart (geboren 1964)

vertraut (Paul Plagge)

dein gesicht

ist mir so vertraut

wie sonst nichts auf dieser welt

selbst die spuren der jahre

die wir gemeinsam gegangen

uns stritten und vertrugen

unsere kinder wachsen sahen

die vielen fältchen

die dein fröhliches lachen

um deine augen zauberte

die tieferen furchen

die alltagssorgen und müdigkeit

auf deine stirn gerbten

doch

für mich

hat

dein gesicht

nichts

an schönheit

eingebüsst –

ich

möchte es

küssen immerzu

Paul Plagge

Aufblickend (Ingeborg Bachmann)

Daß ich nach schalem Genusse,

Erniedrigt, bitter und lichtlos

Mich fasse und in mich greife,

Macht mich noch wert.

Ich bin ein Strom

Mit Wellen, die Ufer suchen,

Schattende Büsche im Sand,

Wärmende Strahlen von Sonne,

Wenn auch für einmal nur.

Mein Weg aber ist ohne Erbarmen.

Sein Fall drückt mich zum Meer.

Großes, herrliches Meer!

Ich weiß keinen Wunsch auf diesen,

Als strömend mich zu verschütten

In die unendlichste See.

Wie kann ein Begehren,

Süßere Ufer zu grüßen,

Gefangen mich halten,

Wenn ich vom letzten Sinne

Immer noch weiß!

Ingeborg Bachmann (1926 – 1973)

Auf dich blickend (Paul Plagge)

Auf einmal, du liegst unter mir,

Gleiten deine Hände von mir ab,

Wendest du den Kopf zur Seite,

Hältst die Augen geschlossen.

Meine Zärtlichkeiten

Lässt du reglos

Über dich ergehen.

Deine Hände suchen Halt

In den zerknautschten Laken.

Die Beine ziehst du an

Den gekrümmten Körper.

Plötzlich weiß ich, ich verliere dich,

Dass ich dich nicht mehr halten kann,

Spüre wie ein mächtiger Sog

Dich fortzieht von mir.

Wie kann ein Begehren

So ehrlich wie das meine

Dir Leiden verursachen,

Unerwidert bleiben?

Paul Plagge

Liebeslied (Wolfgang Borchert)

Weil nun die Nacht kommt,

bleib ich bei dir.

Was ich dir sein kann,

gebe ich dir!

Frage mich niemals:

woher und wohin –

nimm meine Liebe,

nimm mich ganz hin!

Sei eine Nacht lang

zärtlich zu mir.

Denn eine Nacht nur

Bleib ich bei dir.

Wolfgang Borchert (1921 – 1947)

Sorgenlied (Paul Plagge)

Nur eine Nacht lang

bliebst du bei mir.

warst eine Nacht nur

zärtlich zu mir.

Ich fragte nicht:

woher ? wohin ?

gab meine Liebe,

gab mich ganz hin!

Jetzt bist du fort

und ich allein.

Das Kind von dir,

es ist nun mein.

Paul Plagge

Betrunkene Nacht (Hertha Kräftner)

Der Gin schmeckt gleich um elf und drei,

das Soda wird nur schaler.

Wer will, der kann mich haben

für einen alten Taler.

Mein Bräutigam, mein Bräutigam

war einer von den sieben Raben,

der flog am Haus vorbei,

da war es zwölf vorbei,

mein Bräutigam, mein Bräutigam

tat einen dunklen Schrei

und wollte seinen süßen Schnabel

an meinem Herzen laben,

da spießte ihn ein fremder Mann

auf eine Silbergabel.

Nun kann mich jeder haben

für einen alten Taler.

Das Herz, mein Freund,

ist aber nicht dabei

bei diesem Preis,

dem Herzen, Freund, wird kalt und heiß

nur bei Zärtlichkeiten eines Raben.

Darum auch haben

meine Freunde mich ertränkt ...

Versprecht, daß ihr das Glas Chartreuse verschenkt,

in dem ich schwimme als ein gelbes Ei.

Hertha Kräftner (1928 – 1951)

Der Morgen danach (Paul Plagge)

Ich weiß nicht, ist es erst elf oder schon drei,

das Licht ist meinen Augen viel zu grell.

Mein Kopf, mein Kopf, wer will ihn haben?

Verflucht, wo bin ich? Ist das ein Hotel?

Das Bett ist nicht leer und auch nicht meins.

Was mach ich hier? Was soll der Scheiß?

Ach gestern abend die sieben Raben,

warum ist denn alles schon vorbei?

Doch der da liegt und schnarcht,

Verdammt, wer ist denn der?

Ist das, der seinen süßen Schnabel

an meinem Herzen labte

und der mich dann spießte

auf die Silbergabel?

Mein Hals ist trocken,

ich muss was trinken.

Mich kann jeder haben

für einen alten Taler?

Oh wie ist mir schlecht,

geht das denn nie vorbei?

Wo ist denn hier das Bad?

Wer will der kann mich haben?

Nie mehr Gin, das verspreche ich.

Mein Slip, mein Slip, wo ist der bloß?

Nur schnell anziehen und nichts wie los.

Paul Plagge

Under der linden (Walther von der Vogelweide)

an der heide,

dâ unser zweier bette was,

dâ muget ir vinden

schône beide

gebrochen bluomen unde gras.

Vor dem walde in einem tal,

tandaradei,

schône sanc diu nahtegal.

Ich kam gegangen

zuo der ouwe,

dô was mîn friedel komen ê.

Dâ wart ich enpfangen,

hêre frouwe,

daz ich bin sælic iemer mê.

Kuster mich? Wol tûsentstunt:

tandaradei,

seht, wie rôt mir ist der munt.

Dô het er gemachet

alsô rîche

von bluomen eine bettestat.

Des wirt noch gelachet

inneclîche,

kumt iemen an daz selbe pfat.

Bî den rôsen er wol mac,

tandaradei,

merken, wâ mirz houbet lac.

Daz er bî mir læge,

wessez iemen

nû enwelle got.

sô schamt ich mich.

Wes er mit mir pflæge,

niemer niemen

bevinde daz, wan er und ich,

und ein kleinez vogellîn -

tandaradei,

daz mac wol getriuwe sîn.

Walther von der Vogelweide (ca. 1160 – 1230)

Unter den Linden (Paul Plagge)

in der Heide

unser Liebesbett da war’s.

Das könntet ihr finden,

wo wir beide

brachen die Blumen in dem Gras

vor dem Wald in einem Tal.

Tandaradei,

schön sang die Nachtigal!

Ich kam gegangen

zu der Aue:

Mein Liebster wartete bereit’.

Da wurd’ ich empfangen

hold als Fraue,

dass ich bin selig alle Zeit.

Küsste er mich? Wohl tausend Stund’!

Tandaradei,

seht, wie rot mir ist der Mund!

Dort hat er gemacht

mir also reich

mit Blumen eine Liegestatt,

dass wohl innerlich lacht

jeder sogleich,

der findet diesen unsren Pfad:

An den Rosen er seh’n mag,

Tandaradei,

wo mein Haupt gebettet lag!

Dass er bei mir lag!

Wüsst’ es jemand,

mein lieber Gott,

was schämt’ ich mich.

Wie er mich liebte jen’n Tag!

Niemals niemand

darf’s erfahr’n als er und ich

und das kleine Vögelein:

Tandaradei,

das wird wohl getreu mir sein!

Walther von der Vogelweide

(neu übertragen von Paul Plagge)

Vom Strand wo wir liegen (Marie Luise Kaschnitz)

Vom Strand wo wir liegen

Silberne Häute ausgespannt

Stehen wir auf

In der mondlosen Nacht

Begehen das Feigental

Und die feurige Macchia

Lieben im Fleische

Reden mit Zungen

Tauschen das Augenlicht.

Ziehen auf aus der Erde

Hausmauern

Tisch und Bett

Reichen uns ernsthaft

Der eine dem andern

Der andre dem einen

Handüber herüber

Bis zum Morgengrauen

Das rehrote Windei

Hoffnung.

Marie Luise Kaschnitz (1901 – 1974)

In einer Hütte am Ende der Welt (Paul Plagge)

In einer Hütte am Ende der Welt

Ein Raum geteilt durch Bettlaken

Durch ein Loch im Wellblech

Blinkt ein Stern zu mir hinunter

Ich liege wach

Alle anderen schlafen

Der Lehrer Joseph Delio

Seine hübsche Ehefrau Melva

Und die fünf Kinder

Mein Reisegefährte Luis schnarcht

Die traurige Mulattin Darna

Hat sich im Schlaf

In meinen Arm geschmiegt.

Puerto El Bluff Bluefields

Für einen Tag war hier das Paradies

Sie hat mich hier angespült

Sie wird mich hier fortspülen

Das Schiff zurück

Geht schon morgen

Sehnsucht.

Paul Plagge

Als mein Mädchen zu Besuch kam (Peter Hacks)

Als mein Mädchen zu Besuch kam,

Unerwartet wie ein Lied,

Als ich sie dann auf das Tuch nahm,

Das mein Bette überzieht,

Als die Frösche und die Vögel,

Munter quarrten in der Nacht,

Habe ich von Gottes Regel

Besser als zumeist gedacht.

Als mit Lachen und mit Stöhnen,

Als mit zärtlichem Gelüst

An der Schönheit meiner Schönen

Ich mich noch nicht sattgeküßt,

Als der Morgensonne Prangen

Aus den Wiesen sich erhob,

Wußte ich dem Unterfangen

Seiner ganzen Schöpfung Lob.

Diese Nacht war von den Nächten,

Wo der Mensch die Liebe spürt,

Wo die Knoten sich entflechten,

Die man ihm ums Herz geschnürt,

Als mein Mädchen zu Besuch kam,

Unerwartet wie ein Lied,

Als ich sie dann auf das Tuch nahm,

Das mein Bette überzieht.

Peter Hacks (1928 – 2003)