Zwischen Pop und Dschihad - Julia Gerlach - E-Book

Zwischen Pop und Dschihad E-Book

Julia Gerlach

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Beschreibung

In den vergangenen Jahren hat sich eine neue islamische Jugendbewegung gebildet, die sich als Gegenpol zu Al Qaida versteht: Statt langer Bärte und Schleier trägt man Jeans und modische Kopftücher, an die Stelle von Terror sollen Fortschritt und Integration treten. Diese Jugendlichen ermorden weder ihre Schwestern aus falsch verstandener Ehre, noch bedrohen sie ihre Lehrer, oder haben sie die Absicht, sich einem Selbstmordkommando anzuschließen. Die Stars ihrer Pop-islamischen Bewegung sind vielmehr Prediger, Musiker und Talkmaster, die die Jugendlichen dazu anregen, sich in der westlichen Gesellschaft zu engagieren und zugleich die Regeln eines konservativen Islam zu befolgen.
Julia Gerlach hat über Jahre in muslimischen Gruppen Deutschlands und der islamischen Welt recherchiert und zeichnet ein differenziertes Bild von der neuen Jugendbewegung. Sie plädiert für eine Deeskalation in der öffentlichen Diskussion und eine Kooperation mit all jenen Kräften, die sich deutlich von der Gewalt distanzieren.

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Julia Gerlach

Zwischen Pop und Dschihad

Muslimische Jugendliche in Deutschland

Julia Gerlach

Zwischen Pop und Dschihad

Muslimische Jugendliche

Für K. und R.

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet überhttp://dnb.ddb.de abrufbar.

1. Auflage, September 2013 (entspricht der 1. Druck-Auflage von September 2006) © Christoph Links Verlag GmbH Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel.: (030) 44 02 32-0www.christoph-links-verlag.de, [email protected] Umschlaggestaltung unter Verwendung eines Fotos von © enciktat - Fotolia.com Satz: Petra Florath, Berlin

Inhalt

Einleitung

Die internationale Bewegung der Pop-Muslime

I love Islam! – Entstehung einer neuen Bewegung

Generation 11. September

Das Erwachen – Neue Identität und gutes Geschäft

Amr Khaled: Der Superstar unter den islamischen Predigern

Die Ursprünge der Bewegung

Amr Khaled und die Muslime in Europa

Amr Khaled und der Karikaturenstreit

Pop-Muslime in Deutschland

Die Idee wird aufgegriffen

Ich bin Muslim, und das ist hip! – Das neue Selbstbewusstsein

Tief religiös und trendbewusst – Pop-Islam und Mode

Islamfeind Nummer 1: Die westlichen Medien

Hintergrund: Die Landkarte des Islam in Deutschland

Die Lifemakers: Amr Khaleds deutsche Fans

Die Muslimische Jugend

Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs

Die Tür vor der Nase zugeschlagen – Das Gefühl der Ausgrenzung

Schwester Aischa zieht in den Kampf – Die Rolle der Frauen

Moschee ade? – Neue Angebotsvielfalt im Netz

Beim Imam des Vertrauens: Was passiert in den Hinterhöfen?

Mein Bruder, der Selbstmordattentäter – Junge Muslime und der Terror

Fazit: Freund oder Feind – Sind die Pop-Muslime gefährlich?

Dialog mit islamischen Gruppen

Gemeinsam gegen den Terror

Für eine Deeskalation im Kampf der Kulturen

Anhang

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Glossar

Dank

Abbildungsnachweis

Zur Autorin

Einleitung

London am 7. Juli 2005, morgens um kurz vor sieben. Die Überwachungskamera des Bahnhofes Luton zeigt vier junge Männer. Unauffällig. Sie tragen Jeans, Turnschuhe, Rucksäcke. Sie sprechen kurz miteinander und besteigen dann den Vorortzug nach Kings Cross. Dort trennen sich ihre Wege. Heiter, aber ohne große Geste verabschieden sie sich. Wenig später, um 8.50 Uhr, zünden fast zeitgleich der Sport-Student Shehzad Tanweer, 22, der Lehrer Mohammed Sidique Khan, 30, und der zum Islam konvertierte Jamaikaner Germaine Lindsay, 19, ihre Sprengsätze in voll besetzten U-Bahn-Zügen. Der Jüngste von ihnen, der 18-jährige Hasib Hussein, nimmt einen Doppelstockbus, geht auf das Oberdeck und lässt die Bombe in seinem Rucksack um 9.47 Uhr detonieren. Die vier Attentäter reißen 52 Menschen mit sich in den Tod. Über 700 werden zum Teil schwer verletzt. Erst Madrid, dann London. Der Terror hat Europa erreicht, und Deutschland: Wie können wir uns schützen?

Die Explosionen trafen London nicht unerwartet. Seit den Anschlägen auf New York und Washington 2001 rechneten viele damit, dass auch europäische Großstädte Ziel des Terrors werden könnten. Was Europäer an dem Anschlag von London besonders schockierte, war die Herkunft der Attentäter. Es waren nicht die aus Afghanistan eingeschleusten Al-Qaida-Killer. Die vier Attentäter kamen von nebenan. Es waren junge Männer, im nordenglischen Leeds aufgewachsen, scheinbar gut integriert. Mohammed Sidique Khan engagierte sich für die Jugendlichen seines Stadtteils, versuchte, sie von Drogen und Kriminalität fernzuhalten. Shehzad Tanweer spielte voller Begeisterung Kricket. Er half im Geschäft seines Vaters aus und verkaufte dort Fish and Chips. Mohammed Sidique Khan und Germaine Lindsay waren verheiratet. Ihre Frauen waren schwanger, als die Männer den Zünder ihrer Sprengsätze auslösten. Was brachte sie dazu? Zwei Jahre vor ihrer Tat begannen sich die vier Männer dem Islam zuzuwenden. Dem radikalen Islam. Sie reisten mehrmals nach Pakistan. Immer stärker kehrten sie sich von ihren Familien und der Gesellschaft ab. Vor der Tat verfasste Mohammed Sidique Khan eine Kriegserklärung an seine englischen Mitbürger: »Eure demokratisch gewählten Regierungen begehen fortwährend Grausamkeiten uns gegenüber, und eure Unterstützung dieser Regierungen macht euch direkt verantwortlich! Wir sind im Krieg, und ich bin Soldat!« Das Video, zusammengeschnitten mit einer Ansprache von Bin Ladens rechter Hand, Eiman al Sawahiri, wird Monate nach der Tat vom arabischen Satellitensender Al Dschasira ausgestrahlt. Die vier jungen Männer handelten im Sinne Usama Bin Ladens. Doch sie agierten auf eigene Faust. Das ist der Typ Attentäter, so die Terrorexperten, der Europas Sicherheit am meisten bedroht.

Die Attentäter von London haben eine tiefe Wunde mitten in die Gesellschaft geschlagen. »Eigentlich fahre ich nur noch sehr ungern U-Bahn«, erzählt Mohammed Hamza, ein Student, kurz nach den Attentaten. »Erstens ist mir selbst ein wenig mulmig, wenn ich an die Bomben denke. Zudem starren mich die Menschen an, und ich kann die Angst in ihren Augen sehen.« Auch in Deutschland werden die Blicke auf die Muslime misstrauischer. Könnte so etwas auch bei uns passieren? Die Sicherheitsexperten sagen ja. Deutschland ist trotz seiner Zurückhaltung im Irak-Konflikt mögliches Ziel des Terrors. Nach einer Umfrage des Allensbach-Instituts vom Mai 2006 rechnet knapp die Hälfte der Befragten mit einem größeren Anschlag in der Bundesrepublik. 42 Prozent vermuten unter den in Deutschland lebenden Muslimen Terroristen. Das ist erschreckend. In doppelter Hinsicht. Erstens weil die Angst reale Ursachen hat. Es ist nicht auszuschließen, dass auch Deutschland Ziel eines Anschlags wird und dass wir dabei Opfer von hausgemachtem Terror werden, dass die Attentäter aus Deutschland kommen. Zum anderen steigert die Angst das Misstrauen – und damit die Ausgrenzung junger Muslime, was wiederum die Terrorgefahr erhöht.

Jung. Männlich. Muslim. Nicht erst seit den Anschlägen von London haben junge Muslime im Westen keinen guten Ruf. Sie gelten als Problemfälle in Schule und Gesellschaft. Viele sehen in ihnen ein Sicherheitsrisiko. Der Mord an dem niederländischen Filmemacher Theo van Gogh Ende 2004, der Ehrenmord an der alleinerziehenden Mutter Hatun Sürücü in Berlin im Februar 2005, die randalierende Vorstadt-Jugend in Paris und Umgebung im November des gleichen Jahres, der Karikaturenstreit zu Beginn des Jahres 2006 und die Berichte über die Zustände an der Berliner Rütli-Schule, wo türkisch- und arabischstämmige Jugendliche ihre Lehrer terrorisierten, sind nur einzelne Beispiele. Sie bestätigen das Bild, das viele vom Islam haben. Vom Islam? In Deutschland leben rund 3,5 Millionen Muslime. Einer von ihnen hat Hatun Sürücü im Namen der kurdischen Familienehre erschossen. Ebenso reichen aber für einen verheerenden Anschlag in einer deutschen Großstadt auch einige wenige Einzeltäter. Sie sind es, die das Bild in den Köpfen ihrer Mitbürger prägen. Darüber ärgert sich die große Mehrheit der jungen Muslime, die mit Terror, Gewalt und Ehrenmord nichts zu tun haben wollen, die weder Autos anzünden noch ihre Lehrer terrorisieren.

Um diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen soll es im vorliegenden Buch gehen. Wie leben sie? Was wollen sie und wie sehen sie unsere Gesellschaft? Mehr als 50 Interviews, lange Gespräche, Besuche in Moscheen, Jugendzentren und bei Großveranstaltungen sind die Grundlage für diesen Blick in die Welt der jungen Muslime in Deutschland. Worin sehen sie die Ursache für die Gewalt, die von ihren Alters- und Glaubensgenossen im Namen des Islam verübt wird, und was können wir – gemeinsam – gegen die Bedrohung tun? Wie kann verhindert werden, dass in Deutschland aufgewachsene Muslime unsere Gesellschaft so hassen, dass sie bereit sind, ihre Mitbürger in den Tod zu schicken? Wie sehen andere junge Muslime die Attentäter? Sind es Helden, Märtyrer oder Verbrecher? Die Anschläge von London wurden von der überwiegenden Mehrheit der islamischen Organisationen und Würdenträger verurteilt. Im Internet fanden sich jedoch auch Lobeshymnen, und in manchem Jung-Muslim-Treff in Deutschland wurden die Attentäter ebenfalls bejubelt. Dieses Band der Solidarität zwischen den fanatisierten Kämpfern und einer größeren Masse von mehr oder weniger frommen jungen Muslimen – wie kann es zertrennt werden? Wie kann also verhindert werden, dass Hass und Terror in Deutschland Anhänger und Unterstützer finden?

Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die in diesem Buch zum Teil ausführlich zu Wort kommen, haben mehrere Gemeinsamkeiten. Sie sind alle in Deutschland aufgewachsen, sind religiös. Sie sind zugleich religiöser und erfolgreicher als die Mehrheit der jungen Muslime in unserem Land, und: Sie wollen etwas verändern. Im Namen des Islam engagieren sie sich in Jugendprojekten, in der Moscheegemeinde oder in selbstgegründeten Frauenzentren. Sie schmieren Butterbrote und verteilen sie an Obdachlose im Frankfurter Bahnhofsviertel, sie unterrichten Deutsch für türkische Importbräute oder tingeln durch Moscheen und predigen einen moderaten, weltoffenen Islam. Viele von ihnen besuchen das Gymnasium, studieren oder haben zumindest Realschulabschluss und Ausbildungsvertrag in der Tasche. Sie zählen auch insofern zu einer Minderheit. Man könnte sie als Vorhut oder Trendsetter bezeichnen, denn sie alle stehen für eine neue Strömung im Islam: die pop-islamische Bewegung.

Diese neue Variante des Islam ist ursprünglich in der arabischen Welt entstanden. Ende der neunziger Jahre begannen Prediger wie der Ägypter Amr Khaled eine freundlich-erfolgsorientierte Botschaft unter der Kairoer Mittelschicht zu verbreiten. Inzwischen hat er Millionen Anhänger, die seinen TV-Sendungen lauschen und in seinem Sinne aktiv werden. Sie nehmen ihr Leben in die eigene Hand. Statt darauf zu warten, dass der Staat ihnen Jobs gibt, gründen sie selbst Kleinbetriebe. Sie sind jung, tief religiös und trendbewusst – und sie wollen die Umma, die Gemeinschaft der Gläubigen, aus dem Sumpf ihrer Probleme ziehen. Sie lesen den Koran nicht als Anleitung zum Bombenbau, sondern suchen darin Belehrung für ein besseres, erfolgreicheres Leben. Sie wollen dem Terror etwas entgegensetzen, weil sie Gewalt für den falschen Weg halten und weil sie sich darüber ärgern, dass seit den Anschlägen des 11. September 2001 Islam und Terror für viele im Westen als Synonyme gelten. Viele von ihnen rieben sich die Augen, als sie die Bilder der Flugzeuge im World Trade Center sahen. Ist das wirklich meine Religion, die so etwas befiehlt? fragten sie sich und schauten im Koran nach. Mit dem Lesen in der Heiligen Schrift kam für viele der Glaube und schnell auch das Engagement. So auch unter jungen Muslimen in Deutschland. Hin- und hergerissen zwischen den traditionellen Vorstellungen ihrer Eltern, die aus dörflichen Verhältnissen der Türkei oder der arabischen Welt eingewandert sind, und den Anforderungen des Daseins als Jugendliche in der westlichen Gesellschaft, sehen viele in der Hinwendung zum Islam einen guten Mittelweg. Sie sind selbstbewusste Muslime. Die Mädchen tragen voller Überzeugung das Kopftuch. Schick muss es sein, denn Mode spielt für die jungen Gläubigen eine wichtige Rolle. Die Jungen gehen am Samstagabend lieber zum Koranstudium in die Moschee als in die Disco. Ihr Islamverständnis ist anders als das ihrer Eltern. Ihr Lebensgefühl unterscheidet sie von ihren Mitschülern. Sie gehen eigene Wege.

Die Bewegung ist ebenso global, ebenso fromm und ebenso aktionsorientiert wie Al Qaida, doch sie hat sehr viel mehr Anhänger. Die Pop-Muslime sind eine Art Avantgarde. Viele ihrer Ideen werden von der breiten Masse der gläubigen Muslime geteilt. Die Pop-Muslime sind aber auch deswegen besonders spannende Gesprächspartner, weil sie alles durcheinander bringen. Ihre Mischung aus Islamismus und westlichem Lifestyle, die Herausbildung einer eigenen islamischen Etikette, die beispielsweise den Umgang der Geschlechter in islamisch korrekter Weise regelt, und zugleich der unbedingte Wille, in der deutschen Gesellschaft erfolgreich zu sein, sprengen die herkömmlichen Raster. Einerseits gehören viele von ihnen zu islamistischen Organisationen, die vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft werden. Andererseits scheinen sie geeignete Ansprechpartner zu sein, wenn es darum geht, Konzepte und Strategien zu entwickeln, wie Muslime in Deutschland besser integriert werden können. Was sind das für junge Menschen? Was wollen sie und wie soll die deutsche Gesellschaft auf sie reagieren?

Der Begriff Pop-Islam steht für den Remix der Lebensstile. Die Jugendlichen greifen westliche Mode, Musik und TV-Kultur auf und versehen sie mit islamischem Vorzeichen. Pop steht hier einerseits für das moderne, westliche Element der neuen Jugendbewegung; Pop-Musik gilt seit dem Erfolg des frommen Sängers Sami Yusuf als islamkompatibel, und die Verehrung mancher der Prediger erinnert an die Vergötterung westlicher Pop-Stars. Zugleich steht Pop auch für das Gewöhnliche. Pop-Kultur im Sinne der von der Frankfurter Schule beschriebenen Kulturindustrie bezeichnet eine marktkonforme, nicht sehr subtile, nicht sehr intellektuelle und vor allem wenig emanzipatorische Mainstream-Kultur. Zu eingängiger Pop-Musik wippt fast jedem automatisch der Fuß. Wenn Amr Khaled seine Gebete spricht, dann treten auch gestandenen Männern die Tränen in die Augen. So wie Klassik-Liebhaber einerseits und die Freunde der Independent-Musik andererseits ihre Nase über Madonna-Fans rümpfen, grenzen sich sowohl Islamgelehrte als auch Anhänger radikalpolitischer islamischer Bewegungen vom Pop-Islam ab. Ihnen ist die Botschaft der hippen Prediger zu flach, zu allgemeinverträglich und zu konformistisch. Man könnte die Anhänger der Jugendbewegung als Islamisten bezeichnen. Sie vertreten alle ein ganzheitliches Islamverständnis, sehen Politik und Religion selbstverständlich als eine Einheit. Sie nehmen die Religion als Leitlinie für das politische Handeln. Allerdings wird in manchen Teilen der öffentlichen Diskussion der Begriff des Islamismus weitergehend definiert. Schaut man in den Verfassungsschutzbericht, so zeichnen den Islamisten darüber hinaus seine Intoleranz und eine generelle Demokratie-Unverträglichkeit aus. Dies kann so pauschal den Anhängern des Pop-Islam nicht nachgesagt werden. Zudem haben viele der Jugendlichen ein puzzleartig zusammengesetztes Weltbild und ein ebensolches Islamverständnis. Eine genaue Beschreibung erscheint daher angemessener als das eher pauschale Islamisten-Label.

Ludwig Ammann beschreibt in seinem Buch »Cola und Koran« diese Bewegung und nennt sie »islamisches Erwachen«. Mecca-Cola, die islamisch korrekte Konkurrenz amerikanischer Brause, ist für ihn das perfekte Symbol des neuen Selbstverständnisses junger Muslime. Patrik Haenni nennt den neuen Trend »Konsum-Islam«. Andere, wie Jocelyne Cesari, Ralph Grillo und Benjamin Soares behandeln die Identitätssuche junger Muslime im Westen unter dem größeren Stichwort »transnationaler Islam« und rücken die globalen Verbindungen und die Wechselwirkung zwischen islamischen Gemeinschaften in verschiedenen Teilen der Welt ins Zentrum der Betrachtung.

Ausgangspunkt für das vorliegende Buch war ein Donnerstagabend in einer halbfertigen Riesenmoschee am Rande Kairos. Mehrere tausend Jugendliche versammelten sich, um der Stimme ihres Stars zu lauschen: Amr Khaled. Das war 2002. Interviews mit den anderen Helden der neuen Bewegung wie Sami Yusuf und dem TV-Gelehrten Scheich Qaradawi, Begegnungen mit zahlreichen Aktivisten der verschiedenen islamischen Strömungen von moderat bis militant in arabischen Ländern sowie unzählige Begegnungen mit ganz normalen Jugendlichen und viele Stunden arabische Talkshows, Vorabendserien und Nachrichtensendungen im Fernsehen bilden die Grundlage der vorliegenden Beschreibung. Die Beobachtungen aus der arabischen Welt waren der Anknüpfungspunkt für die Gespräche mit jungen Muslimen in Deutschland. Obwohl der Pop-Islam – ähnlich wie sein Gegenpart, der Dschihad-Islam – seinen Ursprung in der arabischen Welt hat, teilen auch viele türkische Jugendliche in Deutschland die Ideen. Manche greifen die Anschauungen des Predigers Amr Khaled auf und entwickeln sie weiter, ohne dass sie seine Sendung im Fernsehen verfolgen. Selbst die raffinierte Art Kairoer Studentinnen, das Kopftuch zu binden, findet man bei jungen Frauen an der Universität Frankfurt wieder.

Im ersten Teil des Buches werden die Entstehung der pop-islamischen Bewegung, ihre Wurzeln und ihre Anhänger in der arabischen Welt beschrieben. Im Hauptteil kommen die Pop-Muslime in Deutschland zu Wort. Im dritten Teil – als Schlussfolgerung des Vorherigen – soll es um Fragen des gesellschaftlichen Umgangs mit dieser neuen Bewegung gehen. Angesichts der zunehmenden Bedrohung der deutschen Gesellschaft durch Terror und Gewalt im Namen des Islam scheint es dringend an der Zeit, eine gesellschaftliche Anti-Terror-Strategie zu entwickeln – und nicht nur eine militärische. Am Anfang steht die Einsicht, dass uns nichts anderes übrig bleibt, als zusammenzuleben. Der Karikaturenkonflikt sollte uns eine Lehre sein. Statt uns weiter ins Getümmel zu stürzen, ist es höchste Zeit, die Notbremse zu ziehen. Wir sind alle aufgefordert, Verantwortung zu übernehmen. Was wir brauchen, ist eine Deeskalation im Kampf der Kulturen.

Die internationale Bewegung der Pop-Muslime

I love Islam! – Entstehung einer neuen Bewegung

Der Islam hat ein neues Gesicht. Ein ziemlich cooles. Halblange Haare, eine randlose Brille und einen Zweieinhalbtagebart: Sami Yusuf fläzt sich auf einem abgewetzten Ledersofa. Aus den Studioboxen erklingt seine Stimme. Immer wieder die gleichen Akkorde seines neuen Songs. Der Toningenieur schiebt am Regler. Ein bisschen mehr Bass oder den Gesang noch etwas verstärken? Sami Yusuf traktiert ihn mit Albernheiten. Tonstudioatmosphäre. Es fehlen nur der überquellende Aschenbecher und die Flasche Whisky. Doch so was gibt es nicht, wenn Sami Yusuf in seinem Lieblingsstudio in Kairo ein Lied aufnimmt. Er ist frommer Muslim, und das ist ihm wichtig. Er ist das Idol der Pop-Muslime. Sie versehen Musik, Talkshows und Mode mit islamischem Vorzeichen und eignen sie sich dadurch an. Fünf Mal am Tag beten und fasten im Monat Ramadan, das ist nicht mehr nur was für alte Leute und Langbärte. Seit es diese schicken neuen Kopftücher und die Sweatshirts mit Dawa-Aufdruck gibt, kann es sogar richtig cool sein, an Gott zu glauben. Wer Dawa mit Mission übersetzt, bekommt von überzeugten Muslimen gleich einen Rüffel. Dawa bedeutet wörtlich Einladung, und es ist eine Pflicht für jeden Muslim, andere Menschen zum Glauben einzuladen. Und das tun die Pop-Muslime: Sie wollen den Islam verbreiten – ihre Lesart der Religion. Die neue Jugendbewegung nennt sich Sahwa (Erweckung) und stellt sich damit in die Tradition früherer islamischer Jugendbewegungen. Allerdings ist die neue Sahwa ziemlich unpolitisch, spaßorientiert und versteht sich als Gegenbewegung zum engstirnigen Dschihad-Islam von Usama Bin Laden und anderen. Mit den Typen, die im Irak Ausländer entführen und köpfen, die in europäischen Städten Massaker in U-Bahnen anrichten oder in Ägypten Touristen-Cafés in die Luft sprengen und dies im Namen des Islam tun, wollen sie nichts zu tun haben. Sie ärgern sich darüber, dass die Terroristen das Bild des Islam bestimmen, obwohl die Anhänger des -Islam nur eine winzige Minderheit ausmachen. In den vergangenen Jahren hat es in der islamischen Welt eine massive Hinwendung zur Religion gegeben, gerade unter jungen Menschen. Die große Mehrheit von diesen neuen jungen Gläubigen hält den Islam für eine friedfertige Religion. Wer will schon Usama Bin Laden zuhören, wenn Sami Yusuf gerade eine neue CD herausgebracht hat?

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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