24 Satiren - Christian Springer - E-Book

24 Satiren E-Book

Christian Springer

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Beschreibung

Die 24 Satiren gliedern sich in Allgemeine Satiren und Musiksatiren. Die unter Musiksatiren gesammelten Texte beziehen sich auf die Welt der klassischen Musik. Beide Gruppen enthalten Realsatiren. Die Auswahl der Sujets ergibt sich aus der beruflichen Tätigkeit des Autors als Übersetzer, Musikhistoriker und Kritiker. Letztere Tätigkeit erklärt auch die Herangehensweise an bestimmte Themen. Der bei manchem Leser bei der Lektüre des einen oder anderen Textes möglicherweise entstehende Eindruck von mangelnder political correctness (ein Begriff, der in der heutigen Anwendungspraxis selbst schon etwas Satirisches in sich trägt) ist in der nicht-satirischen Realität unzutreffend. Er ist einzig und allein auf die den jeweiligen Themen innewohnende und somit von diesen geradezu eingeforderte Art der satirischen Behandlung zurückzuführen. Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen ist mehr oder minder zufällig. Die bei vielen Publikationen aus verschiedenen Gründen übliche Danksagung richtet sich im vorliegenden Fall deshalb an all jene, die dankenswerter Weise Anlass zu satirischer Betrachtung gegeben haben.

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24 SATIREN

von

Christian Springer

Impressum:

24 Satiren von Christian Springer

published by: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Copyright: © Christian Springer

ISBN 978-3-7450-6869-6

Für Christine

INHALT

VORWORT

ALLGEMEINE SATIREN

DEUTSCHLAND UND ÖSTERREICH

DIE RUMPFHUBERS

VOM CHARISMA

AKADEMIKER UNTER SICH

EXPERTEN

Allgemeines Expertentum

Finanzexperten, Selbstdarstellungsexperten

X-perten

Intellektuelle Experten

Musik-Experten

Sport-Experten

Wissenschafts- und Plagiier-Experten

Medizin-Experten

Adels-Experten

Fazit

GELEBTE XENOPHOBIE

TAUSCHE WÄHLERSTIMMEN GEGEN STRAFFREIHEIT oder DIE VERTEIDIGUNG DER DEMOKRATIE

ZUCKERERS FLUCHTEN oder DIE ERBSCHAFT

ARSCHKRIECHEN – THEORIE UND PRAXIS

OOPS!

ER HEISST ALOIS

MUSIKSATIREN

DER SÄNGER UND DIE REALITÄT

DER APPLAUS DER WISSENDEN

DER INTENDANT

DER SCHAUSPIELELEVE

DER SINGENDE AUGENARZT

DIE MEHRFACHERKLÄRER

DIE OPERNLOGE

EHRLICHKEIT UND WITZ

EINE FRAGE DER GRÖSSE

DER SCHOTTE SHAKESPEARE IN ZYPERN

KOTTAN LEBT!

SOLDATEN IN DER OPER

GIUSEPPE VERDIS JAPANISCHE OPER

VORWORT

Die folgenden Satiren gliedern sich in Allgemeine Satiren und Musiksatiren. Die unter Musiksatiren gesammelten Texte beziehen sich auf die Welt der klassischen Musik. Beide Gruppen enthalten Realsatiren. Der bei manchem Leser bei der Lektüre des einen oder anderen Textes möglicherweise entstehende Eindruck von mangelnder political correctness (ein Begriff, der in der heutigen Anwendungspraxis selbst schon etwas Satirisches in sich trägt) ist in der nicht-satirischen Realität unzutreffend. Er ist einzig und allein auf die den jeweiligen Themen innewohnende und somit von diesen geradezu eingeforderte Art der satirischen Behandlung zurückzuführen. Jede Ähnlichkeit mit toten oder lebenden Personen ist mehr oder minder zufällig. Die bei vielen Publikationen aus verschiedenen Gründen übliche Danksagung richtet sich im vorliegenden Fall deshalb an all jene, die dankenswerterweise Anlass zu satirischer Betrachtung gegeben haben.

Ch. S.

ALLGEMEINE SATIREN

DEUTSCHLAND UND ÖSTERREICH

Das Verhältnis zwischen Deutschland und Österreich hat einen Namen. Er ist spanisch und lautet aus österreichischer Sicht „Cordoba“. Die meisten Konflikte werden in der Neuzeit zwischen zivilisierten, westeuropäischen Ländern bekanntlich nicht mehr auf Schlachtfeldern, sondern in Fußballstadien ausgetragen. Damit sind nicht die handgreiflichen Auseinandersetzungen randalierender Hooligans gemeint, sondern Länderspiele, bei denen Nationen auf der Suche nach Siegen durch je elf balltretende Spieler vertreten werden. Überflüssig zu sagen, dass das Ansehen der vertretenen Nationen in diesem Moment einzig und allein in den Händen (beziehungsweise Beinen, Füßen und Köpfen) dieser Spieler liegt.

Im Zuge einer solchen Konfrontation hat der österreichische Nationalheld Johann Krankl, ein aus der Wiener Vorstadt stammender Fußballer, der sich neben der gut honorierten Beherrschung des damals noch als „Einnetzen“ bezeichneten Vorgangs hauptsächlich durch eine profunde Trainererkenntnis („Z’erst müass’ma gwinnan, ollas ondare is primär“) sowie durch die bis heute beibehaltene urwüchsige Verwendung der deutschen Sprache hervortat, in Cordoba anno 1978 einen Stellvertreterkrieg des kleinen Österreich gegen das große Deutschland gewonnen. Darauf baut das Selbstbewusstsein der Ösis, die zu der Zeit noch Österreicher hießen, bis heute auf: Wir sind David, der Goliath in die Suppe spuckt.

Begleitet wurde dieses – in jedem Sinn des Wortes: einmalige – Ereignis von der nicht unbedingt spontan klingenden, dafür aber lautstarken Ankündigung eines österreichischen Sportreporters im Radio über den unmittelbar bevorstehenden Verlust seines Verstandes („I wer’ naaarisch!!!“). Ob dieser Verlust eingetreten ist, ist nicht bekannt, jedenfalls strapaziert der bis heute in Radio und TV bis zum Überdruss wiederholte Urschrei den Verstand jener Österreicher, die ihn bis heute behalten haben. Bei den anderen, darunter die Erben des Reporters, dürfte das nicht der Fall sein, denn sie reichten gegen die Verwendung des dialektalen Reporterausrufs als Handyklingelton wegen Urheberrechtsverletzung eine Markenschutzklage ein. Diese wurde allerdings vom Obersten Gerichtshof abgewiesen, denn der Ausruf sei „keine geistige Leistung“, ja nicht einmal „eine originelle Wortwahl“, sondern bloß ein „Jubelruf in gebräuchlicher Wiener Mundart“. Der Anwalt der Erben will damit jetzt vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen. Daraus erhellt, dass es offenbar ein Menschenrecht auf Verstandesverlust gibt.

Bis zu einem gewissen Grad schwelt der nationale Fußballkomplex auch heute noch weiter, insofern, als der FC Bayern München ungeachtet (oder wegen) interessanter finanzieller Transaktionen seines Präsidenten anscheinend unbemerkt in österreichischen Besitz übergegangen ist. Wer die Berichte österreichischer Medien über den bei diesem Verein tätigen österreichischen Fußballer David Alaba verfolgt, wird bemerkt haben, dass dort immer von „David Alabas Bayern“ die Rede ist, was den Schluss auf Privatbesitz zulässt. Allerdings könnte man sich den Besitz auch auf den ganzen Freistaat ausgedehnt vorstellen, was mit der Wiederherstellung der Monarchie der 1918 abgesetzten Wittelsbacher zur Krönung von Herrn Alaba zum König von Bayern als David I. führen könnte, die dem Fußballclub vielleicht gar nicht unangenehm wäre. Auch Herr Alaba stammt aus einer Wiener Vorstadt, diesfalls aus dem transdanubianischen Aspern (im 22. Wiener Gemeindebezirk), wo Erzherzog Karl 1809 Napoleon Bonaparte die erste Niederlage zufügte und den Nimbus seiner Unbesiegbarkeit kurzfristig zerstörte, was mit Herrn Krankls Triumph aber nicht zu vergleichen ist.

Viele Deutsche und dementsprechend weniger Österreicher – die Einwohnerzahl Österreichs beträgt rund 10% von jener Deutschlands – kennen das Karl Kraus zugeschriebene Diktum „Was die Deutschen und die Österreicher trennt, ist ihre gemeinsame Sprache“. Es trifft zwar als Faktum zu, doch stammt der Ausspruch definitiv nicht von Kraus, denn er ist erst nach 1945 aufgetaucht.

Gemeint ist damit nicht der Unterschied zwischen Faschiertem und Hackfleisch, Erdäpfeln und Kartoffeln, Sackerln und Tüten, Schlagobers und Schlagsahne, Marillen und Aprikosen, faschierten Laberln und Bouletten, sondern die allgemeine Verwendung der Sprache. Es ist eine bekannte Tatsache, dass Hochdeutsch für viele Deutsche die auch im wirklichen Leben und im privaten Kreis verwendete Muttersprache ist. Anders in Österreich: Hier ist Hochdeutsch generell eine schlecht gesprochene Fremdsprache, derer sich Adelige sehr gut (wenn auch geziert und nasal), Schauspieler (die ihre Texte auswendig gelernt haben) relativ gut (wenn auch gespreizt) und Politiker ziemlich mühsam bedienen. Nur einem österreichischen Politiker kann es einfallen, öffentlich von „Mitgliedern und Mitgliederinnen“ zu sprechen, wie es ein österreichischer Gewerkschafter getan hat, oder gar von „Angestellten und Angestelltinnen“, wie es seinem Chef, dem Präsidenten des österreichischen Gewerkschaftsbundes, späterem Sozialminister und erfolglosem Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten zwanglos von den Lippen geflossen ist. Anscheinend hatten die Herren irgendwo etwas vom feministisch zwangsverordneten Sprachgendering aufgeschnappt, wussten aber aufgrund mangelhafter Kenntnisse der Hochsprache nicht, wie sie damit umgehen sollten. Dass die Sprache die Mutter des Gedankens ist – oder sein sollte –, ist nicht allen österreichischen Politikern bekannt.

Neben Politikern sind es vor allem Sportler und sportaffine Personen, die durch originelle Sprachpflege auffallen. Einige wenige Zitate belegen dies:

„Mal verliert man und mal gewinnen die anderen.“ (Otto Rehhagel)

„Jeden Platz, den sie vorfahren, haben sie gutgemacht.“ (Nikolaus Lauda)

„Mailand oder Madrid – Hauptsache Italien!“ (Andreas Müller)

„Die Schweden sind keine Holländer – das hat man ganz genau gesehen.“ (Franz Beckenbauer)

„Algorithmus – das sage ich jetzt nicht, um mit einem Fremdwort zu imprägnieren.“ (Mehmet Scholl)

„Wir haben 99 Prozent des Spiels beherrscht. Die übrigen drei Prozent waren schuld daran, dass wir verloren haben.“ (Ruud Gullit)

„Der Sticker ist in memorandum John Button.“ (Reporter Kai Ebel beim GP Australien 2014 zum Ableben des Vaters des F1-Piloten Jenson Button)

Die beeindruckende Dominanz der sprachgewandten Fußballer lässt uns bei dieser Sportart verharren. So manche Genderbesessene mag der Schlag gerührt haben, als eine Dame aus der Riege der deutschen Fußball-Damen-Nationalspielerinnen ihr sportliches Kollektiv als „Mannschaft“ bezeichnete. Ja darf es denn so etwas in unserer gegenderten Welt überhaupt geben? Eine Damen-Mannschaft, also etwas Weibliches, Herrenloses, mit männlichem Namen?

Die Ungenauigkeit in der Bezeichnung der Herkunft von Personen, auch abseits des Sports, ist in beiden Ländern verbreitet und wird nach wie vor im kollektiven Bewusstsein gepflegt. So ist in Österreich allgemein bekannt (und wird möglicherweise auch an Schulen im Musikunterricht – sofern es einen solchen überhaupt noch gibt – so vermittelt), dass Ludwig van Beethoven und Johannes Brahms nicht nur in Wien gelebt und gewirkt haben und dort auch gestorben sind, sondern Österreicher waren, Adolf Hitler allerdings ein Deutscher. Bei Mozart tut man sich da schon schwerer. Das Musikgenie wurde zwar in Salzburg geboren, doch gehörte seine Geburtsstadt in seinem Geburtsjahr 1756 gar nicht zu Österreich, sondern zu Bayern. Was also ist Mozart – ein Bayer (sein Großvater stammte immerhin aus Augsburg und Vater Leopold wurde in Salzburg auch noch als „Zuagrasta“, das heißt als „Zugereister“, somit als Fremder wahrgenommen), ein Deutscher oder ein Österreicher? Und vor allem: Was ist die Mozartkugel? Eine bayerische, eine deutsche oder eine österreichische Spezialität? Und wenn sich herausstellt, dass Mozart tatsächlich ein Bayer war, wird dann die Mozartkugel in Unkenntnis ihrer wahren Bestimmung möglicherweise am Münchener Oktoberfest für urwüchsige Wurfspiele zweckentfremdet?

Das führt uns zu Emanuel Schikaneder, der als Textdichter von Mozarts Zauberflöte und Prinzipal eines Alt-Wiener Vorstadttheaters gemeinhin als prototypischer Urwiener gilt. Wie enttäuscht wären die Wiener, wüssten sie, dass er aus Straubing in Bayern stammte! Darüber tröstet auch der Ausspruch nicht hinweg, Österreicher seien der missglückte Versuch, aus einem Bayern einen Italiener zu machen.

Das wirft auch gleich die Frage nach den Namen der beiden Staaten auf: Sie lauten Österreich und Deutschland. Dass Österreich ein Reich im Namen trägt, mag geschichtliche Gründe haben. Sollten die Staaten aber aufgrund der aktuellen Größenverhältnisse nicht besser Österland und Deutschreich heissen? Das wäre gewiss zutreffend, gäbe es da nicht die Reminiszenz an unselige Zeiten, deren Ende die Österländer perfiderweise dazu benutzten, sich als unfreiwilliges Opfer Deutschreichs zu deklarieren, möge das der Wahrheit entsprechen oder eher doch nicht.

Da diese Überlegungen zu nichts außer zu Geschichtsfälschung führen, sei ein weiterer diesbezüglicher Gedanke gestattet. Österreich hat eine Bundeshymne, Deutschland eine Nationalhymne. Letztere ist „die alte österreichische Kaiserhymne“, die den Österreichern von den Deutschen „gestohlen“ wurde, wie es der Pastoraltheologe Paul Zulehner am 16. Juli 2011 anlässlich des Begräbnisses von Otto von Habsburg auszudrücken beliebte. Das klingt unfreundlich und war auch so gemeint, doch haben beide Hymnen so ihre Tücken.

Zwar dürfte die jetzige deutsche Nationalhymne von Joseph Haydn, einem Burgenland-Österreicher stammen, doch leitet sich ihre Melodie von einem kroatischen Volkslied her. Das würde die Rückholung der Hymne nach Österreich zumindest dem xenophoben Teil der Bevölkerung und der Partei, von der ersterer vertreten wird, unmöglich machen.

Umgekehrt ist es möglich, dass die österreichische Bundeshymne, die wegen des „Diebstahls“ der österreichisch-kroatischen Kaiser-Bundeshymne als Ersatz für dieselbe eingeführt wurde, gar nicht, wie in überschäumender Prominentenliebe und anbiederischer Identifikationslust gerne behauptet wird, von W.A. Mozart stammt, sondern höchstwahrscheinlich von seinem weithin unbekannten Logenbruder, dem Korneuburger Freimaurer Johann Baptist Holzer (1753-1818). Der schrieb im Jahre 1784 eine Komposition nieder, die die nationale Kennmelodie möglicherweise zu einer Hymne zweiter Wahl degradiert. Dass der schwache, schon vor seiner Verwendung in der Bundeshymne stark abgeänderte Text der Paula von Preradović (1887-1951), die im übrigen ebenso unbekannt geblieben ist wie Herr Holzer, nach vierundsechzig Jahren praktischer Hymnenanwendung von genderwütigen Sprachvandalinnen beanstandet und in einen absurden Holpertext umgewandelt wurde, ist ein österreichischer Gewaltakt der Sonderklasse. Rechtsrechte österreichische Politiker und deren Parteigänger sagen zwar: „Wir singen, was wir wollen“, doch ist nicht ersichtlich, ob sie damit die prä- oder die postsprachvandalische Version der Bundeshymne oder vielleicht doch Liedgut aus den tausend Jahren zwischen 1933 und 1945 meinen.

Österreichische Besonderheiten finden sich im übrigen sonder Zahl. Seien es die Gipfelkreuze, von denen ein FPÖ-Politiker allen Ernstes glaubte, sie würden durch Halbmonde ersetzt, seien es die zahllosen Verniedlichungen, Verharmlosungen und Verkleinerungen der österreichischen Ausformung der deutschen Sprache. Was ein gestandener Österreicher ist, der hat keinen Schlaganfall, sondern ein Schlagerl, der trinkt keinen Kaffee, sondern ein Kaffeetscherl, der lutscht kein Bonbon, sondern ein Zuckerl, der verspeist eine rosafarbene Süßspeise, die er liebevoll – auch wenn sie ein Viertel Kilo wiegt und 1.000 kcal hat – Punschkrapferl nennt, der isst keine Semmel, sondern ein Semmerl, keinen Pilz, sondern ein Schwammerl, und schon gar nicht ein Schnitzel, sondern ein Schnitzerl, möge es noch so fettriefend über den Tellerrand herabhängen. Das gilt auch für das schwergewichtige Back- oder Brathuhn, das trotz eines Lebendgewichts von 2,5 kg zu einem Henderl minimiert wird. Allein das Kipferl erhebt zu Recht Anspruch auf die Vollgültigkeit der Verkleinerungsform, ist doch kein Kipf bekannt, das als Grundlage für eine solche gelten könnte. Um sein Alkoholproblem zu beschönigen, trinkt der Österreicher nur Vierterln und Achterln, Krügerln, Stamperln und Glaserln, als würde das den Alkoholgehalt der Getränke oder seinen Leberschaden verringern. Wenn er einen über den Durst getrunken hat, weil er ein Tröpferl zu sich genommen hat, hat er zumeist nur ein Schwipserl. Ein Räuscherl hat er erst zwischen 4 und 6 Promille, wenn andere bereits im Koma liegen oder schon tot sind. Und wenn er fremdgeht, hat er nur ein Pantscherl (um selbiges noch weiter herunterzuspielen, gibt es in einem Wiener Lied sogar den allerliebsten Versuch der Verkleinerung der Verkleinerungsform: „A klan’s Pantscherl“. Mit welchen minimalistischen Praktiken das vollzogen wird, ist nicht bekannt.). Selbst seine Frau, Freundin oder Geliebte macht er klein und niedlich, auch wenn sie 160 Kilo wiegt und eine Xanthippe ist: sie mutiert zum Schatzerl oder Haserl. Wenn ein österreichischer Sportler etwas gewinnt, erklimmt er bei der Siegerehrung kein Podest, sondern ein Stockerl. (Der österreichische Wintersport-TV-Co-Kommentator Thomas Sykora hat das noch verfeinert: Er nannte zu Saisonende 2016 einen Podestplatz ein „Stockerlplatzerl“.) Er nimmt dort auch keinen Pokal entgegen, sondern ein Häferl. Er hat in seiner Wohnung kein kleines Zimmer oder Kabinett, sondern ein Kammerl, er bringt in seinem Auto keine Mautvignette an, sondern ein Pickerl, sein Haustier ist kein kleinwüchsiger Hund (wie z.B. ein Rehrattler), sondern ein Krewegerl, sein Kind ist, sofern es eklatante Lernschwächen hat, ein Depperl, und ein Kleinwüchsiger in seinem Bekanntenkreis ist ein Zwergerl. (Wie groß muss man in Österreich eigentlich sein, um – wenn auch politisch unkorrekt – wenigstens als vollwertiger Zwerg behandelt zu werden? Und wieso gibt es darüber keine EU-Richtlinie?) Die Fliege, die er sich umbindet, ist ein Mascherl, und falls er jemanden faktisch oder metaphorisch hinterrücks meuchelt, so ist die Hacke, mit der er das tut, nur mehr ein Hackel, was ebenfalls eine Verniedlichungsform darstellt. Und wenn Choristen der Wiener Staatsoper bei Begräbnissen privat gesanglich aktiv werden, nennen sie das „Graberl singen“, vielleicht, um den Tod zu neutralisieren, weil jemand, der kein ausgewachsenes Grab bekommt, auch nicht ganz tot sein kann, oder einfach nur, um diese lukrative Nebentätigkeit kleinzureden und deshalb steuerschonend behandeln zu können. Man ist nachgerade erstaunt, dass Österreicher nicht an einem Krebserl sterben. Prof. Freud hätte über all das jedenfalls eine ausgewachsene Freud’ und kein Freuderl gehabt.

So ist es auch verständlich, dass die Österreicher ihren Lieblingssport, mit dem sie all die erniedrigenden Fußballniederlagen der Vergangenheit (wie jene gegen die Färöer oder das unrühmlich frühe Ausscheiden bei der EM 2016) auf nationaler Ebene kompensieren, Skifahren nennen und damit anzeigen, dass es sich um eine durch und durch erwachsene, nicht verniedlichbare Sportart handelt. Dass sie harmlos sei, wird kein Arzt behaupten, der in der Nähe eines Skigebiets praktiziert. Immerhin als Skifahrer und Unfallopfer sind die Österreicher Weltcupsieger, Weltmeister und Olympiasieger.

DIE RUMPFHUBERS

Familie Rumpfhuber – Vater, Mutter und zwei wohlgeratene Kinder – verbrachte ihren Urlaub im warmen Süden. Man gab sich den üblichen, harmlosen Vergnügungen hin und genoss das Leben in Maßen.

Dr. Gotthold T. Rumpfhuber, Sohn des in Fachkreisen geschätzten Ägyptologen Adolf Rumpfhuber sel. (das T. im Namen von Rumpfhuber jun. steht für Tutmoses) gehörte dem höheren Beamtentum an, übte seinen ministerialen Beruf mit Begeisterung aus, obwohl er im Laufe der Jahrzehnte den Glauben an das Gute im Menschen zusehends verlor, und war ein gesetzestreuer Bürger. Obwohl sein Studium viele Jahre in Anspruch genommen hatte und zu jener Zeit die Kunde ging, er würde noch im Pensionsalter studieren, hätte seine damalige Verlobte und spätere Frau, eine bodenständige Realistin, ihn nicht zum Studieren animiert, indem sie ihn kontinuierlich in den Allerwertesten trat, konnte er für sich in Anspruch nehmen, seinen Studienabschluss korrekt und nicht nach der beliebten Guttenberg-Methode erreicht zu haben. Er parkte nicht falsch, ließ im Supermarkt nichts mitgehen, besuchte keine Kinderpornoseiten, begrapschte keine Kolleginnen und war auch sonst gänzlich unsubversiv, wie er überhaupt sein Leben lang ein Muster des Anstandes war. So verhielt sich die ganze Familie auch im Urlaub. Man gab keinen Anlass zur Klage und war zufrieden.

Gegen Ende der Ferien machten sich bei Rumpfhubers leichte Urlaubsermüdungserscheinungen bemerkbar. Man hatte die ewig gleichen Vergnügungen langsam satt und fühlte eine wachsende Vorfreude auf das traute Wiener Heim und die gesellschaftlichen und beruflichen Kontakte aufkeimen, die man nach der Rückkehr erholt und voller Tatendrang wieder aufzunehmen gedachte. Auch lockten Wiener Schnitzel mit Kartoffelsalat und Stelze mit Bier, wie man es halt gewohnt war. Alles ließ an jene wolkenlos glücklichen Familien denken, die man aus Werbefilmen der 1950er Jahre kennt und deren heiteres Familienoberhaupt Heinz Erhardt so glaubhaft verkörpert hatte.

Doch die heile Welt sollte nur bis zum Betreten der heimeligen Behausung bestehen bleiben. Diese lag im Grünen im ersten Stock, war gangseitig durch eine solide Sicherheitstür geschützt und verfügte über eine südseitig gelegene Terrasse, die einer kaum befahrenen Straße zugewandt war.

Als man die Wohnungstür aufgeschlossen und das Heim frohgemut betreten hatte, trauten Rumpfhubers ihren Augen nicht. Die Scherben der zerschmetterten Terrassentüre lagen im Wohnzimmer verstreut und große Blutflecken verunstalteten Teppich, Parkettboden und Auslegeware im Vorzimmer bis zum Bad. Der grässliche Anblick ließ befürchten, man würde dort eine von einem Psychopathen hingemetzelte, ja vielleicht sogar zerstückelte Leiche vorfinden, wie es zunehmend öfter geschieht. Als man die Badezimmertür schaudernd und mit gebührender Vorsicht geöffnet hatte – die Leiche konnte ja möglicherweise noch am Leben und aggressiv sein –, bewahrheitete sich diese Befürchtung glücklicherweise nicht, obwohl der ganze Hygieneraum blutverschmiert war.

Da Gotthold Rumpfhuber nebenberuflich in der Bezirksvertretung ein politisches Amt ausübte und deshalb einige Vertreter der Polizei persönlich kannte, eilte er zum Telefon, um den unerhörten Vorfall zu melden und Anzeige zu erstatten, damit die Verursacher des offensichtlich begangenen Verbrechens ausgeforscht und der Gerechtigkeit zugeführt würden.

Doch was musste Rumpfhuber erfahren?

In einer Wohnung im Parterre des Hauses war am Plafond ein Wasserfleck aufgetreten. Der angerückten Feuerwehr war es nicht gelungen, die gesicherte Rumpfhubersche Eingangstüre zu öffnen, um die urlaubsbedingt verwaiste Wohnung zu betreten und das geborstene Wasserrohr zu orten, weshalb ein Feuerwehrmann vermittels einer Magirusleiter die Terrasse im ersten Stock erklomm und die Terrassentüre besinnungslos mit ungeeignetem Gerät einschlug. Im Furor der Wohnungsbetretung schnitt er sich den Arm an den scharfen Glasscherben der Türe auf und versuchte die Blutung im Rumpfhuberschen Bad zu stillen, was aber nicht gelingen wollte, woraufhin er unter Hinterlassen von reichlich Blutspuren ins Spital eingeliefert wurde.

Nachdem das geklärt war und man fast schon aufatmete, befanden Rumpfhubers, dass das alles hinnehmbar gewesen wäre, hätte die Feuerwehr nach all den Zerstörungen und dem Blutbad nicht herausgefunden, dass sie in die falsche Wohnung eingedrungen war.

VOM CHARISMA

Wie der allseits gerne, oft und unreflektiert verwendete Begriff „Charisma“ definiert wird, kann man Wörterbüchern, Enzyklopädien und sonstigen Nachschlagewerken entnehmen. Bemerkenswert daran ist, dass zu seiner Erklärung ausschließlich diffuse Umschreibungen wie „Ausstrahlung“, „Aura“, „das gewisse Etwas“ und dergleichen mehr herangezogen werden. Es wird also etwas Ungreifbares, im Grunde genommen Undefinierbares damit bezeichnet, das aufgrund subjektiver Eindrücke jemandem zugeschrieben wird.