Alien Wars - Sonnenschlacht (3) - Marko Kloos - E-Book

Alien Wars - Sonnenschlacht (3) E-Book

Marko Kloos

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Beschreibung

Die Lankies erobern den Mars

Der interstellare Konflikt zwischen Menschen und Lankies, hoch entwickelten und brandgefährlichen Aliens, spitzt sich weiter zu: Die Lankies haben den Mars erobert und so die Menschenkolonie auf dem unwirtlichen Planeten New Svalbard von der Versorgungsroute abgeschnitten. Können die nordamerikanischen Weltraumstreitkräfte, kurz NAC, die Blockade nicht brechen, ist die Bevölkerung eines ganzen Planeten dem Hungertod ausgeliefert. Und wann die Lankies auch die Erde angreifen werden, ist nur noch eine Frage der Zeit. NAC-Sergeant Andrew Grayson ist klar, dass bei dieser Schlacht das Schicksal der gesamten menschlichen Zivilisation auf dem Spiel steht …

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Das Buch

Der interstellare Konflikt zwischen Menschen und Lankies spitzt sich weiter zu: Mit dem Mars haben sich die Aliens einen strategisch wichtigen Stützpunkt erobert und eine Blockade errichtet, mit der sie den weit abgelegenen Planeten New Svalbard von der Versorgungsroute der Erde abgeschnitten haben. Obwohl auf New Svalbard selbst so gut wie nichts wächst und gedeiht, errichteten die Menschen dort einst eine Kolonie und importierten die Lebensmittel von der Erde. Wenn es jetzt nicht gelingt, die Blockade der Lankies zu brechen, ist die Bevölkerung eines ganzen Planeten dem Hungertod geweiht. Andrew Grayson, Sergeant der Nordamerikanischen Weltraumstreitkräfte, erhält den Befehl, den Weg für die Versorgungsschiffe wieder freizukämpfen, doch nach den zahlreichen Schlachten, die er gegen die Aliens geschlagen hat, ist Grayson müde und ausgebrannt. Als er und seine Crew dann auch noch in einen Hinterhalt geraten, hängt das Schicksal der Menschen New Svalbards am seidenen Faden …

Der Autor

Marko Kloos wurde 1971 in Deutschland geboren und ist dort auch aufgewachsen, bevor er nach Amerika übersiedelte. Er arbeitete u.a. als Soldat, Verkäufer und IT-Administrator, bevor er seine Leidenschaft für Fantasy und Science-Fiction zu seinem Beruf machte und Autor wurde. Er lebt mit seiner Frau und den gemeinsamen zwei Kindern in New Hampshire.

Die Alien-Wars-Reihe im Heyne Verlag:Erster Band: SterneninvasionZweiter Band: PlanetenjagdDritter Band: Sonnenschlacht

Mehr über Marko Kloos und seine Romane erfahren Sie auf:

MARKO KLOOS

Alien

Wars

SONNENSCHLACHT

ROMAN

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

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Titel der amerikanischen Originalausgabe:ANGLES OF ATTACKDeutsche Übersetzung von Martin GilbertDeutsche Erstausgabe 07/2016Redaktion: Werner BauerCopyright © 2015 by Marko KloosCopyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe byWilhelm Heyne Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Str. 28, 81673 MünchenUmschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung von Shutterstock/Angela Harburn und Tsuneo MPSatz: Fotosatz Amann, MemmingenISBN 978-3-641-18656-2V001www.diezukunft.de

Für Robin – die Halley für meinen Grayson, das Gelee auf der Erdnussbutter und der Mittelpunkt von allem. Heute und für alle Zeiten.

PROLOG

Die Erde. Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen Ort mal vermissen würde – aber so schlimm ist es nun auch wieder nicht.

Die Erde war eine kleine blaue Kugel aus Schmutz und hauptsächlich Wasser in einem Winkel unserer kleinen Galaxis am Arsch des Universums. Fünf Milliarden Jahre hatte sie sich im Weltraum gedreht, und dann hatten wir es in gerade einmal fünfzig Jahrtausenden geschafft, sie mit hundert Milliarden Exemplaren unserer Spezies zu bevölkern. Und um das, was wir nicht zerstört hatten, zankten wir uns wie die Kesselflicker: Wir hatten uns im Lauf der Jahrhunderte zu Millionen umgebracht, während unsere Technologie der Fähigkeit, die Impulse unseres Reptiliengehirns im Hinterkopf zu bändigen, mit Riesenschritten enteilte.

Nein, die Erde war nur mehr ein schwacher Abglanz ihrer selbst, als ich sie verließ. Aber sie war trotzdem meine Heimat.

Fünf Jahre im Corps, in denen ich im gesamten besiedelten Weltraum umhervagabundiert war, und ich hatte dabei kein einziges Mal Heimweh verspürt. Wohl deshalb nicht, weil ich im Hinterkopf die Gewissheit hatte, dass die Erde noch da draußen war – dass sie noch immer dort war, wo ich sie zurückgelassen hatte, noch immer in dreihundertfünfundsechzig Tagen die Sonne umlief, noch immer von Menschen wimmelte und dass sie noch immer mit Städten übersät war, die voller Lebensformen waren, die so wie ich aussahen und handelten.

Nun bin ich mir da nicht mehr so sicher.

Die Lankies tauchten auf und eroberten den Mars, unsere älteste und größte Kolonie im Weltraum. Die meisten von uns auf New Svalbard haben zumindest Ausschnitte aus den Dokumentationen der Kämpfe und entsprechende Sensordaten gesehen.

Zwanzig außerirdische Saatschiffe erschienen aus heiterem Himmel in der Umlaufbahn, schossen unsere Flotte zu Klump und setzten dann Tausende von Kolonie-Kapseln ab, in denen jeweils Dutzende Siedler-Scouts der Lankies steckten. Die Lankies griffen die Städte mit Nervengas an und löschten ohne jede Gefühlsregung die Bewohner aus. Sie eliminierten »nur« eine lästige Spezies auf dem Gebiet, das sie in Besitz nehmen wollten. Jedes raumflugtüchtige Schiff nahm Flüchtlinge auf und floh mit Höchstgeschwindigkeit vom Planeten, nur um dann in die Lanky-Blockade zu geraten und in ihren orbitalen Minenfeldern zerfetzt zu werden. Wer konnte, der floh, klar, doch die meisten kamen auf der Flucht um. Und diejenigen, die blieben, starben ebenfalls.

Und dabei hatten die Lankies sich in den letzten fünf Jahren nur warmgelaufen. Sie prüften unsere Fähigkeiten, sondierten unsere Verteidigung und testeten unsere Reaktion. Wie eine Katze, die mit der Maus spielte.

Nein, die Dinge standen nicht gut für die Menschheit. Das schlimmste Szenario, das theoretisch möglich war, hatte uns schließlich ereilt. Falls das Blatt sich nicht noch wendete, mussten wir uns mit einem Zeithorizont von wenigen Jahren auf die Auslöschung unserer Spezies einstellen.

Aber wir sind Menschen. Wir sind widerspenstig, stur, wehrhaft und unberechenbar. Und wir tun das, was die meisten empfindungsfähigen Kreaturen tun, wenn man sie in die Ecke drängt und ihnen jeden Fluchtweg versperrt: Wir fletschen die Zähne, fahren die Klauen aus und gehen zum Angriff über.

Eine gemeinsame Streitmacht aus NAC/SRA-Flüchtlingen ist vor zwei Wochen auf New Svalbard eingetroffen. Ihre Einheiten wurden durch die Schlacht um den Mars und die Scharmützel, die zugleich im ganzen Sonnensystem stattfanden, dezimiert, und sie haben auch fast alle Landungsschiffe verloren. Die Flüchtlingsflotte verfügt über zwei Träger – die MINSK der SRA und die REGULUS des NAC. Der SRA-Träger, der normalerweise ein ganzes Regiment Marines beförderte, war nur noch mit einer verstärkten Kompanie besetzt. Bei der REGULUS, einem von sechs Superträgern des NAC, sah es nicht viel besser aus: Sie hatte den größten Teil ihres Rauminfanterie-Regiments verloren.

Aus irgendeinem Grund hatte das Lanky-Saatschiff, das wir im Formalhaut-System mittels eines mit Wasser beladenen Frachters zerstörten, keinen Sperrgürtel aus Minenfeldern um den Kolonialmond der SRA gelegt, bevor es Kurs auf New Svalbard genommen hatte. Es ging in eine Umlaufbahn, setzte seine Kolonie-Kapseln aus und nahm sofort die Verfolgung des einen russischen Schiffs in der Umlaufbahn auf: des unglücklichen Kreuzers, dessen vergeblicher Fluchtversuch und schließliche Zerstörung uns überhaupt erst auf die Anwesenheit des Lankies im System aufmerksam gemacht hatte. Nun wimmelt es auf dem SRA-Mond von Lanky-Siedlern, aber sie verfügen über keine Luftverteidigung, und es steht auch kein Saatschiff in der Umlaufbahn, um unsere Schiffe fernzuhalten. Wir können sie auf der Basis annähernder Waffengleichheit bekämpfen: mit der Luftwaffe und Raumschiffsartillerie, mit der wir gegen die Lanky-Welten normalerweise nichts ausrichten konnten.

Und es gibt Überlebende in der SRA-Kolonie. Die Lankies sind noch keine drei Wochen auf dem Mond. Obwohl sie die menschliche Infrastruktur, auf die sie stoßen, methodisch zerstören, haben sie bisher noch nicht die Nervengasbehälter eingesetzt, mit denen sie uns normalerweise in den Kolonien eliminieren. Es gibt auf dem ganzen Mond Schutzbunker, wo die Leute Zuflucht gesucht haben; der kleinen Garnison von SRA-Marinesoldaten ist es sogar gelungen, sie mit Guerillataktiken zu bekämpfen. Bei unseren Aufklärungsflügen unmittelbar vor dem Angriff haben wir Funkkontakt mit Dutzenden zerstreuter Gruppen von SRA-Zivilisten und Militärpersonal aufgenommen. Also hatten die Kommandeure beider Seiten sich abgestimmt und beschlossen, einen Kommandoeinsatz durchzuführen. Die SRA, die nur wenig Personal, dafür aber reichlich Landungsschiffe hatte, stellte die Transportmittel. Das NAC, das wiederum über viele Infanteristen, aber nur über wenige Landungsschiffe verfügte, stellte das Gros der kämpfenden Truppe auf dem Boden. Erstaunlicherweise gelangte man zu einer Einigung. Und noch erstaunlicher: Wir vermochten in nur anderthalb Wochen eine konzertierte militärische Operation von zwei Blöcken zu starten, denen es an gemeinsamen Standards bei Bewaffnung, Ausrüstung und Logistik fehlte.

Nun sind wir – zwei Wochen nachdem die Flüchtlings-Flotte über New Svalbard erschien – zum SRA-Mond im Formalhaut-System unterwegs, um die überlebenden SRA-Siedler und Soldaten der Garnison zu retten, möglichst viele Lankies zu erledigen und wieder zu verschwinden, bevor ein weiteres Saatschiff im System auftaucht.

So sieht der Schlachtplan zumindest aus. Nach fünf Jahren Pleiten, Pech und Pannen weiß ich aber, dass kein solcher Plan über den Erstkontakt mit dem Feind hinaus Bestand hat.

1

FORMALHAUT B

»Du siehst aus wie ein Insekt«, sagt Dimitri auf dem Klappsitz mir gegenüber. »Wie ein hässliches imperialistisches Insekt.«

»Und ich dachte, ihr seid die Experten in Sachen Hässlichkeit«, erwidere ich und sehe mich um.

Ich bin im Frachtraum eines russischen Landungsschiffs der Akula-Klasse. Das ist der letzte Ort, von dem ich erwartet hätte, dass ich mich dort aufhalten würde – zumindest nicht mit voller Bewaffnung und kompletter Ausrüstung. Die Unwirklichkeit der letzten paar Tage hat eine neue, ungeahnte Dimension erreicht. Außer mir ist noch ein gemischter Zug aus SRA-Marinesoldaten und NAC-Rauminfanteristen im Frachtraum. Die Leute sitzen Schulter an Schulter, alle sind bis an die Zähne bewaffnet und bereit zum Kampf. Noch vor einem Monat hätte ein solches »Beisammensein« auf so engem Raum und mit diesem Waffenarsenal in einem ebenso kurzen wie heftigen Schusswechsel und vielen Toten geendet. Doch nun lassen wir uns alle zusammen von diesem Militärtaxi kutschieren, wobei unsere seltsame neue Allianz durch schiere Notwendigkeit geschmiedet wurde.

Schon die Konstrukteure unserer Landungsschiffe hatten kaum einen Gedanken an den ästhetischen Aspekt der Wasps und Dragonflies verschwendet, doch hat es den Anschein, als ob die Russen es geradezu vermeiden würden, Design-Merkmale einfließen zu lassen, die als ästhetisch ansprechend empfunden werden könnten. Bei unseren Landungsschiffen folgt die Form der Funktion: Sie sind nun einmal zweckmäßiges Kriegsgerät. Der russische Vogel mutet jedoch an wie eine grob zusammengedengelte fliegende Kiste. Dennoch komme ich nicht umhin, die Effizienz der Konstruktion zu bewundern. Unsere Klappsitze haben Einpunkt-Drehhalterungen mit Stoßdämpfern; ihre Sitze sind robuste, frei schwingende Netze – mit der gleichen stoßdämpfenden Wirkung wie unsere und wahrscheinlich zwanzigmal billiger. Und unabhängig von ihrem Äußeren weiß ich, dass diese russischen Landungsschiffe fähig sind, bei Bedarf die Hölle losbrechen zu lassen.

»Wann erreichen wir die Landezone?«, frage ich Dimitri. Er wirft einen Blick auf sein Display und zuckt die Achseln.

»In achtzehn, neunzehn Minuten. Du kannst dich ruhig zurücklehnen und noch ein Nickerchen machen.« Dann lehnt er sich mit einem leicht gelangweilten Gesichtsausdruck mit dem Helm gegen die Wand.

Dimitri ist mein Kollege von der SRA – ein russischer Gefechtscontroller. Wir hatten in den paar Tagen, die der Flug zu diesem heißen und staubigen Mond von Formalhaut b nun schon dauert, Gelegenheit, uns kennenzulernen. Dimitri entspricht so gar nicht dem Stereotyp eines russischen »Muschik«. Er hat nicht die Statur eines sibirischen Bullen, und er säuft auch nicht ständig Wodka oder flirtet mit seiner großkalibrigen Wumme. Er hat nicht mal einen militärischen Bürstenhaarschnitt. Vielmehr ist Dimitri von ziemlich kleinem Wuchs und kaum größer als Sergeant Fallon. Mit dem markanten Kinn und den ziselierten Gesichtszügen könnte er direkt als männliches Model durchgehen. Er hat einen widerspenstigen Wuschelkopf mit einer Haarlänge, die laut Vorschrift unserer Rauminfanterie gar nicht zulässig wäre. Und er ist nicht auf Krawall gebürstet, sondern eher der zurückhaltende Typ. Kurz gesagt, er ist so ziemlich das genaue Gegenteil des Stereotyps, das ich im Kopf hatte. In den letzten paar Wochen hatte ich davon abgesehen noch einige Gelegenheiten, meine alten Vorurteile zu revidieren.

Ich schalte die verfügbaren Kommunikationskanäle durch und wähle den Kanal für die oberste Hierarchiestufe der taktischen Operationen.

»REGULUSTO, hier Tailpipe Eins. Erbitte letzte Anweisungen und Telemetrie-Überprüfung.«

»Tailpipe Eins, hier TO«, erfolgt die Antwort. »Der Empfang für Ihre Daten und den Sprechfunk ist optimal. Viel Glück und Waidmanns Heil.«

»Verstanden, TO.« Ich aktiviere die Datenleitung von der taktischen Operationszentrale der REGULUS, wo die Kommandeure der Bodentruppen und der Kommandeur des Trägergeschwaders die NAC-Ressourcen koordinieren, die in Bälde gegen einen von der Lankies kontrollierten Mond eingesetzt werden sollen.

Die Datenübertragung von der REGULUS zeigt, wie die acht Landungsschiffe der ersten Angriffswelle in einer V-förmigen Formation aus der hohen Umlaufbahn in die Atmosphäre eintauchen, ohne auf Widerstand zu stoßen.

Ich bin bei der ersten Welle, die aus SRA-Landungsschiffen besteht – in meiner Eigenschaft als Boden-Verbindungsoffizier für die NAC-Kampfgruppe, denn ich bin, wie gesagt, im Moment einer von zwei Gefechtscontrollern in diesem System.

Unser Atmosphäreneintritt geht mit den üblichen heftigen Turbulenzen einher. Die mit Panzeranzügen ausgestatteten Soldaten im Frachtraum versuchen, im Rhythmus der Turbulenzen zu schaukeln, denen das Landungsschiff ausgesetzt ist. Ich sondiere ein letztes Mal die taktische Lage in der Umlaufbahn – und staune noch immer darüber, einige unserer wertvollsten Flotteneinheiten in einer engen Formation mit Schiffen fliegen zu sehen, die sie noch vor ein paar Wochen aus dem Raum zu blasen versucht hätten.

Drei Minuten vor dem von Dimitri prognostizierten Zeitpunkt fliegen die Landungsschiffe eine scharfe Linkskurve. Wenig später höre ich das dumpfe Knallen von Waffen, die von den Außenbordstationen abgefeuert werden, und dann brüllen die automatischen Kanonen an der Außenhaut auf. Die Kanonen der SRA-Vögel haben ein größeres Kaliber als unsere, dafür aber eine geringere Schussfolge. Ich spüre, dass der Rückstoß durch die Hülle übertragen wird – ein Phänomen, das ich von unseren Wasps und Dragonflies nicht kenne. Es scheint so, als ob dieser Monat eine Fülle neuer Erfahrungen für mich in petto hätte.

»Kuskas Mutter!«

Der Bordlautsprecher überträgt einen stakkatoartigen Schwall russischer Worte vom Piloten, den der Universal-Translator meines Anzugs freundlicherweise für mich übersetzt. Mit Redewendungen tut er sich freilich etwas schwer. Ich sehe Dimitri an und deute auf mein Ohr.

»Das heißt, jemandem eine Lektion erteilen«, sagt Dimitri.

Um mich herum machen die SRA-Soldaten ihre Waffen bereit, und ich folge ihrem Beispiel. Ich bin mit dem Bravo-Kit ausgestattet und verfüge über das große, schwere M-80-Gewehr und fünfundzwanzig Schuss Munition in Schnellfreigabe-Schlaufen am gepanzerten Kampfanzug. Ich betätige den Verschlussschieber des M-80 und vergewissere mich, dass die Messingböden der zwei panzerbrechenden Projektile des M-80 bündig mit der Kammer abschließen. Der Computer kontrolliert natürlich den Ladezustand meiner Waffe; trotzdem würde kein Soldat mit Kampferfahrung blind einem Siliziumgehirn vertrauen, wenn es um Handgriffe geht, die über Leben und Tod entscheiden.

Das russische Schiff ändert ein paarmal den Kurs, wobei jede Kursänderung von Feuerstößen der Kanonen und Raketenabschüssen begleitet wird. Die Bewaffnung eines Landungsschiffs dient eigentlich der Erdkampfunterstützung, und es ist keine optimale Vorgehensweise, schon den größten Teil der Munition zu verschießen, bevor die Soldaten am Boden sind. Doch dann verharrt das Schiff im Schwebeflug und richtet sich steil auf. Die Heckrampe öffnet sich, und dann sehe ich auch, weshalb wir aus allen Rohren feuernd runtergekommen sind.

»Jobannyj v rot«, sagt einer der russischen Marines neben mir, und ich kann mir auch ohne den Translator schon denken, was das bedeutet. Das Gerät meldet dann auch nur »derber Fluch«.

Draußen erstreckt sich die Landebahn des Luftwaffenstützpunkts der SRA-Kolonie hinter dem Heck des Landungsschiffs in die Ferne. Auf und neben dem schmutzig grauen Asphalt liegen die riesigen Kadaver etlicher Lankies. Einige qualmen noch als Nachwirkung dessen, was sie getroffen hat. Ich habe aber nicht viel Zeit, die Szenerie eingehend zu betrachten, denn das Landungsschiff setzt mit den Kufen auf dem Boden auf, und die Kontrollleuchte über der Heckrampe wechselt von Rot auf Grün. Wir lösen die Gurte, ich folge den SRA-Soldaten im Laufschritt aus dem Frachtraum die Rampe hinunter – und ich bin wieder im Gefecht.

»Beeilung, Beeilung, Beeilung!«, ruft der vorauslaufende SRA-Offizier, während wir die Rampe hinunterhetzen. In Wirklichkeit sagt er natürlich etwas auf Russisch, aber mein Anzug übermittelt mir die treffendste Übersetzung.

Die SRA-Marinesoldaten funktionieren wie eine gut geölte Maschine, in der ich quasi ein Fremdkörper bin. Sie bilden eine standardmäßige Deckungsformation, als das Landungsschiff hinter uns wieder startet. Die Triebwerke stoßen ein unheimliches Kreischen aus. Sechzig Tonnen Verbundstahl und Waffen, die zu einem monströsen Gebilde vereint sind, das dem äußeren Anschein nach überhaupt nicht flugfähig sein dürfte, erheben sich in die Lüfte. Das Schiff ist noch keine hundert Meter hoch, als es dreht und wieder das Feuer aus seiner Kanone eröffnet. Da ich ohne TacLink-Daten blind bin, muss ich mich auf die Sensoren meines Anzugs sowie auf Augen und Ohren verlassen. Ich blicke in Schussrichtung, um zu sehen, worauf das Schiff feuert, erkenne aber keine Ziele. Allerdings höre ich das unheimliche Heulen eines getroffenen Lankies – ein Geräusch, das mich in den letzten paar Jahren noch im Traum verfolgt hat. Dann sehe ich den Lanky hinter einem zweihundert Meter entfernten Gebäude hervorkommen. Er versucht, mit rudernden Gliedmaßen dem Geschosshagel der großkalibrigen Maschinenkanonen des Landungsschiffs zu entkommen. Ihre beängstigende Größe gereicht ihnen insofern zum Nachteil, als sie hervorragende Ziele für unsere Luftunterstützung abgeben. Zum ersten Mal bekämpfen wir sie mit absoluter Luft- und Raumüberlegenheit, was den Kampf schließlich auch zu unseren Gunsten entscheidet.

Ich höre, wie über mir eine Rakete von der Außenbordstation unseres Landungsschiffs abgefeuert wird. Sie überwindet in null Komma nichts die Entfernung zum Ziel und geht mitten rein in den Lanky. Er wird von den Füßen gerissen und verheddert sich dabei selbst in seinen dürren Gliedmaßen. Die SRA-Marinesoldaten um mich herum stoßen Jubelrufe aus.

Die SRA-Architektur auf diesem Mond ist fast genauso robust wie die Unterkünfte auf New Longyearbyen, doch aus anderen Gründen. Der SRA-Mond ist ein heißer, staubiger und steiniger Ort, da er viel näher an Formalhauts Sonne steht als unser kleiner Eismond. Die geduckten, bunkerartigen Gebäude hier müssen sogar noch massiver sein, als sie aussehen: Diese Siedlung wirkt bislang weitgehend unversehrt, obwohl sie schon seit ein paar Wochen den Angriffen der Lankies ausgesetzt ist. Normalerweise führen sie zuerst Giftgasangriffe gegen die Siedlungen und zerstören dann die Terraforming-Infrastruktur, bevor sie unsere Siedlungen zerstören. Gemäß den von meinem Anzug bereitgestellten Daten sieht es allerdings so aus, als ob sie noch nicht einmal bis zu Schritt Eins gekommen wären, denn die Atmosphäre hier unten ist völlig normal. Es werden keine biologischen Schadstoffe und auch keine chemischen Waffen registriert; ich könnte den Helm öffnen und frische Luft atmen, wenn ich das wollte.

In der Ferne, auf der anderen Seite der Siedlung, markieren Leuchtspurgeschosse und Feuerschweife von Raketen die Ankunft der SRA-Jäger, die uns bis zur Landezone eskortiert hatten. Ich höre die Donnerschläge der explodierenden Waffen über die Stadt rollen, gefolgt vom durchdringenden Kreischen getroffener Lankies.

Die Russen haben einen Bereich gesichert, Maschinengewehre und Raketenwerfer aufgestellt und rufen sich gegenseitig Bedrohungsvektoren und Richtungsangaben zu. Ich aktiviere alle Aktiv-Sensoren des Anzugs und sondiere die Lage. Ein Landungsschiff in der Luft, zwei auf dem Boden, und vier weitere sind im Landeanflug; die nächste NAC-Einheit besetzt gerade ein Areal auf der anderen Seite der Garnisonsstadt. Jeder unserer Rauminfanterie-Züge hat mindestens einen SRA-Marinesoldaten als Verbindungsoffizier, um sicherzustellen, dass die einheimischen Verteidiger nicht die Leute wegballern, die eigens zu ihrer Rettung gekommen sind.

»Das Luftverteidigungsnetzwerk ist nicht aktiv«, lässt Dimitri mich über unseren Überrangkanal wissen. »Es ist außer Funktion. Sie haben Radar, Lidar und auch sonst alles zerstört, was Strahlung aussendet.«

Durch unsere Aufklärungsflüge in der Umlaufbahn wissen wir das bereits. Die Militärführung wollte aber nicht das Risiko eingehen, dass ein Verband von Landungsschiffen von automatisierten Verteidigungsstellungen abgeschossen wurde, die darauf geeicht waren, alles ohne SRA-Freund/Feind-Kennung aufs Korn zu nehmen. Deshalb besteht die erste Welle hauptsächlich aus SRA-Landungsschiffen, die hauptsächlich mit NAC-Infanterie besetzt sind. Wo wir nun am Boden sind, kann ich aber auch Kontakt mit den NAC-Schiffen aufnehmen.

»REGULUSTO, Tailpipe Eins. Die Boote sind gelandet, die Landezone wimmelt von Feinden. Ich bitte um Erdkampfunterstützung für eine Säuberung nördlich der LZ.«

»Tailpipe Eins, TO. Verstanden. Luftunterstützung kommt, geschätzte Ankunft in zehn Minuten. Rufzeichen ist Hammer.«

»Hammer-Rotte unterwegs, geschätzte Ankunft in eins-null Minuten«, bestätige ich. Das letzte Wort geht im Stakkato der Maschinenkanone des Akula-Landungsschiffs über mir unter.

»Dimitri, sag diesen Akula-Piloten, dass Luftunterstützung unterwegs ist. Sie wird diesen Bereich dort drüben säubern. Wir müssen vermeiden, dass unsere eigenen Leute getroffen werden.«

Dimitri gibt mir ein lässiges »Daumen-hoch«-Zeichen, ohne seine Verrichtungen an der Steuerkonsole zu unterbrechen, die er auf einem Trümmerbrocken vor sich aufgestellt hat.

»Keine Sorge, Kumpel«, sagt er in einem Ton, der sich wie die ironische Imitation des affektierten kalifornischen Surfer-Tonfalls anhört. »Russische Soldaten sind Vollprofis.«

Drüben am nördlichen Ende des Flugplatzes, jenseits der Startbahn, tauchen drei Lankies auf. Ihre fast fünfundzwanzig Meter großen Gestalten überragen turmhoch die felsige Landschaft. Ich spüre die Erschütterungen der Waffenexplosionen zwar nicht durch den »Insektenanzug«, aber der Staub unter den Stiefeln wird aufgewirbelt, als die russischen Landungsschiffe die sich nähernden Lankies mit panzerbrechenden Granaten beharken. Einer von ihnen geht zu Boden, dann ein weiterer, und beide kreischen und heulen. Diese Laute haben keinerlei Ähnlichkeit mit dem, was ich bisher auf der Erde gehört habe. In ihren schrillen und durchdringenden Schreien schwingt zugleich ein tiefes Grollen mit.

Über unseren Köpfen zieht das Landungsschiff wieder hoch und entfernt sich vom Flugplatz. Dimitri ruft seinen Soldaten etwas zu, und die bilden daraufhin auf dem Rollfeld vor mir eine Doppelreihe. Die SRA-Marinesoldaten in der ersten Reihe gehen auf ein Knie herunter. Und alle legen mit den Gewehren auf den übrig gebliebenen Lanky an, der noch hundertfünfzig Meter entfernt ist und näher kommt. Die Russen haben großkalibrige und durchschlagskräftige Anti-Lanky-Büchsen, aber sie sind nicht doppelläufig wie unsere; vielmehr sind die SRA-Pendants einläufige Verschlusslader mit einem Kaliber, das sogar noch größer zu sein scheint als das des M-80, das ich am Mann habe. Die Reihe der knieenden SRA-Marinesoldaten feuert ihre Gewehre auf ein Kommando, das ich nicht höre, auf den Lanky ab. Sechs Gewehre schießen gleichzeitig – mit einem lauten Donnerschlag, der fast wie ein einziger Schuss klingt. Die Verschlüsse der Gewehre fliegen förmlich auf, und die Messingplatte der hülsenlosen Munition wird ausgestoßen. Ich sehe, dass die SRA-Marinesoldaten drei, vier, fünf Salven in schneller Folge abfeuern. Die eine Reihe schießt, während die andere nachlädt: wie bei Infanterie-Formationen altertümlicher Schlachtordnungen auf der Erde. Der vorrückende Lanky steckt sechs, dann zwölf, und schließlich achtzehn Treffer in Kopf und Brust ein, alle begleitet vom lauten Verpuffungsgeräusch hochexplosiver panzerbrechender Munition. Nach der fünften Salve stolpert der Lanky und fällt. Dann schlägt er auf dem Boden auf, und die Erde unter meinen Stiefeln erbebt unter seiner Masse. Für die fünf Salven hatten die Marinesoldaten vielleicht acht oder neun Sekunden gebraucht. Sie haben zwar eine ganz andere Lanky-Bekämpfungstaktik als wir, aber ich will verdammt sein, wenn sie nicht mindestens genauso gut funktioniert.

In der ganzen SRA-Siedlung hört man Gewehrfeuer wie eine dissonante Todessymphonie: Das dumpfe Knallen unserer M-80 und der SRA-Anti-Lanky-Gewehre, das Zischen von MARS-Raketenwerfern, die Donnerschläge explodierender Granaten und Raketen mischen sich mit dem Heulen von Lankies und dem Brüllen der Landungsschiffs-Kanonen über uns. Die Stadt ist inzwischen dem Erdboden gleichgemacht. Es ragen nur noch ein paar dieser kompakten und robusten Gebäude aus den Trümmern hervor – aber es liegen hier keine Nervengaskanister der Lankies herum und auch keine Trauben toter Siedler. Es ist, als ob sie mit auf dem Rücken gebundenen Händen kämpften. Was auch immer der Grund dafür ist, ich bin heilfroh, dass das Blatt sich zu unseren Gunsten gewendet hat – obwohl ich nicht weiß, wie lange das anhalten wird.

Während die NAC-Truppen am Boden Ziele erfassen und bekämpfen, erscheinen Kontaktsymbole auf meinem taktischen Display. Ich kann zwar nicht sehen, was die Russen sehen, weil unsere taktischen Netzwerke nicht miteinander kommunizieren, aber alles, was unsere eigenen Leute sehen und tun, wird zum Computer meines Insektenanzugs und der Steuerkonsole übertragen, die ich dabeihabe. Die menschlichen Soldaten sind eine Ansammlung blauer Symbole, und die Lankies werden als ein großer, unregelmäßiger Kreis von orangefarbenen Symbolen um uns herum dargestellt. Sie bilden Gruppen von drei oder maximal vier Individuen.

Die SRA-Basis und die Stadt befinden sich am Ende eines felsigen Plateaus. An einem Ende wird die Stadt durch einen allmählichen Abfall in ein zerklüftetes Tal begrenzt. Das andere Ende, wo sich die SRA-Basis und der Militärflugplatz befinden, öffnet sich zum flachen und weiten Plateau, welches sich dahinter erstreckt. Und da draußen tummeln sich die Lankies. Manche rücken in unsere Richtung vor, andere schlagen die entgegengesetzte Richtung ein und ziehen sich vom Kampfschauplatz zurück. Bei jedem Gefecht, in das ich bisher mit ihnen verwickelt worden war, hatten sie eine bessere Koordination und höhere Aggressivität gezeigt als diese Gruppe. Sie wirkt langsamer, schwächer, beinahe unsicher. Trotz unserer Truppenstärke am Boden könnten die Lankies auf dem Plateau uns wahrscheinlich überrennen, wenn sie sich alle gegen uns wenden würden. Aber das tun sie nicht, und ich habe auch nicht die Absicht, ihnen eine Atempause zu gönnen, bei der sie ihre Meinung vielleicht noch ändern.

Die Luftunterstützung trifft ein paar Minuten später ein. Es sind drei Shrike-Rotten, die bis zur Tragfähigkeitsgrenze mit Luft-Boden-Waffen bestückt sind. Sie kommen aus der Umlaufbahn und rasen mit Vollgas auf die LZ zu, wobei sie sich nur ein paar Dutzend Kilometer vom Ziel entfernt zu einer Sechser-Kette formieren. Ich aktiviere den Anzugsfunk und gehe auf den taktischen Luftwaffenkanal.

»Hammer-Rotte, hier spricht Tailpipe Eins. Auf dem Plateau direkt im Norden der LZ wimmelt es von Lankies. Für diese Zone gilt Feuer frei. Alle eigenen Einheiten befinden sich südlich der Landepiste. Ich lade jetzt die Zielreferenzpunkt-Daten hoch. Und vergesst nicht, dass die Landungsschiffe der Russkis auch noch da sind.«

»Tailpipe Eins, Hammer Eins«, antwortet der Pilot des Führungs-Shrike. »Bestätige, dass alles nördlich der Landepiste bekämpft werden kann. Geschätzte Ankunft in einer Minute.«

Ich sende die Bestätigungscodes und richte den Blick auf Dimitri, der eifrig mit seiner Funkausrüstung zugange ist.

»Luftunterstützung kommt – in sechzig Sekunden«, rufe ich ihm zu. »Sag diesen Landungsschiffen, dass sie den Luftraum räumen sollen.«

Dimitri gibt mir wieder ein Daumen-hoch-Zeichen, ohne den Blick vom Monitor seines Steuergeräts zu wenden. Wenig später verlassen die über uns kreisenden Akulas ihre Position und weichen nach Westen und Osten aus, damit unsere Einheiten ein freies Schussfeld haben.

Die Shrikes kündigen ihr Erscheinen mit einer spektakulären Präsentation der Feuerkraft ihrer Lenkwaffen an. Zwei Dutzend Raketenschweife kommen von Süden rein und durchziehen wie ein Blitz den Himmel über der SRA-Siedlung. Sie senken sich auf das Plateau hinter der Stadt hinab und explodieren in einer ebenso kurzen wie heftigen Kakofonie, bei der noch in einer Entfernung von einem Kilometer das Geröll hochgeschleudert wird. In der Ferne, hinter der Startbahn, steigen Wolken aus Staub und Rauch in den klaren Himmel. Zehn Sekunden später sind die Shrikes über uns. Die großkalibrigen Revolverkanonen verschießen Tausende panzerbrechender Projektile auf Ziele, die ich nicht sehen kann. Ich habe noch nie sechs unserer Shrikes bei einem koordinierten Angriff gesehen, und es ist wirklich Ehrfurcht gebietend – wie die Faust Gottes, die eine Schar armer Sünder zerschmettert. Die SRA-Marinesoldaten in der Nähe können sich diesem Eindruck auch nicht entziehen: Sie jubeln, als die Shrikes über uns hinwegziehen und sich hinter der Siedlung wieder in zwei Gruppen aufteilen. Dieser Moment ist so surreal, dass ich angesichts seiner Absurdität grinsen muss. Noch vor ein paar Wochen wäre Jubel das Letzte gewesen, was diesen russischen Soldaten beim Anblick einer Sechserketten-Formation der modernsten Bodenangriffs-Raumschiffe des NAC Defense Corps eingefallen wäre. Aber die alten Regeln gelten nicht mehr, und dabei verspüre ich ein seltsames Hochgefühl.

Über die TacLink-Datenverbindung sehe ich, was die Shrikes sehen, als sie wenden und einen erneuten Zielanflug auf das Plateau starten. Die orangefarbenen Symbole für Lanky-Kontakte werden in meine Karte eingeblendet, als die Shrikes die Lankies ins Visier nehmen. Und dann verlöschen sie wieder, als die panzerbrechenden Granaten und Raketen der Shrikes ins Ziel gehen. Die schiere Größe der Lankies wirkt sich zu ihrem Nachteil aus – sie können sich nicht vor unseren Jägern verstecken, und sie haben ihnen auch offensichtlich nichts entgegenzusetzen. So groß und stark sie auch sind, ohne den Schutzschirm ihres Mutterschiffs sind sie kein Gegner für Raumschiffe, die entwickelt wurden, um gepanzerte Fahrzeuge und SRA-Stellungen auszuschalten.

Natürlich sind sie uns schwachen Menschen am Boden immer noch überlegen, da wir nicht über die Vorzüge einer gepanzerten Schale verfügen, die mit achthundert Knoten wegfliegen kann, wenn die Lage kritisch wird.

»Tailpipe Eins, Hammer Eins. Wir machen auf dem Plateau reinen Tisch. Noch etwas: Eine Zwanziger-Gruppe kommt aus zwei-sieben-null Grad auf euch zu. Wir haben nicht mehr genug Munition, um sie alle auszuschalten, bevor sie euch erreicht haben.«

»Hammer Eins, verstanden«, antworte ich. »Zieht euch aus diesem Bereich zurück. Es erfolgt Beschuss aus dem Orbit.«

»Verstanden«, erwidert der Hammer-Rottenführer.

Ich gehe wieder auf den taktischen Kanal der Flotte und nehme Kontakt mit der REGULUS auf.

»TO, hier Tailpipe Eins. Prioritäts-Feuermission. Beantrage den sofortigen kinetischen Beschuss der folgenden ZRP.« Ich lade die Daten für den Zielreferenzpunkt hoch, den die Hammer-Rotte mir genannt hat: eine Schlucht drei Kilometer nordwestlich von uns. Wütende Lankies können drei Kilometer verdammt schnell bewältigen, und ich bin nicht darauf erpicht, in ein paar Minuten zwanzig von ihnen auf der Startbahn zu sehen. Egal, ob die Landungsschiffe über uns sind oder nicht.

»Tailpipe Eins, hier REGULUS. Empfange Zieldaten. Das Paket ist in sieben-null Sekunden unterwegs.«

Ich übermittle eine »KINETISCHER BESCHUSS«-Warnung an alle NAC-Einheiten in der Nähe und renne dann zu Dimitri, der noch immer über seine Steuerkonsole gebeugt ist. Er schaut zu mir auf, als ich schlitternd zum Stehen komme.

»Sag deinen Leuten, dass wir in ein paar Minuten kinetische Sprengköpfe einsetzen – drei Kilometer diese Richtung.« Ich deute in Richtung des Zielgebiets. Man weiß die Vorteile eines integrierten Datennetzwerks erst dann zu schätzen, wenn man ein Gefecht der verbundenen Waffen mit einer Gruppe von Soldaten koordinieren muss, deren Computer nicht mit den eigenen kommunizieren können. Auf Zuruf und mit Handzeichen zu arbeiten ist langwierig und kostet wertvolle Zeit, wenn in Kürze kinetische Energie in einer Größenordnung von Dutzenden Kilotonnen mit zwanzigfacher Schallgeschwindigkeit sich in nächster Nähe entfaltet.

Dimitri nickt und spricht wieder in sein Funkgerät. Vermutlich, um die SRA-Marinesoldaten wissen zu lassen, dass die Hand Gottes gleich drei Kilometer entfernt zuschlagen wird. Der Einsatz kinetischer Sprengköpfe ist fast genauso beeindruckend wie der einer kleinen Atombombe. Und wenn ein solcher Einsatz ohne Vorwarnung in der Nähe erfolgt, kann einen das schon aus der Ruhe bringen – gelinde gesagt.

In der Nähe erledigt eine Gruppe NAC-Rauminfanteristen zwei versprengte Lankies mit einem Sperrfeuer von MARS-Raketen. Unterstützt werden sie dabei von einer Gruppe SRA-Marinesoldaten, die ebenfalls Raketenwerfer einsetzen. Sie kommen von vorne, wir von hinten – beide Seiten haben das gleiche Ziel und erzielen das gleiche Resultat. Ein Lanky geht zu Boden, nachdem er von einigen panzerbrechenden Explosivgeschossen und Dutzenden Gewehrgranaten getroffen wurde. Der andere steckt die Treffer weg und geht weiter – mitten ins Abwehrfeuer der beiden Gruppen hinein. Ich nehme das M-80 von der Schulter, überlasse dem Computer die Zielerfassung und feuere beide Läufe auf den sich nähernden Lanky ab, als der gerade über die »multinationale« menschliche Truppe herfällt. Ich bin noch immer fünfzig Meter entfernt und damit in relativer Sicherheit, doch ein paar andere Soldaten haben weniger Glück. Der Lanky schleudert sie mit einer ausladenden Bewegung eines dürren Arms weg, und sie werden wie Schutt in einem Hurrikan durch die Luft gewirbelt. Ich öffne den Verschluss des Gewehrs, hole zwei Patronen aus dem Gurt und lade die Kammern nach. Zu dem Zeitpunkt, als ich die Waffe wieder in Anschlag bringe, ist der Lanky durch das konzentrierte Feuer der ihn umzingelnden Soldaten bereits in die Knie gegangen. Er stößt einen ohrenbetäubenden Schrei aus, als er von allen Seiten von Gewehrgranaten und Raketen getroffen wird. Dann fällt er schwer auf den geröllübersäten Boden und erliegt schließlich den Dutzenden superdichter Wuchtgeschosse, die wir ihm auf den Pelz gebrannt haben. Sie sind so groß, so dickhäutig und so unglaublich zählebig, dass man sich bei jedem Abschuss fühlt, als ob man einen Gott vom Sockel gestürzt hätte.

Die kinetischen Sprengköpfe der AVENGER kündigen ihre Ankunft mit einem unheimlichen Kreischen an. Dann schlägt der erste drei Kilometer entfernt am Eingang der Schlucht ein. In der Ferne lodert ein greller Feuerball auf, es ertönt ein Donnerhall, und der Boden wird so heftig erschüttert, dass ich einen festen Stand suchen muss. Dimitris Steuerkonsole hüpft vom improvisierten Podest und fällt klappernd auf den Boden. Eine Staub- und Gesteinswolke schießt in den blauen Himmel. Dann schlägt eine zweite Granate ein, eine dritte und eine vierte. Die AVENGER hat auf Einzelfeuer geschaltet: Der erste Schuss ging in den Eingang der Schlucht, um das Einfallstor für die Lankies zu blockieren, und die anderen drei gingen in die Schlucht selbst, um das tödliche Werk zu vollenden. Innerhalb einer halben Minute erhebt die Wolke aus Gestein und Staub im Nordwesten sich etwa dreihundert Meter über das Plateau.

Dimitri sieht sich das Feuerwerk in der Ferne für eine Weile an. Dann hebt er die Steuerkonsole auf, wischt den Schmutz ab und stellt sie wieder vor sich auf.

»Ihr habt gerade eine Vertragsverletzung begangen«, sagt er. »Des Svalbard-Abkommens. Wenn wir wieder auf der Erde sind, werde ich beim Kriegsverbrechertribunal der Vereinten Nationen Anzeige erstatten.«

Nukleare und kinetische Waffen – sowie alle anderen Massenvernichtungswaffen – sind von beiden Seiten für den Kampfeinsatz geächtet worden. Technisch hat Dimitri recht: Dass die AVENGER kinetische Sprengköpfe auf einen SRA-Mond abgefeuert hat, ist mutmaßlich eine formale Verletzung dieses Vertrags. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Einsatz auch gegen den Geist des Vertrags verstößt, denn wir haben Lankies angegriffen und keine SRA-Einrichtungen. Insofern bin ich mir ziemlich sicher, dass Dimitri nur ein Späßchen macht. Andererseits muss ich mich noch immer an den speziellen russischen Humor gewöhnen – oder vielleicht auch nur an Dimitris.

»Falls wir jemals wieder zur Erde zurückkehren, können die mir das alles auf die Rechnung setzen«, sage ich Dimitri. »Mir blühen sowieso schon zwanzig Jahre wegen Meuterei.«

Drei Rotten Landungsschiffe treffen im Fünfminutentakt ein. Es sind alles SRA-Schiffe, deren Besatzung hauptsächlich aus NAC-Infanterie besteht. Das gemischte SRA/NAC-Bataillon erledigt nacheinander die restlichen Lankies in der Siedlung, während die Landungsschiffe und Shrikes uns Luftunterstützung geben. Dies ist das erste Mal, dass ich mit einer vollständigen Kampfgruppe der verbundenen Waffen im Gefecht gegen die Lankies im Einsatz bin – mit voller Unterstützung aus dem Orbit und allen Ressourcen einer planetaren Offensivkampfgruppe. Und wir gewinnen zum ersten Mal definitiv im Bodenkampf gegen sie. Sie sind eben doch nicht unbesiegbar. Zu dumm, dass wir in absehbarer Zeit nicht in der Lage sein werden, dieses Zusammentreffen besonderer Umstände zu wiederholen.

Ich verbringe die nächsten Stunden damit, die Luftunterstützung und die Landungsschiffe zu koordinieren, die von der Kampfgruppe entsandt werden, um Soldaten und Überlebende aufzusammeln. Sie fliegen zu den Trägern zurück, werden betankt und kehren dann wieder zurück. Jedes Schiff der kombinierten Einsatzgruppe aus NAC- und SRA-Einheiten befindet sich im Raum oder in der Atmosphäre des Mondes, wobei gleichzeitig Starts und Landungen stattfinden. Es ist immer noch ein bizarrer Anblick, wie Shrikes eine Rotte SRA-Landungsschiffe eskortieren oder Wasps und Akulas in Formation über uns hinwegfliegen. Und egal, wohin dieses seltsame neue Arrangement in Zukunft auch führen wird – ich habe schon so viel Zeit damit verbracht, auf diese Leute zu schießen, dass ich mich vielleicht niemals an einen solchen Anblick gewöhnen werde.

Als das letzte Landungsschiff mit SRA-Zivilisten und den Resten der Garnisonsbesatzung schließlich in der Luft ist, ist die Kolonialstadt nur noch ein öder Trümmerhaufen, in dem zerstörte Ausrüstungsgegenstände und tote Lankies verstreut sind. Der gemischte Zug am Boden, in den ich eingebettet bin, bilanziert unsere Verluste und bereitet den Rückzug vor. Zwei Landungsschiffe warten mit ausgefahrenen Heckrampen und laufenden Triebwerken am Rand des alten SRA-Militärflugplatzes auf uns. Es gibt noch immer etliche Lankies auf diesem felsigen Mond, aber diejenigen, die von unseren Aufklärungsflügen ausgemacht werden, bewegen sich entweder allein oder in kleinen Gruppen. Nachdem wir die aufmarschierende Lanky-Gruppe in der nahen Schlucht mit kinetischen Sprengköpfen ausgeschaltet hatten, haben die Lankies keine weiteren Versuche unternommen, die Siedlung zurückzuerobern und die Evakuierung zu stören. Vielmehr sind die Lankies, die sich noch immer in diesem Bereich befinden, peinlich darauf bedacht, sich von uns fernzuhalten. Die Shrikes greifen noch immer Ziele an, die sich in diesem Teil der Mondhemisphäre anbieten. Aber es sind noch immer Hunderte von Lankies über den ganzen Mond verstreut, und wir würden noch einen Monat brauchen, um auch den Letzten von ihnen aus der Luft zu töten. Unsere Mission hier ist erfüllt, und es wird nun Zeit, uns vom Acker zu machen, bevor ein anderes Saatschiff in der Umlaufbahn erscheint und uns einen Strich durch die Rechnung macht.

Die wartenden Landungsschiffe sind eine Wasp und ein Akula. Der russische Teil des Zuges geht an Bord des Akula, während die NAC-Soldaten die Laderampe der Wasp hinaufstapfen. Wir kehren zu unseren jeweiligen Trägern zurück, die nicht über Andockvorrichtungen für Schiffe der anderen Seite verfügen.

»Alles Gute, Dimitri«, sage ich meinem SRA-Kollegen, während wir gemeinsam zu unseren Schiffen marschieren.

»Dir auch, Andrew«, sagt er. »Vielleicht werden wir für eine Weile mal Abstand davon nehmen, uns zu töten, was? Falls ich dich auf dem Schlachtfeld sehe, werde ich mich vielleicht damit begnügen, dich nur ein bisschen zu verwunden.«

Ich bin der Letzte, der die Rampe der Wasp hinaufgeht. Als ich mich umdrehe und den Blick über das Bild der Verwüstung schweifen lasse, das die alte SRA-Garnison bietet, sehe ich, dass Dimitri am Heck des Akula steht und zusieht, wie ich an Bord gehe. Erst als meine Stiefel die stählerne Rampe der Wasp betreten, geht auch er an Bord seines Schiffs. Ich entbiete ihm einen lässigen militärischen Gruß, den er exakt nach Vorschrift erwidert.

Ich weiß auch, weshalb er gewartet hatte, bis ich den Mond verließ, bevor er an Bord seines Schiffs ging.

Als Erster rein, als Letzter raus. Unsere Tätigkeit bringt es mit sich, dass wir als Erste den Fuß auf einen Planeten oder Mond setzen und ihn am Ende einer Mission auch wieder als Letzte verlassen. Dies war eine SRA-Siedlung. Also hat ihr Gefechtscontroller darauf geachtet, dass er als Letzter an Bord des letzten Schiffs ging, das diesen Mond verließ. Es scheint, als ob unsere jeweiligen militärischen Kulturen doch durch manche traditionellen Gemeinsamkeiten verbunden wären.

Ich schnalle mich auf dem letzten freien Sitz in der überfüllten Wasp an und sichere meine Waffe. Hinter mir wimmert die Heckrampe, als der Crew Chief die Luke für den Raumflug verriegelt. Im Mittelgang der Wasp zwischen den zwei Sitzreihen zähle ich fünf Leichensäcke. Wir haben heute unseren Teil geleistet – haben auf SRA-Territorium Schweiß und Blut vergossen, um Zivilisten zu retten, die wir noch vor ein paar Monaten ungerührt ihrem Schicksal überlassen hätten. Vielleicht entwickeln wir uns im Angesicht unserer Auslöschung nun doch als Spezies weiter.

Vielleicht hätten die Lankies schon vor ein paar Tausend Jahren erscheinen sollen.

2

NEW SVALBARD

Ich bin nun schon seit fünf Jahren bei der Flotte und habe nach der Ausbildung zum Gefechtscontroller jedes halbe Jahr das Schiff gewechselt. Aber ich bin bis zu dieser Woche noch nie auf einem Supercarrier der Navigator-Klasse gewesen. Die Navigatoren sind der Stolz der Flotte: Sie haben die halbe Tonnage der nächstgrößeren Trägerklasse und sind mit Abstand die leistungsfähigsten Kriegsschiffe, die bisher in Dienst gestellt wurden. Aber sie sind zu selten und zu wertvoll, um sie bei solchen Aktionen zu verheizen, an denen ich in den letzten paar Jahren hauptsächlich teilgenommen habe. So kommt es also, dass ich erst jetzt über die Decks eines dieser Schiffe spaziere.

Die schiere Größe der REGULUS steht in einem starken Kontrast zur kleinen Besatzung. Ich kenne die Mannschaftsstärke eines Trägers und das Ausmaß der Aktivitäten an Bord. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass die REGULUS bestenfalls mit der Hälfte der regulären Besatzung betrieben wird. Sie war zur Überholung und Vorratsaufnahme in der Flottenwerft Europa, als die Lankies im Sonnensystem auftauchten und den Mars eroberten. Deshalb musste sie mit der Wartungscrew und dem Personal, das man auf Europa sonst noch zusammenkratzen konnte, ins Gefecht ziehen. Das NAC Defense Corps hatte bei der gescheiterten Verteidigung des Mars die schlimmste Niederlage ihrer Geschichte erlitten, und nun pfeift es praktisch auf dem letzten Loch. Die REGULUS war noch nicht einsatzbereit, als die Schlacht um den Mars fast schon vorbei war; und sie konnte nicht mehr tun, als ihre Begleitschiffe einzusammeln und zu fliehen. Nach allem, was ich weiß, ist die REGULUS jetzt die letzte der Navigatoren. Und nach allem, was ich sonst noch weiß, sind wir Menschen im Formalhaut-System vielleicht die Letzten unserer Art.

Die Einsatznachbesprechung im Besprechungsraum der Abteilung für Spezialeinsätze der REGULUS findet in einer angenehm entspannten Atmosphäre statt. Ich war der einzige NAC-Gefechtscontroller am Boden; die anderen Vertreter der Spezialeinsatzkräfte sind zwei Angehörige der Raumnotrettung, ein SEAL-Team von der REGULUS und drei Teams der Rauminfanterie-Aufklärung der Garnison von Camp Frostbite. Die MIDWAY hatte ihr halbes Rauminfanterie-Kontingent auf Frostbite zurückgelassen, als sie den Schwanz einzog und mit dem Rest der Kampfgruppe die Flucht ergriff.

Ich gehe in den Besprechungsraum und setze mich auf einen Stuhl im hinteren Bereich, hinter dem SEAL-Team und auf der entgegengesetzten Seite der Kameraden von der Rauminfanterie-Aufklärung. Das ebenso kurze wie heftige Blutvergießen während unsrer Meuterei auf New Svalbard ist allen Anwesenden noch frisch in Erinnerung. Ein paar Rauminfanteristen haben mir auf dem mehrwöchigen Flug hierher auch feindselige Blicke zugeworfen oder unfreundliche Bemerkungen gemacht. Bis wir wieder in der Umlaufbahn über New Svalbard sind, werde ich es tunlichst vermeiden, mich in einen wenig frequentierten Winkel dieses Schiffs zu verirren, solange ein halbes Dutzend angepisster Weltraumaffen zwischen mir und der Ausstiegsluke steht.

Der Kommandeur für Spezialeinsätze auf der REGULUS ist ein Major namens Kelly, ein Mann mit harten Gesichtszügen. Er hat vorzeitig ergrautes Haar und das verwitterte, von den Fährnissen des Lebens kündende Äußere eines Veteranen der Spezialeinsatzkräfte der Flotte. Unser Lebensstil hat einen starken körperlichen und mentalen Verschleiß zur Folge, und die meisten Angehörigen unserer »Branche« sehen mindestens zehn Jahre älter aus, als sie tatsächlich sind.

»Das war ein Arschtritt wie aus dem Lehrbuch«, sagt er zum Auftakt der Nachbesprechung und aktiviert das holografische Display an der Wand. »Keine Verluste auf unserer Seite. Einhundertneunundsiebzig bestätigte Lanky-Abschüsse und über fünfzig wahrscheinliche.«

Wir alle jubeln in der angemessen zurückhaltenden und professionellen Weise. Das sind die bei Weitem höchsten Verluste, die eine Einheit den Lankies bei einer einzigen Landung und ohne Atomwaffeneinsatz zugefügt hat. Wir haben das hauptsächlich auf die altmodische Art und Weise erledigt: auf dem Boden und mit konventionellen Waffen.

»Wie viele Verluste bei der Rauminfanterie? Und, äh, bei der SRA?«, fragt einer der SEALs.

»Neunzehn Gefallene, etwas über zwanzig Verwundete«, erwidert der Major. »Ich habe zwar keine Zahlen für die Russen, aber sie hatten auch viel weniger Leute im Einsatz.«

»Das ist kein Drama bei einer Landung dieser Größenordnung«, sagt der Lieutenant, der das SEAL-Team leitet. Was natürlich noch stark untertrieben ist. Selbst dreimal so hohe Verluste der Rauminfanterie bei einem Angriff auf eine SRA-Garnison mit einem oder zwei Bataillonen wäre noch im Rahmen des Normalen gewesen. Allerdings war bisher auch noch niemand mit einem verstärkten Regiment aus der Umlaufbahn gegen die Lankies angetreten. Als wir bei ihrem letzten Auftritt mit einer solchen Truppenstärke am Boden waren, hatten sie den Verband fast komplett aufgerieben.

»›Kein Drama‹ trifft es«, sagt Major Kelly. »Wir haben diesen dürren Bastarden gerade auf ihrem Territorium zu gleichen Bedingungen kräftig in den Arsch getreten. Wenn es in den letzten paar Jahren nur halb so gut gelaufen wäre, hätten wir sie jetzt schon in die Flucht geschlagen.«

»Sie haben sich auch irgendwie seltsam verhalten«, sage ich. Die meisten Köpfe im Raum drehen sich in meine Richtung. »Ist das sonst noch jemandem aufgefallen? Sie waren nicht annähernd so aggressiv wie sonst. Sie haben beinahe träge gewirkt.«

»Genau«, sagt der SEAL-Lieutenant. »Als ob sie irgendwie schläfrig gewesen wären oder so.«

»Vielleicht haben wir sie demoralisiert«, mutmaßt einer der Kameraden von der Rauminfanterie-Aufklärung, worauf der SEAL-Lieutenant ein kurzes schnaubendes Lachen ausstößt.

»Sie waren ohne ihr Mutterschiff da«, sagt Major Kelly. »Das erklärt natürlich ihre Niederlage, aber vielleicht steckt doch noch mehr dahinter. Vielleicht fehlte es ihnen an etwas, das mit diesem Saatschiff zur Nova wurde. Weiß der Geier.«

»Sie haben auch nichts auf der Oberfläche errichtet«, sage ich. »Ich bin alle Aufklärungsdaten vor und nach der Landung durchgegangen. Kein einziger Lanky-Terraformer oder wie zum Teufel sie ihre Dinger auch nennen. Es ist ihnen nicht einmal gelungen, alle SRA-Stationen einzureißen, und das ist normalerweise ihre erste Amtshandlung. Zwei Drittel des SRA-Terraforming-Netzwerks dort unten sind noch immer intakt und funktionsfähig.«

»Wenn ich raten müsste«, sagt Major Kelly, »haben wir ihre Nahrungs- und Baustoffvorräte vernichtet, als wir ihr Schiff zerstörten. Zumal auch nicht genug Lankies am Boden waren. Nicht genug für die Übernahme einer Kolonie. Es gibt doch Tausende von diesen Dingern in einem Saatschiff.«

»Sie waren nur ein erster Aufklärungstrupp oder so was«, mutmaßt jemand anders im Raum. »Ein Schiff fliegt am Mond vorbei, setzt den Voraustrupp ab, schießt diesen SRA-Kreuzer ab und wird dann von den Leuten auf New Svalbard zum Teufel geschickt.«

»Der Voraustrupp ist ohne Unterstützung auf dem SRA-Mond gestrandet«, ergänzt Major Kelly. »Also haben wir ihnen praktisch nur deshalb in den Arsch treten können, weil sie unterernährt und orientierungslos waren.«

Die Feststellung des Majors hängt für einen Moment wie üble Winde nach dem Essen in der Luft. Niemandem gefällt die Vorstellung, dass unser erster großer militärischer Erfolg gegen die Lankies – die heldenhafte Rettung von Kolonisten! – hauptsächlich dem Umstand geschuldet war, dass die Lankies wahrscheinlich zu schwach zu einer richtigen Gegenwehr waren. Dann zuckt Major Kelly die Achseln und schüttelt den Kopf.

ENDE DER LESEPROBE