Ein guter Fang - Birgit Hasselbusch - E-Book

Ein guter Fang E-Book

Birgit Hasselbusch

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Beschreibung

Mia und ihre beste Freundin Jette sind absolute Handballfans. Immer freitags trainieren sie, und zwar in derselben Halle wie die männliche B-Jugend. Mia schwärmt vor allem für deren Trainer Jan. Gut, dass Jettes Bruder mit Jan befreundet ist. Vielleicht lässt sich auf der Party am Wochenende etwas einfädeln? Denn das nächste Handballcamp steht an, und die Konkurrenz schläft nicht …

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Birgit Hasselbusch

Ein guter Fang

Ballkontakte

Wer würde jemanden anziehend finden, der überhaupt nichts anzuziehen hat?

Blöder Kleiderschrank!

Ich stehe zwischen zwei offenen Schranktüren, und um mich herum türmen sich Pullis, T-Shirts, Hosen und Schuhe.

«So ein Mist, das passt doch alles nicht zusammen!», seufze ich.

Papa steckt den Kopf durch die Tür und will wissen, ob er mir irgendwie helfen kann. Hat schon mal jemand einen besseren Witz gehört? Da fragt mich der Mann, der täglich im Anzug mit einer gestreiften Krawatte in die Firma geht, ob er mir eine Typberatung geben soll. Mit seinem grünen Schlips sollte er mal lieber einen Arzt fragen, ob der ihm helfen und auf Farbenblindheit testen könnte. Mann, bin ich geladen.

Es ist früher Freitagnachmittag, und Papa ist eben aus dem Büro nach Hause gekommen, lockert sich gerade diese schrecklich hässliche Krawatte und macht mit der anderen Hand eine Flasche auf.

«Wohin willst du denn überhaupt, Miachen? Zum Tanzen? Ins Theater? Zum Vorstellungsgespräch?»

Papa versteht mal wieder gar nichts.

«Ich habe gleich Handballtraining und weiß nicht, was ich anziehen soll.»

Papa prustet das Wasser wieder aus, das er gerade trinken will, und lacht schallend los.

«Du fragst dich, was du zum Sport anziehen sollst?» Dabei schaut er wie jemand, der nicht weiß, dass es inzwischen mehr als drei Fernsehprogramme gibt.

War ja klar, dass er das nicht verstehen würde. Gleich wird er wieder erzählen, dass er damals nur eine Trainingshose hatte.

«Ich hatte früher immer mein HSV-T-Shirt an beim Sport, wenn du willst, kannst du das haben.»

Wie gesagt, Papa ist modisch noch nie so ganz auf der Höhe gewesen.

«Du willst mir dein HSV-Trikot geben? Erstens laufe ich nicht mit so einem schlabberigen XXL-Teil rum, und zweitens spiele ich nicht beim HSV, sondern beim TSV Alsterberg.»

«Na und?» Er zuckt nur mit den Schultern. «Ist doch egal.»

«Mensch, Papa. Das wäre so, als würdest du ein T-Shirt tragen, auf dem Sabine steht, obwohl deine Frau Vera heißt.»

«Was hat Papa mit einer Sabine?» Prompt steht Mama in der Tür und schaut ihren Mann herausfordernd an.

Der hebt die Arme abwehrend in die Höhe, dreht sich auf dem Absatz um und ruft theatralisch: «Zwei gegen einen, das ist unfair. Ich lass euch lieber alleine.»

Mama blickt unterdessen skeptisch auf den Kleiderberg vor meinem Schrank. Erst gestern haben wir uns gestritten, weil mein Zimmer zu unordentlich ist. Mama hat gesagt: «Wenn du bis morgen nicht alles aufgeräumt hast, dann, ja dann, wirst du schon sehen…» Ihre Drohungen enden immer mit den Worten: «Wirst du schon sehen.» Allerdings habe ich noch nie gesehen, was ich schon sehen würde. Mama versucht oft, richtig streng zu sein, ist dafür aber einfach zu gutmütig. Und selber auch zu unordentlich.

«Mia, musst du nicht allmählich zum Handball? Das Training geht doch gleich los?»

Ich seufze nochmal laut und überlege, ob ich ihr erklären soll, warum es so schwierig ist. Mama sagt zwar immer, wir seien nicht wie Mutter und Tochter, sondern wie beste Freundinnen, aber ich sehe das etwas anders. Alles muss sie ja nun auch nicht wissen. Das bespreche ich lieber mit meiner wirklich besten Freundin. Mit Jette, die genau wie ich vierzehn ist und auch in der C-Jugend Handball spielt. Freitags, also heute, teilen wir uns die Halle mit der männlichen C-Jugend. Und deren Trainer Jan ist der Grund dafür, dass ich äußerlich unausstehlich wirke und innerlich glühe. Jan hat ganz süße blaue Augen, ein nettes Lächeln und einen hammerharten Wurf. Das einzig Blöde ist, dass das nicht nur mir aufgefallen ist, sondern der gesamten Mädchenmannschaft. Alle legen sich mächtig ins Zeug, um ihn zu beeindrucken. Im wahrsten Sinne des Wortes «ins Zeug», denn immer freitags kommen alle top gestylt in die Halle. Enge Leggins und kurze, bauchfreie Tops in coolen Farben. Jede versucht, die andere auszustechen, aber bisher ist noch keine bei Jan gelandet. Na ja, der ist ja auch schon neunzehn. Vermutlich hat er eine viel ältere Freundin, aber so genau weiß das keiner. Jan selber scheint es noch nicht aufgefallen zu sein, dass ihm alle Handballmädchen schöne Augen machen. Die Jungs, die er trainiert, merken es aber schon. Die sind in etwa so alt wie wir, aber noch halbe Kinder. Viel zu albern. Neulich erst hat einer rübergerufen: «Na, wollt ihr nicht lieber in die Disco gehen, so wie ihr ausseht?» Oder Matti, der auch in meine Klasse geht, hat gesagt: «Ihr seid doch viel zu schwach zum Handballspielen. Werf doch mal, werf doch mal.»

«Wirf doch mal, heißt das!», habe ich zurückgeblafft.

Ein Junge, der keine Grammatik kann, würde bei mir niemals den großen Wurf landen. Auch wenn ich in Handball vielleicht nicht die Allerbeste bin, in Deutsch bin ich eine Leuchte, schriftlich und mündlich ’ne glatte Eins. Deswegen will ich auch unbedingt Journalistin werden, am liebsten Radioreporterin. Da kann man gute Texte formulieren und diese auch noch selber sprechen. Das ist mein Traumberuf.

Während ich in Gedanken schwelge und mich als große Starreporterin sehe, zerplatzt der Traum von der Journalisten-Karriere. Denn Papa kommt mit einem großen braunen Umschlag in mein Zimmer.

«Mäuschen, du hast Post bekommen. Hast du den noch gar nicht aufgemacht? Ich glaube, der ist vom Norddeutschen Rundfunk.»

Mit einem Satz bin ich auf den Beinen, reiße den Umschlag mit strahlenden Augen auf, um im nächsten Augenblick in mir zusammenzusacken.

«Die wollen mich nicht!», bringe ich geknickt heraus. Mama nimmt mich in den Arm, und Papa überfliegt den Brief: «Liebe Mia Regner… vielen Dank… Bewerbung Praktikumsplatz… Sportredaktion… leider schon alle Plätze vergeben… mindestens ein Jahr früher bewerben… Alles Gute…»

Trotzig schaue ich zu Boden. Ich ärgere mich, dass ich die Bewerbung so spät losgeschickt habe.

«Tja, Mia, hättest du dich mal früher drangemacht», meint Papa ein bisschen altklug.

Mama verteidigt mich sofort: «Wer rechnet denn schon damit, dass die ein Jahr im Voraus planen. Und außerdem macht sie das ja nicht jeden Tag. Ist schließlich ihr erstes Schulpraktikum!»

Papa tätschelt mir die Wange. «Wenn es gar nicht klappt, Miachen, dann machst du das Praktikum bei mir in der Versicherung!»

«O Gott, bloß nicht!», rufen Mama und ich gleichzeitig, und wir drei lachen.

«Wir wollen doch nicht noch so einen Langweiler in der Familie haben», neckt Mama.

Papa verzieht das Gesicht.

«Dann muss ich später auch so geschmacklose Krawatten tragen», kichere ich. Mir geht es schon ein wenig besser. Mit meinen Eltern kann man wirklich viel Spaß haben.

«Am besten, du bindest dir jetzt zum Handballtraining schon mal meine Krawatte um, damit fällst du bestimmt auf!»

Und damit wäre ich bestimmt auch das Gespött der Mannschaft. Schnell ziehe ich mir irgendeine Jogginghose und ein blaues T-Shirt an, stürme die Treppe unseres Hauses über die knarzenden Holzdielen hinunter, packe mir in der Küche ein Getränk in meinen Rucksack und renne los. Jette wartet schon an der Ecke auf mich. Auf halbem Weg fällt mir auf, dass ich wegen der Absage gar nicht mehr auf meine Kleidung geachtet und zum ersten Mal seit langem nicht an Jan gedacht habe.

Winkend steht Jette an der großen Kastanie in trendy lilafarbenen Dreiviertel-Hosen. Genau das richtige «Hej-siehst-du-nicht-dass-ich-die-einzig-Wahre-für-dich-bin?-Outfit». Das allerdings ist das Letzte, was Jette will.

«Ich fang doch nichts mit dem Freund meines Bruders an», sagt sie immer und verzieht dabei das Gesicht zu einer angeekelten Grimasse. Im Grimassenschneiden macht ihr niemand was vor. Egal, wie schlecht es mir geht, ich muss immer über sie lachen. So wie auch jetzt. Ihr Bruder Nic geht mit Jan in eine Klasse. Vier Klassen über Jette und mir. Ihren Bruder kann sie nicht ab, also auch seinen Freund Jan nicht. Wenn man sie fragt, wie sie ihn findet, antwortet sie in ihrer Grimassen-Sprache: Sie verdreht die Augen und steckt sich dabei zwei Finger in den Mund. Capito?

Allerdings wäre sie nicht Jette und auch nicht meine beste Freundin, wenn sie mir nicht versprochen hätte, über ihren Bruder-Schatten zu springen, damit ich an Jan herankommen kann.

«Mia, ich hab mir was ausgedacht», flüstert sie mir in der Halle zu. «Morgen kommt Jan zu uns, und dann machen wir Folgendes…»

«Meine Damen. Schluss mit Schwätzchen. Jetzt lauft ihr erst mal zwanzig Runden!» Die forsche Stimme unserer Trainerin Helga schreckt uns auf.

Helga ist schon achtzig, aber eine Ikone im Handballsport. Sie hat schon viele Mannschaften vom TSV Alsterberg nach ganz oben gebracht. Viele haben die Hamburger Jugendmeisterschaft gewonnen, einige sogar die Norddeutsche, und, kaum zu glauben, ein paar Teams sind sogar mal Deutscher Meister gewesen. Auch wenn das Lichtjahre her ist. Wir spielen im oberen Mittelfeld mit. Und seit langem schon träume ich davon, dass mir einmal der entscheidende Wurf zum Titel gelingt: Beim Stand von 16:16 springe ich in der letzten Sekunde von Linksaußen in den Kreis hinein, Jette spielt mir den Ball hoch, ich fange ihn in der Luft und versenke ihn an der Torhüterin vorbei oben unter der Latte. Einen lupenreinen Kempa-Wurf! Alle Mädchen schmeißen sich wie eine Traube auf mich, erdrücken mich fast und tragen mich danach auf Händen mit dem Pokal aus der Halle. Der Jugendnationaltrainer fragt hektisch «Wer ist denn diese Ausnahmespielerin?» und lädt mich sofort zum nächsten Lehrgang ein, wo ich Mannschaftsführerin werde, und…

»Mia, träumst du wieder? Wir sollen uns einen Ball nehmen. Schnell!»

Jette holt mich zurück in die Realität. Und die sieht um einiges unglamouröser aus. Ich, Mia Regner, spiele mit meinen vierzehn Jahren auf Linksaußen mehr schlecht als recht. Die Position teile ich mir mit der zickigen Jana, und wenn ich mal alle Jubeljahre ein Tor werfe, dann ist es entweder übergetreten oder völlig unbedeutend, aber niemals das alles entscheidende Tor. Beste Voraussetzungen also, um einen Tophandballer wie Jan zu beeindrucken. Haha, dass ich nicht lache. Vielleicht sollte ich lieber zum Schach wechseln oder zum Synchronschwimmen. Da braucht man keinen harten Wurf.

«He, Mia, nicht so doll. Was ist denn mit dir los?» Jette reibt sich ihre Fingerspitzen und macht mit der anderen Hand das Bescheuert-Zeichen. Ich stehe ihr in der Halle gegenüber, wo wir uns den Ball zuwerfen. Ein bisschen wütend zu sein, scheint dabei Wunder zu wirken, denn je wütender ich bin, umso härter ist mein Wurf. Das muss ich mir merken.

«So grimmig wie du schaust, würde ich mich nicht in dich verlieben!», triezt mich Jette.

«Na, das hätte mir gerade noch gefehlt!», kontere ich, schnappe mir den Ball, stürme zum Tor und werfe zwei Meter drüber. Der Ball prallt von der Wand ab, springt, kullert über den Boden und landet in der anderen Hallenhälfte direkt vor Jans Füßen.

Ich krabbele mit hochrotem Kopf hinüber und fische nach meinem Ball.

«Guckt doch mal, Mia wirft sich unserem Trainer zu Füßen!» Alle Jungs lachen, und einer pfeift sogar auf zwei Fingern.

«Jetzt reicht’s!» Jan staucht seine Jungs zusammen und wirft mir dabei einen ganz süßen Blick zu, wie ich finde.

Mein Herz rast ja sowieso schon, weil ich durch die Halle gesprintet bin, jetzt klopft es aber noch schneller. Etwas ungeschickt greife ich nach dem Ball, der mir sofort wieder aus den Händen rutscht, so schweißnass sind sie. Eine Hand erscheint vor meinem Auge und reicht mir den Ball. Sie gehört Matti.

«Jetzt nehm schon den Ball!», sagt er ungeduldig.

«Matti, es heißt: Nimm schon den Ball. Und nicht nehm!», korrigiere ich ihn sofort.

«Ja, ja, Fräulein Oberklug. Aber in Mathe darf ich dir helfen, oder?»

Recht hat er. Erst vorgestern hat er mir mein Leben gerettet, als ich kurz vorm Klingelzeichen die Hausaufgaben noch schnell bei ihm abschreiben durfte.

«Schon gut, Matti. Tut mir leid. War mit meinen Gedanken woanders», entschuldige ich mich.

«Kann mir schon denken, wo», murmelt Matti und prellt energisch zurück zu seiner Mannschaft.

«Wenn die Dame Regner dann auch so weit wäre!», höre ich Helgas Stimme durch die Halle schmettern.

Sie hat ein Organ wie ein Feldmarschall kurz vor dem Angriff. Ähnlich gnadenlos und streng ist sie auch. «Mia, du bist nicht bei der Sache. Zwanzig Strafsprints, für alle. Danach dreißig Sit-ups und Liegestütz. Und los!» Dabei klatscht sie so laut in die Hände, dass auch der Letzte aufgewacht ist.

Nicht umsonst trägt sie den Spitznamen «General Helga»!

Alle sprinten fluchend los und werfen mir eisige Blicke zu.

«Na, da hast du uns ja was Schönes eingebrockt!», zischt mir Jana zu.

«Das mit dem Ball hast du doch eben extra gemacht», zickt unser Torwart Maja. «Glaub bloß nicht, dass wir das nicht merken!»

«Jan kriegst du aber trotzdem nicht!»

Die ganze Mannschaft ist stinksauer auf mich, und selbst Jette muss sich beherrschen. Ihr Gesichtsausdruck spricht Bände.

In der Umkleidekabine haben sich alle wieder etwas beruhigt. Es gibt nur zwei Gesprächsthemen:

1.: «Wie findet ihr Jan?»

2.: «Wie findet Jan uns?»

Als wir alle frisch geschniegelt und gestriegelt aus der Halle kommen, sehen wir gerade noch, wie Jan in sein Auto steigt und davonbraust, ohne uns auch nur tschüs gesagt zu haben.

Nimm dein Herz in die Hand

«Lass uns jetzt über den Plan sprechen, den du dir ausgedacht hast», bitte ich Jette auf dem Nachhauseweg.

Gerade will sie anfangen zu erzählen, als neben uns die Bremsen eines Fahrrads quietschen. Matti steigt von seinem Rad ab, nimmt die MP3-Stöpsel aus den Ohren und begleitet uns gutgelaunt, ohne überhaupt nachzufragen, ob er vielleicht störe. Zu allem Überfluss bietet er mir noch an, mit mir für die nächste Mathearbeit zu üben. Das ist ja wohl das Letzte, an das ich jetzt denke. Das sage ich ihm auch, und danach lassen wir Matti links liegen und beachten ihn gar nicht mehr. Es reicht ja, dass wir ihn täglich in der Schule sehen müssen.

Endlich: Vor Jettes Haustür verabschiedet er sich. Erstaunlicherweise immer noch mit einem Lächeln. Den verunsichert es offenbar noch nicht mal, wenn man ihn ignoriert.

Ich schicke schnell eine SMS an Mama und Papa: «Bleib noch eine Stunde bei Jette.» Anrufen will ich nicht, weil es dann wieder ein Gespräch geben würde nach dem Motto: «Du wolltest doch noch aufräumen!» Die SMS werden sie zwar vor Montag nicht lesen, denn Mama hat es nicht so mit Techniksachen und ihr Handy meist ausgestellt. Aber immerhin kann ich ganz unschuldig tun und sagen: «Wieso? Ich habe euch doch informiert.»

Wir verkriechen uns schnell in Jettes Zimmer, das ganz oben im ausgebauten Dachboden liegt. Ein urgemütlicher Traum-Raum. Am tollsten ist die Hängematte, die zwischen den Dachbalken aufgespannt ist. Hier kann man völlig ungestört quatschen. Jettes Eltern verirren sich nur ganz selten bis nach oben, zu oft haben sie sich schon bei der steilen Treppe und dem niedrigen Durchgang den Kopf gestoßen. Umso besser für uns.

Allerdings muss man bei Jettes Bruder Nic vorsichtig sein. Der hat mal ein altes Babyphon in ihrem Zimmer versteckt und damit alle unsere Unterhaltungen belauscht. Das darf heute auf keinen Fall passieren. Denn schließlich geht es indirekt auch um ihn.

«Also, hör zu. Ich habe mitgehört, wie Nic mit Jan telefoniert hat», fängt Jette auch sofort an. «Jan kommt morgen Abend mit ein paar anderen Jungs zu Besuch. Die wollen hier eine kleine Party veranstalten.»

«Erlauben deine Eltern das denn?»

«Die sind gar nicht da. Sie fahren zu einer silbernen Hochzeit zu irgendeinem Onkel ins Alte Land und übernachten da in einem Gasthof. Papa hat schon gesagt, dass wir dann ja sturmfreie Bude haben. Er glaubt aber im Traum nicht dran, dass wir tatsächlich gestürmt werden.»

Ich schaue Jette aufgeregt an. Wie spannend. Eine echte Fete mit Musik, Jungs und vor allem mit Jan. Jette hat schon alles ganz genau geplant.

«Du fragst einfach deine Eltern, ob du hier übernachten darfst. Dann kommst du dazu und tust ganz überrascht, dass hier so viel los ist. Und irgendwie kriegen wir das dann auch mit Jan hin.»

«Und wenn Helga das rauskriegt?»

Jette lacht schallend. «Ach, meine Mia-Maus. Du bist doch wirklich das bravste Mädchen, das ich kenne. Was Helga sagt, ist mir ja so was von egal.»

Helga hat ihren Beinamen «General» wirklich nicht umsonst. Eines Tages hat sie uns eine Liste samt Anweisungen mit nach Hause gegeben, die uns anspornen sollen, noch besser zu werden. Da steht beispielsweise drauf, dass wir in einem Handballspiel nicht mehr als zehn Tore einfangen dürfen. Falls doch, muss jede Spielerin pro Tor fünfzig Cent in die Mannschaftskasse zahlen. Außerdem will sie uns am Abend vor einem Spiel nach zwanzig Uhr nicht mehr auf der Straße sehen, damit wir am nächsten Tag gut ausgeschlafen sind. Das hat uns alle ziemlich geschockt. Aber niemand wagt, etwas dagegen zu sagen. Papa hat nur gemurmelt: «Na, der möchte ich nicht zwischen die Finger kommen.»

Jette schüttelt auch jetzt noch lachend den Kopf: «Mia, überleg doch mal. Das ist total unlogisch. Du hast Angst, dass Helga dich nach zwanzig Uhr auf der Straße erwischen könnte. Wie soll sie denn? Sie schläft bestimmt schon bei der Tagesschau ein!»

Damit hat sie natürlich recht. Wir überlegen kurz, ob sie eventuell Spione engagiert hat. Und ob sie die mit dem Geld aus unserer Mannschaftskasse bezahlt. Wir müssen fürchterlich lachen über die Vorstellung, dass uns schwarzgekleidete Männer mit Walkie-Talkies beschatten.

Jette setzt ihre fieseste Grimasse auf und spricht mit vorgehaltener Hand in ein imaginäres Funkgerät: «Alpha 79, bitte kommen. Observierungsopfer Regner verlässt Haus. Bleibe dran. Over!»

Das ist lustig, aber, na ja, so wichtig sind wir nun auch wieder nicht.

«Und außerdem», hebt Jette den Zeigefinger, «steht auf dem Befehlszettel, dass wir nach zwanzig Uhr nicht auf die Straße gehen sollen. Das tun wir ja auch nicht. Die Party ist schließlich bei uns im Haus!»

Taha! Reingelegt.

Ich muss aufbrechen, um Mama und Papa nicht zu verärgern. Nachher verbieten sie mir noch, am nächsten Tag bei Jette zu übernachten, und der schöne Plan geht nicht auf. Wir haben genau besprochen, was ich anziehen soll, nämlich meinen Jeans-Minirock mit einer schwarzen Strumpfhose und grauen Stulpen drüber. Oben herum ein locker sitzendes graues Shirt, das bei Bedarf mal über die Schulter fallen darf. Das hat Jette begeistert vorgeschlagen, und ich nicke, beschließe aber innerlich, den Part wegzulassen. Vor Jettes mannshohem Spiegel haben wir noch ein paar Gesichtsausdrücke geübt. Erster Akt: Erstaunt gucken: Was? Ihr seid auch alle hier? Das hab ich ja gar nicht gewusst. Zweiter Akt: Jan wie nebenbei zulächeln: Na, bemerkst du mich jetzt bitte mal? Und dritter Akt: Verführerischer Augenaufschlag und Zimmer verlassen: Nun komm schon hinter mir her. Ehrlicherweise muss ich zugeben, dass Jette die Gesichtsausdrücke viel besser draufhat als ich. Sie wird bestimmt eines Tages den Oscar gewinnen für die beste Grimasse. Aber hier geht es darum, dass ich den Durchblick habe. Ich nehme mir fest vor, es morgen nochmal zu üben. Kurz bevor ich gehen will, hält Jette mich noch auf.

«Hier, ich geb dir was mit, das dich beflügeln könnte.» Sie setzt sich an ihren Schreibtisch, schaltet den Computer an, den sie zum letzten Geburtstag bekommen hat, und geht ins Internet.

Gespannt stelle ich mich hinter sie.

Jette loggt sich bei Google ein und gibt Jan Fritsch ein. Mein Herz macht wilde Sprünge. Ich brauche nur den Namen zu lesen, schon habe ich meine Gefühle nicht mehr unter Kontrolle. Aber was hat sie nur vor? Sie klickt auf Bilder, und prompt erscheinen verschiedene Fotos.

«Guck dir den mal an», kichert Jette und zeigt auf einen älteren Herren mit einer Halbglatze, der auch Jan Fritsch heißt. Außerdem sind noch ein Musiker und ein Steuerberater mit demselben Namen abgebildet. Auf der zweiten Seite dann taucht ein Foto von meinem Jan auf, dem einzig wahren Jan Fritsch. Eine Aufnahme aus der Schule, glaube ich. Er sieht darauf zuckersüß aus. Ich kann mein Glück kaum fassen. Auf die Idee, ihn zu googeln, bin ich noch gar nicht gekommen. Auf der Website vom TSV Alsterberg habe ich mal nach einem Foto von Jan gesucht bei den Mannschaftsbildern. Aber ausgerechnet an dem Tag, als der Fotograf da war, hatte Jan gefehlt.

Jette druckt mir das Bild auf ihrem Farbdrucker aus, setzt einen übertriebenen Schmatzer drauf und überreicht es mir mit verdrehten Augen. «Was du an dem nur findest? Das kann ich nicht verstehen!», sagt sie.

«Und ich kann nicht verstehen, dass du offenbar die Einzige bist, die ihn nicht gut findet.»

«Hör mal zu. Der ist mit meinem Bruder befreundet. Der kann nur bekloppt sein! Na egal! Wir werden das morgen schon hinkriegen.» Dabei umarmt sie mich. Das ist das Gute an Jette. Auch wenn sie findet, dass ich an Geschmacksverirrung leide, würde sie alles dafür tun, dass ich mein Ziel erreiche.

Schnell renne ich nach Hause und trage das Bild wie einen wertvollen Schatz unter der Jacke an meine Brust gedrückt. Mein Puls rast. Hoffentlich machen mir Mama und Papa keinen Strich durch die Rechnung! Mama braucht mich nur anzusehen und weiß, dass ich was im Schilde führe. Außerdem habe ich erst neulich bei Jette geschlafen. Das ist schon eine Ausnahme gewesen.

«Wieso eine Ausnahme?», habe ich genervt gefragt.

«Na ja, weil, du weißt schon…», hat Mama eine Erklärung in ihren nicht vorhandenen Bart gemurmelt und wahrscheinlich selbst nicht gewusst, warum es eine Ausnahme ist. Erwachsene sagen ja manchmal Dinge ohne Sinn und Verstand, einfach, um irgendetwas Strenges vorzubringen. Aber das habe ich durchschaut. Trotzdem müssen sie ihr Okay geben. Kurz vor der Haustür stoppe ich ab, atme dreimal tief durch und setze einen unauffälligen Gesichtsausdruck auf.

Meine Eltern sitzen im Wohnzimmer und schauen fern. «Quatsch!», ruft Mama gerade. «Jay Goppingen ist doch kein Fußballer! Den Namen hab ich noch nie gehört!»

Papa grinst nur spöttisch und fragt, ob sie überhaupt irgendeinen Fußballer mit Namen kennt.

Das bringt Mama so auf die Palme, dass man das Gespräch zwischen Günther Jauch und dem Kandidaten gar nicht mehr hören kann.

«Jay Goppingen? Wer ist das?», liest Mama nochmal vor. «Ein Künstler, ein Fußballer, ein Politiker oder ein Hund? Den gibt’s gar nicht!», ruft Mama erneut. «Oder, Mia? Kennst du den?»

Ich schlendere näher und habe einen Geistesblitz. «Wenn ich es weiß – darf ich dann morgen Abend bei Jette schlafen?»

Mama sieht mich gar nicht richtig an, sondern nickt nur und meint: «Von mir aus!» Mit den Gedanken ist sie viel zu sehr bei der Sendung.

«Jay Goppingen», fange ich an zu erklären, «ist sehr wohl ein Fußballer. Das ist das Pseudonym, das sich ein nicht ganz unbekannter Herr in den USA zugelegt hat. Einer, dessen Vorname mit J, also Jay auf Englisch, anfängt, und der in Göppingen geboren ist. Jay Goppingen! Na, Mama. Wer könnte das sein?»

Papa und ich werfen uns einen belustigten Blick zu. Es hat doch etwas gebracht, mit ihm das Sportstudio zu sehen, zum HSV zu gehen und die Panini-Aufkleber zu sammeln. «Jetzt sag schon!», herrscht Mama mich ungeduldig an. Sie kann es gar nicht haben, wenn man sie auf die Folter spannt. «Lothar Matthäus hat doch in den USA gespielt», wirft sie aufgeregt ein.

«Und dessen Vorname fängt mit J an? Klar!», neckt Papa sie.

Sie haut ihm ein Kissen an die Schulter und sieht mich flehentlich an.

«Jürgen Klinsmann ist Jay Goppingen!», erlöse ich sie. «Die richtige Antwort ist also: Fußballer.» Während ich das sage, tippt der Kandidat auf «Hund» und fällt auf fünfhundert Euro zurück!

Ich selbst falle eine Stunde später in mein warmes Bett. Mann, habe ich viel erreicht: einen handfesten Flirt-Plan, die Erlaubnis, bei Jette zu schlafen, eine Jeansrock-Kombi auf dem Stuhl und ein ausgedrucktes Farbfoto unter meinem Kopfkissen, das Mama hoffentlich niemals finden wird. Das Bild von Jan. Morgen um diese Zeit werde ich vielleicht zum ersten Mal richtig mit ihm gesprochen haben. Er wird erkannt haben, was in mir und an mir steckt. Und vielleicht wird er mich ja fragen, ob wir uns mal alleine treffen wollen. Zum Einzeltraining. Hach, wäre das schön! Beim Einschlafen denke ich an meinen Jan, dessen Vorname auch mit J anfängt. Und dann träume ich auch schon wildes Zeug. Von Jay Goppingen und Jay Hamburg!

Grobes Foul

Gerade will ich an Jettes Haustür auf das Klingelschild mit dem Namen Rosenberg drücken, da treten ein Junge und ein Mädchen, die ich nicht kenne, heraus und stecken sich eine Zigarette an.

«Spießig, dass man da nicht drin rauchen darf, oder?», motzt das Mädchen, und ihr dunkelhaariger Mitraucher besänftigt sie. «Na ja, glaubst du, deine Eltern würden das erlauben?» Er zwinkert mir kurz zu, aber mehr so, wie man einer kleinen Schwester einen freundschaftlichen Knuff in die Wange verpasst.