Lord der geduldigen Herzen - Tara Lain - E-Book

Lord der geduldigen Herzen E-Book

Tara Lain

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Beschreibung

Dem Architekturstudenten Ian Carney bedeutet Familie alles. Nachdem er mit achtzehn wegen seiner Homosexualität von seinem Vater vor die Tür gesetzt wurde, sehnt er sich danach, mit seinem Partner Rico eine eigene Familie zu gründen. Doch Rico muss nach Mexico, um sich um seinen kranken Vater zu kümmern, und dann ist da auch noch Ians umwerfender Chef Braden, der mit seinen beiden Kindern eine ganz eigene Anziehungskraft auf Ian ausübt. Als sich herausstellt, dass Rico gar nicht so viel an Familie liegt wie gedacht, findet Ian in Braden eine Schulter zum Anlehnen. Und vielleicht noch mehr? Buch 4 der »Laguna Love«-Serie. Entspricht 284 Romanseiten.

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Seitenzahl: 378

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Deutsche Erstausgabe (ePub) Februar 2017

Für die Originalausgabe:

© 2016 by Tara Lain

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»Lord of a Thousand Steps«

Originalverlag:

Published by Arrangement with Dreamspinner Press LLC, 5032 Capital Circle SW, Ste 2, PMB# 279, Tallahassee, FL 32305-7886 USA

Für die deutschsprachige Ausgabe:

© 2017 by Cursed Verlag

Inh. Julia Schwenk

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,

des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,

Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit

Genehmigung des Verlages.

Bildrechte Umschlagillustration

vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock

Satz & Layout: Cursed Verlag

Covergestaltung: Hannelore Nistor

Lektorat: Susanne Scholze

ISBN ePub: 978-3-95823-628-8

Besuchen Sie uns im Internet:

www.cursed-verlag.de

Aus dem Englischen von Jilan Greyfould

Liebe Leserin, lieber Leser,

vielen Dank, dass Sie dieses eBook gekauft haben! Damit unterstützen Sie vor allem die Autorin des Buches und zeigen Ihre Wertschätzung gegenüber ihrer Arbeit. Außerdem schaffen Sie dadurch die Grundlage für viele weitere Romane der Autorin und aus unserem Verlag, mit denen wir Sie auch in Zukunft erfreuen möchten.

Vielen Dank!

Ihr Cursed-Team

Klappentext:

Dem Architekturstudenten Ian Carney bedeutet Familie alles. Nachdem er mit achtzehn wegen seiner Homosexualität von seinem Vater vor die Tür gesetzt wurde, sehnt er sich danach, mit seinem Partner Rico eine eigene Familie zu gründen. Doch Rico muss nach Mexiko, um sich um seinen kranken Vater zu kümmern, und dann ist da auch noch Ians umwerfender Chef Braden, der mit seinen beiden Kindern eine ganz eigene Anziehungskraft auf Ian ausübt. Als sich herausstellt, dass Rico gar nicht so viel an Familie liegt wie gedacht, findet Ian in Braden eine Schulter zum Anlehnen. Und vielleicht noch mehr?

Für meinen Schatz Todd,

der mir am Thousand Steps Beach einen Heiratsantrag

gemacht hat und seitdem mein Happy End ist!

Prolog

»Ich werde dich so sehr vermissen.« Ian schlang seine Arme fester um Ricos Hals. Mir doch egal, wer uns anstarrt. Andere Reisende eilten an ihnen vorbei und jemand kicherte.

»Ich werde dich auch vermissen.« Die dunklen Ringe unter Ricos wunderschönen braunen Augen zeugten von seiner Sorge. Normalerweise lachte und scherzte er. Mr. Unbeschwert.

Ian ergriff seine Arme. »Rufst du mich an, sobald du angekommen bist? Lass mich wissen, wie es deinem Dad geht, okay?«

»Das werde ich, versprochen.« Rico küsste Ian auf die Nase. »Ich bin so froh, dass du da bist. Ich werde einfach die ganze Zeit daran denken, dass du auf mich wartest, das wird alles erträglich machen. Vielleicht können wir nach einer Wohnung für uns suchen, wenn ich zurückkomme.«

Ians Herz machte einen Satz. Nach drei Jahren. Endlich. »Das wäre schön. Soll ich schon anfangen zu suchen?«

Rico lächelte traurig. »Sicher. Das wird mir dabei helfen, positiv zu denken.«

»Oh, Baby, ich wünschte, du müsstest das nicht durchmachen.«

»Ich auch.« Er warf einen Blick auf die Uhr und dann auf die Tafel, auf der die Abflüge angezeigt wurden. Bei dem Flug nach Mexico City stand On Time. »Ich sollte los. Denk dran: Ich liebe dich.«

»Ich liebe dich auch.«

Sie umarmten sich ein letztes Mal, dann rannte Rico zu den Sicherheitskontrollen – und war fort.

Kapitel 1

Ian Carney starrte auf den Computerbildschirm, passte den Abstand der Zwischenräume an, um das Maximum an Parkplätzen in dem gewerblichen Gebäude herauszuholen, warf einen Blick auf sein Handy, starrte wieder auf den Plan, warf einen Blick auf sein Handy… Scheiße! Rico hatte gesagt, er würde die Ankunftszeit seines Fluges von Mexico City bestätigen. Mittlerweile sollte er in der Luft sein. Warum hatte er nicht geschrieben?

»Hey, Ian, hast du die Parkflächen berechnet?« Max Flynns kahler Kopf lugte um die Ecke von Ians Arbeitsplatz.

»Fast.« Er beugte sich näher an den Bildschirm heran. Komm schon, Carney. Denk nach! Wenn Max nach dem Plan fragte, bedeutete das, dass Braden Lord ihn brauchte. Parkplatzberechnungen waren entscheidend bei der Frage, ob sich ein Projekt rentieren würde oder nicht. Mach den Big Boss glücklich.

»Musst du heute noch zur Schule?«

»Nein. Kein Unterricht bis morgen, aber ich soll noch jemanden vom Flughafen abholen.«

»In Orange County?«

»Nein. Vom Los Angeles International Airport.«

Max schaute auf seine Armbanduhr. »Mann, da wirst du aber ziemlich beschissenen Verkehr haben. Besser, du machst dich jetzt schon auf den Weg.«

»Ich, äh, warte noch auf eine Nachricht mit der Flugnummer und der Ankunftszeit.«

»Viel Glück. Bring mir die Berechnungen einfach so schnell wie möglich. Braden trifft sich in einer Stunde mit dem Kunden.«

»Okay, ja. Ich bin dran.«

Max wandte sich ab und sah dann über seine Schulter zurück. »Übrigens, Carney, deine Fähigkeiten mit CAD sind niemandem hier entgangen. Du bist als Praktikant dein Geld mehr als wert.«

Ian grinste. »Danke, aber bei dem Lohn ist das auch nicht so schwer.« Er hob eine Hand. »War nur ein Scherz.«

»Okay, Klugscheißer.« Er schnaubte. »Dieser minimalistische Gehaltsscheck kann aufgebessert werden.« Sein Lächeln wurde listig. »Schließlich wollen wir nicht, dass eine andere Firma deine Fähigkeiten mehr schätzt als wir.« Er schlug auf die Trennwand der Arbeitsnische. »Besorg mir diese Zahlen und dann ab auf die Autobahn.«

»Wird erledigt.« Ians Finger flogen über die Tastatur, jedoch nicht so schnell wie sein Herz schlug. Ein Stellenangebot von Lord and Kendrick zu bekommen, bevor er überhaupt seinen Abschluss gemacht hatte, würde ihm… alles bedeuten. Bei einem der führenden Architekturbüros in Südkalifornien zu arbeiten. Was für ein Karrierestart. Rico würde vor Freude tanzen.

Rico. Verdammt. Ian zwang sein Hirn, den Grundriss des Parkplatzes zu vollenden. Als er endlich auf Drucken geklickt hatte, erlaubte er sich einen Blick auf sein Handy. Oh. Eine Nachricht.

Tut mir so leid. Vater geht es schlechter. Kann noch nicht abreisen. Halte dich auf dem Laufenden.

Ian öffnete den Mund… und schloss ihn wieder. Enttäuschung schnürte ihm die Kehle zu. Drei Wochen. Rico war seit drei Wochen weg und jetzt… noch länger. Okay, verdammt, war er sehr egoistisch? Zur Hölle, Ricos Dad könnte gerade im Sterben liegen. Erneut starrte er auf die Nachricht. Trotzdem… Rico hatte nicht mal Liebe dich geschrieben. Hitze sammelte sich hinter seinen Augen. Ich wollte ihm so gerne von den Wohnungen erzählen, die ich gefunden habe. Er atmete tief ein. Komm schon, er macht gerade eine harte Zeit durch. Werd erwachsen. Ian zog die Seiten aus dem Drucker und eilte den Flur hinunter.

Er lächelte einigen Gestaltern und Projektmanagern zu, die an ihren High-Tech-Arbeitsplätzen saßen, näherte sich Max' Büro und streckte den Kopf hinein. Niemand da. Hayley, Max' Assistentin, winkte ihm von ihrem Schreibtisch aus zu und legte eine Hand auf den Telefonhörer, in den sie gerade gesprochen hatte. »Er ist unten in Lords Büro, Ian. Sind das die Berechnungen, die sie brauchen?«

Er nickte.

»Würde es dir etwas ausmachen, sie runterzubringen?« Sie wedelte mit dem Telefon.

»Kein Problem.« Er hatte ja verdammt noch mal nichts Besseres zu tun.

Jeder in der Firma – alle einhundertfünfundzwanzig Angestellten – wusste, dass die Tür zu Braden Lords Büro fast immer offen stand und jeder, der zu ihm wollte, einfach eintreten konnte. Allerdings war die Tür in letzter Zeit häufiger geschlossen gewesen und der Boss hatte gestresst gewirkt. Gerüchten zufolge zehrte seine Scheidung sowohl an seinen Nerven als auch an seinem Konto.

Ian hielt vor der angelehnten Tür inne und klopfte an.

»Herein.«

Ian schob die Tür auf. Max saß auf der einen Seite von Lords Konferenztisch und Braden Lord auf der anderen, während sich beide über einige ausgedruckte 3D-Computergrafiken beugten. Ians Atem stockte kurz und in seinem Unterleib kribbelte es, was jedes Mal Begleiterscheinungen zu sein schienen, wenn er Braden sah. So… verdammt… heiß. Der Kerl mochte zwar schon über fünfunddreißig sein, war jedoch trotzdem Sex auf zwei Beinen. Dunkles, braunes Haar, das einen Stich ins Rötliche aufwies und scheinbar nicht regelmäßig geschnitten wurde. Ein großer, schlanker Körper, an dem Kleidung immer lässig wirkte, so als würde er sich niemals Gedanken darüber machen, was er trug. Doch sein Gehirn war es, das den wahren Sex-Appeal ausmachte. Visionen, Innovation, ein beinahe schockierendes Verständnis für dreidimensionales Denken und eine Weltsicht, die Ian mit Eiscreme genießen wollte. Lords Geschäftspartner Doug Kendrick brachte den Geschäftssinn und die Fähigkeiten bei Vertragsverhandlungen ein, aber das Herz dessen, was Kunden aus der ganzen Welt kauften – das befand sich in diesem gut aussehenden, seltsam naiven Kopf.

Lord sah auf. Sein Blick war unkoordiniert, wahrscheinlich weilte sein Bewusstsein noch immer bei diesem Lageplan. Aber als würde sich Nebel in den Bergen klären, so schien er sich auf Ian auszurichten. Er legte den Kopf schief und befeuchtete träge seine Lippen.

Ian schauderte.

Max lächelte. »Hey, Ian, vielen Dank, Kumpel. Du kommst gerade rechtzeitig, um uns den Hintern zu retten. Hast du alles geparkt bekommen?«

»Jawohl, Sir. Fünf Autos auf tausend, so wie Sie es wollten.«

Max nickte und schaute zu Lord, doch der starrte immer noch Ian an. »Braden?«

Lord blinzelte und wandte sich Max zu, wobei seine Augen der Bewegung ein wenig nachhingen. »Das ist großartig. Perfekt. Danke.«

»Braden, du kennst Ian Carney bereits, oder? Unseren Praktikanten?«

Lord blinzelte erneut. »Oh, ja. Ian.«

Ian lächelte und streckte eine Hand aus. Lord nahm sie und hielt sie einen Moment einfach nur fest, bevor er sie schüttelte. Nachdem er schwer geschluckt hatte, lachte Ian. »Ian Carney und Braden Lord. Unsere Namen klingen, als würden wir versuchen, ein Remake von Highlander zu drehen.«

Einen Augenblick lang sah Lord ihn verständnislos an, dann lachte er laut auf. »Ja, wenn wir Dougall Kendrick dazuzählen, haben wir die komplette Besetzung zusammen.«

Max lenkte Lords Aufmerksamkeit auf etwas auf den Ausdrucken und Ian versuchte, Braden nicht anzustarren. Komm schon, Mann, du hast einen Partner. Sabber jetzt nicht dem hübschen Architekten hinterher.

Außerdem, wenn Ians Bruder Jim dachte, dass Rico zu alt für ihn war, würde dieser Mann quasi als antik durchgehen – und er war hetero. Obwohl Ian Gerüchte zu Ohren gekommen waren…

Max schaute zu Ian auf. »Wirklich gute Arbeit, Carney. Du machst dich jetzt besser auf den Weg zum Flughafen.«

»Oh, danke, aber, äh, das mit der Abholung hat sich erledigt. Ich meine, ich muss ihn nicht mehr einsammeln. Er musste in Mexico City bleiben.«

»Tja, zur Hölle, Mann, da hat er dir ja nicht gerade früh Bescheid gesagt. Was, wenn du dafür ein heißes Date abgesagt hättest oder so was?« Er lachte.

Ian trat von einem Fuß auf den anderen. Wie peinlich ist das denn? »Ziemlich unwahrscheinlich. Er ist mein Partner. Ich meine, sein Dad ist wirklich krank und ich schätze, es geht ihm schlechter.«

»Oh, Mist, das tut mir leid.« Max warf Lord einen Blick zu. »Hey, ein paar von uns gehen in etwa einer Stunde rüber zu Antonio's, um mit einigen Kunden was zu trinken. Warum begleitest du uns nicht einfach?« Lords Augen wurden groß, aber nicht größer als Ians.

Heilige Scheiße! »Ähm, vielen Dank, aber ich fürchte, Antonio's ist ein bisschen zu teuer für das Budget meines Stipendiums. Ich schätze die Einladung allerdings sehr.«

»Die Firma würde natürlich zahlen, Ian. Warum kommst du nicht mit? Ich bin mir sicher, die Kundschaft wird es interessieren, was für ein Talent wir hier bei Lord and Kendrick fördern.«

»Wow.« Er holte tief Luft, dann lachte er. »Tja, das war ja echt uncool. Entschuldigung. Ähm, danke. Das würde ich sehr gern.« Er blickte auf seine Jeans, sein T-Shirt und sein Sakko hinunter. »Bin ich…?«

Max winkte ab. »Schon in Ordnung. Du wirst dich super einfügen.«

»Danke. Vielen, vielen Dank.«

»Wir treffen uns in einer Stunde im Foyer.«

»Ich werde da sein. Danke noch mal.« Auf seinem Weg zur Tür hinaus wäre er beinahe in die Knie gegangen. Das hatte ihn höllisch eingeschüchtert! Aber Mann, was für eine Gelegenheit. Er eilte so schnell zurück zu seinem Schreibtisch, wie es ohne zu rennen ging, und ließ sich in seinen Stuhl fallen. Dann zog er sein Handy hervor und schrieb Wurde gerade von den großen Chefs gefragt, ob ich mit ihnen und ein paar Kunden was trinken gehen will. Cooler Scheiß. Das mit deinem Dad tut mir so leid. Hoffe, er erholt sich schnell wieder. Vermisse dich schrecklich. Liebe dich.

***

Braden fuhr mit einem Finger über die Liste der Parkplatzberechnungen, begutachtete den Plan und arbeitete daran, den Ständer auf Halbmast in seiner Hose zu ignorieren. »Das ist gute Arbeit. Hattest du nicht Melissa auf dieses Projekt angesetzt?«

Max nickte. »Ja, aber Leo hat sie bei Artisan Village gebraucht und außerdem hasst sie Parkpläne und war dabei, es königlich zu versauen. Da habe ich beschlossen, es mit Ian zu versuchen.«

»Mit einem Praktikanten?« Er schüttelte den Kopf. »Es war verdammt schwer, all diese Autos auf dem lächerlich kleinen Raum unterzubringen, den der Bauunternehmer uns zur Verfügung gestellt hat.«

»Wem sagst du das.«

»Was hat dich glauben lassen, dass der Junge es schafft?«

»Er erinnert mich an dich.«

Braden hob eine Augenbraue. »Warum? Weil er schwul ist?«

Max lachte leise. »Du weißt, wie du einen Plan anschauen musst, damit er zum Leben erwacht. Es ist, als könntest du in deinem Kopf in den imaginären Gebäuden herumlaufen und sehen, wie alles zusammenpasst. Genau das sehe ich in Carney.«

»Er ist wirklich jung.«

»Zum Teufel, das bist du auch.«

Brandon atmete hörbar aus. »Aber ich altere schnell.«

Max legte eine große Hand auf Bradens Schulter. Braden wollte sich in die Berührung hineinlehnen und ihre Wärme in sich aufsaugen. Er wurde nicht sehr häufig berührt… jedenfalls nicht von Erwachsenen. Das Handy in seiner Tasche vibrierte und sein Körper erstarrte. Er warf einen Blick auf das Display und seufzte.

Max runzelte die Stirn. »Soll ich gehen?«

»Nein. Das ist mein Anwalt. Dauert nur eine Minute.« Er nahm den Anruf entgegen. »Ja, Perce?«

»Ich habe das nächste Treffen auf Montag angesetzt. Passt dir das?«

»Ja. Das kann ich einrichten.«

»Ich werde nicht lügen, Mann. Sie wollen dich bluten sehen. Sie will beweisen, dass du als lediger schwuler Mann kein geeignetes Umfeld bietest, um Kinder großzuziehen.«

Er sprang von seinem Stuhl auf und schritt zur Wand. »Scheiße, sie will die Kinder doch gar nicht. Es hat ihr nicht gefallen, sie um sich zu haben. Ich hatte den Eindruck, ich wäre mit dem verdammten Kindermädchen verheiratet.« Hätte er auch sein können, so oft, wie sie Sex gehabt hatten – Gott sei Dank.

»Ja, nun, sie wird eine größere Abfindung erzielen können, basierend darauf, welche Art von Sorgerecht sie sich sichern kann.«

»Sie kann das Geld ruhig haben. Du weißt, dass ich die Kinder will.«

»Sei vorsichtig, Braden. Je mehr sie denkt, bekommen zu können, desto mehr wird sie verlangen. Wenn sie einen Richter finden kann, der ihrem Fall wohlwollend gegenübersteht, wird die Tatsache, dass sie keinen Anteil an der Firma besitzt, möglicherweise nicht zählen. In einem Staat, in dem Gütergemeinschaft geltendes Recht ist, könnte sie das Unternehmen in den Vergleich miteinbeziehen.«

»Ist es nicht illegal, zu diskriminieren?« Er lehnte seinen Kopf gegen die Wand. Ich bin versucht, ihn dagegen zu schlagen.

»Ja, aber niemand gibt jemals zu, dass er diskriminiert. Es ist immer zum Wohl der Kinder.«

»Gott, wie bin ich nur so dumm geworden?«

»Verleugnung ist eine mächtige Sache, mein Freund.«

»Ja. Okay, wir sehen uns am Montag. Ich habe die Kinder am Wochenende und ich will ihnen nicht den Spaß verderben.«

»Genießt den Strand.«

Er legte auf, holte tief Luft und legte das Handy behutsam auf den Konferenztisch, damit er es nicht gegen die Wand schmetterte.

Max verzog das Gesicht. »Es tut mir so leid, dass du das durchmachen musst.«

Braden setzte sich langsam. »Wenn ich mich geoutet hätte, als ich den Verdacht gehegt habe, dass meine Interessen nicht bei Frauen liegen, wäre ich vielleicht tatsächlich glücklich. Aber dann hätte ich Jo-Jo und Mireille nicht.« Mit einer Hand fuhr er sich durch sein strubbeliges Haar. »Lass uns diese Präsentation hinter uns bringen. Ich brauche einen Drink.«

Zwei Stunden später ließ er die Eiswürfel in seinem Glas klirren und nahm einen weiteren großen Schluck von dem Scotch. Er mochte das Zeug nicht wirklich, aber es linderte seine Wut und Frustration schneller als andere Drinks. Während er trank, ließ er seinen Blick über den Rand des Glases wandern. Drei ihrer neuen Kunden, außerdem ein attraktiver Typ von der Kundenwerbeagentur und sechs oder sieben seiner Angestellten hatten sich am hinteren Ende von Antonio's zusammengefunden, einer Mischung aus einem gehobenen Restaurant und einer Lounge, die sich in näherer Umgebung ihres Büros befand und wo sie häufig einkehrten. Die meisten der Anwesenden, abgesehen von den Kunden, waren die üblichen Verdächtigen: Max, sein Hauptgeschäftsführer und rechte Hand, Doug, sein leitender Geschäftsführer, die Chefdesignerin – oder die Göttin des Designs, wie sie Shirin nannten – und ein paar andere. Inklusive einem bemerkenswerten Neuzugang. Der Junge, Ian, stach hervor wie eine glänzende 10-Cent-Münze in einer Tasche voller alter 25-Cent-Stücke. Er war groß, hatte die Pubertät kaum hinter sich gelassen, sein schmutzig-blondes Haar reichte ihm bis über die Ohren und er verströmte einen pulsierenden Sex-Appeal, der sich nicht ganz mit seinem jungenhaften Charme vereinbaren ließ. Scheiße. Umwerfend. Wenn ich nicht aufhöre zu starren, muss es in mindestens sechs Staaten Gesetze geben, um mich dranzukriegen.

Audrey Romign trat neben ihn. Sie nippte an ihrem Champagner. »Na, das ist doch mal ein Sahneschnittchen.«

»Was? Wo?«

Sie sah ihn von der Seite her an. »Oh, richtig. Sie haben ja nicht gerade diesen reizenden Jungen begutachtet, der ständig auf sein Handy schaut. Ich schon.«

Er lachte. »Ich glaube, wir werden gut zusammenarbeiten.«

Ihr anzügliches Grinsen verwandelte sich in ein ehrliches Lächeln. »Der Meinung bin ich auch. Als ich Ihre Gebäude gesehen habe, wusste ich, dass ich einen Weg finden musste, um Sie mir leisten zu können.«

»Ich hoffe, das wird nicht schwer.«

Ihre Grübchen vertieften sich. »Wir halten uns gut und ein Gebäude von Lord and Kendrick unser Eigen nennen zu können, ist ein sehr reizvoller Luxus. Größtenteils geben wir unser Geld aus, um Frauen auf der ganzen Welt zu helfen.«

»Davon habe ich gehört. Das würde ich gerne in dem Gebäude widerspiegeln.«

»Wundervoll. Die Anliegen von Frauen sind unsere Leidenschaft. Ich kann es nicht erwarten, zu sehen, was Sie sich einfallen lassen.«

»Ich auch nicht.« Er grinste und sie kicherte. Auf der anderen Seite des Raums lachte Ian Carney über etwas, das Max gesagt hatte, und Bradens Magen überschlug sich.

»Ich denke wirklich, dass das ein weiteres Projekt ist, dessen Sie sich annehmen sollten.«

»Was?« Sie grinste und ließ ihren Blick zu Ian huschen. »Oh, auf keinen Fall.« Er schaute auf seinen Scotch, verzog das Gesicht und stellte ihn auf die Anrichte. »Nein. Wie man in der Architektur sagt: Das ist eine Burg aus Eis. Frisch, neu und kurzlebig.« Er schnappte sich ein Champagnerglas von einem Kellner und trank einen Schluck. »Oder vielleicht wie eine Luftblase im Champagner. Sie kitzelt dich an der Nase und bringt dich zum Lächeln – bevor sie verschwindet.«

»Ihre Philosophie ist nicht überzeugend.«

»Er ist nur ein paar Jahre älter als mein Sohn.«

»Das ist zwar eine erstaunliche Tatsache, doch wenn er eine Frau wäre, würde es niemand bemerken.«

»Aber das ist er nicht.«

»Gott sei Dank.«

Er schnaubte und bekam ein bisschen Champagner in die Nase. »Audrey, ich würde Ihnen Ihr Gebäude umsonst entwerfen.«

»Ooooh, sagen Sie das in das Mikrofon an meinem Kragen.«

Doug Kendrick legte einen Arm um ihre Schultern. »Verspricht er schon wieder Dinge, ohne etwas dafür zu verlangen?«

Sie bedachte den hoch gewachsenen, grauhaarigen Mann mit einem strengen Blick und er zog den Arm widerstandslos wieder weg. Braden versteckte sein Lächeln hinter einem weiteren Schluck Champagner. Sie nickte. »Jepp. Ihr Profit geht den Bach runter, mein Lieber. Und ich habe das hier alles in Champagner gemeißelt.« Sie umfasste Bradens Arm mit einer warmen Hand. »Warum gehen Sie nicht, um an diesem anderen Projekt zu arbeiten, über das wir gesprochen haben, während ich die Vertragsverhandlungen mit Doug führe.«

»Um Vertragsverhandlungen zu vermeiden, würde ich das Taj Mahal mit einem Kittmesser nachbauen. Audrey, ich kann es nicht erwarten, mit Ihnen zu arbeiten.« Sie beugte sich vor und küsste ihn auf die Wange, was ein kurzes Stirnrunzeln bei Doug verursachte. Ha, das ist der Vorteil daran, schwul zu sein. »Bis später.«

Er entfernte sich von ihnen, sah jedoch noch einmal zurück und Audrey zwinkerte ihm zu. Okay, er würde nicht wirklich an dem anderen Projekt arbeiten, aber es konnte nicht schaden, es lediglich zu beobachten – um die Kundin glücklich zu machen.

Kapitel 2

Ian warf einen Blick auf sein Handy. Keine Antwort. Komm schon, Baby, wie lange kann eine SMS denn dauern? Er nippte an seinem Champagner. Champagner. Wie cool war das denn? Der Mann seines Bruders mochte zwar gut verdienen, aber bei ihm und Jim gab es trotzdem nicht sehr häufig Schampus.

Audrey Romign, die neue Kundin der Firma, stand ihm in dem Kreis aus Menschen, die alle einen viel höheren Rang innehatten als er, gegenüber. Sie hatte Max, der neben Ian stand, mehr von ihrem Unternehmen erzählt, das anscheinend im Bereich IT für Frauen auf der ganzen Welt revolutionäre Durchbrüche erzielt hatte. Sie mussten verdammt erfolgreich sein, wenn sie sich Lord and Kendrick leisten konnten. Die Frau war attraktiv, lächelte viel, hatte einen scharfen Verstand und er mochte sie auf den ersten Blick.

Plötzlich richtete sich der Blick aus ihren braunen Augen auf sein Gesicht. »Also, Ian, was würdest du aus meinem Gebäude machen, wenn du es entwerfen würdest?«

Ian schluckte schwer. Hatte sie ihn das gerade wirklich gefragt?

Shirin, die Leiterin der Design-Abteilung, bekam große Augen und setzte an, etwas zu sagen, das ihn vom Haken holen würde.

Ian ließ die Worte hervorsprudeln. »Ich würde mit einer Kombination aus offenen Räumen und Rückzugsgelegenheiten arbeiten, um verschiedene Möglichkeiten zur Kreativität anzubieten. Dann gäbe es Bereiche, um einzeln arbeiten zu können, aber auch welche für Gruppenarbeit.«

Sie lächelte. »Interessant. Was noch?«

Unsicher suchten seine Augen nach Max, doch auch von ihm bekam er ein Lächeln. »Viele verschiedene Materialien und Farben, gemischt mit Kunst und Handwerk aus den vielen Ländern, in denen Ihr Unternehmen seine Dienste anbietet. Stellen Sie sich hohe Wände vor, bedeckt mit Teppichen und Webereien und all den wunderschönen Handarbeiten, die Frauen herstellen.« Er gestikulierte mit den Händen. »Es sollte große Räume in dem Gebäude geben, die von mehreren Lichtquellen erhellt werden, durchsetzt von gemütlichen Nischen mit niedrigerer Decke, um eine angenehme Wahrnehmung zu erzeugen.« Er atmete durch – Heilige Scheiße, was mache ich hier? »Entschuldigung. Ich wollte nicht anmaßend erscheinen.«

Audreys Blick war freundlich, aber auch abschätzend. »Ganz im Gegenteil. Du hast die Eigenschaften, die ich gerne in unserem Hauptsitz vereinen möchte, perfekt eingefangen.«

Max tätschelte Ian. »Ian erinnert mich an Braden. Wir können von Glück sagen, dass er uns unterstützt.«

Sie nickte. »Das sehe ich auch so.«

Gott, ich bin gerade im Architekturhimmel gelandet.

Das Gespräch wandte sich anderen Themen zu und der Vertreter von Reading Foods begann, sich über sein Projekt auszulassen – was nicht mal annähernd so interessant war. Der Champagner floss weiterhin in Strömen und Ian nahm ein weiteres Glas entgegen. Unauffällig zog er sein Handy aus der Tasche und spähte auf das Display. Nada.

Max schlug ihm auf die Schulter. »Alles okay, Carney?«

»Äh, ja. Danke.« Er hielt sein Glas krampfhaft aufrecht, damit nichts über den Rand schwappte, sah gerade in dem Moment auf, als Braden Lord an seine Seite trat, und schaffte es tatsächlich, Champagner über Lords elegante Schuhe aus europäischem Leder zu schütten. »Oh Gott, es tut mir so leid.«

Max' Hand landete erneut auf seiner Schulter. Da hatte wohl jemand ein paar Drinks zu viel. »Meine Schuld. Absolut meine Schuld. Braden hat sicher noch mehr Schuhe, oder, Bray?«

»Klar, kein Problem.« Braden lächelte Ian an. Von Nahem wirkte sein Gesicht nicht mehr ganz so hübsch, allerdings um einiges interessanter. Mit Fältchen rund um die Augen, als würde er viel lachen – oder leiden. »Brauchst du noch einen Champagner?«

»Oh, ich schätze, ich sollte lieber keinen mehr trinken. Scheint, als würde ich nicht viel davon vertragen.«

»Irgendetwas anderes?« Lord sah ihm in die Augen. Whoa, was für ein Angebot. Hol dein Hirn aus deiner Unterhose, du Idiot.

»Nein danke. Ich schätze, ich sollte bald gehen.«

Max beugte sich zu ihm. »Wie geht es dem Vater deines Partners?«

»Ähm, ich weiß es nicht.« Klang er so jämmerlich, wie er sich fühlte? »Ich meine, der Handyempfang ist dort nicht so gut.«

»Oh, ich habe gehört, er soll in den letzten paar Jahren schon um einiges besser geworden sein.«

»Ich schätze nicht.«

Lord legte eine Hand auf seine Schulter. »Nein, ich hatte auch Empfangsprobleme in Mexiko. Es gibt eine Menge Funklöcher. Wahrscheinlich ist es noch schlimmer, wenn man sich in einem Krankenhaus aufhält.«

Während die Wärme von Bradens Hand durch das billige Sakko drang, wollte Ian gleichzeitig weinen und Braden Lord küssen. Natürlich, Rico war in einem Krankenhaus. Er durfte sein Handy nicht benutzen. Verdammt, warum war er nicht selbst darauf gekommen? »Danke.«

»Für was?« Lord lächelte sanft. Er weiß wofür.

»Dass Sie mich daran erinnert haben, ihm eine Nachricht zu schreiben, die er auf dem Heimweg lesen kann. Vielen Dank noch mal. Ich sollte jetzt los. Schließlich muss ich morgen zum Unterricht.« Er schüttelte den beiden Kunden, mit denen er sich unterhalten hatte, die Hand. »Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder. Bei Lord und Kendrick sind Sie in den besten Händen.« Er drehte sich um. »Max, wir sehen uns am Montag.« Er wandte sich Braden zu, blickte jedoch auf seine Füße hinunter. »Noch mal Entschuldigung. Ich hoffe, der Champagner hinterlässt keine Flecken.«

»Darüber brauchst du dir keine Gedanken machen.«

Schau nach oben, Dummkopf. Er zwang sich zu lächeln und begegnete dem Blick aus Bradens tiefgründigen, meerblauen Augen.

»Vielen Dank noch mal für die Einladung. Ich fühle mich geehrt.« Im Meer kann man ertrinken.

»Ich bin froh, dass du kommen konntest.« Lords Gesichtsausdruck wirkte freundlich, verständnisvoll und – was? Enttäuscht?

Scheiße. Gib mir eine Chance, ihn zu beeindrucken, und ich bin bereit, jedes Mal in seiner Gegenwart etwas zu verschütten. Verdammte Axt, wie wird ein Mann nur so umwerfend? »Gute Nacht.«

Max sagte: »Soll dich jemand mitnehmen?«

»Nee, danke. Das Büro ist ja in der Nähe und mein Auto steht dort.« Er winkte zum Abschied und rannte praktisch aus der Tür des Antonio's. Draußen traf ihn die kühle Abendluft wie ein Schlag ins Gesicht. Hatte er gerade mit dem Boss geflirtet? Zum Teufel, mit dem Boss von seinem Boss? Nope. Er hatte nur seine Schuhe eingesaut.

***

Braden beobachtete Ian dabei, wie er aus dem Restaurant stürmte, als wäre der Teufel hinter ihm her. Was für eine bezaubernde Kombination aus Selbstsicherheit und Verlegenheit sich in diesem schlanken, sexy Körper vereinte. War wahrscheinlich nur dem Alter geschuldet. Zur Hölle, wer war mit einundzwanzig schon wirklich selbstbewusst?

Eine schmale Hand legte sich auf seinen Arm. Er wandte sich um und entdeckte Audrey, die seiner Blickrichtung folgte. Sie grinste. »Ziehen Sie es in Betracht, ihm zu folgen?«

Tat er das? »Nein. Überhaupt nicht.«

Sie nahm einen Schluck Champagner. »Ihr Praktikant hatte einige hervorragende Ideen für mein Gebäude.«

Sein Magen machte einen kleinen Satz. »Tatsächlich?«

»Er hat sich großartig dabei geschlagen, exakt die Emotionen einzufangen, die ich mit meinem Gebäude erzielen will. Sie sollten ihn danach fragen.«

Braden senkte den Blick in sein Glas. »Max hat mir erzählt, dass er ziemlich talentiert ist.«

»Und ziemlich hinreißend. Ich denke, Sie sollten ihm folgen.«

»Nein, selbst wenn ich nicht fünfzehn Jahre älter – und sein Boss – wäre, hat er leider einen Partner und ich muss mich mit einer Scheidung herumschlagen. Ganz schlechter Zeitpunkt.«

»Nichts davon erscheint mir unüberwindbar – außer vielleicht das mit dem Partner, wenn er es ernst meint.«

»Es scheint so. Soweit ich es verstanden habe, ist der Typ in Mexiko und kümmert sich um seinen kranken Vater. Ian wirkt sehr besorgt.« Natürlich hatte er Braden ein paar Mal mit diesen großen grünen Augen angesehen und mit den Wimpern geklimpert, aber das war vielleicht einfach etwas, was schwule Männer eben taten. Nicht, dass er das wissen würde. Er zuckte mit den Schultern. »Und meine Scheidung ist auch keine Kleinigkeit. Ich habe Kinder.«

»Autsch. Wie viele?«

»Zwei.«

»Ich will jetzt nicht sarkastisch oder zu neugierig sein, also sagen Sie mir ruhig, dass ich meine Nase da raushalten soll, wenn ich Ihnen zu weit gehe, aber wie zur Hölle ist das denn passiert?«

Er atmete langsam und träge aus. »Die Kurzversion ist, dass das erste ein Unfall bei dem Versuch war, mir selbst zu beweisen, dass ich nicht schwul bin, und ich beim zweiten versucht habe zu beweisen, dass das erste kein Unfall war. Was alles ziemlich zynisch klingt, aber tatsächlich sind sie fantastische Kinder und ich liebe sie mehr als mein Leben.«

»Aber Sie lieben ihre Mutter nicht.« Das war keine Frage gewesen.

»Nein, und leider habe ich das auch nie getan. Ich schäme mich dafür, meine Kinder so einer miesen Situation ausgesetzt zu haben, aber ich würde sie niemals gegen irgendeine idealistische, schwule Lebensweise eintauschen.«

»Und Gerichte neigen dazu, der Mutter das Sorgerecht zu übertragen, ganz egal, was sie sagen.«

»Genau, obwohl sie das eigentlich nicht dürften. Aber ich will mindestens das gemeinsame Sorgerecht erwirken, also kann ich es mir nicht erlauben, ihr oder dem Gericht irgendeinen Grund zu geben, sich anders zu entscheiden.«

»Einen Grund, wie zum Beispiel einen hinreißenden, nur gerade eben erwachsenen Liebhaber?«

Diesmal war sein Seufzen kaum hörbar. »Exakt.«

***

Eine halbe Stunde später bog Ian mit dem alten Toyota, den Jim und Ken ihm gekauft hatten, in die Auffahrt ihres Hauses in Süd-Laguna ein. Ihr Zuhause. Witzig, wie sehr er sich daran gewöhnt hatte, bei seinem Bruder zu wohnen. Nachdem sein Dad ihn vor vier Jahren rausgeworfen hatte, als er entdeckte, dass Ian schwul war, war Jim Ians Fels in der Brandung gewesen. Wahrscheinlich wirkte es auf viele Leute so, als wäre es umgekehrt. Jim hatte sicherlich einige heikle Momente erlebt, bevor er sich mit Ken niederließ, doch Jim hatte Ian ohne weitere Fragen bei sich aufgenommen, als er auf seiner Türschwelle aufgetaucht war – Ian und seine dumme Katze. Seine kluge Katze, um genau zu sein.

Als Jim und Ken zusammengezogen waren, hatte Ian gedacht, er würde sich nun etwas Eigenes suchen müssen, aber nein. Jim hatte sie als Paketdeal präsentiert und Ken hatte das gesamte Ding gekauft – sogar die Katze. Verdammt, Ken hatte Ian sogar seine Ausbildung ermöglicht. Ja, die Fahrt nach Südkalifornien brachte ihn jedes Mal um, aber Ian wollte nicht nach L.A. ziehen. Das hier war sein Zuhause – bis er und Rico sich ein eigenes aufbauten.

Noch einmal warf er einen Blick auf sein Handy, dann seufzte er und stieg aus dem Wagen. Er schloss die Tür des reizenden Hauses im Mid-Century-Modern-Stil auf, das Ken ausgewählt hatte und das Ian und Jim gemeinsam bis zum letzten Nagel renoviert hatten. Neben dem japanischen Tansu-Schrank gleich neben der Tür hielt er inne, um den flauschigen Nackenwärmer entgegenzunehmen, der ihn jedes Mal begrüßte, wann auch immer er nach Hause kam. Wie Anderson das Geräusch seines Wagens erkannte, würde wohl immer ein Katzengeheimnis bleiben, aber er liebte es. Das war Teil dieser Familiensache.

»Merwaowr.«

»Hey, Junge. Wie war dein Tag?« Er griff nach oben und kraulte den weißen Kopf, während er mit der anderen Hand durch die Post blätterte.

»Hey, Brüderchen, wir sind hier drin.«

Ian folgte dem Klang von Jims Stimme durch den kleinen Flur und in das ausgedehnte Wohnzimmer mit seinem großen Panoramafenster im Stil der 60er Jahre. Jim und Ken kuschelten auf der modernen Couch und auf dem Bildschirm des Vierzig-Zoll-Plasmafernsehers lief irgendein altes Musical, das singende Cowboys beinhaltete.

Jim lehnte sich zurück und winkte. »Du bist spät dran. Wir haben dir etwas zu essen im Ofen aufgehoben.«

Ian lächelte. »Rate mal, von wem ich heute eingeladen wurde, mit ihnen etwas trinken zu gehen – bist du bereit?«

»Ja.«

»Sicher?«

Ken stoppte den Film und beteiligte sich an ihrem Spielchen. »Das wird was richtig Großes.«

Jim lachte. »Ich sterbe hier vor Neugier.«

»Ich war heute im Antonio's, mit meinem Boss Max, drei brandneuen Kunden und… Doug Kendrick und – tada, Braden Lord! Ihr wisst schon, wie in Lord and Kendrick?«

Jim hob eine Augenbraue. »Heilige Scheiße. Ist das nicht eine zu illustre Runde für einen Praktikanten – auch wenn du der beste Praktikant auf der ganzen Welt bist?«

»Absolut.« Anderson schnurrte ihm mit angemessenem Enthusiasmus ins Ohr. »Aber ich habe ein paar Parkplatzberechnungen gemacht, die sie dringend gebraucht haben.« Er hob die Schultern. »Außerdem glaube ich, er hatte irgendwie Mitleid mit mir, weil Rico mich versetzt hat.«

Kens wunderschöne dunkle Augen wurden schmal. »Was meinst du damit, er hat dich versetzt? Hast du ihn nicht vom Flughafen abgeholt? Ich dachte, das wäre der Grund, warum du so spät kommst.«

Ian biss sich auf die Lippe. »Nein. Er hat mir geschrieben. Soweit ich es verstanden habe, geht es seinem Dad wieder schlechter. Er kann nicht zurückkommen… äh, noch nicht.«

Jim sprang von der Couch, kam zu ihm und nahm ihn – und damit automatisch auch Anderson – in den Arm. Der Kater protestierte lautstark und hüpfte auf den Boden. »Hey, das tut mir echt leid. Ich weiß, wie sehr du dich darauf gefreut hast, dass er nach Hause kommt.«

»Ja. Aber ich kann nicht sauer sein, wenn sein Dad so krank ist.«

»Das stimmt. Also zieh dich um, ich wärme dir dein Abendessen auf und du kannst dich zu uns setzen und uns alles über deinen aufregenden Abend erzählen.«

Mann, es ist schön, eine Familie zu haben. »Danke, Bro. Ich bin gleich wieder da.«

Anderson tapste ihm hinterher und sprang auf seine Bettdecke, während er sich umzog. Nachdem er in eine Jogginghose geschlüpft war, ließ er sich neben den Kater fallen und zog sein Handy aus der Tasche seiner Jeans.

Denke an dich. Hoffe, deinem Dad geht es bald besser. Vermisse dich wahnsinnig. Schicke dir Liebe und ganz viele Küsse.

Braden Lords tiefgründige Augen drängten sich in seine Gedanken. Es war echt nett von ihm gewesen, Ian zu beruhigen. Ihn daran zu erinnern, dass Handys in Krankenhäusern verboten waren. Mann, er konnte diese warme Hand noch immer auf seinem Arm spüren – ein Detail, das er Rico nicht mitteilen würde. Aber komm schon, es war jetzt schon drei Wochen her. Die Hormone eines Einundzwanzigjährigen machten keinen Unterschied.

Er hüpfte vom Bett, hob Anderson hoch, der sich das gerne gefallen ließ, und folgte seiner Nase zu dem aufgewärmten Essen, das auf einem Tablett im Wohnzimmer auf ihn wartete. Jim und Ken hatten den Fernseher ausgeschaltet, nippten an Weingläsern und schenkten ihm ihre ungeteilte Aufmerksamkeit, während er Hackbraten, Brokkoli und Kartoffelbrei verschlang. »Genau das, was ich gebraucht habe. Futter für die Seele.«

»Mit freundlichen Grüßen von Trader Joe's. Also, was gibt's Neues aus Mexico City? Was hat Rico über den Zustand seines Dads gesagt?«

»Ähm, nichts. Ich meine, er hat bloß geschrieben, dass es ihm schlechter geht. Aber ihr wisst ja, dass man sein Handy im Krankenhaus nicht benutzen darf.«

»Ja. Stimmt schon. Aber er könnte auch nach draußen gehen.«

Ian kaute und versuchte, seine Gedanken unter gebuttertem Kartoffelbrei zu begraben. Er sah gerade rechtzeitig auf, um das Stirnrunzeln zu bemerken, das Ken in Jims Richtung schickte.

Ken schwenkte den Wein in seinem Glas. »Also, wie war der Abend im Antonio's?«

»Großartig. Ich habe sogar Champagner getrunken. Na ja, zumindest ein paar Schlucke, bevor ich ihn über Braden Lords Schuhe verschüttet habe.« Er schob sich einen weiteren Happen in den Mund. Er hatte gar nicht bemerkt, wie hungrig er war. Als er aufschaute, starrte Jim ihn an.

»Bist du sicher, dass der Abend großartig war? Und nicht der schlimmste deines Lebens?« Er lachte.

»Ja, ich war ein absoluter Trampel. Aber Braden hat sich überhaupt nicht aufgeregt. Max hat mir auf die Schulter geschlagen, also hat er die Schuld dafür auf sich genommen.«

Ken legte leicht den Kopf schief. »Es sieht dir gar nicht ähnlich, so ungeschickt zu sein, Kleiner. Normalerweise bist du doch so ruhig und gelassen.«

»Ähm, du hast Braden Lord noch nicht gesehen.« Ians Mundwinkel hoben sich ein wenig.

»Ah, jetzt kommen wir zu dem Teil des Abends, der so großartig war.« Jim ließ sich auf das Sofa zurücksinken. »Fahr fort.«

»Habt ihr zwei nicht eine Hochzeit zu planen?« Er schob sich den letzten Rest des Hackbratens in den Mund.

»Wir haben schon geplant und jetzt wollen wir etwas über den leckeren Braden Lord hören.« Ken grinste anzüglich.

Ian zwang sich, auch das grüne Zeug zu essen, versah jeden Bissen allerdings mit einem dicken Mantel aus Kartoffelbrei. »Na ja, ich habe ihn natürlich schon vorher gesehen, aber nie aus der Nähe und so privat. Mann, was für ein Traumtyp. Es kursieren sogar Gerüchte, dass er schwul ist.«

»Oh ja.« Ken nickte. »Was man so hört, ist, dass er seit seinem Coming-out eine hässliche Scheidung durchmacht.«

»Ehrlich?« Als angesehener Kardiologe bewegte sich Ken in denselben Kreisen der Oberschicht wie Lord. Er sollte es wissen. »In letzter Zeit schien er ziemlich unter Stress zu stehen. Ist aber sonst ein netter Kerl. Ich war total durch den Wind, weil Rico mich nicht angerufen hat, und Braden hat mich daran erinnert, dass es Funklöcher geben könnte und Rico sein Handy nicht benutzen darf, wenn er bei seinem Dad ist. Ich meine, vielleicht übernachtet er ja auch im Zimmer seines Vaters, wisst ihr?«

»War das bevor oder nachdem du Lords Schuhe ruiniert hast?« Jim gluckste, doch Ken blickte Ian mit diesen dunklen Augen nachdenklich an.

»Danach. Er war echt nett.«

»Also, Ken und ich besuchen am Wochenende seine Familie, um ein paar letzte Übereinkünfte bei den verrückten Hochzeitsplänen seiner Mutter zu treffen. Willst du mitkommen?«

Ian versteckte sein Seufzen. »Nein, ich muss noch lernen. Außerdem ist das Wetter so schön; ich glaube, ich werde zum Strand runtergehen und da ein bisschen entspannen. Grüß deine Mutter aber ganz lieb von mir.«

Ken grinste. »Du machst dir bloß Sorgen, dass sie auch versuchen könnte, dich unter die Haube zu bringen.«

»Da ist sie ziemlich gut drin.« Obwohl die beiden sie drei Jahre lang mit Ausreden wegen ihrer wachsenden Unternehmen hatten vertrösten können, hatte Mrs. Tanaka Ken und Jim schließlich dazu gebracht, die Hochzeit zu planen, und nichts war ihr dabei zu aufwendig. Das Letzte, was er mitbekommen hatte, war, dass sie mehr als dreihundert Gäste eingeladen hatte.

Jim schnappte sich Ians Tablett und brachte es in die große, helle Küche. »Ich habe uns einen großartigen Tapioka-Pudding als Nachtisch besorgt. Mach's dir gemütlich und schau dir einen Film mit uns an.«

Ken griff nach der Fernbedienung. »Wie wäre es mit Mandelaugen und Lotosblüten?«

Ian ließ seinen Kopf auf die Armlehne seines Stuhls sinken. »Gott, wie schwul können wir eigentlich noch werden?«

***

Drei Stunden Geplauder während des Abendessens. So sehr er seine neuen Kunden auch mochte – das gehörte trotzdem immer noch nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Braden entschied sich dafür, den Abend noch mit einem entspannten Drink an der Bar ausklingen zu lassen, nachdem Doug und Max angeboten hatten, alle anderen zurück zum Büro und zu ihren Autos zu fahren.

Die hübsche blonde Barkeeperin legte eine Serviette vor ihm hin. »Was kann ich Ihnen bringen?« Sie zeigte ein paar Grübchen – eine Einladung, die er bereits des Öfteren von Frauen erhalten hatte. Leider war er einmal vor fünfzehn Jahren darauf eingegangen.

»Ich nehme ein Glas Pinot noir. Was würden Sie mir empfehlen?«

»Da habe ich genau das Richtige. Ich hole Ihnen eine Kostprobe.«

Eine Stimme hinter seinem Rücken sagte: »Machen Sie zwei draus, ich bezahle.«

Braden wandte sich um. Oh, richtig, der Leiter der Werbeagentur für Reading Foods. »Danke. Ich dachte, Sie wären bereits mit Ihrem Kunden gegangen.«

»Keinesfalls.« Der mittelgroße, gut aussehende Mann, dessen braunes Haar an den Schläfen von silbernen Strähnen durchzogen war, streckte die Hand aus. »Yancey Hardesty, falls Ihnen der Name entfallen sein sollte. Ich hatte gehofft, Sie wären vielleicht noch für einen entspannten Drink zu haben. Kundenessen sind nicht gerade erholsam.« Er lachte.

»Es sind alles nette Leute, aber Sie haben recht.«

Die Barkeeperin goss einen Schluck Rotwein in ein Kognakglas vor Braden. Er roch kurz daran und probierte ihn. Es hatte keinen Sinn, das ganze Ritual der Weinverkostung durchzuziehen. Er nickte. »Sehr gut. Der gefällt mir. Schenken Sie mir ein Glas ein.«

Das tat sie und hielt dann Yancey die Flasche hin. »Sir, wollen Sie ihn zunächst probieren?«

»Nein. Wenn Braden ihn abgesegnet hat, werde ich sicher nichts dagegen haben. Ich bin kein großer Weinkenner.«

Das war erfrischend bescheiden für jemanden, der aussah wie ein Snob aus Newport Beach. Braden nippte an seinem Wein. »Danke dafür. Allerdings muss ich bald gehen. Ich hole meine Kinder morgen ab und muss die Junggesellenbude noch in die Daddyzone verwandeln.«

»Oh, Kinder. Und dabei wollte ich Sie gerade fragen, ob Sie am Samstagabend mit mir essen gehen wollen.«

Hmm. Er kaschierte die Pause, indem er noch einen Schluck Wein trank. Du sagst doch ständig, du müsstest dich darin üben, ein schwuler Mann zu sein. Das hier ist ein ziemlich beeindruckender Kerl. Ein Geschäftsmann. Erfolgreich. Gut aussehend. Wahrscheinlich wohlhabend. Zum Teufel, warum nicht? »Ich habe einen guten Babysitter an der Hand. Vielleicht könnte ich es einrichten.«

»Großartig. Das ist fantastisch. Soll ich Sie abholen?«

Und die Kinder mit einem neuen Typen konfrontieren? »Äh, nein. Ich wohne im Süden von Laguna. Warum treffen wir uns nicht irgendwo? Sie wählen.«

»Sehr schön. Wir könnten in das Tides in Crystal Cove gehen. Das wäre auf halbem Wege für uns beide.«

»Perfekt.«

Yancey sah unter seinen langen Wimpern zu ihm auf. »Das ist es wirklich.«

Kapitel 3

Ian fühlte sich von Wärme eingehüllt, während er sich zwischen Ken und Jim auf die Couch kuschelte. Irgendwann während des Liedes A Hundred Million Miracles fielen ihm die Augen zu. Irgendwann später zog Jim ihn auf die Füße. »Komm, Kumpel, ab ins Bett mit dir.« Er ließ es geschehen und lehnte sich an Jims großen Körper. Er schaffte es, lange genug stehen zu bleiben, um zu pinkeln, dann brach er auf seinem Bett zusammen und Jim deckte ihn zu, während Ken flüsterte: »Ich stelle dir deinen Wecker für die Uni, okay?«

»Hmmm.«

Er kuschelte sich unter die Decke, doch als er seufzte, raunte Ken Jim zu: »Du kannst mir nicht erzählen, dass der kleine Mistkerl Rico keine ruhige Minute gefunden hat, um Ian anzurufen.«

Ian öffnete die Augen und starrte die halbe Nacht über seine Zimmerdecke an.

Nachdem er sich durch den Schultag gekämpft hatte und früh ins Bett gefallen war, begegnete Ian dem hellen Sonnenschein am Samstag, indem er mit nur einem Auge unter der Bettdecke hervorspähte.

Jims Stimme drang durch seine Schlafzimmertür herein. »Hey, Ian, du musst nicht mit uns aufstehen. Wir machen uns jetzt auf den Weg nach Costa Mesa. Wahrscheinlich bleiben wir die Nacht über dort, also sehen wir uns am Sonntag wieder, Kumpel. Erhol dich gut. Genieß den Strand.«

Er zog die Bettdecke noch ein Stück herunter. »Tschüss. Gib deiner Mom einen Kuss von mir. Und sag ihr, dass bei dreihundert Gästen kein einziger zu viel ist.« Als Jims schnaubendes Lachen verklang, zerrte er sich die Decke wieder übers Gesicht und lauschte dem Geräusch ihrer Schritte, der zufallenden Tür und wie sich langsam Stille breitmachte. Stille. Die war verdammt noch mal nicht sein Freund.

Er drehte sich auf den Rücken und stattete seinem alten Kumpel, der Zimmerdecke, einen Besuch ab. Anderson kletterte auf seine Brust und machte es sich gemütlich. Das war irgendwie mal angenehmer gewesen, als er als Kätzchen noch ein knappes Kilo gewogen hatte, doch als fast sieben Kilo schweres, weißbepelztes Ungeheuer konnte die Wahl seines Ruheplatzes eine Lunge zum Kollabieren bringen. Ian kraulte den weichen Kopf und nahm die Therapie durch Schnurrvibrationen entgegen.

Nach seiner miesen Donnerstagnacht hatte ihm der anstrengende Schultag kaum Zeit zum Nachdenken gelassen. Trotzdem brauchte man keine besonders ausgeprägte Beobachtungsgabe, um zu bemerken, dass keine Nachricht aus Mexico City angekommen war. Kens Worte über den kleinen Mistkerl, der keine ruhige Minute zum Anrufen gefunden hatte,klapperten in Ians Hirn herum wie die letzte Vitaminpille in einer Dose. Wenn man wirklich mit jemandem reden wollte, fand man immer einen Weg. Rico hatte das nicht getan.

Hör verdammt noch mal auf nachzudenken! Ian setzte sich ruckartig auf, während Anderson sich festhielt, was Krallen in nackter Haut zur Folge hatte. »Au!«

»Merwaor.« Anderson sprang von seiner Brust, hinterließ rote Striemen, schnippte ungehalten mit dem Schwanz und zeigte ihm den flauschigen Rücken, als Ian die Beine über den Rand des Bettes schwang und auf die Füße kam. Strand. Er musste zum Strand.

Er eilte ins Badezimmer, pinkelte, rasierte sich halbherzig, putzte sich die Zähne und steuerte die Küche an. Anderson saß vor seiner leeren Schüssel und starrte ihn an.

»Okay, Fellknäuel.« Er griff sich das Katzenfutter mit Hühnchen, das dem Kater besonders gut schmeckte, füllte die Schüssel, machte sich dann auf die Suche nach seinem Strandtuch und schlüpfte in seine Badeshorts. Als er zur Eingangstür zurückkehrte, saß Anderson direkt davor. »Entschuldige, Kumpel. Ich will zum Strand runter.«

»Merwaowr.«

»Komm schon, du bist kein Golden Retriever.«

»Mwow.«

Hmm.»Tja, zum Teufel, willst du wirklich mitkommen? Ich meine, nach acht dürfen zwar keine Hunde mehr an den Strand, aber du bist auch kein Hund, oder?« Er zuckte mit den Schultern. »Einverstanden.«

Er wühlte sich durch die Tasche mit verschiedenstem Katzenspielzeug und -zubehör, die sie im Wandschrank im Flur für Anderson aufbewahrten. Jepp, ganz unten fanden sich noch ein Geschirr und eine Leine von Ians Versuch, den Kater wie einen Hund zu führen – er hatte keinen Erfolg gehabt. Aber wenigstens würde ihm das Kerlchen dann nicht verloren gehen.