Professor Zamorra 1164 - Thilo Schwichtenberg - E-Book

Professor Zamorra 1164 E-Book

Thilo Schwichtenberg

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Beschreibung

Bleich erstrahlte der massige Berg im Schein des vollen Mondes.
Die kräftige Wärme des Sommers hatte die Heilpflanzen in diesem Jahr besonders gut gedeihen lassen. Lächelnd knipste die junge Frau ein paar von ihnen ab.
Giuseppina spürte die Kraft des Mondes, wie er ihre Suche auf die richtigen Pfade lenkte. Die Mittzwanzigerin stieg höher in die Klüfte hinein. Bald strich sie über die nächste Pflanze und legte bleiche Knochen frei. Das waren Finger, die krampfhaft ein silbernes Schmuckstück umklammert hielten!
Giuseppina wollte das verkrümmte Skelett nicht berühren. Letztendlich tat sie es doch.
Das Kleinod war aber auch unwiderstehlich ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Totengräber

Leserseite

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Guy Flig / shutterstock

Datenkonvertierung eBook: Blickpunkt Werbe- und Verlagsgesellschaft mbH, Satzstudio Potsdam

ISBN 978-3-7325-7506-0

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

Der Totengräber

von Thilo Schwichtenberg

Die Dolomiten in Südtirol, Juli 2003

Bleich erstrahlte der massige Berg im Schein des vollen Mondes.

Die kräftige Wärme des Sommers und die immerfeuchten Klüfte des Schlern hatten die Heilpflanzen in diesem Jahr besonders gut gedeihen lassen.

Die junge Frau strich vorsichtig über die Blütenstände der Alpen-Grasnelke und entschuldigte sich höflich bei dem Bleiwurzgewächs. Lächelnd knipste sie ein paar von ihnen ab.

Giuseppina spürte die Kraft des Mondes, wie er ihre Suche auf die richtigen Pfade lenkte. Die Mittzwanzigerin stieg höher in die Klüfte hinein. Bald strich sie über die nächste Pflanze und legte bleiche Knochen frei. Das waren Finger, die krampfhaft ein silbernes Schmuckstück umklammert hielten!

Giuseppina wollte das verkrümmte Skelett nicht berühren. Letztendlich tat sie es doch.

Das Kleinod war aber auch unwiderstehlich.

Achter Österreichischer TürkenkriegAugust 1788, in der Nähe von Kutina (Kroatien)

»Heja!« Mladen trieb sein Pferd unbarmherzig vorwärts. Die Beine an die Flanken des Braunen gepresst, den Oberkörper ganz nah an dessen Hals – so bot der kroatische Kurier den geringsten Widerstand. Er gab der Versuchung, dem Tier die Sporen zu geben, nicht nach, denn das brachte nichts. Nichts außer schwärenden Wunden, und Mladen benötigte seinen tierischen Kameraden noch eine geraume Weile bei bester Gesundheit.

Ein Feld nach dem anderen zog an ihm vorüber. Den ganzen Nachmittag schon. Die untergehende Sonne überstrahlte alles mit ihrem kupferfarbenen Glanz. Doch dafür verschwendete der Husar jetzt keine Gedanken. Mladen kniff die Augenlider zusammen und sah nach vorn. Dort, endlich, der dunkle Schemen, der wie zäher Brei den Hügel hinunterfloss, das war Wald! Groß und undurchdringlich, wie es schien. Wie geschaffen für jemanden, der sich verstecken musste.

Sein Kopf flog kurz nach hinten. Er sah die Staubwolke. War sie näher gekommen? Er wusste es nicht. Wusste nur, dass er unbedingt das Gehölz erreichen musste. In dem Dickicht, gepaart mit der Dunkelheit, hatte er vielleicht Glück, die beiden Verfolger abzuschütteln.

Ausgerechnet Janitscharen! Die Kämpfer aus der Eliteeinheit des Sultans Abdülhamid!

Nun gut. Mladen war kein gewöhnlicher Bote. Er war einer der Abgesandten des österreichischen Feldherren Gideon Ernst Freiherr von Laudohn, dem Befehlshaber der kaiserlichen Truppen in Kroatien!

Die hatten, nachdem sie sich vor vier Monden erst einmal zurückziehen mussten, das türkische Heerlager in der Nähe von Dubitza am Flüsschen Una endlich erobert und belagerten nun die gleichnamige Festung. Mladens Aufgabe war es, eine Depesche an den nächsten Kurier weiterzugeben, der sie ebenfalls weiterleiten würde, bis sie schließlich Kaiser Joseph II. in den Händen hielt.

Nun hatten sich zwei der Feinde an seine Fersen geheftet. Sie hatten eine Schlacht verloren. Jetzt würden sie sich an allen rächen, denen sie habhaft wurden. Kurz hatte der Kroate überlegt, sich ihnen zu stellen, doch die Botschaft war viel zu wichtig und die Gefahr recht groß, dass er den beiden Gegnern im Kampf unterliegen würde.

Abermals sah sich Mladen um. Hatte sich der Abstand jetzt doch etwas vergrößert? Mach dir keine falschen Hoffnungen, schalt er sich.

Die ersten Bäume!

Schon verschluckten die Schatten des Waldes Pferd und Reiter. Mladen blieb erst einmal auf dem Weg. Er musste tiefer hinein. Angespannt betrachtete er die Umgebung. Eichen und Buchen säumten den Pfad, das Unterholz schien nicht sehr ausgeprägt. Weiter!

Nach einer geraumen Weile riss er das Pferd nach rechts und zügelte gleichzeitig etwas das Tempo. Nicht auszudenken, wenn sein Kamerad stürzen und sich die Beine brechen würde.

Hier gab es nicht nur Felsen, sondern auch kraterartige Stellen. Ganz so, als hätten Riesen in grauer Vorzeit an diesem Ort nach Gold gegraben. Ross und Reiter konnten sich durchaus hier verstecken.

Nach Überwindung der sechsten Delle sprang Mladen vom Pferd. Mittlerweile war es recht dunkel geworden. Die Janitscharen konnten also nicht mehr den Hufabdrücken folgen, wohl aber den Geräuschen, die er und der Braune von sich gaben. Trotzdem führte er seinen Kameraden noch etwas weiter in den Wald.

Wie er den wieder verlassen würde – vorausgesetzt, er überlebte die Nacht –, darüber konnte er sich morgen Gedanken machen.

Mladen spürte, dass er nun auf weichem Boden unterwegs war. Moos! Die Stelle schien ihm günstig. Hinter ihm ging es steil einen Hang hinauf, und dank der Felsen, die selbst als dunkle Schemen im Wald standen, konnten er und sein Begleiter nicht so schnell ausgemacht werden.

Der Husar band die Leine um einen Stamm. Der Braune sog die Luft tief in seine Lungen ein. Schaum klebte an der Kandare. Beruhigend streichelte Mladen ihm die Mähne. Instinktiv spürte das Tier, dass Gefahr in der Nähe lauerte. Mit jedem Lidschlag wurde es ruhiger. Doch die Augen blickten noch immer wach.

Angespannt stand auch Mladen in der Dunkelheit und lauschte in die Nacht.

Ein Knacken! Weitere Äste brachen. Die Geräusche schienen weiter weg, doch kamen sie näher. Beruhigend strich Mladen dem Tier über den Hals. Hätte er ihm die Sporen gegeben, wäre es jetzt nicht so ruhig gewesen.

Steinchen rieselten den Abhang hinab.

Sie waren über ihm! Er hörte sie miteinander flüstern. Sie blieben stehen, schienen sich zu beratschlagen.

Mladen berührte seinen Säbel. Sollten sie nur kommen.

Doch den Gefallen taten sie ihm nicht. Er hörte das Knacken auch weiterhin, da es nie ganz verstummte. Verdammt! Sie schlugen anscheinend in der Nähe ihr Lager auf.

Die Augenblicke vergingen. Mittlerweile überzog der Mond den Wald mit einem silbernen Glanz. Noch immer streichelte Mladen sein Pferd. Es schüttelte sich hin und wieder leise, doch blieb es mittlerweile gelassen.

Was taten die Janitscharen? Waren sie wieder unterwegs und suchten nach ihm? Oder hatte sich einer hingelegt während der andere wachte? Die hatten es gut!

Mladen musste wach bleiben! Doch mit der Zeit übermannte auch ihn die Müdigkeit.

Er trieb sich einen spitzen Stein ins Fleisch. Knetete die Hände, fuhr durch das strohige Haar, rieb immer wieder den Hals, kratzte sich am Körper …

Das war ein Schrei! Mladen fuhr auf. Er hatte sich doch nur an die Felswand gelehnt, die ein wenig die Wärme des Tages in sich aufgenommen hatte. Wohl deswegen musste er eingeschlafen sein. Verdammt. Und nun dieser Schrei.

Er hörte angespannt in die Nacht. Ja, da waren Geräusche. Kampfgeräusche. Als wenn sich Leiber balgen würden! Kein Säbelklirren, kein Rufen, nichts.

Was war da los? Waren die beiden von einem Bären überrascht worden? Dann hätte sich auch sicher sein Pferd bemerkbar gemacht. Doch der Braune stand ruhig neben ihm.

Wieder ein unterdrückter Schrei. Stöhnen. Dann ein Gurgeln. Stille.

Mladens Herz raste. Was passierte da drüben nur? Und vor allem: Kam das Grauen auch zu ihm?

Da! Ein Schemen im Mondlicht. Jemand hielt etwas nach oben. Es blitzte kurz im Schein des Erdenbegleiters. Nochmals erklang ein keuchender Laut. Der Schemen krümmte sich. Jemand schien eine Stichwaffe in den Körper getrieben zu haben. Der Schemen fiel in sich zusammen. Dann herrschte Ruhe.

***

Die Dämmerung setzte ein. Mladen konnte nach und nach immer weiter sehen. Dort, am Lager der Janitscharen, standen die beiden Pferde. Doch je mehr Zeit verstrich, es zeigten sich keine Menschen. Waren das Langschläfer?

Vorsichtig schlich sich Mladen an den Feind heran.

Bald schon musste er erkennen, dass die Vorsicht nicht mehr geboten war. Zwei Körper langen am Boden. Wie es aussah, hatten sie sich gegenseitig umgebracht.

Der Kroate trat näher. Dem einen ward die Kehle aufgeschlitzt, dem anderen hing das Gedärm heraus. Und überall klebte Blut.

Was war nur in der Nacht geschehen?

Mladens Blick fiel auf die verkrampfte rechte Hand des einen. Eine Kette lugte daraus hervor. Er stieß mit seinem Fuß an den Fremden, doch der rührte sich nicht mehr.

Der Kurier ging in die Hocke und zog an der Kette, die teilweise unter dem Toten lag. Ein Medaillon wurde sichtbar. Aus Silber! Aus teurem Silber!

Mladen strich darüber. Und lächelte. Er griff die Kette. Mit einem Ruck hatte er sie aus den Klauen des Feindes befreit.

Schwer lag sie in seinen Händen. Das Medaillon strahlte eine leichte Wärme aus. Lange konnte der Fremde also noch nicht tot sein.

Der Husar drehte es in den Händen. Welch eine Kostbarkeit. Kurz dachte Mladen an Marie. Die Kette wäre ein schönes Geschenk für sie. Er streifte sie über den Kopf und ließ sie unter seinem Hemd verschwinden. Wohlige Wärme breitete sich auf der Haut aus.

Kurz darauf gab er seinem Pferd die Sporen.

***

Das Rosengartenmassiv, SüdtirolAnfang Januar 2019

Giuseppina lachte befreiend. Sie öffnete den Knoten ihrer Haare und schüttelte das Haupt. Sofort wirbelte der nächtliche Sturm die rötlich-lange Pracht durcheinander.

Schneeflocken piksten auf Stirn und Wangen, die Kälte versuchte sich unter ihre Kleider zu graben.

Es war ihr herzlich egal. Denn nichts war wichtiger als die eigene Freiheit!

Sie schloss die Augen und gab Gas. Gerade war sie unweit des Karerpasses zu ihrem mitternächtlichen Reigen gestartet, aber anstatt ihren Besen linksherum zu ziehen, entschloss sie sich für einen kleinen Umweg und riss ihn deshalb nach rechts. Links von sich spürte sie nun das Massiv des Latemar, des kleineren Bruders des Rosengartens. Ihn umflog sie in Windeseile.

Tat das gut!

Der Besen tauchte in Höhe des Karerpasses etwas ab, dann spürte sie auch schon den Rosengarten. Er war eine lang gezogene, mächtige und zerklüftete Wand, ein wahrhafter Riegel. Sie überflog die ersten Spitzen, dann durchschlängelte sie ihn in wahrem Übermut.

Sie war eine Meisterin des Besens! Trotz Sturm und Dunkelheit spürte sie das Massiv, und bald schon jagte sie über die Spitze des Rosengartens hinweg, schlängelte sich zwischen den Vajolet-Türmen hindurch, fegte einmal um den Kesselkogel herum, der mit knapp über dreitausend Metern den höchsten Punkt des Rosengartenmassivs bildete, und stieß dann hinab ins Tschamintal und gleich die Bärenfalle wieder hinauf.

Sie umklammerte den Griff ihres Besens fester. Gleich, gleich musste es so weit sein. Da! Sie spürte den Berg, den massigen. Mit einem Ruck zog sie ihr Fluggerät nach oben. Dank Hexensalbe und Magie blieb sie auf ihrem Besen sitzen und rauschte senkrecht am Kalkgestein nach oben.

Hoch konzentriert tastete Giuseppina mit ihrem Geist den Berg ab. Jeden kleinen Vorsprung balancierte sie aus, flog kurzzeitig sogar kopfüber.

Nacht und Schneesturm waren ihre Begleiter, verbargen das, was ihresgleichen vorhatten. Sie schoss über den Berg hinweg, drückte den Besenstil wieder nach unten und flog eine Runde im Gestöber über den Berg. Sie sah den Schlern, den zweiten Bruder des Rosengartens, unter sich zwar nicht, aber sie konnte ihn fühlen. Jede Unebenheit spürte sie mit ihren geistigen Fühlern.

Giuseppina setzte zur Landung an. Mitten unter ihresgleichen kam sie zum Stehen. Behände sprang sie vom Besen. Sie waren zu sechst. Nein, korrigierte sie sich lächelnd, zu acht. Kurz sah sie auf die beiden nackten jungen Männer, die, an Händen und Füßen gefesselt, im Schnee lagen.

Sie krümmten sich ob der Kälte. Weiß glänzte ihre Haut, schneeweiß.

»Ist alles vorbereitet?« Die Worte waren mehr Feststellung als Frage.

»Alles ist so arrangiert, wie du es angewiesen hast.« Rosa, die Hexe aus Völs, machte eine raumgreifende Handbewegung.

»Gut. Dann lasst uns beginnen.« Giuseppina nickte ihren Schwestern zu.

Unvermittelt hielten die fünf Hexen Elmsfeuer in den Händen, bückten sich und übergaben das lodernde Grün dem Berg. Die Flämmchen fuhren geradeaus in den Schnee, dann knickten sie scharf ab und fuhren wieder geradeaus. Ein Drudenfuß glomm auf, der jedoch an einer Stelle durchlässig war.

Giuseppina stieg hinein und hockte sich auf den Boden. Ihre Handflächen schmolzen sich durch den Schnee, berührten den nackten Fels. Ein tiefes Summen erscholl. Unvermittelt sprang sie auf und reckte die Hände in die Höhe. Eine Art Kuppel entstand, die kurz grüngelb aufleuchtete und das Schneegestöber weitestgehend von den Hexen und ihren Opfern fernhielt.

Die Oberhexe verließ den Drudenfuß, der sich daraufhin schloss.

Teresa und Lucia griffen sich nun einen der jungen Männer, während Aurora und Rebecca den anderen in Position zogen. Sie legten die beiden auf zwei unscheinbare Altäre, die links und rechts des Drudenfußes nur andeutungsweise aus dem Gestein aufragten. Auch hier schmolz der Schnee und gab eine schwarze Fläche frei, auf denen die weißen Leiber der Männer besonders gut zur Geltung kamen. Dank ihrer Magie lösten sie nun die Fesseln. Mit ausgestreckten Armen und Beinen klebten die Jünglinge auf dem schwarzen Fels.

»Unsere erste Blutnacht«, flüsterte Rosa ergriffen.

Aurora antwortete ihr mit fester Stimme. »Und sicher nicht die letzte.«

Der Drudenfuß glühte stärker auf. Giuseppina stellte sich an die nach unten weisende Spitze und murmelte uralte Zaubersprüche. Rosa, Teresa und Rebecca stellten sich ihr gegenüber auf, während Lucia und Aurora jeweils bei den Männern blieben.

In das tiefe Summen auf dem Berg mischte sich die immer lauter werdende Stimme Giuseppinas. Hoch züngelten nun die Flammen des Drudenfußes, schon nahmen Lucia und Aurora Opferdolche in die Hände, hoben sie an und stießen sie …

Wildes Kampfgeschrei ertönte, als sich eine unsichtbare Urgewalt zwischen die Hexen drängte.

***

Kurz zuvor

Sie taten es tatsächlich! Sie begingen diesen Frevel, diesen Affront, in seinem Reich!

Laurin, König der Alben, war fassungslos und wütend zugleich.

Dass die Hexen so schnell in so kurzer Zeit erstarken würden, unglaublich!

Ihr Treiben hatten er und seine Zwerge schon vor ein paar Jahren bemerkt. Diese Hexen taten Böses, ja. Aber sie hatten bisher nicht gemordet. Außerdem entzogen sie sich immer wieder seinem Herrschaftsgebiet, denn die Hexen wohnten rund um das Rosengartenmassiv verteilt, zu dem auch der angrenzende Schlern auf der einen sowie der Latemar auf der anderen Seite gehörten. Sie wohnten in Tiers, Völs und Welschnofen. In Vigo, Pozza und St. Ulrich.

Aldebaran, sein getreuer Diener, war als Erster auf die Weiber aufmerksam geworden. Sie hatten bei Vollmond im Rosengartengebiet giftige Pflanzen wie Bilsenkraut, Germer, Aronstab, Tollkirsche, Engelstrompete, Stechapfel und Nieswurz gesammelt.

Mit ihren Hexenbeuteln beeinflussten sie die Lebensbahnen von Menschen. Die Säckchen waren mit Kräutern und magischen Hilfsmitteln wie Kristallen, Federn, Zähnen, Tiergedärm oder Knochen gefüllt – sowie mit der wichtigsten Zutat: Einem organischen Partikel des Opfers, sei es ein Haar, ein Fingernagel oder ein paar Kopfhautschuppen. Kunden kamen zu ihnen und bezahlten viel Geld, um dem Kollegen, Geschäftspartner, Nachbarn oder einfach dem Ex gehörig eins auszuwischen. Brände, Unfälle und Krankheiten gingen auf das Konto der Hexen, bis hin zur Zerstörung der gesamten Existenz.

Nun gut, damit mussten die Menschen selbst klarkommen. Laurin und seine Mannen waren nicht deren Kinderfrauen, die ständig darauf achteten, dass die Kleinen nicht in den Dreck fielen. Das gehörte eher in den Bereich von Professor Zamorra, seiner Gefährtin Nicole Duval, dem ungestümen Ted Ewigk oder der wunderschönen Silbermonddruidin Teri Rheken. Sie alle hatte der König in den letzten Jahrzehnten mehr oder weniger gut kennengelernt.

Doch das hier, dieses Ritual, war etwas gänzlich anderes. Hier wurde Leben genommen. Geopfert, so wie es schien. Auf einem seiner Berge, denn Laurin, König der Alben, gebot nicht nur über den Rosengarten und das dazugehörige unterirdische Reich, sondern auch über die gesamten Dolomiten. Manche munkelten sogar, er war die Dolomiten. Starb er, starben auch die Berge. Er verdrängte den Gedanken. Es gab Wichtigeres.

Seit fünf Monaten begnügten sich die Hexen nicht mehr damit, am Rosengarten Giftpflanzen zu sammeln. Sie unternahmen nun immer wieder Versuche, allerdings bisher vergeblich, in sein Reich zu gelangen. Fast wäre es ihnen am Anfang sogar gelungen. Denn eine der Hexen hatte einen der Alben schon so weit umgarnt, dass er ihr das Tor zum Rosengarten öffnen wollte. Nur durch das beherzte Eingreifen von Aldebaran, dem jungen Adligen sowie Laurins getreuer Schildmaid, konnte es verhindert werden.

Warum die Hexen plötzlich in das Land der Alben wollten, verschloss sich ihm nach wie vor. Vorsorglich verriegelte Laurin sein Reich völlig. Er rief alle Riesen zurück, die sich im Rosengartenmassiv als Mäuse tarnten und verschloss sämtliche Tore und Übergänge. Sein Reich, das in einer anderen Dimension lag, wurde zur Festung. Nur ausgewählten Personen gestattete er noch den Durchlass. Ergebenen Personen wie Aldebaran. Ein Zwerg, den er nach einem Abenteuer mit Professor Zamorra in den Adelsstand erhoben und der ihn bis heute nie enttäuscht hatte.

»Herr«, raunte sein Günstling neben ihm.

Laurin nickte. »Wir sehen es.«

Der Albe sprach noch immer im königlichen pluralis majestatis. Zum einen aus Tradition, zum anderen, um seine Untertanen auf Distanz zu halten.

Der König lächelte grimmig, als die Hexen mit dem Ritual begannen. Diese alberne Schutzglocke konnte den Alben nichts anhaben. Die Weiber würden sich noch wundern.

Kurz dachte der König an seine Schildmaid, die auch dieses Mal alles andere als begeistert gewesen war, zurückbleiben zu müssen. Doch Laurin vertraute nur sehr wenigen Personen in seinem Gefolge die wirklich wichtigen Dinge an. Und das Tor, den Übergang in die Menschenwelt, zu bewachen, war eine strategisch äußerst wichtige Aufgabe. Denn das Tor wechselte seinen Standpunkt. Niemand, außer den Eingeweihten, konnte voraussagen, wo es sich als Nächstes manifestierte. Er benötigte zauberkundige Alben dafür. Und deswegen vertraute er die Aufgabe nur noch Aldebaran und seiner Schildmaid im Wechsel an.

Laurin überprüfte seine Ausrüstung. Auf dem Kopf saß die berühmte Tarnkappe, ein schmuckloses, graues Etwas, das eher einem alten Lappen denn einem Wundermittel glich. Auf dem Leib trug er den Waffenrock und die Brünne, die von keiner Waffe durchschlagen werden konnte. Um seine Taille schlang sich der Gürtel, der ihm die Kraft von zwölf starken Männern verlieh. Voller Stolz betrachtete er die Stiefel, mit denen er im Gebirge nie abrutschte. Wo auch immer er hintrat, sie verliehen ihm vollen Halt. Die Stiefel waren ein Geschenk von seinem Oheim, Fürst Selbor, dessen unterirdisches Reich sich in den mitteldeutschen Landen befand.

Die Säbel hingen allerdings noch am Gürtel, denn sie wollten die Hexen nicht töten. Sie wollten sie nur ein für alle Mal in ihre Schranken verweisen. Und da bisher noch kein Blut geflossen war, würde auch Laurin auf das Töten verzichten. Er hoffte, dass der Warnschuss die Hexen zur Vernunft bringen würde.