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Franziska Thiele

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Beschreibung

In einem Wechsel erzählen Markus und der Erzähler von dem Leben der Menschen in einer simulierten Welt. Der fließende Übergang von den politischen Entwicklungen im Weltgeschehen zu der fiktiven Lebensweise lässt den Leser in eine neue Welt eintauchen. Die Menschen leben in einer Art Videospiel, in der die Welt noch heile ist, in der die Möglichkeiten unzählbar scheinen, das Leben endlos. Nur eines können sie hier nicht – Einfluss nehmen, etwas verändern. Markus pendelt zwischen den Welten, der verfallenen alten und der prächtigen neuen. Doch was als scheinbar freiwilliges Angebot begann, war eine lang geplante Strategie, um alle Menschen zu kontrollieren.

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Seitenzahl: 376

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Franziska Thiele

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Roman

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Teil 1

Teil 2

Teil 3

Teil 4

Impressum neobooks

Teil 1

-Ich-

Auch ich war ganz zu Anfang mit dabei, um meinen Lebensunterhalt im Internet zu verdienen. Der Glaube, dass wir, dass ich mich nicht mehr unterordnen, mich nicht mehr gesellschaftlichen Strukturen unterwerfen müsste, welchen man zwangsläufig unterliegt, wenn man sich mit der Gesellschaft umgibt, in der wir alle lebten, er war einer der Hauptgründe für diese Entscheidung. Wir wussten und wollten, ich wusste und wollte, dass wir die Konventionen, die wir am Leib und in den Köpfen trugen, nicht mehr von Bedeutung waren, dass wir sie wie unsere Kleider ablegen konnten, wenn nur, und davon ging ich damals fest aus, diese Überzeugung vorherrscht würde. Bin ich ein Verächter der Gesellschaft? Keineswegs, denn wäre ich nicht überzeugt von den Menschen gewesen, dann hätte ich die Schritte nicht unternommen, die ich unternommen habe. Ich war überzeugt davon, dass auch viele andere Menschen dieser Konventionen überdrüssig geworden waren, sich nicht mehr durch ständige Vergleiche ihres Lebens mit dem der anderen, ihrer Überzeugungen mit denen der anderen, nicht mehr unter diesem Druck, der zu einer Durchschnittlichkeit und hierdurch zu einer zwangsläufigen Unterdrückung der von diesem Durchschnitt abweichenden Gedanken führt, leben wollten – davon waren wir überzeugt. Die Idee, es gab sie schon lange und auf welche Lehren man sie auch zuschneiden wollte, es galt dieses Mal nicht nur die Lehren zu finden und zu beschreiben, sondern die Möglichkeit zu nutzen, sich von ihnen zu befreien.

Ich wollte, ich könnte beginnen mit meiner Geschichte, doch will ich zuvor, dass ihr mich versteht, der ich ein Teil dieser Welt geworden bin, die wir geschaffen haben. Es gab alle Welten vorher, gleichzeitig und somit auch nachher und parallel, nur haben wir uns einige zu eigen gemacht. Es ist mir wichtig, dass klar ist, warum ich anfangs die Überzeugung hatte, dass dies für uns alle eine, vielleicht die einzige Möglichkeit war, dass wir uns endlich befreien konnten. Endlich! Frei! Das ist es, was die meisten zu Revolutionen bewegt, nur meistens nicht die Revolutionsführer, die denken nicht an Freiheit, sondern an die neue Macht. Dies war hier nicht möglich und es galt Macht in jeglicher Möglichkeit zu unterbinden. Eine Struktur, die sich selbst bestimmt und trotzdem durch alle Akteure bestimmt wird, es war bereits die Grundidee des Internets, wie es früher als herkömmliches Netzwerk benutzt wurden ist. Dachten wir schon damals, alles sei möglich? Dachten wir schon damals, wir seien frei im Internet? Spätestens seit der NSA Affäre, die den Auftakt zu ersten kritischen Stimmen der breiten Masse gab, wussten wir, dass wir es nicht waren, dass wir nicht frei waren. Aber das war nur ein Tropfen, der weggewischt wurde und verdampft ist. Ein Tropfen auf dem heißen Stein, hieß es früher. Ich kann jetzt heiße Steine fühlen, wann ich will und wo ich will. Sie können so heiß sein, dass man sich früher daran verbrannt hätte, jetzt aber merke ich nicht mehr viel davon. Aber das ist ein anderes Thema. Nach der Affäre gab es sicherlich einige Proteste, es musste sie geben, doch es war bereits alles geplant und ich stand mittendrin. Ich wusste es und auch die Affäre, sie hatte mich in meiner Überzeugung, in meinem Drang, eine Welt für all die Menschen zu schaffen, die sich nicht mehr dem willkürlichen staatlichen Machtapparat und der überflüssig gewordenen und nur noch als Instrument benutzten Lohnarbeit unterwerfen wollten, eine Welt für all die Menschen, wo alle Möglichkeiten für jeden offen waren, denn ich wusste, dass es möglich war, dass die Schritte bald erfolgt sein würden und dann, wenn erst mal die Umstellung kam, war es ganz so, wie ich dachte: Die Affäre, sie war seit Jahren vergessen, denn was möglich war, das sahen nun auch die Menschen. War es zu früh? Das frage ich mich jetzt manchmal. Habe ich den Menschen nur meine Überzeugungen aufgedrängt ohne die ihre zu beachten? Ja und Nein. Denn jeden, den man fragt, der will frei sein, aber, und nun das nein: nicht alle waren soweit, die Oberflächlichkeiten der trügerischen Freiheiten, die nur als frei gesehen wurden, weil es genug Begrenzungen, genug strafbaren darum herum gab, aufzugeben. Und das schlimmste: Manchmal frage ich mich, ob ich selbst soweit war, soweit bin. Aber dafür ist es jetzt viel zu spät. Die wichtigen Fragen, denn Fragen sind oft wichtiger als die Antworten, die kommen leider oft erst dann, wenn man die scheinbar richtigen Antworten negiert vorfindet und zwar durch das eigen aufgestellte Konzept, in unserem Fall: Leben. Ist es je zu spät für diese Fragen? Geht es uns besser oder schlechter? Man kann es nicht mehr vergleichen, wir haben eine andere Welt geschaffen. Ich weiß noch nicht einmal, ob es der Plan war, alle mit zu nehmen, in diese Welt. Nicht von Anfang an, aber alle sollten diese Möglichkeit bekommen dürfen, denn es lief darauf hinaus, die freie Wahl war immer eine der trügerischsten Wahrheiten gewesen. Es gab bald keine Arbeitsplätze mehr, so wie man sie lange Zeit noch künstlich aufrecht gehalten hatte. Ich sehe das noch immer als Erlösung an, obgleich es gerade den älteren und das sind die meisten, nicht gleich leicht viel. Doch es war offensichtlich, dass das, was sie Alltag nannten, Arbeit, nur eine sinnlose Beschäftigungsmaßnahme geworden war. Doch ist es nicht das menschlichste, an dem zu hängen, woran man gewöhnt ist? Obgleich es ohne Sinn und sogar nur ist, um abzulenken? Abzulenken davon, dass die Menschen unnötig geworden waren? Waren sie es? Sind sie es? Für wen ist die bedeutende Frage vorgesehen, doch dazu kommen wir noch. Vorerst war mir wichtig, dass ihr meine Intention hinter all dem versteht, die Gute, die Freiheit.

-Erzähler-

Sicherlich gab es noch immer viele Zweifler. Doch sind Zweifler ohne Möglichkeiten, eine Veränderung einzuführen oder überhaupt ihre Zweifel darzustellen, vor allem für sich selbst eine Last. Obgleich es vielen nur noch als Bestätigung Ihrer Selbst blieb – der Zweifel als Erkennungsmerkmal des Menschlichen. Der Zweifel bestätigte das menschliche Gehirn, mehr noch: das Bewusstsein. Die meisten lebten längst fast ausschließlich in der, wie man noch früher sagte, virtuellen Welt, heute gibt es mehrere Namen dafür, doch erübrigt sich dies, wenn sich alle ohnehin darin befinden. Das Zentrale Nervensystem, man brauchte es noch, Übel und Segen zugleich, Schnittstelle des Menschlichen Bewusstseins. Das Gehirn blieb also erhalten, ebenso das Rückenmark und damit oft auch die Wirbelsäule und weitere Nervenstränge, die des Darms, ohne dass der Darm weiterhin der Verdauung diente. Je nach Bedarf konnten die übrigen Teile ersetzt werden und wurden es auch. Aber dies geschah langsam und allmählich, begann bei Tabletten, die den Schmerz milderten, führte weiter zu Operationen, in denen man Teile von Organen herausnehmen konnte, wie es bei der früheren Volkskrankheit, die durch die sich verbreitende bösartige Krebszelle entstand, der Fall später. Später konnte man nicht nur Organe, sondern auch Blut tauschen, spenden und jemandem wieder geben. Schließlich konnten unterstützende, nicht physiologische Systeme wie Herzschrittmacher eingesetzt werden, später natürlich Hände und Arme, Beine und alles weitere. Es war ein Vorgang mit zunehmender Geschwindigkeit, sowie die Netzwicklungen sich beschleunigten. Sogenannte Behinderte, die es gab, Menschen mit körperlichen Fehlfunktionen oder fehlenden Gliedern, bei ihnen wurden zuerst fehlende Körperteile rekonstruiert und wieder eingesetzt – die Nervenbahnen wurden wieder verbunden und der Behinderte konnte das Körperteil bewegen. Das war die öffentliche, die positive Seite dieser Entwicklung. Längst waren die Wissenschaftler soweit, alle möglichen menschlichen Körperteile, die der ständigen Zersetzung, dem Altern, ausgesetzt waren, zu erneuern. Was blieb waren Gehirn und Rückenmark mit alle den Nerven, die den Menschen noch ausmachten. Freilich kamen diese Entwicklungen nur nach und nach auf den Markt, um die Menschen langsam daran zu gewöhnen. Doch bald sahen die meisten Menschen die Vorteile, die es mit sich brachte, wenn man sich einen neuen Arm einsetzen lassen konnte, um den müde und schlaff gewordenen zu erneuern. Natürlich gab es ab und an Reklamationen, wenn die neuen Teile nicht gut passten, abfielen oder von den Nerven nicht gleich angenommen wurden, aber das waren Anfangsschwierigkeiten. Insgesamt verlief alles nach Plan. Arztpraxen wurden umfunktioniert und konnten nach einigen Jahren zum Teil komplett geschlossen werden. Das Leben wurde länger und länger, der natürliche Tod immer ungewöhnlicher. Die Entwicklung war bereits einfach voraus zu sehen, da sich das natürliche Lebensalter mit steigender Hygiene und Medizin stetig erhöhte und durch den Einsatz der künstlichen, mechanischen Körperteile in gleicher Richtung verlief. Es lag also im Sinn der Entwicklung. Nur die Antwort auf die Frage, wie lange es möglich war, zu leben, hat man nicht gleich beantwortet, das sollten die Menschen selbst herausfinden. Vor allem aber sollten die Menschen nicht die Angst vor dem Tod verlieren, sie sollten sich nicht ganz sicher fühlen. Denn wer sich sicher fühlt, muss und will nicht kontrolliert werden. Unendliches Leben ist zwar im Rahmen der Möglichkeiten, doch wenn es früher darum ging, das Leben immer weiter zu verlängern, die Menschen als Arbeiter abhängig vom Staat zu machen, so ging es jetzt darum, Wege zu finden, um den Menschen ihre Verletzlichkeit zu zeigen, während sie immer unverletzlicher wurden. Wenn sie körperlich nicht mehr verletzlich sind, dann in ihrem Sein. Denn wenn man kein realistisches Ende sieht, dann muss man sich beschäftigt wissen. Natürlich war es kein Leichtes, als die Zeit langsam gekommen war und immer mehr Menschen das Offensichtliche, dass ihre Arbeit nur Beschäftigungsmaßnahme war, erkannten. Das damalige so genannte Internet war eine Übergangsform, die viele Menschen annahmen und die schon bald nicht mehr aus dem gewöhnlichen Leben wegzudenken war. Die Menschen nahmen es an, entwarfen sich selbst ihre virtuellen Profile, trafen sich via Internet, bezogen ihre Informationen daraus und speisten immer neue ein. Wenn man den Menschen das Gefühl gab, dass sie hier ihr eigenen Herren waren, diejenigen, die längst erkannten, dass dies in der körperlichen Welt schon lange nicht mehr der Fall war, so waren auch sie leicht auf dieser virtuellen Ebene zu bekommen.

-Ich-

Warum ich das alles darlege? Wahrscheinlich um mir selbst zu helfen. Ich stecke in einer Situation, die mir so festgefahren erscheint, dass es weder ein ein noch aus, weder ein vor noch zurück gibt. Ich weiß noch nicht einmal, ob dies irgend jemand lesen wird, da das geschriebene sich dem gedachten mehr und mehr angeglichen hat, bis es zu einem reinen Datensatz geworden ist. Es geht nichts mehr verloren, nicht wie es früher gemeint war, dass Gedanken, sobald sie gedacht sind, einfach ins nichts verschwinden. Das war nie so, bin ich der Meinung. Nur war es früher der allgemeinen Masse nicht möglich, auf all diese Gedanken zuzugreifen. Dabei lag es bereits einige Zeit vor ihnen, die Wissenschaft lag mit dem Fund der bestrittenen Quanten auf dem richtigen Weg: Informationen, zu denen auch die Gedanken gehören, sind kleinste Teilchen, so klein, dass sie keine Materie im ursprünglichen Sinne mehr darstellen. Was für uns, die wir uns täglich daran bedienen und auf deren Grundlagen wir das jetzige Leben aufgebaut haben, das allgegenwärtige und normalste ist, bedurfte eines jahrelangen Forschungsprozesses und vor allem: Wie alle umstrukturierenden, in das Denken eingreifenden Entdeckungen (Ich benutze ungern das Wort Erfindungen, denn das Meiste war bereits da, die ganze Zeit, nur haben wir es noch nicht herausgefunden), angefangen mit den Umwälzungen durch das Negieren der Religion bis hin zu den technischen Entwicklungen, die von der Dampflok zu Transportsystemen führten, der Telekommunikation, dem Internet bis zum jetzigen Zeitpunkt, in dem wir nur noch in einer virtuellen Welt leben. Nun, ich schreibe das also, um zurück zu mir zu kommen und darum geht es mir schließlich, denn noch immer gibt es das Gefühl des Ich-Seins und ich wollte lediglich versuchen, eine erweiterte Sichtweise zu schaffen. Ob das geschrieben ist oder in welcher Form auch immer es also mein Gehirn verlässt, das sei dahin gestellt. Es ist für niemanden bestimmten, kann es nicht sein, für alle und jeden zugänglich und nicht zugänglich zugleich, wie es für die meisten Daten gilt. Nur hilft es mir, wie wahrscheinlich jedem, in Angelegenheiten, die eigene Person betreffend Abstand zu erhalten, um so etwas wie eine objektive Sicht über meine Lage zu erhalten. Das fällt mir schwer, so lange habe ich nun gelebt, so viel gesehen, bin wie ein Fisch, der sich durch nichts von den anderen Fisches seines Schwarms unterscheidet, bin mit geschwommen, um nicht auszutrocknen, dort, wo sie uns das lebensnotwendige Wasser genommen haben. Ich habe den Wandel nicht nur mit bekommen, sondern habe selbst bewusst daran teilgenommen, zumindest am Anfang. Aber es war mehr eine Farce, denn mit oder ohne meinem zu tun, geplant war längst alles.

-Erzähler-

Zu der Zeit, als er in der Krise steckte, gab es freilich noch eine wirkliche Welt neben der parallel verlaufenden virtuellen. Nur war sie nicht mehr sehr lebenswert, sie wurde nicht unwürdig für ein Menschenleben gemacht. Nach und nach schlossen die Geschäfte, denn auch die Angestellten und Arbeiter mussten zusehen, wo sie blieben und Arbeit wurde immer weniger lukrativ in der Zeit, in der nach und nach alle erkannten, dass sie Ära der notwendigen Arbeiten zu einem Ende gekommen war. Vor allem mit den Lebensmitteln war es schwierig: Anfangs schlossen die Cafés, in denen die Menschen früher gerne bei einer Zeitung verweilten, später auch die Restaurants. Diese Entwicklungen gingen gleichzeitig von statten. Während dieser Zeit wurden den Menschen nach und nach ablesbare Chips in das Gehirn gespritzt. Zuerst mussten sie noch eingebaut werden, bis schließlich auch dieses Verfahren vereinfacht wurde, bis eine einfache Spritze ausreichte. Diese Chips waren dazu imstande die Signale des Gehirns aufzunehmen und weiterzuleiten. Es galt nun erst mal für die meisten zu lernen, damit umzugehen, also die Signale aufzunehmen und zu verarbeiten. Man benötigte bewusste Konzentration für einen solchen Denkprozess. Und diese Konzentration, welche viele im Laufe des beschleunigten Lebens längst abtrainiert hatten, benötigte für einige viele Stunden. In all den vorherigen Jahren wurde alles darauf ausgelegt, dass das versierte Denken durch eine Vielzahl von Informationen und Eindrücken kaum noch benötigt wurde. Die Flut von Medien und Werbung wurde auf die Spitze getrieben, bis nun bei den ersten Versuchen, sich wieder nur auf einen Gedanken zu konzentrieren, einige Menschen Kopfschmerzen bekamen und wieder abbrechen, eine Pause einlegen mussten, um später weiter zu üben. Worauf sollten sie sich konzentrieren? Nun, das ganze Projekt, das Projekt des zukünftigen Leben war bereits wie ein Computerspiel vorbereitet worden, eine Welt, in die man sich quasi hineindenken konnte, wenn man die Konzentration aufbrachte. Gleichzeitig, denn die Menschen wurden immer älter, wurden mehr und mehr Körperteile durch künstliche ersetzt, der Tod wurde für viele nur noch zu einem schrecklichen Teil der Geschichtserzählung. Die Frage der Moral, der Ethik, wann ein Mensch noch ein Mensch war oder blieb, sie war vor allem in der Zeit davor, in der die Möglichkeiten nur erahnt aber noch nicht für jeden vorhanden waren, sehr umstritten und in aller Munde - das war der Zeit, als man nur von Wissenschaftlern über die angeblichen, noch recht mystisch klingenden Möglichkeiten erfuhr. Längst wurden Organe ersetzt und Behinderte konnten ihre künstlichen Extremitäten bewegen, doch den Menschen fehlte es schon immer an Weitsicht, sie ließen sie sich nehmen, um an das nächste Shopping zu denken. Die Grundsatzfragestellung wurde in der Zeit von Menschen, die zusahen und darüber lasen, weniger von den Wissenschaftlern, welchen längst klar war, dass, wenn es soweit war, alle Menschen dabei sein würden, gestellt. Schließlich, wenige Jahre später, als die planmäßig vorgesehene Zeit gekommen war, dass sich ein jeder nicht nur ein künstliches Hüftgelenk, sondern auch ein Arm, Bein oder was auch immer ersetzten lassen konnte, da wurde es dann doch fraglos angenommen, denn wer wollte schon lieber am lebendigen Leib sich eingehen sehen, während die anderen sich schönen Ersatzteilen erfreuten und mit ihnen weiterlebten? Man gewöhnte sich bald an den Anblick der künstlichen Körperteile, die mehr und mehr Vertrauen fanden.

Bald darauf gab es unterschiedliche Möglichkeiten zur Energiegewinnung des Körpers, manche aßen noch und benötigten gleichzeitig Energie im Form von Strom, es war eine Mischung, die jeder auf seine Bedürfnisse, dessen, was künstlich und nicht künstlich war, anpassen musste. Allein Gehirn und Rückenmark blieben meistens wie sie waren. Später sorgten Akkus, die zwei bis drei tage hielten, für die nötige Energie. Nahrung im herkömmlichen Sinn wurde nicht mehr benötigt - daher das Absterben der Restaurants. Auch die Lebensmittelläden kamen wenig später hinzu, sodass es immer schwieriger wurde, einen ursprünglich erhaltenen Körper auf die normale Art zu versorgen. Viele Geschäfte achteten nicht mehr auf die Haltbarkeit ihrer Produkte, manche warteten, bis alles verkauft wurde und bestellten keine neue Ware, bis sie das Geschäft vollkommen schlossen. Viele ließen sich zu dieser Zeit auch einige ihrer gesunden Körperteile ersetzen, da die künstlichen wesentlich leichter zu versorgen waren. Es gab noch so etwas wie Schmerzen, denn natürlich wurden die Körperteile an das zentrale Nervensystem geschlossen, damit sie auf die Impulse reagieren konnten. Nur waren sie mehr ein Gefühl davon, dass etwas nicht heile sei, mehr ein eindringlicher, vorgeschobener Gedanke, der nach Reparatur verlangte. Dadurch, dass er sich immer wieder vor die anderen Gedanken schob, so, wie es auch der Schmerz vermochte, war er fast genauso effektiv in dem Ziel, dass das Körperteil repariert werden musste, um dem Menschen wieder andere Gedanken zuzulassen. Es war eine wirkliche Umbruchszeit, in der jeder zusehen musste, mitzukommen – das Denken konnte erst später folgen. Nun, die Entwicklung hatte schon wieder etwas komisches, lustiges: Vor der Zeit des Umbruchs geschah fast Nichts, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit, aber diese sprach bereits von dem Umbruch, diskutierte über das, was es noch nicht gab. Als schließlich der Umbruch kam, so trug vor allem wieder das Ego, die Angst, nicht mit den anderen mithalten zu können - die Angst, als klägliches Häuflein verrottender Zellen übrig zu bleiben, dazu bei, dass die Menschen diese Diskussionen nicht mehr auf sich selbst bezogen, wenn sie nun mal gerade Schmerzen hatten oder der letzte Supermarkt im Viertel geschlossen hatte und es die Möglichkeit gab, ihre kaputten und nach Nahrung verlangenden Glieder durch ein künstliches Gelenk ersetzen zu lassen und nicht daran zu sterben, wer und warum sollte in dieser Situation nein sagen? Sagen können? Mit der sogenannten virtuellen, besser parallelen Welt sah es zwar zuerst anders anders aus, es war aber letztendlich das gleiche: Wie auch mit den künstlichen Körperteilen wurde dafür gesorgt, dass die Nervenimplantate für alle erschwinglich waren, denn es war nicht nur irgendein Plan für die Zukunft, sondern bald die einzige Möglichkeit zu leben. Bald wurde es den Menschen, deren Mangel an konzentrierten Denken größer war als angenommen durch ein Zusatzprogramm der Zugang in die virtuelle Welt um ein Vielfaches erleichtert. Die Menschen, welchen die Fähigkeit zur Konzentration durch zu viel sinnlosen vorherigen Masseninput abhanden gekommen war, den konnte das weitere Programm zur Hilfe umsonst gestellt werden, eines, wo man sich nur in das ein- und ausschalten hineindenken musste, um in die Welt zu kommen. Freilich wurde es bald zu einem Standard, ein Anreiz, der zu einem späteren Muss verhalf – kein neues Prinzip.

-Ich-

Um es einfach zu erklären: In der Welt, in der wir, und hier erlaube ich mir zu verallgemeinern, alle leben, ist praktisch alles möglich, das ist das gute. Was haben wir alle an Jahre verwendet, um all das zu tun, was mit unserem Körper davor nicht ohne Schwierigkeiten oder auch gar nicht gelang. In der virtuellen Welt stellen körperliche Beschränkungen keine Probleme dar. Doch, wie gesagt, die Bewegungen in der virtuellen Welt, sie schmerzen nicht, und man kann sie durch Gedankenkraft ausführen. Allein daher benötigte es einige Zeit, einfache Bewegungen wie das Gehen, etwas in die Hand zu nehmen, zu rennen oder zu schwimmen, in dieser Welt zu lernen. Nun, es störte natürlich auch nicht, denn Zeit hatten und haben wir natürlich genügend seitdem niemand mehr arbeitet. Man kann sich das Leben hier wie ein Computerspiel vorstellen, in dem man erst einmal lernen muss, wie der Charakter auf bestimmte Tastenverbindungen reagiert. Da es aber schwieriger ist, das nur mit Hilfe der Konzentration, die bei den meisten anfangs immer wieder abbrach, zu üben, dauerte der Vorgang bei einigen sogar Jahre, bis sie sich in virtuellen Welt ungefähr so bewegten, wie sie es sich vorgestellt hatten. Warum wir alle das trotzdem mitgemacht haben? Nun, gab es bessere Optionen? In der realen Welt wurden viel an Infrastruktur zurückgebaut, wenn es nicht von selbst eingefallen war und nach und nach wurde fast jeder mit dem Programm zum leichteren Einstig in die Welt ausgestattet, sodass jeder natürlich auch üben wollte. Was gab es noch zu tun, wenn man keine Nahrung mehr brauchte, nur noch Energie für die Nerven und die künstlichen Körperteile? Nichts war mehr notwendig, wenn man in der anderen Welt leben konnte, in der alles möglich war. Freilich war es den Menschen mehr oder weniger bewusst, dass die Weltregierung diese neue Welt initialisiert hatte, doch nun war sie nun mal da und aus den ersten Blick auch verheißungsvoller als die davor, die, in der die arbeitenden froh waren, den Tag lang beschäftigt zu sein, denn dafür erhielten sie Geld und der Rest um die Zahlung der nächsten Miete, des nächsten Einkaufs bangen musste. Und sobald etwas in der neuen Welt gelernt wurde, zeigte man es den anderen, er herrschte fröhliche Stimmung, würde ich sagen. Man vermisste also auch nicht seine Freunde, wenn man welche hatte, da auch sie am lernen waren. Zuerst übten die meisten die Beherrschung ihres Körpers, der genauso aussah, wie in der realen Welt. Die Bezeichnung reale und virtuelle Welt, sie wird im Übrigen unter uns nicht verwendet und ist meines Erachtens auch nicht mehr zeitgemäß. Denn haben nicht bereits zahlreiche Gelehrte wie Platon oder auch die Buddhisten, haben sie nicht schon immer gesagt: Wir leben in einer virtuellen Welt, es gebe gar keine reale - denn alles, was wir wahrnehmen, können wir nur mit unseren Sinnen, die freilich nur sehr begrenzte Fähigkeiten haben, erkennen. Später wurde herausgefunden, dass ohnehin der größte Teil des Aufgenommenen ins Unterbewusstsein verschwindet und wir nur wenige Prozent des Wahrgenommenen auch bewusst wahrgenommen haben. Schließlich ist auch diese Welt nur Resultat unserer Reflexion, so wie wir sie sehen, gibt es sie also nur für uns, ergo: ohne mich existiert meine Welt nicht. Wie nennen also diese zweite Welt einfach PR2, für 2 Parallele, obwohl es, wenn man es genau nimmt, so viele Parallelen gibt wie Menschen, wobei manche sich eben gerade in ihrer PR1 oder ihrer PR2 befinden. Von dieser Sichtweise aus ist es kein großer Schritt mehr, um ganz in der PR2 zu leben. Wie also gesagt, das üben, es dauerte recht lange und war am Anfang auch nicht so voraus zu sehen. Die Menschen wurden wieder einmal überschätzt. Es wurden darauf Programme zur Hilfestellung entwickelt, die einen zeigten, wie man zu gehen, zu laufen, zu springen hatte. Aber, wie gesagt, Zeit spielte keine große Rolle mehr. Doch das zu verinnerlichen, war freilich nicht einfach, nachdem zuvor für viele alles jahrelang nach Terminplaner lief. Ich selbst muss gestehen, bin auch ein etwas ungeduldiger Mensch und vielleicht ist genau das auch mein Problem. Ich benötigte nicht weniger Zeit als die meisten, um meine Nervenbahnen soweit unter Kontrolle zu haben, um etwas in PR2 gezielt in die Hand nehmen zu können. Ich habe mich drei Monate damit aufgehalten, einen Salto aus dem Stand zu üben, weil ich das schon immer können wollte. Jetzt kann ich aus dem Stand nicht nur einen vorwärts, sondern auch rückwärts. Es waren wirklich freudige Jahre, als die Menschen wieder mit dem Spielen begannen. Denn, wenn man sich nicht wehtun konnte war man freier in seiner Tun und so probierten sich die Menschen an dem, was sie sich in PR1 nicht trauten. Manchmal sah es wie eine große Spielwiese aus, auf der sich jeder ausprobierte. Ach ja, ich denke gerne an diese Zeit zurück.

-Erzähler-

Das Ich, das seine Geschichte erzählen will, hat bei seiner Geburt den Namen Markus erhalten. Markus durchlief zunächst die allgemeinen für Kinder vorgesehenen Maßnahmen wie Kindergarten und Schule, die von der Regierung seit jeher eingeführt worden waren, um das Wissen der Bevölkerung zu kontrollieren und in zielgerichtete Bahnen zu lenken. Natürlich galt es auch, den Menschen sogenannte Tugenden anzutrainieren, damit nicht jeder machte, was er wollte, sondern im besten Fall nur das, was er sollte. Markus durchlief wie alle anderen auch jene Schullaufbahnen und später versuchte er sich an der Universität mit einem Studium. Er tat es mehr, weil auch die anderen nach der Schule auf die Uni gingen und er nicht wusste, was es ansonsten für alternativen gebe, gut eine Ausbildung, aber das hätte wohl ähnlich schnell bei ihm geendet. Ob es überhaupt Alternativen gab zu all dem, das fragte er sich schon damals. Es gab kaum ernst zu nehmende. Doch saß er hier und da dabei, ohne zu wissen, warum und wofür. Er war nicht der einzige, dem es so erging, doch lag es auch an seiner etwas widerspenstigen Natur, diesem inneren Widerwillen, dass er es irgendwann bleiben ließ. Stattdessen blieb er zu Hause und verstand sich darauf Blogs und Webseiten, Homepages für Freunde und Bekannte zu entwerfen und schaffte es auch allein damit zu überleben, wenn auch das Geld immer knapp und nahe am Nullpunkt war. Freilich lag für ihn noch etwas mehr dahinter, denn er, der sich stets in den Systemen gequält sah und der sich daher zurückzog, er wurde in seinem Bekanntenkreis auch der Ansprechpartner für diejenigen, die wie er irgendwann nicht mehr wollten und konnten, denen der rechte Sinn, den Markus nie entdeckt hatte, abhanden gekommen war. Einer Freundin – er hielt es für eine Beziehung, sie für eine Affäre - ihr verhalf ihr mit einer Homepage, Sprachunterricht über das Internet zu geben, nicht zuletzt, um sie in seiner Nähe zu haben. Leider verließ sie ihn kurz darauf, doch das war schon sehr lange her. Er half bei der Umsetzung von Ideen und arbeitete manchmal ganz ohne etwas dafür zu verlangen, es ging ihm mehr und mehr um die Sache, darum, andere Wege aufzuzeigen, Wege, die nicht zu den dafür vorgesehenen Straßen führten, sondern ganz neue Spuren hinterließen. Die Menschen, die ihn sahen, wie er zu ungehörigen Zeiten im Café saß und scheinbar nichts arbeitete, missbilligten ihn oder wollten auch ein kleines Stück der Freiheit haben, was in Neid und Missgunst endete. Bald hatte Markus jede Menge zu tun, denn es sprach sich herum und wenn jemand nichts zahlen konnte für seine Dienste, sollten sie erst im Falle eines erfolgreich eingeschlagenen Weges zahlen. Es wurde ihm zu einer Ideologie, die Menschen freier zu machen. Freiheit bedeutet mehr Selbstverantwortung, pflegte er immer zu erklären. Und: „Vergleichswirtschaft der Menschen macht die Menschen nur kaputt.“ Auch das zählte zu einen seiner Lieblingssätze. Natürlich gab es all dies bereits, nur schaffte es Markus durch eine zunehmende Akzeptanz, eine Menge Menschen um ihn herum, überdurchschnittlich mehr als sonst bei einer frei gewählten Menge von Studenten, über das Internet zu einer unabhängigen Arbeitsvariante zu verhelfen. Er entwickelte ein gewisses Selbstvertrauen und die Überzeugung, dass er den staatlichen Apparat auflockern konnte. Jahre später sollte er, der die Entwicklungen zu dieser Zeit nicht voraus zusehen wagte, sich selbst starke Vorwürfe genau über dieses seine Denken machen. Nun, die Tatsache lag weit unterhalb seiner Denkweise: es war nicht nur nicht unwichtiger, als er dachte, doch verhalf es einzelnen Menschen zu dem geplanten Ablauf, der alle Menschen in die virtuelle Welt befördern würde. Was Markus getan hat oder nicht, es hatte kaum einen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung. Tatsächlich schloss er sich mit jenen zusammen, denen er zu einer Arbeit hatte helfen können, um den Menschen die Möglichkeiten zu zeigen und er verfasste sogar ein Essay für eine bekannte Zeitung mit eben jener Aufforderung an die Menschen, die Möglichkeiten des freien Internets zu nutzen. Folgendes schrieb er damals nieder. Freilich gab es einige Antworten auf das Essay, aber alles blieb im Rahmen dessen, was nicht zur Gefahr für irgendwelche Obrigkeiten werden konnte und auf den für Langzeit vorgesehenen Plan sogar ungewollt vorbereitete.

Für eine freie Gesellschaft

In Anbetracht der heutigen wirtschaftlichen Situation, der Tatsache, dass unsere menschliche Arbeitskraft, wo immer es möglich ist, von einer Maschine abgelöst wird, welche über Vorteile gegenüber des menschlichen Seins, das ständig von einer Vielzahl von Bedürfnissen und inneren Prozessen begleitet ist, verfügt, wächst der Druck auf das menschliche Arbeitsverhalten. Der Mensch steht nun nicht mehr für sich, sondern gleichzeitig im Vergleich zu dem, was er erschaffen hat, mehr noch: er unterliegt dem Erschaffenen.

Diese klare Aussage: Die menschliche Arbeitskraft unterliegt dem der durch diese geschaffenen technologischen und maschinellen Hilfsmitteln. Der Satz ist klar und bedarf dennoch einer Erläuterung, da viele noch immer gegen ihn ankämpfen und eine Konkurrenz schaffen, wo sie nicht möglich ist. Zum einen sind es die Maschinen, die den Anfang der Entwicklung ausmachten: Sie arbeiten im Takt, auf Knopfdruck und stoppen erst wieder auf Knopfdruck. Was ist mit uns? Die Fließbandarbeit, war und ist sie nicht eines der unterdrückerischsten menschlichen arbeiten? Warum? Weil wir in Raum und Zeit gefesselt sind und dieser nicht entfliehen können, da die Arbeit trotz der Eintönigkeit unserer Aufmerksamkeit bedarf. Wir können uns also nicht damit abfinden, über eine gewisse Periode unseren Körper an den bestimmten Raum zu binden und unsere Gedanken in andere Welten abschweifen zu lassen. Und wenn sie dann doch, im Wunsch, etwas anderes zu sehen, zu erleben, sich in andere Welten zu versenken, ein Paralleles sein im Inneren schaffen, so passieren sogleich Fehler bei dieser Beschäftigung. Es ist also nicht möglich. Nun, gut, also sage ich: Lasst uns froh sein über diese Maschinen und sie für uns arbeiten lassen, um uns von der Last solcher Arbeiten zu befreien. Lasst uns uns nicht mit ihnen vergleichen, denn dazu haben wir sie nicht geschaffen. Es sind nur wir angstvolle Menschen, die vergleichen, nie würde eine Maschine, die dessen nicht mächtig ist, sich mit uns vergleichen wollen. Lasst also die Maschinen für uns arbeiten, damit unsere Gedanken freien Lauf haben können. Nun denke ich, diese Phase müssten wir längst überwunden haben.

Schwieriger sieht es mit dem Bezug zu etwas sogenannten Intelligenten aus: Gemeint ist damit ein System, welches über die Fähigkeit verfügt, auf äußere Umstände zu reagieren und sich selbst zu entwickeln. Die Mathematiker und Informatiker können sich dies am besten vorstellen, weil Zahlen überall sind, alles erst aus dem Nichts sein der 0 heraus entstehen zu lassen, wobei die 0 gleichzeitig aussagt, dass es auch eine 1, die im Gegensatz zu der 0 alles bedeutet, geben muss, da ansonsten die 0 keine Bedeutung hätte. Wenn alles null wäre, im übrigen gleich so wie wenn alles nur eins wäre und die null nicht bestünde, dann könnten wir zum Beispiel nichts erkennen, trotz unserer Augen. Es wäre alles ein und dasselbe, weil die Abgrenzungen, welche wir durch Quantität ausmachen, in einander übergingen. Ein Tisch, ein Stuhl, die Schwester auf ihm sitzend, noch nicht einmal sie könnten wir ausmachen, wenn wir alles mit der null gleichsetzen wollten. Schließlich, wenn wir eine eins als den größtmöglichen Kontrast setzen, dann gibt es ein hell und dunkel, als erschiene die Welt wie auf einem schwarz weiß Foto: Die Kontraste sind so scharf, dass sie in das Auge stechen, die Abtrennung so hart, dass alles sein Eigenleben beginnt. Was passiert mit den Objekten in einer Welt aus 1 und 0? Entweder sie absorbieren das eintreffende Licht oder sie reflektieren es gänzlich. Wir schaffen die Welt also ständig aus dem Bewusstsein der Zahlen heraus. Das ist das Grundprinzip unserer Wahrnehmung und das der Auffassung unserer Welt: Die Erschaffung durch 0 und 1.

Stellen wir uns nun weiter vor, dass es unendlich viele Nuancen dazwischen gäbe. Stopp: Ich weiß, dass nun so mancher denkt: wie kann etwas nur halb da sein? Und doch, darin liegt das tiefe Verständnis. Zwischen null und 1 liegen unendlich viele Zahlen, genauer: noch nicht einmal die Hälfte von 1 ist zu erreichen: Möchte man zur Hälfte gelangen, so liegt noch die Hälfte der Hälfte, also 0,25, also ein Viertel vor einem. Davon wieder die Hälfte: ein Achtel, dann ein Sechzehntel, ein Zweiunddreißigstel und so weiter. Man kann daran den Kopf verlieren oder es einfach bewundern: Die Unendlichkeit der Zahlen, die unser Denken übertrifft, was macht sie mit unserer Welt? Genau das gleiche: Sie macht sie unendlich: Ausgegangen von unserem schwarz weiß Bild, haben wir nun auch noch Dinge, die das Licht nur ein bisschen oder zu einem hundertachundsiebzigstel reflektieren und damit können wir unendlich viele verschiedenen Dinge erkennen: theoretisch, wenn unsere Augen das könnten, was sie leider nicht tun. Wir sehen immerhin viele bunte Farben, die im Licht spielen und den Formen ihre Erkennungszeichen sind.

Nun, so verhält es sich natürlich nicht nur mit dem reflektierten Licht, sondern mit dem Sein an sich: Es gibt tatsächlich unendlich viele mögliche Zustände: Auch diese können wir leider nicht wahrnehmen: Unsere Wahrnehmung ist darauf beschränkt, zwischen 0 und 1 zu und den wichtigen dazwischen liegenden wie der für uns vereinfachten Hälfte oder dem Viertel zu unterscheiden. Ansonsten würden wir alles so verschwommen sehen, wie es ist: nicht als Zustand da, sondern als Wahrscheinlichkeit möglich. Denn nichts legt sich gerne fest, wie auch wir nicht. Nur legen wir unsere Welt fest, obgleich sie es nicht ist. Wir tun so, als gäbe es diese Unendlichkeit nicht, weil sie unser Denken übersteigt. Ich hoffe, dass nun deutlich geworden ist, warum Zahlen existentiell für unser Verständnis sind.

Zurück zum Thema: Speisen wir also einem Ding Intelligenz ein, so geben wir ihm die Null und die eins und es selbst hat alleine dadurch alle Möglichkeiten. So funktioniert es mit den Computern, mit dem Internet. Nullen und Einsen formen sich zu Mustern, entwickeln Brüche, die sich weiter entwickeln und zu neuen Mustern führen, gleich wie unsere Welt durch Zahlen geformt ist. Und das macht uns Angst, dieses mögliche Eigenleben. Doch wollte ich hiermit sagen, dass ihm eine natürliche Entwicklung der Zahlen zu Grunde liegt, wie sie auch der Welt zu Grunde liegt. Objektiv betrachtet, übersteigt die Bildung der Muster und Zahlen, obgleich sie nicht der Wirklichkeit nahe kommt, unsere Fähigkeiten. Doch warum sollten wir uns hier messen? Wenn wir doch nun gesehen haben, wie sinnlos unser gesetztes Maß gegenüber den unbekannten und unendlichen Wirklichkeiten der Welt ist? Wem gegenüber wollen wir uns messen? Die in der Gesellschaft entstandene und ausgeartete Sucht, sich selbst vergleichen zu wollen, entstand durch das uns antrainierte Vergleichsbildende System der Schulen und einem dauerhaften Verlangen nach Anerkennung im Arbeitsleben. Die Vergleiche sind zwanghaft, weil sie in der Gesellschaft verankert sind und wir ihr nicht entfliehen können: Wir brauchen Geld, um zu leben und Geld erhält man für seine Arbeitskraft. Es scheint, als liefen Menschen durch die Stadt, die wie eine Maschine arbeiten wollten und es auch tun, doch aufgrund des Druckes untereinander langsam zu Grunde gehen. Wir könnten nun endlich zugeben, dass viele von uns längst nicht mehr gebraucht werden, doch so sieht es das System nicht vor, was dazu führt, dass viele Menschen an ihm zerbrechen und an sich selbst mehr und mehr zweifeln, bis auch sie zerbrechen. Und schließlich benötigen wir das Geld. Also sage ich: Lasst uns, die wir uns nicht weiter gegenseitig argwöhnisch beäugen sollten, die wir uns nicht weiter der sinnlosen als Beschäftigungsmaßnahme geplanten Arbeit unterordnen wollen, lasst uns die Möglichkeit des Internets nutzen, um von dort aus zu arbeiten. Freilich ist es nicht die Unendlichkeit der Möglichkeiten, aber eine Endlichkeit, die unser Denken übertrifft. Wir können uns selbst helfen.

-Ich-

Eine Sache, das muss ich zugeben, trotz meiner Situation, trotz meiner, in manchen Momenten alles übertreffenden Abscheu gegen die virtuelle Welt: Das Erlebnis der Zeit, die Relativierung der Muster von Zukunft und Vergangenheit, dies war mir erst durch die Dauer möglich zu erfahren. Dass ich nicht sagen kann, wann, was bzw. in welcher Reihenfolge bestimmte Dinge in PR2 passiert sind, mag für einen Außenstehen erst Mal bedauerlich klingen. So bedauerlich, wie wenn man einem alten Mann zuhört, der eine seiner Geschichten erzählt und schließlich verzweifelt versucht, diese in den geschichtlichen Zusammenhang zu setzen. Die Zuhörer sitzen dann peinlich berührt, da sie selbst noch zu jung sind, um es miterlebt zu haben und auch zu jung, um den Verlust der Reihenfolge nachvollziehen zu können. Sie blicken in einem solchen Moment auf den Boden vor sich und warten, bis die Verwirrung des Alten durch ein neues Thema endlich ein Ende gefunden hatte. Schließlich übertönt diese Verwirrung die ganze Geschichte und was bleibt ist ein trüber Nachgeschmack, wie der eines faulen Eis, der sogleich durch eine neue Aktion, durch einen Spaziergang oder ein Spiel, zur Milderung gebracht werden muss. Nun, ich bin auch ein Alter Mann, doch ohne den Folgen des gealterten Körpers, wodurch man es mir nicht so nachträgt, nicht der Unfähigkeit des Alters zuschreibt, dass auch ich die Reihenfolge nicht selten verloren habe. Nach einigen Jahren viel es mir zuerst auf, als ich versuchte, zu erzählen, welche aufeinander folgenden Schritte nötig waren, um etwas bestimmtes zu lernen oder als ich darstellen wollte, wann etwas passiert ist und welche Folgen es hatte: Die Folgen purzelten aber schließlich vor das Geschehnis selbst und zurück, da mir die Fähigkeit einen Überblick zu behalten abhanden gekommen war. Anfangs war es mir, wie vielleicht auch zuerst dem alten Mann, der seiner Familie Geschichten erzählte, peinlich gewesen. Je größer aber der Zeitraum wurde, in dem all diese Dinge stattfanden, desto spannender erschien mir genau der Verlust der Reihenfolge. Schließlich: Was kam zuerst: der Samen oder der Baum, die Henne oder das Ei? Pflanzt man als Kind einen Samen ein und lebt das ganze Leben in dem Haus, so kann man den Samen wachsen sehen, bis er zu einem Bäumchen und später zu einem weit verästelten Baum mit grünen Blättern und Blüten herangewachsen ist. Nun aber, wenn man so lange lebt, dass man einen kleinen Wald sieht, weiß man irgendwann nicht mehr, welcher Baum der erste war, und viel später ertappt man sich bei der Geschichte, dass man von dem bereits immer bestandenen Baum den Samen nahm und nebenan anpflanzte, um den Wald entstehen zu lassen. Das Beispiel ist freilich sehr simpel. Bezieht man es auf Menschen, auf zwischenmenschliche Verhältnisse, so pickt man sich gerne einzelne Situationen beim erzählen oder nachsinnen heraus: ein Streit oder das kennenlernen, die Trennung oder auch eine Liebesreise. Schließlich erst, wenn man den Überblick über zahlreiche Beziehungen hat und sie sich von der Ferne der Zeit aus betrachtet, so wird man nicht, wie die meisten annehmen, aufgrund der Vielzahl gefühlstaub, ganz im Gegenteil: Erst wenn man in das Durcheinander der zufälligen Abfolgen eindringt, kann man die Veränderungen, ob gut oder schlecht, als zwangsläufig, als Personen unabhängig (aber in den Personen stattfindend) erkennen und erst die Liebe zu allem, auch dem negativen entdecken. Es spielt keine Rolle mehr, wann etwas war oder was zuerst war, nur dass es war, denn nur durch veränderliche Ereignisse zeigt sich das Leben, die immer wiederholten Natur gebundenen Ereignisse, die einander immer wieder abwechseln und Muster bilden, so wie es die Unendliche Zahl Pi macht. Mal kommt eine Zahl vom kleinen Punkt aus gesehen unendlich oft vor, nur um zu erkennen, dass, wenn man die Perspektive erweitert, sie schließlich doch durch eine anderen abgelöst wird - es bilden sich Muster, Verstrickungen und endlich, zu groß auch noch für mich, kommt einem alles ähnlich oft vor, gleicht sich von der größten Entfernung aus alles wieder einander an. Genauso ist es mit den Abläufen, den Erlebnissen, die zu Mustern werden, gelöst von der großen unübersichtlichen Reihenfolge. Was ich damit sagen wollte steht leider auch zu einem Kontrast zu meiner jetzigen Situation, die ich wie von dem kleinen Punkt irgendwo in einem Muster von Pi aus wahrnehme. Obgleich mir dieses Wissen einer höheren Perspektive gewährt ist, stehe ich im hier und jetzt und es ist mir kaum möglich, die eigentlich daraus resultierende Gelassenheit in meinem Denken umzusetzen.

-Erzähler-

Die Frage ob Erleben nur durch aktives Leben im Sinne von Teilhabe möglich ist, ist durchaus berechtigt und wird noch genauer erörtert. Man stelle sich aber zunächst vor, was schleichend eintraf: Die Entwicklung, die bereits im Internet begann und die durch einige soweit genutzt wurde, dass die Zeit, die sie in diesem Medium verbrachten, von längerer Dauer war als die außerhalb.

Ein Aspekt, der in Bezug auf virtuelle Welten einige Beachtung fand, ist der der Gewalt. Körperliche Gewalt ist schon immer ein Problem gewesen, dass oftmals sehr einseitig beschrieben wurde. Zeitungsartikel rügten mindestens jeden Montag die Gewalttaten Jugendlicher und Betrunkener, die vor der Diskothek oder auf den Bahnsteigen stattfanden. Skandale wurden ausgerufen, als Messer mit im Spiel waren. Natürlich wurden auch Kriege benannt, wobei dabei meist nur noch die Anzahl der Toten genannt wurde.

Gewalttätigkeit als Intimität? Die häufigste Gewalt, das immerhin konnte ausgesprochen werden, war die häusliche – es wurde auch in den jährlich erscheinenden Statistiken angesprochen, das schon – viele fühlten sich doch peinlich berührt, alle gaben sich schockiert, niemand sprach aus, dass auch er bzw. sie - ich benutze einfach immer er, nicht weil ich Frauen nicht genauso achte oder als ebenso gleichwertig betrachte, sondern der Form halber, ich finde es schrecklich dieses Querstrich in, durch das der Lesefluss komplett angehalten wird - in die Statistik gehörte. Daher die Intimität – niemanden gingen kleine Ausrutscher etwas an. Das sahen auch die Familienmitglieder so – ist die Schwelle überstiegen, dann gibt es nun mal kein Zurück mehr. Was folgt nach einem ersten, nach einem zweiten Schlag, einer kleinen Überschreitung? Der Versuch, es ungeschehen zu machen, beinhaltet selbstverständlich auch die Vertuschung, denn je weniger davon wissen, desto mehr können alle Beteiligte selbst daran glauben, dass der kleine Ausrutscher wieder nur ein Versehen war. Warum? Der Mann, manchmal freilich auch die Frau, dem Menschen tut es danach Leid, er ist fassungslos über den eigenen Kontrollverlust – so fassungslos, dass die Beteiligten Mitleid für die Person, die eben noch in unaufhaltsamer Rage und durch Worte nicht mehr aufzuhalten war, empfinden. Das Mitleid, das Mitgefühl für diese Fassungslosigkeit, sie ist es, die die Intimität hervorruft.

Was passiert nun also mit der Gewalt? Virtuelle Spiele besaßen meist viele Gewaltkomponenten und wurden auch für Attentate verantwortlich gemacht – sie gerieten in der Öffentlichkeit, vor allem unter Lehrern, Sozialpädagogen und andere, die immerzu Erklärungen für das widerspenstige Verhalten einer Jugendlicher suchten, Erklärungen, welche nicht das System in Frage stellten und auf die man leichter mit dem Finger zeigen konnte, sehr in Verruf – dabei wurde vergessen, dass alle Bilder, die die Gewalt zeigten, was in erster Linie im Fernsehen, das Massenmedium, in welchem der berichtende Journalismus zu einer Ausstoßung aneinandergereihter Sensationsbilder verstümmelt wurde, der Fall war, aber unter dem Begriff der News und Nachrichten dann wiederum erlaubt, da es als Wahrheit propagiert wurde. Das Fernsehen zeigte oft erst, was möglich war und machte es vor, die Videospiele machten daran meist nur einen Bruchteil aus. Die Frage des Gewalt Erlebens und der eigentlichen Ausführung muss in den Mittelpunkt gesetzt werden. Das Darstellen von Gewaltszenen mit Kämpfen, wie sie auch Kinder beim Spielen simulieren, führen nicht zwangsläufig zu realer Gewaltausführung, sondern stehen oft symbolisch für die Darstellung des Kräftemessens. Auch Schattenkämpfe und Kriegstänze hatten lange Traditionen in der Menschheitsgeschichte und führten nicht zu ständigen Gewaltausbrüchen bzw. für Gewaltexzesse verantwortlich gemacht. Persönliche Aggression, die aus Wut entspringt, ist also Voraussetzung für Gewalt.

Die Verlagerung des Mittelpunkts des Lebens in die virtuelle Welt und die schleichende Vernachlässigung der realen Welt konnte erst in einer Gesellschaft, deren sozialen Systeme wie Familien genug brüchig waren, genug brüchig gemacht wurden, entstehen – die meisten hatten bereits jeglichen Halt durch Bindungen verloren und vertieften sich mehr und mehr in andere Welten. Was hat das mit Gewalt zu tun? Ob es Kriegsspiele waren, die im Übrigen nach und nach an Beliebtheit verloren oder andere Aktivitäten, die erste, die wirkliche Welt, sie war für viele die grausamsten, verlor zunehmend das Interessenpotential und wurde nur nach und nach noch für die nötige Energielieferung wichtig, um sich ihr dann wieder zu entziehen. Als die Einführung von PR2 schließlich die Möglichkeit schuf, sich hier unkörperlich frei zu entfalten, und mit anderen Menschen zu interagieren, wurde die Gewalt in dieser Welt von jedem zur Genüge getestet. Das Gefühl des Erleben gab es noch immer – die Nerven ließen die Menschen sogar Gewaltangriffe spüren, konnten aber keinen realen Schaden hervorrufen. Das Schmerzgefühl brach unmittelbar nach dem Angriff wieder herunter. Der Körper, so, wie er ursprünglich genutzt wurde, spielte nur noch eine untergeordnete Rolle.