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Dieses Buch enthält folgende Western: Alfred Bekker: Die Eisenbahnräuber Pete Hackett: Die Hand am Colt Pete Hackett: Der Sohn des Gehenkten Pete Hackett: Sie traten das Gesetz mit Füßen Alfred Bekker: Virginia City Showdown Alfred Bekker: Brigade der Desperados Alfred Bekker: Die wilde Brigade Ernest Haycox: Entscheidung im Pilgrim Valley Frank Maddox: Grainger und die Schatten der Vergangenheit: Western Dane Coolidge: Der Texikaner: Wichita Western Roman 194 Die Sonne hatte den ganzen Tag über wie ein Glutofen auf die Erde herabgebrannt. Jetzt hatte sie an Kraft verloren und war milchig geworden. Die Dämmerung würde bald einsetzen. Der Reiter, der an diesem Tag nach Lordsburg kam, war über und über mit Staub bedeckt. Er hatte einen langen, weiten Ritt hinter sich. Vermutlich war er wochenlang unterwegs gewesen. Seine Wangen waren von Barthaaren überwuchert. Sein Name war Jesse Connor, und er war auf der Durchreise.
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Seitenzahl: 1301
Veröffentlichungsjahr: 2025
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10 Cowboy Western Juni 2025
Copyright
DIE EISENBAHNRÄUBER
Die Hand am Colt
Der Sohn des Gehenkten
Sie traten das Gesetz mit Füßen
Virginia City Showdown
Brigade der Desperados
Die wilde Brigade
Entscheidung im Pilgrim Valley
Grainger und die Schatten der Vergangenheit: Western
Der Texikaner: Wichita Western Roman 194
Dieses Buch enthält folgende Western:
Alfred Bekker: Die Eisenbahnräuber
Pete Hackett: Die Hand am Colt
Pete Hackett: Der Sohn des Gehenkten
Pete Hackett: Sie traten das Gesetz mit Füßen
Alfred Bekker: Virginia City Showdown
Alfred Bekker: Brigade der Desperados
Alfred Bekker: Die wilde Brigade
Ernest Haycox: Entscheidung im Pilgrim Valley
Frank Maddox: Grainger und die Schatten der Vergangenheit: Western
Dane Coolidge: Der Texikaner: Wichita Western Roman 194
Die Sonne hatte den ganzen Tag über wie ein Glutofen auf die Erde herabgebrannt. Jetzt hatte sie an Kraft verloren und war milchig geworden.
Die Dämmerung würde bald einsetzen.
Der Reiter, der an diesem Tag nach Lordsburg kam, war über und über mit Staub bedeckt. Er hatte einen langen, weiten Ritt hinter sich.
Vermutlich war er wochenlang unterwegs gewesen. Seine Wangen waren von Barthaaren überwuchert.
Sein Name war Jesse Connor, und er war auf der Durchreise.
Es hielt ihn nicht lange an einem Ort. Die letzten Monate war er eigentlich ständig auf Wanderschaft gewesen. Vor Jahren hatte er in Texas eine Ranch besessen. Aber dann war der Bürgerkrieg gekommen.
Fanatische Anhänger der Konföderierten hatten ihm das Dach über dem Kopf angezündet, weil sie ihn bezichtigten, mit der Union zu sympathisieren.
Connor hatte sich aus dem Krieg herausgehalten, weil er fand, dass ihn die Sache nichts anging. Er hatte keine Lust, für ein paar Sklavenhalter in die Schlacht zu ziehen.
So war er nach Westen gegangen.
Der Krieg war nun längst zu Ende.
Connor ließ seinen Blick über die Häuserreihen zu beiden Seiten der belebten Main Street gleiten. Dann lenkte er seinen Gaul auf den ersten Saloon zu, der ihm unter die Augen kam.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author /
© dieser Ausgabe 2025 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
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Alles rund um Belletristik!
von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Buchs entspricht 47 Taschenbuchseiten.
Eine Bande von Eisenbahnräubern schlägt zu - und ein Revolvermann nimmt die Spur auf. Eine Erzählung aus der Pionierzeit des amerikanischen Westens.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author
© dieser Ausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
www.AlfredBekker.de
Die Männer hatten sich auf einem nahegelegenen Hügel postiert und blickten auf die Gleise der Union Pacific hinab. In südwestliche Richtung führte die Eisenbahnstrecke nach Bear River City und dann weiter nach Utah. Die nächste Bahnstation in der anderen Richtung trug den Namen Green River und von dort würde auch der Zug kommen, auf den sie alle warteten.
Sie waren zu viert und ihre Gesichter machten einen entschlossenen Eindruck. Ihrer aller Augen hingen am Horizont, dort wo die Bahngleise sich im Nichts verloren.
"Die Union Pacific hat heute Verspätung", meinte einer der Reiter. Er zog den Revolver aus dem Holster an seiner Seite, drehte ihn gekonnt zweimal um den Zeigefinger und ließ ihn dann zurück ins Futteral gleiten. "Das gefällt mir nicht", brummte er finster.
"Ruhig bleiben, Harry", murmelte einer der anderen Männer. Sein dünnes, aschblondes Haar schaute unter dem dunklen Hut hervor, den er sich weit in den Nacken geschoben hatte. Er wandte sich um und bedachte Harry mit einem kühlen Blick.
"Sie wird schon noch kommen."
"Wir wollen es hoffen, Jim!"
Seine leuchtenden grünen Augen verengten sich ein wenig. Sein Name war Jim Parnell und er war der unbestrittene Anführer dieser kleinen Schar, der außerdem noch der schon etwas angegraute Harry McDermot, sowie die Brüder Nat und Sam Garrison angehörten. McDermot hatte eine farbige Vergangenheit. Angeblich war er früher mormonischer Missionar gewesen. Zum Leidwesen seiner Gefährten sprach er nicht gerne darüber.
Bei den Garrisons handelte es sich um ehemalige Cowboys. Nat, der Ältere von ihnen hatte sogar eine Zeitlang als Deputy Sheriff in Elko, Nevada gedient. Bei einer Messerstecherei mit einem betrunkenen Halbblut hatte er sein linkes Auge verloren, das jetzt von einer schwarzen Filzklappe bedeckt wurde.
Sam Garrison war ein ehrgeiziger, junger Bursche, der ein wenig zum Jähzorn neigte. Parnell hatte lange gezögert, den dunkelhaarigen Heißsporn überhaupt mit ihnen reiten zu lassen, aber Nat hatte so lange auf ihn eingeredet, bis er schließlich zugestimmt hatte. Blieb nur zu hoffen, dass Sam ihnen die Sache nicht in letzter Sekunde versaute, indem er die Nerven verlor.
Parnell runzelte die Stirn, als er mit den Augenwinkeln sah, wie Sam Garrison nervös an seiner Winchester herumspielte. Das genau war es, was er an ihm nicht ausstehen konnte...
Parnell selbst hatte sich ehedem als Rancher versucht. Zunächst sogar mit einigem Erfolg, aber später hatte er aufgeben müssen. Doch das war ein eigenes, bitteres Kapitel... Seit damals war da dieser harte Zug um seine Mundwinkel...
"Da hinten!", rief Sam.
Eine lange Rauchfahne wurde sichtbar, lange ehe der Zug selbst über den Horizont kroch. Die Männer zogen sich die Halstücher vor das Gesicht, so dass nur noch ihre blitzenden Augen zu sehen waren. Die Anspannung war ihnen allen deutlich anzumerken, nur Parnell bildete eine Ausnahme.
Er blieb vollkommen ruhig und gelassen.
"Kein unnötiges Blutvergießen!", ermahnte er seine Leute. Seine Stimme klang seltsam abgedämpft durch den Stoff des Halstuchs. "Habt ihr mich verstanden, Männer?"
Parnell sah, wie Sam Garrison sich aufblies und zu einer Erwiderung ansetzte. Aber McDermot war schneller und so musste Sam die Luft wieder hinauslassen, ohne dass ihm ein Wort über die Lippen gekommen wäre.
"Du hast es uns in den letzten Tagen oft genug gepredigt, Jim! Und wir alle haben weiß Gott keine Bohnen in den Ohren!" Und dann setzte er in etwas versöhnlicherem Tonfall noch hinzu: "Man könnte fast auf die Idee kommen, dass nicht ich, sondern du mal ein Prediger gewesen bist!" Er lachte. "Jedenfalls hätten deine Schäfchen die zehn Gebote sicher bald auswendig gekonnt, wenn sie ihnen derart oft in die Ohren gedröhnt worden wären!"
Unterdessen zog Nat Garrison den Revolver aus dem Holster.
"Los Männer! Sehen wir zu, dass die zwanzigtausend Dollar an Lohngeldern nicht an uns vorbei fahren! Wahrscheinlich würden wir sie bis Sacramento nicht mehr einholen können!"
Sie trieben ihre Pferde den Hang hinunter auf die Gleise zu. Der Zug dampfte ratternd über die Gleise, während die vier Reiter auf ihn zuhielten.
Als sie ihn erreicht hatten, ritten sie parallel zu den Gleisen. Der erste, dem es gelang, vom Sattel auf ein Trittbrett am Wagenende zu gelangen, war Sam Garrison.
Eigentlich hatte Parnell vorgehabt, ihn mit der Aufgabe zu betrauen, die Pferde einzufangen, aber das hatte Sam vehement von sich gewiesen! Und so musste das jetzt McDermot machen, der nichts dagegen hatte.
Es war nicht so, dass er es nicht mehr gekonnt hätte, aber wenn es möglich war, vermied er solche waghalsigen Klettereien. Wenig später war auch Parnell auf dem Zug. Als letzter kam der einäugige Nat.
Sam war keine Sekunde mehr zu halten, seitdem er Räder unter den Füßen hatte. Er stürmte mit der Winchester im Anschlag ins Wagenabteil, fuchtelte mit der Waffe herum und versetzte alle Anwesenden in Angst und Schrecken.
Eine Frau stieß einen spitzen Schrei aus, ein paar Kinder brüllten, Stimmen redeten aufgeregt durcheinander.
"Hände hoch und Ruhe!", brüllte Sam, während von der anderen Seite des Wagens sein Bruder Nat hereinkam.
Ein gutgekleideter Herr mit Stetson und Krawatte versuchte, mit der Rechten unter die Jacke zu greifen, aber Nat war schnell genug heran und hielt ihm den Lauf seines Colts unter die Nase.
Der Mann wurde bleich.
"Versuchen Sie das nicht, Mister!"
"Nein, ich..."
"Ziehen sie es ganz langsam und vorsichtig heraus!"
"Was?"
"Das, was Sie da hervorholen wollten, verdammt noch Mal!" Er zog es ganz langsam hervor, so wie Nat Garrison es gesagt hatte. Nat kniff ärgerlich sein Auge zusammen.
Es war ein Taschentuch.
Es war nicht festzustellen, ob der Zug irgendwie in seiner Geschwindigkeit nachgelassen hatte. Nach Parnells Gefühl raste er noch immer mit unvermindertem Tempo über die Schwellen. Und in diesen Dingen konnte Parnell sich auf sein Gefühl verlassen. Er war auf das Dach eines Wagons geklettert und arbeitete sich jetzt zur Lok vor. Wagon für Wagon überlief er, sprang dann zum nächsten, bis da nur noch die Lok und der Kohlentender waren. Einen Moment lang zögerte er.
Er überlegte, zu springen, entschied sich dann aber dagegen. Er war zwar alles andere als ein Dandy, aber auf der anderen Seite besaß er im Moment nur eine einzige Hose und die wollte er nicht noch dreckiger machen, als sie ohnehin schon war.
Es musste auch so gehen!
Er zog den Colt und schoss zweimal in die Luft. Lokführer und Heizer zuckten förmlich zusammen und sahen verängstigt zu ihm hinüber
Jim Parnell sah die Winchester, die die beiden neben dem Heizofen stehen hatten.
Der Lokführer warf einen verstohlenen Blick zu Waffe, sah dann wieder zu dem Mann auf dem Wagendach und schien sich nicht ganz sicher zu sein, ob er schnell genug sein würde...
Natürlich hatte er nüchtern betrachtet keine Chance, das Gewehr zu ergreifen, durchzuladen und abzufeuern, bevor Parnell seinen Zeigefinger gekrümmt und geschossen hatte.
Vielleicht spekulierte er darauf, dass sein Gegenüber ein schlechter Schütze war...
Aber da sollte er sich verrechnet haben.
Noch ehe es ihm überhaupt gelungen, war, die Waffe auch nur anzufassen, hatte Parnell bereits geschossen.
Die Kugel fuhr in den hölzernen Kolben der Winchester und ließ ihn splittern. Das Gewehr sackte zu Boden.
Die Dampfmaschine der Lok machte viel Krach und so war eine Verständigung mit Worten auf diese Entfernung schlecht möglich. Parnell bedeutete dem - offenbar etwas ängstlicheren - Heizer, das Gewehr aus dem fahrenden Zug zu werfen.
Der Heizer machte keinesfalls den Eindruck, als wollte er das Eigentum der Union Pacific so verteidigen, als wäre es das Seinige gewesen - notfalls mit dem Leben! Und so führte er den Befehl anstandslos aus.
Dann deutete Parnell auf die Bremse.
Der Lokführer tat erst so, als würde er nicht verstehen; der Heizer verstand hingegen sofort und wenig später stand der Zug.
Der Safe mit den Lohngeldern befand sich im Gepäckwagen. Dessen Schloss sprengte Nat Garrison kurzerhand auf. Nachdem der Safe auf ähnliche Weise geknackt worden war, packten sie die fein säuberlich aufgeschichteten Bündel von Banknoten und steckten sie in handliche, grobgewebte Leinensäcke.
Harry McDermot kam mit den Pferden heran.
"Hey, endlich fertig?"
"Hier, fang auf!" Nat warf McDermot einen der Geldsäcke zu. Unterdessen war Jim Parnell vom Zugdach gestiegen. Den Colt hielt er nach wie vor schussbereit in der Rechten.
Aber niemand schien da zu sein, der Lust hatte, den Heldentod zu sterben.
Sam Garrisons Stimme war deutlich zu hören, so deutlich, dass Parnell gequält das Gesicht verzog.
Wie ein bissiger Hund kläffte er die Fahrgäste an, während er von einem Abteil ins andere stürmte, stets mit der Winchester im Anschlag. Dein Bruder muss noch 'ne Menge lernen, Nat!, überlegte Parnell im Stillen.
Es ging alles sehr schnell, fast so, als wären sie nicht zum ersten Mal zusammen an einem Ding beteiligt, sondern ein lange eingespieltes Team.
Das Geld war eingepackt und wurde auf die verschiedenen Pferde verteilt. Nat kam aus dem Gepäckwagen und schwang sich in den Sattel. Parnell gab einen Schuss in die Luft ab.
"Los, komm 'raus!", rief er Sam Garrison zu. "Wir verschwinden jetzt!"
Sam kam aus einem der Wagons. Wenige Augenblicke später saßen sie alle in ihren Sätteln, feuerten ein paarmal in die Luft, um dann davonzupreschen.
Irgendein ganz Mutiger sandte ihnen noch ein paar Kugeln hinterher, aber da waren sie bereits zu weit entfernt, um von einem mittelmäßigen Schützen noch getroffen werden zu können.
Die Pferde trampelten den Hang hinauf und Sam stieß einen übermütigen Freudenschrei aus. Als sie ein paar Meilen in die Berge hineingeritten waren, zügelte Parnell plötzlich sein Pferd und stoppte.
"Was ist?", meinte der einäugige Nat mit einem leicht ärgerlichen Unterton.
Parnell stieg aus dem Sattel. Er nahm kurz den Hut ab und fächelte sich etwas Luft zu.
"Wir werden jetzt aufteilen", erklärte er. Die anderen hatten ihre Pferde jetzt ebenfalls gestoppt. Nat runzelte die Stirn und schnäuzte sich lautstark die Nase.
"Sollten wir nicht besser noch ein paar Meilen hinter uns bringen?", meinte er. "Ich meine, es ist doch absehbar, was als nächstes geschehen wird: Sobald dieser verdammte Zug in Bear River City ankommt, wird man ein Aufgebot zusammenstellen und sich an unsere Fersen heften!" Er spuckte aus und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund.
"Nat hat recht!", mischte sich sein Bruder Sam etwas nassforsch ein.
"Was soll das verdammte Gequatsche, sehen wir zu, dass wir weg kommen!"
"Es war von Anfang an klar, dass ich der Boss bei diesem Unternehmen bin!", stellte Parnell klar. "Und ich sage, dass jetzt geteilt wird!"
Er musterte die Garrisons abschätzig.
McDermot wusste er auf seiner Seite.
Er sah das Blitzen in Sams Augen. Aber dieser wartete auf die Reaktion seines Bruders und der schien vernünftiger.
"Schon gut, schon gut, Jim!", versuchte er zu beschwichtigen. "Du bist der Boss, wie wir's gesagt haben."
Parnell nickte zufrieden.
"Und wenn die Scheine verteilt sind, trennen wir uns!"
"Ach!", meinte Sam. "So einfach ist die Sache also für dich, Parnell!" Parnell nickte kühl.
"Richtig, Sam! So einfach ist das." Er wandte sich an Nat. "Schätze, du musst ein Auge auf deinen Bruder werfen, damit er keine Dummheiten macht. Es könnte sonst leicht sein, dass er dich mit reinreißt!"
Geldverteilen war eine verhältnismäßig angenehme Arbeit und in Nat Garrisons Augen war es fast so etwas wie ein Frevel, dass sie sich dazu keine Zeit nehmen konnten.
"Ich werde genau heute in zwei Wochen in der Ogden Times eine kleine Anzeige aufgeben", erklärte Parnell dann noch, obwohl die Garrisons kaum zuzuhören schienen. Aber Parnell fuhr ungerührt fort.
"Dort werdet ihr den nächsten Treffpunkt lesen können. Als Erkennungschiffre werde ich meine Initialen angeben..."
Die Garrisons waren in einer fast euphorischen Stimmung, als sie sich davon machten, während Harry McDermot ein skeptisches Gesicht machte.
"Glaubst du, dass die wieder kommen, diese Geier?" Parnell zuckte mit den Schultern.
"Warum sollten sie nicht?"
"Jeder von ihnen hat 5000 Dollar in der Tasche! Was könnte sie dazu veranlassen, in nächster Zeit wieder bei einem Ding mitzumachen?" McDermot schlug sich mit der flachen Hand auf auf die ledernen Chaps, die er über den Schenkeln trug. "Ein sparsamer Mann könnte 'ne ganze Weile davon leben!"
Parnell grinste schwach.
"Die Garrisons sind aber alles andere als sparsame Leute! Sie mögen beide recht verschieden sein, diese Brüder, aber eines haben sie doch gemeinsam: Ihre Spielleidenschaft!" Er sah McDermot offen an. "Glaub mir, Harry, sie werden in der Ogden Times nach der Anzeige suchen, als hinge ihr Leben davon ab, denn bis dahin werden sie wieder völlig blank sein! Ich kenne sie!" Dann machte er plötzlich ein etwas nachdenklicheres Gesicht. "Wie ist es mit dir, Harry?"
"Was meinst du?"
"Ich meine: Wir haben einen guten Fang gemacht. Vielleicht hast du vor, dich zur Ruhe zu setzen..."
"Ich denke, ich bin wieder dabei."
"Du weißt, dass ich es nicht nur des Geldes wegen tue, nicht wahr?"
"Ja, das weiß ich Jim."
Dann trennten auch sie sich.
Für Mike Dogan, den Marshal von Bear River City und seine beiden Deputies war es ein ruhiger Tag gewesen, aber das sollte sich schlagartig ändern, als der Zug aus Green River eintraf. Er saß gerade hinter seinem Schreibtisch, hatte die Füße hochgelegt und las in der Zeitung, während er sich die müden Witze anhören musste, die Arrows und Gladstone, seine Gehilfen, von sich gaben. Ihr Lachen erstarb auf der Stelle, als ein paar aufgebrachte Bürger ins Office stürzten.
"Der Zug ist überfallen worden!"
"Sheriff, Sie müssen sofort zum Bahnhof kommen!"
"Die Lohngelder sind weg!"
"Diese Schufte! An den Galgen gehören die!"
"Die hatten Dynamit!"
Mike Dogan blieb so gelassen, wie das in einer solchen Situation möglich war. Er hob beschwichtigend die Hände und als das keine Wirkung zeigte, ließ er sein gewaltiges Organ hören.
"Ruhe, verdammt nochmal!"
Bear River City war zwar mehr als eine gewöhnliche Kleinstadt und war besonders seit Fertigstellung der Union Pacific-Linie beträchtlich angewachsen, aber das Sheriff-Office hatte trotz alledem nicht die Ausmaße einer Empfangshalle!
Ungefähr ein Dutzend Männer und Frauen hatten sich durch die Tür gedrängt und jetzt standen sie sich gegenseitig auf den Füßen. Hier und da wurden Spazierstöcke und Revolvergriffe wütend umklammert.
"Charley, kümmere du dich um die Leute!", wandte er sich an Deputy Gladstone, der sichtlich unglücklich über diese Verteilung der Aufgaben war. "Hank, du kommst mit mir!"
Arrows nickte, setzte sich den Hut auf und dann drängelten sich die beiden Sternträger durch den Pulk der Menschen.
Bis zum Bahnhof war es naturgemäß nicht weit, denn die Gleise der Union Pacific waren so etwas wie die Lebensader von Bear River City. Dennoch stiegen Dogan und Arrows auf ihre Gäule, um die kurze Strecke hinter sich zu bringen. Es war schwer zu beurteilen, ob Eile geboten war, der die Verbrecher längst über alle Berge waren, vielleicht sogar schon über die Staatsgrenze nach Utah.
Dort, wo der Zug eingefahren war, war ein beträchtlicher Menschenauflauf entstanden. Dogan ließ sich von den Leuten erzählen, was passiert war.
Manches widersprach sich, anderes war offensichtlich übertrieben, aber Dogan hatte genug Erfahrung um das in etwa auseinanderhalten zu können.
Wirklich brauchbare Hinweise bekam er jedoch kaum.
Die Kerle waren maskiert gewesen, natürlich würde sie niemand wiedererkennen können...
Gleichfalls war es schwer zu beurteilen, wohin die Banditen geritten waren. Die Fahrgäste hatten nur gesehen, dass sie hinter dem nächsten Hügel verschwunden waren.
Dogan fluchte innerlich, ließ sich seinen Unmut aber nicht anmerken. Die Leute konnten schließlich nichts dafür und hatten zum Großteil einen erheblichen Schrecken bekommen, auch wenn niemand tot oder verwundet war.
Dogan wusste, dass er als erstes zum Ort des Geschehens reiten musste, um die Spuren, sofern noch welche vorhanden waren, auszuwerten. Zeit würde damit verloren gehen, vielleicht zu viel, um die Banditen noch einfangen und stellen zu können.
Aber das musste er in Kauf nehmen.
Irgendwo musste man schließlich anfangen.
Ein etwas dicklicher Mann drängte sich plötzlich durch den Kreis der umstehenden Bürger. er trug einen teuren Anzug, Krawatte und Hut. Als er einen Arm etwas vor streckte, war für einen kurzen Augenblick einer seiner wertvollen Manschettenknöpfe zu sehen.
"Marshal Dogan...?"
"Ja?"
Dogan hatte den Mann nie zuvor gesehen, obwohl dieser sich, seinem Auftreten nach zu urteilen, für ziemlich wichtig zu halten schien.
"Mein Name ist Lemieux", erklärte er. "Ich komme von der Eisenbahngesellschaft..."
"Angenehm, Mister Lemieux. Haben Sie irgendetwas zu dieser Sache zu sagen, was uns weiterhelfen könnte?"
"Ich habe etwas zu sagen, Dogan! Sorgen Sie dafür, dass das Geld wieder auftaucht und die Kerle geschnappt werden, die dafür verantwortlich sind!"
"Das ist nicht mehr und nicht weniger als mein Job, Sir!" Lemieux nickte.
In seinen kleinen Augen und dem überheblichen Zug, der um seine Mundwinkel spielte, lag nichts anderes, als eine offene Drohung.
"Genau darum geht es!", meinte er. "Um Ihren Job! Wenn Sie die Kerle nicht erwischen, sorge ich dafür, dass Sie nicht mehr lange Marshal sind..."
Aber Dogan ließ sich davon keineswegs einschüchtern.
"Ich verstehe Ihren Unmut, Mister. Aber meine Aufgabe ist es, Verbrechen aufzuklären." Er verzog etwas spöttisch den Mund. "Wenn Sie einen Zauberer suchen, sollten Sie in den Zirkus gehen! Dann sind Sie bei mir an der falschen Adresse!"
Das Aufgebot war schnell zusammengestellt und vereidigt. Mehr Männer, als Dogan gebrauchen konnte, meldeten sich. Die Leute rissen sich fast darum, sich an der Verbrecherjagd beteiligen zu dürfen. Schließlich ermöglichte sie ihnen für kurze Zeit einen Ausbruch aus dem täglichen Einerlei. Das ließ sich so schnell keiner entgehen. Aber Dogan suchte sich die Männer aus, die er schon bei anderer Gelegenheit dabei gehabt hatte und bei denen er sicher war, sich auf sie verlassen zu können.
Es gab sogar einen Blechstern für jeden; Bear River City war eine reiche Stadt geworden.
Die Reiterschar bestand schließlich aus fast zwanzig Mann, hochgerüstet mit Winchester-Gewehren aus den Beständen des Marshals.
Deputy Gladstone blieb derweil in der Stadt zurück, um den Marshal zu vertreten.
Dogan konnte sich leicht ausmalen, wie sein Gehilfe fluchen würde. Aber irgendjemand musste eben die Betrunkenen in die Ausnüchterungszelle schaffen und die Raufbolde, die allzu sehr über die Stränge schlugen, so einschüchtern, dass es bei kleineren Rangeleien blieb.
Das Aufgebot nahm seinen Weg entlang der Bahngleise. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie schließlich jenen Ort erreicht hatten, an dem der Raub von Statten gegangen war.
Der Alte Brownlow, früher Mountainman und Army-Scout, jetzt Rausschmeißer in einem Spielcasino, verstand sich auf das Lesen von Spuren. Er stieg aus dem Sattel, besah sich kurz den Boden und wies den anderen dann den Weg.
"Sie sind dorthin geritten!", meinte er.
Und als die Männer ungeordnet der Spur nachpreschen wollten, hielt Mike Dogan sie in letzter Sekunde zurück.
"Halt!", donnerte er.
"Was ist noch, Marshal?"
"Brownlow wird als erster reiten! Ihr versaut sonst alle Spuren und dann verlieren wir unsere einzigen Anhaltspunkte!" Die Männer murrten leise, aber es wagte niemand, Dogan offen zu widersprechen.
Sie folgten also Brownlow, der seinerseits immer wieder angestrengt zu Boden blickte, um in den Spuren zu lesen, wie andere in einem Buch. Dann zügelte der alte Mountainman plötzlich sein Pferd und die anderen Männer des Aufgebots taten es ihm gleich.
Dogan wandte einen fragenden Blick an ihn.
"Die Banditen haben hier kurz gerastet", meinte Brownlow. Er runzelte die Stirn und stieg aus dem Sattel, um die Spuren besser untersuchen zu können. "Nicht lange, so steht zu vermuten. Vielleicht haben sie die Beute aufgeteilt. Auf jeden Fall trennen sich ihre Wege hier."
Dogan schob sich den Hut in den Nacken und nickte dann anerkennend.
"Die sind nicht auf den Kopf gefallen, diese Kerle!", meinte er.
"Werden wir uns auch aufteilen?", fragte Deputy Arrows.
"Natürlich!", versetzte Dogan ärgerlich. "Wir haben überhaupt keine andere Wahl..."
"Eine Spur führt nach Süden, direkt in die Berge hinein", erklärte Brownlow. "Zwei von ihnen sind wohl beisammen geblieben. Ihre Spuren führen dort hin..." Er machte eine Bewegung mit der Hand.
"Und dann ist da noch eine dritte Spur..."
Die Sonne war bereits milchig geworden. Nicht mehr allzu lange, und sie würden die Suche vorerst abbrechen müssen. Wenn sich erst die Finsternis der Nacht über das Land gelegt hätte, würde man kaum noch Hand vor Augen sehen können.
Hank Arrows, der Deputy, dem Marshal Dogan die Befehlsgewalt über diesen Trupp gegeben hatte, machte ein missmutiges Gesicht, denn so wie es im Moment aussah, würden sie keinen Erfolg haben. Zu allem Überfluss hatte sich die Spur der zwei Reiter, der sie gefolgt waren, auf dem immer felsiger werdenden Untergrunds mehr und mehr verloren. Brownlow hätte vielleicht noch immer irgendetwas entdecken können, aber der ritt mit einer anderen Gruppe. Und so suchten sie mehr oder weniger blind in der Gegend herum.
Ein kühler Wind zog auf und ließ die Männer etwas frösteln. Die Nacht kündigte sich unweigerlich an. Einer der Männer war bereits lautstark am Murren. Er hieß Pinter, trug eine ziemlich ramponierte Melone auf dem Kopf, die sicherlich schon bessere Zeiten gesehen hatte. Um die Hüften trug er einen Revolvergürtel mit zwei Holstern. Der Marshal wusste, dass er ein guter Schütze war, deshalb hatte er ihn mitgenommen.
Aber Pinter war ebenso bekannt für sein großes, unbeherrschtes Mundwerk.
"Ein kühles Bier wäre jetzt 'was Feines!", meinte er. "Oder ein Glas guter Whisky!" Er spuckte zu Boden. "Verdammt, wir stochern ohne Ziel in einem Heuhaufen herum, um die berühmte Stecknadel zu finden!" Pinter machte ein ärgerliches Gesicht. "Aber meiner Meinung nach führt das zu nichts! Wir haben die Spur verloren und damit hat es sich! Die anderen waren eben die Besseren!"
"Reiten Sie nach Hause, Pinter, wenn Ihnen danach ist!", versetzte Arrows kühl. "Es ist immer dasselbe! Erst wollen alle den Helden spielen, aber wenn es dann etwas unangenehm wird - und sei es nur, dass es darum geht, mit dem Hintern etwas länger im Sattel zu sitzen, als die meisten von euch das gewöhnt sind! - , dann wird gekniffen!"
"So war's nicht gemeint!", beeilte sich Pinter.
"Ich will’s hoffen!"
"Hey!", rief einer der anderen Männer. "Da hinten ist Rauch!" Arrows runzelte die Stirn.
"Sieht nach einem Lagerfeuer aus!" Seine Züge entspannten sich etwas. "Vielleicht haben wir ja doch noch Glück!"
Die Garrisons hatten gerade gegessen, da zuckte Nat wie vom Schlag getroffen zusammen.
"Was ist?", meinte Sam, während er die Kaffeekanne vom Lagerfeuer nahm.
"Still!"
Nat zog den Revolver aus dem Holster, während Sam die Kanne auf dem steinigen Boden abstellte und nach der Winchester griff. Mit einer energischen Bewegung lud er das Gewehr durch und ließ den Blick über die Umgebung schweifen. Aber er konnte nichts erkennen.
Irgendwo war da so etwas wie ein leises Knacken oder Rascheln. Vielleicht ein Stiefel, der einen morschen Ast zertreten oder etwas Geröll in Bewegung gesetzt hatte...
"Tag, Gents!"
Die Garrisons wirbelten herum und blickten in Hank Arrows ruhige Züge.
Sie sagten zunächst nichts, sondern warteten erst einmal ab. An Arrows Jacke war der Blechstern unübersehbar und Nat verzog unwillkürlich das Gesicht, als sein Blick darauf fiel.
"Die Waffen 'runter!", befahl Arrows.
Die Garrisons schienen nicht recht zu wissen, wie sie sich verhalten sollten. In Sams Augen war wieder dieses angriffslustige Blitzen, aber wie immer wartete er auf seinen Bruder. Und der tat vorerst überhaupt nichts.
Als dann hinter den umliegenden Felsvorsprüngen und Sträuchern Bewaffnete hervortraten, die ihre Waffen schussbereit im Anschlag hielten, machte Nat Garrison eine beschwichtigende Geste. "Schon gut, schon gut!", meinte er und warf den Colt zu Boden. Mit einigem Zögern folgte Sam Nats Beispiel und so landete auch die Winchester unsanft auf dem steinigen Untergrund.
Arrows nickte zufrieden.
"So ist es schon besser!", meinte er. "Und jetzt die Hände hoch!" Sie hoben die Hände und Sam warf Nat einen ärgerlichen Blick zu.
"Wer sind Sie, Mister?", fragte Nat Garrison zornig an Arrows gewandt. "Wir sitzen hier friedlich an unserem Lagerplatz für die Nacht und Sie..."
"Wir werden sehen, ob Sie wirklich so harmlos sind, wie Sie tun!", erklärte Arrows kühl. Er deutete auf den Blechstern. "Ich schätze, Sie haben dieses Abzeichen bereits bemerkt!"
Nat nickte.
"Habe ich!", meinte er etwas zerknirscht.
"Ich bin Arrows, Deputy des Marshals von Bear River City!"
"Ah..."
Nat musste schlucken. Seine schlimmsten Befürchtungen waren Wirklichkeit geworden. Er fluchte innerlich. Dann begann er, sich das Gehirn zu zermartern, um irgendeine Möglichkeit zu finden, aus dieser verfahrenen Situation wieder heraus zu kommen...
Aber es sah nicht gut aus.
"Was wollen Sie von uns, Mister Arrows! Ist es etwa gegen das Gesetz, hier draußen zu kampieren?"
Es war der verzweifelte Versuch, etwas Zeit zu gewinnen. Arrows schüttelte den Kopf.
"Nein, ist es nicht", meinte er. Er trat nahe an die Garrisons heran, die noch immer ihre Hände in die Höhe streckten. Sie fühlten sich alle beide ganz offensichtlich unwohl in ihrer Haut.
Und dazu hatten sie auch allen Grund.
"Vier maskierte Männer haben heute die Union Pacific ausgeraubt!", erklärte Arrows ruhig. "Und das ist gegen das Gesetz!"
"Sehen Sie nicht, dass wir zu zweit sind!", schimpfte Sam aufgebracht.
"Die Sache wird sich aufklären lassen", versprach der Deputy. "Und wenn Sie wirklich keinen Dreck am Stecken haben, haben Sie von uns auch nichts zu befürchten!"
"Mister Arrows!", rief Pinter, der sich unterdessen an den auf einem Haufen liegenden Satteltaschen der Garrisons zu schaffen gemacht hatte.
"Was ist?"
"Schauen Sie sich das mal an!"
Pinter hatte ein Bündel mit Banknoten aus einer der Taschen herausgeholt und hielt sie triumphierend in die Höhe. Sam Garrison lief rot an; jetzt kam der Augenblick der Wahrheit. Sein Bruder Nat konnte nur in hilfloser Wut das Gesicht verziehen. Arrows ging zu Pinter und nahm ihm das Geldbündel aus der Hand. Er riss das Papierband ab, das die Scheine zusammenhielt, bewegte sich zurück zu den Garrisons und hielt ihnen den kleinen bedruckten Fetzen unter die Nase.
"Sehen Sie, was da steht, Gentlemen?"
Die Garrisons schwiegen.
Arrows fuhr fort: "Es sind zweifelsfrei die Gelder aus dem Zug!"
"Oh, verdammt!", schimpfte Nat.
"Sie sind verhaftet!" Arrows winkte den Männern. "Beeilen wir uns, dass wir noch nach Bear River City zurückkommen, bevor es ganz dunkel wird..."
"Gestatten Sie...", begann Sam vorsichtig.
"Was?", fragte Arrows unfreundlich.
"Bevor Sie uns mitnehmen, würde ich mir gerne noch meine Stiefel anziehen. Sie stehen da drüben, bei den anderen Sachen!" Arrows blickte nach unten.
Sein Gegenüber hatte nur Socken an.
"Passen Sie auf, dass er keine Dummheiten macht, Pinter!" Pinter schob sich seine Melone schräg ins Gesicht und drehte kunstfertig einen seiner Colts um den Zeigefinger.
"Ist mir ein Vergnügen, Mister Arrows!"
Sam setzte sich auf den Boden, während Pinter sich ein paar Schritte entfernt breitbeinig aufgebaut hatte. Einen seiner Revolver hielt er mit gespanntem Hahn in der Hand, der andere steckte noch im Holster.
"Trödeln sie nicht, Mister!"
"Keine Sorge, ich bin gleich fertig!"
Sam streifte sich den linken Stiefel über, während die Männer alles rings um durchwühlten. Deputy Arrows begann damit, das Geld sicher zu stellen.
Dann nahm Sam den zweiten Stiefel zur Hand. Aber er zog ihn sich nicht sofort an, sondern zögerte einen Augenblick.
Als Pinter für den Bruchteil einer Sekunde zur Seite blickte, glaubte Sam, dass der richtige Augenblick gekommen war.
Als Pinter ihm wieder den Blick zuwandte, war das letzte, was er sah, eine braune, abgeschabte Stiefelsohle, aus der ein Schuss donnerte. Sam Garrison war ein ausgezeichneter Schnellschütze. Es war ein sehr sauberer Kopfschuss. Pinter hatte überhaupt keine Chance, seine Waffe abzudrücken. Die Kugel riss ihn nach hinten und ließ ihn mit einem dumpfen Geräusch zu Boden fallen. Sam riss den Revolver aus dem Stiefel und warf sich herum. Arrows hatte bereits einen Schuss in seine Richtung abgegeben, der nun aber ins Leere ging. Ein zweites Mal konnte er nicht mehr abdrücken. Eine Kugel war ihm in den Revolverarm gefahren, eine Zweite traf ihn zwischen den Rippen.
Dann wirbelte Sam erneut herum und erwischte zwei weitere Männer, bevor sie sich in Deckung begeben konnten.
Unterdessen hatte Nat die allgemeine Verwirrung genutzt und sich zu Boden geworfen.
Seine Hand griff nach dem Revolver, den er zuvor hatte fallenlassen müssen.
Nat hatte zwar nur ein Auge, aber damit konnte er dennoch genauer schießen, als die meisten anderen mit Zweien.
Gleich mit seinen ersten beiden Schüssen streckte er zwei Mann vom Aufgebot nieder. Der eine war gerade dabei gewesen, seine Winchester anzulegen, der andere hatte bereits zwei Schuss in Nats Richtung abgegeben, ohne ihn zu treffen.
Dann wirbelte er herum und blickte Sekundenbruchteile später in das Gesicht eines schwarzbärtigen Mannes, der gut zwanzig Schritt entfernt hinter einem Strauch hervorgekommen war und einen Revolver in der Hand hielt.
Aber diesmal war Nat zu spät.
Er spannte erneut den Hahn seines Revolvers, aber als er abdrücken wollte, fühlte er einen rasenden Schmerz an seiner Schulter. Der Schuss ging trotzdem los, allerdings ungezielt. Die Bleiladung splitterte etwas aus dem steinigen Untergrund heraus und der Bärtige wollte gerade den Hahn seines Colts zum zweiten, tödlichen Schuss spannen, da ging ein seltsamer Ruck durch seinen Körper. Etwas unterhalb des Brustkorbs färbte sich sein Hemd rot. Er blickte ungläubig nach unten, versuchte mit der Hand die Blutung aufzuhalten und schlug dann der Länge nach hin.
Nat hielt sich den Arm und blickte dankbar zu Sam hinüber, der einen triumphierenden Ausdruck im Gesicht hatte.
"Das war der letzte!", meinte er.
Der Einäugige nickte stumm. Seine Züge waren schmerzverzerrt.
"Hat es dich schlimm erwischt, Nat?"
"Nein, ich glaube, es ist nur eine Fleischwunde."
"Das wäre verdammtes Glück!"
Nat stöhnte.
"Es tut trotzdem verdammt weh!"
Während dessen begann Sam damit, von einer Leiche zur anderen zu gehen. Manche von ihnen stieß er mit dem Fuß an und drehte sie herum. Bei Arrows blieb er etwas länger.
"Was ist?", fragte Nat.
"Es ist kaum zu glauben!", erwiderte Sam zynisch. "Er lebt noch ein bisschen!" Er hob den Revolver, spannte den Hahn und schoss. Nat schaute zur Seite.
Sam blickte zu seinem Bruder hinüber und machte eine fast hilflose Geste.
"Es musste sein!", meinte er schwach. "Er hätte uns schließlich wiedererkennen können!"
Keine der drei Gruppen, in die sich das Aufgebot geteilt hatte, schaffte es, vor Einbruch der Dunkelheit nach Bear River City zurückzukehren. Sie kampierten in den Bergen, in der Hoffnung, die Verfolgung am darauffolgenden Tag fortsetzen zu können. Aber sowohl Mike Dogans Gruppe, als auch der unter Brownlows Befehl stehende Trupp, blieben ohne greifbaren Erfolg. Die Spuren verloren sich buchstäblich im Sande. Die Wildnis hatte die Banditen verschluckt und es sah aus, als würde sie sie nicht so schnell preisgeben. Gut möglich, dass einer von ihnen in Bear River City im Saloon sitzt und ganz unbehelligt seinen Whisky trinkt!, schoss es Dogan bitter durch den Kopf.
Schließlich befahl er seiner Gruppe die Rückkehr.
Es hatte unter diesen Umständen einfach keinen Sinn mehr, die Verfolgung fortzusetzen.
Auf den Gesichtern der Männer war Enttäuschung und Wut zu lesen. Sie hatten darauf gebrannt, den Eisenbahnräubern das Handwerk zu legen und jetzt mussten sie unverrichteter Dinge den Rückzug antreten. Das war bitter, aber nicht zu ändern.
Dogans Gruppe war kaum in die Stadt zurückgekehrt, da tauchte auch schon Lemieux von der Eisenbahngesellschaft mit ärgerlichem Gesichtsausdruck im Office des Marshals auf.
Dogan wusste, was jetzt folgen würde, beschloss aber, sich nicht mehr darüber aufzuregen, als es die Sache letztendlich wert war.
"Ich sehe, Sie haben die Kerle laufenlassen, Marshal!" Lemieux hatte sich wie Pfau aufgeplustert und versuchte seiner Stimme einen gewichtigen Klang zu geben. Das Ergebnis dieser Bemühungen hätte Dogan zu anderer Gelegenheit ein herzhaftes Gelächter entlockt, aber in diesem Augenblick fühlte er sich matt und müde.
"Sie haben versagt, Dogan!" Lemieux schlug mit der Faust auf den Schreibtisch des Marshals und dieser verzog gequält das Gesicht.
"Ich tue, was ich kann", sagte Dogan leise. "Sie sollten nicht glauben, dass Ihr Geschrei die Banditen schneller ins Loch bringt!" Lemieux schien fast zu kochen.
Er presste die Mundwinkel fest aufeinander und lief rot an.
"Wir sprechen uns noch, Dogan! Verlassen Sie sich drauf!" Aber Dogan hatte dafür nur ein müdes Lächeln.
Er winkte ab.
"Gegenüber Drohungen bin ich ziemlich unempfindlich, Mister Lemieux! Sonst wäre ich auch wohl kaum der Richtige für den Marshal-Job!" Er trat dicht an Lemieux heran, der fast einen ganzen Kopf kleiner war als Dogan.
"Ich vertrete hier die Eisenbahngesellschaft", flüsterte Lemieux schwach.
"Und wenn schon!"
Lemieux tat sehr entrüstet, als er das Office verließ, und stieß allerlei lautstarke Verwünschungen aus.
Dogans Züge entspannten sich jedoch deutlich. Er war froh, diesen Quälgeist erst einmal los zu sein.
Wenig später kehrte auch Brownlows Gruppe - ebenfalls ohne Erfolg - nach Bear River City zurück.
"Unsere Chancen waren von Anfang an nicht gut", meinte der Spurenleser dazu. "Es hätte schon an ein Wunder gegrenzt, wenn wir sie noch gekriegt hätten..."
"Ein schwacher Trost!", bekannte Dogan.
"Wenn Sie mich noch einmal brauchen, bin ich jederzeit für Sie da, Marshal!"
Auf die Gruppe von Deputy Arrows wartete Dogan allerdings bis zum Abend vergeblich. Er wartete noch bis zum Mittag des folgenden Tages, dann brach er auf, um den Trupp zu suchen.
Schon als er losritt, hatte er einen schalen Geschmack im Mund. Irgendetwas stimmte hier nicht...
Die Dämmerung war bereits hereingebrochen, als Dogan seinen Deputy fand.
Die Toten lagen mit seltsam verrenkten Armen und Beinen auf dem Boden. Es hatte sich niemand die Mühe gemacht, ihnen die Augen zu schließen.
Mit erstarrten Blicken schienen sie den Marshal verständnislos anzublicken. Es fröstelte Dogan bei diesem Anblick.
Dann beugte er sich über Arrows, der etwas mit der Linken umklammert hielt. Es handelte sich um einen kleinen Fetzen Papier, der ohne Zweifel einmal ein Bündel von Geldscheinen zusammengehalten hatte.
Dogan nahm diesen Fetzen an sich und steckte ihn ein. Hier hatte eine erbarmungslose Schlacht stattgefunden. Und es war nicht schwer zu erraten, wer für diese Metzelei verantwortlich war. Dogan schluckte.
Seine Gedanken waren bei Arrows, der mehr für ihn gewesen war, als nur ein Deputy. Der Marshal ballte in ohnmächtiger Wut seine Hände zu Fäusten.
Diese Sache war jetzt mehr für ihn, als nur ein gewöhnlicher Verstoß gegen das Gesetz... Es war zu einer persönlichen Angelegenheit geworden.
Er würde diese Kerle kriegen! Schon um Hank Arrows Willen! So war ich hier stehe!, schwor er sich grimmig im Stillen. Tränen des Zorns rannen Dogan über das Gesicht, während er vor Arrows auf die Knie sank und ihm mit Daumen und Zeigefinger der Rechten die Augen schloss.
In Rawlins, Wyoming bewohnte Bessy Norman ein enges, nicht gerade komfortables Zimmer im Obergeschoss eines Saloons, der den großmäuligen Namen The longest Branch trug, was natürlich gegen das Etablissement auf der anderen Straßenseite gemünzt war, das Long Branch hieß.
Zwischen den beiden Saloonbesitzern hatte es einen erbitterten Streit um die Berechtigung dieses Namens gegeben, der schließlich sogar einen Richter beschäftigt hatte. Bei einem Lokaltermin war nachgemessen worden. Dabei hatte sich herausgestellt, dass die Theke in The longest Branch tatsächlich fast einen halben Fuß länger war, als der bei der Konkurrenz, ganz wie der Name es versprach.
Bessy Norman arbeitete als Animiermädchen in einer Bar. Zeitweise hatte sie versucht, sich als Sängerin zu verdingen, aber ihr absolut unmusikalischer Gesang, der so schief klang, dass es selbst für Cowboys und Gold-Digger unüberhörbar war, hatte aus der Sache eine Lachnummer werden lassen. Als solche war sie ein Erfolg, ohne Zweifel, aber sie empfand das als Demütigung und hatte die Sache daher drangegeben.
Wenn Harry McDermot nach Rawlins kam, was alle paar Wochen, manchmal auch nur alle paar Monate vorkam, wohnte er bei Bessy. Die Beziehung, die sie miteinander verband, war ungeklärt. Bessy hätte trotz des Altersunterschieds von gut zwanzig Jahren nichts dagegen gehabt, wenn McDermot sie geheiratet hätte. Aber für eine solche Bindung war McDermot wohl nicht der richtige Mann. Er war mehr ein Streuner und Abenteurer, der sich scheute, Verantwortung für irgendjemanden zu übernehmen.
Wenn er Geld hatte, war er ihr gegenüber großzügig damit und ließ ihr meistens einen beträchtlichen Anteil davon. Wenn er blank war, was etwas seltener vorkam, hielt sie ihn für ein paar Tage, manchmal auch eine Woche, aus. Bessy fragte nie, woher das Geld kam, dass er ihr überließ. Sie nahm es, steckte es weg und hoffte, dass es von irgendwelcher ehrlicher Arbeit kam, obwohl sie wusste, dass es meistens anders war. Irgendwelche dubiosen, oft auch kriminellen Sachen... Er erzählte ihr ab und zu davon, sie hörte ihm zu und schwieg meistens. Es war ohnehin sinnlos, etwas an ihm ändern zu wollen. Er war nun einmal der, der er war.
Irgendwann, das fühlte sie, würde er von einer seiner Unternehmungen nicht mehr zurückkommen. Entweder, weil man ihn erwischt und wegen irgendeiner Sache ins Loch gesteckt hatte, oder weil in seinem Kopf eine kleine Kugel aus Blei steckte... Sie versuchte stets, nicht daran zu denken, aber in den Augenblicken, in denen sie in der Lage war, nüchtern die Dinge zu betrachten, wusste sie, dass es eines Tages so kommen würde.
McDermot räkelte sich in dem engen Bett, das kaum für zwei reichte, fühlte mit einer seiner braungebrannten, behaarten Pranken neben sich und stellte fest, dass da nichts war.
Er schlug die Augen auf.
Bessy war schon aufgestanden. Sie stand im Unterkleid vor dem Spiegel an der Kommode und schüttete Wasser aus einer Kanne in die Waschschüssel aus Porzellan.
Ohne sich umzusehen, wusste sie, dass McDermot aufgewacht war. Und während sie sich das Gesicht wusch, meinte sie: "Heute Morgen lagen dreitausend Dollar neben der Wasserkanne!"
"Ach, ja?", fragte McDermot in gespielter Verwunderung.
"Tu nicht so, Harry! Die kommen aus deiner Tasche!" Er machte eine beschwichtigende Geste, obwohl sie gar nicht zu ihm herüberblickte und rieb sich dann den Schlaf aus den Augen. Sie fragte: "Hast du soviel wirklich übrig?"
"Es bleibt genug für mich!", meinte er. Er grinste. "Kannst du es nicht gebrauchen, oder was ist?"
"Natürlich kann ich es gebrauchen. Jeden Cent!"
"Na, also! Sag' Dankeschön und freu dich!" Jetzt wandte sie sich zu ihm um und sah ihn an. Ihr Haar machte einen ziemlich zerzausten Eindruck.
"Dankeschön!"
"Na bitte! Kauf dir mal was Anständiges zum Anziehen! Du kannst es dir jetzt leisten!"
"Gestern stand etwas von einem dreisten Eisenbahnüberfall in der Zeitung", stellte sie kühl fest.
McDermot hob die Augenbrauen.
"So?"
"Wart ihr das?"
"Und wenn? Würde das irgendetwas zwischen uns ändern?" Sie bedachte ihn einen Augenblick lang mit einem nachdenklichen Blick.
Dann sagte sie: "Nein."
"Na, also!"
"Harry, ich habe dir nie viele Fragen gestellt, aber..."
"Dann ist es besser, du lässt es auch diesmal bleiben!", schnitt er ihr das Wort ab. Er benutzte diesen bestimmten Tonfall, der keinerlei Widerspruch duldete und den er wohl noch aus seiner Zeit als Prediger aufbewahrt hatte.
Bessy wusste, dass es im Moment wenig Sinn hatte, weiter zu bohren.
"Ich will dich nur warnen, Harry! Verstehst du?"
"Nein!", war seine trotzige Antwort. Sie wusste, das das alles in den Wind gerufen war, aber sie konnte es dennoch nicht lassen.
"Als kleiner Ganove kann man hier draußen im Westen vielleicht über die Runden kommen - vorausgesetzt, man hat ein schnelles Pferd. Aber wenn ihr jetzt größere Sachen anfangt, dann wird man euch bald überall jagen! Die ganze Welt wird hinter euch her sein, wenn Kopfgelder ausgesetzt werden... Solche Geschichten enden immer tragisch, Harry. Und ich möchte nicht, dass deine auch so endet!"
"Wie wär's mit Frühstück?", meinte er gleichgültig.
Irgendwo in den Bergen nördlich von Promontory befand sich die schnurgerade Grenze zwischen Idaho und Utah. Ein Strich auf den Landkarten, für den es in der Wirklichkeit keinerlei Entsprechung gab. Ein paar Meilen nördlich dieser Linie lag ein verlassenes Blockhaus auf einem Hochlandplateau.
Meilenweit konnte man die Hänge hinabsehen und jeden Neuankömmling frühzeitig ausmachen. Das war einer der Gründe, weshalb Jim Parnell diesen Ort als Treffpunkt bestimmt hatte. Natürlich hatte er sich lange vor den anderen hier her begeben. Er würde sie erwarten.
Harry McDermot war der erste von ihnen.
Parnell begrüßte ihn freundlich.
"Na, ist etwas Lohnendes in Sicht?", fragte McDermot zurück. Parnell nickte grinsend.
"Ja, es ist etwas in Sicht..."
McDermot schlug sich mit der flachen Hand auf den Schenkel und meinte: "Teufel nochmal, ich würde was darum geben, wenn du mir endlich mal verraten würdest, von wem du diese erstklassigen Informationen immer hast..."
McDermot stieg aus dem Sattel, trat auf Parnell zu und schüttelte ihm kräftig die Hand.
"Ganz gleich, was auch immer mir irgendjemand dafür bieten würde, dass ich ihm meinen Informanten nenne: Es wäre nicht genug!" McDermot klopfte Parnell freundschaftlich auf die Schulter.
"Du traust mir nicht, was?"
Parnell schwieg.
McDermot zuckte mit den Schultern und fuhr fort: "Bei so schmierigen Typen wie den Garrisons kann ich das verstehen. Die würden für ein paar Dollars ihre eigene Großmutter verkaufen, wenn jemand sie ihnen abnehmen würde, aber ich..."
"Was ist mit dir, Harry?"
"Weißt du das nicht Jim? Ich bin ein Ehrenmann! Ich habe immer zu dir gehalten!"
Parnell nickte.
"Das stimmt", musste er zugeben. "Aber ich werde dir meine Quelle trotz allem nicht nennen." Er verengte etwas die Augen und bedachte seinen Freund mit einem nachdenklichen Blick. "Der Mann ist geliefert, wenn sein Name irgendwie bekannt wird... Außerdem wird's dann für uns erheblich schwerer..."
"Das wird es sowieso!", erwiderte McDermot sachlich.
"Weshalb?"
"Weil man jetzt auf uns aufmerksam geworden ist!", McDermot lachte heiser. "Oder bist du so naiv, zu glauben, dass man uns den nächsten Zug ebenso leicht ausräumen lässt, wie den letzten?"
"Nein..."
"Auf die Dauer brauchen wir mehr Leute."
"Kann schon sein, dass du recht hast, Harry."
Es dauerte noch etwas mehr als eine Stunde, bis schließlich auch die Garrisons am Treffpunkt anlangten.
Aber sie waren nicht allein, sondern kamen in Begleitung von vier weiteren Reitern.
Parnell machte einen ärgerlichen Eindruck.
"Was soll das, verdammt noch mal!", fuhr er Nat an. "Habe ich euch zu diesem Treffen bestellt, oder diese Männer hier?"
"Sie wollen gerne bei dir mitmachen, Jim!" McDermot zuckte mit den Schultern.
"Erfolg spricht sich eben herum...", raunte er Parnell zu, dessen Gesicht einen mürrischen Eindruck machte. Es passte ihm einfach nicht, dass die Garrisons eigenmächtig jemanden mitgebracht hatten.
"Ich dachte, wir hätten ein für allemal klargestellt, dass ich der Boss bin, Nat!"
"Klar, Jim! So war das auch nicht gemeint..."
"Und ich bestimme auch, wer mitmacht und wer nicht!"
"So ist es, Jim! Die Entscheidung bleibt bei dir!" Dann deutete Nat auf die vier Neuen. "Der Mann mit den zwei Revolvern, das ist Mark Henderson. Bei den anderen handelt es sich um Billy, Phil und Dave Trenton!"
Parnell runzelte die Stirn.
Dann wandte er sich an jenen Mann, der ihm als Mark Henderson vorgestellt worden war. Er trug einen dunklen Anzug, der an manchen Stellen schon ziemlich ausgebeult und ganz augenscheinlich nicht gerade nach der neuesten Mode geschnitten war, sowie eine ebenso dunkle Schleife.
Alles in allem machte Henderson auf Parnell den Eindruck eines gründlich verarmten Falschspielers.
Er deutete auf die beiden Revolver, die Henderson am Gürtel hatte.
"Können Sie wirklich beidhändig schießen?"
"Ja."
Dann wandte Parnell sich an die Trentons, die offensichtlich weit weniger Wert auf ihre äußere Erscheinung legten, als es bei Henderson der Fall war. Sie sahen alle drei ziemlich abgerissen aus und hatten sich vermutlich seit mehr als einer Woche weder gewaschen noch rasiert.
"Der Name Trenton kommt mir bekannt vor", meinte Parnell. Billy ließ ein breites Grinsen auf seinem Gesicht erscheinen.
"Das ist er auch, Sir! Wir werden in Kansas steckbrieflich gesucht!" Er machte eine fast entschuldigende Handbewegung. "Ein paar Überfälle auf Postkutschen und Banken..."
"Lass sie mitmachen, Jim!", erklärte McDermot. "Sie haben Erfahrung und wir brauchen Verstärkung!"
Insgesamt sechs gutgekleidete Gentlemen saßen irgendwo in Bear River City im Nebenraum eines vornehmen Etablissements beim Diner. Am Kopfende des schweren Eichentisches hatte Lemieux platzgenommen, der diese Zusammenkunft einberufen hatte.
"Ein Platz ist noch frei", stellte großer, etwas beleibter Mann fest, der einen grauen Backenbart trug. Er lehnte sich ein wenig zurück, bevor er fragte: "Warten wir noch auf jemanden?"
Lemieux schüttelte den Kopf.
"Nein, Mister Wolfe. Wir sind vollzählig und können beginnen!" Wolfe runzelte verwundert die Stirn, schwieg aber.
Unterdessen erhob sich Lemieux in der Absicht, ein paar Worte an seine Gäste zu richten.
Er räusperte sich unüberhörbar und das Gemurmel, das bis jetzt den Raum erfüllt hatte, erstarb augenblicklich.
"Gentlemen!", begann Lemieux mit bedeutungsvoller Geste. "Wie Ihnen sicherlich nicht entgangen ist, hat es einen überaus dreisten Überfall auf einen unserer Züge gegeben!" Er machte eine Pause, um seinen Worten mehr Nachdruck zu verleihen, erntete dafür aber nur hier und da ein Stirnrunzeln. Es war nicht zu übersehen, dass einige der Anwesenden es kaum abwarten konnten, sich auf das Essen zu stürzen.
"Zwanzigtausend Dollar haben diese Verbrecher mitgehen lassen!"
"Das ist alles bekannt!", versetzte Wolfe kühl. "Bitte kommen Sie zur Sache! Worauf wollen Sie hinaus?"
Lemieux verzog etwas verärgert das Gesicht, bevor er fort fuhr.
"Meine Herren, ich brauche Ihnen gegenüber wohl nicht zu betonen, wie sehr ein solches Ereignis unserer Gesellschaft schadet! Wer wird noch sein Geld, seine Fracht oder irgendetwas anderes mit unseren Zügen befördern wollen, wenn sich solche Dinge in Zukunft häufen!"
"Gibt es dafür denn irgendwelche Anzeichen?", erkundigte sich ein glatzköpfiger Mann mit hervorspringendem Kinn, das durch seinen Spitzbart noch unterstrichen wurde.
"Aber Mister Bellings, das versteht sich doch von selbst! Die Kerle hatten Erfolg, es gibt keinen Grund für sie, es nicht wieder und wieder zu versuchen!"
Wolfe nickte.
"Ja...", murmelte er. "Das steht zu befürchten!"
"Hat die Eisenbahngesellschaft nicht genug Detektive, um die Sache aufzuklären?", meinte Bellings.
Lemieux machte eine hilflose Geste.
"Es gibt ein Loch!", erklärte er.
Unter den anderen Herren entstand aufgeregtes Gemurmel.
"Was sagen Sie da?", rief Wolfe.
Lemieux zuckte mit den Schultern. "Man kann es drehen und wenden wie man will: Es gibt kaum eine andere Möglichkeit, die plausibel wäre! Es war geheim, mit welchem Zug die Lohngelder transportiert würden! Nur so viele Männer wie unbedingt nötig haben davon gewusst!"
"Sie meinen, dass jemand den Mund nicht halten konnte?", fragte Bellings.
"...oder er ihm durch ein paar Dollars gelockert wurde!", setzte Lemieux hinzu. "Wir können unseren eigenen Leuten also nicht trauen! Aber leider gilt dasselbe auch für den Marshal von Bear River City!" Wolfe zog die Augenbrauen hoch.
"Was?"
"Nein keine Sorge, soweit ich weiß, ist er nicht korrupt, aber..." Lemieux machte eine Geste des Bedauerns. "...völlig unfähig!"
"Was wäre Ihr Vorschlag, Mister Lemieux?", fragte Bellings.
"Nun, ich hätte Sie natürlich nicht zusammen gerufen, wenn ich keine Lösung für unsere Probleme im Auge hätte, Gentlemen!" Bellings fuchtelte aufgeregt mit den Händen in der Luft herum.
"Und wie sieht Ihre Lösung aus, Mister Lemieux?" Mr Lemieux machte eine kurze Pause. Dann ging er gemessenen Schrittes zur Tür und öffnete sie. "Mister Masters, Sie können jetzt eintreten!"
Der Mann, der dann den Raum betrat, war groß und dunkelhaarig. Ein Oberlippenbart gab seinem Gesicht ein feingeschnittenes Aussehen. Unübersehbar war der Colt, den er im Holster an seiner Seite trug.
"Das ist Mister Jerry Masters aus Denver!", erklärte Lemieux. "Und ich denke, dass er die Antwort auf unsere Probleme sein könnte!" Masters hatte sich unterdessen breitbeinig vor den Vertretern der Eisenbahngesellschaft aufgebaut. Die Daumen steckten hinter der Schnalle seines Revolvergurts. Er schob sich den dunklen Hut in den Nacken und unterzog die Anwesenden einer eingehenden Musterung.
"Ein Revolvermann!", entfuhr es Bellings stirnrunzelnd. Die Sache schien ihm nicht so recht zu behagen. "Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll!"
"Mister Masters hat bereits für die Pinkerton-Agentur als Detektiv gearbeitet, bevor er sich selbstständig gemacht hat!", erklärte Lemieux.
"Sie können sich auf ihn verlassen. Er versteht sein Handwerk wie kaum ein Zweiter!"
Wolfe zuckte unschlüssig mit den Schultern.
"Warum soll dieser Gentleman sich nicht auch mit dieser Sache beschäftigen? Ich glaube nicht, dass er viel verderben kann!"
"Wenn Sie kein Vertrauen in mich setzen, ist es wohl besser, wenn ich wieder gehe und Sie Ihr Diner allein einnehmen!", meldete sich der Detektiv jetzt erstmals zu Wort.
Aber noch bevor Masters sich zum Gehen gewandt hatte, hatte Lemieux ihn bei den Schultern gepackt und zum Tisch geführt.
"Aber nein, Sie dürfen das nicht missverstehen, Mister Masters!" Er deutete auf das freie Gedeck. "Bitte, setzen Sie sich!"
"Hörst du schon was, Jim?"
"Halt's Maul!"
Jim Parnell hatte sein rechtes Ohr an die Gleise gepresst. McDermot stand dabei und sah gespannt zu.
"Na?"
Parnell nickte.
McDermot deutete auf das Dynamit.
"Verdammt, brauchen wir dieses Teufelszeug denn wirklich?"
"Wenn du Angst hast, kannst du dich ja hinter dem Hügel in Deckung legen - so wie die anderen!"
"Warum machen wir es nicht genauso wie beim letzten Mal? Hat doch gut geklappt, oder?"
Parnell verzog ärgerlich das Gesicht.
"Diese Diskussion kommt jetzt ein bisschen spät!", meinte er. Parnell platzierte das Dynamit zwischen die Schwellen. Er hoffte nur, dass die Zündschnur lang genug sein würde, um sich in Deckung begeben zu können, bevor hier die Hölle losbrach.
In der Ferne war jetzt der Zug bereits zu hören.
Irgendwann würde er um die Biegung geschossen kommen, aber dann musste schon alles gelaufen sein.
Parnell sah den Hang hinauf. Da stand Nat Garrison und machte ihm ein Zeichen.
Das Ächzen der Dampfmaschine kam immer näher und näher. Parnell zögerte noch eine Sekunde. Dann nahm er ein Streichholz heraus, riss es an seiner Stiefelsohle an, so dass es sich entzündete und brachte die Flamme an die Zündschnur, die gleich darauf bedrohlich zu glimmen begann.
Mit einem zischenden Geräusch wurde sie Sekunde für Sekunde kürzer. Während Harry McDermot bereits die heillose Flucht ergriffen hatte und den Hang hinauf lief, ließ Parnell den Blick noch für die Länge eines weiteren Augenaufschlags auf dem Sprengstoff ruhen. Alles in Ordnung.
Es würde ein schönes Feuerwerk geben.
Nun rannte auch Parnell hinauf. Kaum hatte er den Kamm erreicht, warf er sich zu Boden.
Unterdessen kam der Zug, der von Ogden, Utah nach Bear River City, Wyoming unterwegs war, um die Biegung herumgeschossen. Es gab einen furchtbaren Knall.
Das Dynamit ließ für einen Augenblick die massiven Eisenbahnschwellen tanzen. Sie flogen in die Luft und zersplitterten, während die Schienen aus ihrer Spur gerissen wurden. Der Lokführer betätigte augenblicklich die Bremse.
Ein hässliches Geräusch malträtierte die Ohren, Metall schabte über Metall und Funken sprühten. Die Räder der Lok blockierten, aber der Zug hatte eine so hohe Geschwindigkeit gehabt, dass sie trotzdem Meter um Meter über die Schienen geschoben wurden.
Ein paar Schritt nur von der Stelle entfernt, an der sich die Explosion ereignet hatte, kam das Gefährt schließlich unsanft zum Stillstand. Drinnen, in den Wagons war aufgeregtes Stimmengewirr, hier und da auch panische Schreie zu hören. Die Vollbremsung schien einiges durcheinander gewirbelt zu haben und nicht jeder hatte sich offensichtlich auf seinem Sitzplatz halten können.
Gepäckstücke waren wie Geschosse durch die Abteile geflogen. Überall herrschte Verwirrung, aber das konnte Parnell und seinen Leuten nur recht sein.
Ihre Gesichter waren von den Halstüchern fast ganz bedeckt, nur die Augen waren noch zu sehen.
Mit lautem Triumphgeheul stürmten sie den Hang hinunter. Jeder hatte seine Aufgabe.
Die Garrisons kümmerten sich um Lokführer und Heizer. Einer von ihnen wollte nach der Waffe greifen und bekam von Nat postwendend eine Kugel in den Arm gejagt.
"Verhalten Sie sich ruhig! Dann passiert Ihnen nichts!", rief Parnell den Leuten in den Abteilen zu. Den Colt hielt er schussbereit in der Rechten. Es war nie ganz auszuschließen, dass irgendjemand den Helden spielen wollte.
McDermot und Henderson, der Mann mit dem Doppelholster, stiegen in einen der Wagons und hielten die Leute in Schach. Dave und Phil Trenton nahmen sich einen anderen Wagen vor.
"Alle Wertsachen und Waffen in die Mitte auf den Boden!", rief McDermot grimmig.
Die Leute wirkten völlig überrumpelt und taten, was man ihnen sagte. Geldbörsen und Revolvergurte landeten in dem Gang zwischen den Sitzreihen.
Die meisten Leute machten dabei keine Schwierigkeiten. Manchmal musste etwas nachgeholfen werden, aber allzu großen Ehrgeiz legten die Banditen dabei nicht an den Tag.
Schließlich würde in jedem Fall genug zusammenkommen - und der Hauptteil würde ohnehin im Gepäckwagen zu finden sein!
"Was machen wir mit den Waffen?", wollte Henderson wissen.
"Aus dem Fenster damit!", befahl McDermot.
Die Scheiben wurden eingetreten und ein Revolver nach dem anderen landete irgendwo dort draußen.
"Wir tun niemandem etwas!", erklärte McDermot, während er mit dem Colt wild in der Luft herumfuchtelte. "Wir tun niemandem etwas, der uns nichts tut!" Er atmete tief durch und ließ den Blick über die Köpfe der Männer, Frauen und Kinder gleiten, die er in diesem Moment vor der Mündung seiner Waffe hatte.
"Ist das klar?", brüllte er.
"Ja, völlig!", erwiderte ein älterer Herr mit hohem Zylinder. Er machte einen, kühlen, vernünftigen Eindruck und so meinte McDermot: "Tun Sie es diesem Gentleman hier gleich und seien Sie vernünftig!"
Zusammen mit Billy, dem jüngsten der drei Trentons, begann Jim Parnell damit, sich am Gepäckwagen zu schaffen zu machen. Die Verriegelung wurde gewaltsam aufgebrochen, die Schiebetür zur Seite gedrückt.
Was dann folgte, war eine äußerst unangenehme Überraschung, die für Billy Trenton den sofortigen Tod bedeutete.
Während Parnell noch damit beschäftigt war, die Schiebetür ganz zu öffnen, wollte Billy den Wagon besteigen.
Er konnte es kaum abwarten, endlich die vielen Dollars in die Finger zu bekommen. Die Aussicht auf pralle Bündel von Geldscheinen schien Verstand und Vorsicht gänzlich ausgeschaltet zu haben. Billy machte einen Satz und kam mit dem Fuß auf ein Trittbrett, während seine Rechte einen Haltegriff umklammerte.
Natürlich steckte sein Colt im Holster, denn er hatte nicht erwartet, im Inneren des Wagens auf jemanden zu treffen.
Das war ein tödlicher Irrtum.
Billy erkannte dies allerdings erst, als es bereits zu spät war. Er blickte in etwa ein Dutzend blitzende Gewehrläufe.
Der Waggon hallte wieder vom Donner der Waffen.
Billy hatte gerade noch Zeit genug, den Mund vor Schrecken weit zu öffnen, aber es kam kein Schrei über seine Lippen, als der Kugelhagel ihn förmlich durchsiebte.
Er glitt ab und stürzte nieder, schlug schwer auf dem steinigen, geröllhaltigen Boden auf und blieb, nachdem er einmal um die eigene Achse gerollt war, reglos liegen.
Billy Trenton starb, ohne dass er den Griff seines Revolvers auch nur hatte berühren können.
Parnell war blitzschnell herumgewirbelt und als er Billy niederstürzen sah, begriff er sofort.
Er warf sich augenblicklich zu Boden und rollte sich herum, so dass er unter den Waggon kam.
In fieberhafter Eile krabbelte er über die Gleise, während er hinter sich hören konnte, wie Männer aus dem Gepäckwagen sprangen. Aufgeregtes Stimmengewirr mischte sich mit dem Geräusch von Stiefelabsätzen, die auf Stein und Geröll traten.
Er hatte gerade die an der Seite erreicht, da riss er den Colt aus dem Revolvergurt und feuerte zweimal unter dem Waggon her. Einer der Bewaffneten hatte sich niedergebeugt und Parnell einen Schuss hinterherschicken wollen.
Jetzt zuckte er zusammen und sackte zu Boden, während das Gewehr seinen Händen entfiel.
Parnell rappelte sich auf und rannte ein gutes Dutzend Schritt weiter bis zum nächsten Personenwagen. Mit dem Revolver in der Hand erklomm er das Trittbrett, riss die Tür auf und stürzte ins Abteil. Die Fahrgäste hielten sich allesamt geduckt.
Harry McDermot hatte sich an einem der Fenster postiert und feuerte Schuss um Schuss aus seinem Revolver.
Irgendwo da draußen war ein Schrei zu hören.
Auf der anderen Seite waren die Bewaffneten in Deckung gegangen. Ihre Kugeln ließen die Scheiben in den Fenstern splittern.
"Böse Überraschung, was?", fauchte McDermot mit zorngerötetem Gesicht. "Hast du schon eine Idee, wie wir hier wieder herauskommen?"
Auf der ganzen Linie des Zuges wurde jetzt geschossen. Die beiden verbliebenen Trentons und Mark Henderson ballerten aus verschiedenen Abteilen heraus auf die Truppe von Bewaffneten, deren Aufgabe es offensichtlich war, den Zug zu schützen.
Die Fahrgäste waren allesamt in einer fatalen Lage. Ihnen blieb nicht viel mehr übrig, als die Köpfe so weit wie möglich einzuziehen und zu hoffen, dass das Bleigewitter irgendwann über sie hinwegziehen würde. Die Garrisons waren noch immer bei der Lok.
Lokführer und Heizer hatten sich unterdessen in panischer Furcht davongemacht und sich hinter einen nahegelegenen Hügelkamm gerettet.
Dort blieben sie, dicht auf den Boden gepresst liegen und warteten erst einmal ab.
Die Schüsse pfiffen hin und her.
Die Situation war ziemlich verfahren.
Wenn nicht irgendetwas Außergewöhnliches geschah, würde sich auf absehbare Zeit nichts bewegen.
Jim Parnell hörte eilige Schritte.
Henderson kam in das Abteil gestürmt, in jeder Hand einen Revolver.
"Wir sollten ihnen androhen, ein paar von den Fahrgästen zu erschießen!", meinte er.
"Halt's Maul, Dandy!", versetzte Parnell.
"Wir waren mal in einer ähnlichen Lage!", meinte Henderson ernsthaft. "Das war noch in Kansas! Glauben Sie mir, die werden dann weich!"
Parnell wechselte einen kurzen Blick mit Henderson, bevor dieser seine beiden Revolver aus dem Fenster steckte und sie gleichzeitig abfeuerte.
In dem ganzen Durcheinander war es schwer zu beurteilen, ob er jemanden getroffen hatte.
"Die Kerle sind wirklich mit allen Wassern gewaschen, was?", kommentierte McDermot kopfschüttelnd Hendersons Vorschlag.
"Teufel nochmal, da können wir wohl noch was dazulernen!"
"Wir oder sie!", meinte Henderson, während er hastig seine Revolver nachlud.
"Ja", murmelte Parnell. "So ist es..." Er holte ein paar Dynamitstangen hervor, die er noch in den Taschen seiner Jacke gehabt hatte.
"Du weißt, dass ich diesem Teufelszeug misstraue!", meinte McDermot.
Parnell zuckte mit den Schultern, schnürte ungerührt die Stangen zu einem kleinen Bündel und brachte die Zündschnur mit einem Streichholz zum Glimmen. "Sieht so aus, als müssten wir alle unser Leben darauf setzen, dass diese Ladung ein Volltreffer wird!", meinte er an McDermot gewandt.
Dann schleuderte er den Sprengstoff aus dem Fenster. Draußen brach die Hölle los.
Der Blick aus dem Zugfenster bot ein Bild des Grauens. Wie ein Orkan hatte das Dynamit seine tödliche Wirkung entfaltet und mindestens einem halben Dutzend Männern den Tod gebracht. Andere lagen schwer verletzt am Boden.
Den meisten von ihnen würde man kaum noch helfen können. Zwei, die unverletzt davongekommen waren, wurden von den Garrisons erledigt, als sie versuchten, sich über den nächsten Hügelkamm in Sicherheit zu bringen.
Nicht die feine Art, Leute von hinten zu erschießen!, kam es Parnell in den Sinn. Aber wen kümmerte das jetzt?
In der Umgebung des Zuges herrschte jetzt eine eigenartige Ruhe, die nur vom Stöhnen der Sterbenden unterbrochen wurde.
"Ich denke, wir können jetzt in Ruhe das Geld einsammeln gehen!", meinte Henderson, während er seine Revolver zurück an ihren Ort steckte.
"Machen wir, dass wir hier bald weg kommen", murmelte Parnell.
Es war bereits Abend, als Jerry Masters sein Pferd durch die belebten Straßen von Bear River City lenkte. Aus den Saloons und Bars drang ein Gemisch aus dem Geklimper von verstimmten Pianos und zänkischem Stimmengewirr.
Hier und da sorgten die Zecher auch für ihre eigene Musik und man konnte nicht behaupten, dass sie dabei wesentlich unmusikalischer waren, als diejenigen, die ihr Geld damit verdienten. Aber Jerrys Weg führte in keine dieser unzähligen Spelunken, die in den letzten Jahren in Bear River City wie Pilze aus dem Boden geschossen waren: Weder dorthin, wo Bahnarbeiter und Cowboys ihre wenigen Dollars vertranken, noch an jene Orte, an denen diejenigen, die es zu etwas Geld gebracht hatten, am Roulette-Tisch oder beim Pokern den Sprung vom kleinen zum großen Reichtum versuchten. Jerry lenkte seinen Gaul an den Stadtrand, dort wo die schmucken Häuser der Neureichen und Emporkömmlinge standen.
Vor einem ganz bestimmten Haus zügelte Jerry dann sein Pferd und stieg aus dem Sattel. Wenige Augenblicke später stand er vor der Tür und klopfte energisch.
Zunächst rührte sich nichts, dann waren Schritte zu hören. Die Tür wurde geöffnet und Jerry sah das Erstaunen in den Augen seines Gegenübers.
"Guten Abend, Mister Bellings!"
"Guten Abend..."
Bellings schien etwas verwirrt.
"Vielleicht erinnern Sie sich an mich!", erklärte Jerry. "Wir haben uns zum Diner bei Mister Lemieux getroffen..."
"Ja, richtig... Sie sind dieser...Revolvermann!"
"Detektiv ist mir lieber", meinte Jerry. "Obwohl ich mit dem Schießeisen natürlich umzugehen verstehe!"
"Ja..." Bellings machte einen nachdenklichen Eindruck und musterte Jerry dann mit einer deutlichen Spur von Misstrauen.
Dieser Besuch schien ihm nicht zu gefallen. In seinem Gesicht stand Unbehagen, als er schließlich fragte: "Sind Sie bei Ihren Ermittlungen schon etwas voran gekommen?"
Jerry nickte.
"Ja, das bin ich. Und genau darüber möchte ich mit Ihnen sprechen." Bellings zog die Augenbrauen hoch.
"Nun?"
"Ich bin auf jemanden gestoßen, der mich auf die Spur dieser Banditen bringen könnte..."
"Ach, ja?" Bellings verengte etwas die Augen und atmete tief durch. Dann fuhr er sich mit der Hand durch die Haare. "Wer sollte das sein, Mister Masters?", erkundigte er sich. Seine Stimme hatte einen schwachen Klang bekommen und als Jerry ihn mit seinem Blick fixierte, zuckte er fast darunter zusammen.
"Sie, Mister Bellings!"
"Was? Ich... Ich muss schon sagen..."
Er blies sich auf und wollte zu einer geharnischten Erwiderung ansetzen, aber der Klang einer Frauenstimme ließ ihn schweigen.
"Greg!"
"Ja, Liebling?"
Eine blonde Frau, die ihrem Äußeren nach ganz den Eindruck einer sehr vornehmen Dame machte, rauschte in ihren weiten Röcken zur Tür. Sie war wesentlich jünger als Bellings, machte aber einen sehr selbstsicheren Eindruck.
Eine passende Herrin für solch ein Haus!, dachte Jerry und verneigte sich leicht.
"Ma'am..."
"Du hast einen Gast, Greg? Warum bittest du ihn nicht herein?"
"Nun, ich glaube, er wollte gerade gehen, Eloise!" Er wandte sich an Jerry. "Nicht wahr, Mister Masters?"
Jerry wurde jetzt ärgerlich.
"Hören Sie auf mit dem Versteckspiel, Bellings. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder wir unterhalten uns über die Sache wie zwei vernünftige Männer und kommen zu einer Lösung oder ich spreche mit anderen darüber, die kaum weniger daran interessiert sein dürfte!"
"Greg!", rief Mrs Bellings verwirrt aus. "Wovon spricht er?" Bellings Gesicht war wie versteinert.
"Geh rein, Eloise."
"Aber..."
"Bitte, lass uns jetzt allein!"
Sie blickte von einem zum anderen und gehorchte schließlich. Bellings schloss die Tür hinter sich und dann traten sie beide ein paar Schritte hinaus in die Dunkelheit.
"Sehr vernünftig von Ihnen, Mister Bellings!"
"Das wird sich noch herausstellen." Er warf Jerry einen zornigen Blick zu. "Also, was ist?"
"Irgendwo musste an entscheidender Stelle ein Loch in der Eisenbahngesellschaft sein. Und es war nicht schwer, darauf zu kommen, dass Sie dieses Loch sind, Mister Bellings..."
"Aber..."
"Unterbrechen Sie mich nicht! Sie wussten von jedem größeren Geldtransport, der über die Schienen ging. Sie wussten den Zeitpunkt und die Summen. Alles ging über Ihren Schreibtisch!" Er zuckte hilflos mit den Schultern.
"Diese Dinge gingen auch über die Schreibtische anderer Männer, verdammt noch mal!"
Jerry nickte.
"Ja, das stimmt. Aber ich bin ein sehr gründlicher Vertreter meines Faches! Ich habe sie alle eingehend überprüft." Bellings verzog verächtlich den Mund.
"Sie bluffen nur, Masters! Sie haben nichts gegen mich in der Hand!"
"Sie haben beträchtliche Spielschulden gemacht!", erklärte Bellings. "Kein Casino, keine Pokerrunde war vor Ihnen sicher. Wahrscheinlich sind Sie überall ein gern gesehener Gast gewesen, denn schließlich haben Sie ja meistens verloren! Streiten Sie es nicht ab, ich habe mich umgehört! Das Seltsame ist nur, dass Ihr Bankkonto eine ganz andere Sprache spricht, vor allem, seit diese Überfälle angefangen haben!" Bellings wurde bleich.
Er schluckte.
"Was haben Sie vor, Masters?"
Jerry zuckte mit den Schultern.
"Das hängt von Ihnen ab!"
Bellings wischte sich mit einer fahrigen Bewegung über das Gesicht.