10 Reisen - Jürgen Kraaz - E-Book

10 Reisen E-Book

Jürgen Kraaz

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Beschreibung

Von Afrika bis Nahost, von Russland bis Fankreich - Jürgen Kraaz war gern unterwegs, zeitweise mit Frau und Freunden, aber auch allein und einsam, und nur mit dem Schlafsack unterwegs. Zehn Reisen, die manche gern gemacht hätten, aber nie dazu gekommen sind. Nun könnnen sie lesen, als wären sie dabei gewesen.

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Seitenzahl: 212

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Inhaltsverzeichnis

MAROKKO

Oder wie ich gesalbt wurde

PRAG

Flugblatt-Schmuggel ins Kommunistenland

DAMASKUS

Als alles noch gut war

LISSABON

Im Hostel zu Hause

NORWEGEN

Mit der einmotorigen Piper ein Tag Norway

ST. PETERSBURG

Eine bezahlte aber nie gedruckte Reise

SAONE

Flussfahrt mit Hund und Familie

HERAKLION

Ich als mein Reiseführer

MALLORCA

Als Gast einer und meiner Familie

DEUTSCHLAND SCHWARZBROT

Draußen leben und schlafen in Scotland und Devon

THANK YOU

Tramp nach Kabul. Und ohne Geld zurück

MAROKKO

ODER WIE ICH GESALBT WURDE

Was für ein Chaos. Es war eben eine richtig freakige Aktion, die uns erstmals in ferne Welten führen sollte. Noch nie war ich außerhalb Europas gewesen – ein Fakt, der unbedingt und gleich verändert werden sollte. Ja, lass uns nach Marokko fahren, ein paar nahestehende sogenannte Freunde zum Beispiel waren schon einmal da gewesen, kannten da jemanden.

Also rafften wir all unser Geld zusammen und ab ging es mit zwei Autos und acht Menschen Richtung Süden. Mich, ja mich, hatte man auserwählt, diese Fahrt als Finanzminister zu überwachen. Ich war natürlich schon nach wenigen Metern völlig überfordert, so das uns schon in Spanien das Geld ausging. Das war natürlich anders gedacht, aber Regina hatte eine Tante in Malaga. Und die sollte uns den Rest dieser schönen Fahrt finanzieren. Leider war die Tante nicht da. Was uns nicht daran hinderte weiter, weiter zu fahren nach Süden, nach Süden.

Unterwegs schliefen wir mal draußen, mal drinnen, oder auf der Gepäckablage des VW 412, auf der ich auch den Auffahrunfall überlebte, den sich unsere Fahrerin leistete.

Kaum waren wir auf afrikanischem Boden beugte ich mich, ohne den Boden mit den Füßen zu berühren, aus der Seitentür und küsste das afrikanische Festland – ein Symbol für meine Verehrung des mit völlig fremden sagenhaften Kontinents.

Das Verlassen des Zollbezirkes konnte nur durch eine etwas unübersichtliche Bestechungsaktion realisiert werden. Aha, so1 ticken die hier. Und dann weiter, zunächst nach Süden und dann Richtung Osten. Es gibt eine Straße, die kann man auf jeder Karte sehen, sie führt quer durch die Berge. Auf dieser bleiben wir ziemlich lange, bis wir noch einmal abbogen, um in einem Dorf anzukommen, das unseren Mitfahrern schon bekannt war.

Arabisch, afrikanisch, fremdländisch, so begrüßte man uns und taktloserweise schwenkten unsere Mitfahrer eine Flasche Whisky zur Begrüßung - eine Peinlichkeit für mich, der eigentlich in Unschuld leben wollte, um das ganze Leben genießen zu können.

Abends saßen wir mit vielen Männern zusammen, rauchten, rauchten und das nicht zu knapp. Plötzlich wurden wir dann aufgefordert in einer Hütte zu schlafen. Leider ohne jegliche Decke und das in völliger Dunkelheit so dass ich nicht nur fror, sondern mich auch vor dem fürchtete, was da nicht geschah.

Morgens verkrümelte sich meine Gruppe, ich war allein, und so nahm ich meinen Gitarrenkoffer und setzte mich ab in die bergige Landschaft, die fruchtbar lockte. So saß ich auf einer Anhöhe, schaute in das Dorf und spielte Gitarre.

Da kam das Mädchen auf mich zu, vielleicht 13, 14 Jahre alt. Neugierig schaute sie mir zu, kam langsam näher und setzte sich zu mir. Mein Gitarrenkoffer war geöffnet und heraus schauten viele, viele Saiten, die zwar alle schon gebraucht aber vielleicht auch notwendig waren. Das Mädchen griff sich eine Seite guckte mich an und sagte: Kado?

Ich verstand sie nicht. Was für ein Wort? Ihr Name? Was wollte sie von mir? Aber ich nickte erst mal und so steckte sie die zusammengerollte Seite in ihren Rock. Und dann begann ein reges Verhandeln, bei dem herauskam, dass sie selber Gitarre spielte, aber kaum Saiten bekam in ihrer dörflichen Einsamkeit. So schwatzte sie mir eine Seite nach der andern ab, immer mit dem mit der Frage Kado? Kado?

Erst viel viel später begriff ich, das dieses Wort ein französisches war: Cadeux, das Geschenk. Seht Ihr, ich habe nichts verstanden und doch bin ich ganz gut klar gekommen.

Aber auch sie hatte ein Geschenk für mich: Mit schwarze Erde und einem Stift bemalte sie mein Gesicht. Eine Fülle von Linien, Figuren und Bildern – ich fühlte mich gesalbt. Lange dauert dieser schöne Moment.

Nachdem sie ihr Werk vollendet hatte, nahm sie die geschenkten Saiten an sich und verschwand. Ich war auf meine Auszeichnung, wie sie sich in meinem Gesicht zeigte, stolz und lief ungewaschen im Dorf herum. Und kann mich nicht erinnern, das mich jemals einer nach diesem Mal gefragt hat, nur ich wusste, um was es geht.

Am nächsten Tag kam der Dorfvorsteher zu mir. Es war seine Tochter gewesen, mit der ich in dem Berg zusammen gewesen war.

Er lud mich ein, auf sein Moped (Pferd) aufzusteigen, er wollte mich etwas durch die Gegend fahren. Und dann begann eine Fahrt, an die ich mich noch heute erinnere, so schnell so hart und rücksichtslos – aber ich war immer entspannt. Wir haben uns gut verstanden auf dem Moped.

Nachdem er mich so geprüft hatte, ließ er mich absteigen und schenkte mir einen LSD-Trip. Ich hatte natürlich nichts Besseres zu tun, als mir nach diesen Erlebnissen das gute Ding reinzupfeifen und saß dann an dem Tag noch stundenlang bei den Frauen, die den Ofen in der Mitte des Dorfes mit Brotlaiben fütterten. Und wenn ich dann in die Ferne schaute, und sah, wie ein Bauernpaar hinter einem Ochsen das Feld pflügte, dann war ich im 16. Jahrhundert, wenn nicht früher, angekommen.

Leider wollten meine Mitreisenden nun weiterfahren. Ich weigerte mich weil ich den LSD-Trip noch bis zu Ende auskosten wollte. So blieben wir noch ein Tag um dann in Richtung Marrakesch und Casablanca weiterzufahren.

Nun war das Geld endgültig am Ende und wir gingen zur Botschaft und ließen uns das Benzingeld für Rückfahrt vorschießen. Nach Norden übers Mittelmeer nach Madrid – jeweils immer zur die Hauptstadt eines Landes um schrittweise, von Botschaft zu Botschaft, nach Hause zu kommen. Deutschland hat es bezahlt.

Vieles von dieser Reise ist mir nicht mehr Erinnerung geblieben, allenfalls mein nächtlicher Schlaf auf einem dunklen Parkplatz in in Madrid, während vor meinem Fenster sich ein junger Mann einen runterholte. Ich war nicht interessiert.

Irgendwann, Jahre später, kam noch eine Rechnung von der Botschaft. Ich habe sie ignoriert.

Mann, waren das Zeiten.

1

PRAGER WINTER

FLUGBLATT-SCHMUGGEL INS KOMMUNISTEN-LAND

Prag, Na und? Da waren wir doch schon alle mal. Eigentlich nichts Besonderes - wenn es nicht das Jahr 1977 gewesen wäre, die eisige Zeit des Kalten Krieges, am Rande des heißen, wie wir alle vermuteten. SDS-Junkies und Polit-Spaßvögel hatten in dieser Zeit zwar das Sagen, aber wir haben es getan.

Wir – Michaela und ich – wohnten bei Uli auf einem kleinen Resthof, Pampa rundherum und Hannover nah, beileibe kein Abenteuer.

Uli sprach uns an. Er kenne einen tschechoslowakischen Politiker, der in Deutschland Unterschlupf gefunden hatte und sein linke Wühlarbeit in Richtung Tschechoslowakei von hier aus organisierte. Zum Beispiel mit Flugblättern. Ob wir den Nerv hätten in einem umgebauten VW-Bus über die Grenze nach Prag Flugblätter zu schmuggeln, einmal nur, bitte, bitte.

Nun ja, links waren wir aufgrund von Geburt und Leben, und etwas aktiv gegen die autoritär unterdrückenden Regimes des Ostens zu tun – das machen wir, klar. Also, was ist zu tun? (Das, meine lieben Freunde, hat man davon, wenn man selbst recht bedenkenlos ist (die 68er) und eine Frau an seiner Seite hat, mit der man viele tausend Pferde stehlen kann.)

Irgendwann war es dann soweit: Auf dem Hof stand plötzlich ein schöner alter VW-Bus, dessen Innereien über der Achse per Schweißgerät freigelegt worden waren – dort hinein die paar Hundert Flugblätter. Was auf denen stand konnten wir natürlich nicht verstehen, wahrscheinlich irgendwas von „Haut ab, Ihr russischen Schweine aus unserem Land“. Dann wurde die Klappe zugeschraubt, Teppich drüber und fertig war das Schmuggelmonster.

Leider, ja sehr leider funktionierte die Heizung nur ganz weit hinten im Bus, und dann auch nur marginal, Und noch leiderer war es gerade minus 10 Grad kalt, und heimelig stand der Schnee nabenhoch. Wir nahmen uns einen Schlafsack für die Füße mit und planten, uns beim Fahren und beim Schlafsack abzuwechseln.

Los jetzt, ab nach Bayern, hin zur Grenze. Nach 200 Kilometern war der Gasfuß ein Eisfuß, alles entsetzlich kalt, aber uns wärmte unsere Mission. Unten in Bayern scharf links ab, Richtung Prag.

Und nun die Grenze ins kommunistische Großreich – oha. Stockdunkel war es, nur eine gespenstische Schranke, die die Straße absperrte, Posten mit Gewehr, Papiere, warten, warten, warten.

Spione, die aus der Kälte kamen - exakt die Stimmung. Maschinengewehrfeuer jetzt, ach nee, das war nur der Motor - und dann doch freie Fahrt. Kalte, eiskalte Fahrt. Ich weiß kaum, wie wir das überlebt haben, aber angekommen sind wir in einem prachtvollen Prager Hotel. Dort hatte man schon für uns gebucht. Fürstlich, fürstlich, alles vom Feinsten – und der ganze riesige Bau praktisch total leer.

Dann. nachts das entscheidende Telefongespräch, Treffpunktbestätigung Wenzelplatz. Am nächsten Morgen mit den Flugblättern im Kunststoffbeutel machen wir auf „Stadtbesichtigung“. Zunächst wie alle Touristen: Wenzelplatz. Ja dort, wo alle Prag-Fotos das riesige Denkmal zeigen, mit der Sicht auf die lange, 60 Meter breite Straße, da, wo alles passiert in Prag, inmitten in der heißesten Zone des Landes, dort trafen wir unseren Kontaktmann, direkt am Fuß des Denkmals. Geheimdienstler sagen dazu: Sei laut, wenn Du nicht auffallen willst. Das verabredete Zeichen kam. Man stellte sich zusammen, murmel, murmel und ging weiter in eine Nebenstraße. Kurzer Tausch der Taschen und weg. Das war es schon. Immer noch keine Polizei.

Wir verdrückten uns touristisch, blieben noch eine Nacht und dann ab nach Norden, Richtung Berlin. Nicht per Autobahn, nein per Fuß nahezu, so langsam ging es im tiefen, bergigen Schnee. Noch immer erinnere ich mich an das riesige, hohe Hotel inmitten des bergigen Waldes, völlig einsam, Graf Draculas Zuhause, über und über bedeckt mit meterlangen Eiszapfen.

Die Grenze war kein Problem, aber leider war es die der DDR, also immer noch alles gefährlich. Und doch erreichten wir unsere Stadt unversehrt und schwer erleichtert.

12 Jahre später fiel die Mauer. Hat sich doch gelohnt die gute Tat.

(Wenn das mein Vater wüsste, der Verfassungsschützer und MAD-Obrist. Ich höre noch, wie er sich entsetzt im Grab umdreht.)

DAMAS-KUSS

Eine Berührung.

(Von Jürgen und Michaela )

Also fahren wir nach Damaskus. Das, nachdem ich gesagt hatte, dass der gemeinsame Urlaub vielleicht nichts wird und ich dann ja eine Woche allein nach Nordafrika fahren könne. Worauf Michaela den Ober-Terz macht und wir uns auf Damaskus einigten.

Zunächst verschlafen wir – und das nach bester Planung, aber der Wecker ist schuld - kommen aber rechtzeitig in Bremen an. Dann fliegen wir nach Frankfurt, verbringen 1 1/2 Stunden im Flughafen. Optik genießen, gut essen, rumlaufen. Und dann weiter nach Damaskus. In einer Lufthansa-Maschine. Michaela am Fenster.

Im Flugzeug schon ziemlich viele dunkle Gesichter.

Geschäftsleute, Frauen, Männer, Menschen.

Vor Damaskus fliegen wir über eine wüste, wüste Wüste, im weiten Bogen. Sehen Vertiefungen und Hügel, können aber nichts erkennen - es ist schon fast dunkel.

Nach vier Stunden Flug kommen wir an. Es ist eine Stunde später als bei uns, es ist 7 Uhr.

Wir steigen aus. Kleiner Flugplatz. Aber Damaskus.

Im Abfertigungsgebäude dann voller DDR-Mief. Dunkle Soldaten beherrschen die Szene. Hinter jedem Schalter diskutieren sie zu fünft oder sechst über die Papiere der Ankommenden, während einige der Europäer hektisch versuchen, Einreiseformulare in ihrer Sprache zu finden.

Wir halten uns erst einmal zurück, setzen uns in die Ecke und beobachten, wie Menschenschlangen sich bewegen. Viel Bewegung, wenig Ergebnis.

Und als sich erneut ein Schwall von Menschen in das Gebäude ergießt, stellen auch wir uns an.

Die fünf, sechs Zeitschriften, die ich in meinem Wissenswahn gekauft hatte, schenke ich einem Soldaten und einem anderen Mann - beide sehr interessiert.

Und da: Ein Computer hinter dem Schalter, Assad-Bilder an den Wänden, grüne Uniformen, stolze, machtbewusste und leicht gelangweilte Soldaten, karge Räume, viel Kunststoff, arabische Schriftzeichen - welch ein Empfang, so einsam irgendwie.

Ja, wir werden durchgelassen, kommen an stillstehenden Laufbändern vorbei, wo zwei Soldaten als Zollkontrolle stehen. Alle gehen unbehelligt durch, nur ich und die Michaela gucken wohl etwas komisch. Das schlechte Gewissen mit der Flasche Whisky in der Tasche, von der ich nicht wusste, ob sie erlaubt ist. (Auf den Besitz von Haschisch und ähnlichem erwägen die Syrier leider gerade die Todesstrafe). Also kurzes Taschenfilzen, aber nichts gefunden - habe ich gerade meinen Kopf gerettet?

Wir gehen durch die nächste Tür. Und wie eine Wand eine Menschenmenge vor uns, dunkel, schwarz, hinter Absperrgittern, uns gebannt anstarrend - sind wir die, auf die sie warten, wer sind wir?

Und Jürgen war wirklich in Versuchung, anhand dieses großen Publikums einen gemeinsamen Willkommensgruß zu skandieren, lässt es aber dann doch - was weiß ich warum.

Die tausend Menschen machten freundlich Platz und schon - ja wie im Bilderbuch - bietet sich ein Taxifahrer an. Ich schaute ihm tief in die Augen, sah keinen Falsch darin und lasse mich führen.

Auch hier die Optik trist, sozialistisch - allein der Bohnerwachsgeruch fehlte.

Assad, Assad überall. Oh, Gott. Und das mit einem Grinsen auf den schmalen Lippen, das Leute haben, die sich nicht über den Tisch ziehen lassen, sondern selber ziehen. Und es wissen.

Und gibt es nur dieses eine Photo? Nein, es gibt noch ein anderes.

Der Taxifahrer ist kein Taxifahrer. Es ist der Bote der anscheinend zentralen Taxifahrerorganisation, die von einer resoluten, älteren Dame, die wie viele leidlich englisch radebrecht, gelenkt wird. Aber sie weiß, was ich will und bietet uns für 20 Dollar ein Taxi in die Innenstadt an und empfiehlt mir auf mein Fragen ein "Oriental Hotel", eine Bleibe.

Nun gut. Es ist dunkel inzwischen, alles ok. Wir zahlen und fahren durch ein unwirkliches Licht, aber stetig staunend nach Damaskus.

"Einen TÜV haben die hier wohl nicht", waren Michas erste Worte. Warum auch. Schließlich fahren Autos auch ohne Rücklicht, nur ohne Hupe ist man hier verloren. Die Straße, eine Autobahn für Autos, Radfahrer und vieles andere, führt strikt in ein immer dichter werdendes, immer noch sozialistisches Lichtermeer.

Die Augen, lechzend nach Orient, suchen unbefriedigt. Wo sind wir? Allein der chaotische Verkehr, das ständige Hupen, Dröhnen, die neue Unübersichtlichkeit geben Hoffnung, dorthin zu kommen, wohin wir wollen.

Wir biegen in eine Sackgasse ein, halten vor einem Hotel und steigen aus. Drei, vier Araber in einer Rezeption, die keine ist.

Verhandlungen, wir zwei bezahlen ein Zimmer für fünf - teuer, aber ein Zimmer.

Das Gepäck unter dem Arm betreten wir einen Raum, der in seiner Traurigkeit kaum zu übertreffen ist. Fünf Betten stehen in loser Anordnung an den Wänden. Schummriges Licht, graue Wände, ein Assad-Bild, karge Aluminium-Fenster, Fernseher, Schrank, Klima-Anlage und Kühlschrank mit Süßigkeiten und süßen Getränken tun alles, um uns auf uns selbst zurückzuweisen. Und will man das Ganze in seiner Endgültigkeit betrachten, kann man den Lichtschalter für das entsetzliche Neonlicht betätigen.

Unser Zimmer hat einen großen Balkon. Ich schiebe die Tür auf, schaue hinunter. Auch hier die Betonwelt, überall. Schmutz vor dem Hotel, herumstehende Jugendliche. Ein Streit mit dem Fahrer eines nagelneuen Toyota-Pick-up - der Fahrer will für eine Leistung nicht zahlen, fährt davon. Der Junge bleibt sauer zurück, die anderen wollen ihn besänftigen. Er bebt, schreit, geht ein paar Schritte weg in seiner Wut.

Wir tragen uns ein. Und später verlassen wir das Hotel, abwärts per Fahrstuhl, um herauszubekommen, was draußen ist: Die Sackgasse und dann, wie ein Brüllen, die Straße, die Hauptstraße, Menschenmassen, Hupkonzert, neugierige Augen. Wir wenden uns unsicher nach rechts. Arabische Buchstaben überall, wenn wir uns verlaufen, werden wir nie wiederkehren.

Viele Lichter, Verkäufer, Spaziergänger, schwarze Augen, Gestalten - und immer sehr neugierige Blicke, aber warm, auch herzlich.

Vor allem die Hässlichkeit der Gebäude beeindruckt: Beton, Beton und unverputzte Betonblock-Bauten so weit das Auge reicht. Wenig Grün, ein paar Bäume an den Straßenrändern. Wir stolpern immer wieder - der mit Platten belegte Boden ist brüchig und die Bürgersteige erscheinen meterhoch.

Die Frauen meist mit Kopftuch oder ganz im Tschador versteckt, aber auch provozierend modern, meist im Schutz der Gruppe oder eines Mannes. Viele Männer flanieren als Paar untergehakt oder Hand in Hand. Keine Europäer, wir fallen hellhäutig und hellhaarig auf wie Wesen von einem anderen Stern, und besonders Michaela muss sich daran gewöhnen gründlich angestarrt zu werden.

Aber keine bettelnden Kinder, obwohl viel Armut zu sehen ist - als Teil des Ganzen. Und wo immer sich eine lohnende Beschäftigung zeigt, an der Rezeption, beim Verkauf von Säften oder Zeitungen sind es gleich mehrere, die sich darum scharen, junge Männer en masse.

Nie hören die Busse auf, zu hupen. Jedes Manöver, jede Richtungsänderung, jeder Fußgänger auf der Straße wird behupt, in einer Lautstärke, die jeden zivilisierten Europäer auf die Palme gebracht hätte, die dort auch in Vorgärten wachsen.

Wer Assad nicht sehen will, hat keine Chance. Der große Platz, den wir erreichen, wird von einem monumentalen Portrait – hoch, wie das Hochhaus, an dem es hängt - geschmückt, hell bestrahlt von Scheinwerfern.

Der Verkehr brodelt ununterbrochen. Aber kaum Reifenquietschen, kaum erkennbare Regeln. Rätselhaft, wer Vorfahrt hat und warum, aber alle sehen alles, nichts geschieht. Keinen einzigen Unfall haben wir in der folgenden Woche gesehen, obwohl die Autos aussehen, als ob sie schon viele Leben hinter sich haben: verbeult, beschädigt, staubig, bemalt. Und überaus mächtig die Busse, wohl 15 Meter lang, geschmückt bis unters Dach, bemalt, alt, laut und unglaublich kraftvoll sich durch den dichten Verkehr windend. Dazu die kleinen Busse, nicht minder voll, bemalt und laut, überall haltend, und wir beide wissen nun, dass wir nie herausbekommen werden, wohin sie fahren - die arabische Schrift ist ein rückwärts geschriebenes Rätsel.

Wir wandern zurück, immer noch entsetzt über die betonierte Kultur, zurück ins Hotel, hinein ins Bett und schlafen erschöpft ein.

Nachts - wie spät ist es? - werde ich ganz allein von der Stimme des Muezzin geweckt. Sie klingt in wunderbarer Klarheit laut über die Stadt. Das Minarett, von der aus sie zu hören ist, wird von grünen Lampen angestrahlt. Dann sagt es Klick, die Stimme endet abrupt - die Beleuchtung wird mit dem gleichen Schalter ausgemacht, wie die Lautsprecheranlage.

Beruhigt schlafe ich wieder ein. Im Alla Tower Hotel. Damaskus.

Und dort wache ich auch wieder auf. Wir müssen etwas tun, etwas Anderes suchen.

Wir frühstücken auf dem Zimmer: Fladenbrot, Käse, Marmelade und Kaffee in kleinen Tassen, schwarz, stark, türkisch.

Und dann geht es um Geldwechseln. Wir haben Reiseschecks und ein paar hundert Dollar. Es ist ein Abenteuer, weder Straßennamen finden zu können, noch Buchstaben zu verstehen oder Zahlen lesen zu können.

Also frage ich mich durch. Die nächste Bank ist nicht zuständig, die Menschen aber freundlich, mit etwas Englisch ist allen geholfen. In der Bank vor jedem Schalter Menschentrauben, und wäre man sich nicht sicher, dass es alles Menschen wie wir sind, würde man zurückschrecken vor der Fremdheit, Andersartigkeit und Dunkelheit.

Erstaunlich viele Frauen im Bankgewerbe. Sie weisen mir den Weg zur richtigen Bank, und ich erfahre dort, dass ich ohne meinen Pass nicht wechseln kann.

Auch die Tourist Information ist nicht weit. Wir hatten sie schon bei unserem ersten Abendbummel entdeckt und gerätselt, ob das Büro nun aufgegeben, verlassen sei, oder nicht. Nun ist geöffnet. Groß, leer sozialistisch, ganz hinten zwei Gestalten - eine faszinierend geschminkte Sophia Loren der 90er Jahre und ein schüchterner, bärtiger kleiner Mann im Anzug.

Sie versucht mich mit schlangenhaftem Lächeln zu beeindrucken, aber das Mietauto, das ich will, das kann nur er mir besorgen. So bricht sie ihre Bemühungen so plötzlich ab, wie sie sie begonnen hat. Ich werde später wiederkommen, gehe zurück zum Hotel, mitten durch den allerdichtesten Verkehr, wo die Menschen lieber auf der Straße gehen, um auf dem Bürgersteig nicht zu stolpern.

Ein Autosammler würde wahnsinnig werden, Himmel und Hölle gleichzeitig erleben, denn so viele uralte Autos gibt es sonst in ganz Europa nicht. Älteste Amerikaner, Opel Kadett, Mercedes Benz - das Benzin ist billig und Rost hat keine große Chance. Meine Schuhe sind sofort von einer dichten Staubschicht bedeckt. Michaela und ich beim Geldwechseln. Der erste Schalter ist nicht zuständig. Der zweite soll es sein. Nein, hier nicht, sondern im 1. Stock.

Die Kunden tragen lange, fließende Gewänder oder europäische Anzüge. Wir sind Touristen, aber fühlen uns nicht so. Nur Michaelas lange blonde Haare wecken die allgemeine Aufmerksamkeit - alles schaut nach ihr, so habe ich Zeit, die anzusehen, die sie ansehen.

Das große Büro, es geht wohl über das ganze Stockwerk, wird von einer Vielzahl von Schränken und in jeder freien Ecke aufgestapelten Aktenbergen beherrscht. Ein Chaos, das einem deutschen Bürokraten den Angstschweiß auf die Stirn treiben würde. Aber hier weiß man anscheinend, in welchem Stapel welche Akte zu finden ist. Die Atmosphäre ist geschäftig, aber zwischendurch wird auch Tee gebracht, von einem jungen Mann, der hier wohl für den Service zuständig ist. Erstaunlich die vielen Frauen auch hier.

Nach dem Erledigen der Formalitäten warten wir vor der Kasse zusammen mit anderen darauf, unser Geld zu bekommen. Im Kassenraum ein Durcheinander, das sogar den Kassierer an den Rand seiner Fertigkeiten treibt. Ein Kollege, Vorgesetzter kommt, fasst die Hände des Kassierers unter dem Sicherheitsglas hindurch, und es entspinnt sich ein arabisches Zwiegespräch, das sich anhört wie: "Wie geht es Dir Kollege, gegrüßt seien Deine Mutter und Dein Vater, der Himmel sei mit Dir und die Rechnungen in Ordnung." Der andere: "Sei Du gegrüßt. Wie Du siehst, fehlt es mir an nichts außer an Ordnung, Übersicht und Gelassenheit." Der erste: "Du wirst, so wie ich Dich kenne, alles bewältigen, ohne Fehl und Tadel, und am Abend, so er denn komme, wirst Du Allah für einen Tag danken, der Dir viel gegeben hat, auch Sorgen und die Liebe, wie ich sie Dir gebe." Der Kassierer: "So wird es sein. Grüße Deine Familie und sage ihr, dass sie einen guten Vater hat und somit den Segen, den sie braucht, um in dieser Welt ein menschenwürdiges Dasein fristen zu können." Die Hände der beiden lösen sich, und etwas beruhigt versucht der Kassierer, Ordnung in sein Chaos zu bringen.

Dann sind wir dran. Wir haben diese eigenartigen Traveller-Checks unterzeichnet. Geld, das erst dadurch einen Wert bekommt, dass man es unterschreibt. Nun wird daraus ein dickes Bündel Banknoten: Syrische Pfund, Lira, Tausende, 27 für eine Mark.

Damit zur Tourist Information. Die schöne Schlange und der Schüchterne begrüßen uns, und sogleich steigen wir mit ihm in eins der vielen gelben Taxis, die überall auf der Suche nach Kunden herumfahren. Wir fahren aus der Stadt hinaus in ein vornehmeres Viertel, zu einer Autovermietung, hell, sauber, freundlich, förmlich und teuer.

Nach ungefähr 10 Unterschriften bekommen wir einen ziemlich neuen Koreaner, der aber auch schon seine Lebensspuren aufgedrückt bekommen hat. Hinten, vorn, an der Seite und am Spiegel, Kratzer, Beulen, lose Teile - ein ziemlich heiles Auto für Damaskus.

Mit eigenen Mitteln im Verkehr ist auch nicht schlecht. Nur etwas voll ist es, und der Verkehr regelt sich hier über Auge und Ohr. Es geht um Zentimeter, um Nerven, um etwas Mut, Menschenkenntnis, Hierarchiesignale und um den Wert des Lebens im Allgemeinen. Nach dem ersten Spiegel/Spiegelkontakt war ich eingefahren.

Unser frischgetauschtes Geld war fast ganz beim Automieten draufgegangen, nun brauchten wir weiteres Geld, um aus dem Hotel rauszukommen, und natürlich war nun gerade die lange syrische Mittagspause angebrochen. Unser Tourist-Informateur konnte uns helfen und fuhr mit uns in die Altstadt - und, oh Wunder, wir sahen das, was wir wollten: alte Häuser, lebendige Menschen, regen Verkehr auch noch in schmalen Gassen, aber auch Ruhe und ein tiefes Stück Vergangenheit.

Wir stellten das Auto ab und folgten unserem Führer durch eine enge Straße in ein finsteres Haus, die Treppe hoch, wohin? - in Räumlichkeiten, über und über mit kostbaren, einmaligen, seltenen, neuen und gebrauchten Dingen, mit Teppichen, Tüchern, Uhren, Möbeln und Schmuck gefüllt. Kein freies Fleckchen außer dem, wo wir empfangen werden. Man gibt uns zu verstehen, dass der Besitzer gerade nicht da ist, einen kleinen Moment nur - etwas Englisch ist schon viel. Wir bekommen Tee angeboten, den starken, in kleinen Gläsern, der nur mit viel Zucker schmeckt. Unser erster Tee in Damaskus.

Wir sehen uns um, unser Begleiter von der Tourist Information setzt sich ein wenig in die Ecke und beginnt wie schon in der Autovermietung, sich vor sich hin zu bewegen - irgend ein Rhythmus der nur in seinem Kopf zu hören ist, bewegt ihn. Ein Problem, aber kein ernstes.

Dann kommt der Chef. Wir fragen, ob er uns Geld wechseln könnte. Kein Problem. Wir sagen, was der Kurs bei der Bank war, er holt seinen Rechner - nonverbale Kommunikation - alles klar, und ich denke noch, dass er noch ein Geschäft macht, aber eben nicht so toll, dass man sich betrogen fühlt. Wir nützen uns gegenseitig, es könnte schlimmer sein.

Dann, die Taschen voller Geld, sehen wir uns alles an, probieren dies und das, fragten nach Preisen und Material. Wir kaufen Schmuck: ein Armband für Marion Deppe, für Syrien sehr edel und teuer, na, sagen wir mal: fünf Luxusessen für eine Person oder so, eine Fußkette, zwei Seidentücher für die Kinder und eine kleine Silberdose für Hannes und Petra. Diese war, bei viel weniger Masse, genauso teuer wie das Armband.

Im Rahmen dieses geschäftlichen Teils wurden wir auch darüber aufgeklärt, dass der industriell gefertigte Schmuck nach Gewicht bezahlt wird, der handgearbeitete nicht.

Mit großer Freundlichkeit wurden wir verabschiedet. Wir tauschten Adressen, machten die Wege frei für weitere Kontakte - denn immerhin gab es einen syrischen Vetter in Düsseldorf und alles ist möglich, zu schicken und ...

Unser Führer schickte immer voraus. Nachverhandlungen gehören selbstverständlich dazu, Provision. Wir fahren zurück, er empfahl uns ein anderes, ein gutes Hotel gleich in der Nähe. Al Majed.

Langsam bekamen wir die Atmosphäre zu spüren, die wir suchten. Ein Hotel, das etwas orientalisch, etwas europäisch und sehr freundlich war. Große Spiegel in der Rezeption, lang gewandete Gestalten, wartende Araber, ruhige Menschen, kleine Blicke,