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Die SG Dynamo Dresden ist ein Verein, den man einfach lieben muss. Im Gegensatz zu anderen Vereinen, die bereits im März ihre bis Mai aufgetragenen Saisonaufgaben beenden und dann halt neue Rekorde aufstellen müssen, um das Fußvolk zu erfreuen, weiß man bei uns nie, ob das aktuelle Spieljahr aufgrund von ständigen finanziellen Engpässen vielleicht auch gleich das letzte sein wird. Unser Geld, das wir nicht haben, geben wir denen, die es gar nicht so dringend brauchen! In unserer glanzvollen Geschichte haben wir viele verschiedene Ligen kennengelernt. Wir haben Pokale in die Höhe gestemmt und sind durch die Hölle gegangen. Wir haben uns mit den besten Mannschaften Europas gemessen und gegen Dresdner Stadtteilvereine verloren. Man hat uns den DFB-Pokal genommen, wir haben den FDGB-Pokal reaktiviert. Wir waren mehrfach klinisch tot und sind doch immer wieder aufgestanden. Man schreibt uns immer wieder ab, aber wir kehren zurück! Wir sind 61 Jahre alt und noch kein bisschen weise. Wir sind die SG Dynamo Dresden! EINIGE GRÜNDEWeil wir die erste Mannschaft waren, die in einem Pflichtspiel in der neuen Münchner Arena gewonnen hat. Weil wir am größten Fußballspiel aller Zeiten teilgenommen haben. Weil wir 2006 Absteiger der Herzen waren. Weil wir die größte Blockfahne Deutschlands unser Eigen nennen. Weil wir bewiesen haben, dass die Geschichte mit den elf Freunden kein Märchen sein muss. Weil wir zweistellig gewinnen können. Weil die Fans auch nach Mitternacht alles für Dynamo geben. Weil alles eine Schlagzeile wird, was mit Dynamo zu tun hat. Weil wir für Sensationen sorgen können. Weil Marek Penksa in seiner Dresdner Zeit die im-PO-santeste Gelbe Karte erhalten hat. Weil der K-Block immer ein Erlebnis ist. Weil unser Verein bereits mit drei Monaten erstmals Meister der DDR-Oberliga war. Weil wir immer mal wieder gern an uns selbst scheitern. Weil unser ehemaliger Hauptgeschäftsführer Volkmar Köster im Herbst 2005 auch nur ein Mensch war. Weil unser Skandalpräsident Otto auch im Knast noch über dem Stadion präsent war. Weil wir im laufenden Spielbetrieb unser Stadion um 20 Meter verschoben haben. Weil der allererste Drittligatorschütze ein Dresdner ist. Weil das KICKER-Sonderjahresheft jahrelang Torsten Gütschow missachtet hat. Weil sich Dynamo und der DFB eigentlich ganz lieb haben. Weil uns Punktabzüge nicht aufhalten können.
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Seitenzahl: 353
Veröffentlichungsjahr: 2014
Eric Spannaus
WIR SIND DER ZWÖLFTE MANN,
FUSSBALL IST UNSERE LIEBE!
VORWORT
Wenn du dieses Buch über die SG Dynamo Dresden in den Händen hältst und dir sicher bist, es erwerben zu wollen, dann sei dir bewusst, vielleicht etwas völlig anderes zu lesen, als du zuvor vermutet hast. Dieser Verein ist so einzigartig und vielfältig in seiner Geschichte, dass es für mehrere Versionen von 111 Gründen, Dynamo Dresden zu lieben reichen würde.
Erwartest du eventuell den Schwerpunkt auf der überbordenden Geschichte des Vereins? Stehen für dich die hart erkämpften Meisterschaften, die noch heute immer wieder erwähnten Europapokalschlachten oder die oftmals engen Pokalspiele im Mittelpunkt? Hoffst du auf die großen Siege und dramatischen Niederlagen einer längst vergangenen und in sich abgeschlossenen Epoche?
Oder liegt dein Hauptaugenmerk in der vielfältigen Fankultur Dynamos und ihren kreativen Auswüchsen? Könnte ein komplett ausgeschmücktes Dresdner Stadion für dich ein Beispiel sein, diesen Verein zu lieben? Wenn jeder der etwa 30.000 Zuschauer gegen einen sächsischen Konkurrenten eine gelbe, rote oder weiße Pappe in die Höhe hält und damit aus vielen kleinen Puzzleteilen ein großes zusammenhängendes Stadionbild entsteht? Ein großartiges Bild, welches dem Einzelnen, dir wie mir, aus dem Nichts und völlig unerwartet mal wieder intensiv zeigt, nicht nur gerade in einem Buch über den großartigsten Verein zu schmökern, sondern ihm wirklich ein für alle Mal verfallen zu sein? Oder verbietet sich das, wenn genau an diesem Ort Böller auf eigene und Gästespieler geworfen wurden?
Sollte man eher das Engagement der Fans wie die antirassistische Faninitiative namens 1953international oder die, welche die Schuldentilgung im Blick hat, in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung legen? Sollte es vielleicht viel eher im Vordergrund stehen, dass wahrhafte Massen dem Verein, der seit gefühlten zwei Jahrzehnten seinen früheren Erfolgen hinterherhinkt, treu bleiben?
Es könnte auch sein, dass nach dem Lizenzentzug die Rückkehr Dynamos aus der völligen Versenkung der Vierten Liga in den Mittelpunkt gerückt wird. An vorderster Front haben sich dabei meine persönlichen »Helden« Volker Oppitz und Maik Wagefeld gezeigt, welche sich in meiner Wertschätzung auch ohne ein einziges Europapokal- oder Länderspiel keinesfalls hinter einstigen Helden wie Reinhard Häfner oder den beiden Hans-Jürgens namens Kreische und Dörner verstecken müssen. Ist ein drittklassiges Spiel gegen Kickers Emden, gedreht in den letzten fünf Minuten, weniger legendär als ein Halbfinale im FDGB-Pokal 1978, welches ebenfalls erst ganz am Ende einen bereits unerwarteten dynamischen Sieger erhielt?
Wo kann man diesen Verein für die »Alten«, welche die großen Zeiten erlebt haben, oder die »Jungen«, welche von ihr gehört haben, greifen, um allen irgendwie gerecht zu werden? Kann das überhaupt gelingen?
Ist die SG Dynamo Dresden noch derselbe Verein, der er einmal war? Ist er aber wirklich ein anderer, wenn sich in diesen Jahren schwarz-gelbe Fans mehrere Tage vor den Ticketschaltern anstellen, um Karten für ein Relegationsspiel zwischen einem Zweit- und Drittligisten zu erwerben und das langersehnte Ticket dann feiern wie jene, die sich eine oder zwei Generationen zuvor nächtelang für ein Europapokalduell angestellt haben?
Es ist ein Spagat, dem Vorgestern, Gestern, Heute und vielleicht auch dem Morgen Genüge zu tun, aber es sollte wenigstens versucht werden …
Eric Spannaus
EIN ERSTES WORT, EIN ERSTER GRUND
Schon einmal einen Anhänger der SG Dynamo Dresden gesehen? Die Fans sind alles Hooligans, welche provozierend und ständig betrunken Angst und Schrecken verbreiten. Wer dem erlebnisorientierten Pöbel mit den falschen Vereinsklamotten oder Aufnähern im Weg steht, hat diese samt Schal und Fahne abzugeben. Vielleicht werden rote-weiße Sachen des FSV Zwickau geduldet, aber das ist nur die einzige Ausnahme, welche die Regel bestätigt.
Unser Verein hatte seinen Tross noch nie im Griff, und eigentlich ist es doch eine Überlegung wert, ihn endlich aus dem Ligenbetrieb zu entfernen, wenn schon die ausgesprochene Sperre im DFB-Pokal nicht fruchtete. Zwischen 2002 und 2011 gab es 28 Verurteilungen und 16 Abmahnungen des Sportgerichtes gegenüber Dynamo.1 Wir sind unbelehrbare Wiederholungstäter.
Im nebelnden Rauch, welcher ständig in und um unsere Fanblöcke aufsteigt, ist unsere Liebenswürdigkeit und sichere Orientierung irgendwann verloren gegangen. Die beste Zeit des Lebens ist die zwischen dem 20. und 35. Geburtstag. So war es bei uns auch. Obwohl: Wir hatten unseren Höhepunkt mit 36. Knapp drüber! Wir haben es ausgekostet, und danach ging es wie in unser aller Leben bergab, erst langsam und kaum spürbar, dann rasant und gewaltig. Noch heute sehnen wir uns nach den Zeiten zurück, die wohl nie mehr kommen werden. Erfolg definieren wir inzwischen großzügiger. Euphorie besteht schon, wenn wir mal drei Spiele am Stück nicht verlieren.
Die Geschäftsführung Dynamos, die in regelmäßigen Intervallen selbst hinwirft oder durch vereinsinterne Hinterlist hingeworfen wird, ist eine einzige Marionette des Aufsichtsrates, der Grauen Eminenz im Hintergrund. Dieser entscheidet letztendlich über die sportlichen Pläne derer, die es eigentlich verantworten sollten.
Ebenso sind unsere ständig wechselnden Trainer nicht zu beneiden. Sie scheitern wiederholt an den unterirdischen Trainingsbedingungen oder den ungezählten Vollzeittrainern aus dem schwarz-gelben Umfeld. Letztendlich sind es auch einzelne Spieler, welche, wenn es um einen neuen teuren Vertrag geht, zeigen, dass sie einen Ball stoppen können, ihn aber dann, wenn die Unterschrift unter dem neuen Kontrakt getrocknet ist, nicht mehr planvoll weiterspielen können.
Der langfristige Plan unseres Vereins besteht aus der ständig betriebenen Flickschusterei. Mit den Füßen wird niedergetrampelt, was in wenigen kontinuierlichen Jahren gesät wurde und langsam hätte zu wachsen beginnen können. Die Folge ist ein Verein, der davon lebt, dass aktuelle sportliche Entscheidungsträger mit den Ideen und Plänen ihrer Vorgänger arbeiten müssen.
Mein Verein befindet sich seit weit mehr als einem Jahrzehnt knapp vor der Insolvenz. Manchmal schienen wir uns bereits stillschweigend mittendrin zu befinden, bis wieder ein neuer Rettungsanker geworfen wird und uns ankettet. Einige Jahre später fällt der dann garantiert auf den Kopf der Nachfolger des Nachfolgers vom Nachfolger.
War es erst die Goldgräberzeit der Wende, welche gute dynamische Spieler für wenig Geld in die Bundesliga spülte und im Gegenzug einen gebrauchten Mannschaftsbus nach Dresden brachte, so waren es, als die ersten Millionen unerklärlicherweise versickert sind, selbst ernannte Fachleute aus verschiedenen Himmelsrichtungen, die den Verein noch weiter herunterwirtschafteten.
Das Stadion verfiel währenddessen. Die Weltmeisterschaft 2006 hätte vielleicht sogar ein kostengünstiges neues mit vielen Fördermillionen für die Stadt gestellt, wenn, ja wenn sich zu dieser Zeit nicht mehr als je zuvor die Sinnfrage gestellt hätte. Ein WM-taugliches Stadion für einen maroden Viertligisten? Das war den Entscheidungsträgern letztendlich zu heiß.
Aber Dynamo hat sich irgendwie wieder aufgerappelt, mit dem Fachverstand eines Trainers, der Cleverness eines Teilzeitmanagers und einem Geschäftsführer, der zur richtigen Zeit auch mal den überschäumenden äußeren Erwartungsdruck aushalten konnte. Parallel entwickelten junge Anhänger eine neue Art der Unterstützung des Vereins und schlossen sich zu den Ultras Dresden zusammen. Verkürzend zusammengefasst entstand durch sie der inoffizielle Nachfolger der legendären Dresdner Stadionshows aus den letzten wirklich großen Jahren.
Doch mit der Veränderung, welche den Verein vor der Beliebigkeit gerettet hat, ist auch die Krux der heutigen Wahrnehmung enthalten. Die neue Stadionshow war laut, hell und ziemlich heiß. Sie wurde in Dresden wahr- und angenommen, und im Inneren unseres Fußballtempels wurde es wieder sichtbar voller.
Der Sportgerichtsbarkeit war das Unangepasste der Dresdner ein Dorn im Auge, und das wurde abgestraft. Die Presselandschaft saugte den Knatsch begierig auf und verkürzte das Geschehen, dass es in eine Schlagzeile passte und sich weiter schön erhitzte. Parallel hielten Schlagworte wie »Kommerz«, »Tradition«, »Fankultur« und »Moderne« nicht nur in Dresden Einzug. Es folgte für unseren Verein ein Spagat zwischen dem harten Kern seiner Fans und dem Verband, welcher Dynamo innerlich zerreißt, und die Spirale drehte sich immer weiter.
Die am Anfang genannten Verurteilungen und Abmahnungen sowie die öffentliche Wahrnehmung haben zunehmend eine Schlinge um den Hals des Vereins gelegt. Zwischenzeitlich glaubte man fast, dass sich eine Annäherung zwischen den Streithähnen anbahnen könnte, doch die aktuelle Saisonauftaktansprache der Ultras lässt anderes erahnen. Zwar erfolgte eine Distanzierung von Böllern, jedoch keine vom aktiven Nutzen der Pyrotechnik, welche unsere neue Stadionshow jahrelang begleitete. Dafür werden auch neue Strafgelder für den Verein in Kauf genommen sowie die weitere Zementierung unserer bereits dürftigen Außenwahrnehmung. Unsere Bewährung für alte Verfehlungen läuft fast eine ganze Saison. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sie uns vor dem aktuellen Saisonende auf die Füße fällt.
So sieht es aus, wenn man einen ersten kleinen Blick von außen auf die SG Dynamo Dresden wirft. Es klingt nicht wirklich positiv. Es zeichnet das graue Bild eines Vereins ab, der noch in und von der Vergangenheit lebt. Harter Tobak, aber schließlich gibt es noch 110 Gründe, viele verschiedene Farben hinzuzufügen und damit zu zeigen, dass »Dresden … anders ist«.
KAPITEL 1
2. GRUND
Weil ich im größten Erfolg zum Verein gefunden habe und bis heute geblieben bin
Von der Familie habe ich meinen Faible für Dynamo Dresden nicht. Einzig mein Opa spitzte jeden Samstag ein Ohr für den Verein, wenn er am Küchentisch vor dem Radio saß und bei den Übertragungen der Spiele mitfieberte. Da hatte Ruhe zu sein. Dies war für kleine Rabauken von nicht einmal zehn Jahren so jedoch nicht umsetzbar. Also mied ich die Küche, wenn ich an der Tür bemerkte, dass ein Sportreporter kommentierte.
Mein Vater, meine Mutter oder andere Verwandte hatten mit dem Ball überhaupt keine Freude. Es waren nicht die besten Voraussetzungen, ein Fan der SG Dynamo Dresden zu werden. Der wurde ich dennoch und zwar im Verlauf einer ganzen Saison, der erfolgreichsten der gesamten Vereinsgeschichte. Das überhaupt erst einmal richtig einzuordnen, dauerte eine lange Zeit.
Spielte Dynamo, so konnte ich die Aufregung in der ganzen Stadt bemerken. Vor allem vor internationalen Spielen nahm ich es wahr. Die Spannung, die vor den Spielen spürbar ist, hat im 70. Grund einen Platz in diesem Buch erhalten. Dynamo Dresden war und ist noch heute der Mittelpunkt der Stadt.
Die ersten beiden Runden um den UEFA-Pokal waren mir noch relativ egal, dann kamen Ende des Jahres die Achtelfinalspiele gegen den AS Rom. Ich war altersbedingt weder politisch vorbelastet noch vorgebildet. Für mich klang der AS Rom nach großem Fußball, und von Rudi Völler, der damals für die Römer auflief, hatte ich schon einmal gehört. Wer in Italien spielte, musste schon besonders gut sein, also war das auch eine große Mannschaft, in der er spielte. – Kinderlogik, gar nicht so verkehrt.
Und wir gewannen! Mein Opa war nach dem Spiel sehr zufrieden. Leider sah er in seinem Enkel nicht unbedingt einen adäquaten Gesprächspartner, wodurch die Fragen, die ich hatte, unbeantwortet blieben. In meiner Klasse erwachten zu dieser Zeit noch weitere kleine Dynamo-Fans, doch deren Wissen war ähnlich rudimentär.
Ich begann, alle Zeitungsberichte über Dynamo zu lesen. Der Briefkasten wurde ein enger Freund nach Schulschluss. Hier las ich nach dem Rückspiel, das »Ein 4:0 am Ende in der Gesamtrechnung … die Sensation dieser Achtelfinalrunde des UEFA-Cups …« gewesen sei.2
Ich wollte noch mehr wissen. Dass Dynamo parallel die Oberliga dominierte, hatte ich inzwischen auch bemerkt. Das Viertelfinale im Europapokal gegen Victoria Bukarest ist mir aus heutiger Sicht nicht so in Erinnerung geblieben. Das Halbfinale jedoch beschäftigt mich noch heute.
Während des Hinspieles waren meine Klasse und ich auf unserer ersten Klassenfahrt im Zittauer Gebirge. Die Anspannung vor den Europapokalspielen hatte sich inzwischen auch auf einige meiner Klassenkameraden übertragen. Jens hatte ein Radio dabei und war unser Held. Gemeinsam saßen wir in Schlafanzügen zwischen den Doppelstockbetten und lauschten gebannt der Stimme des Reporters, der uns gedanklich nach Stuttgart mitgenommen hatte. Unsere Klassenlehrerin lauschte seinen Worten ebenfalls. Sie war wahrscheinlich genauso von der Spannung des ersten Halbfinalspiels angesteckt wie wir. Mit geschlossenen Augen folgte ich den Beschreibungen des Reporters. Mit den Bildern, die in meinem Kopf entstanden, erlebte ich meinen ersten Stadionbesuch.
Das 0:1-Ergebnis bot einige Möglichkeiten, im Rückspiel eventuell noch das Finale erreichen zu können. Davon waren wir überzeugt, als wir nach dem Spiel völlig fertig waren. Dass wir uns gerade im größten Moment der Vereinsgeschichte befanden, ist für mich auch heute noch etwas Besonderes. Ich habe die ganzen Meistertitel und Pokale in den 70ern verpasst, aber der Moment, in dem es bei mir so richtig eingeschlagen hat, ist der tatsächliche Höhepunkt Dynamos!
Das Rückspiel verfolgten mein Bruder und ich ebenfalls am Radio. Wir hatten unsere Eltern nicht in unsere Pläne eingeweiht. Um keine ungewollte Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen, waren wir ungewohnt pünktlich bettfertig. Das Radio hatten wir vor dem ersten elterlichen Blick gut versteckt, und als sich die Tür von außen schloss, begann für uns das Spiel der Spiele. Ab jetzt war ich Feuer und Flamme, seit der ersten Spielminute.
Knapp zwei Monate später endete die Oberligasaison mit dem siebten Meistertitel nach zehn Jahren Berliner Glücksseligkeit. Inzwischen kam es immer öfter vor, dass ich neben meinem Opa saß, wenn am Wochenende ein Spiel im Radion zu hören war.
3. GRUND
Weil mein erster Besuch des Stadions gut ausgegangen ist
Ich bin Fan von Dynamo geworden, ehe ich sie überhaupt einmal im Stadion erlebt habe. Meine Eltern hatten kein großes Interesse, mit mir im Regen in einem Block zu stehen, wo 22 Spieler einem Ball nachlaufen, nur gebrüllt wird und außerdem immer irgendwas passiert. Gegen diese Totschlagargumente kam ich, gerade einmal zehn Jahre alt geworden, noch nicht an. Der Einzige, der mir hätte helfen können, war mein Opa, der sein Ohr noch immer bei jeder Radioübertragung hatte, aber selbst nie im Stadion gewesen war. Es gab für mich keinen innerfamiliären Fürsprecher und daher auch vorerst keinen Besuch im Stadion.
Alles, was ich mitbekam, waren die samstäglichen Zusammenfassungen in der ARD-Sportschau. Nachdem 1992 die Senderechte an SAT.1 gingen und wir in Dresden noch immer ahnungslos lebten, durfte ich hin und wieder das Aktuelle Sportstudio im ZDF schauen. Neben Radioübertragungen zu hören, las ich Zeitungsartikel, die zwei Tage später erschienen. Sternstunden waren natürlich, wenn es mir gelang, im richtigen Moment bei jemandem zu sein, der eine Satellitenschüssel oder Kabelfernsehen sein Eigen nannte.
Meine Eltern blieben unnachgiebig, mussten aber langsam anerkennen, dass Dynamo höchstwahrscheinlich nichts war, was etwas anderem weichen würde. Irgendwann war ich so weit gekommen, dass sie ihr kategorisches Nein zu einem »auf keinen Fall allein« aufweichten. Ich bemerkte die dezente Veränderung in ihrer Aussage. Als ich einen unserer Nachbarn mit einem schwarz-gelben Schal an mir vorbeilaufen sah, wusste ich, was zu tun war.
Am gleichen Abend erzählte ich meinen Eltern von meinem Plan, mit Herrn Wahl ins Stadion zu marschieren. Sein Nachname war Programm. Er war riesengroß, breitschultrig und das Allerwichtigste: Er war erwachsen. Wenn jemand zu einem Bodyguard taugte, dann war er es. Meine Eltern hatte ich dermaßen überrumpelt, dass ihnen auf die Schnelle kein Gegenargument mehr einfiel. Herr Wahl konnte damit leben, mir als übergroßer Schutzschild einen Stadionbesuch zu ermöglichen.
So durfte ich am 12. November 1994, mehr als fünf Jahre nach meiner Erweckung, erstmalig das Innere eines Fußballstadions erleben. Im Nachhinein war es wohl gut, dass meine Eltern nichts über unseren Gegner wussten, außer dass er laut der Aussage meines persönlichen Beschützers als Aufsteiger aus einer kleinen Stadt garantiert nur wenige Fans mitbringen würde und unsere Fans als zu erwartender Sieger bestimmt eher Feierlaune haben würden als alles andere. Herr Wahl war ein positiv denkender Mensch, der wusste, was man laut sagen sollte und wie man unbegründete Sorgen von Eltern vermied.
Die Geschichte um das erste Aufeinandertreffen vor ungefähr acht Jahren, als wir im Europapokal bereits einmal nachhaltig aufeinandertrafen, war in diesem Gespräch kein Thema. Ich hatte zwar schon davon gehört, dass es da ein Wahnsinns-Spiel gab, stöberte jedoch noch nicht in der Vereinsgeschichte herum.
Ich war aufgeregt und stolz wie Bolle und genoss schon vor dem Anpfiff meinen ersten Besuch. Herr Wahl »beschützte« mich, während wir schräg hinter einem der Tore standen, direkt im äußersten Winkel des bereits damals berühmten K-Blocks. Der Anpfiff war kaum ertönt, als ich das Spiel mit all seinen Protagonisten in mich aufsog. Ich behielt, anders als am Radio, die Augen geöffnet und genoss die unbekannten Freiheiten, selbst entscheiden zu können, wohin sich mein Blick richtete. Erstmals sah ich, was die Kameras nicht einfingen. Plötzlich war es gespenstig still, denn Uerdingen hatte zum 1:0 getroffen.
Die heute oft erlebte Dauerbeschallung durch den eigenen oder auswärtigen Anhang gab es in der Form noch nicht. Es war sogar möglich, mit einem gut geplanten Ruf auf den Rasen gehört zu werden. Kurz vor der Pause gelang der Ausgleich. Thomas Rath war der erste Dresdner Torschütze, dem ich kräftig zujubelte. Anfang der zweiten Hälfte gab es die kalte Dusche und die endgültige Sicherheit, sich in einer schweren Saison zu befinden. Uerdingen erzielte noch ein Tor und markierte damit den Endstand von 1:2.
Ich schwankte euphorisiert neben meinem Bodyguard nach Hause. Nun endlich hatte ich einen ersten kleinen Einblick, was da drinnen so vor sich ging. Es war das letzte Heimspiel unseres Trainers Siegfried Held. Die Abwärtsspirale, die bereits Fahrt aufgenommen hatte, drehte sich schneller und zog uns mit sich, und ich war dabei.
4. GRUND
Weil das kicker Sonderheft Torsten Gütschows Leistungen jahrelang missachtet hat
Da ich das Stadion in der gesamten Bundesligazeit von Dynamo nur einmal von innen gesehen habe, benötigte ich etwas anderes, um meine Zeit mit dem Verein zu verbringen. Nach dem ersten Bundesligajahr war Dynamo als einzige Ostmannschaft übrig geblieben und war nun das Aushängeschild des ganzen Fußball-Ostens. Vor der zweiten Saison war ich sehr nervös. Was würde uns erwarten?
In der Sommerpause kaufte ich mir mein erstes kicker Sonderheft. Dieses Heft wurde über die Jahre so etwas wie eine Bibel für mich. In ihm fand ich alles, was ich teilweise nicht einmal suchte. Die höchsten Siege der verschiedenen Vereine, die fünf Spieler mit den meisten Einsätzen und die kompletten Kader aller Bundesligamannschaften.
Vor allem fesselte mich natürlich mein Herzensverein. Während ich von der Oberliga nur die letzten zweieinhalb Jahre erlebt hatte und meine Vorstellungskraft nicht annähernd an die 392 Oberligaspiele eines Hans-Jürgen Dörner heranreichte, war ich jetzt von Anfang an dabei. Natürlich gab es nach dem ersten Jahr noch nicht so viel zu sehen, und die Listen waren gegenüber Vereinen wie dem Hamburger SV oder dem 1. FC Köln eher niedlich. Aber es gab Vereine wie den 1. FC Saarbrücken, an die wir bald herankommen könnten.
Das Sonderheft begleitete mich das gesamte Jahr. Es wurde immer wieder hervorgekramt, wenn ich während der Saison mitbekam, dass Spieler X oder Y sein zehntes Saisontor erzielt hatte oder ein anderes Jubiläum feierte. Auch war ich firm darin, zu wissen, von welchem Verein ein Spieler wohin gewechselt war. Dass ich die meisten Gesichter den einzelnen Mannschaften zuordnen konnte, versteht sich von selbst.
Gespannt wartete ich auf das Erscheinen meiner Bibel im folgenden Sommer. Dynamo hatte inzwischen zwei Jahre in der Bundesliga bestanden. Zittrig öffnete ich das Heft, als ich es endlich in den Fingern hatte. Es hatte Verschiebungen in den einzelnen Listen gegeben. René Müller hatte noch immer sämtliche absolvierten Spiele auf dem Feld erlebt und war als bester Dresdner inzwischen bei 72 Einsätzen angekommen.
Aber bei den Torschützen hatten die was vergessen.3 Da teilte sich Torsten Gütschow den Sonnenplatz mit Dirk Zander. »Horstl« war einer meiner ersten Fußballhelden, er hatte aber nicht zehn-, sondern zwölfmal ins Bundesligator getroffen. Inzwischen spielte er in Istanbul und interessierte sich aus der Türkei wahrscheinlich nur bedingt dafür, ob seine letzten beiden Tore aus der Saison 1992/93 aufgeführt waren; aber für mich, der die Entwicklung der eigenen Mannschaft in einer neuen Liga mitverfolgen konnte, war diese Liste ganz elementar, und sie war falsch!
Ich war enttäuscht. Die Artikel über die 18 Vereine vor der Saison waren für mich nebensächlich. An die Überschrift, »Ein Held und sein Marschall-Plan«, erinnere ich mich noch heute, aber eher beschäftigten mich damals diese zwei fehlenden Tore.
Glücklicherweise war Dynamo Dresden auch nach der »4-Punkte-Saison« ein Vertreter der Ersten Bundesliga, und erneut kaufte ich mir das Sonderheft. Ich ging fest davon aus, dass der verantwortliche Redakteur seinen Fauxpas mitbekommen hatte oder durch einen interessierten Leser hingewiesen worden war. Freudig schlug ich das neu erschienene Büchlein auf und sichtete die Zahlen. Die meisten Spiele, 96 an der Zahl, hatte inzwischen Detlef Schößler absolviert. Sein persönliches Jubiläum nahte. Die meisten Tore hatte …
… ich konnte es nicht fassen! Der »Marschall-Plan« hatte gut funktioniert. Die elf Saisontore des Olaf Marschall waren korrekt eingetragen, aber er war nun mal nicht bester Bundesligatorschütze der Dresdner, das war unverändert Torsten Gütschow. Den fand ich auf dem Silberrang mit zehn Treffern aufgelistet.4
Als Dynamo nach der vierten Saison in der Ersten Bundesliga keine Lizenz mehr erhielt und zwei Ligen tiefer mit einer völlig neuen Mannschaft begann, beschloss ich, selbst aufzupassen, wer wann wie viele Spieler absolviert und Tore erzielt hatte. Torsten Gütschow erhielt viele Jahre später seine verdiente Toreszahl. Im Sonderheft anlässlich 50 Jahre Bundesliga gab es noch einmal eine Auflistung der Besten. Da stimmte dann endlich alles.
5. GRUND
Weil es bei Dynamo den Klub der älteren Semester gab
Als die Lizenz verloren war, habe ich regelmäßiger ins Stadion gehen dürfen. Ich hatte inzwischen auch ein Alter erreicht, wo ein durch meine Eltern ausgesprochenes Verbot eher eine Herausforderung darstellte, als es zu akzeptieren. Zähneknirschend ließen sie mich eigene Erfahrungen im Stadion sammeln.
Mit ein paar Schulfreunden war ich ab da immer wieder im Stadion, und gemeinsam erlebten wir den sichtbar gewordenen Absturz hautnah mit. Zuerst natürlich da, wo es am lautesten und auch unkorrektesten zuging, in dem Block, wo ich mein erstes Spiel erlebt habe. Mir wurden Geräusche und Rufe bewusst, die ich beim ersten Besuch nicht wahrgenommen hatte. Affenlaute, Arschlochrufe, Drohungen. Selbst wenn die Gürtellinie bereits von Anfang an sehr leger hing, wurde sie während eines Spieles gegenüber dem Schiedsrichter und den gegnerischen Spielern noch mehrfach tiefer gelegt. »Weißflog, deine Frau geht fremd, und sie f***t im Unterhemd.«
Es war das erste Regionalligaheimspiel, und Ralf Minge lief zielstrebig zur falschen Trainerbank. Ich sah das sächsische Derby, welches nach vier Spieljahren seine Neuauflage erlebte. Inzwischen 16 Jahre alt, fühlte ich mich zwischen den grölenden Massen unwohl. Zum Glück sahen es meine Freunde ähnlich, und so wanderten wir nach einem traurigen Versuch in den benachbarten Block L ab. Dass wir uns da genau zwischen der lauten Fanszene, aus der später die Ultras Dresden entstanden, und den Hools aus Block M niederließen, hätte meinen Eltern garantiert besorgt. Zum Glück wussten sie es nicht, wir zu dieser Zeit übrigens ebenso wenig.
Ich beschreibe hier die Regionalligazeit Mitte der 90er-Jahre kurz nach dem Lizenzentzug und nicht das Heute, aber wenn’s beim ersten Kennenlernen nicht funzt, wird’s am Ende selten die heiße Liebe.
Im Block L war es bedeutend ruhiger. Dort sammelten sich die älteren Semester, welche die erfolgreichen Zeiten des Vereins erlebt hatten und dementsprechend litten. Als wir uns das erste Mal dazugesellten, wurden wir nicht einmal kritisch beäugt, sondern einfach ignoriert. Sie wollten ihre Ruhe haben.
Aufgrund der tristen Zeit wurden wir glücklicherweise nicht als Erfolgsfans verhöhnt. Als gleichberechtigt wahrgenommen wurden wir jedoch definitiv auch nicht. Da wir nicht miteinander sprachen, gaben wir einigen von ihnen Namen. Da war ein älterer Anhänger, den wir aufgrund seines gestrickten Pullovers mit dem großen »D« in der Mitte »Martin« tauften. Neben ihm stand »Wolle«, dazu gesellte sich regelmäßig »Horst mit seiner Fahne«. Martin, Wolle und Horst mit seiner Fahne waren nicht nur vor dem Spiel ruhig, auch währenddessen waren sie stille Beobachter der spielerischen Offenbarung, die da auf dem Feld abgeliefert wurde.
Wir schauten uns das Spiel an und betrieben unsere pubertierenden Sozialstudien, jedoch fühlten wir uns deutlich wohler als bei den tobenden Fans. Nach mehreren Spielen im gemeinsamen Block nickten wir uns dann zu, was nahezu die Endstufe unserer Beziehung darstellte.
Martin war der Trainer unter den dreien. Er beobachtete und nahm dann in der Halbzeitpause das Spielgeschehen auf dem Feld auseinander, dass man sich durch seine Beschreibungen wieder mittendrin befand. Ich konnte wie früher die Augen schließen und war trotzdem dabei. Wo welche Chance ihren Anfang genommen hatte und wer wann nicht aufgepasst hatte – Martin hatte alles gespeichert. Seinen Halbzeitbeobachtungen zu folgen wurde zu unserem unausgesprochenen Highlight.
Gegen Ende des Spieles wurde es dann auch in unserem neuen Block lauter. Horst mit seiner Fahne war ein wenig der Einpeitscher. Wedelte er, begann Wolle, die Energie seines Kumpels in gebrüllte Lautstärke umzuwandeln. Martin stand und beobachtete weiter. Besonders gegen die Reinickendörfer Füchse, als Jörg Schmidt fast zeitgleich mit dem eigentlich erwarteten Schlusspfiff doch noch das 1:0 erzielte, explodierte auch unser Block an ungewohnten Gefühlsaufwallungen. Wir lagen uns kurz in den Armen und feierten einen glücklichen Sieg.
Ich weiß bis heute nicht die wirklichen Namen von Martin, Wolle und Horst mit seiner Fahne, sie waren aber am ehesten meine Mentoren, wenn man seine eigene Art des Fandaseins beschreiben möchte. Sie waren die Art Fan, zu der ich selbst geworden bin. Ein stiller und genauer Beobachter des Spieles. Ich leide 90 Minuten mit und speie am Ende das ganze angestaute Adrenalin verbal aus.
6. GRUND
Weil sich unsere Idole den Ball zuspielten, während wir ihm nachrannten
Der Ambulante Kinderhospizdienst Dresden begleitet Familien mit lebensverkürzend erkrankten Kindern in ihrem Alltag.5 Ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geben ihr wertvollstes Gut, ihre Zeit, um Freiräume für die betroffenen Familien zu schaffen. Das Geld, um die Dienste arbeitsfähig zu gestalten, muss zum überwiegenden Teil über Spenden gesammelt werden. Zum Glück gibt es Leute wie Oliver, die ein Talent zum Organisieren haben, ein weitreichendes persönliches Netzwerk und vor allem Ideen.
Im Sommer 2009 fand ein Fußballturnier zugunsten des Dresdner Dienstes statt. Zehn Mannschaften kämpften auf einem Halbfeld um einen Pokal, zuallererst jedoch um Tore. Jedes einzelne war Oliver fünf Euro wert. Wir nahmen als begünstigter Verein selbst mit einem bunten Team teil. Zusammengestellt aus ehrenamtlichen Mitarbeitern, betroffenen Vätern, Freunden und Bekannten, befand ich mich nach langer Zeit mal wieder selbst aktiv auf einem Fußballplatz. Die Kondition würde nicht lang reichen und mein fußballerisches Know-how war ausbaufähig, dennoch waren wir guter Dinge, denn wir hatten einen Trumpf, der es für uns richten würde.
Thomas Rath, der erste Torschütze, welchem ich im Stadion zujubeln durfte, befand sich unter uns. Es konnte gar nichts schiefgehen. Jedoch konnte er vorn gar nicht so viele Tore schießen, wie wir hinten durchließen. »War fünf Euro wert«, wurde schnell zum geflügelten Wort, um die eigenen konditionellen Dissonanzen zu kaschieren. Für mich gab es bei jedem gegnerischen Angriff genau einen Versuch, ihn zu unterbinden. Gelang das nicht, »war (es) fünf Euro wert!«, denn wenn Ball und Gegner an mir vorbei waren, holte ich sie garantiert nicht mehr ein.
Für das Finale reichte es nicht, aber wir hatten trotzdem viel Spaß. Wie oft spielt man schon mit einem ehemaligen Bundesligaspieler in einer Mannschaft? Vor dem Finale wurde gebeten, dass von den Truppen, die ausgeschieden waren, sich noch einmal jeweils ein Spieler auf dem Platz einfinden solle. Unsere Begeisterung hielt sich in Grenzen. Wir waren platt, frisch geduscht und spürten Muskelstränge, die wir im Alltag gar nicht nutzten.
Das änderte sich schlagartig, als ich sie zum Sportplatz schlendern sah. Ralf Minge, flankiert von Volker Oppitz, Maik Wagefeld, Axel Keller und einem Spieler, den ich nicht richtig zuordnen konnte. Zusätzlich streifte sich Thomas Rath ein gelbes Leibchen über. Ein dynamisches Allstarteam würde gegen uns antreten. In mir erwachten neue Kräfte. Ich wollte, ich konnte und ich würde!
Auch in die anderen ausgeschiedenen Turnierhelden kam Bewegung. Unser zusammengewürfeltes Team war auf einmal zahlenmäßig fast schon zu gut besetzt. Ich stellte mich demonstrativ auf das Feld. Das musste ich erleben.
Schnell bekamen wir gezeigt, wie ein Spiel aussehen könnte, wenn man den Ball beherrschte. Wir flitzten, während sich unsere Helden die Bälle zuspielten. Ihre Pässe kamen an, ich staunte. Der Ball tropfte an Maik Wagefeld ab und wurde von ihm zu Ralf Minge weiterbefördert. Dass ich schnaufte und eher ein Hindernis als ein Mitspieler meiner Mannschaft war, war mir völlig egal! Ich war dabei.
Der überwiegende Teil ihrer finalen Pässe war im Anschluss »fünf Euro wert«. Die, die es können, hatten rasch 45 Euro erspielt und nahmen nun mehrere Gänge raus, um uns Geld einspielen zu lassen. Mir gelang es, das Klischee der runden Fußballerbeine zu bedienen, als ich ungeplant Ralf Minge tunnelte. Leider war das keine fünf Euro wert.
Sie ließen uns gewähren. Als ich erschöpft im Strafraum ankam und über meine Beine zu Boden glitt, ertönte ein Pfiff und der Schiri zeigte grinsend auf den Punkt. Maik Wagefeld half mir hoch und meinte, dass er mich irgendwann zu Boden hätte befördern müssen, wenn ich nicht langsam mal selbst gefallen wäre. Unter gütiger Hilfe des Torwartes gelang es mir, dass mein »Schüsschen« noch über die Linie kullerte.
Am Ende des Tages wurden insgesamt 1.000 Euro für die Arbeit des Ambulanten Kinderhospizdienstes Dresden erspielt, über eine Tombola eingenommen und mit Essen und Trinken erwirtschaftet. Es war, auch wenn es nur eine Gaudi war, ein großes Erlebnis, zwischen aktuellen und einstigen Fußballgrößen auf dem Fußballfeld zu stehen.
Ralf Minge ließ es sich einige Wochen später nicht nehmen, mehrere vom Dienst begleitete Familien und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu einem Punktspiel ins neu eröffnete Stadion einzuladen. Das Spiel wurde nach zweimaliger Führung gegen Kickers Offenbach noch mit 2:4 verloren, war für die Eingeladenen dennoch ein großes Erlebnis.
7. GRUND
Weil mir Dynamo ganz nebenbei gezeigt hat, wie mein Kind größer wird
Als Fan von Dynamo hat man es nicht immer leicht. Diese Lektion wurde mir rasch eingeimpft. Während andere Mannschaften lange Zeit vor Saisonende Planungssicherheit haben und sich in Ruhe auf das kommende Spieljahr vorbereiten können, tanzen wir vorwiegend auf einer dünnen Schnur am Abgrund entlang.
Am 14. April 2014 spielte Dynamo unter Montagsflutlicht gegen den TSV 1860 München und gewann erstmals nach vorher 13 missglückten Versuchen. Der Abstand zu einem direkten Abstiegsplatz war größer geworden. Als ich am darauffolgenden Morgen meinen Sohn für die Schule weckte, gab es eine kleine Sequenz, in der ich von jetzt auf gleich gezeigt bekam, dass er größer und reifer geworden ist. Andere Eltern werden ähnliche Momente sicherlich kennen.
Ich war noch völlig euphorisiert und wollte ihm rasch mitteilen, was am Vorhabend passiert war. Das süße dynamische Gift, das ein Vierteljahrhundert zuvor aus mir einen Fan gemacht hat, hat bereits eine spürbare Wirkung auf ihn hinterlassen, aber als Vater möchte man ja auch sichergehen. Wenigstens ein weiterer Fan, wenn schon die eigene Frau immun gegen die Farben Schwarz und Gelb ist, würde unserer Familie gut zu Gesicht stehen.
»Guten Morgen, aufstehen! Wir haben gewonnen!« Die Wichtigkeit morgendlicher Informationen wurde bewahrt.
»Echt?« Etwas schlaftrunken sah er mich an.
»4:2!«
»Quatsch! Vier Tore!«
Das war neu. Es gab kein Alles oder Nichts mehr. Er zweifelte nicht prinzipiell die erhaltene Information an, jedoch glaubte er, ich übertreibe.
»Kannste glauben.« Und schon bog Pawlow um die Ecke und ich begann reflexartig, Dynamo gegenüber demjenigen, der gerade vom Glauben abgefallen war, zu verteidigen.
»1:0 Tobias Kempe nach fünf Minuten durch einen direkten Freistoß. 2:0 nach elf Minuten durch Idir Ouali. Direkt in den rechten Winkel gedreht. 3:0 nach 20 Minuten durch Fußballgott …«
Ich unterbrach meine Aufzählung. Die eigene Begeisterung war ungebrochen, doch mein Sohn hatte recht. Das klang für das morgendliche Ohr zu unglaublich. Mehr als zwei Jahre hatten wir keine vier Tore mehr in einem Spiel erzielt und jetzt war ich bereits nach 20 Minuten bei dreien angelangt. Zuletzt hatten wir zwei Spiele am Stück gar nicht getroffen. Außerdem, direkter Freistoß, ein Kunstschuss, ein Fußballgott, der seine Ladehemmung überwunden hatte … Das sollte Dynamo im Abstiegskampf sein?
»Das glaube ich nicht!«
Sohnemann war sich sicher, und ich konnte es ihm nicht einmal verübeln. Er schaute mich fest an und seine Skepsis war ungebrochen. Es war gerade ein besonderer Moment, den ich hier erlebte. Mein Sohn hinterfragte den eigenen Vater. Nichts, was ihm erzählt wird, galt nun noch als unumstößlicher Fakt. Ich war stolz auf ihn, und doch musste es mir irgendwie gelingen, ihm glaubhaft zu übermitteln, was gestern Abend geschehen war.
»Und das stimmt wirklich? Wo ist die Zeitung?«
Mein Sohn kam mir entgegen. Er mochte mir glauben. Als ich ihm auf die Schnelle über das Handy ein Interview vorspielte, in dem unser Trainer ebenso begeistert wirkte, wie ich es noch immer war, strahlte auch er. Auch wenn man oft mit ihr hadert, das war unsere Mannschaft, unser Verein. Dass man Interviews manipulieren könnte, werde ich ihm bei anderer Gelegenheit erzählen.
8. GRUND
Weil sich Dynamo im Würgegriff schlechter Theaterstücke befand
Bei uns ist es ein Ritual, sich zu Geburtstagen langfristig einen großmütterlichen Babysitter zu organisieren und als Paar einmal wieder schick auszugehen. Im Herbst 2011 wollte ich an einem gemeinsamen Abend gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Im Dresdner Wechselbad war kurz vorher ein Krimidinner mit dem Namen Im Würgegriff der Taubenmafia neu ins Spielprogramm aufgenommen worden. Mit der Liebsten lecker speisen, eine Theateraufführung genießen und am Ende gemeinsam den oder die Täter überführen. Das klang nach einem angenehmen Abend. Vielleicht war auch ein wenig der erhöhte Druck herauszuhören, weil ja alles passen sollte, wenn man schon einmal einen Abend sturmfrei hat.
Der Abend war fußballfrei geplant. Dynamo Dresden war glücklich aufgestiegen und in der Stadt herrschte die bekannte Erfolgshysterie nach der ersten kleinen Erfolgsserie. Irgendwie war es wohl eine logische Folge, dass mein Herzensverein zu dieser Zeit in ein Theaterstück hineingeschrieben werden musste.
Ich hatte mich im Vorfeld definitiv ungenügend über das Stück informiert und war überrascht, im Bühnenbild ein schwarz-gelbes Mannschaftsposter entdecken zu können. Der Theaterabend handelte von einer folgenreichen Erpressung durch die Taubenmafia. Genmanipulierte Vögel, die deutlich größer als ihre Artgenossen wurden, bedrohten die Dresdner Barockstadt durch ihre massiven Ausscheidungsmengen. Ihre überall im Stadtgebiet abgehenden Enddarmgeschosse bedrohten Leib und Leben der rasch verängstigten Stadtbewohner, bis ein eingehendes Erpresserschreiben bei der Polizei ein wenig Licht ins Dunkel brachte. Die bisher unkontrolliert abgesetzten Nahrungsendprodukte würden umgehend minimiert werden, wenn (und jetzt wird nach dem Bild der Mannschaft der gesamte Verein ins schlechte Spiel einbezogen) …:
… wenn Dynamo Dresden, dem zu Wendezeiten übel mitgespielt worden war, endlich Gerechtigkeit gegeben werden würde! Als erstes Beispiel für die erfolgte Ausbeutung wurde (welch gute Recherche im Vorfeld …) der Berliner Spieler Andreas Thom genannt. Um dieses Unrecht wieder gutzumachen, wurde zuerst ein Nachschlag von 70 Meisterschaftspunkten gefordert sowie im Anschluss die komplette Übernahme der deutschen Nationalelf, die auch noch unentgeltlich für Dynamo auflaufen sollte. Wie das mit Erpressungen ist, versucht man, sie zuerst zu ignorieren, dann wird verhandelt und letztendlich geht man zähneknirschend darauf ein.
Im folgenden Spiel trat folgerichtig Dynamo »Deutschland« Dresden in Berlin bei den Eisernen an und bekam eine fürchterliche Klatsche eingeschenkt. Wenigstens waren die Tauben verschwunden. Es gab dann noch ein paar Irrungen und Wirrungen, und kopfschüttelnd warteten wir auf die nächste Dinnerpause, um alkoholgeschwängert wenigstens etwas abstumpfen zu können.
Dynamo Dresden in ein Theaterstück zu integrieren, ist bisher keine erfolgreiche Umsetzung gegönnt gewesen. Auch ein extra zum Aufstieg 2011 geschriebenes Theaterstück mit dem Namen 11 Freunde im Abseits, welches im heimischen Stadion unter Mithilfe der aktiven Fanszene umgesetzt werden sollte, wurde zuerst um ein ganzes Jahr verschoben und dann ohne jede Aufführung im internen Ideenspeicher für gescheiterte Projekte versenkt.
Das Geburtstagsgeschenk für meine Frau war jedenfalls ein Reinfall. Auch das durchaus gelungene Dinner zwischen der Kriminalgroteske konnte nicht retten, was das Stück an Imageschäden für diesen Abend hinterließ. Auf dem Flyer, der das Geschenk für meine Frau ankündigte, war von einer Erpressung der Stadt die Rede. Dynamo, auf dessen Kosten fast drei Stunden schlecht geschauspielert wurde, tauchte mit keinem Wort auf.
In den folgenden Wochen senkte sich ein angenehmer Schleier des Vergessens über die Taubenmafia, bis Dynamo Dresden am 11. Februar 2012 in Wirklichkeit bei Union Berlin antrat. Ich hatte ein mäßig gutes Gefühl für dieses Spiel entwickelt, und unsere elf aufgestellten Recken waren ja nun wahrlich nicht die deutsche Nationalelf, die den Unionern gegenüberstand. An derselben deftigen Klatsche, mit der wir, wie im Theaterstück, auch im realen Leben nach Hause fuhren, änderte dies nichts.
9. GRUND
Weil ohne Dynamo etwas fehlen würde
Es gibt Menschen, die sich lieber gestern als morgen wünschen, die SGD möge sich endlich auflösen und verschwinden. Zuletzt regte im Dezember 2013 nach den Vorfällen in Bielefeld deren Geschäftsführer einen Liga-Ausschluss Dynamo Dresdens an. Auf einer in der Neuen Westfälischen Zeitung eiligst einberufenen Online-Abstimmung votierten mehr als zwei Drittel der über 2.000 abgegebenen Stimmen für dieses Vorhaben.
Dass alles rund um Dynamo zu einer Schlagzeile wird, unabhängig davon, ob es letztendlich in jener Intensität gerechtfertigt ist oder nicht, soll später und soll im 77. Grund ein Thema werden. Diejenigen, die dafür abgestimmt haben, werden einerseits zufrieden sein, schließlich haben wir uns den Wünschen gebeugt und sind am Saisonende fast ohne Gegenwehr freiwillig abgestiegen. Unglücklich war in dem Zusammenhang nur, dass es uns ihr Herzensverein aus Bielefeld nachgemacht hat und wir uns damit auch in der neuen Saison sehen werden. Doch was wären die Folgen, würde sich die Spirale an undurchdachten Äußerungen weiterdrehen, an deren Ende wirklich ein Ausschluss Dynamos stehen würde?
Wäre das Leipziger Modell, in welchem aus dem VFB der 1. FC Lok wieder auferstand, der sich von ganz unten durch die Ligen zurückquälte, eines für Dresden oder würde es fortan nur noch Freizeitfußball in der sächsischen Landeshauptstadt geben?
Für mich persönlich wäre diese Vorstellung grausam. Keine Stadionbesuche, kein Mitfiebern im Radio und definitiv keine Liveübertragungen in Kneipen oder im MDR-Fernsehen. Für gewünschte Adrenalinausschüttungen würde ich mir andere Hobbys suchen müssen. Mein Fußballblog würde ganz einschlafen oder sich nur noch von einer abgeschlossenen Geschichte nähren. Vielleicht würde ich nicht einmal mehr den Sportteil der Zeitung zuerst lesen.Manche wöchentlich erscheinende Kolumne im Dresdner Wochenkurier würde es dann wohl gar nicht mehr geben, was auch nicht unbedingt ein Verlust wäre.
Ich hätte jedoch definitiv mehr Zeit für andere Dinge. Die neu verordnete freie Zeit würde ich mit meiner Familie sowieso sinnvoll füllen können. Ich möchte aber selbst entscheiden können, welches Interesse ich wann und wo wie intensiv betreibe, und ich möchte nicht, dass Leute, deren Weitblick spätestens an der eigenen Nasenspitze endet, darüber entscheiden. Ich glaube auch nicht, dass sich in deutschen Stadien oder deren Umfeld irgendetwas ändern würde. Man würde wohl endlich in Dresden selbst wie in Bielefeld und anderswo bemerken, dass die Dynamik des Auslotens von bestehenden Grenzen, gelegentlichen (aber niemals zu entschuldigenden!) Ausbrüchen an Gewalt und jugendlicher Unangepasstheit, welche immer als reines Vereinsproblem beschrieben wurde, weiterhin existent wären, doch gleichzeitig noch schwerer greifbar. Wir sprechen von einem gesellschaftlichen Problem, welches sich Dynamo in den letzten Jahren verstärkt angenommen hat. Wer seine Unangepasstheit demonstrieren möchte, wird das, nur weil es das ausgemachte Übel nicht mehr im Vereinsregister gibt, nicht einstellen. Wer es möchte, findet auch eine neue Spielwiese.
Es würde der nächste Verein erwählt werden, der durchs Dorf getrieben wird und der wie Dynamo weg müsste. Der FC Hansa Rostock würde sich anbieten, die haben ähnliche Probleme. In Bielefeld ruderte man kurze Zeit später ein wenig zurück, doch einmal ausgesprochen, bleibt die Idee in manchen Hinterköpfen präsent.
Leider werden die vielfältigen Bemühungen, die der Verein und sein direktes Umfeld unternehmen, nur selten erwähnt. So war das Dresdner Fanprojekt 2012 für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie nominiert. Es beschäftigt sich intensiv damit, Kinder und Jugendliche darin zu bestärken, in ihrem Alltag aktiv gegen Diskriminierung und Gewalt vorzugehen. Besonders benannt wurde außerdem das interne Projekt Denk-»Anstoß«, welches Jugendliche für Anwerbeversuche von Neonazis im Fußball sensibilisiert. Das ist Dynamo und das ist sein direktes Umfeld! Schade, dass man davon nur wenig lesen kann.
10. GRUND
Weil dynamische Fanliebe ins Detail geht
Neulich war ich mit Daniel unterwegs. Wir wollten einfach mal wieder zusammen abhängen, nachdem wir uns so lang nicht mehr gesehen hatten. Als wir durch die Äußere Neustadt schlenderten, wussten wir irgendwie beide, dass wir in der Groovestation landen würden. Das ist der besondere Ort, an dem es jeden Abend das ewige Duell der SG Dynamo Dresden gegen den FC Bayern München gibt. Doch hier sind nicht die Spiele in der Version auf Augenhöhe im Europapokals der Landesmeister aus dem Herbst 1973 zu sehen oder die acht Bundesligaduelle, als der David aus Sachsen dem bayrischen Goliath trotzte, sondern es wird eine modernere Version gespielt, und das im wörtlichen Sinne! Das Beste ist, man kann immer wieder selbst aufs Neue testen, ob es Robert Koch doch noch gelingt, Bastian Schweinsteiger den Ball durch dessen Klumpfüße zu spitzeln.
Neben den bekannten Nullachtfünfzehn-Kickertischen gibt es noch den begehrten Dynamo-Tisch. Für dessen individuelle Gestaltung haben sich die Mitarbeiter der Groovestation viel Zeit genommen. Sie haben das Trikot aus der Saison 2011/12 so originalgetreu wie nur möglich nachempfunden. Nicht einmal das Wappen fehlt, wohlgemerkt auf einem Spielfeld, auf dem jeweils elf Tischkicker mit einer Größe von gerade einmal 14 Zentimeter zu finden sind. Man benötigt nicht viel Fantasie, um Muhamed Subašić, den Doppeltorschützen in seinem allerersten Spiel für Dynamo, den alterslosen Cristian Fiél oder auch unseren in beschriebenem Jahr nur selten spielenden Maik Kegel zu erkennen. Hier kann man der Fantasie freien Lauf lassen. Wenn man den richtigen Gegner hat, dann vermöbelt Dynamo den Serienmeister nach Strich und Faden.
Irgendwann stehen wir am Tisch und vor einem Duell, das heute noch zwei Ligen entfernt ist. Daniel überlässt mir generös meinen Herzensverein. Ich bekomme sogar den ersten Ball und drehe meine Fünfermittelfeldreihe. Das Spiel beginnt, kurz darauf scheppert es. Wieder habe ich den Ball, drehe meine Mittelfeldreihe … Es ist eine Handlung, die ich an diesem Abend wieder und wieder vollführe.
Auch im virtuellen Spiel passieren keine Wunder, und ich bekomme meine Grenzen aufgezeigt. Ich könnte mit Daniel tauschen und damit Dynamo gewinnen lassen, aber das möchte ich eigentlich gar nicht, denn als strahlender Sieger wäre es nicht mehr mein Verein.
KAPITEL 2
11. GRUND
Weil die Geschichte des Fußballs weiter zurückreicht als bis nach Braunschweig
Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass Dynamo das ungeliebte Balg eines folgenreichen Fehltrittes ist. Wir sind da, werden gerade so geduldet, waren und bleiben aber ungeliebt.
Als die Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland stattfand, wühlte sich im Vorfeld Andreas Wittner, ein Würzburger Historiker, durch verschiedene Archive. Dabei entdeckte er Hinweise, welche die bis dahin bekannten Geschichte um die Ursprünge des Fußballs auf deutschem Boden um den Braunschweiger Lehrer Konrad Koch umschreiben würde.
Andreas Wittner fand heraus, dass es bereits im Frühjahr 1874 in Dresden einen Zusammenschluss junger Männer gegeben haben muss. Eine damals erscheinende Zeitschrift berichtete »von einer Gesellschaft, die sich Dresden Football Club (D.F.C.) nennt«, und von deren Spiel, »bei dem die Bälle mit dem Fuße fortgeschleutert werden«.6 Hierzu veröffentlichte er während der Fußballweltmeisterschaft 2006 einen Artikel.
Ein Zeitungsbild unterstrich zusätzlich, dass dieser Verein nachweislich bereits mindestens ein halbes Jahr existierte, ehe Konrad Koch im Braunschweiger Gymnasium Martino-Katharineum erstmals seinen Schülern einen Fußball zuwarf. Auf dem Bild waren unter »Dresden Football Club« die Worte »Saturday, March 1874« zu lesen.7