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Dieser Band enthält folgende Krimis: Kommissar Jörgensen und die Welle im Kreis (Alfred Bekker) Der explosive Fall (Alfred Bekker) Der Fall mit dem Pastor (Alfred Bekker) Der Fall mit dem großen Chef (Alfred Bekker) Burmester und die Verschwundene (Alfred Bekker) Burmester und das Foto (Alfred Bekker) Burmester auf Killerjagd (Alfred Bekker) Trevellian stürmte die Gangsterfestung (Pete Hackett) Trouble in Tallinn (Konrad Carisi) Trevellian und die heiße Fracht (Pete Hackett) Trevellian und die Mikrochip-Gangster (Jan Gardemann) Die zur Hölle fahren (Thomas West) Killer ohne Namen (Alfred Bekker) Trevellian und die lebende Ware (Pete Hackett) Trevellian stürmte die Gangsterfestung (Pete Hackett) Trevellian und die Razzia im Club (Pete Hackett) Für Erik Reuther fühlt es sich an wie unendlich viele Jahre – eingekerkert hinter hohen Mauern ... Die Zeit schien ihm bereits jetzt schon immer langsamer dahin zu tropfen seit dem Tag der Urteilsverkündung. Lebenslange Haft - das kommt einem Todesurteil gleich; ich bin doch unschuldig, denkt er verzweifelt. Privatdetektiv Aldo Burmester wird von dem Bruder des Verurteilten beauftragt, seine Unschuld zu beweisen. Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
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Seitenzahl: 2744
Veröffentlichungsjahr: 2025
13 Krimis im Winter Ferien-Paket 2025
Copyright
Kommissar Jörgensen und die Welle im Kreis
Der explosive Fall
Der Fall mit dem Pastor
Der Fall mit dem großen Chef
Burmester und die Verschwundene
Burmester und das Foto
Burmester auf Killerjagd
Trevellian stürmte die Gangsterfestung
Trouble in Tallinn
Trevellian und die heiße Fracht
Trevellian und die Mikrochip-Gangster: Kriminalroman
Trevellian und die Plutonium-Lady: Kriminalroman
Die zur Hölle fahren
Killer ohne Namen
Trevellian und die lebende Ware
Trevellian stürmte die Gangsterfestung
Trevellian und die Razzia im Club
Titelseite
Cover
Inhaltsverzeichnis
Buchanfang
Dieser Band enthält folgende Krimis:
Kommissar Jörgensen und die Welle im Kreis (Alfred Bekker)
Der explosive Fall (Alfred Bekker)
Der Fall mit dem Pastor (Alfred Bekker)
Der Fall mit dem großen Chef (Alfred Bekker)
Burmester und die Verschwundene (Alfred Bekker)
Burmester und das Foto (Alfred Bekker)
Burmester auf Killerjagd (Alfred Bekker)
Trevellian stürmte die Gangsterfestung (Pete Hackett)
Trouble in Tallinn (Konrad Carisi)
Trevellian und die heiße Fracht (Pete Hackett)
Trevellian und die Mikrochip-Gangster (Jan Gardemann)
Die zur Hölle fahren (Thomas West)
Killer ohne Namen (Alfred Bekker)
Trevellian und die lebende Ware (Pete Hackett)
Trevellian stürmte die Gangsterfestung (Pete Hackett)
Trevellian und die Razzia im Club (Pete Hackett)
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
COVER A. PANADERO
© dieser Ausgabe 2025 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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von ALFRED BEKKER
Kommissar Jörgensen und die Welle im Kreis – Hamburg-Krimi
Ein Geiseldrama im Hamburger Michel, ein toter Frachter im Hafen, mysteriöse Morde – und eine Spur, die zu einer gefährlichen Technologie führt: Kommissar Jörgensen und sein Team stehen vor ihrem härtesten Fall. Während ein geheimes Netzwerk aus Technik-Visionären, Söldnern und skrupellosen Geldgebern die Stadt bedroht, geraten Kirchen, Hafen und ganze Stadtviertel ins Visier. Können Jörgensen und seine Kollegen die tödliche Welle aufhalten, bevor Hamburg im Chaos versinkt?
Atmosphärisch, hochspannend und voller überraschender Wendungen – für alle Fans von intelligenten Krimis, Hamburg-Flair und moderner Polizeiarbeit.
Jetzt bestellen und den neuen Fall von Kommissar Jörgensen erleben!
Personen
Uwe Jörgensen: Kriminalhauptkommissar, Ermittler und Erzähler.Roy Müller: Erster Ermittlerpartner von Jörgensen, pragmatisch, humorvoll.Jonathan D. Bock („Herr Bock“): Leiter im Präsidium, steuert Einsätze und Strategie.Dr. (Eva) Rosen: Physikerin/technische Sachverständige für Felder/Elektronik.Rolf Peters: IT-/Elektronikforensik, Auswertung von Geräten, Netzen, Drohnen.Norbert Nahr: Finanzermittler/Betriebswirt, verfolgt Geld- und Firmenströme.Stefan Czerwinski: Führung im Außendienst/Operativeinsatz.Ollie Medina: Ermittlerkollege im Team.Mara Lauterbach: Observation/Sicherung, Zugriff vor Ort.Wirtz: LKA-Verbindung, Taktik und Lagedienst.Frank (Erkennungsdienst): Spurensicherung, Ballistik, Laborlogistik.Mandy: Präsidium, Organisation/Kaffee—Dreh- und Angelpunkt im Hintergrund.Koch: Bundespolizei See, Koordination Hafen/Wasserseite.Berg/Bergemann: Polizeiverhandler, Kommunikation in Lagen.Dr. Arved Mertens: Stiftungsumfeld/Strategie (Gesundheits-/Tech-Fokus).Raimar Voigt: Tech-/Unternehmerumfeld (Resonanz-/Geräte-„Visionär“).Theo Reinecke: Sicherheits-/Operativumfeld, technisch versiert.„Dora“: Insiderin/Technikerin aus dem Resonanz-Umfeld.Aram: junger Mann mit Szene-Kontakten (ruhiger Typ).Pfarrer Kleiner Michel: Ansprechpartner aus der Gemeinde.Jörn Schröder: Hafen-Operative (Koordination).Schröder (Pförtner): Zugang/Kontrollpunkt im Hafen.Harald Glanert: Kirchen-/Stadtumfeld, engagiert.Marek Sulej: Journalist (Stadt-/Hintergrundthemen).Rafi Hafiz, Niko Raducanu, Hugo Genazino, Ben Tufak: Personen aus früheren Hamburger Ermittlungen (organisierte Kriminalität), hier v. a. als Bezug.Orte
Polizeipräsidium Hamburg: Zentrale des Teams.St. Michaelis („der Michel“): Hauptkirche (Innenstadt).Kleiner Michel: Zweite Kirche, nahe Zentrum.Steinwerder: Werft-/Kranareal (Hafen).Pier 4 / Block C‑17: Umschlag-/Containerbereich im Hafen.Entenwerder: Elbinsel/Ponton, Umschlag- und Treffpunktlage.St. Georg: Innenstadtviertel (Wohn-/Arbeitsorte, Technik-Räume).Billstedt: Stadtteil, Moschee-/Community-Bezug.Eimsbüttel/Barmbek: Wohnlagen, Bastler-/Werkstattumfeld.Harburg („Resonanzturm“): Industriebau/Aussichtsplattform, Treffpunkt.Alster/Alsterfleet: Innenstadtgewässer; wiederkehrender Schauplatz.Stadtpark/Krähenwiese: Grünfläche, unauffällige Treffpunkte.Bezirksamt Mitte: Verwaltung, Vorkommnisse im Posteingang.JVA Fuhlsbüttel: Justizvollzugsanstalt (Vernehmung/Haft).Begriffe/Organisationen
„Erinnerungskreis“: Netzwerk/Gruppe mit Tech-/Resonanz-Idee (ideologischer Rahmen).OzeanTech: Technikumfeld/Firma (Resonanz-/Kopplungstechnik).Mnemosyne Logistics: Logistik-/Frontfirma rund um Geräte/Module.„Orion“: Bezeichnung für einen leistungsfähigen Puls-/Resonanz-Generator.„Eurydike“: Schiffs-/Projektname (Transport/Erprobung).Interface Unit: Flaches Kopplungs-/Steuermodul für Feldanwendungen.Koppelantenne (Patch/Folie): Wand-/Flächenaufbau zur Raumanregung.„Welle im Kreis“ (Logo): Erkennungszeichen/Branding des Netzwerks (Schwingung+Kreis als Symbol für Resonanz/Kontrolle).Schumann-Resonanzen: natürliche Frequenzbänder der Erdatmosphäre (wissenschaftlicher Kontext in Erklärungen).„Resonanz“ (allg.): physikalische Kopplung/Anregung – hier als Technikidee und Narrativ.Drohnen-/Netztechnik: Aufklärung/Abhör-/Störmittel (zivil modifiziert).Abkürzungen/Behörden
KEB: Kriminalpolizeiliche Ermittlungsgruppe des Bundes (Sondereinheit, Hamburg).SEK: Spezialeinsatzkommando (Zugriff/Schutz).LKA: Landeskriminalamt (Analyse/Lage).BPol See: Bundespolizei See (Hafen/Elbe).Zoll: Zollfahndung/Zollamt (Container/Einfuhr, Röntgen/Beschlagnahme).JVA: Justizvollzugsanstalt (Haft/Vernehmung).BSI/BBK (Kontext): IT‑/Sicherheitsbehörden (Standards, Prävention) – indirekte Schnittstellen.Hinweis
Die Stichworte beschreiben Funktion/Rolle/Bezug ohne den Verlauf oder Ausgang der Handlung vorwegzunehmen. Für Detailkontexte (z. B. wer mit wem verknüpft ist) dient die Erzählung selbst.1
Manchmal denke ich, mein Beruf besteht aus zwei unvereinbaren Hälften: aus Warten und aus Sekunden, die explodieren. Stundenlanges Sitzen in aufgeheizten Einsatzfahrzeugen, das Kratzen eines Stiftes über ein Formular, das Kaffeepappbecherknistern – und dann ein Anruf, ein Knall, ein Lauf, der einem die Lunge verbrennt. Und dazwischen die Frage, die man nicht laut stellt: Wozu? Wozu die Nächte, die du deiner Frau nicht erklären kannst, die Tage, an denen du den Kindern nicht versprechen willst, wann du kommst.
Mein Name ist Uwe Jörgensen. Kriminalhauptkommissar. Ich arbeite in Hamburg – und Hamburg ist gut darin, dich vergessen zu lassen, dass es nicht nur schön ist. Ich gehöre zur Kriminalpolizeilichen Ermittlungsgruppe des Bundes, KEB, eine Sondereinheit, die immer dann ins Spiel kommt, wenn sich die Dinge verschachteln: Organisierte Kriminalität, Terror, Fälle, die eine Hand mehr brauchen, einen Blick mehr und meistens mehr Geduld, als man hat. Mein Partner ist Roy Müller. Sein Humor rettet mir oft mehr, als meine Waffe.
An jenem Morgen saß ich in meinem Büro und starrte aus dem Fenster auf den Hof des Präsidiums. Ein Lieferwagen hupte, weil jemand im Halteverbot stand. Eine Taube lief, als hätte sie Rückenschmerzen. Die Erinnerung an die letzte große Sache – der Wäscher von Altona, Tufak, Genazino, der Mann mit der HSV-Mütze – lag noch wie Staub über dem Schreibtisch. Die Medien hatten sich auf andere Dinge gestürzt. Wir nicht. Wir räumten weiter auf. Es gab immer etwas zum Aufräumen.
Das Telefon klingelte. Nicht mein Festnetz, das eher für gemütliche Dinge zuständig ist. Mein Einsatztelefon. Die Nummer, die nur wenige kennen. Ich nahm ab.
„Jörgensen.“
„Hier Einsatzleitstelle. Wir haben eine laufende Lage in der Hauptkirche St. Michaelis. Mehrere bewaffnete Täter haben die Kirche gestürmt. Vermutlich islamistische Motivation. Sie haben Gottesdienstbesucher als Geiseln. Es liegen Drohungen vor, die Kirche in die Luft zu sprengen. Der Michel ist geräumt, aber es sind noch etwa zwei Dutzend Personen im Kirchenschiff. SEK ist unterwegs. KEB wird angefordert. Ihr Chef ist informiert.“
„Ich bin in zehn Minuten da“, sagte ich und stand gleichzeitig auf. Meine Jacke hing über der Stuhllehne. Roy steckte den Kopf zur Tür herein, als hätte er den Anruf gerochen.
„Ich hab’s auch“, sagte er und hob sein Handy. „Michel.“
„Michel“, bestätigte ich.
Wir liefen. Im Flur stand Mandy mit einem Tablett Kaffee. Sie hob die Braue. Ich schüttelte den Kopf. Heute kein Kaffee. Kein Warten. Heute Sekunden.
2
St. Michaelis – „der Michel“ – ist nicht nur eine Kirche. Er ist ein Gefühl in dieser Stadt. Er ist eines der Bilder, die Menschen haben, wenn sie „Hamburg“ denken. An diesem Morgen stand das Bild schief. Blaulichter blitzten, Absperrbänder flatterten, der Platz war leergeräumt, wie eine Bühne vor der Aufführung.
Wir zeigten unsere Ausweise, rutschten unter einem Band durch, ein uniformierter Kollege nickte und zeigte nach rechts. Dort standen Herr Jonathan D. Bock, unser Chef, neben einem Mann in Kampfmontur – der Einsatzleiter des SEK – und einem jüngeren LKA-Mann, den ich kannte: Wirtz. Er zog an einer Zigarette, die er nicht ansteckte.
„Uwe, Roy“, sagte Herr Bock, ohne sich umzudrehen. „Gut, dass Sie da sind.“
„Lage?“, fragte ich.
Der SEK-Mann sprach, als würde er uns die Wegbeschreibung zu einem Bäcker geben. „Kurz nach zehn stürmen vier bis sechs bewaffnete Täter während einer Führung die Kirche. Zwei mit Kalaschnikow-ähnlichen Langwaffen, zwei mit Pistolen. Einer trägt eine Weste, dick, klarer Sprengstoffverdacht. Sie jagen Leute raus, setzen den Küster fest, ziehen sich mit einer Gruppe in den vorderen Bereich zurück. Der Kirchenführer hat einen Notruf abgesetzt. Wir sind mit dem ersten Trupp rein, haben aber abgebrochen, als der mit der Weste drohte, sich zu zünden. Der Tonfall war ernst. Zeitliche Forderung: Freilassung von drei Gefangenen aus der JVA Billwerder – Namen auf einem Zettel. Und ein Fahrzeug. Medienpräsenz. Übliche Nummer. Dazu: „Ihr habt eine Stunde, sonst Asche“.“
„Asche im Michel“, sagte Roy leise. „Die sind nicht nur zornig. Die wollen brennen.“
„Wer die Namen?“, fragte ich.
Wirtz reichte mir den Zettel. Ich las: Jamil A., verurteilt wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Sprengstoffdelikten. Karam Z., aus dem Umfeld einer salafistischen Gruppe, die wir längst zerschlagen glaubten. Und ein Name, der mir weniger sagte: Abdelmoumene S., wegen illegaler Einreise und Waffenbesitzes in U-Haft. Zwei schwere Jungs und ein kleinerel. Das roch nach „Wir nehmen, was uns einfällt, was uns nützlich wäre.“
„Geiseln?“, fragte ich.
„Zwischen 18 und 25 Personen“, sagte der SEK-Mann. „Eine ältere Dame am Herzen, zwei Kinder. Ein Pastor war nicht da. Führung. Zufall. Oder Plan.“
„Kommunikation?“, fragte ich.
„Sie haben ein Handy eingesammelt. Einmal angerufen. Typ spricht akzentfrei Deutsch. Beschimpft. Zitiert den Koran, aber eher, als hätte er’s auswendig gelernt als gelebt. Dann aufgelegt. Wir haben ihnen über Lautsprecher gesagt, dass wir reden wollen. Keine Reaktion. Unsere Verhandler sind da.“
Ich sah zu einem grauen Kastenwagen. Drinnen saß einer unserer Verhandler und starrte ins Leere. Ich kannte ihn. Er starre gerne ins Leere, wenn er dachte. Er mochte die Leere.
„Was wollen Sie von uns?“, fragte ich den SEK-Mann.
Er sah mich an, als sei ich die Pause zwischen zwei Schreien. „Sie kennen die islamistische Szene, die Namen. Sie kennen Köpfe. Vielleicht erkennen Sie eine Stimme. Vielleicht sagen Sie mir, ob der Sprengstoff echt ist, wenn Sie den Kerl sehen. Vielleicht fällt Ihnen etwas ein, was mir nicht einfällt.“
„Und wenn Sie mich fragen“, sagte Herr Bock, „brauchen wir jemanden, der zwischen den Stühlen steht und nicht runterfällt. Der SEK drückt. Der LKA will reden. Der Bürgermeister will, dass der Michel stehen bleibt. Gott will, dass wir keine Dummheiten machen.“
„Gott will viel“, sagte Roy. „Heute will er, dass wir schnell sind.“
3
Ich ging ein paar Schritte weg. Ich sah auf das Portal. Ich habe viel gesehen in Kirchen: Taufen, Morde, Abschiede, Blut. Kirchen sind wie öffentliches Wohnzimmer: Was draußen geschieht, kriecht hinein. Ich atmete durch. Dann ging ich zu dem Verhandler im Wagen. Er hieß Bergemann, aber wir nannten ihn „Berg“. Er mochte es nicht.
„Berg“, sagte ich. „Jörgensen.“
„Ich weiß, wer du bist“, sagte er, ohne sich umzudrehen. „Ich höre.“
„Was hast du?“, fragte ich.
„Vier Stimmen. Eine sehr laut, eine sehr still, zwei dazwischen. Der Laute schreit. Der Stille flüstert. Der Laute will Bühne. Der Stille will Tod.“
„Kannst du den Stille zum Reden kriegen?“, fragte ich.
„Ich kann es versuchen“, sagte er. „Gib mir was. Name. Wort. Satz.“
Ich dachte an Jamil A. und Karam Z. Ich dachte an Predigten, an Sätze, die ich in Observationsprotokollen gelesen hatte. „As-Sabr“, sagte ich. „Geduld. Sag ihm, Gott liebt die Geduldigen. Sag ihm, er soll nicht für den Lauten sterben.“
Berg nickte, als hätte er den Satz auf den Tisch gelegt. Er griff zum Mikro. Rauschen. Er sprach, wie man in einem dunklen Zimmer spricht, in dem jemand liegt, den man nicht wecken will.
Während er sprach, kam ein anderer Beweger der Stadt hinzu. Haftrichter. Jemand vom Staatsschutz. Eine Frau vom Pressestab. Mir war, als würde die Luft dick. Ich brauchte Licht.
„Ich will rein“, sagte ich.
„Vergiss es“, sagte der SEK-Mann.
„Nicht, um zu schießen“, sagte ich. „Um zu sehen.“
„Du willst stirnrunzeln, die Stirn an einer Säule reiben und dann klug reden?“, fragte er.
„Ich will wissen, ob die Weste echt ist“, sagte ich. „Ich will wissen, ob der Mann, der sie trägt, unterscheiden kann zwischen einem Blitz und einer Lampe.“
Der SEK-Mann sah mich an, als würde er ein Messer abwägen. Herr Bock hob den Kopf, als hätte jemand seinen Namen gerufen. „Nein“, sagte er.
„Ich geh nicht bis zum Altar“, sagte ich. „Ich bleibe hinter dem Gitter. Ich gehe dahin, wo die Kerzen stehen. Ich warte auf ein Zeichen.“
„Was für ein Zeichen?“, fragte Roy.
„Das richtige“, sagte ich. „Oder das falsche.“
Ich weiß, dass es anmaßend klingt. Aber Arbeit ist manchmal anmaßend. Und man hat nicht viel Zeit.
Der SEK-Mann sagte eine Zahl. Eine kurze. „Fünf.“
„Danke“, sagte ich. Ich zog mir eine dünne Weste über. Sie bringt dir nichts gegen eine Kalaschnikow. Aber sie bringt dir etwas gegen deine Angst. Wir gingen zu einem Seiteneingang. Ein Polizist mit großen Augen öffnete mir die Tür. Er war vielleicht 24. Er sah aus, als würde er im Schlaf lächeln. Ich hoffte, er würde irgendwann wieder lächeln.
4
Kirchen klingen anders, wenn sie leer sein sollten, es aber nicht sind. Es ist ein Klingen von Kleidung, von Atem, von Metall. Der Michel atmete. Ich stand in einem Seitenschiff, sah durch eine Säule. Vorn am Altarbereich stand einer in schwarzer Jacke, die zu kurz war, weil darunter etwas auftrug. Er hielt die Hand an den Bauch. Neben ihm ein schmaler Mann mit Bart, der ganz still war. Hinter ihnen zwei, die nervös nach hinten schauten. Einer zog die Mütze auf und ab. Es sah aus, als würde er sich verbeugen. Ein dummer Kopf, dachte ich. Ein gefährlicher Kopf.
Ich konnte die Augen der Geiseln sehen. Die meisten blickten auf den Boden. Eine ältere Frau hielt die Hand eines Kindes. Ein Junge, neun, zehn. Sein Blick war groß und leer. Ich kenne diesen Blick. Er ist der größte Vorwurf der Welt.
Der Mann in der Weste hob den Kopf. „Allahu akbar“, rief er. Es hallte. Ich dachte an alle Male, in denen ich „Gott ist groß“ gehört hatte und es aufrichtig war. Jetzt war es nicht aufrichtig. Es war eine Waffe.
Ich starrte auf die Weste. Dick. Militärisch. Kein Kabel sichtbar. Das macht nichts. Kabel sind nicht modern. Es gibt Fernzünder, die aussehen wie Schlüssel. Es gibt Druckzellen, die du nicht siehst. Ich sah, dass seine Finger zitterten. Das war das Beste, was ich an diesem Tag sah. Jemand, der zittert, hat Angst. Angst ist besser als Wut.
Ich zog mich zurück, ging den Gang entlang, blieb bei einer Kerze stehen. Ich zündete sie an. Ich bin kein religiöser Mensch im engeren Sinn. Aber ich mag Rituale. Sie machen Hände ruhig.
„Uwe?“, flüsterte es in meinem Ohr. Berg. „Er hat gezuckt bei ‚Geduld’. Er hat geblinzelt, als wäre Licht.“
„Reden. Mit dem Stillen reden“, flüsterte ich.
„Ich rede“, sagte Berg.
Der Stille bewegte sich, trat einen halben Schritt zur Seite. Der Laute fuhr herum. Der Stille hob die Hand. Eine Geste. Nicht flehend, nur flach.
„Ich werde krank, wenn sie sterben“, sagte ich, als würde ich jemandem etwas erklären. „Der Junge. Die Alte. Sie haben nichts damit zu tun.“
Es war nicht klug. Es war ehrlicherweise gar nichts. Es war eine Stimme. Manchmal ist eine Stimme das, was bleibt.
Und dann passierte etwas, das ich nicht geplant hätte, wenn man mich gefragt hätte: Draußen, an der Elbe, zur gleichen Zeit, legte ein Schiff an.
5
Wir hörten später davon. Jetzt sah ich, wie der Laute sich bewegte. Eine Waffe hoch, dann wieder runter. Er hatte die Bühne und wusste nicht, was er spielen sollte. Der Stille flüsterte etwas. Ich verstand das Wort nicht. Ich hörte nur den Laut. Es klang weich. Die Waffen wanderten. Eine Frau weinte. Der Junge starrte. Und dann ein Geräusch, das in Kirchen besonders laut ist: Ein Telefon. Nicht unseres. Ihr Handy. Die Geiselnehmer hatten das Telefon eines der Geiseln nicht eingesammelt. Oder hatten es gesammelt und es klingelte trotzdem. Und es klingelte nicht, wie ein Telefon klingeln sollte. Es klang wie ein Lied, das falsch gespielt wurde. Der Laute fuhr herum. Er riss einem Mann das Handy aus der Hand. Er sah auf das Display. Er hob es ans Ohr.
„Ich habe es“, sagte er und grinste. „Ich habe es geschafft.“
„Was hast du geschafft?“, fragte ich, zu mir selbst.
„Sie leben“, sagte Berg in meinem Ohr. „Wir haben zehn Minuten. Vielleicht neun.“
Die Polizisten des SEK in ihren schwarzen Anzügen können sich in Kirchen bewegen, als wären sie Staub. Ich habe größten Respekt vor ihnen. Ich weiß, wie häufig sie warten müssen. Und wie selten sie sich bewegen dürfen.
Der mit der Weste – der Laute – hielt das Handy wie eine Reliquie. Er hörte zu. Er nickte. Er sagte „Ja“. Er sagte „Hier“. Und der Stille machte in dem Moment etwas, das ich nie zuvor in einer Kirche gesehen hatte: Er kniete. Er kniete nicht zum Beten. Er kniete, um klein zu sein.
„Jetzt“, sagte Berg. Er sagte es leise. Und doch hörte ich, wie ein Muskel sich spannte.
Zwei Schüsse. Ich habe gelernt, wie die Luft klingt, wenn sie scharf wird. Die beiden hinten fielen. Der Laute fuhr herum. Er wollte schreien, aber der Schrei war zu spät. Ein dritter Schuss. Er fiel nicht. Er blieb stehen, als wüsste sein Körper nicht, was fallen bedeutet. Dann fiel er.
Still. Drei Leiber. Drei Männer. Die Weste lag offen. Sprengstoff war drin. Nicht viel. Viel genug für Blut. Nicht genug für eine Kirche. Die Geiseln schrien. Jemand betete. Ich stand da und war plötzlich sehr müde.
Sechs Sekunden später war die Kirche voller Stimmen. Oberstes Gebot in solchen Lagen: Tempo runter. Schreien macht alles schlimmer. Die SEK-Leute bewegten sich, wie sie es üben. Der Stille lag mit den Händen auf dem Rücken, bevor er begriff, dass er lebte.
Ich atmete. Ich hörte ein Kind lachen. Das war das Schlimmste.
6
Draußen war die Stadt, die sich wieder vorwärts bewegte, als sei nichts geschehen. Es war die vielleicht größte Lüge überhaupt und die einzige Chance, die wir haben. Ich stand neben Roy und Herr Bock. Der SEK-Mann rauchte die Zigarette, die er vorher nicht angezündet hatte, jetzt an. Sie schmeckte ihm nicht.
„Gute Arbeit“, sagte Herr Bock. Es klang nicht danach.
„Zwei tot, einer lebend“, sagte der SEK-Mann. „Weste entschärft. Niemand von den Geiseln ernsthaft verletzt. Eine Ohnmacht, zwei hyperventilieren, einer hat sich in die Hose gemacht. Ich auch. Vielleicht.“
„Wer ist der Stille?“, fragte ich.
Wirtz vom LKA trat vor. Er hielt eine Mappe. „Der hier nennt sich Amir. Wirklich heißt er Aram R. Herkunft: Syrien. 24. Vor zwei Jahren mit einem Flüchtlingskonvoi gekommen. Salafistische Kontakte seit einem Jahr. Auffällig: kein Eintrag. Auffällig: Moschee in Billstedt. War mit Karam Z. in einem Koranunterricht.“
„Er redet?“, fragte Roy.
„Er weint“, sagte Wirtz. „Vielleicht redet er. Vielleicht weint er nur.“
„Und der Laute?“, fragte ich.
„Der Laute ist tot“, sagte Wirtz. „Was du sehen willst? Sei ehrlich.“
„Ich will wissen, wer ihm das Telefon gegeben hat“, sagte ich.
„Jemand, der ‚Hier‘ sagte und meinte: ‚Du hast es geschafft, zu sterben‘“, sagte Roy.
Ich dachte an die Stimme, die ich nicht gehört hatte. Ich dachte an die zweite Szene des Tages, von der ich damals noch nichts wusste: Ein Frachter, grau, ohne Flagge, ohne AIS-Signal, läuft in den Hamburger Hafen ein. Er treibt im Strom, als hätte ihn jemand losgelassen. Kein Funkkontakt. Hafensicherheit, Wasserschutzpolizei, Bundespolizei See. Sie gehen an Bord. Sie finden die Crew.
Alle tot.
Sie liegen, als wären sie an Orten gestorben, an denen sie oft liegen: In der Messe, auf dem Kojen, auf der Brücke. Keine Spuren von Gewalt. Keine Sichtbare. Kein Blut. Keine Erstickungssymptome, die man auf den ersten Blick sieht. Ein Geruch, der nicht wie Gas riecht. Ein Geräusch, das sublim ist. Eine Maschine, die noch läuft. Und in einem Container etwas, das nicht wie ein Container aussieht.
Ich erfuhr es zwei Stunden später. Da waren wir gerade dabei, die erste Lage zu schreiben, als Herr Bock mich ansah, als hätte er Sand im Mund.
„Uwe“, sagte er. „Ich brauche dich an der Pier 4.“
„Was ist?“, fragte ich.
„Ein Schiff“, sagte er. „Und in ihm eine Frage.“
7
Die Hafenluft roch nach Bitumen und Salz und irgendetwas Süßlichem, das ich nicht erkannte. Pier 4 war abgesperrt. Männer in Overalls standen herum, als könnten sie nicht weggehen. Feuerwehr, mit Messgeräten. Männer in weißen Ganzkörperanzügen, unsere Freunde vom Erkennungsdienst. Ein Mann mit grauen Haar, Bundespolizei See, kam auf uns zu. Er hieß Koch. Er sah aus, als würde er nicht geraucht haben und trotzdem gelb sein.
„Kommissar Jörgensen“, begrüßte er mich. „Ich wünschte, ich hätte Urlaub.“
„Das wünschen wir alle“, sagte ich.
Er führte uns über die Gangway. Es war eine seltsame Gangway – nicht die der Besatzung, sondern eine, die die Feuerwehr an der Luke befestigt hatte. „Wir gehen nicht durch die Brücke“, sagte er. „Wir gehen durchs Leben. Dann ist es weniger schlimm.“
„Wie viele?“, fragte ich.
„Elf“, sagte er. „Zwei Offiziere, ein Kapitän, sechs Maschinenleute, zwei Decksleute. Und ein Passagier.“
„Ein Passagier?“, fragte Roy.
„Er stand nicht auf der Liste“, sagte Koch.
„Wissen wir, woher das Schiff kommt?“, fragte ich.
„Offiziell: Varna, dann Istanbul, dann irgendein Punkt im Schwarzen Meer, der „auf See“ heißt“, sagte er. „Inoffiziell: keine Ahnung. AIS aus. Transponder aus. Satellitentelefon im Log ausgeschaltet. Und dann plötzlich lautlos vor Blankenese aufgetaucht, wie ein Haustier, das dich erinnert, dass es dich gibt.“
Wir gingen durch die Messe. Zwei Männer lagen auf der Bank. Sie sahen aus, als würden sie schlafen. Ihre Haut hatte eine Farbe, die kein Schlaf hat. Ein dritter lag auf dem Boden, schief. Sein Gesicht war so ruhig, dass ich wütend wurde.
„Keine Verletzungen“, sagte Koch. „Wir haben CO gemessen. Nichts. Wir haben O2 gemessen. Normal. Wir haben H2S gemessen. Nichts. Wir haben die Luft angehalten. Sie stinkt. Aber nicht tödlich.“
„Wie alt?“, fragte ich.
„Stunden“, sagte Koch. „Zwölf? Vielleicht mehr. Ich bin kein Arzt.“
„Und der Passagier?“, fragte ich.
„Er liegt in einer Kabine. Er hat keine Papiere. Er hat saubere Hände“, sagte Koch.
„Saubere Hände“, wiederholte ich. Ich mochte dieses Gefühl nicht, das ich in mir spürte: das Gefühl, dass zwei Dinge etwas miteinander zu tun hatten, die nichts miteinander zu tun haben sollten.
„Wir haben einen Container“, sagte Koch. „Er ist anders.“
Wir gingen an Deck. Ein Container stand anders als die anderen. Nicht wegen seiner Farbe – grau. Nicht wegen seiner Form – Containerform. Wegen seines Verriegelungssystem. Es war doppelt. Und es hatte eine Markierung, die ich erkannte, ohne zu wissen, warum: Ein Symbol, das aussah wie eine Welle, die in einem Kreis endete.
„Was ist das?“, fragte ich.
„Wir wissen es nicht“, sagte Koch. „Jeder sagt: Nicht unserer Bereich. Ich habe die Feuerwehr gefragt. Sie sagten: Vielleicht Strahlung. Ich habe Strahlenschutz angerufen. Sie sagten: Wir haben keine Anzeichen. Ich habe die Hafenbehörde gefragt. Sie sagten: Machen Sie ihn zu.“
„Ich bin Polizist“, sagte ich. „Ich mache Dinge auf.“
„Ich bin Vater“, sagte er. „Ich mache Dinge zu.“
Das war ehrlich.
„Wer hat geöffnet?“, fragte ich.
Koch sah mich an. „Niemand. Bisher.“
Herr Bock erschien neben uns. Ich weiß nicht, wie er das macht. Vielleicht hat er eine Karte, auf der kleine Lichter blinken, und eins davon bin ich.
„Uwe“, sagte er. „Wir warten, bis die vom LKA Gefahrstoff da sind. Bis dahin stehen wir hier und tun so, als wäre Zeit.“
„Sie ist selten“, sagte ich.
„Sagen Sie das dem Schiff“, sagte er.
8
Wir warteten. Ich habe keine Geduld. Aber ich kann warten. Ich lief über das Deck, sah in Gesichter, die mir nichts sagten, aber etwas sagen werden. Der Passagier lag in einer Kabine, die mehr nach Lavendel roch als nach Schweiß. Er war nicht alt. Vielleicht 30. Er trug eine Kette, die ich nicht kannte. Ein Kreis. Eine Welle. Das gleiche Symbol wie auf dem Container. Ich mochte das noch weniger.
„Fotos“, sagte ich zu dem Erkennungsdienstler. Er hieß Frank. „Alles.“
„Ich mache immer ‚alles‘“, sagte er.
Ein Mann vom Strahlenschutz kam, in einem Overall, der aussah, als hätte er ihn aus einem Science-Fiction-Film. Er zerlegte einen Koffer in Geräte. Einer piepste. Keiner schrie. Er nickte. „Keine Strahlung, die uns jetzt stört“, sagte er. Manchmal denke ich, wie sie sprechen, ist die halbe Beruhigung.
Dann kam einer vom LKA – Gefahrstoff. Eine Frau. Sie hieß Dr. Rosen. Sie hatte Augen, die gleichzeitig müde und wach waren. Sie ging um den Container herum wie eine Katze um einen Hund.
„Wir machen ihn auf“, sagte sie. „Aber nicht mit euch. Nicht heute.“
„Was ist drin?“, fragte ich.
„Wenn ich es wüsste, müsste ich ihn nicht aufmachen“, sagte sie. „Aber das Symbol… Es ist eine Marke. Es gehört zu einer Firma, die Dinge baut, die Strom lieben.“
„Was für Dinge?“, fragte ich.
„Superkondensatoren. Speicherspulen. Coole Sachen. Eher selten auf Schiffen, die keine Flagge haben.“
„Rätselhafte Technologie“, murmelte Roy.
Sie sah uns an. „Sie lesen zu viele Zeitungen“, sagte sie. „Wir melden uns.“
Ich wollte nicht gehen. Aber ich wusste, dass die Kunst der Polizei auch darin besteht, andere arbeiten zu lassen.
Wir stiegen von Bord. Ich wollte einen Kaffee. Ich bekam einen Anruf.
„Jörgensen“, sagte ich.
„Wir haben einen Toten“, sagte Stefan Czerwinski. „Und ich ahne, dass es nicht der letzte ist.“
„Wo?“, fragte ich.
„Eppendorf“, sagte er. „In der Heimhuder Straße. Ein Mann, Mitte fünfzig, Unternehmer. Kopf. Klein kaliber. Mitte Stirn. Keine Kamera. Keine Zeugen. Kein Geräusch. Kein Sauerstoff. Nur Tod.“
„Wie heißt er?“, fragte ich.
„Glanert“, sagte er. „Harald. Er hatte gestern mit dem Michel zu tun. Er ist Mitglied im Kirchenvorstand.“
„Ich bin unterwegs“, sagte ich. Ich sah Roy an. Er hob die Schultern, als würden sie ihm gehören.
9
Ich glaube nicht an Zufälle. Ich glaube an Muster. Und ich glaube, dass man Muster manchmal erst dann sieht, wenn man sich weigert, sie zu sehen. Wir standen in einer Wohnung in der Heimhuder Straße, die aussah, wie eine Wohnung aussehen sollte, wenn ein Magazin vorbeikommt. Holz, Glas, Kunst, keine Kinder. Der Mann lag in einem Sessel, als hätte er geschlafen. In der Mitte der Stirn ein Loch, so sauber, dass ich wütend wurde. Der Gerichtsmediziner war noch nicht da. Ich kniete neben ihm. Ich machte etwas, was lächerlich ist: Ich versprach ihm, dass ich mein Bestes tun würde.
„Keine Einbruchsspuren“, sagte Stefan. „Die Tür ist zu. Fenster zu. Er war allein zu Hause. Ehefrau in Rom. Kein Hund. Keine Katze. Hauptsicherung drin. Akustik? Der Nachbar sagt: Es war nichts.“
„Pistolenschalldämpfer“, sagte Roy. „Oder was mit Luft. Oder der Fernseher war an.“
„Der war aus“, sagte Stefan. „Er saß hier und las. Eine Bibel. Ein Artikel. Ein Funkspruch.“
„Ein Funkspruch?“, fragte ich.
„Er hat mit dem Pastor vom Michel gestern telefoniert“, sagte Stefan. „Er war in einer Sitzung. Er war…“ Er zögerte. „Er war gegen Medien.“
„Medien hassen“, sagte ich. „Man stirbt nicht dafür.“
„Manchmal stirbt man dafür, dass man für etwas ist, das jemand anderes hasst“, sagte Roy.
Ich sah auf seine Stirn. Ich dachte an Genazino. Ich dachte an den Punkt. Ich dachte an den Mann mit der HSV-Mütze. Ich dachte an das Schiff. Ich hatte keine Verbindung. Aber ich sah Fäden.
Mein Handy vibrierte. Es war Wirtz. „Der Stille“, sagte er. „Aram. Er redet.“
„Was sagt er?“, fragte ich.
„Er sagt ‚Schiff‘“, sagte Wirtz. „Er sagt, sie hätten ein Schiff erwischt. Er sagt, das Schiff gehört Gott. Er sagt, es bringt uns den Sieg. Aber er weiß nicht, was drin ist. Er sagt, jemand telefoniere mit dem Laute. Er sagt, sie bekamen Geld.“
„Von wem?“, fragte ich.
„Von einem Mann mit einer sauberen Hand“, sagte Wirtz. „Er hat eine Narbe am Daumen. Er hat ein Tattoo, das man nicht sieht, wenn man es nicht kennt.“
„Eine Welle im Kreis“, sagte ich leise.
„Was?“, fragte Wirtz.
„Nichts“, sagte ich. „Wir sehen uns in einer Stunde.“
Ich steckte das Handy weg und sah Roy an.
„Sag’s“, sagte er.
„Ich glaube, wir haben zwei Dinge, die eins sind“, sagte ich.
„Und wenn nicht?“, fragte er.
„Dann haben wir drei“, sagte ich. „Und das ist schlimmer.“
10
Wir fuhren zurück ins Präsidium. Ich mag mein Büro. Es ist das teuerste Mietobjekt der Stadt: die Sicht auf den Hof. Roy setzte sich auf die Fensterbank. Ich setzte mich auf den Stuhl, der einem den Rücken bricht. Herr Bock kam herein, ohne anzuklopfen. Er macht das selten. Wenn er es tut, ist etwas.
„Die Frau Rosen hat den Container geöffnet“, sagte er. „Drin ist etwas, das man nicht in Hamburg erwartet.“
„Sag’s“, sagte ich.
„Ein Generator“, sagte er. „Kein normaler. Ein lineargesteuerter Puls-Generator mit Superkondensatoren. So steht es in der Typenbeschreibung. Er ist teilweise in Betrieb. Und er ist nicht dafür da, Strom zu machen. Er ist dafür da, ihn in einer bestimmten Form abzugeben. Eine, die man nicht mag.“
„EMP“, sagte Roy leise.
„Oder etwas anderes“, sagte Herr Bock. „Die Feuerwehr sprach von den Männern auf dem Schiff. Sie haben keine Spuren an den Lungen. Ihre Herzen stehen, als hätte man die Uhr angehalten.“
„Man kann Herzen mit Strom anhalten“, sagte Roy.
„Und man kann sie wieder anstellen“, sagte Herr Bock. „Aber dafür muss man wissen, dass sie stehen.“
„Was will jemand mit einem Generator, der Herzen anhält, in einem Container in unserem Hafen?“, fragte ich.
„Ich weiß es nicht“, sagte er. „Aber ich weiß, dass im Michel heute jemand glaubt, der Himmel habe ihm ein Zeichen geschickt. Und jemand anderes hält eine Pistole an die Stirn eines Mannes, der das Zeichen nicht lesen wollte.“
„Vielleicht sind es drei Dinge“, sagte ich. „Und sie tun so, als wären sie eins. Vielleicht sind sie eins, und sie tun so, als wären sie drei.“
„Ich hasse Ihre Philosophie“, sagte Herr Bock. „Und ich liebe sie.“
Er setzte sich auf den Stuhl, der besser ist als meiner. Er sah mich an. „Was tun wir?“, fragte er.
„Wir reden mit Aram“, sagte ich. „Wir reden mit Dr. Rosen. Wir lassen Koch bewachen wie eine Bank. Wir schicken Norbert Nahr an die Konten der Kirche und der Firma mit der Welle. Wir schicken unsere Leute an die Moschee in Billstedt. Wir schlafen nicht. Und wir rufen nicht Gott.“
„Ich rufe Mandy“, sagte Herr Bock. „Sie macht Kaffee.“
11
Aram war jung. Ich weiß, 24 ist alt. Es ist alt genug, um zu wissen, dass man nicht mit einer Weste in eine Kirche geht. Es ist alt genug, um zu wissen, dass man nicht weint, wenn man glaubt. Er weinte. Es war kein gutes Weinen. Es war unkontrolliert.
„Ich bin Aram“, sagte er. „Ich war nicht der Führer.“
„Ich weiß“, sagte ich. „Du warst der, der nicht sterben wollte.“
„Gott wollte, dass ich Geduld habe“, sagte er. „Er hat es mir gesagt.“
„Wer hat es dir gesagt?“, fragte ich.
„Der Mann im Lautsprecher“, sagte er. „Er war ruhig. Er sagte das Wort. Es ist ein Wort, das die Alten sagen.“
„Es ist ein Wort, das jeder sagt, der nicht sterben will“, sagte ich. „Es ist ein Wort, das ich sagen würde, wenn ich du wäre.“
Er sah mich an. Es war wie eine Kinderfrage. Und es war eine Erwachsenenantwort.
„Wer hat euch angerufen?“, fragte ich.
„Jemand, der nicht ich ist“, sagte er. „Jemand, der Geld gegeben hat. Jemand, der sagte: ‚Geht.‘ Jemand, der sagte: ‚Es wird ein Schiff geben. Ihr sollt nichts tun. Ihr sollt nur warten.‘“
„Wer?“, fragte ich.
„Ich weiß es nicht“, sagte er. „Er hat nicht viel gesagt. Er hat nur die Zahl gesagt.“
„Welche Zahl?“, fragte ich.
„Sechs“, sagte er.
„Sechs was?“, fragte ich.
„Sechs Schläge“, sagte er. „Er sagte: Wenn es sechs Schläge sind, ist es Zeit.“
„Sechs Glockenschläge?“, fragte ich.
„Sechs Herzschläge“, sagte er leise. „Er sagte, wir würden fühlen, wie es ist.“
Ich stand auf. Ich ging zur Tür. Ich ging wieder zurück. Ich setzte mich. Ich trank Wasser. Es schmeckte nach Rost.
„Aram“, sagte ich. „Wer hat dir von der Kirche erzählt?“
„Ein Mann in der Moschee“, sagte er. „Er hat leise gesprochen. Er hat gesagt, wir müssten ein Zeichen setzen. Er hat gesagt, Gott liebt Zeichen. Er hat gesagt, ich sei gut für Geduld.“
„Wie heißt er?“, fragte ich.
„Er heißt nicht“, sagte Aram. „Er kommt und geht. Er hat eine Narbe am Daumen.“
„Ein Mann mit sauberen Händen“, sagte ich.
„Er wäscht sie oft“, sagte Aram.
Ich wollte ihn erschüttern. Nicht, weil ich grausam bin. Weil ich wusste, dass wir wenig Zeit hatten. „Aram“, sagte ich. „Ein Mann hat heute eine Pistole an die Stirn gehalten, weil er in einer Kirche war. Es war nicht Gott.“
Er weinte. Und er sagte einen Namen, der nichts half. Er sagte einen weiteren, der half. Keine großen Fische. Mittelgroße. Fische, die andere Fische kennen. Wir schrieben sie auf.
12
Dr. Rosen war in einer Art Zelt neben dem Container. Sie hatte Handschuhe an. Ihre Stirn glänzte. „Der Generator läuft in einem Modus“, sagte sie, „der theoretisch in der Lage ist, starke elektromagnetische Pulse abzugeben. Aber er ist nicht dafür gebaut, das Stromnetz zu stören. Er ist dafür gebaut, biologisches Gewebe zu beeinflussen.“
„Herzen“, sagte ich.
„Und Gehirne“, sagte sie. „Wenn ich es richtig lese. Ich lese Dinge manchmal falsch. Aber selten.“
„Wer baut so etwas?“, fragte ich.
„Jemand, der glaubt, dass man Dinge im Körper durch Schwingen heilen kann“, sagte sie. „Oder töten.“
„Und warum auf einem Schiff?“ fragte ich.
„Weil ein Schiff ein Ort ist, an dem man niemandem erklären muss, warum etwas summt“, sagte sie.
„Kann man es fassen?“, fragte ich.
„Wir fassen es gerade“, sagte sie. „Ich mag das nicht. Aber ich tue es.“
„Gibt es Spuren?“, fragte ich.
„Ein Passagier. Eine Kette. Eine Firma. Eine Welle im Kreis. Eine Rechnung an eine Gesellschaft in Finnland. Und eine Liste mit Orten. Billstedt. St. Georg. St. Pauli. Drei Kreuze.“
Ich blieb stehen. „Welche Kreuze?“, fragte ich.
„Kreuze auf der Liste“, sagte sie. „Ich habe nicht gefragt, ob sie Kirchen sind. Ich bin nicht religiös.“
Ich lief. Ich lief nicht oft. Ich lief, weil ich rannte. Ich rief.
13
„Herr Bock“, sagte ich. „Wir müssen drei Orte bewachen, als wäre es Weihnachten.“
„Es ist Weihnachten für jemanden“, sagte er. „Welche Orte?“
„Billstedt, St. Georg, St. Pauli“, sagte ich. „Kirchen. Moscheen. Die Liste. Der Container. Der Mann mit der Welle. Der Mann mit der Narbe.“
„Wir haben nicht genug Leute für die ganze Stadt“, sagte er.
„Wir brauchen nicht die ganze Stadt“, sagte ich. „Wir brauchen die, die zählen. Wir brauchen Köpfe in Moscheen. Wir brauchen Augen in Kirchen. Wir brauchen Roy.“
„Den haben Sie“, sagte Roy.
„Und Uwe“, sagte Herr Bock. „Passen Sie auf. Sie sind nicht unsterblich. Nicht heute. Nicht morgen.“
„Ich bin heute“, sagte ich. „Mehr habe ich nicht.“
Und dann passierte das, was passieren musste: Es passierte wieder etwas, das nicht in unsere Pläne passte. Ein Mann wurde tot aufgefunden, diesmal in einer U-Bahn-Station. Er lag an einem Pfeiler. Er sah aus, als schliefe er. Mitte Stirn. Kleinkaliber. Kein Lärm. Kein Zeuge. Und die Polizei fuhr hin und schrieb und sagte und wartete.
Wir waren am Anfang einer Reihe. Einer Reihe, die keiner will. Ein Schiff. Eine Kirche. Ein Generator. Zwei Tote mit sauberer Stirn. Es ist eine Art Mathematik, die ich hasse: zwei plus eins plus eins ist eine Serie. Ich hoffe, ich irre mich. Ich irre mich selten.
14
Ich lief die Treppen hoch in mein Büro. Ich setzte mich. Ich hob den Hörer. Ich rief Norbert Nahr. „Norbert“, sagte ich. „Die Firma mit der Welle. Die Kette. Die Rechnung.“
„Ich bin dran“, sagte er. „Sie verdienen Geld mit hilfreichen Dingen. Sie bekommen Geld von Menschen, die glauben, dass Strom Angst heilt. Und sie geben Geld an Leute, die nicht glauben. Es ist herrlich. Und hässlich.“
„Ich brauche Namen“, sagte ich.
„Ich habe sie fast“, sagte er. „Gib mir zwei Stunden.“
„Ich gebe dir eine“, sagte ich.
Ich hängte ein. Ich sah Roy an. „Wir haben noch keinen Titel“, sagte er. Er sagt das manchmal. Er sammelt Titel, als wären sie Flaschen mit guten Etiketten.
„Heute heißt es“, sagte ich, „Auch Gott hat Sekunden.“
„Das verkauft sich schlecht“, sagte er.
„Dann nennen wir es anders“, sagte ich.
15
Es gibt Tage, an denen du glaubst, die Welt sei ein Kreis mit einem Loch in der Mitte. Du läufst und läufst und kommst immer wieder an derselben Stelle an. Und es gibt Tage, an denen du merkst, dass das Loch nicht leer ist. Es ist voll. Voll mit Wasser. Voll mit Schiffen. Voll mit Stimmen.
Es war schon dunkel, als wir vom Hafen zurück fuhren. Dr. Rosen hatte den Generator ausgebaut. Er war schwer. Vier Männer trugen ihn wie einen Sarg. Ich dachte, es sei ein gutes Bild. Ich wusste, dass Bilder gefährlich sind.
Mein Telefon klingelte. „Nahr“, sagte die Stimme. „Ich habe deine Welle. Sie gehört zu einer Firma, deren Gründer mal in Hamburg studiert hat. Er baut Dinge, die Menschen spüren. Er hat eine Stiftung. Sie fördert Projekte in Gemeinden. Er hat eine eigene Kirche. Sie ist kein e.V. Sie ist eine Idee. Sie hat Leute. Sie hat ein Konto. Und sie hat eine Verbindung zu einem Mann mit einer Narbe am Daumen.“
„Name?“, fragte ich.
„Raimar Voigt“, sagte er. „Er ist sauber. Oder er ist gut geputzt. Er hat Firmen in Finnland, in Estland, in Hamburg. Er hat Freunde in Billstedt. Er hat ein Tattoo, das man nicht sieht, wenn man es nicht kennt.“
„Eine Welle im Kreis“, sagte ich.
„Ich werde religiös“, sagte Norbert. „Ich gehe jetzt Bier trinken.“
„Tu das“, sagte ich. „Aber nicht zu viel. Wir brauchen dich.“
Ich legte auf. Ich sah Roy an. „Wir haben einen Namen“, sagte ich.
„Wir haben viele“, sagte er. „Und wir haben wenig.“
„Wir haben ein Versprechen“, sagte ich.
„Wem?“, fragte er.
„Dem Mann im Sessel. Dem Mann am Pfeiler. Dem Jungen im Michel. Mir“, sagte ich.
Roy nickte. „Dann arbeiten wir“, sagte er.
Und genau in dem Moment, als ich dachte, ich hätte den Faden, riss jemand anders an ihm. Eine SMS. Unbekannte Nummer. Sie sagte: „Wenn ihr wissen wollt, was das Schiff kann, kommt morgen zur alten Werft in Steinwerder. 3 Uhr. Allein.“
Ich las sie Roy vor. Er lachte nicht. Ich lachte nicht. Herr Bock wird nicht lachen. Niemand lacht. Manchmal vergisst man, wie es klingt.
Ich schaute auf die Uhr. Es war kurz vor Mitternacht. Der Michel stand noch. Das Schiff lag noch. Die Stadt schlief. Ich nicht. Ende des ersten Tages.
Und am nächsten würde wieder jemand sterben. Ich spürte es. Ich hoffte, ich irrte mich. Ich irrte mich selten.
16
Manchmal ist drei Uhr morgens kein Zeitpunkt, sondern ein Geräusch. Ein leises Summen in den Kabeln der Stadt, als ob jemand die Spannung hochdreht und dann hofft, niemand merkt’s. Ich saß mit Roy im Wagen am Fuß der alten Werft in Steinwerder. Der Hafen war eine andere Art von Kirche. Kräne wie Orgelpfeifen, dunkle Wasser, die tun, als wären sie still.
„Allein“, hatte die SMS gesagt. Allein ist ein dehnbarer Begriff. Ich stieg aus. Roy blieb. Der Motor war aus. Der Funk stand auf stumm. Auf der anderen Seite, weit genug, um nicht zu zählen und nah genug, um zu zählen, stand ein Kastenwagen. Stefan und Ollie saßen drin. Ich tat so, als wüsste ich es nicht. Ich kannte den Weg durch die Gitter. In den alten Hallen roch es nach Metall und nach einem Leben, das gegangen war.
Ich ging durch ein Loch im Zaun. Der Kies knirschte. Es war kalt genug, dass der Atem zu sehen war, und warm genug, dass er gleich wieder verschwand. Über mir hing eine Lampe, die so tat, als sei sie kaputt. Ich blieb unter ihr stehen. Wenn man jemanden treffen soll, ist es nicht schlecht, wenn man gesehen wird. Wenn einen jemand sehen will, ist es nicht schlecht, wenn man nicht alles sieht.
„Jörgensen“, sagte eine Stimme. Nicht aus dem Schatten. Von oben. Ein alter Kran, dessen Fahrstand in fünf Meter Höhe wie ein Vogelnest hing.
„Hier“, sagte ich. „Runterkommen ist gesünder.“
„Nicht heute“, sagte die Stimme. „Ich mag Höhe.“
Ich sah einen Schatten. Schlank, eine Kapuze, eine Bewegung, die unschlüssig wirkte. Ich hasse unschlüssige Bewegungen. Sie sind nicht kalkulierbar.
„Was wollen Sie?“, fragte ich. „Sie haben gedrängelt.“
„Ich wollte warnen“, sagte er. „Und ich wollte, dass jemand zuhört, der nicht verkauft ist.“
„Wer hat Ihnen das erzählt?“, fragte ich.
„Das Schiff“, sagte er. „Es ist nicht das erste. Es ist das erste, das ihr seht.“
„Wer sind Sie?“, fragte ich.
„Ein Kranführer“, sagte er. „Und ein Idiot.“
„Das eine schließt das andere nicht aus“, sagte ich.
Er lachte nicht. Er war zu angespannt zum Lachen. „Vor drei Wochen ist nachts ein Container auf eine Schute umgeladen worden. Kein Protokoll. Kein Papier. Vier Männer, eine Box, die sie nicht fallen lassen durften. Das Zeichen darauf war eine Welle in einem Kreis. Ich fragte. Sie sagten, halt die Klappe. Ich hielt sie. Bis heute.“
„Wer waren die Männer?“, fragte ich.
„Drei, die in Hamburg sind, wenn man sie bezahlt. Einer, der bezahlt“, sagte er. „Der mit der Narbe am Daumen. Er trug Handschuhe. Er zog sie aus, um zu zählen. Manche Dinge kann man nur mit der Hand zählen.“
„Viele?“, fragte ich.
„Genug, dass Leute tun, was er sagt“, sagte er. „Er sagte: Legt es auf das Schiff. Er sagte: Der Rest kümmert sich. Er sagte: Die Kirche wird es euch zeigen.“
„Die Kirche?“, fragte ich.
„Er sagte: Eine. Vielleicht zwei. Vielleicht drei“, sagte er. „Ich bin nicht fromm. Aber ich mag Kirchen. Sie sind still. Heute waren sie es nicht.“
„Es war nicht das Schiff“, sagte ich. „Nicht im Michel.“
„Jemand hat telefoniert“, sagte er. „Und das ist schlimmer.“
Er bewegte sich. Die Kabine knarrte. Ich hörte das Wasser. Es war nie ganz still. Es klang, als würde jemand mit den Fingern auf eine Tischplatte trommeln.
„Haben Sie noch was?“, fragte ich. „Namen. Orte.“
Er kramte. Ich hörte Papier. „Ich habe eine Nummer“, sagte er. „Eine, die vom Dock aus angerufen wurde, als die Box geladen wurde. Es ist eine Prepaid. Aber die Nummer, die es danach anrief, ist keine. Sie gehört einem Verein, der keine Spendenquittungen ausstellt.“
„Name?“, fragte ich.
„Erinnerungskreis“, sagte er. „Der Name ist bescheuert. Der Mann nicht.“
Er ließ etwas fallen. Es segelte. Ich trat einen Schritt vor. Ein Umschlag landete vor meinen Füßen. Ich hob ihn auf. Darin ein Zettel mit einer Nummer und einer Adresse. Kein Klingelschild. Kein Stockwerk. Nur ein Haus in einer Seitenstraße von St. Georg. Ich kannte die Straße. Jedenfalls dachte ich, ich würde sie kennen. Meine Stadt hat mehr Straßen, als ich Namen habe.
„Warum ich?“, fragte ich. „Warum nicht die Zeitung. Oder Kopf einziehen.“
„Die Zeitung druckt, was sie versteht. Ihr druckt nicht“, sagte er. „Und Kopf einziehen hilft nicht, wenn der, der zieht, einen langen Arm hat.“
„Wer hat langen Arm?“, fragte ich.
„Der Mann mit der Narbe“, sagte er. „Und der, der ihm das Geld gibt. Er heißt nicht Voigt. Aber er tut so.“
„Sie gehen jetzt runter“, sagte ich. „Und dann gehen Sie zu einem warmen Ort mit einem schlechten Kaffee und jemandem mit einem Bleistift, der zu viel schreibt.“
„Ich geh nicht runter“, sagte er. „Nicht heute. Ich mag Höhe.“
Es war der Moment, in dem ich die Welt für eine Sekunde lang hörte, als würde jemand den Ton ausstellen. Ich hörte kein Knacken, keinen Schuss, kein Wort. Ich sah nur, wie der Schatten oben aus dem Bild kippte, wie eine Marionette, der man die Fäden durchgeschnitten hatte. Er fiel, als müsste er nur noch durch Luft. Er schlug auf. Leise. Leiser, als ich gedacht hätte.
Ich rannte. Ich wusste, dass es zu spät war. Aber man rennt. Sein Körper lag so, wie Körper liegen, wenn sie nicht mehr müssen. In der Mitte der Stirn – klein, sauber. Ich mochte diese Mitte nicht. Ich mochte sie gar nicht. Es war nicht der Mann mit der HSV-Mütze. Es war jemand anderes. Es war derselbe, der niemand anders war. Es war wieder das Loch.
„Schütze“, sagte Roy in mein Ohr. „Dach Ost. Dritter Querträger. Thermal zeigt was.“
„Nicht schießen!“, sagte ich.
„Ziel wechselnd“, sagte Stefan. „Keine klare Sicht.“
Ich kniete neben dem Kranführer. Er war jung. Zu jung. Ich nahm ihm die Kapuze ab. Er hatte ein schmales Gesicht, das nichts gesagt hatte. Ich nahm den Umschlag fester in die Hand. Er wäre gestorben, auch wenn ich ihn nicht in der Hand gehabt hätte. Diese Art Beruhigung ist lächerlich. Aber manchmal braucht man sie.
„Einsatz abbrechen“, sagte ich leise. „Es ist zu offen.“
Der Schütze war so verschwunden, wie Dinge verschwinden, die sich darauf vorbereitet haben, zu verschwinden. Ich stand auf. Ich fühlte mich alt.
„Das war die zweite“, sagte Roy, als ich wieder im Wagen saß.
„Die dritte“, sagte ich. „Glanert. Der Mann am Pfeiler. Und jetzt er.“
„Es gibt eine Reihenfolge“, sagte Roy.
„Es gibt jemand, der Zahlen mag“, sagte ich.
17
Wir standen zwei Stunden später in St. Georg vor einem Haus, das so tun wollte, als sei es unsichtbar. Es war aus der Sorte Altbau, der mal schön war und jetzt müde. Im Erdgeschoss eine Praxis für Fußpflege, daneben ein Laden, der Kräuter auslegte, die keine Namen hatten. Die Adresse, die der Kranführer in den Umschlag geschrieben hatte, war der Hintereingang. Ein Klingelbrett ohne Namen. Drei Knöpfe. Einer klebte. Ich drückte alle drei.
Roy sah mich an. „Ganz unauffällig“, sagte er.
„Er wollte ‚allein‘“, sagte ich. „Jetzt sind wir zu zweit. Das ist göttlich.“
Die Tür schnappte. Ein Riegel gab nach. Wir traten ein. Der Flur roch nach Kohl und nach Feuchtigkeit. Ich mochte den Geruch nicht. Er roch nach Kindheit von anderen.
Im zweiten Stock stand eine Tür offen. Wir hielten. Das ist das, was du immer tust: Du hältst und siehst, ohne zu sehen. Dann gehst du. Die Wohnung war leer, auf den ersten Blick. Kein Tisch, kein Stuhl. Ein Raum mit einer Matte. Eine Wand mit Kreidezeichen. Kreise. Wellen. Linien. Es sah aus wie das, was Leute an Wände malen, wenn sie glauben, sie seien auf dem Sprung in etwas Neues.
„Es ist leer“, sagte Roy.
„Nichts ist leer“, sagte ich.
Ich ging entlang der Wand. Die Kreide war frisch. Sie verschmierte, als ich mit dem Finger darüber strich. Darunter war eine Farbe, die nicht zur Wand gehörte. Dunkler. Ich kniete. Ich zog ein Messer und kratzte eine Ecke hoch. Eine Folie. Eine Antenne. Eine Art Patch, der auf Putz klebte. Roy pfiff leise.
„Unser Erinnerungsverein mag Leitungen“, sagte er.
„Er mag die Luft“, sagte ich. „Und er mag Räume, in denen man sprechen kann, ohne gehört zu werden. Oder gehört werden will.“
In der Küche standen zwei Tassen. Ich roch daran. Einer trank Tee. Einer Kaffee. An einem Löffel klebte Zucker, der nicht aus einem Supermarkt war. Kleine, dunkle Kristalle. Ich kenne Zucker. Ich trinke meinen Kaffee schwarz.
„Abhörtechnik“, sagte ich ins Handy. „Rolf? Bring deine Kiste.“
Rolf Peters kam dreißig Minuten später. Er sah müde aus und freute sich darüber. Männer wie er mögen es, wenn sie müde sind. Es ist eine Bestätigung.
„Du hast mir eine Antenne mitgebracht“, sagte er. Er klemmte die Folie ab, zog Kabel, die es nicht gab, und hielt am Ende einen kleinen, fast unsichtbaren Magnetstreifen in der Hand. „Das hier spricht“, sagte er. „Und jemand hat zugehört.“
„Wer?“, fragte ich.
„Einer, der nicht dumm ist“, sagte er. „Ich höre zwei Frequenzen. Eine ist kurz. Eine ist länger. Die lange geht zu einem Haus, das notierte ich dir. Es ist ein Umschlag.“
„Ich liebe Umschläge“, sagte ich. „Heute nicht mehr.“
18
Norbert Nahr schickte unterdessen eine Nachricht: Ein Konto mit regelmäßigen Zahlungen an den Erinnerungsverein. Absender: eine GmbH, deren Geschäftsführer in Finnland war, deren Briefkasten in Estland war und deren Steuerberater in Hamburg. Adresse: eine Etage über einem Laden, der Mandelcroissants verkaufte, die besser aussahen, als sie schmeckten. Ich mag Mandelcroissants. Ich esse sie nicht.
„Wir gehen“, sagte ich zu Roy.
„Wir gehen“, sagte er.
Der Steuerberater war einer von der Sorte, die so tuen, als läge nichts auf ihrem Schreibtisch. Sein Name stand auf einer messingfarbenen Platte. Ich las ihn und vergaß ihn. Er tat freundlich.
„Was kann ich für Sie tun?“, fragte er.
„Uns Kaffee geben“, sagte ich. „Und dann alles über die OzeanTech GmbH.“
Er blinzelte. Ich weiß nicht, ob es gespielt war. Ich gehe davon aus, dass es es war. Ich hielt ihm meinen Ausweis hin.
„Kaffeetasse“, sagte er. „Zwei?“
„Einer“, sagte Roy. „Einer trinkt keinen Kaffee. Er trinkt Informationen.“
Wir setzten uns. Er brachte Tassen. Er legte Hände auf den Tisch. Es war schön, dass er keine Uhr trug, die mir sagen wollte, wie teuer seine Zeit war.
„OzeanTech verwalten wir“, sagte er. „Wir wissen nicht, was sie bauen. Wir haben eine Adresse. Wir haben eine E-Mail. Wir bekommen Unterlagen. Wir archivieren sie.“
„Und lesen sie nicht?“, fragte ich.
„Nicht, wenn wir sie nicht lesen müssen“, sagte er. „Das ist das Prinzip des Steuerberaters. Er weiß die Dinge genau dann, wenn er sie wissen will.“
„Wer ist Raimar Voigt?“, fragte ich.
„Ein Kunde“, sagte er. „Ein Freund. Ein Visionär. Einer, der redet, als würden seine Sätze ihn lieben.“
„Und einer, der zahlt“, sagte ich.
Er lächelte. „Das macht ihn zu einem Kunden“, sagte er.
„Wo finde ich ihn?“, fragte ich.
„Überall“, sagte er. „Und nirgends. Heute Vormittag sprach er in einer Stiftung. Heute Nachmittag war er in einer Praxis für Neuro-Resonanz. Morgen fliegt er nach Tampere. Oder er fliegt nicht. Ich weiß es nicht.“
„Sie wissen mehr“, sagte ich.
„Ich weiß vieles“, sagte er. „Aber ich weiß, was ich nicht weiß.“
Ich stand auf. Ich wollte ihm nicht drohen. Ich tat es nicht. Drohen in Zimmern wie diesem ist sinnlos. Drohen auf Dächern ist sinnlos. Drohen in Kirchen ist sinnlos. Drohen in mir selbst ist sinnlos.
„Wir kommen wieder“, sagte ich. „Mit Papier. Und Menschen, die Papier tragen, das sie ernst nehmen.“
„Ich auch“, sagte er. „Mit einem Anwalt.“
19
Die Stadt wurde hell, ohne dass es heller wurde. Wir verteilten Leute. Billstedt, St. Georg, St. Pauli. Ich rief Wirtz: Die Moschee. Er nickte durch das Telefon. Ich rief Koch: Er sagte, die Bundespolizei See schlafe nicht. Ich rief Dr. Rosen: Sie sagte, der Generator sei in einer Halle, die nur Metall kenne.
Dann kam die Nachricht, von der ich wusste, dass sie kommen würde. Man weiß nie, wann man es weiß, aber man weiß, dass man es weiß. Ein Mann lag auf dem Gehweg in Altona. Er war ungefähr vierzig. Er hatte eine Bäckertüte in der Hand. In ihr waren Brötchen, die hart waren, ohne alt zu sein. In der Mitte seiner Stirn war eine kleine Linie. Sie mochte Mitte. Ich mochte sie nicht.
„Wie heißt er?“, fragte ich Stefan, als wir über den Toten standen.
„Er heißt Rafi Hafiz“, sagte er. „Er hatte eine rechte Hand.“
„Nicht mehr“, sagte ich.
„Das passt nicht“, sagte Roy. „Raducanu sitzt.“
„Einer bezahlt weiter“, sagte ich. „Einer will, dass das Lied nicht aufhört, wenn ein Musiker nicht spielen kann.“
„Du hältst an deiner Musik fest“, sagte Roy.
„Ich habe nichts anderes“, sagte ich.
20
Wir zogen Hafiz’ Telefon. Seine Nachrichten. Seine Nummern. Eine war neu. Sie war von gestern. Ein kurzer Satz: „Du bist dran.“ Ich mag Sätze, die sich anstrengend kurz geben. Sie sind faul. Ich antwortete ihnen im Kopf. Ich sagte: „Ich bin immer dran.“
Ein Streifenwagen holte Aram. Er saß in einem Zimmer, das zu klein war. Er sah auf seine Hände. Er sagte nichts. Er musste nichts sagen. Er hatte schon das gesagt, was er sagen konnte. Ich nahm ihm das nicht übel. Ich freute mich nicht. Ich tue mich schwer damit, mich zu freuen.
In einer Stunde saß ich wieder neben Herr Bock. Er sah aus, als hätte er drei Stunden geschlafen und sechs gearbeitet. Es war mehr. Es war weniger.
„Wir haben nicht genug Leute“, sagte er. „Wir haben zu viele Orte.“
„Wir haben eine Nummer“, sagte ich. Ich zeigte ihm den Zettel vom Kranführer. Die Nummer, die auf den Erinnerungsverein gelaufen war. Er reichte ihn Rolf. Rolf tat etwas mit einem Kasten. Er tat es schnell. Er tat es gut. Ich bin froh, dass es Menschen gibt, die Dinge gut tun, die ich nicht kann.
„Die Nummer nutzt einen Knoten in einem Haus in Eimsbüttel“, sagte er. „Vier Wohnungen. Eine leer. Eine mit einem Studenten. Eine mit einer alten Frau. Eine mit einem Mann, der jüngst eingezogen ist. Er gibt sich als Grafiker aus. Er hat kein Netz angemeldet. Aber er hat viel Netz.“
„Name?“, fragte ich.
„Müller“, sagte Rolf. „Das ist kein Witz.“
„Alles ist ein Witz“, sagte ich. „Bis jemand stirbt.“
21
Wir standen vor dem Haus in Eimsbüttel. Ich klingelte. Jemand oben ging zur Tür und guckte durch den Spion. Ich guckte zurück. Es ist eine schlechte Angewohnheit. Aber ich glaube, Spione sind dafür da. Ich hörte ein Geräusch, das nur eine Sache sein konnte: Jemand schob etwas vor eine Tür. Entweder eine Kommode. Oder einen Schrank. Oder seine Angst.
„Polizei“, sagte ich. „Wir sind nicht lustig.“
„Er macht das Fenster“, sagte Roy. Er rannte los. Ich lief ihm nach. Ich sah in den Hinterhof. Ein Mann sprang. Er sprang nicht elegant. Aber er sprang. Er fiel nicht. Er rollte ab, als hätte er geübt. Er trug einen Rucksack. Er lief.
„Halt!“, rief ich. „Polizei!“
Er lief. Er war schnell. Ich war nicht langsam. Ich rannte. Ich spürte meine Lunge. Sie beschwerte sich. Sie tat es leise. Ich holte ihn nicht ein. Er bog um eine Ecke. Er lief in eine Passage. Er verschwand.
Ich stellte mich hin. Ich atmete. Roy kam neben mich. Er spuckte auf den Boden. Er ist nicht der Typ, der spuckt. Er tat es für seine Wut. Er entschuldigte sich innerlich. Ich weiß das.
„Wir kriegen alle irgendwann“, sagte ich.
„Heute nicht“, sagte ich.
22
Am Nachmittag rief mich die Pressestelle des Bischöflichen Ordinariats an. Ja, die gibt es. Sie sprachen von Genesungswünschen, vom Gottvertrauen, von Sicherheit. Sie sagten, sie würden mit uns zusammenarbeiten. Ich sagte, ja. Ich sagte, wir wollten, dass es keine weiteren „Ereignisse“ gibt. Ich benutzte dieses Wort. Ich schämte mich dafür. Es ist das Wort, das man benutzt, wenn man etwas nicht beim Namen nennt, weil der Name eine Wirkung hat, die man nicht will.
Am Abend stand ich im Hof des Präsidiums und rauchte nicht. Roy stand daneben und rauchte nicht. Stefan kam dazu. Er rauchte. Er tat es so, als hätte er gerade damit angefangen.
„Wir haben eine Spur“, sagte er. „Die Firma OzeanTech hat eine Halle in einem Gewerbegebiet in Harburg. Offiziell für Prototypen. Unoffiziell für Treffen. Heute Abend soll dort eine Runde zusammenkommen. Einladung per Signal. Thema: ‚Resonanz im Gemeinwohl‘. Ich werde alt.“
„Ich war nie jung“, sagte ich.
„Wollen wir?“, fragte er.
„Wir wollen“, sagte ich.
23
Die Halle in Harburg war einer dieser Orte, die dich annehmen, wenn du dich verirrst. Keine Beschriftung. Ein Schild „Vorsicht Stapler“. Ein Container, der aussah wie jeder andere, und keiner war wie jeder andere. Vor der Halle standen zwölf Menschen. Zehn Männer, zwei Frauen. Sie trugen Kleidung, die man in Prospekten sieht. Lässig, teuer. Einer trug einen Schal, der aussah, als wäre er alt. Ich traue alten Schals nicht.
Ein Mann trat heraus. Er trug kein besonderes Zeichen. Er trug eine Sprache. „Schön, dass Sie alle da sind“, sagte er. „Resonanz ist nicht nur Physik. Sie ist Gerechtigkeit. Wir arbeiten daran.“
„Hallo, Herr Voigt“, sagte ich.
Er blinzelte. Er bestätigte nicht. Er widersprach nicht. Er lächelte. Ich mag solche Lächeln nicht. Sie sind gut trainiert.
„Abendveranstaltung?“, fragte ich. „Mit Catering?“
„Mit Sinn“, sagte er. „Polizei? Oder Energie?“
„Beides“, sagte ich. „Manchmal ist es dasselbe.“
„Nur wenn sie fließt“, sagte er.
„Sie fließt manchmal in Köpfe“, sagte ich. „Und manchmal in Container. Und manchmal ins Herz mitten durch die Stirn.“
Er sah mich an, als wäre ich ein alter Freund, der ein schlechtes Gedicht vorlas. „Ich habe nichts mit Stirnen zu tun“, sagte er. „Ich habe mit Gehirnen zu tun. Sie sind ähnlich, aber nicht gleich.“
„Der Generator“, sagte ich. „Schönes Spielzeug. Nutzen Sie ihn gern privat?“
„Ich benutze Dinge, die wirken“, sagte er. „Und ich benutze sie verantwortungsvoll.“
„Auf Schiffen?“, fragte ich.
„In Laboren“, sagte er. „Auf Schiffen fahren andere. Ich fahre nicht gut.“
„Und der Erinnerungsverein“, sagte ich. „Ist das Ihr Chor?“
„Erinnerung ist gut“, sagte er. „Sonst wiederholt man Fehler.“
„Oder man wird ihr Instrument“, sagte ich.
Das Lächeln verrutschte einen Hauch. Es war die Art, wie man eine Krawatte gerade zieht, wenn man keine trägt.
„Haben Sie eine Vorladung?“, fragte er. „Oder wollen Sie zuhören?“
„Ich will hören, ob ich einen Haftbefehl brauche“, sagte ich.
„Sie werden ihn nicht bekommen“, sagte er. „Nicht heute. Nicht wegen mir.“
„Aber vielleicht wegen jemand, der mit Ihnen redet“, sagte ich. „Jemand mit einer Narbe am Daumen. Er zählt gern. Und er bezahlt.“
Der Mann neben ihm, der Schal, bewegte die Hand. Da war eine Narbe. Klein. Herzförmig. Ironie hat Humor. Er zog sie zurück. Er tat, als höre er etwas. Er tat, als würde er gleich gehen. Ich tat, als wäre ich langsam. Ich war es nicht.
„Wir haben Namen“, sagte ich. „Wir haben Wege. Wir haben Fehler. Machen Sie keine.“
„Ich mache nur Resonanz“, sagte Voigt. „Und Menschen töten Menschen, nicht Maschinen.“
„Menschen bauen Maschinen, um Menschen zu töten“, sagte ich. „Manche bauen sie, um zu heilen. Es kommt auf die Hände an. Ich habe mir Ihre angesehen. Sie sind sauber.“
„Ich wasche sie oft“, sagte er.
24
Wir fuhren zurück. Wir hatten kein Papier. Wir hatten keine Handschellen an jemandem, der es verdient hätte. Wir hatten Fäden, die straff waren und die reißen könnten. Wir hatten eine Liste mit drei Kreuzen und zwei waren schon durch. Draußen blieben Menschen stehen und redeten, als würden sie morgen anders reden. Es war eine gewöhnliche Nacht in einer ungewöhnlichen Woche.
Um kurz nach elf zog Roy die Gardine meines Büros zur Seite. Er tat das selten. Er tat es jetzt, weil er nachdenken wollte und die Stadt half ihm. Er sagte: „Könnte es sein, dass der mit der Narbe die Morde macht? Nicht der mit der HSV-Mütze. Ein anderer. Der Mützenträger ist Geschichte. Das hier ist sauberer. Kälter. Leiser.“
„Er macht sie nicht selbst“, sagte ich. „Er hat Hände. Aber er benutzt sie nicht für Kälte. Er benutzt sie zum Zahlen.“
„Dann zahlen wir zurück“, sagte Roy.
„Mit Zinsen“, sagte ich.
Mein Telefon vibrierte. Eine Nachricht. Von einer Nummer, die jetzt bekannt war. „Krähenwiese. Morgen. Acht Uhr. Allein.“
Ich schrieb: „Kommen Sie zu uns. Wir haben Sitzplätze.“
Es kam zurück: „Ich nehme die Tiefe. Ihr habt die Höhe.“
Ich legte das Telefon weg. Ich stand auf. Ich ging. Ich wusste, dass ich um acht Uhr am Park stehen würde. Ich wusste, dass ich nicht allein sein würde, auch wenn ich es sein sollte. Ich wusste, dass jemand da sein würde, der nicht lachen konnte.
Und ich wusste, dass wir nicht schnell genug waren. Man ist nie schnell genug. Man ist nur da. Und manchmal reicht es. Nicht oft. Aber manchmal. Ich nahm meine Jacke. Ich nahm meinen Ausweis. Ich ließ meine Müdigkeit auf dem Stuhl. Sie blieb nicht liegen. Sie folgte mir. Ich ließ sie trotzdem zurück.
Die Stadt schaltete ihre Lichter nicht aus. Sie tat so, als sei alles normal. Ich tat so, als glaubte ich ihr. Es ist die einzige Chance, die wir haben. Morgen stirbt vielleicht wieder jemand. Ich hoffe, ich irre mich.
Ich irre mich selten.
25
Acht Uhr morgens ist der Stadtpark ein Theater, in dem die Statisten zu früh sind. Rentner, die die gleiche Runde gehen wie gestern, Läufer, die so tun, als würden sie nicht auf die Uhr sehen, Hunde, die glauben, der Teich gehöre ihnen. Die Krähenwiese lag feucht und tat harmlos. Ich hasse harmlose Orte, wenn jemand sie auswählen will.
„Allein“, hatte die Nachricht gesagt. Ich war allein mit dreißig Augen, die mich nicht sehen sollten: zwei Scharfschützen vom SEK in Tarnung hinter der Holzbrücke, eine Drohne im Baum, Rolf Peters mit einem Koffer unterm Arm in einem Lieferwagen, der so aussah, als würde er Blumen bringen. Roy stand zwei Wege weiter und hielt eine Zeitung, die er nicht las. Stefan und Ollie parkten auf dem Jahnring, als hätten sie auf dem Weg zum Bäcker hier angehalten.
Ich trug keine Weste. Manchmal ist es eine Frage der Höflichkeit.
Die Wiese wirkte leer. Ein Kind schrie irgendwo, weil es fallen muss, um zu lernen. Ich ging den schmalen, unbefestigten Weg, den Ben Tufak vor Jahren für wichtig erklärt hatte. Der Boden sumpfte leicht. Es roch nach feuchtem Holz und nach dem, was Bäume von sich geben, wenn sie wütend sind.
„Drohne oben“, flüsterte Rolf in mein Ohr. „Thermal ruhig. Keine wärmeren Flecken als Enten und Jogger.“
Ich blieb stehen. Ein Rabe hüpfte, als wollte er mich beleidigen. Ich hob die Hand, als würde ich ihm zurückwinken. Ich wartete. Ich bin schlecht im Warten. Ich wartete trotzdem.
„Sie sind pünktlich“, sagte eine Stimme. Nicht von vorn. Nicht von hinten. Von links. Aus dem Gebüsch, zwischen den staksigen Birken. Eine Figur löste sich, klein, schmal, Kapuze. Keine Waffe in den Händen. Die Art Mensch, die man überall übersieht und der das nützlich ist.
„Aber nicht allein“, fügte die Stimme hinzu.
„Niemand ist allein“, sagte ich. „Nicht in Hamburg.“
Ein kurzes, gelangweiltes Lachen. „Sie haben Humor. Das ist selten bei Ihrer Sorte.“
„Selten ist unser Geschäft“, sagte ich. „Was wollen Sie?“
Die Kapuze hob sich ein wenig. Ein schmaler Mund, hohe Wangenknochen, dunkle Augen, die unentschlossen zwischen Furcht und Trotz pendelten. Ein Teenager? Nein. Eine junge Frau, maximal Mitte zwanzig. Die Hände rot vom Frost.
„Sie nennen es ‚Erinnerungskreis‘“, sagte sie. „Ich nenne es ‚Verein der arroganten Männer, die glauben, dass sie recht haben, weil sie es sich leisten können‘.“
„Haben Sie einen Namen?“, fragte ich.
„Heute nicht“, sagte sie. „Einen für Sie, einen für sie – nein.“
„Warum hier?“, fragte ich.
„Weil vor Jahren hier etwas passiert ist, das Ihr Freund Tufak nicht vergessen hat. Erinnerung hat Orte. Die Männer mit der Welle mögen Orte, an denen der Boden weich ist.“
„Die Männer mit der Welle“, wiederholte ich. „Voigt?“
Sie verzog den Mund, als würde ihr etwas bitter im Mund liegen. „Voigt ist die Stimme. Nicht die Hand. Die Hand trägt eine Narbe am Daumen.“
„Kennt man ihn als Grafiker?“, fragte ich.
„Man kennt ihn nicht“, sagte sie. „So will er es.“
„Was geben Sie mir?“, fragte ich. „Und was wollen Sie?“
Sie zog die Kapuze ein Stück tiefer und legte eine flache, schwarze Plastikkarte in meine Hand. Kein Logo, keine Prägung. Nur eine matte Oberfläche. „Das“, sagte sie. „Es ist eine Session. Eine, die Ihr Rolf lesen kann. Keine Angst, kein Trojaner. Ich bin nicht hier, um zu spielen.“
„Und Sie?“, fragte ich. „Was brauchen Sie?“
„Aus“, sagte sie leise. „Ich will aus. Ich war gut in Chemie. Ich dachte, ich mache was mit Farben. Jetzt mische ich Felder. Ich kann nicht mehr schlafen. Und wenn ich schlafe, höre ich das Summen.“
„Wir können Sie schützen“, sagte ich. „Aber nicht, wenn Sie nicht sagen, wie Sie heißen.“
„Dora“, sagte sie nach einem Moment. „Dora wie Dorothea. Und nein, das ist nicht der Name, den meine Mutter mir gegeben hat. Aber es ist einer.“
„Dora“, wiederholte ich. „Was ist auf der Karte?“
