15 Gründe, dich zu hassen - Ana Woods - E-Book

15 Gründe, dich zu hassen E-Book

Ana Woods

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Beschreibung

Versuchsperson: Tyler Bennett – Eigenart: Mr Bennett singt absichtlich falsche Liedtexte 

Für ein Schulprojekt müssen Alice und Tyler fünfzehn Macken des jeweils anderen aufschreiben – kein Problem, wenn man seit Ewigkeiten befreundet ist. Aber dann ist da noch diese Wette zwischen ihnen, wegen der Alice auf sieben Dates gehen muss, obwohl sie der Liebe eigentlich abgeschworen hat. Ein Desaster-Date nach dem anderen folgt, aber immerhin fällt es ihr nicht schwer, ihren Aufsatz über ihren besten Freund zu schreiben. Wie kann es sein, dass die schlechten Eigenschaften ihrer Dates sie in den Wahnsinn treiben, Tylers Macken jedoch genau das sind, was sie so sehr an ihm mag? Als Tyler dann aber ihre Zukunftspläne gefährdet, wird die Freundschaft der beiden auf eine harte Probe gestellt und Alice muss sich fragen: Kennt sie ihren besten Freund doch nicht so gut, wie sie dachte? 

Ein humorvoller High-School-Liebesroman über ein Schulprojekt, eine Wette und jede Menge Gefühle 

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Das Buch

»Mir fallen locker fünfzig Macken von dir ein«, sagte Tyler neben mir.Ich zog eine Braue in die Höhe. »Was soll das werden? Möchten Sie mich etwa herausfordern, Mr Bennett?«»Wieso nicht, Miss Wright? Sie können doch keiner Herausforderung widerstehen.« Seine Augen blitzten provokativ auf. Er hatte mich am Haken und das wusste Ty.Eine Weile schwiegen wir einander an, lieferten uns ein stummes Blickduell. Bis ich ihm die Hand hinhielt, in die er einschlug. »Deal.«»15 Dinge an Alice Wright, die mich zur Weißglut treiben.«»15 Gründe, Tyler Bennett zu hassen«, konterte ich.Ein Schulprojekt, bei dem ich meinen besten Freund als Versuchskaninchen missbrauchen konnte? Etwas Besseres konnte ich mir kaum vorstellen!

Die Autorin

© Privat

Ana Woods erblickte an einem kalten Wintertag des Jahres 1991 das Licht der Welt. Gemeinsam mit ihrem Freund und deren vierbeinigen Dackel-Begleiter lebt sie am grünen Stadtrand von Berlin, wo sie von Inspiration zu ihren Romanen nur so umgeben ist. Bereits in jungen Jahren fing sie mit dem Schreiben an und verzauberte mit ihren fantasievollen Kurzgeschichten nicht nur Freunde und Familie, sondern ebenfalls ihre Lehrer und Klassenkameraden. Seitdem hat sie nie damit aufgehört, sich in fremde Welten zu träumen und an der Seite ihrer Charaktere den Kampf gegen den Feind aufzunehmen. Was dabei nie fehlen darf: eine große Tasse Kaffee und die leisen Klänge ihrer Lieblings-Disneylieder.Mit »Fallen Queen – Ein Apfel, rot wie Blut« erschien 2017 der Auftakt ihrer Debütreihe, mit der sie sich ihren größten Traum erfüllt hat: sich als Autorin selbstständig zu machen.

Mehr über Ana Woods auf Facebook:https://www.facebook.com/ana.woods.autorin

Ana Woods auf Instagram:www.instagram.com/ana.woods.autorin/

Der Verlag

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Viel Spaß beim Lesen!

Für Dad,meinen Nummer 1 Fan der ersten Stunde

KAPITEL 1

»Was glaubst du eigentlich, wer du bist?«

Noch bevor wir auf dem Schulparkplatz zum Stehen gekommen waren, hörten wir die sich überschlagende Stimme meiner besten Freundin. Tyler warf mir von der Fahrerseite einen beunruhigten und zugleich besorgten Blick zu. Immer, wenn er jemanden auf diese Weise anschaute, bildeten sich exakt drei Falten auf seiner Stirn, die ihn wie einen Mops aussehen ließen.

Eine größere Schülertraube hatte sich vor dem Eingang gebildet, um das Spektakel nicht zu verpassen. Sie alle gafften meine beste Freundin an, als wäre sie eine Zirkusattraktion. Einige hatten ihre Smartphones in der Hand und filmten den ersten Zara-Ausraster dieses frühen Montagmorgens. Vermutlich würde es nur wenige Minuten dauern, ehe die ersten Videos online waren und Zara zum Gespött der Schule machten. Woran sie im Grunde gewöhnt war. Sosehr ich sie auch liebte, meine Freundin litt unter einem klitzekleinen Aggressionsproblem. Es brauchte nur ein einziges falsches Wort oder einen einzigen falschen Blick, um sie in zwei Sekunden von null auf hundert zu bringen. Damit beschleunigte sie schneller als der neue Ferrari ihres Dads.

Als Tyler endlich einen freien Parkplatz gefunden hatte, löste ich den Gurt und riss die Tür auf, kaum dass er den Motor abgeschaltet hatte.

»Warte doch einen Moment, Alice!« Tyler war mein bester Freund. Wir lebten nebeneinander und waren zusammen aufgewachsen – er sollte wissen, dass ich keine Zeit verschwenden konnte, wenn Zara wieder einmal dabei war, die Aufmerksamkeit aller auf sich zu ziehen. Schuldirektor Hamilton hatte sie ohnehin schon auf dem Kieker. Ich konnte nicht zulassen, dass sie wegen eines Streits mit Jackson Turner ihre Zukunft aufs Spiel setzte.

Und Jackson war sicher mal wieder die Wurzel allen Übels, auch wenn ich ihn im Moment noch nicht sehen konnte. Denn wann immer Zara kurz davor war, jemanden zu verprügeln, war er es. Wobei niemand wusste, weshalb die beiden überhaupt einen Kleinkrieg ausfochten. Leider konnten sie einander auch nicht aus dem Weg gehen, denn sie gehörten schon seit Beginn der Highschool zu derselben Clique. Diese bestand aus Tyler und seiner Freundin Amy, die allerdings erst später zu unserer Gruppe gestoßen war, seinem besten Freund Jackson, meiner besten Freundin Zara und mir. Wir hatten schon vieles versucht, damit die beiden das Kriegsbeil begruben, aber allem Anschein nach war das unmöglich.

Aus diesem Grund wunderte es mich auch nicht, dass Jackson nun mit verschränkten Armen gegen sein Auto gelehnt dastand und Zaras Gefühlsausbruch wortlos über sich ergehen ließ. Immerhin hatte er mittlerweile begriffen, dass Widerworte zwecklos waren, wenn Zara sich einmal in Rage geredet hatte.

»Was ist dieses Mal passiert?«, fragte ich den Schüler neben mir.

Er zuckte mit den Schultern. »Keinen Schimmer. Jackson hat etwas gesagt und Zara ist in die Luft gegangen.«

»Ein typischer Montagmorgen also.« Seufzend verschaffte ich mir mithilfe meiner Ellbogen Platz, um zu meiner Freundin zu gelangen. Sie setzte gerade zu einem erneuten Ausbruch an, als ich sie am Arm packte, Jackson einen entschuldigenden Blick zuwarf, den er abwinkte, und Zara durch die Eingangstür in den Flur zog. Einige Mitschüler protestierten, da ich ihnen die Show vermasselte, aber ich ignorierte die Rufe.

»Verdammt, Alice! Das hat wehgetan!«, motzte Zara mich mit bebender Stimme an, als wir in der Mädchentoilette angekommen waren. Sie rieb sich die leicht gerötete Stelle am Arm. Das ließ mich allerdings unbeeindruckt, denn ich wusste, wie man in solchen Fällen mit ihr umgehen musste.

Behutsam legte ich meine Hände auf Zaras sich noch immer viel zu schnell hebenden und senkenden Schultern. Dann sagte ich in einem leisen Flüsterton: »Einatmen … ausatmen.«

Sie presste ihre Augen zu zwei schmalen Schlitzen zusammen, was ihnen wegen ihrer grünen Farbe eine katzenhafte Eleganz verlieh.

»Gut«, sagte ich sanfter, als sich ihre Atmung verlangsamt hatte. »Und jetzt sag mir, womit Jackson heute deinen Hass verdient hat.«

Zara rollte mit den Augen und schob sich eine der dunklen Dreadlocks, die sich aus ihrem verknoteten Pferdeschwanz gelöst hatte, aus der Stirn. »Er hat geatmet, das reicht ja wohl!«

Ein leises Aufstöhnen konnte ich mir nicht verkneifen. Zara war manchmal unmöglich. Ich spiegelte ihre Pose und warf ihr einen belehrenden Blick mit hochgezogener Augenbraue zu. Dabei tippte ich mit meiner Fußspitze einige Male auf den Boden und wartete auf die ehrliche Antwort.

Zara wusste, dass ich dieses Spiel den ganzen Tag lang spielen konnte, und gab nach: »Ich habe mich mit Henry über den neuen Marvel-Film unterhalten«, begann sie, und ich ahnte, dass diese Erzählung eine dramatische Wendung nehmen würde. »Wir haben über die verschiedenen alternativen Realitäten geredet und kamen dann darauf zu sprechen, dass Doctor Strange der beste der Avengers ist.«

Zara war ein großer Fan von Comicverfilmungen, aber ein noch größerer Fan von Benedict Cumberbatch. In ihrem Zimmer hing ein lebensgroßes Poster von ihm, dem sie jeden Abend, bevor sie ins Bett ging, einen Kuss gab.

Zaras Gesichtsfarbe wechselte schon wieder zu Feuerrot.

»Vergiss nicht zu atmen«, ermahnte ich sie schnell.

Sie holte tief Luft, ehe sie weitererzählte: »Jedenfalls lief Jackson hinter uns und sagte aus heiterem Himmel, dass die Rolle des Doctor Strange völlig fehlbesetzt sei.«

Instinktiv sog ich scharf die Luft ein. Ich war mir nicht einmal bewusst gewesen, dass ich die Zähne bis eben zusammengepresst hatte. Natürlich war Zaras Reaktion überzogen, aber allein das Fanshirt, das sie heute trug, ließ darauf schließen, dass es eine blöde Idee war, schlecht über diesen Mann zu reden.

»Und dann?«

»Na dann habe ich Jackson die Meinung gegeigt!«, fauchte sie mich an.

Eigentlich wollte ich nicht lachen, aber es war beinahe unmöglich. Zara hatte die Dinge mal wieder völlig hochgeschaukelt.

Das schrille Klingeln der Schulglocke ertönte zum ersten Mal und wir fuhren zeitgleich zusammen, als uns bewusst wurde, wie spät es mittlerweile war.

»Verdammt, ich brauche noch mein Psychologiebuch!« Dicht gefolgt von Zara sprintete ich aus der Tür. Wir hatten zwar einige Kurse zusammen, aber während sie sich gemeinsam mit Amy für Fotografie als Wahlpflichtkurs entschieden hatte, hatten Tyler und ich Psychologie bei Miss Pilkey gewählt.

»Ich muss auch noch meine Ausrüstung holen. Wir sehen uns später?« Zara wartete keine Antwort ab und verschwand.

Glücklicherweise war mein Schließfach nicht weit vom Kursraum entfernt, weshalb ich gerade pünktlich zum letzten Klingeln durch die Tür schlüpfen und mich neben Tyler auf den Stuhl fallen lassen konnte.

Ohne hochzuschauen, spürte ich seinen tadelnden Blick auf mir ruhen. »Wieso bist du vorhin abgehauen?«

Ich hob den Kopf und erschrak. Ich hatte nicht bemerkt, wie dicht Tyler aufgerückt war. Sein Gesicht war meinem so nah, dass ich jede seiner dunkelbraunen Bartstoppeln und jeden grünen Sprenkel in seinen hellblauen Augen zählen konnte. Ich legte meinen Zeigefinger an seine Stirn und schob ihn ein wenig weg.

»Schwitz mich nicht voll«, sagte ich mit einem Lächeln in der Stimme. »Du hast doch gesehen, wie Zara drauf war. Ich hätte sie doch nicht ihrem Schicksal überlassen können. Früher oder später wäre der alte Hamilton gekommen und hätte sie suspendiert.«

»Was war dieses Mal der Auslöser?«

»Cumberbatch.«

Stöhnend ließ sich Tyler zurück in seinen Stuhl gleiten. Er verschränkte die Arme vor der Brust, sodass sich seine Muskeln leicht anspannten und sein T-Shirt sich dehnte. »Jackson kann so blöd sein.«

Gerade als ich zu einer Erwiderung ansetzte, kam Miss Pilkey in den Kursraum. Den Papierstapel, den sie balancierte, ließ sie unsanft auf den Schreibtisch fallen. Was auch immer sie da angeschleppt hatte, sah nach viel Arbeit aus. Letzte Woche hatte sie irgendetwas von einem Abschlussprojekt erzählt, aber ich hoffte inständig, dass es das noch nicht war.

Unsere Lehrerin schnaufte kurz, ehe sie sich an ihrem Stuhl abstützte und uns anschaute. Die runden Brillengläser saßen dabei auf ihrer Nasenspitze und sie schaute über das Gestell hinweg in die panischen Gesichter der Kursteilnehmer. Miss Pilkey erinnerte etwas an Mrs Doubtfire. Sie war zwar deutlich jünger als die Figur, die Robin Williams in diesem Film darstellen sollte, aber auch sie hatte ihre weißblonden Haare zu einem strengen Dutt gebunden und presste ihren rundlichen Körper in Kleider mit Blumenmuster, die nicht mal meine Großmutter tragen würde. Dazu waren ihre nicht vorhandenen Augenbrauen akkurat und eckig nachgezeichnet, was Miss Pilkey sehr autoritär erscheinen ließ. Das passte allerdings überhaupt nicht zu ihrem Charakter, denn sie war ein herzensguter Mensch und hatte als Vertrauenslehrerin ein offenes Ohr für jeden von uns.

»Wie bereits vergangene Woche angekündigt, erhalten Sie heute die Aufgabe für das Abschlussprojekt, das sechzig Prozent Ihrer Gesamtnote ausmachen wird«, begann Miss Pilkey die Stunde.

Ein Raunen ging durch die Reihen und auch ich konnte mir ein abfälliges Schnauben nicht verkneifen. Ich hatte gehofft, wir würden noch ein paar Wochen in Freiheit leben können, aber das war uns wohl nicht vergönnt. Die Seniors des letzten Jahres hatten uns vorgewarnt, dass die verbliebenen fünf Monate der Highschool mit viel Stress und Arbeit verbunden waren, aber wir hatten das auf die leichte Schulter genommen. Damals war mir der Abschluss noch weit entfernt vorgekommen, doch nun stand er kurz bevor und ich hatte absolut keine Lust darauf. Nicht unbedingt wegen all der Arbeit, sondern wegen der Angst vor dem Ungewissen. Sollte ich nach dem Abschluss aufs College gehen und wenn ja, was studieren?

Es war nicht so, dass ich keine Interessen hatte, sondern eher zu viele. In den vorigen Jahren hatten wir immer wieder die Möglichkeit gehabt, uns für diverse Wahlfächer einzuschreiben. Hier an der Georgeville High gab es unzählige AGs, denen man sich anschließen konnte. So kam es, dass ich mich neben der Schülerzeitung, dem Chor und der Theater-AG sogar in der Wintersportart Curling probiert hatte, obwohl ich in der Hitze Floridas lebte. Mir fiel nur bis zum heutigen Tag partout nichts ein, für das ich wirklich brannte. Es war nicht wie bei Zara, die in ihrem Leben nichts anderes tun wollte, als mit ihrer Kamera durch die Welt zu reisen und die wundersamen Augenblicke des Lebens mit der Linse einzufangen.

Dennoch hatte ich einen Traum, dem ich gerne nachhing: Psychologie am Dartmouth College zu studieren. Ich liebte es, andere zu analysieren und ihnen bei ihren Problemen unter die Arme zu greifen. Eine Leidenschaft, die meine Mutter mir weitergegeben hatte. Früher hatte sie mich mehr als einmal zu Vorträgen von hochkarätigen Psychologen mitgenommen. Zwar hatte ich damals nicht allzu viel verstanden, aber über die Jahre habe ich mich immer wieder mit bestimmten Themen beschäftigt und ebenfalls eine Faszination für dieses Fach entwickelt. Doch für ein Psychologiestudium reichten weder meine Noten aus noch hatte mein Dad genügend Geld, um mich auf eine private Elitehochschule zu schicken. Also blieb mir nur der Traum.

»Haben Sie mir zugehört, Miss Wright?« Miss Pilkeys Stimme riss mich aus meinen Gedanken. Kurz musste ich gegen die krankenhausähnliche Deckenbeleuchtung anblinzeln und mich wieder zurechtfinden.

Zwar blickte meine Lehrerin ermahnend in meine Richtung, nichtsdestotrotz kräuselten sich ihre Lippen zu einem leichten Lächeln.

»Tut mir leid«, sagte ich kleinlaut und kassierte ein schadenfrohes Grinsen von Tyler. Wie eigentlich immer, wenn ich in einem unserer Kurse zu ihm herübersah, war er gerade dabei, etwas zu zeichnen. Da seine Noten nicht darunter litten, dass er andauernd abgelenkt war, sagte ich dazu nichts. Manchmal kritzelte er willkürliche Muster, heute war aber einer der Tage, an denen er kleine Comics zu unseren Lehrern und Mitschülern entwarf.

Ich lehnte mich zu ihm herüber, um einen besseren Blick darauf erhaschen zu können. Auf Tylers Skizze war unser Physiklehrer, Mr Malvoy, zu sehen. Der kräftige Mann trug ein viel zu enges Hemd, bei dem die Knöpfe der Bauchregion beinahe aufplatzten. Seine Halbglatze war puterrot und aus den abstehenden Ohren quoll Rauch. Es war zwar eine etwas übertriebene Darstellung, trotzdem ziemlich akkurat, denn mit Mr Malvoy war absolut nicht zu spaßen. Vielleicht sollte Tyler sich auch mal an einer Comicversion von Zara versuchen.

»Wow, Tyler! Das ist der Wahnsinn!«, flüsterte ich möglichst leise, damit Miss Pilkey mich nicht wieder ermahnte. »Du solltest unbedingt Comiczeichner werden, das liegt dir im Blut.«

Er schaute mich mit einem grüblerischen Ausdruck an und zuckte mit den Schultern. »Ach, das ist doch nichts Besonderes.« Es war mir ein Rätsel, weshalb er ein solches Talent herunterspielte.

Als er kurz davor war, seine Zeichnung zu beenden, hielt Tyler einen Moment inne und schob sich den hinteren Teil seines Kugelschreibers in den Mund. Er klapperte mit dem Stift zwischen seinen Zähnen, was mir einen Schauder den Rücken hinunterjagte. Das war fast so schlimm, wie wenn jemand mit den Nägeln an einer Tafel kratzte. Ekelhaft!

»Ihre Aufgabe besteht darin, sich eine nahestehende Person auszusuchen und diese in den kommenden Wochen genauestens zu beobachten«, fuhr Miss Pilkey mit ihrer Ausführung über die bevorstehende Arbeit fort. »Notieren Sie fünfzehn kleine Macken oder Eigenarten, die diese Person besitzt, und schreiben Sie zu jedem der von Ihnen aufgelisteten Punkte eine halbe Seite darüber, was diese Eigenschaft in Ihnen auslöst. Popelt Ihr Gegenüber sich vor Langeweile dauernd in der Nase herum oder reißt blöde Witze? Wie fühlen Sie sich dabei? Sind sie angeekelt oder genervt? Oder haben sie Verständnis und lachen sogar über seine Witze? Welche Schlüsse ziehen Sie daraus? Schreiben Sie alles auf, was Ihnen einfällt. Dann würde ich vorschlagen, dass Sie Ihre Protokolle eine Woche ruhen lassen. Wenn Sie sie mit etwas Abstand erneut betrachten, wird es Ihnen leichter fallen, das Abschlussfazit zu ziehen. Dieses soll aus etwa zwei bis vier Seiten bestehen. Haben Sie dazu irgendwelche Fragen?«

Ich ließ mir die Aufgabe einen Moment durch den Kopf gehen. Das klang ziemlich leicht dafür, dass die Arbeit sechzig Prozent der Note ausmachte. Stirnrunzelnd hob ich die Hand.

»Ja, Miss Wright?«

»Was soll diese Aufgabe bezwecken und wie genau und nach welchen Kriterien bewerten Sie die Protokolle?«

»Das sind durchaus berechtigte Fragen, die ich Ihnen aber nicht beantworten kann.« Miss Pilkey lächelte verschwörerisch. »Genau darum geht es nämlich. Sie sollen mir zeigen, was Sie in den vergangenen drei Semestern aus dem Unterricht mitnehmen konnten. Wie genau Sie das tun, bleibt Ihnen überlassen.«

Ich dachte ein wenig über ihre Worte nach. Vielleicht war das Projekt doch komplizierter, als es den Anschein hatte.

Tyler räusperte sich neben mir. »Mir fallen locker fünfzig Macken von dir ein«, sagte er und erstickte sein Lachen mit der Hand, die er sich vor den Mund hielt.

Ich zog eine Braue in die Höhe. »Was soll das werden? Möchten Sie mich etwa herausfordern, Mr Bennett?«

»Wieso nicht, Miss Wright? Sie können doch keiner Herausforderung widerstehen.« Seine Augen blitzten provokativ auf. Er hatte mich am Haken und das wusste Ty. Dieses kleine Spielchen zwischen uns hatte vor Ewigkeiten begonnen.

Wir mussten damals ungefähr fünf oder sechs Jahre alt gewesen sein, da hatten wir einander zum ersten Mal herausgefordert. Tyler hatte mich damit aufgezogen, dass ich mich nie trauen würde, auf den Apfelbaum vor unserem Haus zu klettern. Trotz meiner Höhenangst hatte ich all meinen Mut zusammengenommen, um ihm das Gegenteil zu beweisen. Mein Kampfgeist war geweckt worden und er war stärker als meine Ängste. So hatte Tyler mich immer wieder dazu gebracht, aus meiner Komfortzone auszubrechen, während er ein wachsames Auge auf mich hatte, damit mir auch nichts passierte.

Seither forderten wir uns andauernd gegenseitig heraus. Manchmal waren es kleinere Dinge, wie damals als Tyler sich einen dicken Esslöffel Wasabi in den Mund schaufeln und ich dafür ein Glas Mayonnaise essen musste. Manchmal aber auch größere. Wenn ich mich recht erinnerte, war das Schlimmste, was Tyler mir jemals angetan hatte, dass ich eine Spinne auf die Hand nehmen musste.

Eine Weile schwiegen wir einander an, lieferten uns ein stummes Blickduell. Bis ich ihm die Hand hinhielt, in die er einschlug. »Deal.«

»15 Dinge an Alice Wright, die mich zur Weißglut treiben.«

»15 Gründe, Tyler Bennett zu hassen«, konterte ich und streckte ihm die Zunge raus.

Ein Schulprojekt, bei dem ich meinen besten Freund als Versuchskaninchen missbrauchen konnte? Etwas Besseres konnte ich mir kaum vorstellen! In meinem Kopf griffen die Zahnrädchen ineinander, als die Glocke ertönte und das Ende der Stunde verkündete.

Name: Alice Wright

Versuchsperson: Tyler Bennett

Macke / Eigenart: Mr Bennett kaut auf Stiften herum, wenn er nachdenkt oder nervös ist.

Ausgelöste Gefühle:

Diese Macke von Mr Bennett ist mir bereits in der Middle School zum ersten Mal aufgefallen. Er sitzt im Unterricht oft neben mir und ist so hibbelig, dass er irgendwann auch noch damit anfängt, seinen Kugelschreiber zwischen die Zähne zu schieben und damit im Mund zu spielen. Das dabei entstehende Geräusch löst eine Gänsehaut bei mir aus.

Heute im Psychologiekurs war es wieder besonders schlimm, aber ihn darauf anzusprechen bringt nicht viel. Das habe ich vor Jahren aufgegeben, denn als Reaktion darauf erhalte ich bloß ein Augenrollen. Immerhin versucht er es dann sein zu lassen, aber keine Minute später verschwindet der Stift wieder in seinem Mund. Wie bei einem Kleinkind, das nicht ohne Schnuller sein kann.

Nichtsdestotrotz kann ich Mr Bennetts Macke ein kleines bisschen verstehen, denn ich habe eine ähnliche. Ich kaue auf meinen Nägeln, wenn ich nervös bin. Aber warum notiere ich das überhaupt? Immerhin geht es hier nicht um mich.

KAPITEL 2

Mit quietschenden Reifen parkte Tyler seinen roten Pick-up in der Einfahrt vor unserem Haus. Ich fragte mich mal wieder, weshalb er mit dem Auto zu mir fuhr, obwohl er direkt nebenan wohnte. Und mit nebenan meinte ich nicht, dass er zwei Blocks entfernt wohnte, nein. Nebenan wie nebenan. Nebenan wie unsere-Zimmer-liegen-gegenüber-voneinander-und-ich-kann-bei-ihm-reingucken-nebenan.

Warum mussten Jungs nur so einen auf dicke Hose machen? Ob sie damit irgendetwas anderes zu kompensieren versuchten? Kopfschüttelnd verwarf ich den Gedanken wieder. Das war nichts, worüber ich bei Tyler nachdenken wollte.

Ich schaute ein letztes Mal in den Spiegel, ehe ich hinunterging. Es war Tradition, dass Brian Chambers am ersten Freitag nach den Winterferien eine große Mottoparty bei sich veranstaltete. Seine Eltern waren zu diesem Zeitpunkt meistens noch irgendwo auf der Welt unterwegs, um dem Weihnachts- und Neujahrstrubel zu entfliehen, weshalb er an diesem Wochenende in der Regel sturmfrei hatte.

Passend zum heutigen Thema Jahrtausendwende hatte ich mich für ein goldenes paillettenbesetztes Kleid entschieden, das meinem dunklen Hautton schmeichelte und meinen Körper an genau den richtigen Stellen betonte. Zwar würde ich mich nicht unbedingt als Partygirl bezeichnen, aber zwischendurch konnten sie schon ganz lustig sein. Und die Chambersparty gehörte zu den größten Ereignissen des Jahres, die man auf keinen Fall verpassen durfte.

Bevor ich mein Zimmer verließ, griff ich nach einem Haargummi, um meine unzähmbaren Locken nach hinten zu binden, und steckte den Labello mit Kirschgeschmack in meine kleine Handtasche.

Dad saß mit meinen beiden jüngeren Schwestern, Wendy und Mary, auf der Couch im Wohnzimmer und schaute sich mit ihnen einen Kinderfilm an.

Meine Mom war ein großer Fan von klassischer Literatur, weshalb jeder von uns den Namen einer ihrer Lieblingsfiguren bekommen hatte.

Mary war mit ihren sieben Jahren die jüngste von uns Schwestern. Ihr Name war angelehnt an Mary Lennox aus Der geheime Garten. Wendy war zwölf Jahre alt und hieß wie die Tochter der Familie Darling in Peter Pan und weshalb ich Alice hieß, war vermutlich selbsterklärend.

Während wir Schwestern mit unseren Namen noch glimpflich davongekommen waren, hätte es unseren älteren Bruder beinahe viel schlimmer getroffen. Glücklicherweise hatte unser Dad bei dem Namen Fitzwilliam – wie Mr Darcy in Stolz und Vorurteil – sein erstes und letztes Veto eingelegt, das ihm von Mom eingeräumt wurde. Also ist es letztlich die abgewandelte Form William geworden. Schade eigentlich, so ein altbackener Name hätte witzig werden können.

Wenn ich recht darüber nachdachte, dann war es vermutlich Tylers Nachnamen geschuldet, dass unsere Familien sich so nahestanden. Immerhin war er ein Bennett.

Ich blieb im Türrahmen stehen und schaute einen Moment zu den dreien auf der Couch. Es war ein seltener Anblick, Dad zusammen mit meinen Schwestern zu sehen. Oder überhaupt Dad zu sehen. Seit Mom vor sechs Jahren abgehauen war, befand er sich in einem seltsamen, tranceartigen Zustand. Er ging zur Arbeit, schob einen Haufen Überstunden und fiel am Abend früh ins Bett.

Die Trennung hatte ihn mehr mitgenommen, als er jemals zugeben würde. Auch uns war es schwergefallen, dass Mom von einem auf den anderen Tag wortlos verschwunden war. Nur Mary hatte das Glück gehabt, noch ein Neugeborenes gewesen zu sein. Doch unser Leben hatte sich von jetzt auf gleich vollständig verändert, ohne dass wir etwas dagegen hätten unternehmen können. Ich konnte Mom nie wirklich verzeihen, dass sie uns verlassen hatte, aber mir war nichts anderes übrig geblieben, als nach vorne zu schauen. Ich musste stark sein, nicht nur für mich, sondern auch für Dad und meine Schwestern.

Das Einzige, was Mom hinterlassen hatte, war ein Brief, in dem stand, dass sie einen anderen Mann kennengelernt hatte. Kaum verwunderlich also, dass nicht nur Dad, sondern auch William seitdem völlig andere Menschen waren.

Klar, mit seinen neunzehn Jahren war es eh uncool, zu viel Zeit mit der Familie zu verbringen, aber William ließ sich seit Jahren kaum noch blicken. Stattdessen zog er mit seinen Freunden um die Häuser, erledigte irgendwelche Gelegenheitsjobs und trieb, was immer Jungs in dem Alter eben so trieben. Früher hatten wir uns sehr nahegestanden und manchmal fehlten mir diese Zeiten.

»Ich gehe dann los, in Ordnung?«

Beim Klang meiner Stimme zuckte Dad ein wenig zusammen, griff nach der Fernbedienung und schaltete den Film kurz auf stumm. Meine Schwestern protestierten lautstark, doch er ignorierte die beiden.

»Sei nicht zu spät zu Hause«, sagte Dad, während er mich mit dunklen Ringen unter den grauen Augen musterte. Ich musste mich zusammenreißen, um keinen schockierten Satz nach hinten zu machen. Dad sah aus, als wäre er urplötzlich um Jahre gealtert. Oder vielleicht war es mir nur vorher nie aufgefallen? Es waren nicht nur die Augenringe, sondern auch die Falten auf seiner Stirn und die grauen Haare, die ihm langsam ausfielen. Es versetzte mir einen Stich, ihn so zu sehen.

»In Ordnung«, erwiderte ich und winkte zum Abschied. »Seid artig, ihr Satansbraten«, fügte ich an meine Schwestern gewandt hinzu.

»Jaaaahaaaa!«, sagten die beiden kichernd.

Eine angenehm kühle Brise hüllte mich ein, kaum war ich aus der Haustür getreten. Es war zwar erst Ende Januar, doch hier in Florida war es immer relativ warm und Schnee lag nur selten. Den letzten nennenswerten Wintersturm hatte es vor zwei Jahren gegeben und selbst der war im Vergleich zum Schneefall in anderen Staaten eher mickrig ausgefallen.

Aus Tylers Pick-up drangen ruhige Beats, in deren Takt er auf dem Armaturenbrett mit den Fingern trommelte. Ich machte ein paar zügige Schritte auf ihn zu, darauf bedacht, mit den schmalen Absätzen meiner beigen Heels nicht im Vorgarten stecken zu bleiben.

Ich hasste hohe Schuhe beinahe mehr als frühes Aufstehen. Doch zu dem Kleid, das mich funkeln ließ wie eine Discokugel, sahen flache Schuhe merkwürdig aus.

Tyler lächelte, als er mich bemerkte. Er musterte mich mit einem anerkennenden Ausdruck auf dem Gesicht, als hätte er mich nie zuvor zurechtgemacht gesehen. Die kleinen Grübchen, die dabei in seinen Wangen entstanden, ließen ihn deutlich jünger als siebzehn aussehen. Das wurde noch von den dunklen Haaren untermauert, die er sich in einer wilden Elvis-Tolle hochgegelt hatte.

Erst bei genauer Betrachtung fiel mir auf, dass Tyler einen ganz bestimmten Style kopiert hatte.

»Du bist im falschen Jahrzehnt hängen geblieben«, sagte ich lachend, während ich den Wagen umrundete und auf dem Beifahrersitz Platz nahm. »Wir sollten uns doch dem Start des neuen Jahrtausends entsprechend anziehen und nicht dem Beginn der Fünfziger.«

Tyler kaute genüsslich auf seinem Zahnstocher herum. »Pff, was weißt du schon!«

Kopfschüttelnd schnallte ich mich an. Von oben bis unten sah Tyler aus wie John Travolta alias Danny Zuko. Um das Gesamtbild abzurunden, fehlte es nur, dass er den Soundtrack von Grease im Hintergrund laufen ließ. Ich mochte Musicals zwar, aber ich dankte meinem besten Freund stumm dafür, mich mit dieser Musik heute zu verschonen.

»Kommt Amy nicht zur Party?«

Amelia Thompson war das klassische Mädchen von nebenan, das man einfach ins Herz schließen musste. Es war also kaum verwunderlich, dass sie alle Blicke auf sich zog und mit ihrem charmanten Auftreten auch Tyler um den kleinen Finger wickeln konnte. Ich erinnerte mich noch genau daran, wie viel Mut es ihn vor zwei Jahren gekostet hatte, sie um ein Date zu bitten, und wie glücklich er gewesen war, als sie zugesagt hatte. Schon wenige Tage später war aus den beiden ein Paar geworden. Das war kurz vor den Sommerferien gewesen, die Amy mit ihrer Familie auf Safari in Afrika verbracht hatte. In den darauffolgenden acht Wochen war Tyler zu einem weinerlichen Jammerlappen geworden, der seine große Liebe schrecklich vermisste. Als Amy endlich zurückgekommen war, hatte ich mir einen Jubelschrei nicht verkneifen können, denn ich hätte das Gejammer keinen Tag länger ausgehalten.

Tyler presste die Lippen aufeinander. »Sie kommt nachher direkt zu Brian. Das örtliche Tierheim hat Not am Mann.«

»Verstehe.« Ich versuchte mich an einem aufmunternden Lächeln. Das war wohl der einzige Nachteil an Amy: Es fehlte ihr an Zeit. Sie besuchte zahlreiche Nachmittagskurse und engagierte sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich, weshalb sie eher selten mitkam, wenn wir etwas unternahmen. Tyler würde es niemals zugeben, doch ich war mir ziemlich sicher, dass er darunter litt.

»Dann machen wir uns so lange einen schönen Abend.« Ich lehnte mich vor und drehte das Radio lauter.

Tyler drückte das Gaspedal durch und ließ die alten Reifen quietschen, als befänden wir uns in einem teuren Sportwagen. Er legte den Rückwärtsgang ein und folgte der Straße in Richtung Brian.

Die Familie Chambers wohnte außerhalb von Georgeville in einer kleinen Villenkolonie. Es war angenehm, den städtischen Trubel hinter sich zu lassen. Hier reihten sich die Bäume aneinander und die Luft war deutlich frischer.

Ich kurbelte das Beifahrerfenster hinunter und ließ den Wind meine Haare aufwirbeln. Mit geschlossenen Augen genoss ich die Ruhe, die uns umfing. Nur die Musik im Radio begleitete uns auf unserem Weg.

Zum Glück wusste Tyler, dass ich bei Autofahrten am liebsten schwieg, und er akzeptierte das. Ich liebte es, einfach aus dem Fenster zu schauen und meinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Da Tyler und ich uns schon so lange kannten, war es auch keine unangenehme Stille. Wir konnten sogar stundenlang nebeneinandersitzen, ohne ein einziges Wort zu sagen.

Nichtsdestotrotz warf ich dann und wann einen verstohlenen Blick zur Fahrerseite. Tyler hatte das Lenkrad fester als nötig umklammert, sodass seine Knöchel weiß hervortraten. Es verärgerte ihn bestimmt, dass Amy ihn wieder versetzt hatte. Zwar hatte Tyler gesagt, dass sie nachkommen wollte, aber meistens tat sie das doch nicht, weil sie zu müde von der Arbeit war.

Ich streckte meine Finger nach ihm aus und legte sie behutsam auf seine Hand. Tyler zuckte kaum merklich zusammen, doch entspannte sich kurz darauf.

Sein Blick schnellte einen Moment in meine Richtung. »Danke.«

»Keine Ursache, aber hör besser auf, deine Wut am Lenkrad auszulassen, wir brauchen es noch für die Rückfahrt.«

Ein schiefes Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Dann richtete er den Blick wieder geradeaus auf die Straße.

In solchen Momenten war ich ganz glücklich darüber, Single zu sein. Auf dieses Gefühlschaos hatte ich nämlich keine große Lust. Das sollte aber nicht heißen, dass ich mich nicht manchmal danach sehnte, mich zu verlieben. Es war sicher schön, jemanden an seiner Seite zu wissen, mit dem man durch dick und dünn gehen konnte.

Es hatte sogar eine Zeit gegeben, da dachte ich, mehr für Tyler zu empfinden. Natürlich wusste er davon nichts und es war auch nur ein kleiner Anflug von Verliebtheit im zweiten Highschooljahr gewesen, kurz bevor er angefangen hatte, Amy zu daten. Keine Ahnung, wo diese merkwürdigen Schmetterlinge überhaupt hergekommen waren. Glücklicherweise waren sie aber so schnell wieder verschwunden, wie sie aufgetaucht waren. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, was geschehen wäre, hätte Tyler jemals davon Wind bekommen.

Seither hatte es aber niemanden mehr gegeben, der mein Herz höherschlagen ließ. Hier und da lief mir mal ein attraktiver Junge über den Weg, aber das war’s dann auch schon. Der Richtige war nie dabei gewesen.

»Die Party scheint wohl schon in vollem Gange zu sein.« Tylers Stimme riss mich aus den Gedanken. Er hatte recht. Die vibrierenden Bässe dröhnten zu uns herüber und wurden von den jubelnden Rufen zahlreicher Teenager übertönt.

Je näher wir dem Haus der Chambers’ kamen, desto mehr torkelnde Mitschüler konnten wir vor dem Eingang ausmachen. Die Party hatte erst vor einer knappen Stunde begonnen, wie konnte man jetzt schon so betrunken sein? Die Wiese und der Steinpfad waren kaum noch zu erkennen. Stattdessen waren sie mit roten Plastikbechern gepflastert. Schon bei dem Gedanken an die vielen Liter Alkohol, die hier bereits geflossen sein mussten, wurde mir schlecht.

Abgesehen davon, dass wir Alkohol erst mit einundzwanzig trinken durften, konnte ich auch nicht verstehen, weshalb man sich überhaupt so benebeln wollte. Betrunkene benahmen sich meistens wie primitive Neandertaler, die jegliche Höflichkeitsformeln und das Auf-zwei-Beinen-Gehen verlernt hatten. Sie erinnerten sich oft nicht an die peinlichen Dinge, die sie im Vollrausch getan hatten, und wachten mit Kopfschmerzen in fremden Betten auf.

Man mochte mich für eine Spaßbremse halten, doch mit Spaß hatte das meiner Meinung nach nicht viel zu tun. Sekt zum Anstoßen zu bestimmten Anlässen, ja. Hemmungsloses Besaufen ohne Rücksicht auf Verluste, nein. Ich konnte auch ohne Alkohol gute Laune verbreiten.

Tyler hielt den Wagen eine Straße entfernt an, weil er keinen Parkplatz in der Nähe des Hauses fand.

»Dann stürzen wir uns mal in den Kampf«, sagte ich verkrampft. Ganz der Gentleman, der er war, reichte Tyler mir seinen Arm, damit ich mich bei ihm unterhaken konnte. Das Leder seiner Fünfzigerjahre-Jacke fühlte sich weich unter meinen Fingern an, sodass es mir schwerfiel, sie nicht vollständig darin zu vergraben.

Tyler entging es aber nicht, dass ich ihn befummelte wie ein verrückter Teenager, der seinem größten Superstar hautnah war. »Die ist von meinem Dad«, sagte er mit belegter Stimme. Seine Miene verdunkelte sich und Schatten legten sich unter seine nun glasigen Augen. Es fiel Tyler auch Jahre später noch unheimlich schwer, von seinem Dad zu sprechen. Mr Bennett war ein wundervoller Mann und Vater gewesen, der als Sheriff in Georgeville und im Außendienst für Recht und Ordnung gesorgt hatte. Zumindest so lange, bis er bei einem Raubüberfall ums Leben gekommen war. Dieser Verlust hatte nicht nur Mrs Bennett und Tyler tief getroffen, sondern auch meine Familie.

»Sie steht dir gut.«

Tylers Mundwinkel zuckten, doch er sagte nichts mehr.

Die halbe Highschool schien bei der Party anwesend zu sein. Sogar mehrere Schulabgänger der letzten Jahre waren hier.

Krampfhaft versuchte ich, den Plastikbechern auszuweichen, was mir zwar halbwegs gelang, aber auch nicht viel besser war. Die Pflastersteine waren von eingetrockneten Bierresten völlig verklebt, sodass ich bei jedem Schritt drohte, meine Schuhe zu verlieren. Die Partys bei Brian waren jedes Jahr ein riesiges Event, doch ich wurde das Gefühl nicht los, dass deutlich mehr Menschen als bei den letzten Malen ihren Weg hierhergefunden hatten.

»Voller als sonst, was?«, rief Tyler gegen die lauter werdende Musik an und sprach damit meine Gedanken aus.

Ich nickte. »Wollen wir uns erst mal etwas zu trinken holen, ehe wir die anderen suchen gehen?«

Seine Lippen bewegten sich zwar, aber ich konnte nicht verstehen, was Tyler antwortete. Da er mich um die Villa herum in Richtung Poolhaus führte, war die Entscheidung wohl auf etwas Trinkbares gefallen.

Das Innere war fast so groß wie das Haus meiner Familie. Im riesigen Wohnzimmer, das an die offene Küche grenzte, war der Tresen aufgebaut, auf dem sich diverse alkoholische und nicht-alkoholische Getränke aneinanderreihten. Zwei bereits leere 50-Liter-Bierfässer lagen daneben, deren Reste den Marmorboden volltropften.

Aus einem der großen Eiskübel nahm ich mir eine Coladose und schaute mich um. Unser halber Jahrgang war gekommen und feierte, als gäbe es kein Morgen. Einige Jungs und Mädchen machten heftig auf der roten Ledercouch miteinander rum. Es reichte schon, den Blick über sie streifen zu lassen, um peinlich berührt zu sein.

»Dahinten ist Jackson!« Tyler stupste mir mit dem Ellbogen in die Seite.

Wir gingen zu unserem Kumpel hinüber, der mit einem Becher in der Hand das rege Treiben beobachtete. Mit seiner dunklen Jeans und seinem locker sitzenden Hemd hatte er sich bei seiner Kleiderwahl keine Mühe gegeben, denn er sah jeden Tag so aus. Nicht mal seine blonden Haare hatte er sich anders frisiert.

»Wieso mischst du dich nicht unters Volk?«, begrüßte ich Jackson.

»Vermutlich sind die anderen noch nicht betrunken genug, um auf seinem Niveau zu sein.« Zara hatte sich unbemerkt herangeschlichen und sich hinter mich gestellt.

»Zara«, zischte Tyler ihr zu und begrüßte seinen Freund, der die bissige Bemerkung glücklicherweise ignorierte.

Ich rollte mit den Augen. »Kannst du nicht wenigstens versuchen, nett zu sein?«, flüsterte ich ihr zu. Zara schüttelte allerdings vehement mit dem Kopf, sodass ich mich unter ihren umherpeitschenden Dreadlocks hinwegducken musste.

Es kam selten vor, dass sie die Haare offen trug, aber es passte zu dem rotschwarzen Corsagenkleid, das sie anhatte.

Wir suchten uns einen Platz im angrenzenden Fernsehzimmer. Hier hatten sich zwar auch schon einige Leute versammelt, aber immerhin gab es eine freie Couch, auf der kein Speichel miteinander ausgetauscht wurde. Wir sorgten dafür, dass Zara und Jackson am jeweils anderen Ende Platz nahmen, damit sie sich nicht innerhalb von fünf Sekunden an die Gurgel gingen. Schließlich wollten wir einen schönen Abend miteinander verbringen und nicht die ganze Zeit damit beschäftigt sein, die zwei Streithähne auseinanderzuhalten.

»Und ihr müsst echt ein Projekt über eure negativen Eigenschaften machen?«, fragte Zara an Tyler und mich gerichtet, nachdem der übliche Small Talk gewechselt worden war. »Ist das nicht total unangenehm, wenn der beste Freund einem vorhält, welche Fehler man hat?«

Schulterzuckend nahm ich einen Schluck von meiner Cola. »Es wird nicht so schlimm sein, denke ich.« Ich ließ mir Zaras Worte noch einmal durch den Kopf gehen. Als ich eingewilligt hatte, über Tyler zu schreiben, hatte ich mir ehrlich gesagt nicht sonderlich viele Gedanken darüber gemacht. Ich hatte nichts außer der Herausforderung vor Augen gehabt.

»Ich wette immer noch, dass dir keine fünfzehn Dinge einfallen werden, über die du schreiben kannst«, sagte Tyler betont lässig und lehnte sich auf der Couch zurück.

Jackson lachte. »Und wie ihr fünfzehn Dinge einfallen werden. Du hast Unmengen Fehler, Ty.«

»Nicht annähernd so viele wie du«, nuschelte Zara in ihren Becher, gerade laut genug, dass nur ich sie verstehen konnte.

Als ich etwas entgegnen wollte, kam ein Junge von unserer Schule auf uns zu und blieb vor uns stehen. Er trug eine löchrige Jeans und ein ausgewaschenes Bandshirt, die Hände hatte er tief in den Hosentaschen vergraben und den Kopf eingezogen, als versuchte er, sich in Luft aufzulösen. Er musterte uns nacheinander, doch sein Blick blieb schließlich an mir hängen.

»Hi, Alice«, sagte er so leise, dass ich beinahe dachte, ich hätte es mir eingebildet. Dummerweise hatte ich keine Ahnung, wie der Junge hieß. Er ging in meinen Mathekurs, mehr fiel mir nicht ein.

Hilfe suchend schaute ich zu meinen Freunden, die sich allesamt das Lachen verkniffen, meinem Blick auswichen und taten, als wäre der durch die Luft wirbelnde Staub interessanter. Schönen Dank auch.

»Hey, wie geht’s?«

Kaum hatten die Worte meine Lippen verlassen, färbte sich das Gesicht des Jungen rot. Wenn sein Kopf noch tiefer in seinem Oberteil verschwand, würden gleich nur noch die Augen oben herausschauen. Die ganze Situation war einfach unangenehm, vor allem da er nichts weiter sagte.

»Möchtest du etwas?«, hakte ich nach.

»Ich bin Colin«, erwiderte der Junge leise.

Aber natürlich, Colin Wilson, dessen älterer Bruder im vorletzten Jahr ein Footballstipendium bekommen hatte und als bester Quarterback aller Zeiten von der Georgeville High gegangen war.

»Ja, ich weiß, wir haben Mathe zusammen«, sagte ich, damit es so aussah, als hätte ich die ganze Zeit über gewusst, wer er war.

»Gut gerettet, Wright«, nuschelte Tyler neben mir. Mit einem Schlag in den Rippenbogen brachte ich ihn zum Schweigen.

Colins Augen weiteten sich, er stellte sich aufrechter hin und ein breites Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. »Du weißt, wer ich bin? Das ist ja wunderbar!«