16 buchstabiert man A-U-T-S-C-H! - Andrea Kochniss - E-Book

16 buchstabiert man A-U-T-S-C-H! E-Book

Andrea Kochniss

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Beschreibung

Es ist 1995, als die außergewöhnliche Inessa Mikesch in Saskias Leben tritt und ihr Bild von der heilen Welt erschüttert. Das Chaos ist perfekt, als Inessa ihr den älteren Lenny vorstellt, der ihr auf bedenkliche Art und Weise den Kopf verdreht.   Die kostenlose XXL-Leseprobe zum Buch findest du unter engelsgeruechte.de

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Andrea Kochniss

16 buchstabiert man A-U-T-S-C-H!

Es war einmal 1995

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Eins

Frau Röhm schüttelte energisch den Kopf. »Saskia, so geht das nicht! Du kannst doch nicht einfach mit wildfremden Leuten herumfahren!«

Wie immer, wenn ihre Mutter ihr eine Rede hielt, versuchte Saskia, sich zu rechtfertigen. Wie immer vergebens. »Das Mädchen hat mich nur nach Hause gefahren. Ich hatte kurz vorher die Sachen gekauft, die ich besorgen sollte.« Saskia hielt in der linken Hand eine Einkaufstüte aus dem nahegelegenen Supermarkt, in der rechten den geborgten Helm von Inessa.

»Wer ist dieses Mädchen überhaupt?« Während Frau Röhm ihre Tochter mit misstrauischen Blicken durchbohrte, räumte sie den Inhalt der Einkaufstüte aus.

»Ihr Name ist Inessa. Ich habe sie gerade erst kennengelernt. Sie wohnt noch nicht lange in Harmwedel und besucht seit heute meine Klasse.«

»Ein komisches Mädchen. Wie sie schon herumläuft. Diese Kleidung! Und dann fährt sie auch noch Motorrad!«

Saskia hielt es für vernünftiger, ihrer Mutter jetzt aus dem Weg zu gehen, bevor sie wieder einmal kräftig aneinandergerieten. Sie verließ die Küche ohne Worte mit dem Bauch voll Wutgrummeln.

***

Inessa hatte die kurze Auseinandersetzung zwischen Saskia und ihrer Mutter wohl oder übel mit anhören müssen. Das hätte sich auch gar nicht vermeiden lassen können, schließlich ging sie in diesem Moment am sperrangelweit geöffneten Küchenfenster vorbei, als sich Frau Röhm über Inessas Aussehen mokierte. Das war weder etwas Neues für Inessa, noch interessierte es sie in irgendeiner Weise. Frau Röhm, die typische Schickimicki-Tante, dazu wahrscheinlich noch Gewinnerin des Spießer-Preises 1995. Auf die Meinung solcher Leute hatte sie noch nie Wert gelegt.

An ihrem Moped angekommen, streckte sie ihre Nase in die warme Septemberluft. Es war viel zu heiß für Mitte September, und die Menschen in Harmwedel jammerten seit Tagen über die Hitze, sehnten den frischen Regen herbei.

Nicht so Inessa. Für sie war das Wetter genau richtig, um leichtbekleidet auf ihrem Moped durch die Landschaft zu düsen. Darauf freute sie sich auch jetzt wieder. Kurzerhand nahm sie auf der Maschine Platz und sah auf die Uhr. »Halb acht, dann könnte ich noch schnell bei Noah vorbei«, sagte sie zu sich selbst. Nachdem sie die Maschine gestartet hatte, fiel ihr auf, dass ihr Helm fehlte. Klar, den hatte sie Saskia geliehen. Doch deswegen noch einmal das Anwesen der Röhms zu betreten? Dafür war es ihr nicht wichtig genug. Ohne Helm zu fahren, war eh viel cooler. Außerdem wohnte Noah nur ein paar Straßen weiter. Auf dem Nachhauseweg wollte sie dann Schleichwege fahren, um der Gefahr zu entgehen, der Polizei zu begegnen. Mit denen hatte sie in der Vergangenheit schon oft genug Zoff wegen ihres fehlenden Helms gehabt.

Der Fahrtwind tat Inessa gut. Es roch irre intensiv nach Meeresluft, obwohl der nächste Strand gut dreißig Kilometer entfernt lag. Wäre es nicht schon so spät gewesen, hätte sie noch eine Spritztour an den Görnbeeker Strand zum Schwimmen gemacht.

 

Noah steckte seinen verschlafenen Kopf zur Haustüre hinaus. Gähnend rieb er seine Augen. »Nessy, was machst du denn hier?«

»Hast du etwa schon gepennt? Wieso liegst du nich in der Sonne, wie jeder andere normale Mensch auch?«

Noah öffnete die Türe ganz und ließ Inessa eintreten. »Wozu soll ich mich in die Sonne legen? Ich bin doch nun wirklich schon braun genug, oder nicht?«

Inessa stellte das sofort richtig. »Falsch! Du bist nich braun, sondern schwarz. Schon vergessen?«

»Du bist wahrlich ein kleiner Scherzkeks, liebste Nichte.« In der Küche goss Noah sich eine Tasse abgestandenen kalten Kaffee ein und trank sie in einem Zug aus.

»Glaubst du, das ist gesund?« Inessa schüttelte den Kopf.

»Gesund vielleicht nicht, aber ich werde zumindest wach. Ich habe heute Abend noch einen Kunden. Das wird ´ne Sache von etwa drei Stunden.« Noah öffnete die Türe zum Studio und begann dort in aller Ruhe, alles vorzubereiten. Inessa lief ihm hinterher, weil sie dachte, sich verhört zu haben. »Heute Abend noch? Spinnst du? Soviel ich weiß, hast du seit einer Stunde geschlossen!«

Noah winkte wenig beeindruckt die Sorge seiner Nichte ab. »Ja ja, ich weiß! Aber ich brauche das Geld. Fünfhundert Mark bringt mir dieses Tattoo ein. Dafür kann ich deiner Tante dann endlich ihr schon längst überfälliges Geburtstagsgeschenk kaufen.«

Inessa ließ sich auf einen der abgeratzten Sessel im Wartebereich plumpsen. »Fünfhundert Mark? Welcher Idiot bezahlt denn so viel Geld für ein Tattoo?«

Noah gab ihr die Vorlage des Motivs. Darauf abgebildet waren der Kopf eines Indianers und ein Adlerkopf, die ineinanderflossen. Inessa fielen sofort die unzähligen, winzigen Feinheiten auf. Sie konnte kaum noch den Blick davon abwenden.

»Fünfhundert Mark sind dafür nicht zu teuer. Das ist der normale Preis für ein Tattoo dieser Art.«

»Das sieht irre aus! Meinst du, du könntest mir auch ein Tattoo verpassen? Auf meinem Hintern vielleicht?«

»Hast du sie nicht alle? Dein Vater würde mich umbringen! Mit Recht sogar. Schließlich bist du noch minderjährig.«

»Ach, die anderthalb Jahre!« Inessa war von dieser Idee gar nicht mehr abzubringen. »Ich kann Axel doch um Erlaubnis fragen. Was ist, wenn er die Einwilligung dazu gibt?«

»Das wäre natürlich etwas anderes. Aber da glaube ich nicht dran.«

Seufzend legte Inessa das Bild beiseite und sah sich im Studio um. An der Wand über dem Tresen waren eine Menge Fotos angepinnt. Fotos, die Lenny von Noahs Kunstwerken auf der Haut verschiedener Kunden geschossen hatte. Lenny war Noahs jüngerer Bruder. Auch ihm gehörte ein Teil des Studios. In einem der Hinterzimmer entwickelte er seine Fotografien.

Inessa betrachtete die verschiedenen Motive und fand hier und da etwas, was sie sich durchaus von ihrem Onkel Noah tätowieren lassen würde. Besonders eine kleine dunkelblaue Spinne hatte es ihr angetan. Inessa stellte sich schon bildlich vor, wie sie auf ihrer Schulter sitzen und aus ihrem T-Shirt krabbeln würde. Da wären einige Leute ganz schon geschockt. Zum Beispiel Saskias Mutter.

Inessa hatte den Eindruck, als wäre ganz Harmwedel von Spießern bewohnt. Sie wohnte noch keine zwei Wochen hier, aber das war ihr schnell klar geworden. Freiwillig wäre sie nie hierher gezogen, doch das zu entscheiden, hatte nie in ihrer Macht gelegen. Axel brauchte die Unterstützung seiner älteren Schwester Hanna, die ein wenig ein Auge auf ihn hielt. Es hatte gar keine andere Möglichkeit gegeben, als Hamburg zu verlassen und in den Wohnort von Hanna und Noah zu ziehen. Die beiden waren Inessas einziger Lichtblick in diesem Kaff.

Wie durch Gedankenübertragung fragte Noah: »Und? Hast du dich schon eingelebt in deiner neuen Heimat? Wie ist es in der Schule? Hast du schon Freunde gefunden?«

»Kann ich noch nich sagen. Die meisten behandeln mich wie einen Alien. Die glotzen mich an, als hätte ich nich mehr alle Latten am Zaun!« Inessa klang wütend. Darüber konnte Noah nur lachen. »Ist das ein Wunder? Sieh dich mal im Spiegel an!« Er zog sie an der Hand aus dem Sessel und schob sie vor den großen Spiegel. »Deine Haare sind blau, dein linkes Ohr ist gespickt mit Steckern, selbst in der Nase und der Unterlippe hast du einen Ring. Und wenn ich mir deine Klamotten ansehe, könntest du gleich gar keine tragen. Die sind so zerfetzt, dass sie dir jeden Moment von selbst vom Körper fallen. Wo hast du die eigentlich her? Vom Sperrmüll?«

»Aber Noah! Ich fühle mich wohl so. Ich will was darstellen, mich von der Masse abheben. Wieso können mich die Leute nich einfach so akzeptieren, wie ich bin?«

»Frag mich nicht. Mir geht es doch genauso.«

»Dir? Wieso?«

»Vielleicht hast du es übersehen, aber ich bin ein Afroamerikaner. Und ein ziemlich dicker noch dazu!«

Inessa verpasste seinem kleinen Bauchansatz einen sanften Klaps. »Du bist vielleicht ein Spinner! Du tust ja gerade so, als wärst du ein Fettmops. Wenn du nich so viel Bier trinken würdest, hättest du die perfekte Figur.«

»Hab ich dir eigentlich schon mal gesagt, wie gern ich dich hab, Nessy?«

Inessa grinste und trat an das Schaufenster des Studios. Ein schicker Sportwagen hielt vor dem Laden. Welche Marke, wusste Inssa nicht. Das war ihr aber auch egal, sie interessierte sich ausschließlich für zweirädrige Maschinen. Hanna hatte nach Inessas Geburt ein Sparkonto für ihre Nichte angelegt, welches für den Autoführerschein samt billigem kleinen Auto gedacht gewesen war. Sehr schnell aber hatte sich abgezeichnet, dass Inessas Interesse in eine andere Richtung ging. Schon als Kleinkind strahlte sie beim Anblick von Motorrädern jeglicher Art. Und so erklärte Hanna sich bereit, ihr das Geld bereits zum sechzehnten Geburtstag auszuzahlen, damit sie sich den Traum vom Moped-Führerschein erfüllen konnte.

»Ich glaube, dein Kunde ist da, Noah«, rief sie. Ihr Onkel trat neben sie.

»Möchtest du zusehen?«, fragte er.

Inessa seufzte. »Ich würde ja gerne. Aber ich muss nach Hause. Du kennst ja Axel. Außerdem muss ich ihn noch wegen des Tattoos fragen.«

Noah grinste und schüttelte den Kopf. »Das wird nix! Schlag dir das aus deinem hübschen Köpfchen.«

Inessa trat vor die Haustüre. »Sei dir da mal nich so sicher ich, komme diese Woche bestimmt noch mal vorbei.«

Zwei

 

Wieder strahlte die Sonne erbarmungslos vom Himmel herab. Saskia war sich nicht ganz sicher, ob sie davon oder der ebenso aufdringlichen Gesangs-Stimme ihres Bruders wach geworden war. So oder so, sie musste aufstehen, schließlich begann in einer Stunde die Schule. Mühsam schleppte Saskia sich ins Bad und stützte sich dort auf dem Waschbeckenrand ab. Bevor sie den gefürchteten Blick in den Spiegel wagte, gähnte sie noch einmal herzhaft. Nicht ernsthaft genug gewappnet hob sie dann den Kopf. Saskia stöhnte auf. Dieser Anblick - grauenhaft! Die blonden, dünnen langen Haarsträhnen hingen wie Spaghetti von ihrem Kopf. Ein Gutes hatte das. Sie verdeckten zum Großteil ihre unreine Gesichtshaut.

Ein grauenvoller Morgen! Und dann noch dieser nervige Gesang! Er verursachte ernsthafte Schmerzen in ihren Gehörgängen.

»Anton! Muss das sein? Am frühen Morgen!«, rief sie aus dem Bad heraus über den Flur. Genervt widmete sie sich wieder ihrem Spiegelbild mit dem Plan, es so gut es ging zu verbessern.

Die Reaktion auf ihre Beschwerde kam prompt, tippelnd und eilig auf High Heels. Ihre Mutter steckte den Kopf mit den frisch gedrehten Löckchen ins Bad, als Saskia sich gerade die Zähne putzte.

»Saskia, Schatz! Du weißt doch, dass heute Antons großer Auftritt ist. Er muss üben!« Schon war sie wieder verschwunden.

Saskia spuckte ins Becken und wischte sich den Mund ab. Sicher wusste sie, dass ihr großer Bruder heute Nachmittag mit dem Kirchenchor bei dieser Hochzeit singen würde, doch musste er deshalb den ganzen Tag jaulen wie ein depressiver Hund?