2044.  Auf Leben und Tod - Fred Schumacher - E-Book

2044. Auf Leben und Tod E-Book

Fred Schumacher

0,0
4,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das Zukunftsszenario in einem Überwachungsstaat nach Abschaffung des Bargelds unter der Herrschaft einer winzigen Finanzelite bringt den Leser zu einem Vergleich mit seiner Gegenwart.

„Morgens um neun am 24. Mai 2044 stand die Sonne glutrot am Himmel, als Anton Besendorf auf seinem Balkon frühstückte. Er wusste nicht, dass an diesem Tag jemand entscheiden würde, ob er weiterhin leben durfte oder sterben musste.“

Die ersten beiden Sätze werfen den Leser mitten hinein in das Jahr 2044. Eliza, milliardenschwere Erbin einer der Herrschaftsfamilien, ist eine Beziehung eingegangen mit dem armen Schlucker Anton, einem aus Berlin stammenden Architekten.

Der allgegenwärtige Geheimdienst übermittelt dem Vater ein Abhör-Dossier dieser Beziehung und das Paar setzt sich ab nach Berlin, um Zerstörungsversuchen der Familie zu entgehen. Arme Schlucker wie Anton müssen die für sie verbindliche Monatsimpfung über ein in ihre Achselhöhle eingepflanztes Dock über sich ergehen lassen. Obwohl diese sie offiziell komplett schützen soll, erkrankt Anton schwer und sein Leben muss mittels einer Lungentransplantation gerettet werden. Von einer ehemaligen Ärztin, die sich in den dreißiger Jahren der Einpflanzung des Docks mit einem Trick entzogen hatte, und als Phantom illegal in Berlin lebt, erhalten sie erste Hinweise auf mögliche Krankheitsursachen.

Die Hoffnung auf dauerhafte Gesundheit wird jäh zerstört, als Anton wenige Tage nach Genesung von der Transplantation wieder fiebert und von neuen Schmerzen geplagt wird.

 

Elizas Eltern wollen sie unbedingt wieder in ihr Anwesen auf der Para-Halbinsel, dem abgeschotteten Hauptwohnsitz der meisten Superreichen an der amerikanischen Ostküste zurückholen. Sie können ihr nicht einfach den Geldhahn zudrehen, um sie zur Rückkehr zu zwingen, denn Eliza ist finanziell unabhängig, schließlich hat sie zehn Milliarden von der Oma geerbt, die ihr gut angelegt beim Finanzunternehmen Schwarzenfels im Jahr fünfhundert Millionen bis eine Milliarde Zinsen bringen.

Durch die Krankheit Antons in eine ausweglose Lage gedrängt, kehren sie dennoch zurück. Sie wollen herausfinden, ob der alte Hausarzt der Familie, selbst ein Superreicher, Anton helfen kann. Nach der ersten Untersuchung verschwindet dieser Hausarzt spurlos. Alles deutet darauf hin, dass er kurz vorher noch mit Elizas Vater gesprochen hat, was dieser aber abstreitet.

Diese Tatsache und die Verdachtsmomente in Richtung einer negativen Auswirkung der Monatsimpfungen veranlassen Eliza und Anton zu einer in die Tiefe gehenden Aussprache mit Elizas Vater in dessen Arbeitszimmer. Was dabei an Informationen zutage kommt, bildet den Höhepunkt der Geschichte und die Auflösung des Spannungsbogens.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2021

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Fred Schumacher

2044

Auf Leben und Tod

Impressum

1. Auflage

© 2021 Fred Schuhmacher

Coverdesign: Irene Repp

https://daylinart.webnode.com/

Bildrechte: © joseasreyes - 123rf.com; © Bohdan Hetman - 123rf.com; © Karl-Heinz Spremberg - 123rf.com

Lektorat: Elsa Rieger

Für meine Enkeltochter Rosa

geboren am 2. Januar 2021

Es ist leichter, die Menschen zu täuschen,

als davon zu überzeugen, dass sie getäuscht

worden sind.

Mark Twain

 

Inhaltsverzeichnis

 

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

Nachwort

Buchempfehlung

 

1

Morgens um neun am 24. Mai 2044 stand die Sonne glutrot am Himmel, als Anton Besendorf auf seinem Balkon frühstückte.

Er wusste nicht, dass an diesem Tag jemand entscheiden würde, ob er weiterhin leben durfte oder sterben musste. Er biss in sein mit Marmelade bestrichenes Brötchen, lehnte sich mit einem leisen Schnaufen zurück und genoss die angenehme Süße. Mit der rechten Hand führte er die Kaffeetasse zum Mund, während er mit seiner linken automatisch nach dem Minihandy griff, das gerade einen Piep von sich gab. Nach einem kurzen Druck mit dem Daumen auf den Touchpoint entfalteten sich mit einem kaum wahrnehmbaren Gleitgeräusch die drei Teile des Displays und fügten sich zu einer nahtlosen Einheit zusammen.

»Bin schon mit Papa auf dem Schießstand«, erklang Elizas dunkle, wie über ein Reibeisen gezogene Stimme.

Er verzog die Lippen zu einem Lächeln, als er das verkehrt herum auf ihrem dunkelblonden Wuschelkopf thronende Basecap und einen darüber gestülpten Bügel eines Ohrenschützers betrachtete.

»Bist du um zehn hier, wie versprochen? Ich habe ihn bekniet, dass er sich eine ganze Stunde Zeit nimmt.«

»Kann nicht verstehen, was euch das bringt, morgens in der Frühe mit euren Knarren auf kleine Scheiben zu ballern.«

»Ich mach es eher, weil er so stolz ist, dass er mir das Schießen beigebracht hat, und zwar so, dass ich fast so gut bin wie er.« Elizas Lachen fegte seine skeptische Bemerkung spielerisch hinweg. »Und natürlich ist er gut gelaunt, wenn er am Morgen seinem Hobby frönen kann, und dass er gut gelaunt ist bei der Abnahme nachher, das willst du doch auch, Anton?«

»Na, klar«, brummte er, »du bist ein vorausschauendes Wesen, weißt du das?«

»Sag ruhig raffiniert, wenn du willst, stört mich überhaupt kein bisschen, wenn’s doch gut für uns ist. Halt, wir müssen Schluss machen, er ist mit seiner Serie gleich durch, bis nachher!« Sie blinzelte ihm zu und ein roter Kussmund füllte für einen Moment das Display aus, bevor die Verbindung weg war.

Nach einem kurzen Druck auf dieselbe Stelle wie zuvor faltete sich das Display zusammen. Er ließ das Gerät in die Brusttasche gleiten und machte sich über die Reste seines Frühstücks her.

Die Carports für die Hydroautos, die fast alle Bewohner des zwanzigstöckigen Apartmenthauses benutzten, waren rund ums Gebäude angeordnet, wie in einem Stadion die Laufbahnen. Anton griff in die Brusttasche und nach einem kurzen Druck auf die richtige Stelle des Minihandys sprang die Fahrertür auf.

Beim Setzen hielt er sich das Gerät vor den Mund: »PARA-Shuttlestation.« Mit dem Zeigefinger tippte er den zweistelligen Code auf dem neben dem Notfall-Lenkrad platzierten Autodisplay ein, der die Feststellbremse löste. Mit sanfter Beschleunigung setzte sich das Gefährt in Bewegung, fädelte sich immer schneller werdend in den laufenden Verkehr auf dem Highway in Richtung der PARA-Halbinsel ein. Mit der für alle Verkehrsteilnehmer eingestellten Standardgeschwindigkeit von fünfzig Meilen pro Stunde hatte Anton jetzt runde vierzig Minuten Zeit, sich auf den Übergabetermin der unter seiner Federführung ausgebauten Dachgeschosswohnung des Schwarzschild-Rockenfelderschen Gebäudes vorzubereiten.

Auf dem wiederum aufgefalteten Display des Minihandys überprüfte er Schritt für Schritt die einzelnen Baumaßnahmen, verglich noch einmal seine Ursprungskalkulation und die Endaufstellung der Kosten. Er musste unwillkürlich selbstgefällig grinsen bei dem Gedanken, dass er tatsächlich unter der für den Bau veranschlagten Summe geblieben war.

»Papa gehört zu den reichsten Menschen der Welt«, hatte Eliza ihm nach der ersten Woche ihres Kennenlernens ohne Anzeichen der geringsten Verlegenheit erzählt, »aber er ist bestimmt auch einer von denen, die jede noch so kleine Zahlung kontrollieren und auf keinen Fall über den Tisch gezogen werden wollen.«

Als hätte sie ihm das erst mitteilen müssen. Natürlich war ihm bewusst gewesen, mit wem er es bei diesem Auftrag zu tun bekam, nämlich mit Richard Schwarzschild-Rockenfelder, dem Erben eines Billionenvermögens, das einige Generationen seiner Vorfahren angehäuft hatten. Als führendes Mitglied des Councils griff er bei wichtigen Anlässen ins Geschehen der öffentlichen Meinungsbildung ein. Richard selbst war es gewesen, der seinerzeit in einer offiziellen Erklärung dieses Gremium als Beraterorgan vorgestellt hatte. Es bestand aus speziell selektierten Mitgliedern der zweihundert reichsten Familien der PARA-Welt. Ob das Council den Regierungen der einzelnen Regionen übergeordnet war, blieb offen.

Anton war diese Erklärung als unerheblich erschienen, genau so wie der Mehrheit seiner Zeitgenossen.

Es gab noch eine andere Welt auf dem Planeten Erde, dessen war man sich bewusst, aber über sie erhielt man als Wicht keine direkten Informationen. Anfang der Dreißigerjahre war ein digitaler Vorhang zur Abschottung zu ihr errichtet worden. Ab da hieß sie Antipodien und man erfuhr nur noch, dass es sich um ein zutiefst aggressives Gebilde handelte, welches ständig neue Waffensysteme entwickelte, um die PARA-Welt zu zerstören. Eine der wesentlichen Grundlagen des PARA-Gesellschaftssystems war die besonnene und treue Weitsicht der Paras. Im Laufe der Jahre hatten sie sich alle ihre Hauptwohnsitze auf der Halbinsel PARA geschaffen. Wichte durften die Halbinsel nur auf Einladung von Paras, also einem Mitglied einer der Familien, betreten oder gar über längere Zeiträume als deren Bedienstete dort verbringen.

Während Anton an diesem sonnigen Morgen seine Blicke müßig über den Strom, der auf dem Motorway dahingleitenden, Fahrzeuge wandern ließ, fragte er sich unwillkürlich, wo dieses Schlagwort eigentlich herkam, das von der besonnenen und treuen Weitsicht der Paras. Es war ihm wie ein Gassenhauer durch den Kopf geschossen. Richtig, die Paras sorgten für die Produktion immer ausreichender Systeme zur Verteidigung gegen die drohenden Angriffe der kriegslüsternen Antipodioten. Nutznießer davon waren alle Wichte ‒ und auch sie selbst, wie Paras bei öffentlich übertragenen Meinungsbildungstalkshows mit bescheidenem Lächeln zugaben.

Die Ansage einer weiblichen Stimme riss Anton aus seinen Grübeleien. »Wir erreichen das Ziel in drei Minuten, bitte zum Aussteigen bereit machen.«

Schon scherte das Hydrocar nach rechts aus, überquerte einen Flyover und rangierte sich dann, immer langsamer werdend, auf dem weitläufigen Parkplatz vor der PARA-Shuttlestation in eine Parkbucht.

Nach kaum fünf Minuten Wartezeit auf dem einzigen Bahnsteig schwebte lautlos der Shuttlezug herein. Ein leises Zischen, und der langgestreckte Waggon senkte sich auf die breite Metallschiene, die, mittig angeordnet, sowohl als Führungs- als auch magnetisches Steuerelement diente. Anton und der Pulk weiterer Besucher für PARA traten durch die automatisch sich öffnenden Schiebetüren ins Innere. Für die Reise durch rund eine Meile Ödnis, welche die Grenze zwischen der PARA-Halbinsel und der Welt der Wichte trennte, setzte sich Anton gar nicht erst hin. Das sanfte Vibrieren seines Körpers beim Anfahren der Shuttlebahn überlagerte beinahe komplett das zeitgleich einsetzende Flirren des Minihandys in seiner Brusttasche. Ob zuerst der Streifen Ödnis da war und man dadurch auf die Idee gekommen ist, die Zeit zum Überqueren für ein dreiminütiges Scannen der Minihandys der Reisenden zu nutzen, oder ob das umgekehrt war? Keine blasse Ahnung.

Anton schob die Hand in eine Halteschlaufe und hielt sich fest.

»Schon genial«, eine auf einer der gepolsterten Bänke sitzende junge Frau mit runder Intellektuellenbrille kniff ein Auge zu und lächelte ihn an, »man sieht keine Wachen und nichts, aber die Kontrolle ist so perfekt, dass nicht mal eine Maus unentdeckt durchschlüpfen könnte.«

»Die Maus hat aber kein Minihandy dabei.«

»Dann sollten Sie aber mal sehen. Liebe Börse, wette, dass dann innerhalb von zwanzig Sekunden eine Drohne über dem armen Mäuschen schwebte. In seinen letzten Momenten würde es glauben, ein Adler habe es entdeckt und zugepackt.«

Beide lachten. Die Idee, als lebendes Wesen außerhalb der eigenen vier Wände ohne Minihandy unterwegs zu sein, war gar zu unvorstellbar.

Nach Verlassen der Zielstation auf der Halbinsel betrat Anton einen Parkplatz, der dem, wo er sein Hydrocar gelassen hatte, glich wie ein Ei dem anderen. Allerdings waren die hier geparkten Fahrzeuge alles E-Antriebe und sie standen jeder Person auf der Halbinsel frei zur Verfügung. Er öffnete die Tür eines Wagens, indem er einfach mit seinem rechten Zeigefinger auf die Seitenscheibe tippte, stieg ein und programmierte als Zielort den Ocean Boulevard 124.

Wie immer stockte ihm der Atem beim Anblick des Schwarzschild-Rockenfelderschen Anwesens, während das E-Fahrzeug in einer weiten Schleife durch gepflegte Rasenflächen auf das Heim der Familie zu fuhr. Das zweigeschossige Gebäude mit einem säulengeschmückten Vorbau war, wie er wusste, Mitte des neunzehnten Jahrhunderts errichtet worden. Die roten Backsteine des Mauerwerks kontrastierten mit der weißen Balustrade des Balkons, der das gesamte Obergeschoss umschloss. Damit nicht genug, thronte über allem eine ebenfalls weiße Kuppel. Im morgendlichen Sonnenlicht spiegelte sich der Prachtbau als Highlight in einem künstlichen See vor ihm, dessen Oberfläche dem Besucher ein im Wind zitterndes Spiegelbild der Konstruktion präsentierte.

Anton eilte die drei Stufen zum Eingangsportal hoch und Jim, Butler des Hauses, öffnete die schwere Eichentür. »Guten Morgen, Mister Besendorf, die Herrschaften sind schon oben und erwarten Sie.«

Er verkniff sich das Lächeln ob der merkwürdigen Aussprache seines Nachnamens. Aus Jims Mund hörte sich das eher wie Biesendörp an. »Guten Morgen Jim. Danke, ich kenne ja den Weg.« Damit ging er auf die große Treppe zu und stieg, immer zwei Stufen nehmend, nach oben.

Im hinteren Gebäudeteil, anschließend an die Kuppel, hatte es einen Speicher gegeben, vollgestellt mit allerhand Gerümpel, das sich im Laufe von Jahrzehnten angesammelt hatte. Es war die Idee von Elizas Mutter Pauline gewesen, mit dem Ausbau dieses Speichers zu einer luxuriösen Wohnung ihre Tochter Eliza daran zu hindern, ganz aus dem Haus auszuziehen.

Wie Eliza ihm schon kurz, nachdem sie sich kennengelernt hatten, erzählte, war sie keineswegs von Beginn an von dieser Idee begeistert gewesen. »Jetzt bin ich aber froh darüber, dass ich ja gesagt habe.«

»Wieso?«, hatte er gefragt und sie hatte ihn mit einem halb spöttischen, halb schüchternen Augenaufschlag gemustert.

»Kannst du dir das nicht vorstellen?« Dabei hatte sie mit ihren rot lackierten Fingernägeln sanft über den bei der Arbeit hochgekrempelten Ärmel seines Hemdes gestrichen.

Das war der Moment gewesen, als ihm das Herz so heftig im Leibe zu pochen begann, dass er es bis in die Schläfen spürte. Er, der ursprünglich aus Deutschland stammende Wicht und die Tochter des Hauses eines Paras, undenkbar war ihm das erschienen.

Richard Schwarzschild-Rockenfelder erwartete ihn mit schräggelegtem Kopf. Seine blauen Augen blickten abwesend in eine nur ihm bekannte Ferne. »Ich habe schon einen Rundgang gemacht.« Die Stimme klang trainiert wie bei einem Schauspieler. Anton vermeinte jedoch immer, wenn er sie hörte, einen leicht näselnden Beiklang herauszuhören, der ihm unangenehm war.

Eliza stand einen halben Schritt hinter ihrem Vater, kniff verstohlen ein Auge zu und zeigte ihm blitzschnell einen erhobenen Daumen. »Mama ist unten und kümmert sich um die Vorbereitungen für die Feier.«

»Welche Feier?«

»Ach, das hat meine Tochter Ihnen nicht verraten?« Richard trat über die Schwelle und bedeutete Anton mit ausgestrecktem Zeigefinger, ihm zu folgen. »Dieser Flur ist ziemlich dunkel. Sie haben zwar durch eine Glasscheibe im oberen Teil der Tür zum Salon für natürliche Belichtung gesorgt, dennoch …« Er ließ den Satz mit einem schnaubenden Geräusch ausklingen.

Eliza riss mit einem Schwung die Salontür auf »Voilà, hinein in den strahlenden Sonnenschein.«

Und tatsächlich war die Wirkung beim Eintreten überwältigend. Der trapezförmig sich zu einer breiten Glasfront hin erweiternde Raum schwebte im Licht, und der Blick über die Wiesen des Anwesens bis hin zum unter blauen Himmel sanft vor sich hin dümpelnden Ozean jagte Anton aufs Neue einen Schauer der Begeisterung über den Rücken. Das von Eliza mit unfehlbarem Geschmack ausgewählte Mobiliar ergänzte alles, was er mit architektonischen Mitteln geschaffen hatte. Die extravagante Mischung aus modernen weißen Schränken und Tischen vertrug sich überraschenderweise ideal mit einer antiken Rokoko-Sitzgarnitur, bezogen mit rotem Samt.

Schwarzschild-Rockenfelder durchschritt den Raum, als nähme er eine Parade ab. Hoch aufgerichtet ließ er den Ausblick auf sich wirken und Anton, der ihn von der Seite genau beobachtete, glaubte, einen Ausdruck von Stolz in seiner zumeist undurchdringlichen Miene zu entdecken.

»Komm in mein Arbeitszimmer!« Eliza schnappte ihren Vater am Arm und bugsierte ihn durch eine geöffnete Doppelflügeltür in den benachbarten Raum.

Beifällig nickte er und klopfte mit einem Knöchel auf die Platte des mit Schnitzereien versehenen massiven Nussbaumschreibtischs.

Dann wandte er sich Anton zu. »Also gut, Schlafzimmer, Bad, Küche und so weiter habe ich mir vorhin schon angesehen. Sie haben Ihre Aufgabe gelöst, schicken Sie die Schlussrechnung an mein Büro.« Nach dieser knappen Aufforderung wandte er sich um und strebte Richtung Salon. Dort drehte er noch einmal den Kopf, »wir sehen uns nachher noch, Herr Besendorf.«

Anton runzelte die Stirn und wartete auf das Klacken der ins Schloss fallenden Wohnungstür. »Was hat er damit gemeint, wir sehen uns …?«

»Jetzt hab ich dich endlich für mich.« Eliza fiel ihm so ungestüm um den Hals, dass er seine Frage nicht zu Ende brachte, ihre Lippen waren fest und schmeckten nach Kirschen und ihre Zunge schob sich in seinen Mund.

Aufatmend presste er sich an Elizas biegsamen Körper und mit den Handflächen strich er über ihren Rücken nach unten und umfasste ihre Pobacken.

Sie holte tief Luft und drückte ihn ein kleines Stück weg, »warte!« Damit griff sie zur Fernbedienung auf dem ansonsten leeren Schreibtisch. Sie drückte zwei Knöpfe nacheinander, lauschte mit zurückgeworfenem Kopf auf das Klacken des einrastenden Schlosses der Eingangstür.

»Jetzt die Dinger weg!« Sie holte das Minihandy aus einer Seitentasche ihrer Bluse und hielt ihm auffordernd eine Hand mit nach oben gekehrter Handfläche hin.

Anton gab ihr sein Minihandy und mit flinken Sätzen war sie im benachbarten Salon, wo sie die Geräte unter ein Kissen auf dem Rokokosofa schob. Schon war sie zurück und warf mit einem erleichterten Seufzer die Tür hinter sich zu. Sie umschlangen und küssten sich in fiebernder Erregung. Er spürte, wie ihre Hände von seinen Wangen über den Brustkorb nach unten wanderten. Sie glitt rückwärts auf den Nussbaumschreibtisch und zog ihn auf sich. Eliza, die Para, die so beherrscht erscheinen konnte wie ein Universitätsprofessor bei der Abnahme einer Examensprüfung, stöhnte, zuckte und wand sich in seinen Liebkosungen, wie er es zuvor bei keiner anderen erlebt hatte.

Wenig später saßen sie wohlig zurückgelehnt und wieder angezogen nebeneinander auf dem Sofa im Salon. Eliza hatte eine Flasche Orangensaft aus dem in der Bar eingebauten Kühlschrank geholt und zwei Gläser auf dem Couchtisch gefüllt.

Nach einem tiefen Schluck ‒ der Saft rann wie erfrischende Medizin durch seine trockene Kehle ‒ setzte Anton erneut zu seiner Frage an. »Was hat er gemeint damit, wir sehen uns und was für eine Feier bereitet deine Mutter vor?«

»Ach, nichts Großartiges. Mama hat zu einem kleinen Empfang zum Tee geladen zur Einweihung meiner neuen Wohnung. Sie ist doch so stolz darauf, dass sie die Idee dazu hatte. Hab ich dir doch erzählt.«

»Das schon, aber Empfang, das ist mir neu. Na ja, nichts für mich, lauter Paras, möchte ich wetten.«

»Kommt überhaupt nicht in Frage, dass du kneifst, mein Lieber. Paras hin oder her, du bist mein Ehrengast. Du hast schließlich dieses Wunder hier möglich gemacht.« Dabei bewegte sie die ausgestreckte Hand mit einer Geste, welche die ganze Wohnung umfasste.

»Ich bin so gern mit dir zusammen, Liza, das weißt du.«

Sie nickte und ließ den Blick von seinen Haarspitzen bis zu den blank geputzten Schuhen wandern.

»Aber ein Empfang mit denen«, jetzt machte er eine rundum ausholende Bewegung, mit der er die gesamte Halbinsel umfasste, »ist doch wider die Natur, mach dir nichts vor.«

»Rede nicht so einen Quatsch, Liebling«, fuhr sie auf. »Bis auf dieses kleine Stückchen Metall in deiner Achselhöhle sind wir doch gleich. Ähm, bis auf das da auch, zum Glück …« Dabei ließ sie die Hand liebevoll über seinen Bauch nach unten gleiten.

2

 

Fünf Stunden später hielt Anton Besendorf sich an einem Glas Orangensaft fest und nahm mit einem Lächeln, das entspannt wirken sollte, Komplimente der eingeladenen Nachbarn der Schwarzschild-Rockenfeders entgegen.

»Zauberhaft, mein Lieber, wie Sie das hinbekommen haben.« Eine mollige Mittfünfzigerin in einem Designerkleid vom Feinsten schaute kokett zu ihm auf. »Sie haben doch bestimmt ein Visitenkärtchen für mich, falls ich mal Ihre qualifizierten Dienste in Anspruch nehmen möchte.«

Er reichte ihr das Kärtchen, wobei er die Fassungslosigkeit unterdrückte, die der Anblick ihres brandrot gefärbten und wie eine Sturmhaube auf ihrem Kopf festgezurrten Haares bei ihm ausgelöst hatte.

Ein älterer Grauhaariger fragte ihn über die Vorteile von Stahlrahmenkonstruktionen im Hochbau aus. Schon bald merkte er, dass der Mann ein echter Experte für Stahlsorten und die aktuellen Weltmarktpreise des Materials war.

»Lieber Andrew«, Eliza schob sich zwischen die beiden, »ich darf Ihnen Herrn Besendorf doch kurz entführen, ohne dass Sie mir böse sind. Ich möchte noch ein Detail mit ihm klären.«

Damit zog sie Anton am Ärmel und blinzelte ihn im Weitergehen an.

»Der ist größter Stahlaktionär praktisch aller Unternehmen in dieser Industrie.«

»Ich fühle mich wie ein schwarzes Schaf in einer Herde weißer Lämmer, kannst du das nicht verstehen, Liza?«

»Irgendwie schon«, gab sie zu. Sie strich ihm mit einer für Beobachter zufällig erscheinenden Bewegung über die Wange. »Halte bitte noch eine Stunde durch. Ich habe auch eine Überraschung für dich.«

»So.«

»Nachher komme ich mit zu dir. Habe Mama gesagt, dass ich heute Nacht in meinem Apartment draußen in der Stadt schlafen werde. Sie hat mich irgendwie komisch angesehen, fast so, als wüsste sie was von uns.«

»Kann ich mir nicht vorstellen. Wenn sie ahnte, dass ihre Prinzessin was mit einem Wicht hat, da bekäm sie glatt einen Herzanfall.« Anton wollte seine Stimme lustig und unbeschwert klingen lassen, aber sie kam mit einem rauen Unterton heraus, der in Elizas Ohren bitter klingen musste.

»Wenn dir die Leute so auf die Nerven gehen, dann nutze doch die Gelegenheit. Mama hat gerade das Buffet eröffnet und jetzt langen sie zu. Verziehe dich eine Weile nach draußen in den Park und gehe spazieren. Ich halte hier die Stellung.«

So kam es, dass Anton Besendorf am späten Nachmittag dieses an Ereignissen nicht armen Tages durch den picobello gepflegten Park der Schwarzschild-Rockenfelders flanierte, allein und in Gedanken versunken. Er erinnerte sich an eine winzige Pagode, die ihm Eliza vor einigen Wochen bei einem gemeinsamen Spaziergang gezeigt hatte. Dorthin lenkte er seine Schritte mit dem Ziel, in der Nähe des anmutigen Baus auf einer Bank, die Beine von sich gestreckt, die Sonne zu genießen. Als er sich näherte, hörte er im Inneren der Pagode laute Stimmen. Er hielt an und lauschte. Anscheinend wurde gerade eine Meinungsverschiedenheit ausgetragen.

»Der Besendorf, der Wicht, der fickt deine Tochter, so glaub mir doch.«

Antons Mund öffnete sich und er konnte gerade noch einen zornigen Aufschrei unterdrücken. Das war die Stimme von John Tore. In ihm stieg eine Hitze aus seinem Magen hoch bis in die Wangen. Er hatte den Klang noch im Ohr von vorhin, als Eliza ihn vorgestellt hatte. Sie klang so von oben, so nach ›ich bin mehr wert als ihr alle‹, dass der Kerl ihm sofort unsympathisch gewesen war. Dazu sah Tore noch gut aus, natürlich im feinsten Tuch, hochgewachsen mit scharf geschnittenem, braun gebranntem Gesicht und dunklem, leicht gelocktem Haar.

»Woher willst du das denn wissen, John?« Richard Schwarzschild-Rockenfelders Worte kamen spöttisch heraus. »Kann es nicht eher so sein, dass du dir das nur einbildest, weil du selbst an meiner Tochter interessiert bist?«

»Ich kenne deine Tochter seit Jahren und ich mag sie, das weißt du. Das ist es nicht.«

»So, so. Was ist es dann?«

»Beweisen kann ich es dir. Eliza ist so naiv, wirft sich diesem, diesem …«

Er stockte und suchte offenbar nach Worten.

»Vorsicht John! Ich dulde das nicht. Meine Tochter zieht niemand in den Dreck, auch du nicht. Eine bösartige Unterstellung, meine Tochter mit einem Wicht, so einem, äh, du bist ja völlig durchgeknallt!«

Die letzten Worte klangen näher und Anton hatte plötzlich die Vision, wie die beiden Männer aus der Pagode heraustreten und ihn als Lauscher entdecken würden. Hektisch scannte er die nähere Umgebung ab, dann flitzte er hinter eine Gruppe von Thujasträuchern. Sie hatten den Vorteil, dass sie so dicht standen, dass er von der Pagode aus nicht zu sehen sein würde, aber dennoch nah genug zum Hören war.

»Mach dir nichts vor, Richard. Der Drecksack hat sich an sie rangemacht. Na klar, ein Wicht, ein Habenichts. Was kann dem denn Besseres passieren, als die Tochter eines Billionärs ins Bett zu kriegen und am Ende zu heiraten und damit ein Para zu werden.«

»Du träumst doch, John. Ein Wicht kann niemals Para werden.«

Für einen kurzen Moment hörte Anton nichts mehr, aber zwischen den grünen Zweigen der Thujen hindurch sah er die beiden Männer aus der Pagode treten und Richtung Herrenhaus fortstreben.

»Und was hältst du davon, wenn ich dir die Beweise hier sofort in die Hand drücke?« John griff in die Hosentasche und zog einen winzigen Gegenstand heraus.

Anton kniff die Augen zusammen, konnte aber nicht erkennen, was es war, das Tore zwischen Daumen und Zeigefinger geklemmt vor Richards Augen hielt. »Da, das hat die PIA für mich gesammelt, Beweise noch und nöcher.«

Vor Antons Augen flirrte das Sonnenlicht. Er musste blinzeln und wünschte sich, schnell aus diesem Albtraum zu erwachen. Beweise der PARA Intelligence Agency, das ist das Ende unserer Beziehung. Sie werden mich zum Teufel jagen, sie werden … Diebeiden waren inzwischen ziemlich weit weg. Er sah, wie John Richard den kleinen Gegenstand in die Hand drückte und hörte gerade noch dessen Antwort. »Ich werde das überprüfen, und Gnade dir die Börse, wenn du meine Tochter zu Unrecht beschuldigst.«

Die nächste halbe Stunde saß Anton mit geschlossenen Augen auf einer Bank. Gedanken an sofortige Flucht wirbelten durch sein Gehirn. Es wäre so einfach, reinsetzen in das E-Auto, mit dem er gekommen war, ab zur Shuttle-Station und dann Schluss mit dem Kapitel Eliza Schwarzschild-Rockenfelder, zum Teufel mit der Familie und den Paras insgesamt. Aber unter diesen Überlegungen lag durchgängig die Gewissheit, dass genau dies nicht möglich sein würde. Verdammt, ich brauche sie, ihr Lachen, ihre Umarmung, ihre unerschöpfliche Lebendigkeit. »Keine zehn Pferde kriegen mich zurück in dieses Haus«, brummte er. Mit der Faust rieb er sich das Kinn. Wir müssen wissen, was die tatsächlich rausgekriegt haben, grübelte er. Wie kommen wir an das Ding ran, das dieser eifersüchtige Schnüffler dem Alten in die Hand gedrückt hat? Er sprang auf die Füße und ging die paar Schritte zur Pagode, dann wieder zurück zur Parkbank. Endlich griff er in die Brusttasche und zog das Minihandy raus. Kaum hatte er Elizas Kurzwahl eingetippt, hörte er ihre flüsternde Stimme. »Hallo Liebling, entspannst du dich beim Spazierengehen?«

»Eher das Gegenteil, würde ich sagen.«

»Was? Bitte keine Rätsel, Anton Besendorf!« Wenn sie ihn unter vier Augen necken wollte, benutzte sie gern seinen kompletten Namen. Das bedeutete allerdings auch ein winziges Anzeichen von Ungeduld, wie ihm bewusst war.

»Kommst du bitte raus in den Park, wir müssen reden!«

»Jetzt? Die ersten Gäste verabschieden sich gerade, einige fragen nach dir.«

»Hör zu, Liza, es ist verdammt dringend, also kein Smalltalk mehr im Moment. Ich warte in der Nähe der Pagode auf dich.« Er drückte das Telefonat weg und stampfte wie ein misstrauischer Elefantenbulle auf und ab.

Nach ein paar Minuten kam sie aus dem Haus, lief auf ihn zu und breitete die Arme aus. »Was ist denn nur, du klingst ja richtig drängend?«

Anton legte einen Zeigefinger auf die zusammengepressten Lippen und flüsterte: »Das Minihandy!« Dabei machte er eine fordernde Bewegung mit der Hand.