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4 Science Fiction Abenteuer Sonderband 1022 E-Book

Wilfried A. Hary

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Beschreibung

Die Kyphorer haben ein geradezu teuflisches Unterhaltungsformat, das nicht von ungefähr an das irdische »Big Brother« erinnert. Mit dem gravierenden Unterschied: Hier muss ein ganzer Planet dafür herhalten: Kahlim-Salem! Und die unfreiwilligen Bewohner wissen gar nichts über ihre Rolle. Cat Groskowsky gerät mit ihren beiden Begleitern hierher, denn hier gibt es eines der heimlichen »Göttertore«. Sie weiß nicht, wieso die Stationscomputer dieser Tore sie als »Göttin« ansehen – und kommt auf die Idee, Kawilas in die Simulation zu schmuggeln. (499) Dieser Band enthält folgende Romane Wilfried A. Hary: Ausbruch der Hölle / Wilfried A. Hary Das Schiff der Götter/ Wilfried A. Hary: Galaxis der Prupper Manfred Weinland: Die Geister von Nomad

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Wilfried A. Hary

4 Science Fiction Abenteuer Sonderband 1022

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Inhaltsverzeichnis

4 Science Fiction Abenteuer Sonderband 1022

Copyright

Ausbruch aus der Hölle

Das Schiff der Götter

Galaxis der Prupper

Die Geister von Nomad

4 Science Fiction Abenteuer Sonderband 1022

Wilfried A. Hary, Manfred Weinland

Die Kyphorer haben ein geradezu teuflisches Unterhaltungsformat, das nicht von ungefähr an das irdische »Big Brother« erinnert. Mit dem gravierenden Unterschied: Hier muss ein ganzer Planet dafür herhalten: Kahlim-Salem! Und die unfreiwilligen Bewohner wissen gar nichts über ihre Rolle.

Cat Groskowsky gerät mit ihren beiden Begleitern hierher, denn hier gibt es eines der heimlichen »Göttertore«. Sie weiß nicht, wieso die Stationscomputer dieser Tore sie als »Göttin« ansehen – und kommt auf die Idee, Kawilas in die Simulation zu schmuggeln.

Dieser Band enthält folgende Romane

Wilfried A. Hary: Ausbruch der Hölle /

Wilfried A. Hary Das Schiff der Götter/

Wilfried A. Hary: Galaxis der Prupper

Manfred Weinland: Die Geister von Nomad

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

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Alles rund um Belletristik!

Ausbruch aus der Hölle

Wilfried A. Hary

Wilfried A. Hary: »Kawilas am Ende seiner Mission – und auch am Ende seines Lebens?«

Die Kyphorer haben ein geradezu teuflisches Unterhaltungsformat, das nicht von ungefähr an das irdische »Big Brother« erinnert. Mit dem gravierenden Unterschied: Hier muss ein ganzer Planet dafür herhalten: Kahlim-Salem! Und die unfreiwilligen Bewohner wissen gar nichts über ihre Rolle.

Cat Groskowsky gerät mit ihren beiden Begleitern hierher, denn hier gibt es eines der heimlichen »Göttertore«. Sie weiß nicht, wieso die Stationscomputer dieser Tore sie als »Göttin« ansehen – und kommt auf die Idee, Kawilas in die Simulation zu schmuggeln.

Dieser übernimmt die Rolle eines Kyphorers mit Namen Chest Loce, genannt CL. Für ihn entpuppt sich die Stadt, deren Namen übersetzt so viel bedeutet wie Gold-Nugget, als tödliche Falle. Hinter allem steckt der einstig beste Freund von CL. Aber das ist noch nicht alles: Als sich Kawilas in seiner Rolle als CL mit dessen ehemaliger Freundin Iana verbündet, gerät auch diese in tödliche Gefahr! Sie wurden voneinander getrennt: Kawilas duckt sich in eine trügerische Deckung. Es ist eine Frage von Sekunden, bis die übermächtige Gegnerschaft ihn erledigt hat – und Iana hockt mit weiteren Verbündeten im Keller einer Trinkhalle, die über ihren Köpfen ein Opfer der Flammen wird...

DIE HAUPTPERSONEN:

Cat Groskowsky – findet auf dem Stützpunkt-Planeten der Rebellen das »Tor der Götter« (siehe Band 25) und gelangt von dort auf den »Big-Brother«-Planeten der Kyphorer: Kahlim-Salem...

Kawilas – für Cat auf dem Minenplaneten Moran-Dur eine wahre Ausgeburt dieser Hölle – und inzwischen bangt sie berechtigt um sein Leben in der Rolle eines gewissen Chest Loce...

Chest Loce – der »Echte«. Die Situation verlangt, dass er aus seinem Tiefschlaf geweckt wird. Sonst hat Kawilas keine Chance mehr...

*

1

Das Knistern und Knattern der alles zerstörenden Flammen war oberhalb der Kellerdecke mehr und mehr verstummt. Die im Keller Eingesperrten wussten zwar, dass ihre Todfeinde oben waren, doch sie durften darauf hoffen, dass diese abgelenkt wurden durch die Löscharbeiten: Jetzt oder nie! Sie durften nicht mehr länger zögern.

In fliegender Hast lösten sie die Abdichtung an der Luke. Sofort sickerte Wasser in den Kellerraum, und als sie die Luke hochdrückten, kam ein ganzer Schwall herunter. Der Zustrom an Wasser schien nicht mehr enden zu wollen. Ein widerlicher Geruch von nasser Asche lag in der Luft und machte das Atmen schwer, als sie nach oben stürmten.

Jeder hatte seine Waffe schussbereit in der Faust. Die meisten der Banditen befanden sich wahrscheinlich im vorderen Teil der Trinkhalle. In diese Richtung ballerten sie wahllos, während sie Iana nach hinten folgten. Das Feuer wurde zwar sofort erwidert, aber genauso ungezielt. Die Banditen waren von dem unerwarteten Ausbruch viel zu überrascht.

Dieser verfluchteAnley hat nicht jeden seiner Leute und vor allem nicht rechtzeitig über den Kellerraum aufgeklärt!, konstatierte Iana im Stillen. Er hat ursprünglich ja das Gebäude erhalten wollen, und da war es ihm besser erschienen, dieses Geheimnis nicht allgemein auszuplaudern. Umso besser für uns.

Sie erreichten die Stelle, an der sich der Hinterausgang befunden hatte, und stürmten durch die rußgeschwärzte Öffnung in den Hof. Ein Gegner rannte herbei, wohl von den Schüssen angelockt. Aber ehe er selbst noch einen gezielten Schuss anbringen konnte, hielt ihn Iana mit einer Kugel aus ihrer eigenen Waffe auf.

»Alle Achtung!«, sagte einer ihrer Begleiter anerkennend.

»In den Schuppen auf der anderen Seite vom Hof!«, befahl Iana.

Sie war als Erste dort, trat die Tür auf und wich gleichzeitig zur Seite aus. Die anderen gingen ebenfalls in Deckung. Sie hatten begriffen, dass Iana eine Wache im Schuppen vermutete.

Aber es wurde nicht auf sie geschossen. Iana schoss ihrerseits wahllos hinein und sprang durch die Tür mitten in die Dunkelheit.

Nein, hier war tatsächlich niemand mehr. Sie hatten sich zurückgezogen, weil sie den Sieg bereits in ihrer Tasche geglaubt hatten und viel lieber daran gegangen waren, die brennende Trinkhalle zu löschen.

Und in der Tat hätte Iana niemals allein aus dem Kellerraum entkommen können. Es hatte schon des massiven Feuerschutzes ihrer Begleiter bedurft, um ihr diese Flucht zu ermöglichen.

Bis jetzt war alles gutgegangen, aber es gab keinen Grund, deshalb unvorsichtiger zu werden.

Iana konnte sich in der Dunkelheit blind bewegen. Sie kannte sich in dem Geräteschuppen gut genug aus. Hinten war ein Berg von Gerümpel, und dieser verbarg eine Tür. Da mussten sie hindurch.

»Weg mit dem Zeug!«, befahl Iana.

Einer hatte geistesgegenwärtig die Lampe mitgenommen und entzündete sie mit einem Streichholz. Das Licht genügte. Sie arbeiteten verbissen. Viel Zeit blieb ihnen nicht, denn die Banditen formierten sich bereits neu. Sie würden notfalls auch noch den Schuppen niederbrennen, um ihrer habhaft zu werden.

In Rekordzeit war der Weg frei. Iana öffnete die Tür, ließ die Lampe wieder erlöschen, sicherte kurz und sprang dann in die Freiheit.

»Wohin jetzt?«, raunte ihr ehemaliger Croupier.

»Wo ist Art Inters, euer Anführer?«

»Er erwartet uns in der Nähe des Büros des Polizeichefs. Dort sind wir verabredet.«

»Also los, worauf warten wir noch?«

Sie rannten gemeinsam los. Da sie hinter der Häuserreihe laufen mussten, machten sie einen kleinen Umweg.

Unterwegs fragte Iana keuchend: »Wie viele Männer sind bei Art?«

»Wer soll denn noch bei ihm sein?«

Iana blieb wie angewurzelt stehen. »Soll das heißen, er ist allein? Wie groß ist denn die ganze Widerstandsgruppe überhaupt, die sich um ihn geschart hat?«

»Äh, es sind noch einige, außer uns, aber wir sind die Einzigen, die wenigstens ein bisschen mit einer Waffe umgehen können. Gegen die gegnerischen Schießeisenmänner haben wir allerdings keine Chance. Wir schießen sogar alle schlechter als du.«

»Wenn CL nicht mehr am Leben ist, dann gute Nacht!«, sagte Iana. Beinahe resignierte sie. Aber dann nahm sie sich zusammen und rannte weiter. Sie ließ ihrem ehemaligen Croupier den Vortritt, weil der genauer wusste, wo sie Art Inters treffen würden.

Da erst wurden sie auf die Schießerei aufmerksam. Die Schüsse fielen nicht hinter ihnen, wo die Banditen sie anscheinend immer noch in dem Geräteschuppen vermuteten, sondern vielmehr nahe beim Büro des Polizeichefs.

Iana dachte zuerst an Art Inters, und sie war mit dieser Vermutung nicht allein, aber dann musste sie sich korrigieren: Selbst wenn Art Inters bis an die Zähne bewaffnet war, würden sie niemals so viele Kugeln brauchen, um ihn zu erledigen.

Es gab nur eine einzige Möglichkeit, die jetzt noch offen stand.

Iana sprach es aus: »CL! Er lebt! Aber wenn wir uns nicht beeilen, wird dieser Zustand nicht mehr lange andauern, schätze ich.«

Sie hoffte, dass ihre Begleiter es jetzt nicht mit der Angst bekamen und sie im entscheidenden Moment im Stich ließen.

Aber der Mut, den sie als Frau bereits unter Beweis gestellt hatte, blieb Ansporn genug für die Männer, die es keineswegs gewohnt waren, mit der Waffe in der Faust ihren Alltag zu begehen. Es war eine Ausnahmesituation für sie alle, aber sie waren dennoch entschlossen, diese Situation zu bewältigen und sich selbst damit eine bessere Zukunft zu sichern.

Sie würden CL unterstützen, und sie sahen jetzt durchaus eine Chance für ihren Sieg.

Hatten Anley Illiams und seine Hundertschaft nicht sowieso schon eine unglaubliche Niederlage hinnehmen müssen – bei diesen Verlusten, die sie gegen CL hatten einstecken müssen? Jetzt galt es eigentlich nur noch, diese Niederlage endgültig in einen Sieg für die ganze Stadt zu verwandeln.

Hofften sie zumindest...

2

CL, alias Kawilas, wurde so lückenlos mit Kugeln eingedeckt, dass er keinerlei Möglichkeit sah, sich wirksam zu verteidigen. Eine tödliche Falle war diese Deckung, in die er sich verkrochen hatte, und wenn kein Wunder geschah, überlebte er schon die nächsten Sekunden nicht.

Fast wollte Kawilas resignieren, zum ersten Mal, seit er die Rolle des CL übernommen hatte, aber das »Wunder« geschah tatsächlich: Auf einmal wurden die Banditen von dritter Seite mit Schüssen eingedeckt. Es kam für sie genauso überraschend wie für Kawilas-CL.

Iana!, dachte er sofort.

Er lauschte. Nein, das konnte unmöglich Iana allein sein. Da waren auch noch andere mit im Spiel.

Aber wer?

Der Stationscomputer gab per Gedankenimpuls, also garantiert »abhörsicher«, Auskunft: »Sie ist es tatsächlich, und bei ihr ist ein wahrlich elendes Häuflein von Widerständlern gegen die Übermacht deines Widersachers. Aber auch wenn sie normalerweise nicht die geringste Chance hätten, bilden sie im Moment dennoch das Zünglein an der Waage. Kein Grund für dich, zu früh zu frohlocken. Ganz im Gegenteil: Sie bauen auf dich, sonst hätten sie ihr Leben nicht riskiert.«

Die Überraschung hielt bei Kawilas-CL nicht lange vor. Er nutzte die Gelegenheit auf seine Weise, indem er laut rief: »Wie ich schon sagte, Anley: Du hast längst verloren, ohne dass es dir klar ist! Glaubst du denn im Ernst, ich sei allein nach Gold-Nugget gekommen? Meine Männer folgten mir, nachdem niemand hier mehr darauf achtete und sich alles auf deinen Befehl hin auf Iana und mich konzentrierte. Dies war dein größter Fehler überhaupt gewesen; jetzt gibt es kein Entrinnen mehr. Ihr werdet alle den verdienten Tod finden, denn meinen Männern ist noch niemals einer entwischt!«

Der Bluff tat augenblicklich seine Wirkung. Von einer Seite wurde die Schießerei eingestellt. Es war für CL nicht schwer herauszufinden, welche Seite das war: Die Schießeisenhelden, die im Dienst von Anley Illiams standen, hatten endgültig die Nase voll. Zu viele von ihnen hatten bei diesem ungleichen Kampf bereits sterben müssen, und keiner von ihnen zweifelte noch an den Worten von CL, der ihnen in den letzten Stunden oft genug bewiesen hatte, wozu er fähig war.

CL hatte genau den Nerv getroffen. Die Banditen nahmen Reißaus, solange sie ihrer Meinung nach noch konnten. Sie wollten die Ersten sein, die den ominösen Gefolgsmännern von CL jemals entronnen waren.

»Hiergeblieben!«, schrie Anley Illiams mit sich überschlagender Stimme. »Alles nur ein Bluff! Verdammt, fallt doch nicht auf dieses dumme Geschwätz herein! CL will euch doch bloß hereinlegen.«

Sie gaben trotzdem ohne weiteren Kommentar Fersengeld und ließen ihn allein zurück.

Hatte CL nicht im ehemaligen Büro schon die Wahrheit gesagt, als seine Situation völlig ausweglos erschien? Hatte er nicht den Banditen praktisch das Leben gerettet, als er sie auf die drohende Gefahr durch die Explosion aufmerksam gemacht hatte? Ihr Boss hatte sie wissentlich in den Tod gehen lassen wollen, nur um sicher zu sein, dass CL nicht mehr aus dem Büro entkam. Er hatte kein Opfer gescheut – vor allem, da nicht er das Opfer bringen musste, sondern stets seine Leute.

Jetzt erhielt er endlich die Quittung für sein so rigoros egoistisches Handeln und blieb allein.

Und Anley Illiams handelte weiter, wie man es von ihm gewohnt war: Er warf feige seine Waffe weg und trat mit erhobenen Armen auf die Straße.

»Nicht schießen, ihr Männer! CL und ich waren immer die besten Freunde! Ich konnte nicht anders handeln, glaubt mir. Jetzt, wo die Banditen weg sind, bin ich wieder frei und muss nicht mehr länger ganz in ihrem Sinne handeln. Ich muss euch dafür dankbar sein.«

Das war nun doch zu viel. Kawilas hatte nicht nur als CL, sondern zeit seines Lebens eiserne Nerven bewiesen, aber jetzt schwoll ihm mächtig die Zornesader. Er kroch aus seiner Deckung und stand auf. Wie prüfend wog er seinen Langlauf in der Rechten.

»Nein, CL, er gehört mir!«, rief jemand schrill.

Unwillkürlich wandte CL den Kopf. Aus dem Gebäudeschatten trat Iana. Sie war nicht allein: Mehrere Männer waren in ihrer Begleitung, die Kawilas-CL in der schlechten Straßenbeleuchtung nicht so recht erkennen konnte. Er wusste nicht zu sagen, ob sie dem echten CL in früheren Zeiten schon einmal begegnet waren.

Das elende Häuflein, wie der Stationscomputer sie respektlos genannt hatte? So elend konnten sie gar nicht sein, wenn sie ihm das Leben gerettet hatten!

»Das hast du in letzter Konsequenz schon selbst erledigt«, widersprach ihm der Stationscomputer prompt. Hatte Kawilas zu intensiv darüber nachgedacht? Denn ansonsten konnte der Stationscomputer seine Gedanken nicht belauschen. »Nämlich durch deinen zwar ziemlich billigen aber nichtsdestotrotz überaus erfolgreichen Bluff. Wenn der originale CL das zu sehen bekommt, wird er sehr stolz auf seinen Doppelgänger sein«, schob der Stationscomputer noch einen Gedankenimpuls nach.

Für Kawilas keineswegs beruhigend oder aufbauend. Ganz im Gegenteil: »Was willst du mir damit sagen?«

»Ich weiß nicht, was du meinst.«

»So, weißt du nicht? Da ist doch noch etwas im Busch. Ich spüre es. Noch schlimmer: Ich bin mir sicher! War nicht abgemacht, dass ich mit ihm ausgetauscht werde, sobald es möglich wird? Und dass er dann die Erinnerung daran bekommt, was ich inzwischen an seiner Stelle erledigt habe? Wie kommst du dann auf die Formulierung, er wird es ... sehen können?«

»Vorsicht, diese Szene hat höchste Einschaltquoten. Vergiss nicht, es ist eine Real-Simulation. Einige Milliarden Zuschauer auf vielen Planeten des Bundes von Dhuul-Kyphora verfolgen jedes Detail. Mach jetzt bloß keinen Fehler!«

»Den habe ich schon längst gemacht, als ich dir vertraut habe – anfangs. Hätte ich gewusst, was für einen miesen Charakter du hast, wäre ich niemals auf dich hereingefallen. Da ging es mir genauso wie dem echten CL, seinen angeblichen besten Freund betreffend...«

»Mieser Charakter, ich? Hast du vergessen, dass ich nur ein Computer bin?«

Kawilas knirschte mit den Zähnen, bis ihm bewusst wurde, dass es nicht ganz zur Situation passte – besser gesagt zu dem, was die Zuschauer von ihm erwarteten.

Ja, bloß keinen Fehler begehen, ausgerechnet jetzt, wo offensichtlich nicht nur das Schlimmste überstanden war...

Er musste jetzt doch noch darüber grinsen, dass sein letzter Bluff so gut gelungen war.

Ja, einen der Männer erkannte er jetzt: Art Inters. Art kam direkt auf ihn zu.

»Alles in Ordnung, CL?«, fragte er besorgt.

Besorgt? Wirklich besorgt?

Kawilas-CL musste unwillkürlich den Kopf schütteln. Er zögerte, aber dann wechselte er die Waffe in die Linke und reichte Art die Hand.

»Ihr seid genau pünktlich gekommen! Danke!«

Art nahm die Rechte und schüttelte sie. Er grinste ein wenig verlegen. »Nun, um ehrlich zu sein, CL, ich war schon die ganze Zeit über hier und habe mehr oder weniger alles mitgekriegt. Ich hoffe, du bis nicht sauer auf mich, dass ich nicht schon früher eingegriffen habe. Aber du weißt ja, mit dem Schießeisen konnte ich noch nie so gut umgehen. Ich wäre längst tot gewesen, bevor ich auch nur einen Hauch einer Chance gehabt hätte, dir aus der Patsche zu helfen.«

»Mach dir keine Sorgen, Art, es ist alles genauso gekommen, wie es hat sein sollen.«

Anley Illiams schaute verblüfft von einem zum anderen. »Das sind doch alles Leute von hier. Ich kenne sie alle. Und du, Art, bist ihr Boss? Also doch ein Bluff, und diese Idioten sind darauf hereingefallen und Hals über Kopf abgehauen. Sie hätten euch plattgewalzt.«

»Freut mich, dass du nicht länger das Unschuldslamm mimst, Anley«, sagte Iana gefährlich leise. Ihre Waffe drohte. »Ich bin zwar nur eine schwache Frau, der du übel mitgespielt hast, wofür du mindestens zehnmal den Tod verdient hättest, aber ich will dir trotzdem eine Chance geben. Sei einmal in deinem Leben ein Mann und kein hinterhältiges Schwein. Ich verspreche dir, dass keiner eingreift.«

»Was hast du vor, Iana?«, rief Anley Illiams alarmiert.

»Hebe deine Waffe auf!«

»Nein, verdammt, nein!«

»Soll ich dich niederschießen wie einen räudigen Hund?«

»Das willst du doch sowieso!«

»Nein, du sollst eine Chance haben! Nimm die Waffe und versuche, schneller zu sein. Wenn du es schaffst, lassen sie dich laufen.«

Sein unsteter Blick irrte in die Runde. »Das würdet ihr wirklich tun?«

Kawilas-CL nickte als Erster. Niemand wusste besser als er, wie gut Iana mit ihrem Schießeisen umgehen konnte, und er hielt ihr Vorgehen gerade deshalb durchaus für akzeptabel.

»Das geht nicht!«, warf Art ein. »Wir wollen doch die Gewaltherrschaft von Anley und seinen Gewaltverbrechern nicht mit neuem Unrecht fortsetzen. Es ist schlicht ungesetzlich.«

»Noch gilt hier nicht das Gesetz, das du meinst – solange es keinen echten Polizeichef gibt«, widersprach ihm CL. »Und wenn Iana ihm eine Chance zur Gegenwehr gibt, dann ist es auch kein Mord, meiner Meinung nach. Wir brauchen erst einen Polizeichef und dann vor allem Zellen und als Drittes ein ordentliches Gericht, das nicht aus Schergen von Anley Illiams besteht. Solange dies nicht der Fall ist, herrscht in dieser Stadt nur ein einziges Gesetz, und das ist das Gesetz des Stärkeren! So war es immer auf Kahlim-Salem und so soll es auch bleiben.«

»Was soll das jetzt?«, meldete sich der Stationscomputer. »Ist das wirklich dein Ernst, Kawilas?«

»Und ob«, gab er auf demselben Weg zurück. »Hast du mich nicht selbst daran erinnert, dass diese Szene höchste Einschaltquoten hat? Es sind jede Menge Menschen wegen dieses Typs gestorben. Die Zuschauer feiern ein Fest, wenn es ihm jetzt selbst an den Kragen geht – und ich komme absolut glaubwürdig herüber.«

»Das ist auch wieder nur ein Bluff von dir, oder? Genauso wie das mit deinen angeblichen Helfern, die gekommen sind, um dich blutig rauszuhauen.«

»Bist du nicht ein hochgezüchteter Computer, sogar dem besten Rechengehirn der Kyphorer haushoch überlegen? Wieso kommst du nicht selbst darauf?«

Kawilas konzentrierte sich wieder auf seine Rolle und versuchte dabei vergeblich, sein Grinsen zu unterdrücken.

»Jawohl!«, riefen die anderen und überstimmten Art Inters glatt.

Art zögerte. Dann steckte er seine Waffe weg und trat zurück. »Gut, überstimmt!«

»Das nenne ich Demokratie«, lobte ihn Kawilas-CL, »und damit beweist Gold-Nugget, dass die Zivilisation hier wieder allmählich Fuß fassen kann. Ich behalte nur die Waffe in der Faust, damit alles auch wirklich gerecht abläuft. Hörst du, Anley: Dein Ziel heißt Iana. Nur sie will dich jetzt umlegen, wir nicht. Wehe, wenn du noch auf einen anderen schießt. Ich werde es zu verhindern wissen.«

»Und du willst wirklich nichts tun, wenn ich Iana erschieße?« Anley Illiams konnte es immer noch nicht glauben.

»Ich bin nicht so ein Schwein wie du, Anley. Auf mein Wort kannst du dich verlassen. Außerdem seid ihr ein Ehepaar, wie ich erfahren musste, und in Ehestreitigkeiten sollten sich Außenstehende nicht einmischen, stimmt's?«

Jetzt bückte sich Anley Illiams tatsächlich nach der Waffe.

Kawilas-CL beobachtete Iana. Ihr Gesicht befand sich im Widerstreit der Gefühle. Sie durchlebte all die Schmach und die Grausamkeiten, die sie durch Anley Illiams hatte erleiden müssen. Niemandem stand es mehr zu als ihr, der Sache ein Ende zu bereiten.

Alle machten Platz. Anley Illiams nahm sein Schießeisen mit spitzen Fingern auf und steckte es in das Halfter. So lange wartete Iana, bis sie ihre eigene Waffe ebenfalls wegsteckte. Ihre Hand blieb über dem Schießeisengriff schweben.

Anley Illiams zog als Erster. Er wusste, dass es die einzige Chance war, die er noch zum Überleben hatte, und er zögerte keinen Sekundenbruchteil, auf die Frau zu schießen, mit der er sogar noch offiziell verheiratet war.

Er zog verdammt schnell, als hätte die Todesangst seinen Arm geschmeidiger gemacht. Aber sosehr er sich auch bemühte, er hatte längst nicht Ianas Übung. All die Jahre hatte er sich lieber auf seine Schießeisenschwinger verlassen, die bei ihm im Sold standen. Wahrscheinlich hätte er niemals gedacht, sogar von einer Frau – in diesem Fall sogar von seiner eigenen Frau – übertroffen werden zu können, aber als ihn die Kugel aus Ianas Waffe traf, war es zu spät für ihn, es zu begreifen.

Er fiel auf die Knie. Seine Waffe zeigte zu Boden. Ein Schuss löste sich und ließ den Dreck spritzen.

Anley Illiams kippte vornüber auf das Gesicht.

Iana blickte mitleidlos auf ihn hinab.

»Nun schaut euch den an! Ich habe nur auf seinen Arm geschossen. Ich bin ja keine Mörderin wie der. Aber den Denkzettel hat er reichlich verdient. Und jetzt ist er vor Angst bewusstlos geworden.«

Sie hob die Stimme und rief so laut, dass man es gewiss zwei Straßen weit hören konnte: »Und vor so einem Schwächling und Feigling habt ihr euch all die Jahre über geduckt?«

Im nächsten Augenblick wurde klar, dass es auch in der Stadt jede Menge heimliche Zeugen der Vorfälle gab: Sie wagten sich jetzt, wo die Gefahr für sie vorüber war, endlich aus ihrer Deckung und aus ihren Verstecken und traten zögernd auf die Straße.

Anley Illiams lag immer noch mit dem Gesicht im Dreck. Sein angeschossener Arm verlor Blut. Niemand half ihm. Er bot ein Bild des Jammers. Aber diese Demütigung war durchaus nötig, wie nicht nur Iana fand, sondern auch Kawilas-CL.

»Du hast es gewusst!«, kam der Gedankenimpuls des Stationscomputers. Wirkte das etwa ... vorwurfsvoll?

»Natürlich! Und du?«

»Ich kann die Gedanken von Iana lesen. Vergessen?«

»Ich nicht, aber das brauche ich auch gar nicht.«

»Ganz offensichtlich. Doch ich bin keineswegs beeindruckt, Kawilas, falls du das meinst. Denn es ist alles so gekommen, wie ich berechnet hatte, zwar mit einigen Unsicherheiten in dieser Rechnung, aber war ich nicht von Anfang an für deinen Einsatz gewesen? Erinnere dich!«

»Ja, das warst du«, gab Kawilas widerstrebend zu.

»Siehst du, ich habe das Sicherheitsrisiko dank dir und deinen Fähigkeiten als vertretbar angesehen. Allerdings haben sich abseits der Vorkommnisse, die du mit Bravour bestritten hast, andere Dinge ergeben...«

»Aha, jetzt rückst du endlich mit der Sprache heraus. Deshalb die seltsame Andeutung von vorhin?«

»Bitte kümmere dich erst noch um Iana, Kawilas. Du zögerst schon viel zu lange. Weitere Erklärungen folgen später.«

»Ich wünschte, ich könnte mich auf solche Versprechen von dir verlassen!«

Das war sein letzter Gedankenimpuls, bevor er sich in Bewegung setzte.

Kawilas-CL trat zu Iana hin und nahm sie einfach in die Arme. Er drückte sie fest an sich. Sie fühlte sich so hart an wie Stein. Aber allmählich löste sich ihr Krampf und Kawilas-CL spürte, dass seine Schulter nass wurde von ihren Tränen der Erleichterung.

Oder war es eher die Trauer, weil nicht der echte CL, sondern »nur« sein Doppelgänger sie in die Arme genommen hatte?

Gern hätte Kawilas ihr jetzt gesagt, dass er bald mit dem echten CL ausgetauscht werden würde, aber erstens war es ihm nicht möglich, weil Milliarden von heimlichen Zuschauern, verteilt auf ungezählten Welten des Bundes von Dhuul-Kyphora, der Szene beiwohnten, und zweitens war er gar nicht mehr so sicher, dass ein solcher Austausch überhaupt noch möglich war. Oder wie sollte er die Andeutungen durch den Stationscomputer sonst deuten?

Beruhigend streichelte er ihr über das Haar. Iana weinte, und das stand ihr sogar zu, nach allem, was sie durchgemacht hatte.

Eine Weile blieben sie so – genug Zeit für die Bürger der Stadt, die es endlich gewagt hatten, ihre Verstecke zu verlassen. Sie verhielten zunächst beobachtend im gebührenden Abstand, als könnten sie nicht glauben, dass der Terror wirklich ein Ende gefunden hatte. Und allmählich kamen sie näher. Es wurden immer mehr.

Es war das erste Mal, dass Kawilas die Stadt als belebt feststellte.

Art und seine Männer hielten sich zurück. Sie störten das Paar nicht.

Dann konnte Iana endlich wieder sprechen. Sie hob den Kopf und sah CL an. »Hättest du wirklich zugelassen, dass er mich erschießt?«

Kawilas-CL musste lachen.

Er sagte so leise, dass die Umstehenden es nicht verstehen konnten: »Was gilt schon das Wort, das man einem solchen niederträchtigen Schwein gegeben hat? Meine Waffe war jedenfalls nach wie vor schussbereit.«

Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, zog den größeren Kawilas-CL zu sich herunter und küsste seinen Mund. Ein verzehrendes Feuer nahm von ihnen Besitz und sie vergaßen darüber beinahe, dass sie nicht allein waren.

Kawilas wagte sich gar nicht vorzustellen, wie verzehrend ihr Feuer erst gewesen wäre, hätte der richtige CL sie in den Armen gehalten...

Als sie sich wieder voneinander lösten, klatschten einige der Umstehenden in gutmütigem Spott Beifall.

CL sah sich gespielt verlegen um.

Art stand neben ihm. Er hatte die Polizeimarke in der Hand, die er dem immer noch Bewusstlosen abgenommen hatte. Sie war ein wenig verbogen.

»Es wäre mir eine Ehre, sie dir zu verleihen, wenigstens so lange, bis hier die Aufräumarbeiten beendet sind, CL. Schätze, es gibt keinen Besseren, um diese Arbeiten auch wirklich zu ermöglichen. Ohne dich würde sonst ein neuer Anley Illiams nachwachsen – schneller, als es uns lieb wäre. Und dann sind wir wieder so weit wie vorher.«

»Oder willst du uns abermals im Stich lassen, CL?«, erkundigte sich Iana.

»Wenn du nicht mit mir ziehst...?«

»Keine Zeit – vorläufig. Schließlich muss der Zentral-Trinksalon neu aufgebaut werden. Und hast du nicht auch noch eine Farm? Es wird Zeit, dass du dein Erbe endlich antrittst. Kannst die Farm ja verpachten, während du Polizeichef bist.«

»Du hast keine andere Wahl!«, ermunterte ihn der Stationscomputer per Gedankenimpuls. Außer Kawilas in seiner Rolle als CL bekam das natürlich niemand mit. Und er fügte außerdem hinzu: »Es ist ja nicht für lange!«

»Das passt ganz und gar nicht zu deinen Andeutungen von vorhin!«, warf ihm Kawilas vor. »Aber gut, akzeptiert. Nicht deinetwegen!«

»Es ist schade, dass ich deine Gedanken nicht lesen kann, Kawilas, außer denen, die für mich bestimmt sind.«

»Ich halte das keineswegs für schade – und ich bin Cat, unserer Göttin, wie du sie immer nennst, auch sehr dankbar dafür, dass sie es dir verboten hat. Obwohl es an ein Wunder grenzt, dass du dich überhaupt daran hältst. – Eh, du hältst dich doch wirklich daran, nicht wahr?«

»Keine Sorge, es ist mit keinerlei Sicherheitsrisiko verbunden, wenn ich deine Gedanken nicht lese!«

»Das möchte ich dir aber auch geraten haben!«

Er musste jetzt lachen – auch als CL, passend zu der Situation: Er ergriff die Marke unter dem tosenden Applaus aller, die dabeistanden, und hielt sie sich demonstrativ vor die Brust. Ein Jawort von ihm war gar nicht mehr nötig. Er hatte mit dieser Geste ohne weiteren Kommentar die schwere Aufgabe übernommen, und keiner zweifelte daran, dass die lange – viel zu lange – Zeit des Terrors damit vorbei war. Der alte Frieden, der mit den ersten Siedlern und Gründern der Stadt gekommen war, erhielt durch ihn eine echte Chance, dauerhaft wiederzukehren.

Das zumindest dachte in diesen Augenblicken jeder, der dabeistand, nicht wissend, dass dies ganz und gar nicht im Sinne von Milliarden von sensationslüsternen und blutgeilen Zuschauern gewesen wäre.

Nur Kawilas und Iana, die zumindest teilweise über die Zusammenhänge aufgeklärt war, ahnten, dass es nur ein frommer Wunsch bleiben würde.

»Ich will hier raus!«, maulte Kawilas per Gedankenimpuls und gab sich Mühe, sich nicht anmerken zu lassen, dass er die Zuversicht, die hier herrschte, in keiner Weise teilte.

»Deine Mission ist fast beendet«, gab der Stationscomputer zurück.

»Kommt jetzt die Erklärung, die du mir versprochen hast?«

»Göttin Cat Groskowsky will persönlich in Kontakt treten mit dir!«

»Cat, was ist los?«

»Es gibt ein schlimmes Problem, das wir erst lösen müssen. Falls es uns gelingt, geht der Austausch blitzschnell, denn dann muss CL nicht die Erinnerungen übernehmen, die du inzwischen an seiner Stelle gesammelt hast.«

»Ich verstehe nicht ... War das jetzt die gute oder die schlechte Nachricht?«

»Es gibt ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen dir und dem Mann, den du spielst.«

»Aha – wieso? Der Stationscomputer...«

»Es ist diesmal nicht seine Schuld, dass er es zu spät bemerkte, aber CL ist vollgespickt mit Implantaten, die zwar deaktiviert sind, aber die man nicht entfernen kann, ohne ihn umzubringen. Er weiß selbst nichts davon – oder zumindest hat er es nicht in seiner Rolle gewusst, die er hier, auf Kahlim-Salem, zu spielen gezwungen war. Wenn du gescheitert wärst mit deiner Mission, wären wir alle am Ende, denn die Überwacher würden sofort den Braten riechen, wenn sie deine Leiche untersuchten. Aber auch so besteht eine nicht geringe Entdeckungsgefahr.«

»Was werdet ihr tun?«, fragte Kawilas alarmiert.

»Bitte gedulde dich noch. So bald wie möglich wirst du informiert.«

»Gut, dir vertraue ich. Diesem schlimmsten Exemplar eines Computers aller Zeiten jedenfalls nicht.«

»Bis dann!«

»Ja, bis dann!«

Kawilas nahm wieder Iana in die Arme. Nicht nur, weil man es von ihm erwartete, sondern um davon abzulenken, dass er sich vorübergehend nicht ganz im Griff hatte. Die Zuschauer sollten es nicht merken. Sie sollten annehmen, er sei so bewegt wegen Iana. Das war auch viel romantischer als der wahre Grund, der Kawilas beutelte, denn er war in Wirklichkeit bei weitem nicht mehr so zuversichtlich, wie er sich gegenüber Cat noch gegeben hatte.

Was war wirklich los in der geheimen Station? Was hatten sie dort vor? Wie wollten sie ihm und damit sich selbst helfen?

3

Eine Frage, die sich natürlich auch Cat Groskowsky gemeinsam mit Del Shannon und dem Stationscomputer des Göttertores stellten.

Cat hatte längst den entscheidenden Vorschlag gemacht, aber der Computer hatte noch die üblichen Sicherheitsbedenken.

»Ich kann das schon gar nicht mehr hören, das mit den Sicherheitsbedenken«, stöhnte Del Shannon, und es erging ihm nicht allein so. Aber das Sicherheitsprogramm des Computers war trotz seiner Übersteigerung sehr wichtig, denn sonst hätte die Station nicht über Jahrtausende unerkannt bleiben können, zumal auf einem Planeten wie Kahlim-Salem, dem bestüberwachten Planeten aller Zeiten, wie man ohne Übertreibung behaupten durfte.

Cats Vorschlag war im Grunde genommen ganz einfach; sie sah beim besten Willen keine andere Möglichkeit mehr: »Wir müssen den echten CL wecken!«

»Seine Reaktion darauf, aus so einer primitiven Umwelt heraus hierher in diese Station gelangt zu sein, wird unberechenbar sein. Er könnte für sich selbst zur Gefahr werden. Das dürfen wir nicht riskieren, mit Verlaub, meine Göttin.«

Das war der lapidare Einwand des Stationscomputers. Wenn sein Sicherheitsprogramm es nicht erlaubte, würde er auch auf Cat nicht hören, obwohl er sie als »seine Göttin« einstufte, was Cat nach wie vor in keiner Weise verstehen konnte.

Del Shannon, der einst einer der mächtigsten Kyphorer im gesamten Bund von Dhuul-Kyphora gewesen war, wie Cat inzwischen hatte erfahren müssen, leistete ihr unerwartet Schützenhilfe.

»Spielen wir das doch mal kurz durch«, leitete er seine Erklärung ein. »Wen wir auf eine passende Gelegenheit warten, bis der Austausch mit Kawilas erfolgen kann, gehen wir ein Risiko ein, denn der echte CL ist ein ehemaliger Elitesoldat des Bundes und hat nicht nur eine Menge Implantate in seinem Körper, sondern er wurde immer wieder zellerneuert. Das hat ihn Jahrhunderte alt werden lassen. Kawilas hingegen hat niemals eine Zellerneuerung erfahren. Er weiß gar nicht, dass es so etwas überhaupt gibt. Genauso wenig wie alle anderen in der Galaxis, außer den wenigen Betroffenen, zu denen ich einst ebenfalls gehört habe, als ehemaliger Senator. Dieses Unterscheidungsmerkmal zwischen Kawilas und dem echten CL jedoch kann durch einen dummen Zufall dazu führen, dass Kawilas´ Doppelgängerrolle auffliegt. Je eher wir also den Austausch durchführen, desto geringer das Risiko. Andererseits müssen wir auf die passende Gelegenheit warten, denn immerhin muss die Erinnerung von Kawilas, die er als Doppelgänger von CL erlangt hat, auf das Original übertragen werden. Dabei muss auch noch alles herausgefiltert werden, was die Station hier betrifft. Das braucht Zeit, die wir allerdings nicht haben werden, weil Kawilas als CL im wahrsten Sinne des Wortes im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht, und zwar lückenlos und mit jedem Atemzug.«

»Worauf willst du hinaus?«, fragte Cat, obwohl sie die Antwort längst erahnte: Del Shannon wusste mehr über die Zusammenhänge, betreffend Implantate und Zellerneuerung. Deshalb war es besser, wenn sie ihn selbst erklären ließ, ohne ihre eigenen Gedanken beizusteuern.

Er handelte ja durchaus in ihrem Sinn.

Del antwortete auch prompt: »Selbst wenn dieses Kunststück gelingt, dürfen wir nicht vergessen, dass wir nicht hundertprozentig sicher sein können, ob die Übertragung der Erinnerungen in richtiger Weise gelingt, denn das Gehirn des originalen CL dürfen wir nicht mit einem normalen Gehirn vergleichen. Nicht nur wegen der Implantate, die seit Jahren deaktiviert sind, sondern auch wegen der vorangegangenen Zellerneuerungen. Er ist ein Kyphorer, der seit Jahrhunderten lebt. Das Risiko, dass die Übertragung der Erinnerungsinhalte auf ihn wegen des Zeitdrucks, unter dem sie erfolgt, fehlerhaft erfolgt, darf nicht verkannt werden. Nicht zuletzt besteht die Gefahr, dass sich CL dadurch irgendwann an Dinge erinnert, die gefährlich für die Station werden könnten.«

»Was hast du dazu zu sagen?«, erkundigte sich Cat beim Stationscomputer.

Es war erstaunlich, dass die Antwort auf sich warten ließ. Vor allem deshalb, weil Cat wusste, wie schnell der Stationscomputer seine Wahrscheinlichkeitsrechnungen durchführen konnte.

»Del Shannon hat recht!«, gab der Computer schließlich unumwunden zu. »Wir gingen von vornherein von einer falschen Prämisse aus, weil nicht bekannt war, was für ein Kyphorer Chest Loce, genannt CL, in Wirklichkeit ist. Aber was wäre wirklich gewonnen, wenn er hier erwacht?«

»Das lass mal meine Sorge sein«, meinte Cat.

»Mit Verlaub, meine Göttin, wäre es nicht besser, wenn ich ihn beim Erwachen zu beeinflussen versuche? Ich könnte ihn konditionieren und...«

»Wie steht es denn mit dem Risiko, das ich vorhin geschildert habe?«, funkte Del Shannon dazwischen. »Zwar ist es einmal gelungen, die wahren Erinnerungen von Chest Loce zu unterdrücken, damit er diese Heldenrolle in der Simulation spielen konnte, ohne zu wissen, was wirklich mit ihm geschieht, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass ihm dies leichtgefallen ist. Und wenn er hier erwacht, wäre es vielleicht zu überlegen, ob man diese alten Erinnerungen nicht wecken sollte. Wenn er damit einverstanden ist und aktiv dabei mithilft, könnte es gelingen. Das hast du selbst schon angedeutet.«

»Gewiss, das wäre eine Möglichkeit. Ich habe durchgerechnet, ob es dadurch eine positive Tendenz geben könnte. Aber es bleibt das Risiko, dass er dann um die Station weiß, die unter allen Umständen geheim bleiben muss.«

»Haben wir denn eine andere Wahl, als ihn zu wecken und ihn selbst zu fragen, ob er sich wieder an seine wahre Identität erinnern will?«

»Ich sehe keine andere Möglichkeit mehr, die weniger riskant wäre«, gab diesmal der Computer zu.

»Worauf warten wir dann noch?«, rief Cat enthusiastisch aus. Sie klatschte unternehmungslustig in die Hände und erhob sich aus ihrem Sessel. »Fangen wir endlich an!«

4

Die flirrende Hitze über der Steinwüste, die nur unvollständig zurückblieb, als Chest Loce im einzigen Schatten Zuflucht suchte, den es weit und breit gab, nämlich unter einem bizarren Felsen, der sich aus der Ebene erhob und dabei krümmte wie der Stachel eines riesigen Tieres, bereit, jederzeit tödlich zuzustechen...

Tief im Schatten dieses Felsen, mit sich hadernd, weil er vorübergehend die Orientierung verloren und dadurch bei Tagesbeginn noch nicht die schützenden Felsformationen erreicht hatte, die jetzt in schier unerreichbarer Ferne blieben: Chest Loce. Zumindest während der Tageszeit. Sobald die Dunkelheit hereinbrach, würde er seinen Weg fortsetzen können.

Bis dahin war dieser Schatten hier besser als nichts. Ohne ihn würde ihn die Sonne nämlich unweigerlich bezwingen und sein Weg zurück nach Gold-Nugget würde vorzeitig beendet sein.

Er schloss die Augen, um zur Ruhe zu kommen.

Und als er sie wieder öffnete, war es erstaunlich kühl um ihn herum. Er erwartete den Felsen über sich, doch da war eine glatte Decke, wie aus Metall gefertigt. So etwas hatte er noch nie zuvor gesehen. Wer schuf denn eine Decke aus Metall? Und dann auch noch eine, die aussah wie neu, denn es gab nicht den Hauch von Rostbefall.

Verwirrt hob er den Kopf und schaute an sich hinab.

Er hatte sich in diesen einzigen Schatten weit und breit gekauert, aber jetzt lag er langgestreckt auf einer Art Bett, völlig nackt. Und wo war überhaupt sein Reitbär?

Er war allein!

Wie war das möglich? In der einen Sekunde duckte er sich in den Schatten unter einem Felsen, mitten in der tödlich heißen Steinwüste – und im anderen Moment lag er hier auf einem seltsamen Bett?

Die Wände um ihn herum waren zwar meterweit entfernt, erschienen ihm aber erdrückend nah – und sie waren ebenfalls aus diesem matt glänzenden Material, das auf den ersten Blick genauso aussah wie das Eisen, aus dem seine Langwaffe bestand.

Unwillkürlich fuhr seine Rechte zur Hüfte, doch da war keine Waffe mehr. Wie denn auch, wenn er splitternackt hier lag?

Alarmiert fuhr er auf.

Dieses Bett war ungewöhnlich hoch, so dass seine Beine im Leeren baumelten, wenn er sich auf den Rand setzte. Das Bettgestell war aus Eisen, genauso wie Wände, Decke und Boden. Eine Art Hütte, ganz aus Metall?

Nein, keine Hütte, denn bei einer solchen gab es zumindest Fenster und ... eine Tür! Doch sogar diese fehlte hier.

Und woher kam dann das Licht?

Als würden Wände, Decke und Fußboden aus sich heraus glänzen und dadurch diese diffuse Beleuchtung verursachen.

Lauernd hob Chest Loce den Kopf, seine Haltung war gespannt.

Wie war es gelungen, ihn in diesen Würfel einzusperren und diesen anschließend hermetisch zu versiegeln?

Er atmete tief durch.

Und woher kam die frische Luft, wenn es keinerlei Öffnung nach draußen gab?

Die Tatsache, dass man ihn quasi von einer zur anderen Sekunde hierher versetzt hatte, wunderte ihn jetzt nicht mehr. Er vermutete, dass er irgendwie das Bewusstsein verloren hatte und nur deshalb glaubte, es sei inzwischen keine Zeit vergangen.

Er betastete seinen Schädel.

Unverletzt! Niemand hatte ihn also niedergeschlagen.

Entschlossen sprang er von der Liege und drehte sich einmal um sich selbst. Nur um festzustellen, dass es tatsächlich keinerlei Öffnung gab. Er befand sich in einem hermetisch verschlossenen Metallwürfel. Perfekter gefangen als ein Tier hinter Gittern.

Mit zwei Schritten erreichte er die Wand vor sich. Er fuhr mit den Fingerkuppen darüber und fühlte bestätigt, was er angenommen hatte: Kühles, lückenloses Metall. Wie seine Langwaffe. Ein Eisen jedoch, das nicht rostete und so glatt war, wie er es noch niemals zuvor gesehen hatte. Er konnte sich jedenfalls nicht daran erinnern.

Es ist wie ein Alptraum!, dachte bestürzt. Und dennocherlebe ich es wirklich. Wie kann das sein? Wer hat mich gefangen und warum? Was hat er noch mit mir vor? Beobachten kann er mich nicht wie ein Tier im Käfig. Es sei denn, er kann durch geschlossene Metallwände schauen. Aber was sollte das denn für einen Sinn ergeben?

In diesem Moment entstand eine Öffnung, auf der anderen Seite, mehrere Schritte von ihm entfernt. Ein helles Viereck, groß genug, um jemanden eintreten zu lassen.

Dieser Jemand trat auch tatsächlich ein.

Einer seiner Feinde, die ihn gefangen hatten! Daran konnte es keinerlei Zweifel geben.

Doch was er sah, ließ ihn sich trotzdem ungläubig über die Augen reiben: Kein Mann, ihm körperlich auch nur annähernd ebenbürtig, sondern ausgerechnet eine ... Frau! Und was für eine! Sie hatte einen hauchengen Anzug an, der seltsamerweise aus einem ähnlichen Material zu bestehen schien wie der Würfel, in dem Chest Loce gefangen war. Da stand sie nun, als sei sie nackt, denn ihr Körperkonturen wurden durch den hauchengen Anzug genauestens nachgezeichnet, als hätte er die Funktion einer zweiten Haut.

Und Chest Loce sah dadurch auf Anhieb, dass sie völlig unbewaffnet war.

Noch etwas sah er: Die Öffnung schloss sich hinter ihr so schnell, dass er keine Chance hatte, sie zur Flucht zu benutzen.

Aber wenn diese Frau hindurch konnte, dann sicher auch er. Außer ihr stand ihm nichts und niemand im Weg, um zu verhindern, dass er es zumindest versuchte.

Sogleich trat er vor und griff nach der Frau, um sie einfach beiseite zu schieben. Was hätte sie dagegen tun können – gegen ihn, Chest Loce, genannt CL, den man als unbesiegbar ansah, und nicht ganz zu Unrecht!

Doch sobald seine Hände ihre Schultern berührten, verschwand sie aus seinem Blickfeld, als würde sie sich einfach in Nichts auflösen.

Es dauerte nur Sekundenbruchteile, bis CL begriff, dass sie sich keineswegs in Luft aufgelöst hatte, sondern dass sie sich extrem schnell bewegen konnte.

Sofort wirbelte er verteidigungsbereit um die eigene Achse.

Aber die Sekundenbruchteile seines Zögerns waren bereits zu lang. Noch halb in der Drehung erwischte ihn ein mörderischer Schlag an der Kinnspitze und warf ihn mit Wucht gegen die Metallwand – dorthin, wo noch vor Sekunden sich eine Tür aufgetan hatte.

Chest Loce wurde zwar von dem Schlag halbwegs betäubt, aber das beeinträchtigte ihn nicht genug, um seine Verteidigungsbereitschaft entscheidend zu schwächen – und seinen Willen zur Gegenwehr.

Aber seine Fäuste stießen ins Leere, weil die Frau nicht mehr dort war, wo sie sich soeben noch befunden hatte. Sie tauchte hinter der Liege auf, auf der er vorhin noch gelegen hatte, und lächelte.

Es war möglich, dass dieses Lächeln freundlich gemeint war, aber für Chest Loce erschien es eher so, als wolle sie sich über ihn lustig machen. Das erregte seinen Zorn, den er nur mühsam zügeln konnte.

Abwartend blieb er stehen, um erst einmal die Lage zu sondieren.

»Du hast keine Chance gegen mich, Chest Loce, glaube mir. Wo du herkommst, magst du als unbesiegbar gelten, aber nur deshalb, weil du mir noch nie zuvor begegnet bist.«

Eine Frau – und ihn besiegen? Ihn, Chest Loce, vor dem die stärksten Männer erzitterten?

Das konnte nicht sein.

Das durfte nicht sein!

Er duckte sich wie ein Raubtier kurz vor dem Sprung und schlich lauernd zur Seite, jede Nuance seines weiblichen Gegenübers in sich aufnehmend. Eine erotische Ausstrahlung konnte er nicht mehr wahrnehmen. Jetzt nicht mehr, wo ihm das Kinn höllisch schmerzte, als hätte sie es mit einem einzigen Schlag zerschmettert.

Er lächelte jetzt sogar ebenfalls. Es hatte immer gewirkt, wenn er sein prächtiges Gebiss gebleckt hatte, als hätte er den Sieg längst in der Tasche. Es gehörte zu seinem streng gehüteten Geheimnis, dass er nicht nur körperlich den meisten Gegnern überlegen war, sondern vor allem, dass er sie zunächst moralisch fertigmachte, um dadurch leichteres Spiel mit ihnen zu haben. Mit anderen Worten: Er war in erster Linie ein Meister des Bluffs, was ihm diesen Nimbus der Unbesiegbarkeit verliehen hatte.

Doch die Frau da vor ihm schien in keiner Weise beeindruckt werden zu können. Sie lächelte ihrerseits und zeigte ein prächtiges Gebiss dabei, ja, als wolle sie sich tatsächlich über ihn lustig machen!

Blitzschnell griff CL nach der Liege und stieß sie an.

Praktisch gleichzeitig duckte sich die Frau. Sie hatte diesen Angriff durchaus für ihre Verteidigungsstrategie mit einkalkuliert, wie sich dabei herausstellte ... Mehr noch: Sie hatte ihn sogar in ihre Strategie des Gegenangriffs mit einbezogen, denn sie explodierte regelrecht in der Deckung der Liege, was diese wie ein Geschoss zurückprallen ließ, gegen Chest Loce, der es nicht rechtzeitig schaffte, sich in Sicherheit zu bringen: Die Liege stieß ihm schmerzhaft gegen die Hüfte und brachte ihn beinahe zu Fall.

Sofort war die Frau neben ihm und flüsterte: »Es tut mir ehrlich leid!«, während ihn ein mörderischer Schlag im Nacken traf und ihn mit dem Gesicht gegen die Wand taumeln ließ.

Er griff nach ihr, doch fuhren seine Fäuste abermals ins Leere.

Sie tauchte auf der anderen Seite auf, ohne ihm einen weiteren Hieb zu verpassen.

»Gib auf, CL! Ich bin zwar nur eine Frau für dich, aber brauchst du noch mehr Beweise für meine Überlegenheit?«

Er knurrte nur wie ein gereiztes Tier und griff ... erneut ins Leere. Ein Tritt traf ihn im verlängerten Rückgrat und stieß ihn noch einmal gegen die Wand. Diesmal jedoch konnte er sich rechtzeitig abfangen. Er glitt an der Wand vorbei wie ein Schatten, duckte sich knapp, schnellte empor, verließ den Boden, führte eine halbe Drehung in der Luft aus, stieß am Ende der Drehung mit beiden Füßen gegen die Liege, leitete damit den nächsten Sprung ein, in die Richtung, in die nach seinen Berechnungen die Gegnerin ausweichen musste ... und schlug dann doch nur gegen die leere Wand. Die Gegnerin war nämlich wieder an völlig anderer Stelle als vermutet.

»Ich bin eine ausgebildete Kämpferin. Man nennt es auf der Welt, auf der ich geboren bin, Survival-Spezialistin. Und ich war die beste in meinem Jahrgang! Es ist gewiss nicht kühn, wenn ich behaupte, dass es innerhalb der Survival-Spezialisten nicht viele gibt, die mir das Wasser reichen oder mich sogar besiegen könnten. Und da willst du grober Klotz von einem Kerl mir die Stirn bieten? Soll ich dich denn dazu zwingen, mir die Stiefel zu küssen, ehe du zur Vernunft kommst?«

Chest Loce war noch niemals in seinem Leben hier auf Kahlim-Salem besiegt worden. Von keinem. Geschweige denn von einer Frau. Diese grenzenlose Unterlegenheit, die sich versuchte, in ihm breitzumachen, schmerzte so sehr, dass er sich keinen grausameren Schmerz vorstellen konnte.

Er betrachtete die Frau in ihrem hautengen Anzug und zog dabei den Kopf zwischen die Schultern wie ein begossener Pudel.

Ich hätte nie gedacht, dass ich ein Wesen jemals so hassen könnte wie diese verfluchte Frau!, dachte er. Könnte eine Demütigung überhaupt noch größer sein?

Ja, das könnte sie, wen er nicht endlich einsah, dass es keinen Zweck hatte, gegen sie zu kämpfen, denn offensichtlich hatte sie selbst gar nicht vor, ihn niederzuknüppeln. Sie hatte sich im Grunde genommen nur ihrer Haut gewehrt.

Seine Schultern sanken herab. Chest Loces Haltung straffte sich wieder. »Ich begreife: Du willst gar nicht mit mir kämpfen.«

»Bravo! – Aber du mit mir?«

»Nicht mehr!«, behauptete er.

Sie lachte humorlos. »Wer's glaubt ... Du wartest doch nur auf eine passende Gelegenheit, auch wenn ich dir versichere, dass es diese nicht geben wird.«

»Nein, das stimmt nicht. Ich habe eingesehen, dass du mir überlegen bist. Sonst nichts.«

»Aber?«

»Also gut: Ich hasse dich für diese Demütigung zutiefst und versichere dir, dass ich dich dafür töten werde, falls es eine Gelegenheit dazu geben sollte. Auch der beste Kämpfer hat einmal einen unaufmerksamen Augenblick.«

Sie lachte jetzt lauthals. »Das meinst du, weil es bisher auch wirklich zutraf! Aber wie gesagt: Da hast du mich noch nicht gekannt! Ich werde dir keine Gelegenheit geben, Chest Loce, und es ist besser, wenn du das einsiehst!«

»Was willst du von mir?«

»Sollte ich denn etwas wollen?«

»Sonst wärst du nicht zu mir hereingekommen, wie auch immer. Du gehörst doch zu jenen, die mich gefangen genommen haben, nicht wahr? Warum habt ihr das getan?«

»Eins nach dem anderen: Ich habe es gewagt, zu dir hereinzukommen, weil ich es mir leisten kann. Ich bin dir überlegen. Leuchtet dir das ein?«

»Sagte ich das nicht schon?«

Es war das erste Mal, seit ihrem Eintreten, dass ihm seine Nacktheit bewusst wurde. Irgendwie war ihm das jetzt auf einmal unangenehm, aber er ließ sich nichts anmerken.

»Es gab einen wichtigen Grund, dich einzufangen. Aus demselben Grund darfst du nicht mehr lange in Gefangenschaft bleiben.«

»Was soll das heißen?«

»Das soll heißen, dass wir dich wieder freilassen müssen.«

»Müssen?«

»Ja, nachdem du erfahren hast, warum du hier bist.«

»Und warum?«

Anstelle einer Antwort löste sich plötzlich die linke Wand auf. Chest Loce fuhr erschrocken herum. Seine Augen weiteten sich.

Er sah ... sich selbst. Nicht allein, sondern mit ... Teufel, war das nicht Iana? Um Jahre gealtert zwar, aber unverkennbar.

Er schaute in ihr Gesicht und schrie unwillkürlich auf: Das Gesicht zeigte Narben.

Gemeinsam schlenderten er und Iana die Straße entlang. Jede Menge Leute standen da und jubelten den beiden zu. Und noch jemanden sah Chest Loce: Art Inters.

Seine Augen suchten und fanden einen weiteren Mann, den er gut zu kennen glaubte: Anley Illiams! In einem bedauernswerten Zustand, festgehalten von mehreren Männern, gefesselt und der schreienden Menge regelrecht vorgeführt, die ihn wüst beschimpfte. Manche bespuckten ihn sogar.

Sein Blick glitt wieder zu sich selbst hinüber.

Er selbst?

Nein, das konnte er gar nicht sein, denn er stand doch nach wie vor hier, in diesem Würfel, oder?

Im nächsten Augenblick war die Szene wieder verschwunden und hatte der kahlen Wand Platz gemacht.

Die Frau vor ihm verschränkte ihre Arme unter dem eher knabenhaft wirkenden Busen und lächelte ihn an.

»Dies war eine Szene, die jetzt, im gleichen Moment, in dem ich mich mit dir unterhalte, stattfindet. Du hast deinen Doppelgänger gesehen. Wir haben dich gegen ihn ausgetauscht. Aber Iana weiß, dass er nur dein Doppelgänger ist, und will ihren richtigen Chest Loce zurück. Wäre dieser richtige Chest Loce denn auch bereit dafür?«

Er schüttelte den Kopf, wie um einen Alpdruck loszuwerden, und taumelte zu der Liege, die wie durch ein Wunder noch auf ihren Metallfüßen stand und nicht während des Kampfes zerschmettert worden war.

Chest Loce musste sich daran abstützen, um nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren.

Und ob er zu Iana wollte! Er konnte sich nichts vorstellen, was für ihn wichtiger gewesen wäre.

Gleichzeitig spürte er einen ungeheuren Groll auf diesen Doppelgänger, wie die Frau ihn nannte. Was hatte er angerichtet? Nicht nur, dass er ihm seine große Liebe ausgespannt hatte, wie es schien, sondern ... was hatte er Anley Illiams angetan, seinem besten Freund?

5

Chest Loce wusste nicht, wie lange er gebraucht hatte, um seine Gedanken wieder so weit zu ordnen, dass er sich der Frau zuwenden konnte.

»Was ist passiert? Und vor allem: Warum ist es passiert?«

»Anley Illiams ist nicht der, für den du ihn immer gehalten hast. Er ist mit Iana verheiratet. Die Narben in ihrem Gesicht stammen von ihm. Er hat dich verraten und verkauft und wollte deinen Tod. Du solltest die Stadt nicht lebend erreichen.«

»Das glaube ich dir nicht!«, schnappte Chest Loce.

»Ich kann dir alles zeigen – alles, was passiert ist, von der Sekunde des Austausches an!«

»Wie ist das möglich?«

»Es war uns leicht möglich, dich gefangen zu nehmen und dich erst hier auf der Liege erwachen zu lassen. Du hast gegen mich zu kämpfen versucht und hattest nicht die geringste Chance. Ich habe dir die Szene gezeigt, wie sie jetzt, in diesem Augenblick, stattfindet, wenn auch an einem anderen Ort als diesem hier. Glaubst du wirklich, wir hätten nicht die Möglichkeit, dich auch noch die Dinge sehen zu lassen, die sich seit deiner Bewusstlosigkeit ereignet haben?«

Das war mehr als überzeugend.

Chest Loce schwang sich auf die Liege und blieb auf dem Rand sitzen. Seine Beine baumelten herab.

»Nicht hier, Chest. Das wäre zu unbequem. Wenn du mir versprichst, keine Dummheiten zu machen, nehme ich dich mit. Ich gebe dir angemessene Kleidung, wie du sie gewohnt bist. Dann können wir beginnen.«

»Dummheiten?«

Sie lachte leise. »Du weißt, was ich damit meine!«

Er nickte grinsend. »Also gut: Tust du mir nichts, tu ich dir nichts!«

»Guter Witz, Chest. Hast du nicht schon oft genug gegen mich verloren?«

»Muss das sein, dass du mir das ständig auf die Nase bindest?«

Sie lachte abermals und deutete gegen die kahle Wand, wo Chest Loce soeben erst die Szene mit seinem Doppelgänger gesehen hatte.

»Dein Doppelgänger heißt übrigens Kawilas. Ein besiegbarer Kämpfer wie du, dir also nicht nur äußerlich ebenbürtig. Bei unserer ersten Begegnung hat er auch gemeint, mit mir kämpfen zu müssen. Ich habe ihm die erste und gleichzeitig größte Niederlage seines Lebens bereitet. Seitdem sind wir gute Freunde. Und wie steht es mit dir?«

Sie kam ihm jetzt tatsächlich entgegen und reichte ihm die Rechte. Es war keine übliche Begrüßungsgeste, wie Chest Loce als Kyphorer sie kannte, aber er verstand trotzdem sofort, was sie damit bezweckte.

Er zögerte und betrachtete sie lauernd.

Die Frau wirkte völlig entspannt, wie arglos. Wenn er jetzt...

Chest Loce verwarf den Gedanken sofort wieder. Nein, die Erfahrung hatte ihm gezeigt, dass er keine Chance hatte. Und wenn schon: Es war jetzt klar, dass sie nicht allein war, obwohl er bisher noch niemand anderen gesehen hatte. Aber sie hatte schon angedeutet, dass sie ihn nicht allein entführt hatte.

Und bei den Möglichkeiten, die seine Gegner offenbar hatten...

»Wir sind nicht deine Gegner«, flüsterte es in diesem Moment in seinem Kopf. »Wir sind deine Freunde und Verbündeten, auch wenn du das noch nicht begreifst. Es mag daran liegen, dass du nur einen Bruchteil davon weißt, was für dich wichtig wäre. Denn es gab eine Zeit vor deinem Anfang in Gold-Nugget. Du kannst dich nur nicht mehr an dieses Vorleben erinnern, weil deine eigentlichen Feinde dies alles aus deinem Kopf gelöscht haben.«

»Du solltest dich doch nicht einmischen!«, beklagte sich die Frau vor ihm.

»Es tut mir leid, meine Göttin, aber es erschien mir nötig. Ich kann seine Gedanken lesen und weiß, er ist zur Zeit völlig unberechenbar.«

»Hör auf mit deinen ständigen Sicherheitsbedenken! Damit gehst du jedem gewaltig auf die Nerven. Außerdem siehst du, was du angerichtest hast: Jetzt ist Chest Loce nur noch misstrauischer geworden. Oder was sagen dir deine Gedankenlesereien anderes?«

»Es tut mir ehrlich leid, meine Göttin«, hörte Chest Loce wieder in seinem Kopf.

Er schaute sich misstrauisch um. Verdammt, die Stimme war tatsächlich nicht über die Ohren zu ihm gedrungen. Wie war das denn möglich?

Die Frau vor ihm schüttelte missbilligend den Kopf. Dann sah sie ihn erwartungsvoll an.

Chest Loce schielte nach ihrer Hand.

Hatte dieses Ding in seinem Kopf diese Frau nicht eine Göttin genannt? Gegen eine Frau zu verlieren, das war wirklich die größte Schande, die er sich vorstellen konnte. Aber wenn er nun gegen eine ... Göttin verloren hatte?

Eine richtige Göttin?

Das würde jedenfalls all diese Unmöglichkeiten erklären, die es ansonsten noch gab.

»Mit Verlaub, meine Göttin, aber es war doch die richtige Entscheidung, mich einzumischen, denn gerade entwickeln sich seine Gedankengänge in eine positivere Richtung!«

»Ruhe jetzt!«, befahl die Frau ungeduldig, und Chest Loce ergriff endlich die dargebotene Hand. Die Frau drückte zu wie ein Mann und verzog nicht einmal das Gesicht, als er den Druck kräftig erwiderte.

Chest Loce lächelte. »Du bist eine Göttin?«

»Er nennt mich so«, wich sie aus.

»Wer ist ... er?«

»Nur ein Ding, ein ziemlich verwirrtes, wie es bisweilen scheint. Manchmal hört dieses Ding auf mich. Es sei denn, es hat Sicherheitsbedenken. Glaube mir, auch dir wird es bald auf die Nerven gehen, wenn du es dir immer wieder anhören musst.«

Er lauschte in sich hinein. Da war kein Hass mehr. Klar, wie sollte er eine Göttin hassen können? Sie hatte ihm außerdem bisher nichts getan und hatte sich sogar als freundlich erwiesen. Und was hatte er stattdessen getan? Er hatte versucht, sie zu verprügeln. Obwohl er dabei selbst verprügelt worden war: Ein ziemlich ungebührliches Verhalten jedenfalls seinerseits, genau betrachtet.

»Ich entschuldige mich in aller Form, Göttin, für mein frevelhaftes Verhalten. Ich bin ganz und gar nicht das wilde Tier, als das ich dir erscheinen muss angesichts dieses Geschehens, aber du musst verstehen ... Gerade war ich noch im Schatten eines Felsens gewesen, hatte nur kurz die Augen geschlossen – und dann...«

»Aber ja, Chest, ich habe volles Verständnis dafür. Schließlich kenne ich die Geschichte. Und übrigens, nenne mich nicht wieder Göttin, klar? Niemals wieder!«, betonte die Frau. »Ich habe nämlich einen richtigen Namen. Nenne mich Cat.«

»Seltsamer Name, nie gehört«, entfuhr es ihm.

»Dort, wo ich herkomme, bedeutet dieser Name so viel wie Katze.«

»Katze?« Unwillkürlich tasteten seine Blick über ihre aufregenden Körperkonturen. Wie treffend! Wäre sie keine Göttin gewesen, hätte er ... Er verwarf den Gedanken sofort wieder als sehr ungehörig.

Sie schien seine Gedanken peinlicherweise lesen zu können, denn sie lachte ihn aus.

»Keine Sorge, ich ahne, was in dir vorgeht, aber ich weiß es nicht. Das bleibt diesem Ding vorbehalten, das wir Computer nennen.«

»Com...« Er konnte das Wort nicht aussprechen.

»Wenn du erst einmal deine Erinnerung zurückhast – die Erinnerung an dein früheres Leben –, Chest Loce, wirst du auch das begreifen können.«

Eine andere Wand löste sich auf und gab den Blick frei auf eine Anordnung von mehreren sehr bequem aussehenden Sesseln. Nicht ganz in dem Stil, wie Chest Loce es seit Jahren gewohnt war, in den Städten, die er regelrecht heimgesucht hatte, aber durchaus für ihn akzeptabel. Jedenfalls besser als diese Liege und die kahlen Wände.

In einem der Sessel sah er einen schlanken Mann.

»Ich bin Del Shannon!«, sagte dieser und gab sich sichtlich Mühe, freundlich zu wirken, aber seine Augen verrieten ihn: Er hatte Angst!

Vor ihm, Chest Loce?

»Du kannst dich nicht erinnern, Chest Loce, aber vor Jahren hast du mir das Leben gerettet und dafür dein eigenes riskiert!«, sagte der Mann heiser.

»Ist es nicht zu früh, davon jetzt schon zu sprechen?«, tadelte Cat den Mann.