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Dieser Band enthält folgende SF-Romane: Prototyp (Alfred Bekker) In Ketten (Luc Bahl) Verlorener Planet Mars (Eric Wood) Der ertrunkene Planet (Eric Wood) Der pockennarbige, atmosphärelose Planet von Merkurgröße schimmerte braungrau im fernen Zwielicht einer Doppelsonne. Commander Rena Sunfrost blickte angespannt auf den Hauptbildschirm in der Zentrale des Leichten Kreuzers STERNENKRIEGER. Ein roter Punkt blinkte auf. Er markierte die Position einer Rakete, die mit dem Prototyp eines neuartigen Antimaterie-Sprengkopfs ausgerüstet war. Der rote Punkt näherte sich unaufhaltsam der Planetenoberfläche. »Einschlag in zehn Sekunden«, meldete Lieutenant Robert Ukasi, der Waffenoffizier. Der Countdown lief. Wenige Augenblicke später war auf der Planetenoberfläche eine aufblitzende Lichterscheinung zu sehen. Die Antimaterie des Sprengkopfes sorgte für eine so heftige Reaktion, wie sie selbst die größten bisher entwickelten atomaren Sprengsätze nicht hätten hervorrufen können. Aber die gewaltigen Energiemengen, die bei dieser Explosion frei wurden, waren erst der Anfang. Der gesamte Planet würde sich innerhalb von wenigen Minuten in einen Glutball verwandeln…
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Seitenzahl: 897
Veröffentlichungsjahr: 2025
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4 Science Fiction Abenteuer Sonderband 1040
Copyright
Die Mission
Prototyp
Mission Space Army Corps 39: In Ketten: Chronik der Sternenkrieger
Übersicht Chronik der Sternenkrieger
Verlorener Planet Mars
Der ertrunkene Planet
Dieser Band enthält folgende SF-Romane:
Prototyp (Alfred Bekker)
In Ketten (Luc Bahl)
Verlorener Planet Mars (Eric Wood)
Der ertrunkene Planet (Eric Wood)
Der pockennarbige, atmosphärelose Planet von Merkurgröße schimmerte braungrau im fernen Zwielicht einer Doppelsonne. Commander Rena Sunfrost blickte angespannt auf den Hauptbildschirm in der Zentrale des Leichten Kreuzers STERNENKRIEGER. Ein roter Punkt blinkte auf. Er markierte die Position einer Rakete, die mit dem Prototyp eines neuartigen Antimaterie-Sprengkopfs ausgerüstet war. Der rote Punkt näherte sich unaufhaltsam der Planetenoberfläche.
»Einschlag in zehn Sekunden«, meldete Lieutenant Robert Ukasi, der Waffenoffizier. Der Countdown lief.
Wenige Augenblicke später war auf der Planetenoberfläche eine aufblitzende Lichterscheinung zu sehen. Die Antimaterie des Sprengkopfes sorgte für eine so heftige Reaktion, wie sie selbst die größten bisher entwickelten atomaren Sprengsätze nicht hätten hervorrufen können.
Aber die gewaltigen Energiemengen, die bei dieser Explosion frei wurden, waren erst der Anfang. Der gesamte Planet würde sich innerhalb von wenigen Minuten in einen Glutball verwandeln…
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
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Vier Science Fiction Romanserien - ein Kosmos!
CHRONIK DER STERNENKRIEGER - die kontinuierlich fortlaufende SF-Serie über die Abenteuer des Raumschiffs Sternenkrieger. Bislang 47 Romane.
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COMMANDER REILLY - das kontinuierlich fortlaufende Prequel über die Abenteuer des Raumschiffs Sternenkrieger unter seinem ersten Kommandanten. Bislang 22 Romane.
MISSION SPACE ARMY CORPS - Romane aus dem Sternenkrieger Kosmos über die Abenteuer des Raumschiffs Sternenkrieger und anderer Schiffe des Space Army Corps der Humanen Welten in den Weiten der Galaxis. Mehr als 30 Titel in Vorbereitung.
Im Verlauf des 23.Jahrhunderts wird die Menschheit durch Angriffe aggressiver Alien-Zivilisationen bedroht. Die Raumschiffe des Space Army Corps stellen sich diesen Bedrohungen entgegen und erforschen die Weite des Alls.
Chronik der Sternenkrieger 3
von Alfred Bekker
Ein CassiopeiaPress E-Book
Die abweichende Original-Printausgabe erschien in der Romanreihe „STERNENFAUST“ unter dem Titel „Der Prototyp“
© 2005,2008,2012 by Alfred Bekker
© 2012 der Digitalausgabe 2012 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich (Westf.)
www.AlfredBekker.de
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Mitte des 23. Jahrhunderts werden die von Menschen besiedelten Planeten durch eine kriegerische Alien-Zivilisation bedroht. Nach Jahren des Krieges herrscht ein brüchiger Waffenstillstand, aber den Verantwortlichen ist bewusst, dass jeder neue Waffengang mit den Fremden das Ende der freien Menschheit bedeuten würde. Zu überlegen ist der Gegner.
In dieser Zeit bricht die STERNENKRIEGER, ein Raumkreuzer des Space Army Corps , unter einem neuen Captain zu gefährlichen Spezialmissionen in die Weite des fernen Weltraums auf...
Alfred Bekker schrieb die fesselnden Space Operas der Serie CHRONIK DER STERNENKRIEGER. Seine Romane um DAS REICH DER ELBEN, die GORIAN-Trilogie und die DRACHENERDE-SAGA machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er schrieb für junge Leser die Fantasy-Zyklen ELBENKINDER, DIE WILDEN ORKS, ZWERGENKINDER und ELVANY sowie historische Abenteuer wie DER GEHEIMNISVOLLE MÖNCH, LEONARDOS DRACHEN, TUTENCHAMUN UND DIE FALSCHE MUMIE und andere. In seinem Kriminalroman DER TEUFEL VON MÜNSTER machte er mit dem Elbenkrieger Branagorn eine Hauptfigur seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einem höchst irdischen Mordfall. Im November 2012 erschien mit DER SOHN DER HALBLINGE sein nächster großer Fantasy-Epos bei Blanvalet.
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Der pockennarbige, atmosphärelose Planet von Merkurgröße schimmerte braungrau im fernen Zwielicht einer Doppelsonne. Commander Rena Sunfrost blickte angespannt auf den Hauptbildschirm in der Zentrale des Leichten Kreuzers STERNENKRIEGER. Ein roter Punkt blinkte auf. Er markierte die Position einer Rakete, die mit dem Prototyp eines neuartigen Antimaterie-Sprengkopfs ausgerüstet war. Der rote Punkt näherte sich unaufhaltsam der Planetenoberfläche.
»Einschlag in zehn Sekunden«, meldete Lieutenant Robert Ukasi, der Waffenoffizier. Der Countdown lief.
Wenige Augenblicke später war auf der Planetenoberfläche eine aufblitzende Lichterscheinung zu sehen. Die Antimaterie des Sprengkopfes sorgte für eine so heftige Reaktion, wie sie selbst die größten bisher entwickelten atomaren Sprengsätze nicht hätten hervorrufen können.
Aber die gewaltigen Energiemengen, die bei dieser Explosion frei wurden, waren erst der Anfang. Der gesamte Planet würde sich innerhalb von wenigen Minuten in einen Glutball verwandeln…
*
»Die Fusionskettenreaktion hat jetzt bereits ein Viertel der Planetenmasse erfasst und setzt sich mit exponentieller Geschwindigkeit fort, Captain!«, meldete Raphael Wong, seines Zeichens Erster Offizier an Bord der STERNENKRIEGER, während sein Blick an den Anzeigen seiner Konsole hing und sich seine Augenbrauen leicht zusammenzogen.
»Unvorstellbar«, murmelte Rena Sunfrost, während sie dem Inferno zusah, das sich da vor ihren Augen entwickelte.
Die Feuersbrunst fraß sich regelrecht in den Planeten hinein und verschlang ihn.
»Unvorstellbar?«, echote Professor Dr. Yasuhiro von Schlichten, der Chef jenes Entwicklerteams, das für den Prototyp dieser neuartigen Waffe verantwortlich zeichnete.
»Ich würde eher sagen, dass wir hier ein Beispiel optimaler Energieeffizienz haben. Es ist genau wie bei den primitiven ersten Atomwaffen des zwanzigsten Jahrhunderts…«
Sunfrost sah ihn erstaunt an.
»Wo sehen Sie da die Analogie, Professor?«
Von Schlichten lächelte verhalten. Sein Gesicht war hager und fast haarlos. Es hatte Sunfrost von Anfang an einen Totenschädel erinnert – schon als der Wissenschaftler dem Captain der STERNENKRIEGER von Commodore Tim Bray Jackson auf Spacedock 13 vorgestellt worden war.
»Die Analogie liegt doch auf der Hand. Bei den ersten Wasserstoffbomben waren es herkömmliche auf dem Prinzip der Kernspaltung basierende Hiroshima-Bomben als Zünder, um die zur Auslösung einer Fusion notwendige Energie zu erzeugen«, dozierte von Schlichten und Sunfrost fragte sich, was es wohl war, das sie an diesem Mann von Anfang an abstoßend gefunden hatte. »In diesem Fall ist es fast genauso«, erklärte von Schlichten. »Die Antimaterie bewirkt eine so heftige thermische Reaktion, dass ein Fusionsprozess in Gang gesetzt wird, dessen Brennstoff der Planet selbst ist.«
Jetzt weiß ich, was ich an ihm nicht ausstehen kann!, überlegte Sunfrost. Es ist die Faszination für die Zerstörungskraft, die in jedem seiner Worte mitschwingt…
Immerhin war es eine neuartige und in ihrem vollen Zerstörungspotenzial noch völlig unerforschte Waffe, zu deren Test die STERNENKRIEGER zum 48,5 Lichtjahre von der Erde entfernten Doppelsternsystem Apollo aufgebrochen war. Eine Waffe, die den Berechnungen von Schlichtens und seiner Mitarbeiter nach in der Lage war, einen ganzen Planeten zu vernichten, wenn man sie richtig einsetzte.
Wie zur Bestätigung wurde der Planet in diesem Augenblick zu einer Art Mini-Sonne. Einem feurigen Glutball, dessen äußere Schichten nun von ihm wegplatzten. Der Planet verlor in einem gigantischen Outburst den Großteil seiner Materie, die jetzt in Form hunderttausender glühender Gesteinsbrocken abgestoßen wurde.
»Unseren Berechnungen nach besteht eine über achtzigprozentige Wahrscheinlichkeit, dass die bei der Explosion zurückbleibende Materie von Apollo A angezogen und absorbiert wird – und zwar in einem Zeitraum von maximal zehn Jahren«, erläuterte von Schlichten. »Aber selbst, wenn das nicht geschieht, besteht für die anderen beiden Planeten des Apollo-Systems keinerlei Gefahr.«
»Ihr Wort in Gottes Ohr«, bemerkte Rena.
Auf dem Hauptbildschirm der STERNENKRIEGER-Zentrale erschien jetzt ein Schriftzug.
SIMULATION BEENDET.
Vor vier Tagen war die STERNENKRIEGER von dem im Erdorbit befindlichen Spacedock 13 aus aufgebrochen, um im Apollo-System eine neuartige Antimaterie-Waffe zu testen, die aus den Entwicklungslabors des einst von dem berühmten Samuel Sandström gegründeten Far Galaxy-Konzerns stammte. Seit den Bahn brechenden Forschungen Sandströms, die den Überlichtflug möglich gemacht hatten, war dieser Konzern führend in der Raum- und Waffentechnik. Yasuhiro von Schlichten war gegenwärtig einer der Stars im Reigen hoch angesehener Forscher und Ingenieure, die in den Diensten des Konzerns standen.
Testobjekt sollte in diesem Fall der merkurgroße dritte Planet des Apollo-Systems sein, der nach dem am ersten Mondflug beteiligten Astronauten Michael Collins benannt worden war.
Der Planet war auf Grund seiner äußerst starken, fluktuierenden Magnetfelder und einer von ihm ausgehenden besonderen Strahlungskomponente, die in den Sandströmraum hineinwirkte, ein Ärgernis für die Raumkommunikation. Diese Strahlungskomponente verhinderte das Funktionieren des Überlichtfunks im gesamten System, sodass sowohl für die auf den Nachbarplaneten Armstrong und Aldrin stationierten Wissenschaftler und Bergleute, als auch für die Besatzung der in Anlehnung an die erste menschliche Mondmission benannte Raumstation EAGLE keine Möglichkeit der schnellen Kontaktaufnahme zur Erde oder zu anderen zum Bund der Humanen Welten gehörenden Planeten bestand.
Sie waren mehr oder minder von der Außenwelt abgeschlossen.
Das Oberkommando des Space Army Corps und die Führung des Humanen Rates erhoffte sich wohl, dass der Test des Antimateriesprengkopfs auf diese Weise noch einen nützlichen Nebeneffekt hatte. Die Zerstörung des Planeten Collins bedeutete auch das Ende der Beeinträchtigung des Sandström-Funks, von dem der Betreffende heimgesucht wurde.
Zumindest ist dies die Ansicht der Fachleute, rief sich Rena Sunfrost in Erinnerung. Und was bleibt jemandem wie mir schon anderes übrig, als ihrem Urteil zu vertrauen?
In den vier Tagen seit ihrem Start hatte sich die STERNENKRIEGER – abgesehen von der Beschleunigungsphase – im Sandström-Kontinuum befunden. Zwei Drittel der Strecke zum Apollo-System lag hinter ihr. In achtundvierzig Stunden würde das Schiff am Zielort eintreffen. Zeit, die mit Testsimulationen genutzt werden konnten.
Schließlich befand sich nur ein einziger Antimateriesprengkopf an Bord der STERNENKRIEGER. Er war in eine der Raketen integriert worden, die sich in den Silos des Leichten Kreuzers befanden. Eine ganze Woche hatte die STERNENKRIEGER deswegen in Spacedock 13 festgesessen.
Das Raketensilo hatte ebenso modifiziert werden müssen wie die Rakete selbst. Die Antimaterie musste durch ein Eindämmungsfeld gehalten und abgeschirmt werden, da sie auf keinen Fall mit Normalmaterie in Verbindung kommen durfte.
Bis zum Augenblick der Detonation.
Ich muss darauf vertrauen, dass die Spezialisten und von Schlichten das alles im Griff haben, ging es Rena durch den Kopf. Wohl war ihr allerdings nicht bei dem Gedanken, eine derart explosive Ladung an Bord zu haben.
*
Seit Kurzem hatten die Humanen Welten auf Seiten der reptiloiden Fulirr in den Krieg gegen das Reich der K'aradan eingegriffen. Allerdings bestand diese Parteinahme kaum in aktiver Beteiligung an Kampfhandlungen, sondern beschränkte sich im Wesentlichen auf technische, logistische und nachrichtendienstliche Unterstützung. Auf Grund des in jüngster Zeit eskalierenden Konflikts mit den vogelähnlichen Qriid, wäre die Menschheit auch gar nicht in der Lage gewesen, aktiver zu werden, obwohl durch das Bestreben der K'aradan, ihr altes Reich in früherer Größe wiederzuerrichten, durchaus eine zukünftige Gefahr für die Humanen Welten heraufdämmerte, die mittelfristig nicht unterschätzt werden durfte.
Aber der Humane Rat war klug genug, sich nicht auf einen Zweifrontenkrieg einzulassen.
Die verbündeten Fulirr verfügten über Antimateriewaffen, waren jedoch trotz des ansonsten mit der Menschheit gepflegten Technologie-Austauschs nicht bereit, diese waffentechnische Errungenschaft mit ihren Alliierten zu teilen.
Raphael Wong, der Erste Offizier, meldete sich zu Wort und wandte sich direkt an Professor Yasuhiro von Schlichten.
»Ist es richtig, dass mehrere Parameter, auf denen diese Simulation beruht, bislang nur das Ergebnis von Vermutungen sind, Professor?«
Von Schlichtens Gesichtsausdruck verzog sich zu einer verkrampften Maske.
»Begründete Hypothesen – nicht einfache Vermutungen«, korrigierte von Schlichten pikiert.
»Aber Sie stimmen mit mir darin überein, dass schon eine geringfügige Differenz bei einem oder mehreren dieser Parameter zu einem völlig anderen Verlauf der Simulation geführt hätte«, hakte Wong nach. »Ich habe das mit Lieutenant White ausführlich erörtert und sie bestätigt meine Ansichten dazu.«
Von Schlichten lächelte kühl.
»Es gibt natürlich mehrere Varianten für einen möglichen Verlauf unserer Mission«, gestand der Wissenschaftler ein. »Ich habe den Verlauf mit der größten Wahrscheinlichkeit für die Simulation ausgewählt.«
»Den mit der größten Wahrscheinlichkeit oder den, der Ihnen als Projektleiter am wünschenswertesten erscheint«, erwiderte Wong.
Sein Tonfall blieb dabei von einer eiskalten Sachlichkeit, die von Schlichten schlucken ließ.
Er muss noch lernen, nicht jedem zu zeigen, wie brillant er ist, dachte Rena Sunfrost. Sonst wird er sich unnötig viele Feinde machen.
»Der Humane Rat der Solaren Welten hat mir die Aufgabe übertragen, ein neuartiges Waffensystem zu entwickeln, dass in seinem Potenzial gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann«, sagte von Schlichten. »Dabei werde ich nicht davon ausgehen, dass alles schief läuft, was theoretisch schief laufen könnte.«
Wong hob die Augenbrauen und wandte sich an Rena.
»Captain, ich habe mir erlaubt, eine eigene Simulation mit geringfügig abweichenden Parametern zu erstellen. Das Ergebnis ist ein völlig anderer Verlauf.«
»Ich wusste gar nicht, dass Ihre Pflichten als Erster Offizier der STERNENKRIEGER Ihnen zu derartigen Spielereien die nötige Zeit lassen«, versetzte Yasuhiro von Schlichten.
Wong zuckte die Achseln.
»Während eines Sandström-Fluges gibt es zumeist nur Routineaufgaben, die für einen I.O. mit meiner Diensterfahrung leicht zu bewältigen sind«, erwiderte Wong trocken.
»Liegt wohl immer ganz daran, was man unter einer gewissenhaften Pflichterfüllung versteht«, versetzte von Schlichten.
»Meine Herren, nicht in diesem Ton!«, griff jetzt Rena Sunfrost ein. Die Animositäten zwischen den beiden Männern waren vom Beginn der Mission an spürbar gewesen, aber inzwischen drohten sie zu eskalieren und die Zusammenarbeit der STERNENKRIEGER-Crew mit Yasuhiro von Schlichtens Spezialistenteam empfindlich zu stören.
Rena wandte sich an Wong.
»Ich würde Ihre Simulationen gerne sehen, I.O.«, erklärte sie.
»Jawohl, Captain«, nickte Wong. Seine Finger glitten über das Terminal seiner Konsole. Auf dem Hauptbildschirm der STERNENKRIEGER-Zentrale war erneut der Einschlag der mit einem Antimaterie-Sprengkopf bestückten Rakete zu sehen.
SEETEE SHOCK 005 lautete die Codebezeichnung dieses Prototyps. Die Nummerierung gab mittelbar Auskunft darüber, wie viele – offenbar untaugliche – Vorgänger es bereits gegeben hatte. Darüber, was aus ihnen geworden war, hatte sich Professor Yasuhiro von Schlichten bislang beharrlich ausgeschwiegen.
Zunächst zeigte sich bei Wongs Simulation ein fast identisches Bild, verglichen mit dem, was die Brücken-Crew der STERNENKRIEGER bereits zu sehen bekommen hatte. Eine Fusionskettenreaktion wurde ausgelöst. Der Planet verwandelte sich in eine Minisonne. Nur lief dieser Vorgang nach Wongs Berechnungen mit einer sehr viel höheren Geschwindigkeit ab.
Es kam nicht zur explosionsartigen Abstoßung von etwa einem Viertel der planetaren Materie, sondern nur zu einer kurzen Aufblähung des gesamten, inzwischen im Fusionsbrand befindlichen Planeten.
»Gravitationswerte steigen exponentiell«, berichtete David Kronstein, der blonde Ortungs- und Kommunikationsoffizier der STERNENKRIEGER. »Das Volumen schrumpft, die Dichte nimmt zu. Sieht nach einer Implosion aus.«
»Das ist nur eine hypothetische Möglichkeit«, erklärte von Schlichten aufgebracht.
Rena Sunfrost erhob sich aus ihrem Kommandantensessel und trat neben Kronsteins Konsole.
Sie warf einen Blick auf die Anzeigen und schluckte.
»Das ist unglaublich«, murmelte sie.
Gebannt sah sie zum Hauptschirm und konnte beobachten, wie Collins förmlich in sich zusammenfiel.
Innerhalb kurzer Zeit bildete sich ein dunkler Schlund, der alles verschlang. Materie, Energie, Licht…
»Nach meinen Berechnungen könnte das Resultat eines Antimaterieangriffs auf Collins die Entstehung eines Mini Black Hole sein«, erklärte Raphael Wong. Er wandte sich an von Schlichten und fuhr fort: »Sie werden nicht ernsthaft behaupten wollen, dass Sie an diese Möglichkeit nicht zumindest auch gedacht haben, Professor. Wenn innerhalb so kurzer Zeit derart gewaltige Energien frei werden, sind solche Effekte einfach nicht auszuschließen.«
»Wir geraten in den Anziehungsbereich des Black Hole«, erklärte Kronstein.
»Kurskorrektur unmöglich. Gegenschub hat keine Wirkung mehr«, meldete John Taranos, der Ruderoffizier der STERNENKRIEGER. »Überschreitung des Ereignishorizontes in genau zehn Minuten.«
»Simulation abbrechen«, befahl Rena Sunfrost.
Sie atmete tief durch und wandte sich an von Schlichten. »Es ist nicht auszuschließen, dass Lieutenant Commander Wong mit seiner Simulation…«
»Hypothese!«, unterbrach von Schlichten ungehalten. »Eine unbewiesene Hypothese, unterlegt mit ein paar zugegebenermaßen beeindruckenden Bildern, die aber mit den wirklichen Geschehnissen aller Wahrscheinlichkeit kaum etwas zu tun haben werden.«
Yasuhiro sah Rena mit seinen eisgrauen Augen direkt an.
Er hatte etwas Falkenhaftes. Etwas, das Rena schon bei der ersten Begegnung unwillkürlich an den Kopf eines Qriid erinnert hatte, ohne dass sie letztlich sagen konnte, woran das eigentlich lag. An den Augen selbst oder der absoluten Kälte, die sie in ihnen zu erkennen glaubte. Nein, dachte sie. Die Kälte ist es nicht… Da ist noch etwas anderes. Bösartigkeit, Skrupellosigkeit… Vielleicht auch die besondere Mischung, die all das bei einem Mann wie Yasuhiro von Schlichten ergibt.
»Nennen Sie es, wie Sie wollen, Professor«, sagte Sunfrost. »Die Möglichkeit, dass bei dem Beschuss von Collins vielleicht ein kleines Schwarzes Loch entsteht, können Sie nicht von der Hand weisen.«
»Das ist richtig«, gestand von Schlichten zu. »Wir fangen erst an, die theoretischen Voraussetzungen zur Verwendung von Antimaterie in technischen Systemen zu verstehen.«
»Also werden wir dafür sorgen, dass der Sicherheitsabstand, den wir beim Beschuss von Collins einhalten, so vergrößert wird, dass wir in keinem Fall in den Sog des schwarzen Lochs geraten.«
Professor von Schlichten atmete tief durch.
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können. Aber Sie wissen so gut wie ich, dass die Kontrolle über die Rakete dann auf Grund der fluktuierenden Magnetfelder von Collins sehr schwierig werden könnte. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden, Captain.«
Rena nickte.
»Natürlich.«
»Ich habe mit unseren Technikern noch ein paar Einzelheiten zu besprechen.«
Rena sah dem kahlköpfigen Professor nach, während er die Brücke verließ.
Anschließend wandte sie sich an Wong.
»Sie haben ihm arg zugesetzt, Raphael«, stellte sie fest.
Wong zuckte die Achseln. »Ich habe einfach den Eindruck, dass Yasuhiro von Schlichten den Erfolg um jeden Preis sucht«, erklärte der Erste Offizier. »SEETEE SHOCK 005 scheint für ihn von ganz besonderer Bedeutung zu sein…«
»Wundert Sie das, Raphael? Wenn diese Mission ein Erfolg wird, kann er sicher sein, dass seine Abteilung bei Far Galaxy nahezu unbegrenzte Mittel zur Verfügung haben wird. Niemand an entscheidender Stelle – ob nun im Humanen Rat oder im Konzernvorstand – könnte es angesichts der außenpolitischen Lage, in der sich die Humanen Welten derzeit befinden, wagen, ein Veto einzulegen.«
Raphael Wong verschränkte die Arme vor der Brust und ergänzte: »Wenn Sie mich fragen, dann muss von Schlichten schon jetzt das Gehör sehr wichtiger Leute im Humanen Rat besitzen. Andernfalls ist es kaum erklärlich, dass ein derart unausgereiftes Projekt bereits in dieser Phase der Realisierung steckt.«
»Die Wahrheit ist, dass weder die K'aradan noch die Qriid darauf warten werden, wann wir unsere Waffen so weit entwickelt haben, dass wir sie erfolgreich bekämpfen können. Und wie lange die Fulirr wirklich unsere Verbündeten bleiben, ist auch nicht gesagt. Interessen können sich bekanntlich ändern.«
»Aber bringen wir es doch auf den Punkt, Captain! Wir setzen hier eine Waffe ein, deren tatsächliche Wirkungsweise niemand wirklich vorherzusagen vermag!«
Rena lächelte dünn.
»Was glauben Sie wohl, weshalb ein so abgelegener Ort wie das Apollo-System für den ersten Test ausgesucht wurde.«
In diesem Augenblick meldete sich Lieutenant Catherine White, die Chefingenieurin der STERNENKRIEGER, über Interkom.
»Captain, es gibt Probleme. Das Eindämmungsfeld, in das die Antimaterie eingebettet ist, schwankt und verliert möglicherweise seine Stabilität.«
»Ich bin gleich bei Ihnen, Lieutenant«, versprach Sunfrost. Sie wandte sich an Wong. »Lösen Sie Alarmbereitschaft aus, I.O.. Sie haben die Brücke!«
*
Als Sunfrost wenig später im Kontrollraum C des Maschinendecks eintraf, von wo aus die Raketensilos überwacht wurden, herrschte dort bereits helle Aufregung. Catherine White, die etwas mollige, mit ausgeprägten weiblichen Formen ausgestattete Schiffsingenieurin, war ebenso anwesend wie eine ganze Reihe von Technikern. Darunter sowohl Mitglieder des technischen Stabes der STERNENKRIEGER als auch Personal, das zu Professor von Schlichtens Team gehörte.
»Bericht!«, forderte Rena, als sie eintrat.
Noch ehe Catherine White antworten konnte, stürmte auch Professor von Schlichten mit angestrengt wirkendem Gesicht in den Kontrollraum.
»Wir hatten für ein paar Augenblicke den Eindruck, dass das Eindämmungsfeld sich auflöst«, erklärte White. »Es hätte zur Katastrophe kommen können.«
»In keinem der Systemtests, die wir bisher durchgeführt haben, hat es solche Schwankungen der Feldstärke gegeben«, behauptete Yasuhiro von Schlichten, während er einen der Techniker von seiner Konsole verdrängte, wie gebannt auf die Anzeigen starrte und anschließend die Finger über das Terminal gleiten ließ – und das in einer Geschwindigkeit, die man nur als außergewöhnlich bezeichnen konnte.
»Vielleicht liegt das daran, dass bis jetzt noch nie ausprobiert wurde, eine Antimateriewaffe im Sandströmflug über so viele Lichtjahre zu transportieren«, stellte Catherine White fest.
»Ich sehe da keinen Zusammenhang«, bemerkte von Schlichten schroff.
»Das Feld hat sich stabilisiert«, meldete inzwischen einer der Techniker, die mit von Schlichten auf Spacedock 13 an Bord der STERNENKRIEGER gekommen waren.
Dem Namensschild nach, das an seinem blauen Overall ohne Rangabzeichen in Brusthöhe angebracht war, war sein Name Soerenson. An der Schulter war das Emblem des Far Galaxy-Konzerns aufgenäht.
»Die Feldintegrität weist wieder Werte auf, die absolut innerhalb des Bereichs der Sicherheitsnormen liegen«, erklärte der Techniker. Er wandte sich an Catherine White. »Wie haben Sie das gemacht, Lieutenant?«
Ein triumphierendes Lächeln huschte über Whites Gesicht.
»Ich habe die Frequenzmodule der Sandströmaggregate neu eingestellt. Es scheint bei längeren Phasen im Sandströmkontinuum zu Wechselwirkungen mit dem Feldgenerator zu kommen, die sich störend auswirken.«
»Denken Sie, dass es notwendig ist, den Flug zu unterbrechen?«, fragte Rena Sunfrost.
»Ich denke, dass es nicht nötig ist, ins Normaluniversum zurückzukehren, um dieses Phänomen endgültig in den Griff zu bekommen«, erwiderte Catherine White zuversichtlich. »Ich glaube, dass ich mit ein paar Modifikationen das Feld dauerhaft stabilisieren kann.«
Rena nickte leicht.
Sie wandte sich an Yasuhiro von Schlichten. »Es scheint so, als wären die Folgen eines Antimaterie-Angriffs auf einen Planeten nicht der einzige Aspekt dieser Mission, der vor Antritt dieser Reise besser hätte durchdacht werden können.«
»Diese Mission durchzuführen war letztlich eine politische Entscheidung des Humanen Rates«, stellte von Schlichten kühl fest. »An ihn sollten Sie Ihre Kritik richten, Captain, nicht an mich. Im Übrigen sind Sie, was dieses Unternehmen angeht, ohnehin nur so etwas wie ein ausführendes Organ, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Das verstehe ich nur zu gut«, erwiderte Rena auf eine Weise, die dem Spitznamen, den man ihr insgeheim unter der Besatzung gegeben hatte alle Ehre machte.
Eisbiest.
*
»Tut mir Leid, ich komme mit diesem arroganten Kerl einfach nicht klar«, sagte Rena Sunfrost viel später, als sie sich in einem der Aufenthaltsräume der STERNENKRIEGER eine Tasse Kaffee genehmigte. Oft ließen ihre Pflichten als Captain des Leichten Kreuzers derartige Pausen nicht zu. Zumindest sobald die heiße Phase dieser Mission begann.
Aber hin und wieder musste das einfach sein.
Schließlich war sie keine Maschine, die unentwegt funktionieren konnte, ohne Rücksicht auf die Umstände.
Ihr gegenüber hatte Bruder Guillermo Platz genommen. Er war Mitglied des Olvanorer-Ordens, einer religiös fundierten Gemeinschaft, die sich der Erforschung des Weltraums und fremder Lebensformen verschrieben hatte. Das kuttenartige Ordensgewand ließ ihn wie einen Mönch der irdischen Prä-Weltraum-Ära erscheinen. Tatsächlich hatten die Olvanorer in den christlichen Mönchsorden ihre ethischen und religiösen Wurzeln, auch wenn sie weder ein Zölibat noch ein Armutsgelübde kannten.
Bruder Guillermo diente an Bord der STERNENKRIEGER als ein Berater des Captains und der Besatzung. Formal stand er außerhalb der Flottenhierarchie, faktisch wurde er behandelt wie ein Offizier, was sich selbst in der Größe seiner Kabine zeigte.
»Yasuhiro von Schlichten ist ein Mann, der ein Ziel verfolgt und dabei vielleicht manchmal vergisst, nach links und rechts zu schauen«, sagte Bruder Guillermo.
Manchmal wirkt er so unsicher wie jemand, der gerade dem Teenager-Alter entwachsen ist – und dann ist sein Urteil plötzlich so glasklar, dass man kaum glauben kann, dass er gerade erst 24 Jahre alt ist, überlegte Rena und sagte laut: »In meinen Augen ist von Schlichten jemand, der für sein Ziel über Leichen gehen würde. Und das gefällt mir nicht.«
»Vielleicht beurteilen Sie von Schlichten sehr einseitig«, entgegnete Guillermo mit der für ihn typischen entwaffnenden Offenheit.
Rena hob die Augenbrauen.
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Wussten Sie zum Beispiel, dass er ein Liebhaber von altirdischer Science-Fiction-Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts ist?«
Rena verzog ihre Lippen zu einem dünnen Lächeln. Auf welches Glatteis will er mich jetzt führen?, durchfuhr es sie.
»Ich hatte noch nicht die Gelegenheit, mich über private Dinge mit Professor von Schlichten zu unterhalten – ganz im Gegensatz zu Ihnen, wie ich feststelle.«
Guillermo lächelte offen und schüttelte den Kopf. Er nahm einen Schluck seines Syntho-Drinks und sagte dann: »Sie irren sich. Ich hatte auch noch nicht die Gelegenheit, mich auch nur eine Minute mit ihm zu unterhalten.«
»Aber…«
»Es ist die Bezeichnung des Prototyps.«
»SEETEE SHOCK?«
»Ja. Das ist der Titel eines Romans von Jack Williamson, in dem es um die Nutzbarmachung der Antimaterie geht. Sowohl zur Herstellung von Waffen als auch zur friedlichen Energiegewinnung. Antike Science Fiction des späten Prä-Weltraum-Zeitalters .«
»Könnte Zufall sein.«
»Ich glaube nicht an Zufälle, Rena. Leider ist dieser Roman in unserer bordeigenen Datenbank nicht enthalten…«
»… sonst würden Sie ihn mir zur Lektüre empfehlen, damit ich das verquere Innenleben des Professors besser verstehe?«
Guillermo zuckte die Achseln. »Das haben Sie gesagt.«
Rena trank ihren Kaffee aus.
Inzwischen hatte sie das Programm, mit dessen Hilfe die bordeigenen Getränkeautomaten gesteuert wurden, dahingehend modifiziert, dass es dieses antike, auf der Erde des dreiundzwanzigsten Jahrhunderts kaum noch konsumierte Getränk einigermaßen passabel zuzubereiten vermochte.
Ein Wirrwarr unterschiedlichster Gedanken hatte sich inzwischen in ihrem Kopf breit gemacht.
Warum hatte sie bei ihm nur immer den Eindruck, dass es nie Zufall war, wenn sie sich trafen, sondern pure Berechnung?
Renas Verstand wusste, dass diese Annahme Unsinn war.
Auf einem nur etwa hundert Meter langen Schiff wie der STERNENKRIEGER war es bei längeren Missionen so gut wie unmöglich, sich aus dem Weg zu gehen. Die Wahrscheinlichkeit, sich in den Aufenthaltsräumen zu treffen, war einfach ziemlich hoch.
Und doch hat man bei ihm das Gefühl, dass er immer genau dann auftaucht, wenn man ein Problem hat, zu dem man gerne eine unabhängige Meinung hätte, überlegte Rena.
»Sie glauben, ich kann von Schlichten nur deshalb nicht leiden, weil er mir andauernd reinredet, während ich andererseits das Gefühl habe, dass er mir einige relevante Fakten vorenthält.«
»Und so jemandem können Sie nicht vertrauen.«
Guillermos Worte waren eine Feststellung, keine Frage. Sein Blick war offen. Er musterte Rena auf eine Weise, die ihr nicht gefiel.
»Schon möglich«, murmelte sie.
»Sie werden mit ihm zusammenarbeiten und ihm vertrauen müssen, Rena. Ob Sie nun wollen oder nicht. Letzteres schon deswegen, weil er Ihnen unendlich viel Wissen über Antimaterie voraushat.«
Genau das ist der Grund, weshalb ich ihn nicht leiden kann!, durchzuckte es Rena siedend heiß. Und Guillermo hat es von Anfang an gewusst!
*
»Eintritt ins Normaluniversum«, meldete John Taranos. Auf dem Bildschirm war keinerlei Veränderung feststellbar – abgesehen von der Tatsache, dass sich die scheinbare Bewegung der Sterne, die dort zu sehen war, verlangsamte.
Die STERNENKRIEGER befand sich nun im Unterlichtflug.
Der Punkt, an dem der Leichte Kreuzer aus dem Sandströmraum austrat, war so gewählt, dass die Entfernung zum Apollo-System groß genug blieb, um die nötigen Bremsmanöver durchzuführen. Andernfalls wäre das Schiff mit viel zu hoher Geschwindigkeit auf die beiden Teilgestirne des Systems zugerast und innerhalb weniger Sekunden an ihnen vorbeigeschnellt.
Dieser Bremsvorgang würde sich über Stunden hinziehen, ehe die STERNENKRIEGER schließlich in der Lage sein würde, mit Hilfe der Ionentriebwerke zu manövrieren und die drei Planeten des Systems anzufliegen: Armstrong, Aldrin und Collins.
Letzterer war das Endziel dieser Reise.
Collins umlief den Doppelstern Apollo in einer Bahn, die so weit entfernt war, dass er für eine einzige Umkreisung beinahe tausend Erdenjahre benötigte.
Seine Entfernung zu Armstrong und Aldrin, den beiden anderen Planeten des Apollo-Systems, war derart groß, dass selbst im ungünstigsten Fall nicht davon auszugehen war, dass es bei der Zerstörung des äußersten Trabanten zu irgendwelchen negativen Auswirkungen kommen würde. Das galt selbst für den Fall, dass sich durch die Antimaterie-Explosion ein Mini Black Hole bilden würde, von dem anzunehmen war, dass es keine große Stabilität besaß und sehr schnell wieder in sich zusammenstürzen könnte. Rena hatte dieses Szenario von Wong noch einmal durchrechnen lassen.
Der Erste Offizier der STERNENKRIEGER hatte herausgefunden, dass selbst unter Annahme eines hohen Stabilitätsfaktors, Auswirkungen auf das Gesamtsystem erst in Jahren zu spüren sein würden, sodass in jedem Fall Zeit genug für Evakuierungsmaßnahmen bliebe.
Das, was im näheren Raum um Collins herum beim Einsatz von SEETEE SHOCK 005 geschehen würde, war jedoch nach Wongs weiter gehenden Berechnungen viel schwerer zu kalkulieren, als das Team des Far Galaxy-Konzerns um Yasuhiro von Schlichten dies wahrhaben wollte.
Man hätte mit der Erprobung warten sollen, bis diese Waffe wirklich ausgereift ist, ging es Rena Sunfrost nicht zum ersten Mal durch den Kopf. Dass sie selbst für diese in ihren Augen übereilte und hastig herbeigeführte Entscheidung nicht verantwortlich war, tröstete sie kein bisschen. Schließlich ging es nicht zuletzt auch um das Schiff, auf dem sie das Kommando führte, und um dessen Besatzung.
Rena blickte auf die Anzeige ihrer Konsole, auf der eine schematische Darstellung des Apollo-Systems zu sehen war.
Im Augenblick befand sich der merkurgroße und von kristallinen Strukturen übersäte Planet Collins in Relation zur STERNENKRIEGER gesehen auf der entgegengesetzten Seite des Systems.
Eine wesentlich engere Bahn um den Doppelstern zog der Gasriese Armstrong, der von allen Apollo-Planeten der STERNENKRIEGER im Moment am nächsten war.
Die Armstrong-Monde waren von kaum tausend Prospektoren der Outerspace Mining Corporation (OMC) und ihren Familienangehörigen besiedelt, die dort Rohstoffe förderten.
Außerdem umkreiste seit dreißig Jahren ein weiterer Satellit diesen Riesenplaneten: Die irdische Raumstation EAGLE, auf der etwa einhundert Wissenschaftler verschiedenster Fachgebiete ihren Dienst taten und deren Aufgabe es war, die teilweise bizarren Verhältnisse im Apollo-System zu erforschen.
Insbesondere hatte man natürlich jahrelang versucht, die genaue Wirkungsweise der Störung des Überlichtfunks zu ermitteln, die von Collins ausging.
Bisher allerdings vergeblich.
Die Bahn des dritten Apollo-Planeten verlief vollkommen exzentrisch. Im Gegensatz zu Armstrong und Collins umkreiste er lediglich Apollo A auf einer stark gedrückten und senkrecht gegen die Hauptebene des Systems gekippten elliptischen Bahn, die ihn im Verlauf von exakt 1243 Erdenjahren um die größere der beiden Apollo-Sonnen herum führte. Dabei verlief sein Weg zwangsläufig durch die Zone zwischen den beiden Sternen vom G-Typ hindurch. Aldrin hatte in etwa Erdgröße, eine auch für Menschen atembare Atmosphäre mit einem Sauerstoffgehalt von fast dreißig Prozent. Die Schwerkraft lag auf Grund der geringeren Dichte bei gerade 0,8 g. Aber die Temperatur war starken Schwankungen unterworfen. Wenn Aldrin die Zone zwischen den Sonnen passierte, heizte sich die Atmosphäre in Äquatorhöhe auf über zweihundert Grad Celsius auf. Der Planet war für mehr als ein Jahrhundert ungeheuer hohen Strahlendosen ausgesetzt, bevor er auf seiner kometenähnlichen Bahn weit hinaus in den Weltraum getrieben wurde und vor Kälte geradezu erstarrte. Minus einhundertzwanzig Grad Celsius war die Durchschnittstemperatur an der am weitesten von Apollo A entfernten Position, die Aldrin während seines mehr als ein Jahrtausend währenden Planeten Jahres einnahm.
Erstaunlicherweise existierte auf Aldrin eine intelligente Spezies, die sich selbst Neetrass nannten, und es offenbar irgendwie geschafft hatte, sich an die extremen Lebensbedingungen anzupassen.
Eine Forschungsgruppe der Olvanorer befand sich seit mehreren Jahren auf Aldrin und versuchte herauszufinden, wie es die Neetrass geschafft hatten, dass ihre Kultur die regelmäßig wiederkehrenden Zeiten sengender Hitze und mörderischer Strahlung überlebt hatten.
»Wir empfangen ein Begrüßungssignal im Unterlichtfrequenzband«, sagte Lieutenant David Kronstein, der für Ortung und Kommunikation zuständige Offizier auf der Brücke. »Es stammt von Commander George Riffkor, der die Raumstation EAGLE befehligt.«
Rena hob die Augenbrauen.
»Commander Riffkor?«, fragte sie erstaunt. »Nach meinen Informationen handelt es sich bei der EAGLE um eine Forschungsstation und nicht um eine Militärbasis.«
»Das ist richtig, Captain«, meldete sich Wong zu Wort. »Aber die Verwaltung der Station ist formal dem Space Army Corps unterstellt und wird daher von einem Flottenoffizier im Rang eines Commanders geleitet, der sich darüber hinaus aber auch mit herausragenden Arbeiten zur Radioastronomie einen Namen gemacht hat.«
Scheint so, als könnte selbst ich noch etwas über diese Organisation lernen, dachte Sunfrost.
Rena nickte knapp und wandte sich wieder Kronstein zu.
»Schalten Sie die Phase frei«, befahl sie.
»Aye, aye, Captain.«
Auf dem Hauptschirm erschien das breite, bärtige Gesicht von Commander Riffkor.
»Ich grüße Sie, Captain«, sagte Riffkor. »Ein Kampfschiff des Space Army Corps in diesem abgelegenen Winkel des Universums? Was verschafft uns die Ehre? Wie Sie wahrscheinlich wissen, leben wir hier im Apollo-System in einer Art natürlichem Überlichtfunkschatten, sodass bei uns Neuigkeiten immer etwas verspätet eintreffen.«
»Das ist mir durchaus bekannt, Commander«, erwiderte Rena, wobei sie das offene Lächeln ihres Gegenübers erwiderte.
»Ich hoffe nicht, dass die Lage so ernst ist, dass unsere Feinde sich bereits anschicken, ihre Hände oder Greifklauen oder womit sie sonst ihre Beute fest zu halten pflegen, nach diesem einsamen Plätzchen auszustrecken – dem hintersten Winkel der Humanen Welten.«
Rena schüttelte den Kopf.
Sie verstand sehr gut, dass der Besuch der STERNENKRIEGER für Commander Riffkor eine Überraschung darstellte. Schließlich war die Besatzung der Raumstation aus Sicherheitsgründen ebenso wenig über die bevorstehende Mission informiert worden wie die Prospektoren auf den Armstrong-Monden.
»Keine Sorge, Commander, das ist nicht der Grund für unser Auftauchen«, versicherte Rena dem Kommandanten. »Ich würde mit der STERNENKRIEGER gerne an Ihre Station andocken, um mit Ihnen Einzelheiten unseres Auftrags besprechen zu können.«
In Riffkors Augen blitzte es plötzlich auf.
»Klingt so, als wollten Sie über Funk nicht mehr dazu sagen.«
»Das ist vollkommen richtig, Commander.«
»Wie auch immer. Sie sind an Bord der EAGLE jedenfalls herzlich willkommen.«
»Danke, Commander. Wir werden in etwa drei Stunden bei Ihnen eintreffen.«
Das Bild Riffkors verschwand vom Bildschirm, wo jetzt neben den beiden G-Sonnen Apollo A und B auch die orangebraune Sichel des Gasriesen Armstrong zu sehen war.
»I.O., Sie haben die Brücke«, sagte Kronstein. »Lieutenant Kronstein, rufen Sie Fähnrich Riggs, damit er Sie vertreten kann. Anschließend kommen Sie bitte in meinen Raum.«
»Aye, Captain«, bestätigte Kronstein.
*
Fünf Minuten später betrat Kronstein den Raum des Captains, ein Besprechungszimmer in dem gerade Platz genug für das versammelte Offizierscorps der STERNENKRIEGER war.
Rena erwartete ihn bereits.
An der Wand war ein großformatiger Bildschirm aktiviert, auf dem eine schematische Darstellung die komplizierten Planetenbahnen des Apollo-Systems veranschaulichte.
Es war deutlich zu sehen, dass Armstrong und Aldrin gerade dem Moment ihrer größten gegenseitigen Annäherung entgegenstrebten.
»Bruder Guillermo hat mich gebeten, dass er die Gelegenheit bekommt, das Olvanorer-Forschungscamp auf Aldrin zu besuchen«, eröffnete Rena das Gespräch. »Dazu müsste ihn ein Außenteam mit Landefähre begleiten. Aber das ist kein Problem. Wenn das Team in etwa einer Stunde mit einer der L-Fähren ausgeschleust wird, kann es Aldrin in wenigen Stunden erreichen, während wir unseren Weg zur Raumstation EAGLE fortsetzen.«
»Ich verstehe«, erklärte Kronstein. »Das Einzige, was ich im Moment nicht so recht begreife, ist, weshalb Sie das mir erzählen.«
»Ich brauche jemanden, der das Außenteam kommandiert. Bruder Guillermo ist kein regulärer Space Army Corps-Offizier und kommt daher dafür nicht in Frage. Sie entbehre ich eigentlich ungern, David. Aber andererseits will ich Ihnen nicht die Möglichkeit verbauen, sich als Leiter eines Außenteams zu bewähren. Das steht Ihnen zu, wie ich meine. Davon abgesehen würde es Bruder Guillermo bevorzugen, wenn Sie ihn nach Aldrin begleiten.«
Kronstein wirkte erstaunt.
»Aus welchem Grund?«, hakte er nach.
»Bruder Guillermos Angaben zufolge stehen der Erforschung der Neetrass Kommunikationsprobleme im Vordergrund. Und dafür sind Sie doch Spezialist, oder?«
David Kronstein lächelte mild.
»Nicht für Kommunikationsprobleme, die sich aus der Schwierigkeit ergeben, dass Menschen sich in die völlig andersartige Mentalität einer fremden Spezies einfühlen müssen«, erklärte Kronstein. »Wie ich Ihnen ja nicht zu sagen brauche, ist eher die mathematisch-technische Seite mein Fall.«
»Genau darum geht es.«
»So?«
»Die Neetrass entwickelten zwar im Verlauf ihrer Geschichte bislang niemals Raumfahrt – aber sie verfügen über eine uralte und hoch entwickelte Funktechnik im Unterlichtbereich. Sie reisen wenig und daher hat der Funkverkehr für ihre Kultur eine zentrale Bedeutung. Es besteht ein regelrechtes Funknetz, von dem allerdings Teile den Olvanorern bislang trotz aller Bemühungen nicht zugänglich waren…«
»Und ich soll den frommen Kuttenträgern beim Lauschen helfen?«, fragte Kronstein etwas flapsig.
»Sagen Sie es mir, falls Sie an der Leitung des Außenteams nicht interessiert sein sollten, David. Dann werde ich Sie nicht weiter von Ihren Aufgaben abhalten.«
»Nein, so war das nicht gemeint.«
»Dann kann ich mit Ihnen rechnen?«
»Ja, natürlich.«
»Die Leitung eines Außenteams macht sich immer gut in der Personalakte, David. Sie werden sehen.«
»Ich weiß. Aber das ist nicht der Grund, weshalb ich zusage.«
»Das ist mir bewusst. Wir fliegen zunächst zur Raumstation EAGLE und anschließend ist Collins unser Ziel. Auf dem Rückweg holen wir Sie aus dem Orbit von Aldrin. Seien Sie rechtzeitig dort. Den Zeitplan unserer Mission kennen Sie ja.«
»Was ist mit dem Rest des Außenteams?«
»Sie können sich das Team nach Belieben selbst zusammenstellen.«
»Bestehen irgendwelche Einwände, wenn Dr. Nikolaidev dabei ist? Für die relativ kurze Zeit, in der wir auf Aldrin sind, könnte ihre Assistentin die Aufgaben der Schiffsärztin übernehmen und falls es zu einer ernsthaften Erkrankung an Bord kommen sollte, wäre Dr. Nikolaidev ja innerhalb von Stunden wieder verfügbar.«
»Warum ist Ihnen Nikolaidevs Anwesenheit wichtig?«
»Die Neetrass sind die einzige bekannte Spezies, die es bislang geschafft hat, Strahlendosen wie sie zwischen den beiden Apollo-Sonnen herrschen, zu überleben. Ich möchte gerne eine Expertin dabei haben, die auf diesem Gebiet vielleicht Näheres herausfinden kann.«
»Einverstanden. Sonst noch etwas?«
»Nein, das war's.«
»Wegtreten, Lieutenant.«
»Aye, Captain.«
Kronstein nahm Haltung an, drehte sich um und verließ den Raum. Rena sah ihm nachdenklich nach, auch als die Schiebetür sich längst hinter ihm geschlossen hatte. Eigenartig, dachte sie. Noch vor kurzem war ich bis über beide Ohren in diesen Mann verliebt und jetzt ist da nichts weiter als ein reibungsloses dienstliches Verhältnis und eine Freundschaft, die dem in keiner Weise zuwider läuft. Klinisch rein sozusagen.
Rena musste in diesem Augenblick unwillkürlich schmunzeln.
Was ist geschehen? War da nur die rationale Einsicht, dass es Liebesverhältnisse in einer Befehlskette einfach nicht geben darf oder hat es dich abgeschreckt, dass eine Freundin auf dem Mars auf ihn wartet? Sei ehrlich, Rena! Wenn es mehr als eine momentane Schwärmerei gewesen wäre, hätte dich das alles nicht einschüchtern können und du wärst bereit gewesen den Kampf aufzunehmen.
*
Titus Naderw, der etatmäßige Pilot der L-1, blickte angestrengt auf seine Kontrollanzeigen. Die Landefähre der STERNENKRIEGER war vor etwa einer Viertelstunde ausgeschleust worden und beschleunigte gerade. Der Leichte Kreuzer selbst setzte unterdessen seinen Weg in Richtung von Armstrong und der Raumstation EAGLE fort.
Außer Kronstein und Bruder Guillermo gehörten noch Dr. Nikolaidev, Bootsmann Tommy Osurac sowie die Marines Norbert Gento, Ray Kelleney und Paolo DiStefano zum Außenteam.
Dr. Simone Nikolaidev war Ende dreißig, schlank und zierlich.
Ihre Größe von 1,62 ließ sie in Kronsteins Augen beinahe zerbrechlich erscheinen, aber er kannte sie gut genug, um zu wissen, welche Energie in dem Rotschopf steckte.
»Ich bin froh, dass Sie mich in Ihr Außenteam genommen haben«, meinte sie an Kronstein gewandt. »Diese Neetrass zu erforschen ist mit Sicherheit interessanter als zu beobachten, wie ein Felsbrocken in die Luft gesprengt wird.«
»Das sehe ich genauso«, stimmte Kronstein zu.
Nikolaidev hielt seit dem Start der L-1 einen Handheld-Computer in ihrer Rechten. Sie hob ihn etwas an und erklärte: »Ich habe auf die Schnelle versucht, mich über diese Neetrass zu informieren. Viel war es nicht, was man aus der Datenbank unseres Bordrechners abrufen konnte.«
»Viel ist auch nicht über sie bekannt«, mischte sich nun Bruder Guillermo in das Gespräch ein.
Nikolaidev lächelte dünn. »Und das Wenige, was bisher über sie herausgefunden wurde, liegt wahrscheinlich in irgendwelchen Geheimspeichern Ihres Ordens, oder irre ich mich da?«
»Es gibt keine Geheimspeicher in unserem Orden«, korrigierte sie Bruder Guillermo auf seine sanfte, aber sehr bestimmte Art. »Wir teilen unser Wissen gerne, allerdings müssen wir immer wieder feststellen, dass sich das Interesse an Informationen über die Kulturen fremder Spezies stark in Grenzen hält. Erst wenn der Heimatplanet der betreffenden Lebensform in den Brennpunkt der interstellaren Machtpolitik gerät, ändert sich das mit schöner Regelmäßigkeit sehr abrupt.«
»Sie werden wohl damit leben müssen, dass es stärkere Kräfte gibt, als den reinen Drang nach Wissensvermehrung«, meldete sich nun Norbert Gento zu Wort. Er war derzeit Stellvertreter des Corporals im Marines-Team des Schiffs.
Damit war Gento gegenwärtig nach Sergeant Oliver Rolfson und Corporal Bat McConnarty der dritte Mann in der zwanzigköpfigen Marines-Einheit, die an Bord des Leichten Kreuzers STERNENKRIEGER ihren Dienst tat und aus hoch spezialisierten Kämpfern bestand, die mit ihren High-Tech-Kampfanzügen für Spezialeinsätze jeder Art geeignet waren.
Eine Feuerwehr, die einspringen musste, wenn sich die Sicherheitslage zuspitzte, ein Außenteam, evakuiert werden musste oder es anderweitige Probleme gab, die nicht anders als durch den Einsatz einer derartigen Truppe zu lösen waren.
Bruder Guillermo wandte sich zu Gento um.
»Wenn der Drang nach Erkenntnis die stärkste Motivation aller intelligenten Lebensformen wäre, hätten wir zweifellos ein sehr viel friedlicheres Universum«, war Guillermo überzeugt.
»Das habe ich bis zum Beginn unserer Mission auch geglaubt«, war jetzt die Stimme von Tommy Osurac zu vernehmen. Bootsmann Osurac war der älteste Unteroffizier an Bord der STERNENKRIEGER und erfüllte damit, häufig die Funktion eines Kummeronkels für die Mannschaftsdienstgrade.
Guillermo sah Osurac erstaunt an.
»Und was hat Ihre Überzeugung erschüttert?«
»Ganz einfach: Ich wurde Zeuge, wie dieser Professor von Schlichten Anweisungen an seine Techniker gab, als auf Spacedock 13 die Antimaterie-Rakete in ihr Silo gebracht wurde. Guillermo, ich sage Ihnen, da wäre es auch Ihnen eiskalt den Rücken hinuntergelaufen! Wenn das die Art von kompromisslosem Forscherdrang ist, die Sie meinen…«
»Ein hartes Urteil, das sie über von Schlichten sprechen«, stellte Guillermo fest.
Osurac zuckte die Achseln.
»Unsere Bordtechniker, die mit ihm zusammenarbeiten mussten, sagen noch ganz andere Sachen über ihn.«
*
Drei Stunden später erreichte die STERNENKRIEGER die Raumstation EAGLE. Die große orangebraun leuchtende Scheibe von Armstrong füllte nahezu den gesamten Hauptbildschirm aus. Davor hoben sich mehrere der über einhundert Monde als dunkle Schatten ab.
Die STERNENKRIEGER hatte inzwischen so weit abgebremst, dass sie problemlos an die Station EAGLE andocken konnte.
Rena Sunfrost passierte in Begleitung von Waffenoffizier Robert Ukasi und Sergeant Oliver Rolfson, dem Kommandanten der an Bord der STERNENKRIEGER stationierten Marines, die Schleuse, über die man in die Station gelangen konnte.
Wong blieb derweil an Bord und hatte das Kommando.
Eine junge Frau in der Uniform des Space Army Corps salutierte, als Sunfrost und ihre beiden Begleiter die Schleuse passiert hatten. Sie trug das dichte, blauschwarze Haar zu einem streng wirkenden Knoten gebunden.
»Ich bin Fähnrich Chang«, stellte sie sich vor. »Commander Riffkor schickt mich, um Sie zu ihm zu führen.«
»Danke, Fähnrich«, sagte Rena.
»Wenn Sie mir bitte folgen würden…«
»Natürlich.«
Sie gingen durch einen breiten, schmucklosen Korridor.
Unterwegs begegnete ihnen Personal, an dessen Uniformen sofort die Zugehörigkeit zum Space Army Corps zu erkennen war, aber auch Männer und Frauen, die neutrale Kombinationen oder Laborkittel trugen.
Wenig später empfing Commander Riffkor Rena, Ukasi und Rolfson in seinem weitläufigen Büro. Die teilweise transparenten Wände ermöglichten einen geradezu traumhaften Panoramablick auf Armstrong und ein gutes Dutzend seiner Monde. Manche wurden vom Zwielicht der Apollo-Sonnen beschienen, das sie reflektierten. Andere waren nur dunkle Flecken auf dem orangebraunen Hintergrund, den der Riesenplanet selbst lieferte.
»Ich freue mich, Sie hier auf EAGLE begrüßen zu dürfen«, sagte Riffkor. »Seien Sie nochmals willkommen. Aber es wäre nett, wenn Sie mich jetzt nicht länger auf die Folter spannen würden. Was suchen Sie hier – am Ende des bekannten Universums?«
»Einen Moment«, sagte Rena.
Sie gab Sergeant Rolfson ein Zeichen, der daraufhin ein Ortungsgerät vom Gürtel nahm, es aktivierte und in verschiedene Richtungen schwenkte.
»Keinerlei Hinweise darauf, dass uns jemand abzuhören versucht«, meldete er schließlich.
»Gut, Sergeant«, sagte Rena.
Riffkors Stirn legte sich in tiefe Falten.
»Ich würde sagen, unsere Station dürfte der letzte Punkt im Territorium der Humanen Welten sein, die irgendeine interessierte Seite verwanzen würde«, bemerkte Riffkor.
»Entschuldigen Sie unser Auftreten, das wohl nicht unbedingt dem Verhalten eines Gastes entspricht«, sagte Rena ungerührt. »Aber sobald Sie wissen, worum es geht, werden Sie Verständnis dafür haben.«
»Schießen Sie los, Commander«, forderte Riffkor die Kommandantin der STERNENKRIEGER auf.
In knappen Worten fasste Rena das Ziel ihrer Mission zusammen und erläuterte dem befehlshabenden Offizier der EAGLE-Station den Plan, Collins mit Hilfe eines Antimateriesprengkopfs zu zerstören.
Als Rena geendet hatte, hob Riffkor die Augenbrauen.
»Armstrong und Aldrin sind zurzeit derart weit von Collins entfernt, dass wohl nicht mit Auswirkungen auf uns zu rechnen ist«, meinte er.
»Das ist richtig. Und Sie sind die Störungen im Überlichtfunk los, die von Collins ausgehen.«
»Störungen, die ein einmaliges Phänomen sind«, erklärte Riffkor. »Wir haben mehrere Forschungssatelliten im Orbit um Collins. Außerdem waren immer wieder einige unserer Wissenschaftler dort, um Proben zu nehmen und dem Geheimnis der fluktuierenden Magnetfelder auf den Grund zu gehen.«
»Mit welchem Erfolg?«, hakte Rena nach.
Riffkor lachte heiser auf und schüttelte den Kopf.
»Der Erfolg war gleich Null. Es sind mehr Rätsel durch unsere Forschungen neu entstanden, als dass wir endlich Antworten auf ein paar ungelöste Fragen bekommen hätten. Wir wissen bis heute weder, was die in unseren Augen vollkommen regellosen Fluktuationen in den Magnetfeldern des Planeten auslösen, noch ist uns letztlich Näheres über die Eigenschaften der Strahlenkomponente bekannt, die für die Störungen im Hyperband verantwortlich sind. Es gibt da mehrere Faktoren, die wir in Verdacht haben, aber keiner von ihnen scheint allein für dieses Phänomen verantwortlich zu sein.«
»Ich fürchte, dieses Rätsel wird für immer ungelöst bleiben«, erwiderte Rena.
Riffkor zuckte die Achseln.
»Auf jeden Fall werden sich die Prospektoren der OMC freuen, dass sie endlich über Sandström-Funk mit dem Rest der Humanen Welten verbunden sein werden.« Riffkor ging ein paar Schritte auf eine der transparenten Wände zu. Dann drehte er sich wieder um und sagte: »Es gibt da etwas, das Sie in diesem Zusammenhang unbedingt wissen sollten, Captain Sunfrost.«
»Und das wäre?«
Riffkor atmete trief durch.
»Vor einigen Standardtagen hat unsere Fernortung die Energiesignatur eines K'aradan-Schiffs aufgezeichnet. Und zwar in einer Entfernung von gerade mal zwei Lichtjahren.«
»K'aradan – mehr als hundert Lichtjahre von den Schlachtfeldern des Fulirr-Krieges entfernt?«, meldete sich Robert Ukasi verwundert zu Wort. Der hoch gewachsene Waffenoffizier der STERNENKRIEGER verschränkte die Arme vor der Brust und fuhr fort: »Captain, das kann unmöglich ein Zufall sein.«
»Wir haben die Signatur seitdem nicht wieder gefunden«, berichtete Riffkor. »Das K'aradan-Schiff ist verschwunden. Möglicherweise befindet es sich in Überlichtflug.«
»Ich bitte Sie, uns die Daten zur Verfügung zu stellen, die Sie aufgezeichnet haben, Commander Riffkor«, sagte Rena.
»Kein Problem, Captain Sunfrost.«
»Haben Sie das Oberkommando des Space Army Corps informiert?«
»Natürlich. Aber Sie wissen ja, wie das hier ist! Wir haben nur ein paar Raumfähren ohne Sandströmaggregat in den Hangars der Station. Damit können wir uns innerhalb des Systems bewegen, aber die Störzone geht weit darüber hinaus. Wir haben ein Übereinkommen mit der Outerspace Mining Corporation, dass wir Nachrichten über deren Überlichtfrachter abstrahlen können. Das geht natürlich nur, sobald ein Frachter den Einflussbereich der Störung verlassen hat.« Riffkor blickte auf sein Chronometer. »Die Nachricht dürfte in einer Stunde die Erde erreichen. Ich brauche Ihnen ja wohl nicht zu sagen, wie lange es dauert, bis einer dieser Riesenfrachter richtig Fahrt aufgenommen hat.«
»Nein, natürlich nicht.«
»Mit anderen Worten, Captain: Was diese Sache angeht werden Sie und ich auf unser eigenes Entscheidungsvermögen angewiesen sein. Erwarten Sie nicht, dass irgendeine Nachricht des Space Army Corps-Kommandos Sie in nächster Zeit erreicht.«
»Das tue ich auch nicht, Commander.«
Commander Riffkor lächelte etwas gezwungen. »Dann ist es ja gut. Wissen Sie, wir sind zwar beide Teil einer militärischen Hierarchie und daher gewöhnt, Befehle peinlich genau auszuführen. Aber hier draußen ist das alles weitaus weniger wichtig. Der dünne Faden, an dem wir gewöhnlich hängen heißt interstellare Kommunikation…«
»…und genau die ist durch die von Collins ausgehende Strahlungskomponente so gut wie abgeschnitten«, vollendete Captain Sunfrost.
Riffkor nickte.
»Sie sagen es.«
Eine kleine Pause entstand.
Riffkor schien alles andere als ein Mann für den unterhaltsamen Smalltalk zu sein. Entweder es gab etwas zu sagen, dann sagte man es. Oder es war alles gesagt, dann gab es keinen Grund, das Gespräch in die Länge zu ziehen. Rena wusste, dass diese Haltung bei Riffkor rein gar nichts mit Unhöflichkeit oder Ressentiments zu tun hatte.
Es war schon eher möglich, dass sie mit dem Ort im Zusammenhang stand, an dem der Commander seinen Dienst verrichtete und der ihn irgendwie auch geprägt zu haben schien.
»Es gibt da noch eine Sache, in der ich Ihre Unterstützung brauche, Commander«, beendete Rena schließlich die Stille.
»Und das wäre?«
»Ich hätte gerne, dass einige der Wissenschaftler, die sich in ihren Forschungen mit Collins beschäftigt haben, unseren Flug begleiten. Es könnte sein, dass wir auf ihren Rat angewiesen sind.«
»Das wird sich machen lassen.«
»Ich danke Ihnen.«
»Keine Ursache Captain.«
*
Aldrin war als rotbraune Kugel auf dem Hauptschirm der L-1 zu sehen. Es gab einige Binnenseen, von denen der größte etwa die Ausdehnung des kaspischen Meers besaß. Über neunzig Prozent der Planetenoberfläche bestanden jedoch aus sehr trockenen Gebieten.
In der astronomischen Datenbank der STERNENKRIEGER existierten Simulationen, die besagten, dass diese Binnenmeere beim Durchzug Aldrins zwischen seinen beiden Sonnen vollkommen austrockneten.
Die Neetrass waren offenbar wahre Meister der Anpassung, denn bislang hatten sie diese, sich alle 1243 Jahre wiederholende Katastrophe überstanden.
Die Raumfähre war in ein stabiles Orbit eingeschwenkt.
Bevor die Landung eingeleitet werden konnte, musste David Kronstein zunächst mit dem Olvanorer-Camp Kontakt aufnehmen.
Bruder Leander, der Leiter des Camps auf Aldrin, war bereits von der STERNENKRIEGER aus durch Bruder Guillermo über ihr Kommen informiert worden. Leander hatte versprochen, sich bis zum Eintreffen der Landefähre um das Einverständnis der Neetrass zu einer Landung zu kümmern.
David Kronstein überwachte höchstpersönlich die Kommunikationssysteme der L-1. Es dauerte nicht lange, bis Funkkontakt zu Bruder Leanders Camp hergestellt werden konnte.
Das graubärtige Gesicht des Olvanorers erschien auf einem Nebenbildschirm.
»Lieutenant David Kronstein, Kommandant des Aldrin-Außenteams der STERNENKRIEGER«, meldete sich der Ortungs- und Kommunikationsoffizier zu Wort.
Ein flüchtiges Lächeln huschte über Bruder Leanders Gesicht. Auf Grund seiner Leibesfülle saß die graubraune Kutte recht eng.
»Wir freuen uns darauf, Sie hier bei uns willkommen heißen zu dürfen. Die genauen Positionsdaten des Camps werden Ihnen im Datenstrom dieser Audiobotschaft mitgeliefert, sodass sie eigentlich keinerlei Probleme haben dürften, uns zu finden.«
»Wir haben Ihre Daten empfangen«, bestätigte Kronstein. »Was ist mit den Neetrass?«
»Der Rat der Weisesten aller Neetrass-Nationen hat Ihrer Landung zugestimmt, nachdem die Priester ihres allwissenden Orakels offenbar nichts gegen Ihre Anwesenheit einzuwenden hatten. Ich übersende Ihnen mit einer getrennten Transmission Sprachvergleichsdaten zur Fütterung Ihrer Translatorsysteme, sodass Sie sich mit den Neetrass verständigen können.«
»In Ordnung.«
»Etwa eine halbe Stunde später wird sich der Botschafter des Rates der Weisesten aller Neetrass-Nationen persönlich in einer Videobotschaft an Sie wenden, um Sie willkommen zu heißen, Lieutenant. Das sollten Sie erst abwarten, bis Sie tatsächlich zur Landung ansetzen.«
»Kein Problem, Bruder Leander.«
Der bärtige, schwergewichtige Olvanorer nickte zufrieden.
»Wir sehen uns dann in Kürze im Camp.«
Wenig später trafen die Sprachdaten an Bord der L-1 ein und Kronstein sorgte mit ein paar Handgriffen an seiner Konsole dafür, dass sie augenblicklich in das Translatorprogramm des Bordrechners integriert wurden. Bevor das Außenteam die Fähre verließ, würden auch die Übersetzungsgeräte, die die einzelnen Teammitglieder bei sich führten, mit den neuen Daten nachgerüstet worden sein.
Dann hieß es zunächst erst einmal warten.
Die halbe Stunde, von der Bruder Leander gesprochen hatte war bereits überschritten, als ein Kom-Signal an Bord der L-1 eintraf. Es besaß eine sehr eigenwillige Codierung, aber es war für den Bordrechner der Landefähre kein Problem, es zu entschlüsseln und eine funktionierende Bildsprechverbindung herzustellen.
Kronstein schaltete die eintreffenden Bildsignale auf den Hauptschirm.
Ein etwa zwei Meter langes und gut ein Meter sechzig hohes, schildkrötenartiges Wesen mit sechs aus einem massiven Panzer herausragenden Extremitäten erschien dort. Die hinteren vier Extremitäten dienten offenbar nur der Fortbewegung, während das vordere Paar sehr viel zierlicher war und handähnliche Fortsätze besaß.
Der Kopf war im Vergleich zum Gesamtkörper überraschend klein. Er verfügte über drei Augen, von denen sich zwei kleinere seitlich am Kopf befanden, während das deutlich größere dritte Auge nach vorne ausgerichtet war. Der lippenlose Mund öffnete sich. Er war zahnlos und formte eine Reihe niederfrequenter Töne, die das Übersetzungsprogramm in das im Bereich der Humanen Welten als Verkehrssprache übliche Standard verwandelte.
»Da Sie Vertraute unserer Vertrauten sind und das Allwissende Orakel nichts gegen Sie vorzubringen hat, ist der Rat der Weisesten mit Ihrem Besuch einverstanden. Wir sind überzeugt davon, dass Sie die Heiligen Gesetze respektieren werden.«
»Gewiss«, versicherte Kronstein, in der Hoffnung, dass Bruder Leander und sein Forscherteam ihn noch genauer darüber unterrichten würden, worin die so genannten Heiligen Gesetze eigentlich bestanden. Schließlich lag es nicht in der Absicht des Außenteams, irgendwelche Tabus zu brechen und es den Olvanorern damit unnötig schwer zu machen.
Kronstein stellte sich als Kommandant der L-1 vor, benutzte ein paar diplomatische Floskeln, von denen er hoffte, dass das Übersetzungsprogramm sie der anderen Seite so freundlich zur Kenntnis bringen würden, wie sie gemeint waren.
Missverständnisse waren bei derartigen Kontaktaufnahmen natürlich niemals ganz auszuschließen.
»Möge das Orakel mit Ihnen und Ihrem fliegenden Metall sein«, äußerte der Neetrass einen Wunsch, der offenbar dem Äußersten an Gastfreundschaft und Herzlichkeit entsprach, zu dem er in diesem Stadium der Kontaktaufnahme fähig war.
»David Kronstein – ist das Ihre Individualbezeichnung? Oder handelt es sich um eine nähere Klassifizierung Ihres Ranges, die von Ihrer Übersetzungshilfe nicht korrekt an uns übermittelt wurde?«
Kronstein war erstaunt.
»Nein, es handelt sich um meinen Namen – oder meine Individualbezeichnung, wenn Sie so wollen.«
»Es ist ungewöhnlich, dem anderen die Individualbezeichnung bereits in einem so frühen Stadium der Kontaktaufnahme mitzuteilen und nicht zunächst einen Zahlencode als Erkennungszeichen zu benutzen. Ihr Verhalten beschämt mich. Ich werde Sie nach Ihrer Landung als Vertreter des Rats der Weisesten aufsuchen und ich verspreche Ihnen bei der Macht des Orakels und allen Stimmen, die aus der Tiefe des Alls zu uns flüstern, dass ich Ihnen dann auch meine Individualbezeichnung mitteilen werde.«
Damit wurde die Verbindung zunächst unterbrochen.
»Na, das klingt doch ganz so, als hätte der Kerl Sie ins Herz geschlossen, Lieutenant«, konnte sich Ray Kelleney eine Bemerkung nicht verkneifen.
Kronstein grinste.
»Wer weiß, was erst geschieht, wenn die Neetrass Sie und Ihre Männer in ihren gepanzerten Kampfanzügen sehen. Vielleicht glauben sie dann, dass unsere Spezies mit ihnen verwandt sein muss…«
*
Die L-1 tauchte in die Atmosphäre von Aldrin ein. Man hatte bereits aus großer Höhe einen fantastischen Panoramablick auf die Oberfläche, da es nur wenige Wolken gab, die kaum die Sicht behinderten.
Die Oberfläche Aldrins wirkte – abgesehen von den wenigen Zonen um die Binnenmeere herum – wie eine große Wüste. Die Ortungsanzeigen bestätigten Kronsteins Vermutung, dass die Wasservorräte Aldrins insgesamt sehr klein waren. Es gab keine ausgedehnten unterirdischen Reservoire, in denen sich Wasser gesammelt hatte. Spuren der Besiedlung durch die Neetrass waren kaum zu sehen. Nur hin und wieder ragten einzelne Gebäude empor. Die Analyseergebnisse legten den Schluss nahe, dass es sich um Funktürme und Relaisstationen handele, mit deren Hilfe die planetenweite Kommunikation funktionierte.
»Ich frage mich, warum diese Riesenschildkröten nicht irgendwann den Raumflug entwickelt haben«, meldete sich Norbert Gento zu Wort. Er schüttelte verständnislos den Kopf. »Sie hätten die dazu notwendige Technologie doch notfalls bei irgendeiner anderen raumfahrenden Spezies kaufen können.«
»Beispielsweise bei uns«, nickte Kronstein.
»Vielleicht wollen sie das gar nicht«, meinte Bruder Guillermo.
Er hob leicht die Schulter. »Für uns ist das vielleicht schwer verständlich, aber es wäre doch möglich, dass die Kultur der Neetrass einfach andere Prioritäten setzt.«
»Irgendein grundsätzliches religiöses oder kulturelles Tabu in Bezug auf die Raumfahrt scheint es bei ihnen aber nicht zu geben«, stellte Titus Naderw fest. »Andernfalls wäre wohl kaum damit zu rechnen gewesen, dass sie uns die Landung gestatten.«
Naderw lenkte die L-1 in relativ geringer Flughöhe über die zumeist kahlen Ebenen von Aldrin. Die rote Färbung des Gesteins ließ auf einen hohen Anteil von Eisenverbindungen schließen – ein Bild, das durch die Ortung bestätigt wurde.
Endlich tauchte das Camp der Olvanorer in den Anzeigen der Ortung auf.
Eine Reihe unscheinbarer Baracken mitten in der Einöde am Rande eines kleinen Gebirges.
Kronstein zoomte das Camp näher heran. Neben den Baracken waren mehrere Gleiter am Boden geparkt worden.
Außerdem ragten einige Antennen in die Höhe.
Titus Naderw landete die L-1 sanft in unmittelbarer Nähe des Camps.
Die Marines legten nur leichte Bewaffnung an, da mit einem Kampfeinsatz nicht zu rechnen war. Sie verzichteten auf ihre schweren, kraftverstärkenden, mit Servofunktionen ausgestatteten und zur Not sogar raumtauglichen Kampfanzüge und trugen nur eine Montur mit leichter Panzerung und ihre Gauss-Gewehre. Bruder Guillermo trug seine gewöhnliche Olvanorer-Kutte, einen Translator und ein Ortungsgerät. Er hatte auf jegliche Bewaffnung verzichtet. Die restlichen Mitglieder des Außenteams waren mit Nadlern zur Selbstverteidigung, Translatoren und Ortungsgeräten ausgestattet. Dr. Nikolaidev hatte außerdem noch ihre ärztliche Ausrüstung bei sich.
Nach einer letzten Kontrolle der Atmosphärendaten wurde das Außenschott geöffnet.
David Kronstein trat als Erster ins Freie. Bruder Guillermo und Corporal Gento folgten ihm. Titus Naderw und der Marine DiStefano hatten zunächst die Order, bei der Landefähre zu bleiben.
Bruder Leander trat aus einer der Baracken hervor. In Begleitung mehrerer Ordensbrüder ging er auf die Ankömmlinge zu.
»Freut mich wirklich, Sie hier begrüßen zu dürfen, Lieutenant Kronstein.«
»Danke gleichfalls.«
Kronstein stellte kurz und knapp die restlichen Mitglieder seines Teams vor und fragte anschließend: »Ihr Camp liegt ziemlich abgelegen, wie mir scheint. Ich dachte, Sie erforschen hier die Kultur der Neetrass!«
Leander lächelte überlegen.
»Sie irren sich, Lieutenant«, erklärte der Olvanorer. »Die meisten Siedlungen der Neetrass sind unterirdisch angelegt worden und mit außerordentlich gut abschirmenden Isolierschichten versehen. Darum werden Sie auf Ihren Ortungsschirmen auch nicht viele von ihnen entdeckt haben.«
»Das ist richtig«, bestätigte Kronstein. »Selbst im Infrarotbereich war kaum etwas zu erkennen, was auf irgendwelche Wohnanlagen hingewiesen hätte.«
»Wahrscheinlich sind Ihre Ortungsprogramme nicht so konfiguriert, dass sie die für Neetrass-Siedlungen entscheidenden Merkmale herausfiltern können«, vermutete Leander.
Bruder Guillermo schaltete sich nun in das Gespräch ein.
»Dann schützt sich diese Spezies also vor den Strahlungsbelastungen während der Zeit des Durchzugs zwischen den beiden Sonnen dadurch, dass sie sich in ihren Planeten eingraben«, stellte er fest.
Bruder Leander nickte.
»Das ist richtig, aber es ist nur ein Teil der Anpassungsleistung dieser Spezies.«
»Sie spielen damit auf ihre Panzerung an?«, fragte Guillermo.
Leander bestätigte dies.
»Diese Panzer enthalten einen hohen Bleianteil und sind besser als alles, was die menschliche Technik auf diesem Gebiet entwickelt hat. Die Eier der Neetrass wurden übrigens von ein paar Prospektoren der OMC für natürliche Bleiknollen gehalten und eingesammelt. Bei einigen Gruppen ist es nämlich in den Warmphasen des Planeten immer noch üblich, die Eier im Freien von den beiden Sonnen ausbrüten zu lassen, während sich in den letzten Jahren künstliche, unterirdische Bruträume mehr und mehr durchgesetzt haben. Sie können sich vorstellen, dass es daher für uns nach dem taktlosen Auftritt der Prospektoren nicht ganz einfach war, das Vertrauen der Neetrass zurückzugewinnen.«
Bruder Leander führte seine Gäste ins Innere der Hauptbaracke, die aus Fertigteilen errichtet worden war, wie sie die Olvanorer häufig für ihre Forschungscamps verwendeten.
Notfalls hielten diese provisorischen Gebäude auch starken Klimaschwankungen stand. Allerdings hatte auch das seine Grenzen.
Gegen das Inferno, das auf der Oberfläche Aldrins toben würde, wenn der Planet die Passage zwischen den beiden Apollo-Sonnen nahm, halfen wohl nur die Schutzmaßnahmen, die die Einheimischen selbst im Lauf ihrer Geschichte entwickelt hatten.
Im Inneren der Baracke saßen eine Reihe von Menschen an Konsolen und Kontrollpulten, über die offenbar Messungen durchgeführt wurden. Bruder Leander erläuterte, dass seine Mitbrüder außerdem damit beschäftigt waren, den Funkverkehr der Neetrass aufzuzeichnen und zu analysieren. »Wir tun das im Übrigen mit dem Einverständnis des Rates der Weisesten der Neetrass-Nationen«, erläuterte der Leiter des Forschungscamps. »Alles, was im Äther ist, gehört allen, so sagt ein Spruch aus dem Kasangor-Gesang, der Wichtigsten alten Überlieferung dieses Volkes, in dem auch die Schöpfungsmythen enthalten sind, an die man hier noch immer glaubt. Danach wurden die Neetrass für einen schlimmen Frevel gegen die Sonnengötter bestraft, weswegen ihre Welt aus der Bahn geriet und nun bis in alle Ewigkeit dazu verdammt ist, alle 1243 Erdjahre eine fast zweihundert jährige Zeit des Brandes zu durchleben. Die Sonnengötter selbst sprechen nicht mehr zu den Neetrass. Nur ihr Orakel bewahrt sie vor dem Schlimmsten.«
»Ein ziemlich deprimierender Mythos würde ich sagen«, meinte Bruder Guillermo. » Eine frohe Botschaft stelle ich mir jedenfalls anders vor.«
»Die Lebensumstände der Neetrass haben ihre religiösen und philosophischen Ansichten zweifellos geprägt«, erwiderte Bruder Leander. Er drehte sich zu den anderen Mitgliedern des Außenteams um und fuhr dann etwas unvermittelt fort: »Für Sie alle gibt es hier übrigens genug Übernachtungsmöglichkeiten. Ist zwar alles ein bisschen beengt, aber wie ich annehme, sind Sie durch Ihren Dienst an Bord der STERNENKRIEGER daran gewöhnt, mit wenig Platz auszukommen.«
»Kein Problem, Sir!«, meinte Norbert Gento auf seine gewohnt militärisch-zackige Weise. Er stutzte jedoch im nächsten Moment und wollte sich korrigieren. »Ich meine…«
»Nennen Sie mich einfach Bruder«, schlug der Leiter des Olvanorer-Camps auf seine freundliche, recht gelassen wirkende Art vor.
»Wie Sie meinen«, brummte Gento.
*
Was hat der Fremde nur damit beabsichtigt, mir in einem derart frühen Stadium unserer Kontaktaufnahme seinen Individualnamen verraten zu haben, ging es Ayre durch den etwa fußballgroßen, aber nichtsdestotrotz im Verhältnis zu seinem Gesamtkörper ausgesprochen kleinen Kopf. Allerdings diente dieser Kopf eigentlich auch nur dazu, die wichtigsten Sinnesorgane des Neetrass zu beherbergen, deren Funktionsweise im Inneren des von einem massiven Panzer geschützten Körpers nicht mehr möglich gewesen wäre.
Insbesondere galt dies für die Augen, das feine Gehör und das ebenso feine Sonar, dessen Signale von der Panzerwand reflektiert worden wären, hätte sich der Sitz des dazugehörigen Organs im Körperinneren befunden.
Das Gehirn hingegen befand sich an der am besten vor Strahlung geschützten Stelle des Neetrass-Körpers. Es lag beinahe im Mittelpunkt und wurde außer durch die massiven Panzerplatten auch noch durch eine fast einen halben Meter dicke Blase geschützt, die mit Wasserablagerungen gefüllt war und so auch die letzten Neutronen davon abhielt, in das Gehirn einzudringen.
Ayres Alter entsprach etwa dreißig Erdjahren.
Für einen Neetrass war er bereits recht betagt. Er spürte deutlich die beginnende Schwäche in seinen Gehextremitäten.
Außerdem wurden seine Augen schlechter und das Gehör ließ nach.
Nur sein Verstand und sein Urteilsvermögen arbeiteten besser als je zuvor, weswegen er in den Rat der Weisesten der Neetrass-Nationen gewählt und schließlich sogar zum Sprecher bestimmt worden war.
Ayre wusste, dass sich seine Lebensspanne unweigerlich dem Ende zuneigte. Aber das schreckte ihn nicht. Er teilte den Glauben der Neetrass, dass die Seelen der Toten gnädige Aufnahme bei den beiden Sonnengöttern fanden – etwas, das den Lebenden auf Grund des Urfrevels verwehrt blieb.
Bis es so weit war, würde er seine verbleibende Kraft und sein gesamtes Wissen einsetzen, um seinem Volk zu dienen.
Was wollen die Fremden mit dem Sternenschiff?, fragte sich Ayre immer wieder. Er fand keine Antwort darauf, aber er war daran gewöhnt, dass es oft keine eindeutigen und schnellen Antworten gab. Der Umgang mit dem Orakel hatte ihn das gelehrt. Der Weg bis zum Landepunkt des Sternenschiffes ist kurz. Du wirst dem Menschen, der dir seinen Namen offenbarte, bald entgegentreten müssen. Das gebietet schon die Höflichkeit.
Aber da war auch eine deutliche Portion Misstrauen in Ayres Innerem. Misstrauen, dessen Herkunft schwer zu ergründen war. Von den Kutten tragenden Forschern, die seit einiger Zeit auf der Welt der Neetrass lebten, hatte Ayre einiges über die Menschheit erfahren. Oft hatte er sich mit jenem Individuum unterhalten, dessen Individualbezeichnung Bruder Leander lautete. Aber obwohl er Bruder Leanders Individualbezeichnung durch das Abhören des Funkverkehrs kannte, und umgekehrt auch Bruder Leander mit Sicherheit der Name Ayre ein Begriff war, hatten Ayre und der Kuttenträger sich gegenseitig ihre Individualbezeichnungen niemals offiziell offenbart. Das hatte Ayre allerdings nicht davon abgehalten, mit diesem Angehörigen einer zweibeinigen und rein physisch gesehen erstaunlich schlecht geschützten Spezies, ein fast freundschaftliches Verhältnis zu pflegen. An den ehrenwerten Zielen der Kutteträger konnte für ihn kein Zweifel bestehen.
Und doch hatte er gezögert, ein so fremdartiges Wesen zur offiziellen gegenseitigen Verkündung der
Individualbezeichnung aufzufordern…
Vielleicht liegt der Grund deines Misstrauens darin, dass die Besatzung dieses Sternenschiffs sich ganz offensichtlich von den Kuttenträgern erheblich unterscheidet, überlegte Ayre. Er hatte von Bruder Leander einiges über diese Unterschiede erfahren. Unter anderem wusste er, dass die Forscher durch einen tief empfundenen Glauben untereinander verbunden waren. Sie strebten nach Wissen und Erkenntnis, aber nicht nach Macht und Einfluss. Für die anderen Zweibeiner galt dies nur eingeschränkt.
Ayre befand sich in einem niedrigen Raum, der von sparsamen, bläulichem Dämmerlicht erfüllt wurde, das von fluoreszierenden Steinen ausging. Der Raum war Teil der Siedlung Gash-Nomra, die sich fast hundert Meter unter der Oberfläche befand.
Ein schriller Piepton zeigte an, dass jemand mit Ayre in Kontakt zu treten wünschte.
Ayre schaltete eine Funkphase frei.
Auf einem der Bildschirme erschien das Gesicht eines anderen Neetrass. Ayre kannte ihn gut genug, um seine Individualbezeichnung zu kennen. Allerdings waren sie sich niemals persönlich begegnet, sondern hatten stets nur über Funk kommuniziert. Sein Gesprächspartner hieß Sanre und war ebenfalls Mitglied im Rat der Weisesten. Er lebte in einer Siedlung auf der entgegengesetzten Seite des Planeten, aber das planetare Funknetz machte über seine Vielzahl von Relaisstationen eine einwandfreie Verbindung möglich.
»Seien Sie gegrüßt, Sanre«, sagte Ayre, dessen mittleres Auge sein Gegenüber zu fixieren schien.
»Es gibt eine dringende Angelegenheit, die ich unbedingt mit Ihnen besprechen möchte, Ayre.«
»Ich nehme an, es geht um die Ankunft des Sternenschiffs und seiner Menschenbesatzung. Ich weiß, dass Sie dagegen waren, weiteren Angehörigen dieser Spezies den Aufenthalt auf unserer Welt zu gestatten, aber der Rat der Weisesten hat nun einmal mehrheitlich so entschieden und das Orakel hat ihm nicht widersprochen.«
»Nein, darum geht es nicht.«
»Worum dann?«
»Der erste Einäugige dieses Planetenumlaufs wurde aus dem Ei geschlagen!«
Ayre war perplex.
Er öffnete seinen zahnlosen Mund und erzeugte durch Vibrationen der darin enthaltenen Membranen, mit deren Hilfe die halbintelligenten, noch unzivilisierten Urahnen der heutigen Neetrass Sand auf verwertbare Biomasse hin zu filtern vermocht hatten, ein zischende Geräusch. Für einen Neetrass Ausdruck höchsten Erstaunens.
»Das ist unmöglich«, stieß Ayre hervor. »Den Aufzeichnungen unserer Ahnen nach werden die ersten Einäugigen erst geboren, wenn die Zeit des Ewigen Tages kurz bevor steht. Aber bis dahin vergehen noch mindestens drei Generationen.«
»Ich war ebenso erstaunt wie Sie, Ayre. Aber es entspricht den Tatsachen. Ich habe die Mühe auf mich genommen und meine Siedlung verlassen, um den Neugeschlüpften selbst zu untersuchen. Er hat tatsächlich nur ein Auge. Das Zeichen der Langlebigkeit.«
»Was sagt das Orakel dazu?«
»Es äußert sich unverständlich. Vielleicht ist es ein Teil des Erbfluches, mit dem uns die Sonnengötter gestraft haben. In den Augenblicken, in denen wir am dringendsten auf ihre Worte angewiesen wären, versteht das Orakel es nicht, sie klar und deutlich zu übermitteln.«
»Ich nehme eher an, dass es an der Unfähigkeit unserer Interpretation liegt«, erklärte Ayre und stieß zur Unterstreichung seiner Worte einen grollenden Laut aus, der aus der Tiefe seines zahnlosen Schlundes kam und offenbar durch Benutzung von Hohlräumen im Inneren als Resonanzkörper entstand. Auf diese Weise konnten starke Infraschalllaute erzeugt werden, deren Vibrationen in der Alten Zeit vor Erfindung des Funkverkehrs, als die Neetrass noch als sandfressende Nomaden durch die Öde gezogen waren, eine Verständigung über Hunderte von Kilometern erlaubt hatten.
Seit der Erfindung des Funks vor etwa zwanzig Planetenumläufen war die Fähigkeit der Infraschallverständigung allerdings fast gänzlich verloren gegangen und diente nur noch der Äußerung archaischer Emotionen. Ayre brauchte einige Augenblicke, um sich wieder zu fassen. Das Aus-dem-Ei-Schlagen eines Einäugigen – selbst schlüpfen konnten die Nachkommen der Neetrass auf Grund der bleihaltigen, sehr harten Außenschicht der Eier nicht – bedeutete normalerweise ein freudiges Ereignis, das alle Neetrass-Nationen feierlich begingen, ganz gleich in welcher ihrer Nationen dieser Einäugige geboren worden war.