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Dieser Band enthält folgende Krimis: Alfred Bekker: Kommissar Jörgensen und der Fall im November: Hamburg Krimi Alfred Bekker: Im Zeichen der Fliege Alfred Bekker: Münster-Wölfe Alfred Bekker: Comissaire Marquanteur und der Mord in Zürich Alfred Bekker: Central Park Killer Zwei Minuten später hörte ich plötzlich einen markerschütternden Schrei − einen Schrei, der selbst für die darin ansonsten recht geübte pickelige Tochter erstaunlich war. Sie war ins Bad gegangen und hatte dort offenbar etwas entdeckt − oder war vielleicht auch einfach nur ausgerutscht. Ich traute ihr das Letztere zu. Besonders geschickt war sie nämlich nicht. Jedenfalls beeilte ich mich, nach ihr zu sehen.
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Seitenzahl: 611
Veröffentlichungsjahr: 2025
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5 Exquisite Krimis im Sammelband Mai 2025
Copyright
Kommissar Jörgensen und der Fall im November: Hamburg Krimi
Im Zeichen der Fliege
Münster-Wölfe
Commissaire Marquanteur und der Mord in Zürich: Frankreich Krimi
Central Park Killer
Dieser Band enthält folgende Krimis:
Alfred Bekker: Kommissar Jörgensen und der Fall im November: Hamburg Krimi
Alfred Bekker: Im Zeichen der Fliege
Alfred Bekker: Münster-Wölfe
Alfred Bekker: Comissaire Marquanteur und der Mord in Zürich
Alfred Bekker: Central Park Killer
Zwei Minuten später hörte ich plötzlich einen markerschütternden Schrei − einen Schrei, der selbst für die darin ansonsten recht geübte pickelige Tochter erstaunlich war.
Sie war ins Bad gegangen und hatte dort offenbar etwas entdeckt − oder war vielleicht auch einfach nur ausgerutscht. Ich traute ihr das Letztere zu. Besonders geschickt war sie nämlich nicht.
Jedenfalls beeilte ich mich, nach ihr zu sehen.
Die Mutter schnaufte hinter mir her.
Die Tatsache, dass kein zweiter Schrei folgte, legte ich für mich so aus, dass sie sich nichts Ernstes angetan hatte.
Einen Augenblick später sah ich sie mit offenem Mund und starr vor Schreck auf die Badewanne blicken.
In der bis über den Rand gefüllten Wanne lag ein Mann, den wir alle immerhin gut genug kannten, um ihn identifizieren zu können. Es war Jürgen Lammers, und bezeichnenderweise trug er auch jetzt seinen geschmacklosen Jogging-Anzug, der den runden Bierbauch stramm umspannte.
Seine Augen waren so giftig, wie sie es immer schon gewesen waren, aber diesmal hatten sie wahrlich Grund dazu, so zu schauen.
Lammers war nämlich mausetot.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author /
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
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Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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von ALFRED BEKKER
Es war einer dieser typisch grauen und kalten Hamburger Morgen, die es einem schwer machen, das warme Bett zu verlassen. Nicht dass ich besonders erpicht darauf wäre, aufzustehen, aber heute war es besonders zäh. Die Elbbrücken waren von Nebelschwaden umhüllt, die Alster lag still, und die Möwen schrien laut in der Ferne. Ich stand an der Kante der Plattform im siebten Stock unseres Büros mit Blick über die Stadt, meinen Kaffeebecher in der Hand und Roy neben mir, wie immer spät.
"Roy, glaubst du, heute wird einer dieser ruhigen Tage?", fragte ich und nippte an meinem viel zu heißen Espresso.
"Klar, Uwe," sagte er und grinste breit, "wie jeder verdammte Tag im November." Roy Müller, mein Kollege und Partner in der Mordkommission, war ein Mensch, der selten an Emotionen sparte. Mit seinem wilden Haarschopf und der unfehlbaren guten Laune passte der Vergleich zu einem Irish Terrier ganz gut. Nur seine nachdenklichen Augen verrieten manchmal, dass dort drinnen vor sich ging.
Bevor ich antworten konnte, klingelte mein Handy. "Jörgensen," meldete ich mich.
"Jörgensen, es hat einen Mord gegeben," tönte die vertraut barsche Stimme von Kriminaldirektor Jonathan Bock durch die Leitung. Ich konnte förmlich sehen, wie er das tiefe Stirnrunzeln hatte, das immer da war, wenn es ernst wurde. "Großneumarkt. Ein Mann. Wir haben Grund zu der Annahme, dass es ein Mitglied einer islamistischen Terror-Zelle ist."
"Kommen sofort. Was wissen wir bisher?", fragte ich rasch, indem ich Roy bedeutete, dass es keine Zeit für weiteren Kaffee gab.
"Wenig. Die Spurensicherung ist vor Ort. Sieht nach einem gezielten Schuss aus. Bringen Sie Müller mit," erwiderte Bock und beendete abrupt das Gespräch.
Die Fahrt in unserem alten, grauen Audi führte uns quer durch die Stadt, vorbei am Michel, unter den Bahngleisen der S-Bahn hindurch und über die sich verjüngenden Straßen rund um die Reeperbahn. Roy saß still neben mir, untypisch ernst und gedankenverloren.
"Was glaubst du, Roy? Wollte der Kerl vielleicht aussteigen?", fragte ich schließlich, um die Stille zu brechen.
"Möglich. Keine Ahnung. Wenn jemand aus einer Terror-Zelle aussteigen will, hat er aber ’nen verdammt schweren Weg vor sich."
Als wir den Tatort am Großneumarkt erreichten, erwartete uns ein chaotisches Durcheinander. Die rot-weißen Absperrbänder flatterten im Wind, und Polizei- sowie zivile Fahrzeuge blockierten die schmalen Gassen. Ein kleiner Menschenauflauf hatte sich um die Absperrung versammelt, neugierige Gesichter mit erwartungsvollen Augen und halbgemurmelten Spekulationen.
"Kommissare, hier entlang," ein Uniformierter wies uns den Weg zu einer kleinen, versteckten Parkbucht, die zum Tatort führte. Das Pflaster war uneben und mit Laub bedeckt, das in roten und braunen Farben vor sich hin moderte. Dort lag er, ein Mann in den Vierzigern, in einem grauen Anzug, der so unauffällig war, dass er in einer Gruppe von Businessleuten aus der HafenCity nicht aufgefallen wäre. Nur das Blut, das seine Brust durchtränkte, verriet den gewaltsamen Tod.
"Überzeug’ mich, dass das kein Selbstmord ist", murmelte Roy und kniete sich neben die Leiche.
"Nicht mit dieser Wunde," sagte ich, "gezielter Schuss. Professionell."
Ich schaute mich um und konnte mir das Szenario bildhaft vorstellen. Ein Schuss aus der Dunkelheit, schneller als ein Gedanke. Ein Abgang ohne großes Aufsehen, eine perfide Präzision.
"Einen Schritt zur Seite, bitte, Herr Kommissar," rief eine Stimme hinter mir, und ich drehte mich um. Der Gerichtsmediziner beugte sich über die Leiche und begann, die ersten Untersuchungen durchzuführen.
Meine Augen suchten den Boden nach Spuren ab, während Roy sich bei den Uniformierten nach ersten Befragungen umsah. "Keine Zeugen. Der Platz war leer um diese Uhrzeit," informierte uns einer der Kollegen.
"Ein abgeschottetes Leben," murmelte ich, mehr zu mir selbst als zu irgendjemand anderem. Wenn dieser Mann, dieser verdammte Terrorist, wirklich aussteigen wollte, dann hätte er den sichersten Platz gewählt, den er sich vorstellen konnte. Und trotzdem fand ihn das Ende.
Wir würden Antworten finden müssen. In seinem Leben, in seinen Kontakten, und vielleicht, wenn wir Glück hatten, sogar in seinen Mördern. Willkommen in Hamburg, der Stadt, die nie schläft und doch zu oft die Augen vor der Wahrheit verschließt.
Das Licht der untergehenden Sonne spiegelte sich golden in der Elbe, als Roy und ich ins Büro zurückkehrten. Wir hatten die Beweise aus Yagmurs Wohnung in unser Labor gebracht und warteten nun gespannt auf erste Ergebnisse. Die Bildschirme summten leise, während ich mich in meinen Stuhl sinken ließ und über die neue Wendung nachdachte: Ein Profikiller in Hamburg, der eine so umstrittene Figur wie Yagmur ausschaltet. Wer war dieser Schütze? Und wer hatte ihn beauftragt?
Es war kurz vor Feierabend, doch wir wussten beide, dass dieser Tag noch lange nicht vorbei war. Der Gerichtsmediziner hatte seine vorläufigen Ergebnisse geschickt, die genau das bestätigten, was wir vermutet hatten: Einzelner Schuss, ausgeführt mit unerschütterlicher Präzision. Die Ballistik hatte in den Dateien angegeben, dass das Projektil aus einer seltenen russischen Pistole stammte – etwas, das nicht auf dem normalen Schwarzmarkt zu finden war.
"Uwe, sieh dir das an," rief Roy, während er durch die kopierten Dateien Yagmurs scrollte. Ich trat neben ihn und warf einen Blick auf den Bildschirm. "Hier ist eine verschlüsselte E-Mail-Korrespondenz von vor zwei Wochen, kurz nachdem die Tickets gebucht wurden. Er hat Nachrichten an jemanden geschickt, der unter dem Pseudonym 'Ghost' agiert."
"Ghost?" wiederholte ich langsam. "Was steht in den Nachrichten?"
"Vieles ist verschlüsselt, aber der allgemeine Tenor ist, dass Yagmur verzweifelt ist und um Schutz bittet. Ghost war anscheinend seine Verbindung außerhalb der Terror-Zelle. Es gibt Andeutungen, dass Yagmur mit Informationen bezahlt hat, um sein Leben zu retten."
"Ein Maulwurf innerhalb der Zelle also," murmelte ich. "Ghost könnte der Schlüssel sein, um herauszufinden, warum Yagmur sterben musste und wer der Schütze ist."
"Dann sollten wir rausfinden, wer dieser Ghost ist," sagte Roy entschlossen. "Aber zuerst, vielleicht ein Besuch bei unseren Freunden in der Cyber-Abteilung? Die könnten helfen, das E-Mail-Protokoll zu knacken und mehr über die Absender-IP herauszufinden."
Ich nickte und innerhalb von Minuten waren wir im Untergeschoss des Gebäudes, wo das digitale Herz der Kripo Hamburg schlug. Hier saßen Technikspezialisten vor riesigen Monitoren, wie Kämpfer in einem unblutigen Krieg, bewaffnet mit Tastaturen und Algorithmen.
"Jungs, wir brauchen eure Hilfe," begann Roy ohne Umschweife. "Verschlüsselte E-Mails, Absender unter dem Namen 'Ghost'."
Ein junger Techniker, den wir nur als Jannik kannten, sah auf und nickte lebhaft. "Kein Problem, Kommissare. Gebt mir ein paar Minuten." Er setzte sich an einen freien Platz und begann eifrig zu tippen. Es dauerte keine zehn Minuten, bevor er uns zu sich winkte.
"Sieht aus, als hätte sich unser Freund Ghost nicht gut genug getarnt. Die E-Mails wurden über einen Proxy-Server geleitet, aber am Ende konnten wir die Echtzeit-IP zurückverfolgen. Die Adresse führt uns zu einem Bürogebäude in der Nähe der Speicherstadt."
"Speicherstadt, hm?" Roy verzog das Gesicht. "Nicht der schlechteste Platz, um sich zu verstecken. Alte Gebäude, viele Unternehmen, leichtes Kommen und Gehen."
"Genau," sagte Jannik und überreichte uns die ausgedruckten Ergebnisse. "Damit könnt ihr vielleicht etwas anfangen."
Wir griffen uns unsere Jacken und verließen das Gebäude. Die Dunkelheit hatte mittlerweile die Stadt fest umklammert, und die Lichter der Speicherstadt warfen lange Schatten auf das Kopfsteinpflaster.
Das Bürogebäude, zu dem uns die Spur führte, wirkte auf den ersten Blick unscheinbar. Das Signboard zeigte eine Liste von Firmen, die von Import-Export bis zu Werbeagenturen reichte. Wir nahmen die Treppe in den dritten Stock, wo die Adresse des verdächtigen Büros lag.
"Uwe, bereit für eine kleine Überraschung?", fragte Roy mit funkelnden Augen, als er die Tür aufriss.
Doch was uns hinter der Tür erwartete, war alles andere als eine unauffällige Bürozelle. Es war ein High-Tech-Raum mit einer Vielzahl an Servern und Computern, die leise summend arbeiteten. Ein Mann mit grauem Haar, etwa Mitte fünfzig, zündete sich gerade eine Zigarette an, als er uns sah.
"Wer sind Sie?", fragte ich scharf.
Mit einem bedächtigen Zug an seiner Zigarette musterte er uns gelassen. "Mein Name ist Alexander Richter," antwortete er. "Aber in manchen Kreisen nennt man mich Ghost."
Roy zog die Augenbrauen hoch. "Dann haben wir uns also gefunden. Kommen Sie mit uns aufs Revier, Herr Richter. Wir haben einige Fragen, die dringend beantwortet werden müssen."
Richter nickte nur und trat die Zigarette aus. "Ich hatte schon so etwas erwartet. Fahren wir fort."
Während wir Richter abführten, konnte ich die Anspannung in meinen Schultern nicht abschütteln. Ghost war zwar gefasst, aber die Fragen blieben: Wer war der Profikiller, und wer hatte ihn auf Yagmur angesetzt? Die Puzzleteile fügten sich langsam zusammen, doch das entscheidende Bild blieb noch verschwommen. Und die Zeit drängte. Je länger wir im Dunkeln tappten, desto größer wurde die Gefahr, die über Hamburg schwebte.
Wir standen zusammen mit dem Gerichtsmediziner und hörten seinen ersten Eindruck an. "Todeszeitpunkt wahrscheinlich vor etwa zwei Stunden, also gegen sieben Uhr morgens. Ein sauberer Schuss aus nächster Nähe, direkt ins Herz," erklärte er in nüchternem Tonfall. "Die Wunde spricht für einen Profikiller."
"Großartig," seufzte Roy leise. "Wir haben also einen unbekannten Profi laufen, während die Spurensicherung wahrscheinlich nichts als verbrannte Erde findet."
Ich nickte gedankenverloren. "Wir müssen herausfinden, wer dieser Mann wirklich war und warum er hier in Hamburg so ein unscheinbares Leben führte."
Zurück im Büro empfing uns Kriminaldirektor Jonathan Bock mit seinem üblichen missmutigen Gesichtsausdruck. "Und? Was haben Sie bisher?"
"Mustafa Yagmur," sagte ich, kaum dass wir unser Büro betreten hatten und die Tür hinter uns geschlossen hatten. "Er war ein gesuchtes Mitglied einer islamistischen Terror-Zelle. Der Gerichtsmediziner sagt, ein gezielter Schuss aus nächster Nähe, vermutlich ein Profi."
Bock nickte, stand aber weiterhin angespannt da. "Das könnte größere Wellen schlagen. Informationen über Yagmurs Hintergrund und Kontakte könnten entscheidend sein. Haben Sie seine Wohnung schon durchsuchen lassen?"
"Nein, noch nicht," antwortete Roy und schob sich einen Keks in den Mund, den er aus einer kleinen Blechdose auf unserem Schreibtisch geangelt hatte. "Aber genau das ist unser nächster Punkt."
"Richtig," stimmte ich zu. "Je eher wir wissen, mit wem er Kontakt hatte, desto schneller können wir ein Motiv und vielleicht auch den Täter finden."
"Halten Sie mich auf dem Laufenden," brummte Bock und verschwand in Richtung seines Büros am Ende des Flurs.
Mit einem kräftigen Schluck Kaffee fuhren wir kurz darauf los, dieses Mal in Richtung Ottensen, wo Yagmur zuletzt gemeldet war. Die alten, sanierten Fabrikgebäude, kleinen Cafés und trendigen Boutiquen standen in starkem Kontrast zu der Bedrohung, die Yagmurs Zelle darstellte. Hamburg war eben eine Stadt der Gegensätze.
Yagmurs Wohnung lag im dritten Stock eines Klinkerbaus, der an jenem Morgen ruhig und verlassen wirkte. Der Geruch von frisch aufgebrühtem Kaffee und Croissants zog durch das Treppenhaus. Ein paar Türen knarzten leise, Kinder lachten irgendwo in der Ferne.
Als wir die Tür zu Yagmurs Apartment öffneten, war der scharfe Geruch von Putzmitteln allgegenwärtig. Das lag daran, dass die Untersuchung noch im Gange war. Die Räume wirkten penibel sauber und geordnet, was mich einerseits verwunderte und andererseits beunruhigte.
Ein junger Kollege von der Spurensicherung trat auf uns zu. "Kommissare, wir haben hier etwas Interessantes gefunden." Er führte uns in das Schlafzimmer. Dort, hinter einem schweren lateinernen Nachtschrank, der etwas verschoben wirkte, fanden wir ein kleines, geheimes Fach. Darin befand sich ein Laptop und ein paar USB-Sticks.
"Gut gemacht," sagte ich anerkennend. "Packen Sie alles ein und bringen Sie das sofort in unser Labor. Jede Sekunde zählt."
"Uwe, sieh dir das an," rief Roy plötzlich vom Schreibtisch herüber. Er hielt einen zusammengerollten Stapel Papier in der Hand. "Das sind Flugtickets. Hin- und Rückflug von Hamburg nach Istanbul, gebucht vor zwei Wochen und datiert für gestern."
Ich fühlte, wie mein Puls sich beschleunigte. "Er wollte abhauen. Warum bleibt er dann hier? Und noch entscheidender: Wer wusste von diesen Plänen und hat ihn gestoppt?"
Roy nickte nachdenklich. "Wir müssen seine Kontakte in Istanbul überprüfen und auch die Menschen, mit denen er hier in Hamburg zu tun hatte. Vielleicht führt irgendeine Spur weiter."
"Vergiss nicht den politischen Hintergrund," fügte ich hinzu. "Ein Mitglied einer Terror-Zelle wie Yagmur geht nicht einfach ohne Reaktion. Vielleicht hat er mächtige Feinde in den eigenen Reihen."
Ich hielt die Flugtickets in meiner Hand und fühlte das schwere Gewicht der Verantwortung. "Roy, das wird eine verdammt schwere Ermittlung. Aber wir haben keine andere Wahl."
Mein Kollege lächelte mich an, sein übliches unerschütterliches Lächeln. "Na klar, Uwe. Wann ist es jemals leicht gewesen? Lass uns loslegen."
Wir verließen die Wohnung und machten uns auf den Weg zurück zum Hauptquartier. Die Straßen von Hamburg lagen vor uns, kalt und unnachgiebig, aber voller Geschichten, die nur darauf warteten, erzählt zu werden. Irgendwo da draußen, in dieser Stadt, waren die Antworten auf unsere Fragen. Und Roy und ich, wir würden sie finden, komme was wolle.
Nachdem wir Alexander "Ghost" Richter ins Revier gebracht hatten, saßen Roy und ich wieder an unserem Schreibtisch. Der Mann könnte ein Buch über Verschwiegenheit schreiben, so wenig wie er bislang preisgegeben hatte. Trotzdem, allein seine Präsenz bot neue Ansatzpunkte. Wir nutzten die wenige Zeit bis zur Befragung, um uns weiter in Yagmurs Leben zu vertiefen.
Roy kaute nervös auf einem Keks, während ich durch Yagmurs Akten blätterte. "Uwe, warum wird ein Durchschnittsbürger zum Terroristen? Es muss doch mehr dahinterstecken," sagte Roy schließlich mit einem Stirnrunzeln.
"Jeder hat seine Gründe," antwortete ich, "und oft sind sie genau da, wo wir sie nicht suchen."
Unsere Recherchen führten uns in Yagmurs Vergangenheit. Mustafa Yagmur war einst ein unauffälliger Angestellter in einer Hamburger Großbank gewesen. Er führte ein durchschnittliches Leben in Volksdorf, verheiratet, zwei Kinder, ein Haus mit Garten. Doch dieses Bild der Normalität war trügerisch. Vor etwa fünf Jahren begann sein Leben zu zerbröckeln.
Er verlor seine Frau bei einem Autounfall, ein Schicksalsschlag, der ihn und seine Kinder tief erschütterte. Kurz darauf verlor er auch seinen Job während einer Firmen-Umstrukturierung. Diese Ereignisse stürzten ihn in eine tiefe Depression und führten ihn letztlich in die Arme radikaler Gruppen, die seine tiefe Verzweiflung und seinen Zorn zu ihrem Vorteil nutzten.
Währenddessen kam die erste Sachverständigeinsatzleitung aus unserem Labor. "Kommissare, wir haben die Daten von Yagmurs Laptop rekonstruiert," sagte eine junge Frau namens Lena, die uns die Ergebnisse auf einem USB-Stick überreichte.
Roy und ich zogen uns in ein Besprechungszimmer zurück und begannen, die gespeicherten Dateifragmenten durchzugehen. Zwischen unzähligen Dokumenten und Bildern stießen wir auf Tagebucheinträge. Es war beinahe schmerzhaft, Yagmurs innere Zerrissenheit zwischen seinen früheren Leben und seinen neuen fanatischen Überzeugungen zu lesen. Die Einträge dokumentierten seine Anwerbung, die systematische Gehirnwäsche und seinen allmählichen Verlust von Selbstbestimmung.
Doch einer der letzten Einträge war besonders aufschlussreich. Ein verzweifelter Monolog darüber, wie er realisierte, dass er nur ein Bauer in einem größeren Spiel war und seine Entschlossenheit, auszusteigen und zu kooperieren. Es schien also, dass Yagmur wirklich den Ausstieg und den Verrat geplant hatte. Kein Wunder, dass sie ihn haben wollten, tot bevor er zu viel preisgab.
Ein Klopfen an der Tür unterbrach unsere Gedanken. "Es ist Zeit," sagte Lena. Sie führte uns in den Verhörraum, wo Richter bereits auf uns wartete, immer noch ruhig und gefasst.
Wir nahmen Platz und starteten mit grundsätzlichen Fragen. Dann legte ich langsam die Karten auf den Tisch.
"Herr Richter, Ihre Verbindung zu Mustafa Yagmur ist eindeutig. Er hat Ihnen um Hilfe gebeten, oder nicht?" begann ich.
Richter lächelte leicht unverbindlich. "Yagmur war ein gefallener Mann. So jemanden zu ignorieren, ist unhöflich."
Roy beugte sich vor. "Haben Sie Yagmur geholfen zu fliehen? Und wenn ja, vor wem?"
Richter seufzte und nahm sich einen Moment. "Mustafa wollte unbedingt fliehen. Ich half ihm so gut es ging, aber seine Feinde waren schneller. Die islamistischen Zellen in dieser Stadt sind gut vernetzt. Sie dulden keinen Verrat."
"Wer war der Schütze?" bohrte ich nach.
"Einen Namen kann ich Ihnen nicht nennen," erwiderte Richter, die Gelassenheit verflogen. "Aber diese Art von Präzision und versteckter Identität ist typisch für einen Mann, den sie 'Der Arzt' nennen."
"Der Arzt," wiederholte Roy nachdenklich. "Was wissen Sie über ihn?"
"Nicht viel, nur dass er bekannt dafür ist, chirurgisch präzise zu arbeiten und niemals Spuren zu hinterlassen. Er taucht auf, wenn jemand Schwächen in den eigenen Reihen vermutet, und verschwindet wieder, ohne Spuren zu hinterlassen," erklärte Richter ernst.
"Wo können wir ihn finden?"
Richter zuckte mit den Schultern. "Das ist etwas, das selbst ich nicht weiß."
Ich stand auf und verließ nachdenklich den Raum. Roy folgte mir in den Flur. "Uwe, haben wir jetzt mehr Fragen als Antworten?"
"Es fühlt sich so an," antwortete ich. "Aber zumindest wissen wir, dass wir uns auf jemand bestimmten konzentrieren können."
Während wir die engen Korridore des Präsidiums entlanggingen, klickten neue Informationen in meinem Kopf zusammen. Kammerspiele von Macht und Unterdrückung, Verrat innerhalb der Zellen – Der Arzt war die Schlüsselperson, die wir finden mussten.
Zurück im Büro rief ich Kriminaldirektor Bock an. "Wir haben den Namen eines potenziellen Täters: 'Der Arzt'. Er scheint ein Profi zu sein, unauffindbar. Wir müssen diese Person unbedingt finden."
Bock, so harsch wie immer, sagte nur: "Finden Sie den Arzt. Beenden Sie diesen Albtraum."
Und mit diesen Worten wussten Roy und ich, dass unser Weg nach vorne noch gefährlicher und ungewisser war als bisher gedacht. Der Schatten des Profikillers lag über Hamburg, und wir würden nicht ruhen, bis wir ihn entlarvt hätten. Die Stadt mochte in ihrer melancholischen Kälte erstarren, aber wir hatten eine Spur und einen Namen – und das reichte, um weiterzumachen.
Roy und ich sahen uns an, und obwohl keine Worte gesprochen wurden, wussten wir beide, dass die kommende Jagd auf "Der Arzt" uns an die Grenzen unserer Fähigkeiten bringen würde. Wir kehrten zu unseren Schreibtischen zurück und begannen sofort, alle verfügbaren Informationen über diesen mysteriösen Killer zu sammeln.
"Uwe, was denkst du, wo könnte der Arzt seine Spur hinterlassen haben?" fragte Roy nach einer Weile angestrengt.
"Jede Legende hat zumindest ein Fundament in der Realität. Wir müssen tief graben," antwortete ich und gab eine Reihe von Suchanfragen in unser Datenbanksystem ein. Nach einigen Minuten des flackernden Bildschirms und sich drehender Ladesymbole poppten die ersten Ergebnisse auf.
"Hier ist was, Roy," rief ich und deutete auf den Bildschirm. "Ein ehemaliger BND-Agent namens Dr. Maximilian Engels ist unter Insidern bekannt als 'Der Arzt'. Seine Spuren führen mehrfach nach Hamburg – zuletzt in Verbindung mit einem Waffenschmugglerring, der vor etwa drei Jahren zerschlagen wurde."
"Maximilian Engels also," murmelte Roy, "Klingt nach einem echten Geist..."
Ein weiteres Telefonat mit einer Kontaktperson bei Europol bestätigte unsere Vermutungen: Engels war ein hochqualifizierter Operator, der mehrfach von verschiedenen Geheimdiensten gesucht wurde. Er verdiente sich seinen Lebensunterhalt als Söldner, der für den Meistbietenden arbeitete – und er verkaufte nicht nur sein Wissen über Waffen, sondern auch auftragsgemäßen Tod.
Einigen Quellen zufolge hatte er sich in den letzten Jahren in Hamburg niedergelassen, wahrscheinlich unter einem Decknamen. Hier, in der weiten und unübersichtlichen Metropole, konnte er unbemerkt operieren. Doch warum jetzt, warum gerade bei Yagmur?
Ein Anruf aus der Cyber-Abteilung unterbrach meine Grübeleien. "Kommissare, wir haben die letzten GPS-Koordinaten von Yagmurs Handy. Er war in den Wochen vor seinem Tod mehrfach in einem abgelegenen Hafenlager in der Nähe von Wilhelmsburg."
Roy stieß ein zufriedenes Grunzen aus. "Wilhelmsburg. Perfekter Ort für geheime Treffen. Schmal, abgelegen, niemand fragt nach."
"Richtig," stimmte ich zu. "Lass uns nachsehen, ob 'Der Arzt' vielleicht einen Besuch abgestattet hat."
Wir fuhren mit dem Wagen durch die abendlichen Straßen Hamburgs, dabei zog die kalte Luft der Nordsee unablässig durch die schmalen Gassen und Straßen. In Wilhelmsburg angekommen, bemerkten wir sofort, wie unterschiedlich dieser Teil der Stadt war. Es war etwas Düsternes in den verlassenen Lagerhäusern, den dunklen Ecken und den endlosen trüben Gewässern.
Wir fanden bald das Lagerhaus, auf das die GPS-Koordinaten hindeuteten. Es war ein heruntergekommenes Gebäude aus rotem Backstein, mit brüchigen Fenstern und einem großzügig überwucherten Parkplatz. An der Seite hing ein verwittertes Schild: "Hafenlogistik Kopp".
"Uwe, siehst du da hinten das Licht?" flüsterte Roy und deutete auf die Nische eines Fensters, wo ein schwacher Lichtstrahl durch den trüben Vorhang schimmerte.
Wir schlichen uns vorsichtig heran. Der muffige Geruch von nassem Holz und alter Farbe stieg uns in die Nase, als wir das Lagerhaus betraten. Drinnen war es still, bis auf das gelegentliche Tropfen von Wasser aus einem Leck im Dach. Das Licht kam aus einem kleinen Büro im hinteren Teil des Gebäudes.
"Roy, pass auf," warnte ich leise, als wir uns anschlichen.
Vorsichtig öffneten wir die Tür zum Büro. Drinnen fand sich eine hochmoderne Kommandozentrale – mehrere Monitore zeigten Live-Überwachungsbilder und Datenströme. Am Schreibtisch saß niemand anderes als der Mann, den wir suchten, Dr. Maximilian Engels alias "Der Arzt".
Er sah auf, als wir eintraten, und lächelte kalt. "Ich habe schon auf euch gewartet, Kommissare."
Bevor wir reagieren konnten, blitzte eine Pistole in seiner Hand auf, und ein Schuss dröhnte durch den kleinen Raum. Roy schrie auf und sank zu Boden.
"Verdammt!", brüllte ich, zog meine Waffe und sprang hinter einen alten Aktenschrank in Deckung. Ein weiteres Geschoss schnitt durch die Luft, schlug in die Wand hinter mir ein und schickte einen Schauer aus Staub und Mörtel durch den Raum.
"Roy! Bist du in Ordnung?", rief ich, ohne den Blick von Engels abzuwenden.
"Nur gestreift," keuchte Roy, die Hand an seiner blutenden Schulter. "Leg diesen Mistkerl flach, Uwe!"
Ich atmete tief ein, konzentrierte mich und rief: "Engels, es ist vorbei! Legen Sie die Waffe nieder!"
Der Arzt lachte leise, ein leises, unheilvolles Geräusch. "Ich lege meine Waffe nur nieder, wenn ich keine Patronen mehr habe," erwiderte er und feuerte erneut. Doch dieses Mal war ich bereit. Mit einem schnellen Ausfallschritt trat ich hervor, zielte und drückte ab.
Meine Kugel traf Engels in die Schulter, und er ließ die Waffe fallen, als er vor Schock und Schmerz aufheulte. Rasch war ich bei ihm, trat die Pistole zur Seite und setzte ihm Handschellen an.
Roy zog sich ächzend auf die Beine und trat zu uns. "Na, Maximilian, wie fühlt es sich an, wenn man nicht auf alles schießen kann, was sich bewegt?"
Engels knirschte mit den Zähnen, sein Blick gefährlich kalt. "Das ist noch nicht vorbei, Kommissare," zischte er. "Da draußen gibt es mehr wie mich. Ihr habt keine Ahnung, in was für ein Netz ihr getappt seid."
Aber ich wusste, dass wir zumindest einen Teil dieses Netzes durchtrennt hatten. Wenn auch nur für einen Moment. Und während Roy und ich Engels ins Präsidium abführten, wusste ich, dass wir noch viele Antworten finden mussten, viele Geheimnisse lüften mussten. Doch an diesem kalten Hamburger Abend hatten wir zumindest den Schatten von Engels gebannt. Aber die Dunkelheit wartete immer noch, und wir hatten noch einen weiten Weg vor uns.
Die Jagd nach der Wahrheit würde nicht aufhören. Und Roy und ich würden nicht ruhen, bis der letzte Schatten vertrieben und die Stadt aus ihrer kalten Umklammerung befreit war.
Es war spät geworden, als wir Engels ins Präsidium brachten. Der Schmerz und die Anspannung des Tages machten sich in meinen Schultern bemerkbar, aber der Fall war noch lange nicht abgeschlossen. Roy wurde von unserem Sanitätsteam behandelt – nichts Lebensgefährliches, aber die Wunde würde ihn für eine Weile behindern.
Wir schlossen Engels in einem Verhörraum ein und ließen ihn dort, bevor wir uns zu einem strategischen Meeting versammelten. Mit Kriminaldirektor Jonathan Bock sowie einigen weiteren hochrangigen Beamten und Agenten von Europol versuchten wir, ein klareres Bild zu bekommen.
"Engels ist ein hochkarätiger Fang," begann Bock. "Aber wir wissen, dass er nur ein Teil des Puzzles ist. Was haben wir bisher?"
Ich räusperte mich und trat vor. "Engels war direkt in Kontakt mit Yagmur. Er sollte wahrscheinlich sicherstellen, dass Yagmur nicht zu viel preisgibt. Das bedeutet, dass jemand Yagmur wirklich zum Schweigen bringen wollte und Engels dafür engagierte. Die Frage ist, wer?"
Roy, der mittlerweile seinen verwundeten Arm in einer Schlinge trug, trat zu uns. "Engels hat uns gesagt, dass es mehr wie ihn gibt. Wir müssen uns auf die Strukturen und die Netzwerke konzentrieren. Jemanden wie Engels engagiert man nicht für eine einmalige Tat – er ist Teil eines größeren Systems."
"Richtig," stimmte Bock zu und wandte sich an ein Team von Analytikern. "Jannik, hast du etwas von der Cyber-Abteilung?"
Jannik blätterte ein paar Seiten seiner Unterlagen durch und sprach dann. "Wir haben einige der Daten aus Yagmurs Laptop weiter entschlüsselt. Es scheint, als hätten einige hohe Tiere in einer anderen Stadt Interesse an Hamburgs Aktivitäten. Ihre Kommunikation ist verschlüsselt, aber die Angriffe waren eindeutig koordiniert."
Ich konnte fühlen, wie sich das Puzzle in meinem Kopf zu einem klaren Bild formte. "Jemand in Berlin könnte die Fäden ziehen. Wir müssen herausfinden, welche Mächte möglicherweise Druck auf Yagmur ausgeübt haben. Und wir sollten sofort mit den örtlichen Behörden in Berlin zusammenarbeiten."
Bock nickte zustimmend. "Gut, Müller und Jörgensen, Sie beide machen sich auf den Weg nach Berlin. Ich werde die nötigen Anrufe machen, und Sie werden dort mit den Kollegen zusammenarbeiten. Wir müssen herausfinden, wer hinter all dem steckt."
Mit einem kurzen Blick auf Roy sah ich, wie er bereit war anzutreten, trotz der Wunde. "Wir schaffen das, Uwe," sagte er ermutigend.
Ich nickte und bereitete mich mental auf die bevorstehende Herausforderung vor. Der Fall wurde immer größer, und die Risiken stiegen. Doch wir hatten keine Wahl. Wir mussten weiter machen, bis die Wahrheit aufgedeckt war.
Der nächste Morgen begrüßte uns mit einem grauen Himmel und anhaltendem Nieselregen. Perfekte Bedingungen für einen weiteren Arbeitstag mitten im November. Nach einer kurzen Flugreise landeten Roy und ich in Berlin und wurden von zwei lokalen Polizisten, Kommissar Anna Lorenz und Kommissar Felix Mahler, im Hotel abgeholt.
"Willkommen in Berlin," sagte Anna, ihre Stimme fest und professionell. "Wir waren bereits über Ihren Fall informiert. Unsere Chefs haben uns grünes Licht gegeben, Ihnen sämtliche Unterstützung zu bieten."
"Danke," antwortete ich. "Wir wissen, dass hinter Yagmurs Todesfall internationale Strukturen stecken und wir glauben, dass Berlin eine Rolle darin spielt."
Mahler, ein Mann Mitte vierzig mit durchdringendem Blick, füllte ein wenig mehr Details ein. "Es gibt in Berlin einige Aktivitäten radikaler Gruppen und Verbindungen nach Hamburg. Wir haben jedoch die Vermutung, dass es auch innerhalb dieser Gruppen Machtspiele gibt."
"Genau davon gehen wir aus," ergänzte Roy. "Jemand wollte Yagmur unbedingt zum Schweigen bringen, und dafür hat er Maximilian Engels, alias 'Der Arzt', engagiert."
Lorenz nickte. "Dann sollten wir direkt zur Sache kommen. Wir haben Hinweise auf mehrere Treffpunkte und Verstecke. Eine davon ist ein vorgebliches Logistikunternehmen in Marzahn. Könnte sich als nutzbringend erweisen, dort zu ermitteln."
Wir fuhren also quer durch Berlin Marzahn. Alte Industriegebäude und heruntergekommene Lagerhallen säumten die Straßen. Der perfekte Unterschlupf für zwielichtige Aktivitäten. Als wir den Zielort erreichten, spürte ich die Nervosität in mir aufsteigen. Die Gegend hatte etwas Bedrohliches, eine beklemmende Stille hing in der Luft.
"Wir sollten vorsichtig vorgehen," flüsterte Roy, der mittlerweile einige Beruhigungsmittel gegen seine Schmerzen genommen hatte. "Wenn das ein echter Treffpunkt ist, könnte es gut bewacht sein."
Wir näherten uns dem Gebäude schleichend. Roy und Mahler gingen links entlang, während Anna und ich die rechte Seite sicherten. Als wir an eine abgeschottete Hintertür kamen, entdeckten wir frische Reifenspuren auf dem nassen Boden.
"Hier ist definitiv wer rein oder raus gekommen," sagte Anna leise und deutete auf die Spuren.
Ich nickte. "Bereit für den Einsatz?"
Mit einem kurzen Nicken bestätigte sie meine Frage, und wir betraten das Gebäude. Drinnen fanden wir nicht nur ein riesiges Lager voller Container und Kisten, sondern auch eine komplette Kommandozentrale. Computer, Überwachungsmonitore und verschiedene Waffen lagen verstreut.
Ungläubig starrte ich auf die Bildschirme, die deutlich zeigten, dass diese Einrichtung weit mehr als nur eine Deckfirma war. "Diese Leute operieren nicht einfach mal beiläufig. Es ist eine durchdachte Operation," murmelte ich.
Roy und Mahler hatten unterdessen ein abgetrenntes Büro im hinteren Teil des Lagers gefunden. Dort türmten sich Aktenordner und eine Menge an Beweismaterial. Als wir uns die Dokumente ansahen, stießen wir auf eine Liste von Namen und Kontakten – und eine Adresse, die sich als besonders vielversprechend erwies.
"Es ist eine Residenz in einem teuren Berliner Viertel," sagte Mahler und hob eine Augenbraue. "Sieht aus, als wäre das die Adresse unseres Drahtziehers."
Anna schnappte sich das Dokument. "Lass uns keine Zeit verlieren. Wir haben eine heiße Spur."
Während wir zurück zum Fahrzeug liefen, spürte ich, wie sich eine Mischung aus Adrenalin und Vorfreude in mir breit machte. Wir waren kurz davor, einige der größten Geheimnisse dieses Netzwerks zu lüften. Und wenn wir Glück hatten, würden wir unseren entscheidenden Puzzleteil finden – den Drahtzieher hinter Yagmurs Tod und vielleicht sogar mehr.
Die Jagd war in vollem Gange, und Roy und ich würden bis zum bitteren Ende kämpfen. Denn die Wahrheit lag zwar verborgen, aber nicht unerreichbar. Und wir, zwei entschlossene Kommissare der Kripo Hamburg, würden sie ans Licht bringen – koste es, was es wolle.
Die Fahrt zum teuren Berliner Viertel, in dem sich die verdächtige Adresse befand, dauerte trotz der morgendlichen Staus nicht lange. Wir parkten unseren Wagen in sicherer Entfernung und machten uns zu Fuß auf den Weg zu dem luxuriösen Anwesen. Das Haus war ein Prachtbau, mit einer prächtigen Fassade, die nur die reichste Oberschicht beherbergen konnte.
"Das ist es. Dort drinnen versteckt sich unser Drahtzieher," flüsterte Roy, als wir uns dem Tor näherten.
"Wir sollten vorsichtig vorgehen," fügte Anna hinzu und prüfte die Umgebung nach Sicherheitskameras oder anderen Überwachungssystemen. "Hier ist es praktisch garantiert, dass alles überwacht wird."
"Wir haben einen Durchsuchungsbefehl," sagte Mahler und zog das Dokument aus seiner Tasche. "Zeit für einen Überraschungsbesuch."
Als wir das Tor passierten, bemerkten wir eine Bewegung hinter einem der Fenster. Kurz darauf öffnete sich die Haustür, und ein großgewachsener Mann in einem makellosen Anzug trat heraus.
"Guten Morgen, die Herren und Damen," sagte er mit gespielter Freundlichkeit. "Wie kann ich Ihnen behilflich sein?"
"Wir sind von der Polizei," begann ich, und hielt ihm den Durchsuchungsbefehl entgegen. "Wir haben Grund zu der Annahme, dass sich in diesem Haus Beweise zu einem laufenden Ermittlungsverfahren befinden."
Der Mann musterte das Dokument und nickte langsam. "Natürlich, kommen Sie herein. Mein Name ist Dr. Wilhelm Köhler. Ich stehe Ihnen gerne zur Verfügung."
Wir betraten den geräumigen Eingang des Hauses und wurden in ein großzügiges Wohnzimmer geführt. Köhler setzte sich auf einen Ledersessel und deutete auf die umliegenden Sofas. "Bitte, nehmen Sie Platz."
"Vielen Dank, Herr Dr. Köhler, aber wir würden lieber direkt zur Sache kommen," sagte Anna bestimmt. "Wir haben Informationen, die darauf hindeuten, dass Sie Verbindungen zu einem internationalen Terrornetzwerk haben."
Köhlers Gesicht blieb ausdruckslos, als er antwortete. "Das sind ernste Anschuldigungen, Frau Kommissarin. Was lässt Sie so etwas glauben?"
"Wir haben Beweise, dass Sie mit Mustafa Yagmur in Verbindung standen und möglicherweise den Auftrag gegeben haben, ihn zu eliminieren," fügte Roy hinzu.
"Interessant," sagte Köhler, "aber mir ist der Name Yagmur nicht vertraut. Können Sie das beweisen?"
Bevor wir weiter nachhaken konnten, betrat eine elegante Frau mittleren Alters den Raum, gefolgt von zwei kräftigen Männern, die eindeutig Leibwächter waren. "Schatz, was ist los?" fragte sie besorgt.
"Keine Sorge, Claudia," antwortete Köhler gelassen. "Die Polizei stellt nur ein paar Fragen."
Es war offensichtlich, dass Köhler nicht alleine handelte, und wir mussten den Druck erhöhen. "Durchsuchen Sie das Haus," befahl ich an die Kollegen und wandte mich wieder an Köhler. "Ihre Kooperationsbereitschaft wird sehr hilfreich sein, Herr Doktor."
Während die Beamten das Haus durchkämmten, versuchte Köhler das Gespräch in harmlosere Bahnen zu lenken. Doch seine Fassade begann zu bröckeln, als Mahler zurückkam und in der Hand ein Tablet hielt. "Seht euch das an. Verschlüsselte E-Mails, darunter auch ein Schriftwechsel mit Engels," sagte er und hielt das Gerät hoch.
Köhler zog sich nervös am Kragen. "Das ist mein Tablet. Aber diese E-Mails...das muss ein Fehler sein. Jeder kann eine Adresse fälschen."
Plötzlich drang lautes Getrampel aus einer Tür hinter uns. Zwei der Leibwächter stürmten herein und versuchten, uns anzugreifen. Ein Kampf entbrannte, und Roy und ich mussten all unsere Fähigkeiten einsetzen, um sie zu überwältigen. Nach einem intensiven Gerangel hatten wir sie schließlich am Boden und in Handschellen.
Köhlers bereits blasses Gesicht verzog sich in Angst. "Das wird Ihnen nichts bringen. Sie haben keine Ahnung, mit wem Sie sich anlegen."
"Das werden wir sehen," sagte ich kalt und bedeutete Mahler, Köhler abzuführen. Wir hatten unseren Verdächtigen und seine Mitverschwörer in Gewahrsam. Doch die Jagd war noch nicht vorbei.
Zurück im Präsidium nahmen wir sofort die Verhöre auf. Köhler blieb stur, verweigerte jede Aussage. Doch die Beweise sprachen für sich. Die verschlüsselten E-Mails, die gefundenen Dokumente und schließlich eine geheime Liste mit Namen und Nummern bestätigten seine Verstrickungen.
Spätabends, als der Verhörraum still wurde, trat Roy an mich heran und klopfte mir auf die Schulter. "Ein Schritt weiter, Uwe. Aber das ist noch nicht das Ende."
"Nein," antwortete ich. "Das Netz zieht sich zusammen, aber wir müssen die obersten Köpfe fassen. Köhler war nur das Gehirn hinter dem Mord an Yagmur. Es muss noch mehr geben."
Genau in diesem Moment öffnete sich die Tür des Verhörraums und Anna trat ein, ein siegessicheres Lächeln auf den Lippen. "Leute, wir haben es. Ein Bekennervideo aus einer Berliner Terrorzelle. Sie sprechen darüber, wie sie Engels engagiert haben, um Yagmur zum Schweigen zu bringen. Köhler ist tiefer in diese Sache verstrickt, als wir je gedacht haben. Und sie haben noch nichts von unserer Anwesenheit hier gemerkt."
Wir sahen uns an, das Erhoffte Realität geworden. Die Beweise waren erdrückend, und die Verbindungen wurden immer klarer. Aber dennoch blieb eine Frage unbeantwortet: Wer war der wahre Drahtzieher hinter all dem? Wer hatte Köhler beauftragt und Engels engagiert?
Während die Nacht über Berlin hereinbrach, wussten wir, dass die Mission noch nicht abgeschlossen war. Doch der Fall Yagmur hatte uns tief in das Herz eines gefährlichen Spinnennetzes geführt, und es war nur eine Frage der Zeit, bis der endgültige Drahtzieher entlarvt würde.
Und so machten wir uns fertig für die nächste Etappe unserer Jagd – die Jagd nach der Wahrheit und jenen, die Hamburg und Berlin ins Chaos stürzen wollten. Der Kampf war noch lange nicht vorbei, aber wir waren fest entschlossen, ihn zu gewinnen.
Nach langen Verhören und intensiver Untersuchung der gefundenen Beweise kristallisierte sich ein klarer Zusammenhang zwischen Köhler, Engels und einer hochrangigen terroristischen Organisation heraus. Während sich die Tage in Berlin zu einer hektischen Suche nach der gesamten Struktur entwickelten, liefen die Ermittlungen auf Hochtouren.
Köhler saß nun ohne Sanktionen im Hochsicherheitsgefängnis, und weitere Verhaftungen in seinem Umfeld hatten die Zelle abgeschwächt. Doch eine letzte, entscheidende Lücke blieb: der wahre Drahtzieher.
Es war ein verregneter Sonntagmorgen, als eine erschöpfte, aber entschlossene Anna uns zum Frühstück traf. „Ich glaube, wir haben den letzten Puzzleteil,“ sagte sie, während sie dampfenden Kaffee in ihre Tasse goss.
„Erzähl,“ forderte Roy auf, der die meiste Zeit damit verbrachte, die Schmerzen in seinem verwundeten Arm zu ignorieren.
„Ein Informant in ihrem Netzwerk hat ausgepackt. Es gibt einen Mann, der die Fäden zieht. Sein Deckname ist Aberius. Er ist das eigentliche Mastermind hinter den Operationen.“
„Aberius,“ wiederholte ich. „Und wo finden wir ihn?“
„Unsere Quelle hat eine Adresse in Treptow. Ein unscheinbares Wohnhaus – aber definitiv das Epizentrum seiner Operationen.“
Mit einem klaren Ziel vor Augen machten wir uns auf den Weg. Die Straßen von Berlin schienen sich in einem düsteren Schweigen zu hüllen, als unser Fahrzeug sich durch den Stadtverkehr schlängelte. Treptow empfing uns mit seiner typischen Mischung aus Vorstadtidylle und anonymen Wohnblocks.
Das besagte Haus wirkte von außen unscheinbar. Ein durchschnittliches Mehrfamilienhaus, nichts, was auf eine verborgene Zentrale hinwies. Doch die wahre Gefahr lag meist im Unscheinbaren. Gemeinsam mit Verstärkung von der Berliner Polizei bereiteten wir uns auf den Zugriff vor.
„Hier ist ihre letzte Chance aufzugeben,“ sagte ich ruhig, während unser Einsatzteam sich um das Gebäude bewegte. „Oder wir machen es auf die harte Tour.“
Die Antwort war Stille – eine Stille, die von einer brodelnden Bedrohung sprach. Als die Tür einbrach, formierte sich ein kurzes, aber heftiges Gefecht in den engen Korridoren des Hauses. Kugeln prallten von den Wänden ab, Schreie und Rufe hallten durch das Gebäude.
Im Chaos und Lärm war es Roy, der den Mann entdeckte, den wir suchten. Ein hagerer, blasser Mann mittleren Alters, der ruhig in einem kleinen, fensterlosen Büro stand.
„Aberius, ich nehme an,“ sagte Roy mit einer Mischung aus Abscheu und Erleichterung.
Der Mann lächelte nachsichtig. „Die Ironie, dass diejenigen, die die Wahrheit suchen, oft die besten Werkzeuge des Schattens zerstören.“
„Ihre Wahrheit endet hier,“ sagte ich bestimmt und legte ihm die Handschellen an. „Sie haben mehr Schaden angerichtet, als Sie jemals wieder gutmachen könnten.“
Als wir den Drahtzieher abführten, fielen die letzten Puzzleteile an ihren Platz. Die Struktur, die hinter dem Mord an Yagmur stand, war aufgedeckt, und die Netzstrukturen würden in den kommenden Wochen und Monaten weiter auseinandergenommen werden.
Zurück in Hamburg, am Elbufer, wo die Lichter der Stadt sich im ruhigen Wasser widerspiegelten, fühlte ich eine seltene Welle des Abschlusses. Der Schatten, der über unserer Stadt hängte, war endlich gelüftet. Doch ich wusste, dass es immer neue Schatten geben würde – neue Herausforderungen, neue Gegner.
„Hey, Uwe,“ rief Roy und stellte sich neben mich. „Gute Arbeit, Partner.“
Ich nickte. „Danke, Roy. Ohne dich wäre das nicht möglich gewesen.“
„Was jetzt?“ fragte er.
„Jetzt? Jetzt gönnen wir uns eine Pause. Eine kurze zumindest,“ antwortete ich und schmunzelte. „Dann gehen wir zurück an die Arbeit. Es gibt immer neue Fälle, neue Wahrheiten, die ans Licht gebracht werden müssen.“
Wir standen eine Weile schweigend da, genossen den Moment des Friedens, bevor wir uns wieder in den Kampf warfen. Hamburg mochte eine Stadt der Schatten sein, aber solange es Menschen wie uns gab, die bereit waren, diese Schatten zu bekämpfen, würde die Wahrheit immer ihren Weg finden.
Der Fall Yagmur war abgeschlossen, aber die Arbeit eines Ermittlers hörte nie auf. Die Dunkelheit konnte uns herausfordern, aber wir würden immer das Licht finden. Denn das ist es, was wir tun – wir kämpfen für die Wahrheit, bis der letzte Schatten fällt.
Der Umfang dieses Ebook entspricht 140 Taschenbuchseiten.
Als bei einer Großveranstaltung im Madison Square Garden ein Catcher aus der Zuschauermenge heraus erschossen wird, glauben die Ermittler zunächst an einen Zusammenhang mit der Wett-Mafia. Aber dann müssen sie erkennen, dass sie in Wahrheit einem Wahnsinnigen auf der Spur sind, der aus ganz anderen Motiven tötet.
Sein Zeichen ist die Fliege...
Ein packender Action Thriller von Henry Rohmer.
HENRY ROHMER ist das Pseudonym des bekannten Fantasy- und Jugendbuch-Autors Alfred Bekker, der darüber hinaus Mitautor zahlreicher Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, John Sinclair und Kommissar X war und historische Romane schrieb.
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author
© 2015 der Digitalausgabe by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
www.AlfredBekker.de
postmaster @ alfredbekker . de
Der Madison Square Garden tobte.
"Kill ihn!", kam es von den Rängen.
William THE FURY Gerratti packte den MASKIERTEN RÄCHER an den Ohren. Dann versetzte er ihm einen brutalen Kopfstoß. Der MASKIERTE RÄCHER brüllte. Gerratti hakte sich mit dem Fuß in die Kniekehle seines Gegners. Gleichzeitig vollführte er einen Doppelschlag. Eine Faust bohrte sich in den Magen des MASKIERTEN RÄCHERS, die andere erwischte ihn am Kinn.
Mit einem dumpfen Geräusch fiel der MASKIERTE RÄCHER auf den Rücken. Er wirkte benommen.
Gerratti trommelte sich mit den Fäusten wie ein Gorilla auf den gewaltigen Brustkorb. Die Menge wurde dadurch noch mehr angeheizt.
"Soll ich ihn fertigmachen?", schrie Gerratti in die Menge.
Zustimmender Jubel antwortete ihm.
Den schmächtigen Schiedsrichter, der um ihn herumwieselte, packte Gerratti am Kragen und und gab ihm einen Stoß, so dass er in die Seile taumelte.
Das Gebrüll der Menge wurde geradezu ohrenbetäubend.
Der MASKIERTE RÄCHER versuchte sich wieder aufzurichten.
Aber er kam nicht mehr dazu.
Gerratti war über ihm.
Er ließ sich mit seinem gesamten Körpergewicht auf den SCHWARZEN RÄCHER fallen und rammte ihm dabei den Ellbogen in den Bauch. Gerratti sprang auf, die Arme wie ein Sieger ausgebreitet. Er schüttelte sich. Der Schweiß tropfte von seinem Körper.
Der MASKIERTE RÄCHER krümmte sich derweil am Boden.
Er sah erbärmlich aus.
Sein schmerzerfülltes Stöhnen ging im Geheul der Menge unter.
Dem verdutzten Conferencier riss Gerratti das Mikrofon aus der Hand.
"Wer ist der Champion?", krächzte er heiser in das Mikrofon hinein, das übersteuerte. Aber die Fans wussten auch so, was er rief. Es war ein Ritual. "Ich höre nichts! Wer ist der Champion?", rief er nochmals.
"THE FURY!", kam es zurück.
"Lauter!", rief Gerratti.
"THE FURY!", kam es ihm wie ein Donnerhall entgegen.
Schiedsrichter und Conferencier liefen etwas irritiert und von wachsender Nervosität erfasst durch den Ring. Die Situation war ihnen entglitten.
Aber das war ein Teil der Show.
Die Leute wollten es so.
Regelverstöße waren das Markenzeichen von THE FURY. Dafür liebten seine Fans ihn.
Gerratti stieg auf das unterste Seil. Er ballte die Fäuste und streckte sie in die Höhe. Das drahtlose Mikrofon des Conferenciers schleuderte er in die Menge.
Der Schiedsrichter hatte den MASKIERTEN RÄCHER indessen ausgezählt.
Grenzenloser Jubel brandete auf.
Gerratti stand noch immer auf dem untersten Seil und trommelte nun erneut auf seinem Brustkasten herum.
Arzt und Trainer kümmerten sich indessen um den MASKIERTEN RÄCHER, der wieder zu sich kam. Er brüllte laut auf, fletschte die Zähne. Er riss sich die schwarze Maske vom Gesicht, die Augen und den Großteil der Nase bedeckten. Seine Augen leuchteten wie irre. Er taumelte in Richtung seines Gegners. Der Kampf war für ihn noch nicht vorbei.
Schiedsrichter und Conferencier versuchten sich ihm in den Weg zu stellen, aber sie waren ihm buchstäblich nicht gewachsen. Er fegte sie mit den Armen zur Seite.
Das Publikum schrie schrill auf.
Und William THE FURY Gerratti schien nichts zu bemerken.
"Wer ist der Champion?", brüllte er heiser, während der MASKIERTE RÄCHER zu einem gemeinen Angriff von hinten ansetzte.
In dieser Sekunde ging ein Ruck durch Gerrattis Körper.
Das verzerrte Wolfsgesicht des Champions erstarrte zu einer Fratze.
Blut sickerte durch das schweißnasse Haar an seinem Hinterkopf.
Den Schuss hatte niemand hören können.
Zwei weitere Kugeln fuhren ihm in den Rücken. Die erste riss ein blutendes Loch genau zwischen die Schulterblätter, die zweite traf Gerratti in die Nieren, als er bereits vornüber fiel.
Wie ein nasser Sack plumpste sein lebloser Körper zu Boden. Die Metallroste, durch die Frischluft hereingeblasen wurde, schepperten.
Ein Raunen ging durch die Menge. Entsetzen breitete sich aus. Hier und da war das schrille Kreischen einer Frauenstimme zu hören. Tausende von Augen waren auf William THE FURY Gerratti gerichtet.
"Steh auf, FURY! Gute Show, aber jetzt ist es genug!", rief ein dicker Mann mit Halbglatze, der in der ersten Reihe saß.
Aber dann blickte er auf und sah, dass selbst das Gesicht des MASKIERTEN RÄCHERS bleich wie die Wand geworden war.
Anstatt seinen Gegner anzubrüllen, wie es seiner Rolle entsprochen hätte, ließ der furchteinflößende Catcher den Blick über die Zuschauerränge auf der anderen Seite kreisen.
Und spätestens da begriff auch der Letzte, dass das kein Teil der Show mehr war.
Das war nichts anderes als ein Mord gewesen.
Begangen vor Tausenden von Zeugen.
Das Raunen in der Menge hörte sich an wie ein drohendes Gewitter. Der Conferencier ließ sich ein neues Mikro geben.
Mit stotternden Worten versuchte er, die drohende Panik unter den Zuschauern zu verhindern. Gleichzeitig begannen sich schwarz uniformierte Männer eines privaten Sicherheitsdienstes an verschiedenen Stellen durch die Menschenmenge zu arbeiten.
Ein Arzt war indessen zu dem am Boden liegenden Gerratti gestürzt. Mehr als dessen Tod feststellen konnte er aber auch nicht.
"Bitte bewahren Sie Ruhe, Ladies and Gentlemen...", bemühte sich der Conferencier.
Vergeblich.
Das Grauen war stärker.
Kein noch so vernünftiges Argument konnte jetzt noch diese Menschenmenge unter Kontrolle halten. Das blanke Chaos brach aus...
Als ich an diesem Morgen im Büro von Mister McKee saß, war ich noch ziemlich müde. In der Nacht zuvor hatte wir eine Razzia im BLUE MOON durchgeführt, einem Glitzerschuppen, von dem wir schon lange vermutet hatten, dass er ein Umschlagplatz für Designer-Drogen war. Diese Operation saß mir jetzt noch in den Knochen. Aber wenn ich mir die anderen Gesichter der FBI-Agenten ansah, die sich im Büro unseres Chefs versammelt hatten, war ich nicht der einzige.
Ich nippte an meinem Kaffee.
Mein Freund und Kollege Milo Tucker schien meinen Gesichtsausdruck bemerkt zu haben. Er saß neben mir.
"Mandy hat Urlaub", raunte er mir zu.
"Das erklärt alles", erwiderte ich.
Mandy war die Sekretärin unseres Chefs. Und ihr Kaffee war im gesamten Hauptquartier des FBI-Districts New York eine Legende. Das Gebräu, das ich jetzt vor mir hatte, konnte damit auf keinen Fall konkurrieren.
Außer Milo und mir waren noch Agent Medina und Agent Clive Caravaggio anwesend.
"Sie werden von dem jüngsten Vorfall im Madison Square Garden gehört haben", begann Mister McKee. Natürlich hatten wir das. Das war gar nicht zu vermeiden. Schließlich waren sämtliche Zeitungen und die Nachrichten in Fernsehen und Radio voll davon. "Vorgestern ist bei einem von der World Wrestling Association ausgetragenen Kampf im Freistil-Catchen der Star des Abends umgebracht worden, ein gewisser William Gerratti. Er mag dem einen oder anderen, der an dieser Sportart interessierter ist als ich, vielleicht unter dem Namen THE FURY ein Begriff sein."
"Ich habe nur die Plakate vor dem Madison Square Garden gesehen", sagte Orry Medina, ein Special Agent indianischer Abstammung, der als bestangezogendster G-man des Districts galt.
Mister McKee schaltete einen Projektor ein und zeigte uns erst einige Aufnahmen von Gerratti, dann vom Tatort.
"Es gibt sogar eine Videoaufnahme des Geschehens", erklärte Mister McKee dann. "Ein Kabelsender, der sich auf Catchen spezialisiert hat, hat den Kampf nämlich live übertragen. Die Aufnahme stelle ich Ihnen für die Ermittlungen zur Verfügung.
Aber zunächst möchte ich Ihnen die Ermittlungsergebnisse kurz darlegen, die unsere Kollegen von der Homicide Squad des zuständigen Reviers der City Police bereits gewonnen haben.
Vielleicht haben Sie die entscheidenden Ausschnitte der Videoaufzeichnung ohnehin schon im Frühstücksfernsehen bewundern können." Mister McKee schüttelte angewidert den Kopf.
"Das, was da im Madison Square Garden passiert ist, ist schlimm genug. Aber die Art und Weise, wie manche Medien das ausbeuten, gefällt mir ebenfalls nicht."
Anhand mehrerer weiterer Aufnahmen erläuterte Mister McKee uns den Tathergang, so wie er bisher rekonstruiert worden war. Der Täter hatte aus dem Publikum heraus geschossen. Die Ballistiker hatten inzwischen sogar feststellen können, von welchem Platz aus. In der allgemeinen Panik hatte der Täter dann unerkannt flüchten können. Die Leute waren aus dem Garden gestürzt und hatten die Sicherheitsleute und Ordner einfach über den Haufen gerannt. Einige Dutzend Verletzte waren mit Prellungen und Knochenbrüchen in Krankenhäuser eingeliefert worden.
Insgesamt ein halbes Dutzend Personen glaubten, den Täter beobachtet zu haben.
Die City Police hatte ihre Aussagen aufgenommen, aber sie waren dermaßen unterschiedlich, dass ihr Wert gleich Null war.
Vermutlich hatte keiner dieser Menschen wirklich etwas gesehen.
Bei den verwendeten Projektilen handelte es sich um Kugeln vom Kaliber 38.
"Wieso ist das unser Fall?", erkundigte ich mich.
Mister McKee hob die Augenbrauen. "Dazu komme ich sofort, Jesse." Er hielt eine Fernbedienung in der Hand, mit der er den Projektor bediente. Das Gesicht eines Mannes in den mittleren Jahren erschien jetzt an der Wand. "William Gerratti hatte Verbindungen zur Unterwelt. Insbesondere zu Sly Jordan!"
"Dem Wettkönig aus der Lower East Side?", meinte Milo.
Mister McKee nickte.
"Genau! Jordan ist eine große Nummer im illegalen Glücksspiel und Wettgeschäft. Er betreibt mehrere Bars und ein paar Wettbüros. Außerdem vermuten wir, dass er in großem Maßstab Wettbetrug betreibt. Abgesprochene Pferdewetten und manipulierte Kämpfe beim Boxen und Catchen. Allerdings ist bislang nichts Gerichtsverwertbares dabei herausgekommen. Sly Jordan macht sich selbst die Hände nicht schmutzig. Dafür hat er seine Leute. Im letzten Jahr wollte ein Aussteiger aus Sly Jordans Organisation als Kronzeuge aussagen. Er wurde auf dem Weg zum Staatsanwalt von einem Scharfschützen erschossen. Dass Sly Jordan dafür den Auftrag gab, konnte nie bewiesen werden."
"Und weshalb sollte er etwas mit dem Tod von William, THE FURY Gerratti zu tun haben?", fragte Milo.
"Gerratti stand praktisch auf der Gehaltsliste von Jordan. Jedenfalls sagen uns das unsere Informanten. Aber es gibt auch andere Anhaltspunkte, die das mehr als nahelegen. Gerrattis Manager hat früher für Jordan gearbeitet. Mit Jordans Geld ist Gerratti aufgebaut worden."
"Und je nach dem, wie die Wettquoten standen, ist Gerratti dann entweder umgefallen oder als Sieger vom Platz gegangen!", schloß Caravaggio. Der flachsblonde Italo-Amerikaner schlug die Beine übereinander.
Mister McKee zuckte die Achseln. "Es spricht sehr viel für diese Vermutung. Jedenfalls soll Gerratti sich mit seinem Mentor verkracht haben. Gerade jetzt, wo er groß im Kommen war und für Jordan richtig Geld gebracht hätte!"
"Und deshalb musste er sterben?", fragte ich.
"Es wäre nicht das erste Mal, Jesse, dass Sly Jordans Leute aus seinem Imperium, die nicht parieren, wenig später auf mysteriöse Weise eine Kugel in den Schädel bekommen! Jordan ist, was das angeht nicht unbedingt ein kalt kalkulierender Unterwelt-Boss. Er kann mitunter sehr emotional reagieren. Sein nachtragender Hass ist berüchtigt. Eine Beleidigung genügt und ihm brennen sämtliche Sicherungen durch..."
"Klingt nicht gerade nach jemandem, den ich näher kennenlernen möchte", raunte mir Milo zu.
"Gehört wohl leider zum Job", erwiderte ich.
Mister Jonathan D. McKee wandte sich an Orry. "Sie und Clive ermitteln bitte am Tatort. Nehmen Sie sich jedes Detail noch einmal unter die Lupe und arbeiten Sie dabei mit Captain Krings, dem Leiter der zuständigen Mordkommission zusammen. Insbesondere möchte ich, dass Sie sich mit den Organisatoren des Catch-Events in Verbindung setzen und ermitteln, ob es vielleicht im Vorfeld des Attentats irgendwelche Auffälligkeiten gab."
Orry Medina nickte.
"In Ordnung, Sir."
Mister McKee vollführte eine halbe Drehung in meine Richtung.
"Sie und Milo ermitteln in Gerrattis Umfeld... Es wäre nicht schlecht, wenn wir Sly Jordan endlich mal festnageln könnten!"
"Leichter gesagt als getan", erwiderte ich. Mordaufträge gehörten leider zu den am schwersten nachweisbaren Delikten.
Es war viel leichter denjenigen dingfest zu machen, der sich dafür hergab, eine Waffe abzudrücken. Denn so geschickt er sich dabei auch immer anstellen mochte, er hinterließ ganz sicher mehr Spuren als sein Auftraggeber.
William Gerratti hatte zuletzt in einer Villa auf den Brooklyn Heights gewohnt. Erst vor einem halben Jahr war er dort eingezogen. Das äußere Zeichen dafür, dass er es geschafft hatte. Jetzt empfing uns dort seine junge Frau Glenda. Sie war dunkelhaarig und zierlich. Neben ihrem Mann musste sie geradezu winzig gewirkt haben.
Glenda Gerratti trug ein schwarzes Kleid, als sie uns empfing.
Verwundert nahm sie unsere FBI-Ausweise zur Kenntnis.
"Ich habe doch schon alles, was ich wusste, der Polizei gesagt", erklärte sie. "Und jetzt noch einmal Ihnen..."
"Tut uns leid, Ma'am, aber...", begann ich.
"Sie können ja nichts dafür, Mister..."
"Trevellian. Und dies ist mein Kollege Milo Tucker."
Sie führte uns in ein luxuriös ausgestattetes Wohnzimmer.
In einer Glasvitrine waren die Pokale und Medaillen aufgereiht, die Gerratti gewonnen hatte. Es sah aus wie ein Schrein.
"Vorgestern Abend wurde dieses schreckliche Attentat verübt", sagte sie mit vor der Brust verschränkten Armen. "Und seitdem habe ich Stunden damit zugebracht, Polizisten Rede und Antwort zu stehen." Sie schluckte. Der Schmerz war ihr deutlich anzusehen. "Sie haben ja keine Ahnung von dem, was jetzt alles auf mich einstürzt."
"Wir werden Sie bestimmt nicht länger belästigen, als unbedingt nötig, Mrs. Gerratti", sagte ich.
Und Milo fragte: "Seit wann waren Sie verheiratet?"
"Seit einem Jahr."
"Was haben Sie gemacht, bevor Sie Mister Gerrattis Frau wurden?"
"Ich habe in einer Bar namens LA ISLA BONITA gearbeitet. In der 42. Straße. Dort habe ich William kennengelernt. Es war Liebe auf den ersten Blick, wie man so schön sagt." Sie atmete tief durch und rieb nervös die Handinnenflächen gegeneinander. LA ISLA BONITA gehörte zu den Läden, die unter Kontrolle von Sly Jordan standen.
"Möchten Sie etwas trinken?", fragte Glenda.
Wir schüttelten beide den Kopf.
"Dann nehmen Sie doch wenigstens Platz."
Wir ließen uns in den gewaltigen Ledersesseln nieder.
Ich beugte mich etwas vor und fragte: "Ihr Mann hatte ziemlich engen Kontakt zu Sly Jordan."
"Aus Williams Geschäften habe ich mich immer herausgehalten. Er hätte es auch gar nicht geduldet, wenn ich mich da eingemischt hätte..."
Sie sah mich nicht an, als sie das sagte.
"Ihr Mann soll sich mit Sly Jordan überworfen haben", sagte ich.
"Wer sagt das?"
"Es wird so herumerzählt."
"Ich kann nichts Negatives über Mister Jordan sagen", erklärte sie schließlich. "Ich kannte ihn noch aus der Zeit, als ich im LA ISLA BONITA gearbeitet habe. Er war immer sehr nett."
"Haben Sie mal erlebt, wie Ihr Mann sich mit Jordan gestritten hat?"
"Ja, letzte Woche am Telefon. Ich weiß allerdings nicht mit Sicherheit, dass Jordan am anderen Ende der Leitung war."
"Worum ging es?", fragte ich.
"Keine Ahnung. Ich habe William hinterher danach gefragt, ob es Ärger gäbe."
"Und? Was hat er geantwortet?"
"Er hat gesagt, ich solle mir keine Sorgen machen. Es sei nichts Ernstes. Allerdings habe ich ihm das nicht geglaubt."
"Warum nicht?"
"Weil er wie ein Verrückter hinter seinem Manager hertelefoniert hat."
"Hat er ihn erreicht?"
"Muss wohl. Am Tag darauf hat er sich mit Jim Jenkins, seinem Manager, getroffen. Es war hier in diesem Zimmer. Die beiden hatten etwas ziemlich Wichtiges zu besprechen, und mein Mann war sehr erregt."
Ich fragte: "Haben Sie davon etwas davon mitbekommen, worum es ging?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Leider nein."
"Jim Jenkins war früher für Sly Jordan tätig, oder?"
"Das weiß ich nicht. Schon möglich. Wie gesagt, Mister Trevellian: Mein Mann war der Ansicht, dass Frauen sich nicht ins Geschäft einzumischen hätten." Sie atmete tief durch und wischte sich mit einer fahrigen Bewegung eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Ich frage mich allerdings, was das alles mit dem Tod meines Mannes zu tun haben soll..." Sie musterte mich. Ihre Augenbrauen bildeten dabei eine Schlangenlinie. "Sehen Sie lieber zu, dass Sie diesen Verrückten kriegen, der William einfach so abgeknallt hat! Wie einen Hund!" Sie schluchzte auf.
"Das versuchen wir, Ma'am", sagte ich vorsichtig. "Und ich verspreche Ihnen, dass wir alles tun werden, um den Mörder Ihres Mannes zu finden."
"Und was soll dann diese ganze Fragerei nach Sly Jordan? Glauben Sie denn, dass er etwas damit zu tun hat?"
"Wir können nicht ausschließen, dass es sich um einen Auftragsmord handelt, Mrs. Gerratti", sagte ich.
Sie erriet meine Gedanken.
"Und Sie glauben, dass Sly Jordan der Auftraggeber des Killers war?"
Ich sah sie an.
"Bis jetzt ist noch alles offen", sagte ich. "Aber wir müssen jede Möglichkeit in Betracht ziehen..."
"Da haben Sie natürlich recht."
"Können wir uns etwas im Haus umsehen? Uns interessieren vor allem Mister Gerrattis persönliche Dinge..."
Sie blickte auf. Ihr Gesicht wurde jetzt von einer leichten Röte überzogen. "Sie wollen sicher wissen, wer sein Vermögen erbt und ob es eine Lebensversicherung gibt", erklärte sie dann mit galligem Unterton. Sie erhob sich.
Dabei sah sie mir direkt in die Augen.
Milo und ich standen ebenfalls auf.
"Es wäre schon wichtig für uns, seine finanziellen Verhältnisse zu kennen..."
"Ich nehme an, dass ich mich gegen Ihre Wünsche wohl kaum wehren kann..."
"Sie haben Ihren Mann geliebt", sagte ich. Nicht als Frage, sondern als Feststellung.
Sie schluckte. "Ja", flüsterte sie sichtlich bewegt.
"Das Einzige, was Sie jetzt noch für ihn tun können ist, uns zu unterstützen, Ma'am. Damit wir den Mörder finden, der William Gerratti auf dem Gewissen hat. Auch wenn es für Sie vielleicht schmerzlich ist."
Sie nickte. "Gut", sagte sie. "Sie haben freie Hand. Tun Sie, was immer Sie für notwendig halten. Und damit Sie es sich nicht mühsam aus Wills Unterlagen heraussuchen müssen, sage ich gleich auch noch folgendes: Ja, es gibt eine Lebensversicherung zu meinen Gunsten. William meinte, dass das notwendig sei. Catchen ist ein brutaler Sport - obwohl es nicht halb soviel Verletzungen wie beim American Football gibt. Aber ein Risiko ist natürlich immer dabei. William war sicher vermögender als ein Special Agent des FBI. Aber er war nicht so reich, wie viele vermuten. Er befand sich am Anfang einer großen Karriere. Trotz des Erbes und der Lebensversicherung werde ich dieses Haus zum Beispiel nicht halten können."
"Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit", sagte ich. "Hatten Sie einen Ehevertrag?"
"Ja. Im Fall einer Scheidung wäre ich leer ausgegangen. Sie können mich also ruhig auf die Liste der Verdächtigen setzen. Aber ich habe Will geliebt. Unsere Ehe war glücklich."
"So war es nicht gemeint", sagte ich.
"Doch, Mister Trevellian, das war es. Auch wenn Sie etwas mehr Charme haben, als Ihre Kollegen von der Mordkommission."
Wir durchsuchten Gerrattis Sachen sehr gründlich. Jeden Beleg, den wir in seinem Schreibtisch fanden, seinen Terminkalender und das Adressregister. Glenda Gerratti beobachtete uns dabei. Schließlich hörten wir den Anrufbeantworter ab.
"Ich bin seit Wills Tod noch nicht dazu gekommen", sagte sie. "Außerdem wollte ich niemanden sprechen. Den ganzen Tag über klingelte es. Eine Presseagentur nach der anderen. Ich hatte einfach nicht den Nerv, um mit irgendjemandem von den Medien zu reden..."
"Das verstehe ich gut", erklärte ich.
Wir gingen die Anrufe einzeln durch. Das meiste war tatsächlich aus dem Presse- und Medienbereich. Jeder dieser News-Geier wollte der Erste sein, der mit der Witwe sprach.
Glenda Gerratti hätte eine Menge Geld verdienen können, wenn sie abgehoben und irgendeines dieser Angebote angenommen hätte.
"Glenda, hier ist Sly Jordan", meldete sich dann irgendwann eine Stimme. "Glenda, ich weiß, dass du zu Hause bist, also nimm ab. Es ist wichtig. Wir müssen miteinander reden, bevor..." Er brach ab. "Du weißt schon. Ich versuche es später nochmal."
Tatsächlich hatte es Sly Jordan insgesamt dreimal versucht.
"Was kann er von Ihnen gewollt haben, Mrs. Gerratti?", erkundigte sich Milo.
"Ich weiß es nicht."
"Es klang sehr dringend."
"Ja, ich habe wirklich keine Ahnung, worum es ihm gegangen sein könnte. Vielleicht ruft er ja nochmal an, dann kann ich Ihnen Näheres sagen. Oder Sie fragen ihn selbst."
"Das werden wir bestimmt noch tun", kündigte ich an.
Wir untersuchten auch William Gerrattis Garderobe. Seit er reich geworden war, schien er ein Faible für Maßanzüge entwickelt zu haben. Allerdings waren das bei seiner muskulösen Bodybuilder-Figur vermutlich auch die einzigen, die er tragen konnte. Er hatte mehrere Dutzend davon. Manche waren vom Schnitt und von der Farbgebung her ziemlich extravagant und schrill. Aber die Stoffe waren immer erste Wahl, die Verarbeitung excellent. In einer der Jacketts fand Milo einen Brief in der Innentasche.
Adressiert war er mit einer Schreibmaschine, deren Typen schon seit Jahrzehnten nicht gereinigt zu sein schienen. Die beiden kleinen r in 'William Gerratti' waren nur noch kleine, schwarze Schmierpunkte.
Ein Absender war nicht vorhanden.
Der Umschlag war an der Oberseite aufgerissen.
Milo holte eine weiße Pappkarte heraus, die in der Mitte gefaltet war.
Außen trug sie keinerlei Beschriftung. Einfach ein Stück dünner Karton mit Glanzbeschichtung.
Milo öffnete die Karte.
Innen gab es auch keinerlei Beschriftung. Dafür etwas anderes höchst Merkwürdiges. Eine dicke Fliege war mitten auf dem weißen Karton aufgeklebt.
"Hast du so etwas schonmal gesehen?", fragte Milo angewidert.
Ich schüttelte den Kopf.
"Sollen wir Wetten darüber abschließen, ob die Fliege echt ist?"
"Sie ist echt", meinte Milo. "Ich hoffe nur, dass sie nicht noch gelebt hat, als dieser Spinner sie auf die Post gab."
Ich sah mir den Umschlag an. Laut Stempel war er in Yonkers abgeschickt worden. Ich fragte Glenda, warum ihr Mann diese Karte bei sich gehabt hatte. "Sie muss eine besondere Bedeutung für ihn gehabt haben", war ich überzeugt. Aber Glenda war da anderer Auffassung.
"Er hatte die Angewohnheit, solche Sachen einfach einzustecken und dann zu vergessen. Was glauben Sie, was ich alles aus seinen Taschen schon herausgeholt habe, bevor ich sie in die Reinigung geben konnte."
"Wissen Sie, was es mit diesem Brief auf sich hat?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Nein, keine Ahnung. Aber wissen Sie, Fans sind manchmal seltsam. Besonders Wrestling-Fans. William hat des öfteren Geschenke bekommen, über die normale Menschen nur den Kopf schütteln können..."
Ein scharfer Schweißgeruch kam uns entgegen, als wir die Räume von McCalls Wrestling School in der Lower East Side betraten. Jack McCall war Gerrattis Trainer gewesen. Und hier, in McCalls Catcher-Schule war THE FURY groß gewordem.
McCall war nicht nur ein wichtiger Zeuge, von dem wir uns weitere Informationen zu Gerrattis Lebensumständen erhofften.
Er war auch bei dem Attentat dabeigewesen. Auf dem Videoband der Live-Übertragung war er deutlich zu sehen. Er hatte seinen Schützling während des Kampfes betreut.
Dumpfe Schlaggeräusche waren zu hören. Riesige Kerle in durchschwitzten T-Shirts droschen bis zur Besinnungslosigkeit auf Sandsäcke ein. In einem der Sparrings lief gerade ein Trainingskampf zwischen einem gewaltigen Schwarzen und einem Weißen mit Gorilla-Gesicht und einer blonden Lockenmähne, die wie eine Parodie auf einen Rauschgoldengel wirkte.
Ein kleiner, hagerer Mann, der in seiner hektischen Art etwas von einem Wiesel hatte, trat uns entgegen. Er sah uns aus tiefen Augenhöhlen an.
"Heh, was wollen Sie hier! Hier hat nicht einfach jeder Zutritt und kann glotzen!"
Ich holte den Ausweis heraus.
Als der Hagere das FBI-Emblem sah, verlor sein Gesicht den letzten Rest von Farbe. Er schluckte.
"Ich bin Special Agent Jesse Trevellian und dies ist mein Kollege Agent Tucker", stellte ich uns vor. "Ist Mister McCall zu sprechen?"
"Mister McCall ist nicht da". sagte der Hagere. "Tut mir leid für Sie."
"Haben Sie Ahnung, wo er sein könnte?", fragte ich.
"Zu Hause, nehme ich an."
"Da meldet sich niemand. Wir haben mehrfach versucht, ihn anzurufen."
Inzwischen war es sehr still im Raum geworden. Niemand kümmerte sich noch um einen Sandsack und auch im Sparring wurde eine Pause eingelegt. Mit vor der Brust verschränkten Armen standen die Catcher da und beobachteten uns.
"Gibt' es Probleme, Speedy?", fragte der Blonde. Er stieg aus dem Ring heraus. Sein schwarzer Trainingskontrahent folgte diesem Beispiel.
Die beiden bauten sich rechts und links von dem Hageren auf und wirkten jetzt fast wie eine Begleiteskorte.
"Was wollen Sie?", knurrte der Blonde in meine Richtung.
"Wir ermitteln im Mordfall William Gerratti", sagte ich ruhig.
"Die Mordkommission war schon hier und hat uns alle befragt. Warum interessiert sich das FBI für den Fall?"
"Irgendetwas dagegen einzuwenden, wenn sich ein paar Leute mehr darum kümmern, einen Attentäter zu fassen?", fragte ich.
Der Blonde funkelte mich mit seinen blassblauen Augen an.
Und dann machte er noch einen Schritt nach vorne und baute sich vor mir auf. Er war einen halben Kopf größer als ich. Es war unverkennbar, dass er mich durch seine physische Erscheinung einschüchtern wollte. Er entblößte zwei Reihen völlig gleichmäßig wirkender Zähne, bei denen ich mich fragte, wie sie bei einem wie ihm noch echt sein konnten. Den Zeigefinger drückte er mir wie den Lauf einer Waffe auf das Jackett-Revers. "Hör zu, G-man! Ich mag es nicht, wenn man mich für dumm verkauft!"
"Ich auch nicht", erwiderte ich kühl.
"Wenn das FBI sich mit so einem Fall befasst, dann muss es dafür besondere Gründe geben..."
"Schon mal was von organisiertem Wettbetrug und frisierten Kämpfen gehört?", fragte ich.
Die Muskeln des blonden Riesen spannten sich.
Er atmete tief durch. Es schien ihn einige Mühe zu kosten, sich zu beherrschen.
Speedy, der Hagere, versuchte ihn zu besänftigen.
"Ganz ruhig, Ricky! Hör dir erstmal an, was der G-man zu sagen hat, ja?"
Der Blonde drehte sich herum und wischte sich mit der Hand durch das verschwitzte Lockenhaar. Dann gab er einem der Sandsäcke einen Tritt und ließ ihn wie einen Pendel durch die Gegend schwingen.
"Die Sache geht Ricky ziemlich nahe", meinte Speedy. "Er ist an demselben Abend in einem der Vorkämpfe aufgetreten. Der Schuss hätte auch ihn treffen können..."