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Diese Ausgabe enthält folgende Western: Neal Chadwick: Der Stern im Staub: Western Alfred Bekker: Nelsons Rache Pete Hackett: Dein ist die Rache, Carrie Pete Hackett: Marshal Logan und die blutige Heimkehr Pete Hackett: Marshal Logans Wettlauf mit der Zeit Vier brutale Männer überfallen die Familie Hayes. Nur die älteste Tochter Carrie überlebt und macht sich nun allein auf den gefährlichen Weg den Tod ihrer Familie zu rächen. Wird sie die Mörder zur Rechenschaft ziehen können oder selbst unter die Räder geraten?
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Seitenzahl: 650
Veröffentlichungsjahr: 2025
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5 Großartige Western in einem Band Oktober 2025
Copyright
Der Stern im Staub: Western
Nelsons Rache
Dein ist die Rache, Carrie
Marshal Logan und die blutige Heimkehr
Marshal Logans Wettlauf gegen die Zeit
Titelseite
Cover
Inhaltsverzeichnis
Buchanfang
Diese Ausgabe enthält folgende Western:
Neal Chadwick: Der Stern im Staub: Western
Alfred Bekker: Nelsons Rache
Pete Hackett: Dein ist die Rache, Carrie
Pete Hackett: Marshal Logan und die blutige Heimkehr
Pete Hackett: Marshal Logans Wettlauf mit der Zeit
Vier brutale Männer überfallen die Familie Hayes. Nur die älteste Tochter Carrie überlebt und macht sich nun allein auf den gefährlichen Weg den Tod ihrer Familie zu rächen. Wird sie die Mörder zur Rechenschaft ziehen können oder selbst unter die Räder geraten?
CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author /
© dieser Ausgabe 2025 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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Alles rund um Belletristik!
von NEAL CHADWICK
Der Stern im Staub – Ein moderner Western von Neal Chadwick
Red Creek: Eine Stadt im Staub, gefangen zwischen Gier, Angst und dem Traum von Gerechtigkeit. Als der Fremde Luke Calder in die Stadt kommt, ahnt niemand, dass er alles verändern wird. Mit Mut, einer ruhigen Hand und einem unbeugsamen Sinn für Recht stellt er sich dem mächtigen Silberbaron Cain Mercer und seinen skrupellosen Männern entgegen.
Doch Red Creek ist mehr als nur eine Bühne für Schießereien: Hier kämpfen Männer um Würde, Zusammenhalt und eine Zukunft, die ihnen gehört. Zwischen korrupten Marshals, gefährlichen Intrigen und einem erbarmungslosen Kampf um Wasser und Freiheit wächst eine Gemeinschaft über sich hinaus.
Atmosphärisch, spannend und tiefgründig – „Der Stern im Staub“ ist ein Western, der klassische Motive neu erzählt: Mit starken Charakteren, messerscharfen Dialogen und einer Geschichte, die lange nachhallt.
Für alle, die Western lieben – und für alle, die entdecken wollen, wie aktuell sie sein können.
Jetzt bestellen und den Staub von Red Creek spüren!
1
Als der Mann mit dem vernarbten Ohr die Schwingtür zur Schmiede aufstieß, wusste Harlan Pike, dass er heute keinen Huf beschlagen würde.
Pikes Hände ruhten noch auf dem Eisen, das er aus dem Feuer gezogen hatte. Orange glühte es, zischelnd hielt es dem Luftzug entgegen. Der Schmied blinzelte Schweiß von der Stirn und zwang sich, ruhig zu atmen. Zwei weitere Männer traten hinter dem Vernarbten durch die Tür, der eine groß wie ein Bär, mit roten Haaren, der andere schmal, mit schmalen Augen und einem Schnurrbart, der seine Lippe schattierte wie ein schwarzer Strich.
Der Vernarbte nahm den Hut nicht ab. Er hatte eine Narbe, die von der Ohrmuschel die Wange hinabzog und am Hals verschwand, als habe jemand ihn mit einem stumpfen Messer markieren wollen.
„Morgen, Harlan“, sagte er.
Pike legte das glühende Eisen behutsam auf den Amboss und griff zur Zange. Der Hammerschlag blieb aus. Der große Rote ließ die Schwingtür zurückfahren, sie schlug gegen den Pfosten und blieb stehen. Ein Windstoß schob Staub ins Halbdunkel der Schmiede. Draußen war die Straße bereits leerer geworden, wie immer, wenn man diese drei kommen sah.
Der Vernarbte hieß Cal Reese. Er lächelte nicht, wenn er lächelte. Seine Lippen bewegten sich, sein Blick blieb kalt.
„Ich…“, begann Harlan Pike, und seine Stimme klang rau, als käme sie von weit her. „Cal, ich hab erst am Ende der Woche wieder genug. Ich hab’…“
Reese hob die Hand, und Pikes Worte versiegten. Der Rote, dessen Hände so groß waren wie Schaufeln, trat einen Schritt vor. Der Schmale tat nichts. Er stand einfach da, die Augen so, als wären sie an der falschen Stelle im Kopf angemalt.
„Cain Mercer ist ungeduldig“, sagte Reese, als spreche er über das Wetter. „Du weißt, wie wenig er wartet.“
Der Name hing schwer in der Luft. Mercer. Silver King von Red Creek. Mann, der die Armut der anderen in Silbererze verwandelt hatte. Mann, der die Bleiantwort kannte auf jede Frage.
„Ich hab den Ofen nur an für zwei Pferde heute“, sagte Pike. „Der Marshal…“
„Der Marshal hält die Straße sauber von Staub“, unterbrach Reese. „Und von Menschen, die zur falschen Zeit am falschen Ort stehen. Mercer hält die Stadt sauber von Gedanken, die ihm nicht passen. Und du, Harlan, hältst besser sauber, was du versprochen hast.“
Pike nickte, mehrmals, als könne er sich selbst überzeugen. Er griff hinüber zu einer Schublade unter der Werkbank. Die Zange in seiner Hand klapperte leise, als sie das Holz berührte. Seine Finger fühlten schwerer als Eisen.
„Ich… ich hab‘ fünfzehn Dollar. Mehr ist nicht.“ Er legte die Scheine hin. Sie waren abgegriffen, wie alles in Red Creek, das zu oft die Hand gewechselt hatte.
Reese blickte nicht einmal hin. Der Schmale tat das. Er zählte mit schnellen Augen, ohne die Hand zu heben. „Zu wenig“, sagte er.
„Nächste Woche ist Lohn…“, Harlan schluckte. „Ich gebe euch alles, was…“
Der Rote lachte. Es war ein dumpfes, freudloses Geräusch. „Alles, he?“
Reese trat einen Schritt näher. Pike roch Tabak bei ihm, billig, trocken, wie brennendes Heu. „Mercer mag keine Schulden. Schulden lassen Männer auf dumme Gedanken kommen.“ Er beugte sich vor, so dass Harlan den feinen weißen Rand der Narbe sah. „Ich auch nicht.“
Pike machte den Fehler, auf das glühende Eisen am Amboss zu sehen, dann auf die Zange in seiner Hand. Reese’ Blick folgte ihm, ruhig, ohne Eile. Vielleicht wäre jetzt der Moment gewesen. Vielleicht. Und vielleicht wäre er nur ein anderer dummer Schmied geworden, dessen Frau später am Holzpflock weint.
„Nicht“, sagte Reese, und seine Hand lag auf dem Kolben des Colts. „Wir machen es heute freundlich, Harlan. Der Rote nimmt die fünfzehn Dollar mit. Und du gibst uns die Zange da.“ Er deutete auf ein neues Werkzeug, das Pike erst letzte Woche aus El Paso bekommen hatte. Ein gutes Werkzeug. Eines, das Arbeit erleichterte. Dinge, die man sich selten leisten konnte.
„Die Zange ist…“
„Deine Frau hat den Herd, nicht wahr?“ Reese lächelte jetzt. Es sah aus wie ein Riss in hart gewordenem Teer. „Ich will nicht, dass sie friert.“
Harlan Pike stand da, die Hände in Schwielen, der Rücken krumm, das Herz irgendwo in den Stiefeln. Dann legte er die Zange hin, so als wäre sie schwerer als ein Sack Eisen.
„Gut“, sagte Reese leise. „So, wie’s sein soll in Red Creek.“
Der Rote nahm die Zange, als nehme er einem Kind das Spielzeug. Der Schmale steckte die fünfzehn Dollar ein. Cal Reese wandte sich zum Gehen, spielte mit der Schwingtür wie ein Mann, der nichts eilig hat.
Dann blieb er stehen, an der Schwelle, halb im Licht, halb im Schatten. „Hast du den Artikel gelesen?“, fragte er.
„Welchen?“
„Die Gazette hat gestern geschrieben, dass Cain Mercers Waagen schief stehen.“ Reese zog die Schultern. „Schief stehen viele Dinge in Red Creek. Aber die Gazette sollte nicht darüber schreiben.“
Harlan sagte nichts. Er hatte den Artikel gelesen. Er kannte die Hand, die die Buchstaben gesetzt hatte. Er kannte auch die Frau, die hinter dieser Hand stand.
Reese nickte, so als habe er Pikes Schweigen verstanden. „Heute Mittag ist Beerdigung. Der Pastor hat die Glocken schon gefragt, ob sie bereit sind.“
„Wer ist gestorben?“, fragte Pike, obwohl er es wusste, weil es in der Luft lag wie Metallgeschmack.
„Jemand, der dachte, Tinte wäre dicker als Blut.“
Reese ging hinaus. Er ließ die Tür diesmal nicht schlagen. Harlan stand da und hörte den Amboss kalt werden.
Die Glocken von Red Creek begannen zu schlagen.
2
Der Kaffee schmeckte nach verbrannter Erde, und Luke Calder hätte geschworen, dass er einmal bessere Kaffeebohnen gesehen hatte, irgendwo zwischen Santa Fe und den Smoky Hills. Er saß am Rand eines Mesquite-Buschs, die Knie angezogen, die Decke über den Schultern, das Pferd graste im Kreis seines Lassos.
Der Morgen roch nach Staub und nach dem Versprechen eines heißen Tages. Die Ebene vor ihm lag flach und gelb, als hätte Gott sie aus einem alten Hemd geschnitten.
Calder war früh aufgestanden. Er kannte die morgendliche Kühle, die einem den Kopf klar machte, bevor die Hitze das Denken schwer werden ließ. Sein Bart war zu lang, sein Hemd zu dünn an den Ellenbogen, und sein Blick zu aufmerksam für einen Mann, der behauptete, nichts als Staub an den Stiefeln mit sich zu bringen.
Er hatte schon vieles mitgemacht. Kavalleriescout in blauen Jahren, Rinderfahrer, Kartenleger, Gelegenheitsdetektiv für einen New Yorker Anwalt, der glaubte, die Welt ließe sich aus Aktenordnern verstehen. Luke Calder hatte gelernt, dass die Welt aus Männern bestand, die ihre Hände auf die Dinge legten, die ihnen nicht gehörten, und aus anderen, die dabei wegschauten.
Er hob den Becher, trank den Kaffee durstig, obwohl er schlecht war, und lauschte. Da war das Geräusch. Hufe. Drei, vielleicht vier Pferde. Er legte den Becher beiseite und ließ seine rechte Hand in die Nähe der Waffe fallen, die am Gürtel hing. Seine Linke blieb ruhig auf dem Knie.
Die Reiter kamen näher. Ein kleiner Windstoß brachte ihnen den Staub voraus. Luke blieb sitzen. Er hatte nichts zu verbergen, außer ein paar Gedanken und Narben.
Die Männer kamen so, wie Männer kommen, die es gewohnt sind, dass andere ihnen Platz machen: die Pferde schräg, die Kinnlade nach vorne, der Blick tastete, als wäre er eine Peitsche. Der vorne hatte einen schwarzen Mantel, obwohl die Sonne ihn bald dafür bestrafen würde, und eine Narbe am Ohr.
„Morgen“, sagte Calder.
„Morgen“, sagte der Vernarbte.
Luke musterte die anderen. Ein Riese mit roten Haaren. Ein Schmaler mit Augen, die einen nicht ansahen, sondern irgendwo hinter einem suchten. Eine silberne Anstecknadel blitzte am Mantel des Vernarbten. Ein stilisiertes C, das man in Red Creek kannte. Cain Mercer ließ seine Männer gerne markieren wie sein Vieh.
„Dies ist Land von Mercer Consolidated“, sagte der Vernarbte, ohne Zeit zu verlieren. „Wegezoll.“
„Wie viel?“, fragte Luke höflich.
„Was du hast“, sagte der Rote, und es klang, als sei das eine gute Zahl.
„Dann bleibt nicht mal mehr Kaffee für euch“, sagte Calder. Sein Lächeln war dünn. „Ich bin auf dem Weg nach Red Creek. Vielleicht gibt’s da Arbeit.“
„Gibt’s“, sagte der Schmale. „Immer. Die Frage ist, für wen.“
„Für Mercer“, sagte der Vernarbte, und es klang, als gäbe es nichts anderes.
Luke zuckte mit den Schultern. „Ich hab‘ für viele gearbeitet.“ Er nickte in die Ebene, als wolle er sagen: Hier draußen sind die Namen so lang wie die Schatten am Abend.
Der Vernarbte ließ die Hand in der Nähe seiner Waffe. Luke ließ seine dort, wo sie war. Ein Vogel schrie irgendwo im Gebüsch. Die Pferde schnaubten.
„Wir fangen klein an“, sagte der Rote. „Sattel. Winchester. Der Mantel gefällt mir auch.“
„Der Mantel gehört der Nacht“, sagte Luke und stand langsam auf. Er machte keine plötzlichen Bewegungen. Er hatte gelernt, dass Männer in Mänteln plötzliche Bewegungen nicht mochten, es sei denn, sie machten sie selbst.
„Nicht nötig, einen Streit anzufangen, wo keiner sein muss“, fuhr Luke fort. „Ich will in die Stadt. Ihr wollt in die Stadt. Ich hab‘ zwei Taschen Bohnen, die ich nicht mehr brauche. Und ich hab keine Lust, wegen Bohnen zu sterben.“
Der Vernarbte kniff ein Auge zu. Es sah aus, als zöge die Narbe daran. „Wie heißt du?“
„Luke Calder.“
„Cal Reese.“ Er neigte den Kopf minimal, als hätte er eine Höflichkeit begangen. „Wir sehen uns in Red Creek.“
Der Rote blies Luft durch die Nase. Der Schmale glitt mit dem Blick über Lukes Revolver, als sei es ein Messer, das er gerne in der Hand hätte. Dann wendeten sie ihre Pferde und ritten davon, nicht schnell, nicht langsam. Sie wussten, dass der Staub ihnen folgen würde.
Luke setzte sich wieder. Sein Kaffee war kalt. Er trank ihn trotzdem. Der Name Cain Mercer lag ihm auf der Zunge wie schlechte Medizin.
Er sattelte später auf und machte sich auf den Weg. Die Sonne warf ihm den Schatten voraus. Er trat hinein und ging ihm hinterher.
3
Red Creek bekam seinen Namen von der rötlichen Brühe, die man Wasser nannte, wenn man Durst hatte. Die Häuser standen so, wie sie überall standen, wenn Männer es eilig hatten, Wände zu haben: schnell, schief, aus Brettern, die man anderswo gebraucht hätte.
Luke ritt durch die Hauptstraße. Frauen standen vor Türen, als warteten sie darauf, dass die Männer ihnen sagten, ob heute ein Tag zum Lachen oder zum Weinen war. Ein Hund schlief im Schatten. Ein Junge starrte Luke an, als sei er ein Wundertier.
Die Kirchenglocke läutete. Das tat sie selten aus Spaß. Man trug einen Sarg. Vier Männer hielten die Griffe, und sie taten es, als hätten sie es zu oft getan. Vorneweg der Pastor, er hatte Augen, die mehr gesehen hatten als nur Psalmen. Dahinter eine junge Frau mit dunklem Haar, die ihr Kinn so hielt, als wolle sie nicht, dass es zittert. Neben ihr der Herausgeber der Red Creek Gazette, ein Mann mit Tinte unter den Fingernägeln und Schultern, die länger geworden waren seit gestern – so sah es aus.
Luke zog den Hut vom Kopf. Er kannte den Tod. Er kannte auch den Zorn, der nach ihm kam. Männer murmelten. Eine Hand hielt eine andere. Jemand schluchzte, und es war nicht laut.
Auf dem Sarg lag eine Druckerschwärze, als hätte jemand ihn damit segnen wollen. Luke sah das und wusste, wer da lag.
Er stieg ab vor dem Saloon, der „Golden Mule“ hieß, ein Name, der danach klang, als hätte er einmal lachen wollen. Die Schwingtüren gaben nach wie müde Männer. Innen roch es nach Alkohol, nach alten Geschichten und nach Angst.
Der Barkeeper war ein Mann namens Baines. Er hatte Arme wie Fässer und Augen wie Wasser. Er wischte die Theke, als würde das helfen.
„Whisky“, sagte Luke.
„Whisky“, sagte Baines. Er goss ein und stellte das Glas hin. „Sie sind neu.“
„Reite durch.“
„Viele reiten durch. Manche reiten nicht wieder raus.“ Baines’ Blick glitt zur Tür, als er das sagte.
„Wegen wem?“, fragte Luke. Er wusste wegen wem, aber er wollte hören, wie man den Namen hier aussprach.
„Mercer“, sagte der Barkeeper, als wäre es ein Wort mit Steinen im Mund.
Der Saloon war leerer als sonst, wenn die Glocken läuteten. Ein Mann mit Staub auf der Jacke stand am Fenster und sah hinaus, als suche er jemanden, der ihm das Gefühl nahm, hineingehen zu müssen.
„Ich habe gehört, die Gazette hat Ärger gemacht“, sagte Luke.
Baines blickte ihn abschätzend an. Er war es nicht gewohnt, dass Fremde gerade heraus fragten. „Clara Doyle“, sagte er schließlich. „Schreibt und setzt die Lettern. Gestern stand da drin, dass Mercers Waagen schief stehen wie die Predigt eines Betrunkenen. Heute liegen ihr Bruder und die Druckpresse still.“
„Wo ist der Marshal?“, fragte Luke.
Baines lachte kurz, ohne Humor. „Marshal Ketch hat eine feine Uniform. Er passt auf, dass niemand auf Mercers Grundstück spuckt. Er passt auf, dass die Glocke nicht heiß wird vom vielen Läuten. Und er passt auf, dass er nicht in die falsche Richtung schaut.“
Luke trank. Der Whisky brannte, und er ließ ihn brennen.
„Ich suche Arbeit“, sagte er. „Ehrliche.“
„Ehrliche Arbeit gibt’s bei Leuten ohne Geld“, meinte Baines. „Und bei Leuten mit Geld gibt’s Arbeit mit einer Hand auf dem Rücken, wegen der Handschellen, die keiner sieht.“ Er sah Luke an. „Sie haben eine ruhige Hand. Wenn Sie es nicht eilig haben, sterben zu müssen, gehen Sie besser weiter bis Dry Fork. Da gibt’s eine Mühle. Die mahlt nur Korn.“
„Kennen Sie jemand, der heute einen Mann braucht?“, fragte Luke. Er hatte nicht viel in den Satteltaschen, und was er hatte, ging nicht weiter, wenn man nur Fragen stellte.
„Vance Murdock“, sagte Baines. „Transport. Drei Wagen, zwei Fahrer auf und davongegangen seit letzter Woche. Er wohnt hinter dem Mietstall, hat eine Tochter, die mehr Männer aus dem Laden gejagt hat als ich Fliegen vom Whisky.“
Luke nickte. „Und Mercer?“
Baines zuckte mit den Schultern. „Mercer braucht niemanden. Er hat alle. Manche wissen es noch nicht.“
Die Glocken verstummten. Auf einmal war es sehr still im Saloon. Selbst der Whisky roch traurig.
Luke ließ das Glas stehen und legte ein paar Münzen auf den Tresen. „Ich war mal Hilfssheriff in Abilene“, sagte er, ohne dass ihn groß jemand danach gefragt hatte. „Zwei Monate. Dann wurden die Männer nicht weniger und das Vertrauen nicht mehr.“
Baines verzog den Mund. „Abilene ist weit weg. Hier hat die Zeitung die Wahrheit geschrieben, und die Wahrheit ist gestorben. Ich weiß nicht, was einen Mann in eine Stadt bringt, wo die Leute die Augen lieber schließen, um nicht weinen zu müssen.“
„Vielleicht die Tatsache, dass die Augen auch zum Zielen da sind“, sagte Luke.
„He“, machte Baines. „Wenn ich Sie in drei Tagen noch sehe, spendiere ich den nächsten Whisky.“
4
Vance Murdock war ein Mann mit breiten Schultern und einem Gesicht wie ein Fels, gegen den Wind schlug, seit er mit dem Bart begann. Er hing über einer Liste, als Luke die Tür seines Büros öffnete, und eine Lupe lag neben seinem rechten Ellbogen, als wüsste sie, dass die Augen müde wurden.
„Wenn Sie Ware bringen, sind Sie hier falsch“, sagte Murdock, ohne aufzusehen. „Heute gibt’s nur Beileidsbekundungen und schlechte Nachrichten.“ Dann hob er den Blick. „Es sei denn, Sie sind der Mann, der sich auf eine Bank setzen kann, ohne einzuschlafen.“
„Ich sitze ungern“, sagte Luke. „Ich fahre lieber.“
Murdock musterte ihn. Etwas schob sich in seinem Gesicht zurecht.
„Name?“
„Calder. Luke.“
„Haben Sie schon mal einen Wagen gefahren?“
„Habe schon Dinge gefahren, die mehr Lärm gemacht haben als ein Wagen.“
Murdock nickte. „Das ist keine Kunst. Kunst ist, die Achse heil zu lassen und die Ladung, wo sie ist.“ Er winkte. „Eve!“
Die Tür ging auf, und eine Frau trat herein, deren Augen ebenso müde waren wie die ihres Vaters, aber heller. Sie trug die Haare zu einem Knoten, der aussah, als würde er selbst den Tag fürchten. Sie hielt die Hände so, als wären sie schon oft dreckig gewesen.
„Eve“, sagte Murdock, „das ist Luke Calder. Er will einen Wagen fahren. Was sagt dein Bauch?“
Sie sah Luke an, und Luke sah die Art, wie sie sein Coltholster streifte mit ihrem Blick und wie sie auf seine Stiefel sah, die Staub an den Nähten hatten, wo Staub sich hält wie Schuld.
„Er sieht nicht aus wie einer, der im ersten Graben umkippt“, sagte sie. „Und ich glaube nicht, dass er viel redet, wenn es nicht sein muss.“
„Das tut er nicht“, sagte Luke. Er mochte, dass sie es so sah.
„Morgen geht eine Fracht nach Grey Butte“, sagte Murdock. „Mehl, Bohnen, Lampenöl und ein Wagen voller leere Fässer, die dort voll werden sollen. Es ist nicht weit, aber es ist weit genug, dass Männer mit Colts glauben, sie könnten die Straße besitzen.“
„Mercers Männer?“, fragte Luke.
Murdock machte ein Geräusch, das nicht ja und nicht nein war. „Viele Männer trinken denselben Whisky, aber nicht alle haben denselben Boss.“ Er lehnte sich zurück. „Zwei meiner Fahrer sind letzte Woche… abhanden gekommen. Der eine hieß Oswald. Den anderen kannten wir nur als ‚Duke‘. Ich glaube, einer hat seinem Mädchen geschrieben, die Stadt sei ihm zu eng geworden. Vielleicht meint er damit die Luft in einer Kiste.“
Eve sah Luke an. „Sagen Sie nein, wenn Sie wollen. Es ist Ihr Leben.“
„Und unser Wagen“, sagte Murdock trocken.
Luke zog die Schultern. „Ich nehme an. Was ich habe, ist schlecht gepackt. Was ich bin, ist zu alt zum Weglaufen.“
Murdock reichte ihm die Hand. „Sie kriegen zwei Dollar am Tag, plus Verpflegung. Nicht viel. Aber Sie werden nichts zu kaufen brauchen, außer einem neuen Hemd, wenn Sie das hier überstehen.“
„Ich hab’ eins“, sagte Luke. „Es liegt in New Mexico und wartet.“
Eve lächelte. Es machte ihr Gesicht weicher, aber nicht leichter. „Ich werde Ihnen morgen früh den Wagen zeigen“, sagte sie. „Und ich werde Ihnen Kaffee kochen, der besser ist als der, den Sie heute hatten.“
Luke nickte. „Der kann nur besser sein.“
„Haben Sie eine Bleibe?“, fragte Murdock noch.
„Noch nicht.“
„Hinter dem Büro ist ein Zimmer. Einfach. Das wird Ihnen nicht die Sinne verwirren. Es sei denn, Sie sind zart.“
„Bin ich nicht“, sagte Luke. Er war es nicht. Er hatte zu viele Nächte im Freien verbracht, um Zartheit noch zu kennen, außer bei Frauen und Fohlen.
5
Die Beerdigung war kurze, harte Arbeit. Männer trugen den Sarg. Der Pastor sprach, als ginge jedes Wort mit Stiefeln über Sand. Die Frau mit dem Kinn – Clara, die Druckerin – stand am Rand. Ihr Bruder lag unter dem Holz. Sie sah nicht zu Boden. Sie sah auf die Gesichter der Männer.
Cal Reese stand auch da. Er stand immer da, wo etwas zu sehen war. Neben ihm zwei andere, die Luke schon kannte. Der Rote, der Schmale. Und hinter ihnen jemand, der in Red Creek so selten war wie Regen: Cain Mercer. Er war nicht groß. Er war nicht klein. Er trug einen hellen Anzug, der auf der Straße fehl am Platz war, und einen Hut, der lange Krempe warf. Er lächelte nicht. Er sah, und sein Blick fühlte sich an wie eine Hand im Nacken.
Der Pastor sagte: „Die Wahrheit ist ein Schwert, das zu oft in Schafspelz versteckt war.“
Jemand hustete. Vielleicht war es der Wind.
Nach dem letzten Erdeklumpen trat Clara vor. Sie hatte Tinte an den Fingern. Sie legte die Hand auf den Sarg. Dann drehte sie sich um und suchte ein Gesicht. Sie fand Luke nicht, denn er stand hinter der dritten Reihe. Aber Luke fand ihren Blick, als er über die Menge strich, und er wusste, dass ihre Augen brannten, nicht von Rauch.
Mercer legte den Kopf minimal zur Seite. Er sprach nicht. Cal Reese flüsterte etwas. Der Rote lachte kurz. Der Schmale zog an einer Zigarette, die nicht da war.
Luke stand da, die Hände an der Hutkrempe. Er fühlte, wie Red Creek atmete. Der Atem ging schwer.
Später, im Saloon, war es still. Baines wischte dieselbe Stelle in der Theke. Luke trank Wasser, überraschend kühl.
„Mercer war selbst da“, sagte Baines.
„Er mag’s, wenn die Glocken für ihn läuten“, sagte Luke.
„Er mag’s, wenn die Leute wissen, wer die Glocken bezahlt hat.“ Baines beugte sich vor. „Sie sollten sich einen anderen Tag aussuchen, um neu in Red Creek zu sein, Calder.“
„Man nimmt, was kommt“, sagte Luke. „Und manchmal nimmt man, was man nicht will.“
„Wenn Sie schon stoisch sterben wollen, sterben Sie wenigstens nicht heute“, sagte Baines, und zum ersten Mal klang er, als wäre ihm etwas im Hals stecken geblieben, das nicht Whisky war.
Die Schwingtür ging auf. Cal Reese kam herein. Der Rote und der Schmale folgten wie Schatten. Reese sah Luke, als hätte er vergessen, dass er ihn heute schon gesehen hatte, dann erinnerte er sich mit einem Zucken der Narbe.
„Da ist er ja, der Mann, der gerne eine Straße ohne Zoll hat“, sagte er.
„Heute nicht“, sagte Luke. „Heute gibt es nur Beerdigungen.“
„Beerdigungen sind gut, um Grenzen zu ziehen“, sagte Reese. Er trat näher. Sein Blick ging zu Luke, dann zu Baines. „Der Boss zahlt heute eine Runde. Auf das Ende alter Lügen.“
Baines stellte Gläser hin, als würde er Holz stapeln. Männer kamen nach vorne, als locke man Katzen mit Milch. Sie tranken. Einige sahen den Boden an, als sei dort etwas zu lesen, das sie nicht lesen konnten.
„Ich hab gehört, Sie fahren morgen für Murdock“, sagte Reese. Es klang nicht wie eine Frage. Es klang wie eine Karte, die man aufdecken musste.
„Ich fahre, wohin ich will“, sagte Luke, und sein Blick war ruhig. „Und ich nehme nicht jeden mit.“
Der Rote schnaubte. Der Schmale lächelte nicht. Reese legte ein paar Münzen auf die Theke. „Auf gute Fahrt“, sagte er.
Luke trank sein Wasser aus und stellte das Glas hin. „Auf gute Fahrt“, sagte er. „Für alle.“
Als die drei gingen, war der Saloon noch stiller. Baines atmete aus. „Sie hätten gehen sollen, bevor er reinkam“, sagte er. „Und nachdem er gegangen ist.“
„Ich gehe morgen“, sagte Luke.
„Vielleicht gehen Sie heute“, meinte Baines. „Nur um das Gefühl zu kennen.“
6
Das Zimmer hinter Murdocks Büro war so wenig, wie Murdock versprochen hatte. Ein Bett, eine Decke, ein Haken, an dem ein Mantel hängen konnte. Luke war zufrieden. Er legte die Satteltasche ab, stellte die Winchester in die Ecke, legte den Colt auf die Kommode und den Hut daneben. Er setzte sich auf das Bett und ließ sich nach hinten fallen. Das Holz knarrte. Das tat es ehrlich.
Er schloss die Augen, und in den Augen war das Gesicht der Druckerin. Nicht, weil sie schön war, obwohl sie das war auf eine Art, die nicht mit Lippen begann, sondern im Kinn. Sondern, weil er in ihren Augen etwas gesehen hatte, das alle Worte ersetzte: ein Entschluss, dünn wie Draht und härter als Blei.
Es klopfte an der Tür. Er öffnete. Eve Murdock stand da mit einem Blechbecher. Dampf stieg auf. Kaffee. Und der Geruch war wirklich besser.
„Ich habe es gesagt“, meinte sie. „Und wenn ich etwas sage, halbe ich es wenigstens halb.“
„Ist mehr als das, was die meisten tun“, sagte Luke und nahm den Becher. Er nahm einen Schluck. „Danke.“
„Es wird Ärger geben morgen“, sagte sie. „Es gibt immer Ärger auf der Straße zum Butte, seit Mercer die Anteile an der Hütte drüben… konsolidiert hat.“
„Er weiß wohin“, sagte Luke. „Und was.“
„Er weiß, wann auch“, erwiderte sie. „Cal Reese weiß alles, was Cain Mercer wissen will. Und manchmal auch Dinge, die der nicht wissen sollte.“
„Sie kennen Reese?“
„Jeder kennt Reese. Er war schon da, als Red Creek nur ein paar Pfähle im Boden hatte. Früher hat er Vieh gesammelt. Jetzt sammelt er Männer. Und Schulden.“
„Wessen Schulden?“, fragte Luke.
„Die aller, die hier bleiben.“ Eve sah ihn an. „Sie sollten nicht bleiben, Luke.“
Er lächelte schwach. „Sagen Sie das allen?“
„Nur denen, die ich nicht begraben will.“
Er nickte. „Dann sagen Sie mir lieber, wie der Wagen zieht. Und ob das linke Hinterrad lacht, wenn es über Steine geht.“
Sie lächelte auch, ein kleines, müdes Lächeln. „Es quietscht. Aber es rollt.“ Sie ging. „Seien Sie morgen pünktlich. Männer wie Reese mögen Männer nicht, die pünktlich sind. Man kann schlecht zuschlagen, wenn jemand zur rechten Zeit da ist.“
7
Die Straße nach Grey Butte war eine Narbe im Land. Der Wagen schaukelte, die Achsen ächzten. Luke saß auf dem Bock, die Zügel in der Hand. Neben ihm ein Mann namens Otis Keel, der stank nach Pfeife und Angst.
„Sie sind neu“, sagte Otis, zum dritten Mal seit sie die Stadt hinter sich gelassen hatten.
„Ja“, sagte Luke, zum dritten Mal.
„Mercer mag neu nicht“, sagte Otis.
„Alt auch nicht“, sagte Luke.
Sie fuhren eine Weile schweigend. Der Morgen war noch kühl, die Sonne lag wie eine Hand auf der Schulter. Staub hüllte die Welt ein. Der Drang, die Straße zu verlassen, war in einem so stark wie der Drang, die richtige Richtung nicht zu verlieren.
Hinter der dritten Biegung standen sie. Kein Banner, kein Schild. Nur Männer, Pferde, Gewehre. Cal Reese am vordersten Pferdekopf, als würde er die Staubkörner zählen, die die Pferde aus ihren Nasen bliesen.
„Morgen“, sagte Reese, als hätte er die Zeit erfunden.
„Morgen“, sagte Luke. Otis sagte nichts. Er hatte seine Zunge verschluckt.
„Wegezoll“, sagte Reese. „Das Übliche.“
„Das Übliche ist, dass ich ignoriere, was mir nicht gehört“, sagte Luke. „Und fahre, wo die Räder hinkönnen.“
Der Rote lachte. Der Schmale rieb den Daumen am Zeigefinger, als ob er Geld zählte, das nicht da war.
„Sie wollen’s schwer haben“, sagte Reese. Er kam näher, das Pferd schnaubte. „Murdock weiß die Regeln. Man fährt, man zahlt, man lebt. Einfache Gleichung.“
„Manchmal sind Gleichungen falsch“, sagte Luke.
Reese’ Blick blieb ruhig. „Heute nicht.“
„Heute schon“, sagte Luke, und in seiner Stimme war etwas, das die Luft anders machte. Er ließ die Zügel in der Linken, hob die Rechte keine Handbreit. „Ich fahre diese Fracht für Leute, die sie bezahlt haben. Wenn ihr eine Rechnung habt, geht ins Büro. Ich bezahle keine Räuber, die Krawatten tragen.“
Es war still, so still, dass man das Surren einer Fliege hörte, die sich verflogen hatte. Otis Keel rutschte nervös auf dem Bock. Der Rote legte die Hand an seinen Colt. Der Schmale lächelte nicht. Cal Reese sah Luke an, und die Narbe neben seinem Ohr bewegte sich nicht.
„Ich mag Sie“, sagte er. „Ich mag Männer, die wissen, dass sie sterben werden und sich dabei nicht übergeben. Aber es ändert nichts.“
Auf dem Wagen lag Lampenöl. In Fässern. Daneben Säcke Mehl. Und unter der Plane, Lukes Geheimnis, das Murdock ihm mit auf den Weg gegeben hatte: Metallbeschläge, Stangen und zwei Kisten Patronen, sauber verzurrt. Nicht für Mercer.
Reese gab ein Zeichen. Der Rote schob sein Pferd vor. Luke bewegte sich nicht. Otis atmete nicht. Die Sonne stand höher.
„Es geht nicht um euch“, sagte Luke leise, und er wusste nicht, wem er es sagte, den Männern vor ihm oder den Pferden. „Es geht nie um euch. Es geht immer um den, der nicht hier ist.“
Cal Reese zog die Kante seines Mundes minimal nach oben. „Und doch sterben immer die, die hier sind.“
Es brauchte nicht viel. Ein Vogel flog hoch. Ein Rad knirschte. Ein Finger drückte, weil er nicht mehr wartete. Die Welt explodierte in Lärm.
Luke warf sich seitlich, die Zügel glitten. Otis kreischte. Gewehrmündungen spuckten. In dem Chaos gab es kein rechts und links, es gab nur vorne – dahin, wo man wollte. Luke riss die Schrotflinte hoch, die unter der Bank gelegen hatte. Er feuerte. Der Rote wankte, eine Wolke Staub mischte sich unter Blut. Ein Pferd stieg, ein Mann fiel.
Cal Reese schoss. Eine Kugel schnitt Luke die Schulter. Warmes Rot ran durch sein Hemd, mischte sich mit Staub zu etwas, das später jucken würde. Luke fühlte den Schmerz. Er ließ ihn da sein und kümmert sich nicht.
„Fahr!“, schrie Luke Otis an, der nicht fuhr. „Fahr, verdammt!“
Otis bekam die Zügel zu greifen. Der Wagen sprang an, als hätte er etwas im Weg geschoben. Ein Fass rollte, prallte gegen das andere. Lampenöl gluckste. Ein Pferd scheute. Ein Mann fluchte. Ein Schuss zerriss den Rand der Plane.
„Runter!“, schrie Luke, und sein Schrei ging im Lärm unter.
Er feuerte wieder, diesmal niedrig, dahin, wo Pferdebeine waren. Kein Mann schießt gut, wenn sein Pferd schreit. Eine Hand griff nach seinem Stiefel, er trat zu. Knochen gaben nach, wie Holz unter dem Beil.
Dann waren sie durch. Nicht weit. Nicht aus der Reichweite. Aber durch. Die Straße fiel ab, der Wagen rutschte, die Räder sprangen über Steine. Hinter ihnen fluchten Männer. Vor ihnen war die Biegung, die das Tal enger machte.
„Weiter!“, brüllte Luke. Otis fuhr. Alles zitterte. Luke legte die Schrotflinte ab, griff nach der Winchester, die neben den Fässern gelegen hatte, riss den Verschluss auf, legte an. Er schoss auf den Kopf des Trails, wohin die Männer reiten mussten, wenn sie ihnen folgen wollten. Staub und Blei mischten sich zu einer Wand.
„Gottverdammt, ich hasse Staub“, keuchte Otis.
„Und ich hasse Männer, die ihn bezahlen“, sagte Luke, und seine Stimme war leiser, als er dachte.
Bei der nächsten Biegung ließ er Otis halten. „Ziehen wir’s raus“, sagte er.
„Was?“
„Das Fass Lampenöl, das halb kaputt ist. Und den Sack Mehl.“ Otis starrte. Luke sprang vom Bock, biss die Zähne zusammen, fühlte die Schulter wie brennende Kohlen. Er schob, Otis zog. Das Fass fiel, rollte, Öl rann in die Rinnen der Straße. Luke schnitt den Mehlsack auf. Weißer Staub machte die Rinne zu einer hellen Spur.
„Wir hätten Bäcker werden sollen“, sagte Otis.
„Wir sind’s“, sagte Luke. „Wir backen ihnen einen Kuchen.“
Er stieg wieder auf. Der Wagen sprang an. Hinter ihnen kam Geschrei. Hufe schlugen. Luke warf ein Streichholz. Es brannte nicht. Noch eines. Der Wind lachte. Beim dritten hielt die Flamme so lange, bis sie etwas fand, das brannte.
Hinter ihnen flackerte es. Öl nahm Feuer, Mehlstaub machte es gierig. Ein Pferd schrie. Ein Mann fluchte etwas, das aussah, als würde er es bereuen.
„Fahr“, sagte Luke, und Otis fuhr, als hätte er nie etwas anderes getan.
Als sie Grey Butte erreichten, waren die beiden Männer grau wie ihre Seelen. Luke sprang ab und blieb einen Moment an der Ladekante liegen, die Stirn auf dem rauen Holz. Otis sank auf den Bock. Er sah Luke an wie einen Mann, der gerade gemerkt hatte, dass der Himmel ein Dach hat.
„Wir sind’s“, sagte Otis rau.
„Nicht tot“, sagte Luke.
„Es ist nicht gut, nicht tot zu sein, wenn Cal Reese weiß, dass du lebst“, murmelte Otis.
„Gib mir fünf Minuten“, sagte Luke. „Dann fahre ich wieder. Ich habe noch etwas in Red Creek zu tun.“
8
Sie waren am Rand von Red Creek, als die Sonne tiefer wurde und das Licht die Häuser gelb machte wie alte Zähne. Eve stand vor Murdocks Büro, die Hände in die Hüften gestemmt. Ihr Blick fiel auf Luke, dann auf das Blut an seinem Hemd, dann auf die Räder, die grauer waren als heute Morgen.
„Später schimpfe ich“, sagte sie, als er vom Bock sprang. „Erst frage ich: Lebt der Wagen?“
„Er lebt“, sagte Luke, und sein Mund zuckte. „Otis auch.“
„Schneller als Pocken erkennt man hier, wer lebt“, sagte Eve. „Und es ist nicht viel wert.“
„Cal Reese ist sauer“, sagte Otis. „Ich hab’ noch nie so viele schlechte Wörter auf einmal gehört.“
„Er hat ein Lexikon“, sagte Eve. „Mit allen Wörtern drin, die man sagen kann, bevor man schießt.“ Sie sah Luke an. „Sie hätten sterben können.“
„Haben wir nicht“, sagte Luke.
„Noch nicht“, murmelte Otis.
„Ich brauche einen Arzt für die Schulter“, sagte Luke. „Und einen langen Plan.“
„Dr. Hale ist hinter dem Mietstall. Der lange Plan ist bei Clara Doyle“, sagte Eve, als wäre beides selbstverständlich.
Luke blinzelte. „Die Druckerin hat einen Plan?“
„Die Druckerin hat Tinte. Und Tinte ist ein Plan, wenn man keine Männer hat“, sagte Eve. Sie trat einen Schritt näher. „Reese wird Sie nicht morgen holen. Er wird warten. Er ist geduldig. Carter Geist hat gesagt, Geduld sei nur ein anderes Wort für lange Wut.“
„Wer ist Carter Geist?“, fragte Luke.
„Ein Mann, der zu viel gelesen hat“, sagte Eve.
„Dann schulde ich ihm eine Flasche“, sagte Luke. „Und der Stadt was anderes.“
Eve sah ihm in die Augen, und etwas in ihrem Blick war nicht müde. „Bleiben Sie nicht, weil etwas in Ihnen glaubt, dass Sie bleiben sollten“, sagte sie. „Bleiben Sie, weil Sie wissen, dass alle gehen, die bleiben sollten.“
„Ich bleibe“, sagte Luke. „Bis die Glocken für die Richtigen läuten.“
Eve nickte. „Dann holen Sie sich die Schulter nähen.“
Luke ging. Die Straße war leerer als vorhin. Männer standen in Türrahmen. Frauen zogen Kinder hinein. Baines stand in der Tür des Saloons und polierte die Theke, die nicht auf der Straße war. Er sah Luke, hob die Augenbrauen, ließ sie sinken. Es war ein Gruß, ein skeptischer, aber nicht kalter.
Dr. Hale war dünn, glatzköpfig und hatte Hände, die aussahen, als hätten sie mehr Narben zugefügt als geheilt. „Setzen Sie sich“, sagte er. „Ich frage nicht, wer. Ich sage nur: Beim nächsten Mal tragen Sie etwas, das Blut nicht so sehr liebt wie dieses Hemd.“
„Es ist mein bestes“, sagte Luke, und Dr. Hale lachte auf eine Art, die Luke gefiel.
„Ich habe gehört, dass Sie für Murdock fahren“, sagte Hale später, als er mit Nadel und Faden in Lukes Haut war. „Ich habe auch gehört, dass Sie gestern im Saloon Sturm geerntet haben.“
„Ich habe nur Wasser getrunken“, sagte Luke. „Und trotzdem brannte es.“
„In Red Creek brennt alles, was ehrlich ist“, sagte Hale. „Sie sollten wissen, dass Mercer nicht nur die Mine hat. Er hat die Bank, das Land rundum, die Leute im Stadtrat und die Angst in den Gesichtern. Und er hat Cal Reese.“
„Reese hat mich heute verpasst“, sagte Luke.
„Dann hat er jetzt eine Liste. Ihr Name steht nicht unten.“ Dr. Hale schnitt den Faden ab. „Ich bin Arzt. Ich bin feige. Das ist keine schöne Kombination. Aber ich lebe wenigstens lange genug, dass ich ab und zu welche zusammenflicken kann, die mutig sind.“
„Manchmal wäre es gut, wenn wir Rollen tauschen könnten“, sagte Luke.
„Nein“, sagte Dr. Hale. „Ich habe keine Geduld. Und Geduld ist…“
„… ein anderes Wort für lange Wut“, sagte Luke. „Ja. Ich habe es heute gelernt.“
„Das ist gut“, sagte Dr. Hale. „Jetzt gehen Sie und tun Sie etwas Dummes, klug. Ich muss mir noch eine Geschichte für Mercer ausdenken, warum ich heute zwei Männer genäht habe, die er nicht gerne genäht sieht.“
Luke ging, die Schulter brannte, aber sein Kopf war ruhig. Er ging zur Gazette. Die Tür stand offen. Drinnen roch es nach Tinte und Metall und zu früh gestorbenen Sätzen. Clara Doyle stand hinter der Presse. Ihre Finger waren schwarz. Ihr Blick war es nicht.
„Sie sind Calder“, sagte sie, ohne ihn zu fragen. „Sie haben heute die Straße benutzt, obwohl sie anderen gehört.“
„Wege gehören niemandem“, sagte Luke.
„In Red Creek gehören sie Mercer“, sagte sie. „Bis jemand anderes einen Artikel darüber schreibt.“
„Ich kann nicht schreiben“, sagte Luke. „Ich kann lesen. Und schießen.“
„Mir reicht lesen“, sagte Clara. „Aber schießen ist die einzige Sprache, die man hier versteht, wenn man nicht drucken darf.“
„Ich drücke auch ganz gut“, sagte Luke, und sie sah ihn an, ohne zu lächeln.
„Ich habe heute meinen Bruder begraben“, sagte sie. „Und morgen drucke ich trotzdem.“
„Sie sollten nicht“, sagte Luke. „Weil Sie sonst nicht nur drucken.“
„Ich sollte nicht“, sagte sie. „Weil ich sonst gar nicht mehr bin.“
Luke nickte. „Ich habe einen Plan, den ich mir noch ausdenke“, sagte er. „Aber wenn ich fertig bin, brauchen wir vielleicht jemanden, der ihn hinschreibt. Und einen, der ihn vorliest.“
„Und Männer, die zuhören“, sagte sie.
„Die kommen zuletzt“, sagte Luke. „Wenn sie merken, dass sie gemeint sind.“
„Vielleicht“, sagte Clara, und in dem Wort lag mehr Gewicht als in der ganzen Stadt. „Passieren Sie auf unsere Stadt auf, Sheriff.“
Luke blinzelte. „Ich bin kein Sheriff.“
„Nicht, solange Sie es nicht sind“, sagte sie. „Aber ich habe heute in Männergesichter geschaut. Manche suchen einen. Manche suchen jemanden, den sie hängen können. Wenn Sie es nicht sind, sind Sie vielleicht das andere.“
Die Glocken von Red Creek standen still. Der Wind trug den Staub in eine andere Richtung. Cal Reese lehnte irgendwo, sah auf seine Uhr, die keinen Minutenzeiger brauchte. Cain Mercer saß vielleicht in seinem Bureau und lächelte, weil es etwas gab, das lachte, wenn er es wollte.
Luke Calder trat hinaus auf die Straße und sah die Häuser an, als wären sie ein Schlachtplan. Er wusste, dass er nicht hierher gekommen war, um zu bleiben. Er wusste, dass er bleiben würde, bis jemand anderes ging.
Er setzte den Hut auf, zog ihn tief in die Stirn und ging langsam zum Saloon. Johnny Baines schob ein Glas herüber.
„Ich habe gesagt: Wenn ich Sie in drei Tagen noch sehe, gebe ich einen aus“, sagte er. „Es ist erst der erste Tag. Ich gebe trotzdem einen aus. Weil ich das Gefühl habe, ich brauche einen.“
Luke trank. Es brannte. Es tat gut.
„Baines“, sagte er leise, „heute Nacht wird jemand mein Zimmer besuchen.“
„Das tun nur Ratten“, sagte Baines.
„Nicht, wenn Ratten Narbe tragen“, sagte Luke. „Sagen Sie Eve Murdock, dass sie die Wagen räumen soll. Sagen Sie Dr. Hale, dass er Schlaf sparen kann. Und sagen Sie dem Pastor, dass ich mich entschuldige, wenn ich die Glocken wecke.“
„Ich mag keine Nächte“, sagte Baines.
„Mercer auch nicht“, sagte Luke. „Er schläft schlecht, wenn er nicht weiß, was wir tun.“
„Was tun wir?“, fragte Baines.
Luke Calder lächelte dünn. „Wir ziehen die Waage gerade.“
9
Die Nacht fiel auf Red Creek wie ein Eimer dunkles Wasser. Der Wind hatte sich gelegt, und die Geräusche der Straße wurden leiser, bis sie nur noch in den Ecken flüsterten.
Luke saß nicht in seinem Bett. Er hatte die Decke ordentlich zurückgeschlagen, als läge dort jemand, der müde war. In Wahrheit lag der alte Mantel darunter, ausgestopft mit Hemden. Neben dem Fenster, im Schatten, saß Luke auf einem Stuhl, die Beine angewinkelt, die Doppelläufige quer über den Knien. Zwischen Tür und Bett war eine Wäscheleine gespannt, kaum zu sehen im Halbdunkel. An der Klinke hatte er einen alten Blechnapf festgebunden, in dem ein paar Nägel lagen. Ein Windhauch konnte ihn nicht bewegen. Eine ruckartige Hand, die die Tür zu weit aufriss, schon.
Draußen knirschten Stiefel. Einer, dann noch einer. Männer, die versuchten, keine Männer zu sein. Das Brett vor der Schwelle gab einen leisen Ton von sich, den nur jemand hörte, der darauf wartete.
„Er schläft“, flüsterte eine Stimme. Sie klang, als sei sie gewöhnt, hinter Särgen zu stehen.
Luke atmete leise. Die Klinke ging herunter. Die Tür öffnete sich zu weit. Der Napf schlug, die Nägel klirrten, ein Hund heulte auf der Straße, als hätte ihn jemand getreten. Der vorderste Mann stolperte über die Leine, fluchte, und in dem Moment schoss Luke die rechte Läufe der Schrotflinte ab.
Die Wucht riss den Mann gegen den Türrahmen. Ein zweiter sprang zur Seite, schoss blind in den Raum, traf den Mantel im Bett, das Holzsprung. Splitter flogen. Luke warf sich vom Stuhl und rollte zur Seite, das Kinn am Boden, die linke Läufe der Doppelläufigen auf Brusthöhe. Er schoss. Ein Schrei. Ein dritter Mann fluchte, stürzte zurück in den Korridor.
„Reese will ihn lebend!“, brüllte einer.
„Reese kriegt, was übrig bleibt!“, rief ein anderer. Er hatte eine Stimme wie Erbsen auf Blech.
Luke ließ die Flinte fallen, griff nach seinem Colt. Er schoss zweimal flach, dahin, wo Knie waren. Ein Körper sackte, ein weiterer ließ die Waffe fallen. Schritte entfernten sich. Jemand schoss aus dem Hof durch das Fenster. Glas klirrte. Luke kroch zur Wand, presste den Rücken dagegen, Atem ruhig, obwohl sein Herz schlug wie eine Trommel vor einem Tanz.
„Zwei runter“, zischte er, mehr zu sich selbst. Dann stand er auf, in der niedrigen Hocke, und verschwand durch die Hintertür, die in den schmalen Hof hinter Murdocks Büro führte.
Der Hof war schattig. Zwei Wagen standen quer, so wie Luke es Eve gesagt hatte. Die Deichseln bildeten ein Kreuz, das keinen schnellen Weg ließ. Ein Seil lief vom hinteren Wagen zu einer losen Latte am Zaun. Wer da blind hindurchstürzte, würde stolpern, ganz so wie vorhin an seiner Zimmertür.
„Hierher!“, flüsterte eine Stimme. Es war Baines. Er stand im Schatten des Schuppens, die Winchester in den Händen, die er wahrscheinlich seit Jahren aufbewahrt hatte und nie benutzte.
„Hale ist wach?“, fragte Luke.
„Er ist nie wirklich eingeschlafen.“ Baines deutete mit dem Kopf. „Eve hat die Glockenschnur gelöst. Sie kann sie von hier aus erreichen.“
„Noch nicht“, sagte Luke.
Ein Schatten löste sich von der gegenüberliegenden Häuserzeile und wurde zu einer Figur. Marshal Ketch. Er hatte die Waffe in der Hand, aber seinen Mund hatte er vergessen, zu schließen. Er sah die beiden quer stehenden Wagen, dann Luke, dann Baines. Dann hob er die Waffe, als wolle er sie zeigen.
„Sie sind verhaftet, Calder“, sagte er. „Wegen…“
„Verschieben wir das auf später“, sagte Luke ruhig. „Wer hat Sie geschickt?“
Ketch presste die Lippen aufeinander. „Ich mache meine Pflicht.“
„Ihr Lohn kommt von Mercer“, sagte Luke. „Ihre Pflicht auch?“
Ketchs Blick glitt. Nur einen Herzschlag. Es reichte. Luke trat vor, so schnell und so nah, dass Ketchs Waffe auf einmal nutzlos wurde. Er schlug sie ihm aus der Hand, packte ihn am Kragen und zog ihn an den Wagen.
„Still“, zischte er. „Oder du atmest morgen durch einen Knoten.“ Ketch nickte, so weit man nicken konnte, wenn jemand anderes den Hals in der Hand hatte.
Stiefel donnerten in den Hof. Sie kamen zu viert, vielleicht zu fünft. Der erste ging im Seil. Der zweite stolperte über ihn. Der dritte versuchte zu springen und holte sich das Schienbein an der Deichsel. Baines schoss. Ein kurzer, trockener Ton. Jemand heulte. Luke schoss dem Schatten die Waffe aus der Hand. Es war der Schmale. Er hielt die Hand, als hätte sie ihn betrogen.
„Zurück!“, brüllte eine Stimme, rau. Cal Reese. Er trat in den Hof, nicht geduckt, aber nicht hochmütig. Sein Blick ging durch die Dunkelheit, als sähe er die Kanten der Dinge. Er sah die Wagen. Er sah Ketch. Er sah Luke.
„Du bist wach“, sagte er.
„Du bist nicht eingeladen“, sagte Luke.
Reese hob die Hand, so als wolle er die Luft beruhigen. „Das ist eine Stadt“, sagte er leise. „Und Städte brauchen Ruhe. Ich hole mir die Ruhestörer ab. So einfach.“
„So einfach“, wiederholte Luke. „Dann nimm Ketch. Er hat gerade versucht, durch meine Wand zu kommen.“
Reese lächelte nicht. „Ketch macht das, wofür er bezahlt wird.“
„Ich auch“, sagte Luke. „Aber meine Währung ist anders.“
Hinter Reese bewegte sich der Rote, bandagiert am Oberarm, die Zähne gefletscht. „Heute Nacht ist er fällig, Cal“, knurrte er. „Er hat mir den Arm…“
„Später“, sagte Reese, ohne den Blick von Luke zu nehmen. „Ich brauche dich mit Arm.“
„Was willst du, Cal?“, fragte Luke.
„Dich. Einmal. Ohne Show. Ohne Straße. Ohne Glocke.“
„Du kriegst mich nicht“, sagte Luke. „Nicht heute.“ Er nickte kaum merklich zu Eve, die mit der Hand an der Glockenschnur wartete. Sie konnte ihre Finger nicht ruhig halten. Es machte sie nicht schwächer.
Reese hob minimal die Schultern. „Dann morgen“, sagte er. „Mercer mag Männer, die ihm Arbeit ersparen.“ Er machte Kehrt, als gehöre ihm jede Bewegung. Seine Männer wichen, wie Wasser weicht, wenn ein Pferd hindurchgeht.
„Ketch bleibt“, sagte Luke. „Er hat die falsche Tür gewählt.“
Reese blieb stehen. „Er ist mein Sheriff.“
„Er ist unser Sheriff“, sagte eine Stimme von der Seite. Harlan Pike trat aus dem Schatten. Er hielt keinen Colt. Er hielt einen Hammer.
Reese sah den Hammer. Dann sah er Harlan. Er dachte an die Zange. Vielleicht dachte er an die Finger des Schmieds, die blickten wie Nägel.
„Morgen“, sagte Reese noch einmal, und dann war er weg, zusammen mit Schatten, Flüchen und dem Geruch von kaltem Tabak.
Baines atmete aus, als habe er seit einer Woche die Luft angehalten. Eve ließ die Glockenschnur los. Die Glocke blieb still. Luke ließ Ketch los.
„Setz dich“, sagte er. „Wir reden, bevor du wieder läufst.“
Ketch zitterte. Es machte ihn nicht sympathischer, aber auch nicht weniger menschlich.
10
Sie saßen in Murdocks Büro. Vance selbst war gekommen, die Hose über dem Bauch, die Hände auf der Liste, die er vergessen hatte. Eve lehnte am Fenster. Baines stand, als könne er es nicht anders. Harlan Pike hielt den Hammer, obwohl er ihn nicht brauchte. Dr. Hale hatte Ketchs Lippe genäht und dabei mit dem Faden gespielt, wie ein Mann, der eine Katze beschäftigen will.
„Ich will keine Rede“, sagte Luke. „Ich will nur, dass wir aufhören, so zu tun, als hätten wir Zeit. Mercer hat eine Stadt. Wir auch. Dieselbe. Wir teilen sie uns. Oder wir nehmen sie uns.“
„Nehmen“, sagte Harlan leise. „Sie haben mir die Zange genommen.“
„Er hat mir meinen Bruder genommen“, sagte Clara Doyle von der Tür aus. Sie war still hereingekommen. Niemand hatte das Scharnier gehört.
Ketch hielt ein Tuch an seine Lippe. Ein bisschen Blut war darauf. „Ich…“, begann er.
„Nein“, sagte Luke. „Du redest später. Erst hören.“
„Was wollen Sie?“, fragte Murdock. „Ernsthaft. Sie sind seit einem Tag hier und haben schon mehr Lärm gemacht als wir in einem Jahr.“
„Ich will, dass Red Creek weiß, dass es einen Marshal hat, der nicht am falschen Tisch spielt“, sagte Luke. „Und ich will, dass Reese morgen nicht nur Männer vor unserer Tür hat, sondern eine Glocke über dem Kopf, die sagt, was sie sagt.“
„Sagen Sie es“, meinte Clara.
„Wir setzen Ketch ab“, sagte Luke ruhig. „Morgen. Mittags. Wenn alle in der Stadt sind. Hier drin ersticken wir.“
Stille. Niemand rührte sich. Man hörte die Uhr an Murdocks Wand, die nie pünktlich ging.
„Das ist Selbstmord“, sagte Dr. Hale. „Nicht Ihrer. Unser aller. Mercer wird…“
„Mercer wird versuchen, es zu kaufen, was er nicht erschießen kann“, unterbrach Clara. „Wenn wir warten, zahlen wir doppelt.“
„Es ist nicht nur Mercer“, murmelte Ketch. „Es sind Männer. Viele. In der Mine. In der Bank. In seinem Haus. In euren Betten, in euren Läden. Ihr wisst das.“
„Wir wissen das“, sagte Eve. „Und wir wissen, dass wir morgens denselben Staub essen, ob wir ihn bezahlt haben oder nicht.“
„Holt mir einen Stern“, sagte Luke.
Alle sahen zu Ketch. Er hielt den Stern zwischen Daumen und Zeigefinger, als habe er sich daran verbrannt. Er blickte auf Luke. Er sah keinen Sieger. Er sah nur einen Mann, der nicht wegsehen konnte.
„Ich bin kein Narr“, murmelte Ketch. „Ich habe Mercer gebraucht. Und er mich. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich aufgehört habe zu zählen. Es ist lange her.“
„Du kannst wieder anfangen“, sagte Dr. Hale trocken. „Heute.“
Ketch legte den Stern hin. Er tat es, wie jemand eine Münze auf einen Sarg legt. Luke nahm ihn nicht. Er schob ihn Clara zu.
„Druck du das“, sagte er. „Morgenausgabe. Groß. Ich will, dass die Kinder es lesen können.“
Clara nickte. Ihre Hände waren schwarz, ihre Stimme nicht. „Ich habe schon gesetzt“, sagte sie. „Ich wusste nicht, ob ich es drucken darf. Jetzt weiß ich es.“
11
Cain Mercer stand vor einem großen Fenster, das hinaus zur Straße blickte, die seinen Namen nicht trug, aber so tat. Die Lampe auf seinem Schreibtisch brannte, obwohl er sie nicht brauchte. Er mochte es, wenn Dinge brannten, ohne dass sie mussten.
Cal Reese stand eine Schrittlänge entfernt. Er sah nicht angespannt aus. Er war es.
„Er ist ruhig“, sagte Mercer. „Reese, ich mag Männer, die ruhig sind. Man kann es sehen, wenn sie schreien wollen.“
„Er ist nicht zu kaufen“, antwortete Reese.
„Niemand ist nicht zu kaufen“, sagte Mercer. „Manche haben nur seltsame Währungen.“ Er drehte den Kopf. „Wie viele?“
„Drei lahm. Einer tot. Ketch hat eine Lippe weniger.“
„Ketch?“, Mercer lächelte. Es sah nicht freundlich aus. „Er ist nützlich, solange er fällt, wenn ich es will.“
Reese nickte. „Morgen am Mittag wollen sie eine Versammlung.“
„Wer will?“ Mercers Stimme war weich. „Die Glocke will.“
„Die Glocke hat eine Hand“, sagte Reese. „Sie heißt Clara. Und Luke Calder hält die andere.“
Mercer drehte den Ring an seinem Finger. Silber. Natürlich. „Ich mochte die Gazette nie“, sagte er. „Sie ist zu … sauber.“
„Ich kann sie dir schmutzig machen“, sagte Reese.
„Du konntest es gestern“, sagte Mercer. „Heute würdest du ein Haus abfackeln und ein Dutzend Männer zum Feind machen, die gestern noch nur arm waren.“
Reese schwieg. Mercer trat vom Fenster weg, setzte sich, faltete die Hände.
„Morgen“, sagte er, „gehen wir in die Kirche.“ Er lächelte. „Wir lieben Räume mit Bänken. Man kann da so schön sitzen.“
Reese nickte. „Mit wie vielen?“
„Mit genug“, sagte Mercer. „Nicht zu vielen. Ein Mann wird nicht zum Helden, wenn man ihn im Dreck erschlägt. Man braucht Holz unter ihm.“
Reese sah ihn an. Der silberne Mann lächelte erneut. „Ich will ihn sprechen“, sagte er. „Bevor du ihn erschießt.“
„Vielleicht spricht er nicht gern“, murmelte Reese.
„Dann hört er zu“, sagte Mercer.
12
Die Sonne stand so, dass sie die Straße der Länge nach teilte. Die eine Hälfte war heiß. Die andere nicht. Red Creek stand in der Mitte. Männer stützten die Arme in die Seiten, Frauen hielten Kinder zurück, als wären sie Hunde, die gleich losrennen.
Clara Doyles Gazette lag auf Tischen, Kisten, Wassertonnen. Auf der ersten Seite stand groß: WAHL HEUTE. Darunter: KETCH ABGESETZT. Darunter: EIN MARSHAL, DER UNS GEHÖRT.
Der Pastor stand vor seiner Kirche. Er schien kleiner als gestern. Vielleicht lag es daran, dass er heute lebte.
Luke stand daneben. Kein Stern an der Brust. Der lag auf der Bibel, neben ihm. Ketch stand links, ohne Waffe. Dr. Hale stand rechts, mit verschränkten Armen. Harlan, Baines, Murdock, Eve — sie waren da, als wüssten sie nicht, wohin mit ihren Händen, wenn nicht hier.
„Red Creek“, sagte Luke. „Ich bin nicht hier, um euch einen Helden zu verkaufen. Ich bin hier, um euch zu fragen, ob ihr mir zutraut, dass ich das Richtige tue, wenn es hässlich wird.“
„Es ist schon hässlich“, sagte eine Stimme. Es war Otis. Er hatte die Mütze in der Hand und sein Gesicht irgendwo in der Mitte.
„Dann gewöhnen wir uns dran“, sagte Luke.
Die Menge murmelte. Das Murmeln schwoll an, ebbte ab. Ein Mann hustete. Ein anderer spuckte. Kinder versuchten, auf Kisten zu steigen, und wurden heruntergeholt.
„Ich habe Fehler gemacht“, sagte Ketch. Es war nicht laut, aber klar. „Viele. Ich bin nicht hier, um mich zu entschuldigen. Ich bin hier, um euch zu sagen, dass ich morgen nicht mehr euer Marshal bin. Wenn ihr einen wollt, der nicht zahlt, wenn er an eure Tür klopfen, dann wählt.“
Da war Bewegung. Nicht in der Menge. Dahinter. Cal Reese trat in die Sonne, die Narbe leuchtete einen Moment, als sei sie neu. Neben ihm kamen acht Männer. Nicht viele. Genug. Sie hatten die Colts locker in den Fäusten, als hielten sie Vögel.
Und dann kam Cain Mercer. Er trug einen hellen Anzug und dunkle Augen. Er ging nicht schnell. Er ging so, dass jeder sehen konnte, dass ihm nichts gehört und doch alles.
„Morgen“, sagte er, als wäre es sein Wort. „Schöne Versammlung. Ich mag es, wenn Leute zusammenkommen. Es macht die Arbeit leichter.“
„Wir wählen“, sagte Clara, die neben Luke trat. „Sie nicht.“
Mercer lächelte. „Ich wähle immer“, sagte er. „Ich wähle, wo ich bin. Und ich wähle, was ich sehe. Heute sehe ich einen Mann“ — sein Blick glitt zu Luke — „der glaubt, er könne eine Stadt in sein Hemd stecken.“ Er deutete auf den Stern. „Nimm ihn. Es wird einfacher, dich zu treffen.“
Luke nahm den Stern. Er war kalt. Er steckte ihn an. Die Bewegung war langsam, als wäre da etwas Schweres.
„Gut“, sagte Mercer leise. „Jetzt ist es sauber.“
Reese trat einen Schritt nach vorn. Es knirschte, weil sein Stiefel einen Kiesel fand, der es nicht wollte.
„Ich habe eine Frage, Mercer“, sagte Luke. „Die Waagen in deinem Schuppen. Stehen sie heute endlich gerade? Oder zählt man in Red Creek weiter auf der Seite, die du magst?“
Ein Zucken hinter Mercers Mund. Das Lächeln blieb. „Ich mag gerade“, sagte er. „Es sieht besser aus.“
„Dann stell sie heute gerade“, sagte Luke. „Vor allen. Sonst ist es egal, wer den Stern trägt.“
Die Menge hielt den Atem. Es war, als hätten die Häuser sich zusammengelehnt.
Mercer sah zu Reese. Reese sah zurück, und seine Narbe bewegte sich nicht. Dann nickte Mercer. „Gut“, sagte er. „Heute Nachmittag stellen wir die Waagen. Gerade. Alle dürfen zusehen. Und der Pastor darf die Glocke schlagen, wenn er meint, dass Gott recht hat.“
Es war nicht die Antwort, die Luke erwartet hatte. Es war eine Antwort. Sie klang wie ein Schritt zur Seite, der sich nach vorne anfühlte.
„Und jetzt“, sagte Mercer, „wählt euren Marshal. Ich wünsche euch Glück. Es ist wie mit Silber: Man freut sich, wenn man's findet, und man weint, wenn man's verliert.“
„Wir sind keine Mine“, sagte Clara. „Wir sind eine Stadt.“
„Dann benehmt euch“, sagte Mercer, als wäre er der Vater. Er drehte sich um. Reese blieb einen Moment, die Hand am Colt, als wisse sie nicht, ob sie noch gebraucht würde. Dann ging er.
Die Wahl dauerte nicht lange. Es gab keinen Zettel, nur Stimmen. Hände, die hochgingen. Blicke, die zählten. Luke stand da. Er zählte nicht. Er sah nur.
Als es vorbei war, stand der Stern immer noch auf seiner Brust. Männer nickten. Frauen auch. Baines wischte sich die Stirn. Harlan hielt den Hammer tiefer. Ketch sah zu Boden und schien ihm dankbar.
„Ich bin euer Marshal“, sagte Luke. „Ich werde Fehler machen. Ich werde nicht alles wissen. Aber ich werde nicht an der falschen Tür klopfen.“
13
Der Nachmittag war heiß. Männer standen vor Mercers Waagenhaus, so als wäre es ein Theater. Die Sonne spiegelte auf Metall, und selbst der Staub schien gespannt.
Die Waage stand da, groß, dunkel, alt. Zwei Männer von Mercer — nicht Reese — hantierten daran. Schrauben wurden gelöst, Bretter verschoben. Clara schrieb. Dr. Hale stand mit verschränkten Armen. Eve Murdock stand neben Luke, der Hut tief.
Cain Mercer trat hinzu, ohne Geräusch. Er sah zu. Er sagte nichts. Cal Reese stand auf der anderen Seite. Seine Hand ruhte am Gurt, nicht drauf.
„Gerade“, sagte einer der Männer und trat zurück. Ein zweiter legte ein Gewicht auf. Sie sahen zu dem kleinen Zeiger, der in der Mitte ruhte. Er stand. Er wackelte nicht.
„Gerade“, sagte Mercer freundlich in die Menge. „Seht. Gerade.“
„Heute“, murmelte Harlan.
„Heute“, wiederholte Luke laut. „Wir kommen morgen wieder.“
Ein leiser, bitterer Ton ging durch die Reihen. Mercer hörte ihn. „Morgen“, wiederholte er. „Und übermorgen. Und ich werde da sein. Mit Waage und Ring.“ Er hob die Hand, der Silberring blitzte. „Ich habe nichts zu fürchten in einer Stadt, die ihre Glocken mag.“
„Wir mögen sie, wenn sie die Richtigen weckt“, sagte Clara.
Mercer lächelte wieder. „Dann schlaft gut“, sagte er, und ging.
Reese blieb einen Augenblick. Er sah Luke an. Da war etwas in seinem Blick, das kein Hohn war. Vielleicht Respekt. Vielleicht nur Neugier darauf, wie lange ein Mann steht, wenn man ihm von allen Seiten den Boden wegzieht.
„Es war klug“, sagte er schließlich. „Ich mag es nicht, wenn Männer klug sind.“
„Du magst vieles nicht“, sagte Luke. „Gewöhn dich dran.“
Reese nickte einmal, knapp. „Ich gewöhne mich“, sagte er. „Und dann ändere ich, woran ich mich gewöhnt habe.“
Er ging. Luke atmete, als habe jemand sein Kinn berührt.
„Es ist ein Anfang“, sagte Eve neben ihm.
„Es ist ein Loch“, sagte Luke. „Wir haben die Hand hineingelegt. Jetzt müssen wir aufpassen, dass sie nicht abgebissen wird.“
„Wer macht als nächstes etwas Dummes?“, fragte Dr. Hale. „Du oder Mercer?“
„Beide“, sagte Luke. „Aber ich zuerst.“
14
Die Nachrichten von der Wahl, von der Waage, von dem Stern — sie fuhren schneller als Murdocks Wagen. Am Abend kamen zwei Reiter mit staubigen Gesichtern. Ihre Pferde keuchten. Sie sagten, dass aus Süden eine Gruppe käme. Zehn, vielleicht zwölf. Männer mit langen Gewehren und Namen aus Kansas. Einer hatte gesagt, er sei hergeschickt worden, weil Red Creek einen neuen Klang habe. Ein anderer hatte gelacht und gesagt, er möge neue Klänge. Sie ratterten im Mietstall irgendetwas von einem Zug, der nächste Woche anhalten würde, obwohl er sonst nicht hielt.
Baines brachte die Nachricht ins Büro. Luke stand am Fenster, sah hinaus auf die Straße, die wieder so aussah wie gestern, und doch nicht.
„Mercer ruft die Kapelle“, sagte Baines.
„Dann stimmen wir die Geigen“, sagte Luke. Er drehte sich zu Harlan. „Kannst du ein Gitter bauen? Schmal. Für Fenster.“
Harlan nickte. „Aus altem Pflugstahl. Hält länger als die Stadt.“
„Und du, Clara“, sagte Luke. „Druck mir morgen früh etwas, das nicht schön ist. Etwas, das weh tut, wenn man es liest.“ Er sah zu Ketch, der im Stuhl saß, als sei er eingeladen und nicht sicher, warum. „Und du hilfst mir mit Namen. Von Männern, die gestern noch weggesehen haben und heute nicht mehr können.“
Ketch hob den Kopf. In seinen Augen lag etwas, das man nicht oft sah. Kein Mut. Nicht genau. Eher Müdigkeit, die zu schwer geworden war für Lügen.
„Ich kenne Namen“, sagte er. „Zu viele.“
„Dann fangen wir mit den richtigen an“, sagte Luke.
„Schlaf“, sagte Dr. Hale. „Wenigstens einer von uns. Ich muss arbeiten, wenn sie schießen.“
Luke lächelte schwach. „Ich schlafe, wenn ich weiß, wie laut es morgens wird.“
15
Es war nicht laut. Es war leise. Die Stadt hielt den Atem, als die ersten Reiter die Straße hinunterkamen. Staub lag hinter ihnen wie ein Teppich. Die Pferde waren frisch genug, dass sie die Köpfe schüttelten. Die Männer waren nicht frisch. Sie hatten die Gesichter von denen, die für Geld in die falsche Richtung ritten, weil es die einzige war, in die sie konnten.
Cain Mercer stand schon da. Er hatte keine Waffe in der Hand. Er brauchte keine. Er hatte Reese. Und er hatte einen Plan, der aussah, als hätte er keine Eile.
Luke trat in die Mitte der Straße. Der Stern lag sichtbar auf seiner Brust. Seine Hände hingen ruhig. Sein Colt auch.
„Willkommen in Red Creek“, sagte er. „Hier schießen wir nicht auf Glocken. Wir läuten sie.“
Der vorderste der Reiter — ein Mann mit einem schiefen Lächeln, das mehr Zähne zeigte als notwendig — spuckte in den Staub. „Ich mag Glocken“, sagte er. „Sie sagen einem, wann man wach sein muss.“
„Heute seid ihr zu früh“, sagte Luke. „Ihr seid in eine Stadt geritten, die gerade erst angefangen hat, sich zu wecken.“
Der Mann lachte. Er wollte etwas sagen. Er kam nicht dazu. Die Glocke schlug. Einmal. Zweimal. Dreimal. Clara hatte den Strick in der Hand. Der Ton füllte die Straße, kroch in die Häuser, in die Stiefel, in die Hände.
Cain Mercer hob den Kopf, als höre er etwas, das er mochte. Dann sah er Luke an und lächelte dünn. Es war kein freundliches Lächeln. Es war ein Lächeln, das sagte: Ich habe viele Glocken gehört. Manche habe ich selbst gegossen.
„Marshal“, sagte er leise. „Zeigen Sie mir, wie Sie eine Stadt halten, die nicht Ihre ist.“
Luke Calder bewegte sich nicht. Er lächelte nicht. Er sah nur. Und in seinen Augen lag kein Draht mehr. Es lag Stahl.
Er hob die Hand. Nicht hoch. Nur so viel, dass Harlan wusste, wann er den ersten Nagel einschlagen musste, dass Baines wusste, wann er die Schotten am Saloon schließen sollte, dass Eve wusste, wann sie die Pferde von der Straße holen müsste, dass Ketch wusste, wann er den Namen rufen sollte, der gleich gebraucht wurde.
„Ich zeige es Ihnen“, sagte Luke. „Mit allem, was ich habe.“
Die Glocke schlug ein viertes Mal. Red Creek hielt die Luft an. Und die Männer im Staub sahen zum ersten Mal an diesem Tag nicht auf Mercer, sondern auf jemanden, der seinen Hut tiefer in die Stirn gezogen hatte als gestern.
Fortsetzung folgt.
16
Sie kamen nicht wie ein Gewitter. Gewitter treiben die Luft vor sich her. Diese Männer brachten nur Staub und das Geräusch von Metall, das an Metall stößt.
Luke stand in der Mitte der Straße, bis die erste Reihe den Brunnen erreicht hatte. Dann hob er die Hand. Harlan schlug den ersten Nagel in die Pfosten, die er am Morgen in die Erde gerammt hatte. Bretter ließen sich fallen, schoben sich zwischen die Pfosten, wurden mit Keilen verkeilt. Aus der Straße wurde ein H als Barrikade: zwei Wagen quer, dazwischen Holz, das nicht schön war, aber hielt.
„Keine neuen Löcher in die Stadt“, sagte Luke ruhig. Er hatte die Stimme gesenkt, damit sie weiter reichte. „Wer zu Mercer will, geht um die Kirche herum.“
Der Mann mit dem schiefen Lächeln verzog den Mund mehr. „Ich will nicht zu Mercer“, sagte er. „Ich will dahin, wo das Geld ist.“
„Dann bist du schon da“, erwiderte Luke. „Hier liegt das, was euch fehlt: Lohn ohne Auftrag.“
Der Mann lachte, aber es war kürzer als vorher. Reese ritt einen Schritt vor, die Zügel locker. „Wir wollen niemanden erschießen, der uns nicht vor die Füße fällt“, sagte er.
„Dann reitet weiter“, sagte Clara von der Glocke her. Sie hielt den Strick, als wäre es eine Feder. „Hier fällt niemand von alleine.“
„Wer zum Teufel ist die?“, knurrte einer der Reiter.
„Jemand, der schreiben kann, was du tust“, sagte Dr. Hale.
„Halt“, sagte Mercer, leise, aber es trug. Die Pferdeohren spielten. „Ich habe einen Vorschlag.“
Luke nickte langsam. „Sagen Sie ihn.“
„Du nimmst deine Bretter weg. Ich nehme meine Männer weg. Du bleibst Marshal. Ich bleibe, wer ich bin. Und wir geben der Stadt Zeit, herauszufinden, ob sie atmen kann, ohne dass einer von uns beiden den anderen an den Hals fasst.“
Ein leises Lachen irgendwo hinter Luke. Baines. Er bereute es gleich.
