5 kostenlose Jugendbuch-Thriller-Leseproben -  - kostenlos E-Book

5 kostenlose Jugendbuch-Thriller-Leseproben E-Book

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Beschreibung

Es wird nervenaufreibend: Dieses Bundle vereint fünf kostenlose Leseproben hochspannender Jugendbuch-Thriller – inklusive Ursula Poznanskis Spiegelbestseller Erebos und Cryptos. Wer das Computerspiel Erebos startet, kommt nicht mehr davon los. Dabei sind die Regeln äußerst streng: Spiel allein – und sprich mit niemandem darüber. In Janas Lieblingswelt Kerrybrook, der friedlichsten alternativen Realität in Cryptos, geschieht ein spektakuläres Verbrechen, durch das all ihre Welten aus den Fugen geraten. Auch das Leben des YouTubers Phoenix ist in Gefahr, nachdem er auf seinem Kanal Uncover die Beschuldigungen gegen einen syrischen Flüchtling als Fake News entlarvt. Mit einer tödlichen Gefahr sehen sich die Bewohner einer beliebten Urlaubsinsel auf ganz andere Weise konfrontiert: In Todesbrut skizziert Klaus-Peter Wolff eine Extremsituation, die der Welt in den Händen des Coronavirus erschreckend ähnelt. Dass auch ein perfekter Instagram-Feed nicht alles verbergen kann, erkennt Hannah Eiríksdottir, als sie in Das dunkle Flüstern der Schneeflocken in einem Mordfall ermittelt … 5x Hochspannung in einem packenden Bundle, worauf wartest du?

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Inhalt

Cryptos

Kapitel 1 – Heute lasse ich …

Kapitel 2 – Blut sickert zwischen …

Über die Autorin

Impressum

Erebos

Widmung

Prolog

Kapitel 1 – Schon zehn Minuten …

Kapitel 2 – Auf dem Küchentisch …

Über die Autorin

Impressum

Uncover – Die Trollfabrik

Widmung

Sonntag, 29. Juli

Sonntag, 29. Juli

Montag, 30. Juli

Über den Autor

Impressum

Todesbrut

Motto

Kapitel 1 – Die Welt schien …

Kapitel 2 – Während die Ostfriesland III …

Kapitel 3 – Lars Kleinschnittger hatte …

Kapitel 4 – In der Quarantänestation …

Kapitel 5 – »Der Schollmayer«, Moderator …

Kapitel 6 – Dr. Maiwald warf …

Kapitel 7 – Chris hatte sich …

Über den Autor

Impressum

Das dunkle Flüstern der Schneeflocken

Kapitel 1

Kapitel 2

Über die Autorin

Impressum

Heute lasse ich in Kerrybrook die Sonne scheinen. Das ist angemessen nach drei Tagen mit wolkenverhangenem Himmel und Nieselregen. Es ist acht Uhr morgens, und die ersten Bewohner sind bereits vor Ort. Vierzehn Prozent, zeigt der Zähler an. Achtzehn. Siebenundzwanzig.

Kerrybrook ist die kleinste meiner Welten und die, die am wenigsten Arbeit, dafür aber den meisten Spaß macht. Ich habe sie nach dem Vorbild irischer Dörfer modelliert: hügelig, mit viel Grün, geduckten Häuschen und einer Burgruine, die über der Landschaft thront. Es gibt Schafe, gemütliche Pubs und jede Woche einen Markt auf dem Hauptplatz. Unendlich friedlich, all das. Manchmal ein bisschen eintönig vielleicht, aber das ist dann meine Schuld. Am liebsten würde ich selbst dort leben; das Schlimmste, was sich in den letzten vier Wochen getan hat, war eine Schlägerei im Goldenen Horn.

Zweiunddreißig Prozent. Ich gleite im Ansichtsmodus die Küste entlang. Die Sonne steht über dem Meer, lässt das Wasser funkeln. Ein paar Möwen kreisen um den Turm der Burg, eine von ihnen trägt einen Fisch im Schnabel. Am Fuß des Hügels spaziert eine Frau mit einem Korb über dem Arm, den Blick aufmerksam auf den Wegrand gerichtet. Sie sucht Goldschwämmchen, schätze ich. Ich habe die Pilze vor etwa zwei Monaten eingeführt, und sie sind ein voller Erfolg. Wer vierzig davon sammelt, kann sich einen Pass für eine von drei Welten aussuchen. Die Jagd nach den kleinen, golden schimmernden Hütchen hält meine Bewohner ziemlich auf Trab. So schön Kerrybrook auch ist, niemand hat etwas gegen eine Reise einzuwenden.

Acht Uhr dreißig, und neunundfünfzig Prozent der Bewohner sind anwesend. Ein Blick auf die Statistik: nur drei Transfers in andere Welten. Das ist ein ausgezeichneter Wert. Wer einmal hier ist, fühlt sich so wohl, dass er bleibt.

Auf Transfers muss ich nicht reagieren, nur auf Ausfälle, also wenn jemand, der zuletzt in meiner Welt war, überhaupt nicht mehr auftaucht. Weder hier noch anderswo im System. Meistens bedeutet das, die Person ist schwer krank oder tot. Bei einem Ausfall muss ich den jeweiligen Personalcode heraussuchen und Meldung machen, damit jemand beim entsprechenden Wohndepot vorbeisieht.

Acht Uhr fünfunddreißig, und in Kerrybrook weht kühler Wind vom Meer her. Ich seufze und wische mir den Schweiß von der Stirn. Hier bei uns ist es jetzt schon heiß, und das wird über den Tag hin noch schlimmer werden. Die Kühlung schaltet sich nie vor elf Uhr ein, und auch dann ist sie nur ein schlechter Scherz. Aber die vorhandene Energie wird für andere Dinge gebraucht.

Ich beginne den Funktionscheck für die nächste meiner Welten, Macandor. Bereits vierundachtzig Prozent der Bewohner anwesend. Ruhiger Schlaf ist dort schwieriger geworden, denn ich habe vor drei Tagen eine Horde von Feuerdämonen losgelassen. War nicht nett von mir, aber Macandor ist im Moment rettungslos überlaufen. Die Dämonen sollen ein wenig Platz schaffen; wer von ihnen gegrillt wird, der muss erst mal anderswo hingehen, je nachdem, welche Pässe er zur Verfügung hat. Der für Macandor ist dann futsch. Ich überprüfe die Statistik der letzten acht Stunden. Sieben Prozent sind den Dämonen zum Opfer gefallen, ich hatte auf acht abgezielt, aber was nicht ist, kann ja noch …«

»Hey, Jana!« Jemand tippt mir auf die Schulter, es ist Matisse, der mit einiger Verspätung in unserem gemeinsamen Workspace eintrifft. Er hält einen großen Becher in der Hand, auf dessen Außenseite sich Kondenswasser gebildet hat. Ich greife danach, das Gefäß ist verführerisch kalt.

»Danke dir!« Eistee mit Zitronenaroma. Ich trinke einen großen Schluck und schiele auf Matisse’ Trinkbecher. »Oh nein! Ehrlich? Synthetische Schokolade?«

Er blinzelt glücklich. »Ja. Eisgekühlt.«

Mich schaudert. »Da würde ich ja lieber in Milch pürierten Fisch trinken als dieses widerliche Gebräu. Sieht aus wie Dünnpfiff.«

»Jajaja, ich weiß. Du kannst das noch hundertmal sagen, mir schmeckt es trotzdem.« Er setzt sich vor den halbkreisförmigen Schild seiner drei Monitore, jeder davon fast zwei Meter hoch. »Wie läuft’s mit den Dämonen?«

»Gut eigentlich. Die Bevölkerung ist geschrumpft, aber es ist immer noch eine ziemliche Drängelei. Ich überlege schon, ob ich nicht ein paar Landstriche dazumodellieren soll. Einen großen Sumpf oder noch ein unterirdisches Höhlensystem. Oder eine Wüste, was meinst du?«

Matisse rümpft die Nase und schüttelt den Kopf. Seit drei Wochen ist sein dunkles Haar zu Cornrows geflochten; bei jeder Bewegung klirren am Ende der Zöpfchen bunte Perlen. »Als ob wir nicht schon Wüste genug hätten.«

Das Argument ist nicht von der Hand zu weisen. Ausgedehnte Wüsten auf allen Kontinenten, und sie erobern sich immer noch neuen Raum, auch wenn die Baumbepflanzungen an den Rändern langsam Wirkung zeigen. Aber eben nur langsam. Wer Wüste will, muss in keiner der virtuellen Welten leben; schwitzen kann man auch ganz ohne Realitätsbereinigung.

Ein kleiner Trupp meiner Dämonen macht sich auf den Weg in Richtung Zaina. Die Stadt wird hauptsächlich von Elfen bewohnt, sie wurde erst vor drei Monaten gegründet, die Befestigungsanlagen sind noch schwach. Mit etwas Glück machen sie bis heute Mittag ein bisschen Feuer innerhalb der Mauern, und die acht Prozent Einwohnerreduktion sind geschafft.

»Du bist ganz schön gnadenlos zu deinen Leuten«, sagt Matisse grinsend.

»Es muss doch interessant bleiben.« Die ersten Elfen verlassen fliegend die Stadt, aber ich habe praktischerweise auch geflügelte Dämonen auf Lager. »Hey, wir gehören zu den Jungstars hier. Unsere Welten sollten aus der Masse herausstechen, findest du nicht?«

Nachdenklich nippt Matisse an seiner Schokolade und rollt mit seinem Arbeitsstuhl näher heran. »Ich fühle mich überhaupt nicht wie ein Jungstar, eher wie ein Fehlschlag. Ich kapiere nach wie vor nicht, warum manche Welten so gut funktionieren und andere nicht. Bei Venedig dachte ich, es wird der absolute Renner, aber es hat kaum Transfers gegeben.«

Ich kann ihm das Bedauern darüber immer noch ansehen, Venedig war eines seiner Lieblingsprojekte. »Vielleicht«, sage ich, »weil es schon so lange versunken ist. Es lebt doch keiner mehr, der es wirklich gesehen hat, also hat niemand Sehnsucht danach.«

Er zuckt mit den Schultern. »Glaube ich nicht. Die Fidschi-Inseln sind mein größter Hit, und die sind noch länger weg.«

Da ist was dran. Rick, unser Kollege mit dem zweifelhaften Humor, nennt sie deshalb auch gern Futschi-Inseln. Doch eigentlich war die Phase, in der Designer hauptsächlich die gute alte Zeit virtuell wieder zum Leben erweckt haben, schon längst vorbei, als ich hier angefangen habe. Zu Beginn war das wichtig – den Leuten blieb ihre vertraute Umgebung erhalten, und kaum einer wollte sie gegen die Schrecken der echten Welt eintauschen. Jetzt gibt es so gut wie niemanden mehr, der sich daran erinnern kann, wie es früher war, und …

»Seltsam«, unterbricht Matisse meine Gedanken. »Kann es sein, dass mit dem Zähler in Kerrybrook etwas nicht stimmt?«

Ich lasse die Dämonen Dämonen sein und wende meine Aufmerksamkeit den grünen Hügeln und der Burgruine am Meer zu. In dem Ausschnitt, den ich sehe, wirkt alles so harmonisch wie immer. Ein Paar spaziert Händchen haltend über eine Wiese, ein Hirte treibt Schafe vor sich her. Ich werfe einen schnellen Blick auf die Statistik. Sechsundneunzig Prozent Anwesenheit, fünfundzwanzig Neuzugänge – aber drei Ausfälle in den letzten zehn Minuten.

Das ist alarmierend. Drei Ausfälle in so kurzer Zeit? Dafür muss es Gründe geben – entweder ein Wohndepot hat einen Stromausfall, oder es gibt Schwierigkeiten innerhalb der Welt. Ich öffne meinen Infoassistenten.

»Hallo, Jana«, schallt mir eine fröhliche Stimme entgegen. »Was kann ich für dich tun?«

»Ich müsste wissen, ob es vor Kurzem zu Zwischenfällen in Wohndepots gekommen ist. Stromschwankungen irgendwo? Stürme, beschädigte Leitungen?«

»Nein«, gibt der automatische Assistent unmittelbar zurück. »Keine Störungsmeldungen an Depots in den letzten achtzehn Stunden.«

Ich nicke, mein Blick hängt am linken der drei Monitore, dem mit der Statistik. Sechs Ausfälle mittlerweile, keine Erklärung. Ich rufe die Servicedaten für Kerrybrook auf, doch die erscheinen nicht, stattdessen erhalte ich eine Meldung. Fünf mickrige Worte. Es ist ein Fehler aufgetreten.

Ein Fehler? Ich drehe mich zu Matisse um. »Läuft bei dir alles rund?«

»Na sicher«, sagt er und zieht eine Augenbraue hoch. »Würde ich sonst so ruhig hier sitzen?«

Ich werfe ihm freundschaftlich meinen Stressball an den Kopf und versuche es noch einmal. Es ist ein Fehler aufgetreten. Mit tiefem Seufzen lehne ich mich in meinem Stuhl zurück. So etwas passiert mir zum ersten Mal.

»Welcher Fehler ist aufgetreten?«, frage ich den Infoassistenten. »Gibt es eine Fehlernummer?«

»Dazu liegen mir keine Informationen vor«, erklärt das Programm gut gelaunt.

Ich knalle den Becher mit dem Eistee auf den Tisch. Wie soll ich herausfinden, was los ist, wenn das System mir die Daten verweigert? »Hilft nichts«, murmle ich. »Dann muss ich eben selbst rein.«

Das Nebengebäude ist so etwas wie die Mini-Version eines Wohndepots. Vierundvierzig Einheiten, für jede Person fünf Quadratmeter, auf denen auch die Kapsel Platz finden muss. Ich laufe nach drüben, meinen Overall über dem Arm, und grüße zwei Arbeiter, die draußen zu tun haben.

Mürrisch grüßen sie zurück, sichtlich unglücklich über ihr Schicksal. Niemand wird gern in die Realwelt zurückbeordert, aber ganz ohne menschliche Arbeitskraft geht es eben nicht. Dafür bekommen sie Punkte, mit denen sie sich später neue Zugangspässe kaufen können. Oder ein hübscheres Äußeres.

Einheit zwölf ist frei, ich schlüpfe durch die Tür und verriegle sie mit meinem Identitätschip. Dann ziehe ich meine Sachen aus. Das ist nötig, denn der Overall muss buchstäblich wie eine zweite Haut auf meiner eigenen sitzen. Er saugt sich fest, was genau so lange unangenehm ist, bis ich mich in die Kapsel lege. Als Kind hat Monty die Kapseln mit aufklappbaren Riesenbohnen verglichen – das trifft die Sache ziemlich genau.

Ich frage mich, wo er gerade steckt. Das letzte Mal, als ich nach seinem Personalcode gesucht habe, war er in London. Allerdings im London des Jahres 1622. Ich muss bei Gelegenheit nachsehen, ob er schon weitergezogen ist.

Über das Bedienpanel schließe ich die Kapsel. Lege die Maske an, stecke Hände und Füße in die Kontakthüllen und warte, bis der Overall sich ans System anschließt.

»Identifikation«, sagt eine weibliche Stimme. »Jana Pasco. Zuletzt angemeldet in Mumbai. Rückkehr?« In der Maske wird mir groß ein Bild der Stadt angezeigt, kleiner daneben eine Unzahl von Thumbnails, so viele, dass sie nur winzige Lichtpunkte sind. Jeder steht für eine Welt, zu der ich Zugang habe.

Aber ich will nicht zurück nach Mumbai, dessen reale Vorlage auch schon längst unter der Meeresoberfläche liegt. Dort war ich nur, weil Matisse mich zu einem Ausflug überredet hat. »Nein. Kerrybrook«, sage ich.

»Kerrybrook«, wiederholt das System und spielt das passende Bild ein.

»Bestätigt«, sage ich, und im nächsten Moment wird mir schwarz vor Augen. Es ist ein Gefühl, wie kurz ohnmächtig zu werden und danach zu schweben. Ein paar Sekunden der Schwerelosigkeit, dann fühle ich Boden unter den Füßen und sehe vor mir die irisch-grünen Hügel. Die Burgruine an der Klippe. Die Steinhäuschen, an denen der Efeu hochwächst. Der Wind trägt vom Meer den Geruch nach Salz und Seetang zu mir, er weht mir das Haar aus der Stirn, und ich bedaure schon jetzt, dass mein Aufenthalt hier kurz sein wird.

In den alternativen Welten fühlt das Leben sich so viel besser an. Als hätte die Realität ein Upgrade bekommen. Ich bewege mich geschmeidiger, meine Stimme hat einen volleren, samtigeren Klang. Hätte ich einen Spiegel vor mir, bekäme ich die denkbar beste Version meiner selbst zu sehen. Wiedererkennbar, aber … geglättet, in gewisser Weise. Superjana.

»Guten Morgen, Jana«, sagt eine freundliche Männerstimme. »Hier kommt dein Horoskop für den heutigen Tag. Dir drohen keine Gefahren, aber rechne mit Überraschungen. Das Meer wird ruhig bleiben, die Temperatur mild. Der Lammbraten im Schwarzen Hahn ist nicht nach deinem Geschmack. Iss lieber den Gemüseeintopf. Beim Blumenmarkt würdest du heute Menschen treffen, mit denen du dich verstehst. Im Teestübchen nicht so sehr. Du solltest mindestens zweieinhalb Liter Wasser trinken.«

Ich grinse. Das Horoskop ist eine der Besonderheiten, die Kerrybrook von ähnlichen Welten abhebt. Es analysiert die Nutzerdaten und gibt dem Bewohner täglich maßgeschneiderte Tipps, die dafür sorgen, dass der Tag rundläuft. Keine Esoterik, bloß ein Algorithmus, der für Wohlbefinden sorgt, nicht nur in Kerrybrook, auch in der Kapsel.

Kein Lammbraten also. Ich mache mich auf den Weg zum Dorf, mein Blick schweift ganz automatisch über jedes Haus, jeden Baum. Wie bei einem Kontrollgang. Am Schild der Bäckerei entdecke ich eine blass-durchsichtige Stelle. Ein Glitch, der mir entgangen ist. Ich mache mir im Geist eine Notiz. Kleine Fehler dieser Art sind nicht schlimm, aber sie stören die Illusion.

Ich nehme den Umweg über den Hafen, atme den Salzgeruch ein. Auf einem niedrigen Steinmäuerchen sitzt ein Mann in einer langen Jacke und Fischerstiefeln. Er unterhält sich mit einem zweiten, älteren. Offenbar geht es um das Dorffest, das in zehn Tagen stattfinden soll. Ich geselle mich dazu. »Hey. Wird ein schöner Tag heute, nicht wahr?«

Der Fischer betrachtet mich neugierig. »Sieht so aus.«

Ich blicke mich um. Ein dritter läuft in ebenfalls kniehohen Stiefeln hin und her, als würde er etwas suchen, das er auf dem Weg verloren hat. »Alles wie immer, hm? Oder ist euch heute etwas Ungewöhnliches aufgefallen?«

Die beiden Männer schütteln die Köpfe. »Nein«, sagt der Ältere. »Aber wenn du etwas weißt, gib uns Bescheid! Der Kabeljaufang ist ja bald vorbei!«

Richtig, diese Challenge läuft noch. Ein Kabeljau mit einem goldenen Ring im Magen, der hundert Prämienpunkte bringt. Ein Spiel für Kerrybrooks Fischer.

Als mit den alternativen Welten begonnen wurde, hat sich schnell herausgestellt, dass einfach nur rumhängen den Menschen nicht genügt, so schön kann die Umgebung gar nicht sein. Sie wollen herausgefordert werden, sich mit anderen messen. Probleme bewältigen und einen Lebenssinn finden, sonst stellen sie sich lieber der Realität mit ihren Tornados, Dürren und Überschwemmungen. Also versorgen wir sie mit Aufgaben und Geheimnissen, verstecken Schätze und lassen sie Gefahren meistern. Die ihnen natürlich nicht wirklich gefährlich werden können. Stirbt man, verliert man nicht sein Leben, sondern wird nur zurück in die Kapsel gespuckt. Meistens ist man dann eine Zeit lang für die Welt gesperrt, in der man gerade das Zeitliche gesegnet hat. Ärgerlich, aber kein Drama.

»Wie war dein Horoskop für heute?«, fragt mich der jüngere Fischer.

»Zweieinhalb Liter Wasser soll ich trinken und auf den Blumenmarkt gehen, dann wird es ein guter Tag. Außerdem soll ich den Lammbraten im Schwarzen Hahn meiden.«

»Ah«, macht der Fischer. »Na, das ist ausführlich. Bei mir hieß es vor allem, ich sollte dem kahlen Marcel aus dem Weg gehen. Der will sich angeblich mit mir prügeln.«

Das Stichwort kann ich nutzen, ich bin schließlich nicht zum Spaß hier. »Ist Marcel noch in Kerrybrook? Jemand hat erzählt, dass eine Menge Leute verschwunden sind«, sage ich. »Ist euch etwas aufgefallen?«

»Mir nicht.« Der Ältere zieht eine Pfeife aus seiner Jackentasche. »Eher, dass ständig Leute dazukommen. Nur Melinda, die früher im Werkzeugladen gearbeitet hat – die ist weitergezogen. Hat sich vor zwei Tagen verabschiedet.«

Das hilft mir nicht. Ich winke zum Abschied und blicke mich noch einmal um. Der dritte Fischer, der vorhin so hektisch herumgelaufen ist, steht jetzt seltsam starr auf einem rot gestrichenen Boot, das, von Felsen und einem dreimastigen Segelschiff halb verborgen, aufs Meer hinaustreibt. Jetzt hebt er eine Hand, streicht sich über die Stirn und klettert dann auf die Reling. Seine Jackentaschen sehen merkwürdig vollgestopft aus. Das Boot schwankt. Er bleibt noch einen Moment stehen, dann springt er ins Wasser. Geht unter und taucht nicht mehr auf.

Die beiden Männer auf dem Mäuerchen plaudern weiter, ich höre nicht mehr zu. Was war das eben, eine Mutprobe? Hat er etwas unter Wasser entdeckt, das er nach oben holen wollte? Ich warte, fixiere mit meinem Blick die Stelle, an der der Mann untergegangen ist, rechne jede Sekunde damit, dass sein Kopf die Wasseroberfläche durchstoßen wird, aber er bleibt verschwunden.

Ich kann es nicht fassen. Das war kein Unfall, der Mann ist freiwillig gesprungen. Warum? Wenn er aus Kerrybrook fortwollte, hätte er doch einfach einen Transfer machen können. Warum sich die Unannehmlichkeiten des Ertrinkens antun?

Etwas läuft hier ganz definitiv falsch, ich sollte schnellstmöglich zum Rathaus laufen, dort habe ich ein Kontrollpanel eingerichtet, von dem aus ich auf die Statistik zugreifen kann. Der ertrunkene Fischer wird dort als Exit aufscheinen, noch nicht als Ausfall. Dazu müsste er länger als drei Stunden in der Realwelt ausharren.

Auf dem Hauptplatz verkauft eine Frau Käse, es drängen sich Menschen um einen Lautenspieler und werfen ihm Kupfermünzen in eine Schale. Ich will gerade – mit einigem Kraftaufwand – die große Holztür des Rathauses öffnen, als ich in einer Nebengasse eine Gestalt auf dem Boden kriechen sehe. Sie zieht sich mit den Händen über die gepflasterte Straße, Zentimeter für Zentimeter. Es ist eine Frau. Aus dem Knoten, zu dem sie ihr rotes Haar geschlungen hat, lösen sich Strähnen und fallen ihr ins Gesicht.

Nun bleibt sie liegen, ein Zucken geht durch ihren Körper. Ich lasse den Knauf der Rathaustür los und gehe ein paar Schritte näher. Etwas stimmt hier nicht, und als ich auf zehn Meter heran bin, sehe ich auch, was es ist: Im Rücken der Frau steckt ein Messer.

Blut sickert zwischen die Pflastersteine. Ich rüttle an der Schulter der Frau, doch sie rührt sich nicht. Atmet nicht. Ich knie irritiert neben ihr.