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Dieser Band enthält folgende Titel: Chris Heller: Kommissar Jörgensen im Netz der Intrigen Alfred Bekker: Der rollende Tod Alfred Bekker: Codename Revolution Thomas West: Die Killer-Service Wilfried A. Hary: Die Agentin und der Kampfstoff In einem osteuropäischen Land putscht sich ein Offizier an die Macht und die Angestellten der gemeinsamen deutsch-französische Botschaft werden als Geiseln genommen. Eine Einheit von kampferprobten Spezialisten muss die Lage durch ein gewagtes Kommando-Unternehmen entschärfen und eine Welt-Krise verhindern...
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Seitenzahl: 533
Veröffentlichungsjahr: 2025
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5 Krimis Sonderband 1024
Copyright
Kommissar Jörgensen im Netz der Intrigen
DER ROLLENDE TOD
Codename Revolution
Der Killer-Service
Die Agentin und der Kampfstoff
Titelseite
Cover
Inhaltsverzeichnis
Buchanfang
Dieser Band enthält folgende Titel:
Chris Heller: Kommissar Jörgensen im Netz der Intrigen
Alfred Bekker: Der rollende Tod
Alfred Bekker: Codename Revolution
Thomas West: Die Killer-Service
Wilfried A. Hary: Die Agentin und der Kampfstoff
In einem osteuropäischen Land putscht sich ein Offizier an die Macht und die Angestellten der gemeinsamen deutsch-französische Botschaft werden als Geiseln genommen. Eine Einheit von kampferprobten Spezialisten muss die Lage durch ein gewagtes Kommando-Unternehmen entschärfen und eine Welt-Krise verhindern...
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2025 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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von CHRIS HELLER
Ich sitze an meinem Schreibtisch im Polizeihauptpräsidium Hamburg, während der Regen unaufhörlich gegen die großen Fenster prasselt. Der Himmel ist grau, die Stadt wirkt heute noch ein bisschen düsterer als sonst. Der Duft von kaltem Kaffee mischt sich mit dem leisen Summen der Computer und dem gelegentlichen Klappern von Tastaturen. Mein Kollege Roy Müller sitzt mir gegenüber, blättert gelangweilt in einer Akte und wirft mir ab und zu einen Blick zu.
„Uwe, hast du schon gehört?“, fragt er schließlich und legt die Mappe beiseite.
„Was denn?“, antworte ich, ohne den Blick von meinem Bildschirm zu heben.
„Am Hafen wurde eine Leiche gefunden. Tatort Speicherstadt. Ein Mann, Mitte vierzig, erschlagen.“
Ich schiebe meine Unterlagen zur Seite, stehe auf und greife nach meiner Jacke. „Dann wird’s Zeit, dass wir uns das ansehen. Komm, Roy.“
Draußen peitscht der Wind den Regen gegen die Scheiben, als wir in unseren Streifenwagen steigen. Die Straßen sind nass, spiegeln die Lichter der Stadt, und in der Ferne hört man das Hupen der Containerfrachter. Hamburg schläft nie, und heute wird es nicht anders sein.
Der Weg zum Tatort führt uns durch die Straßen Hamburgs, vorbei an der glitzernden HafenCity, die im Regen fast schon unwirklich wirkt, bis hin zur Speicherstadt – den alten Lagerhäusern mit ihren roten Backsteinmauern, die sich wie ein Labyrinth entlang der Kanäle ziehen. Die Speicherstadt ist ein Ort voller Geschichte, aber auch voller Schatten. Heute scheinen diese Schatten besonders dunkel zu sein.
Am Tatort angekommen, empfängt uns Dr. Dr. Friedrich G. Förnheim, unser Forensiker. Er lehnt lässig an einer Backsteinmauer, die Arme verschränkt, und mustert uns mit diesem typisch überheblichen Blick, den er immer aufsetzt, wenn er meint, wir könnten seine Zeit verschwenden.
„Ah, die Herren Kommissare. Pünktlich wie immer. Hoffentlich bringen Sie heute mehr Verstand mit als die üblichen Verdächtigen“, sagt er mit einem spöttischen Grinsen.
Roy verdreht die Augen, ich ignoriere Förnheim lieber. „Was haben wir?“
Förnheim deutet auf den Kopfsteinpflasterboden, wo die Leiche liegt. „Mann, Mitte vierzig, Schädelbasisfraktur, verursacht durch einen kräftigen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand. Keine Anzeichen für einen Kampf. Das spricht für Überraschung. Keine Fremd-DNA, keine anderen Spuren, zumindest bisher.“
Neben ihm steht Dr. Gerold Wildenbacher, unser Rechtsmediziner. Er wirkt mit seiner hemdsärmligen, pragmatischen Art wie jemand, der keine Zeit für Sentimentalitäten hat. „Das Opfer ist seit etwa zwölf Stunden tot. Keine Hinweise auf Drogen oder Alkohol im Blut. Ein sauberer Schnitt, könnte auch ein Profi gewesen sein.“
Ich kniete mich neben die Leiche. „Kennen Sie den Mann?“
„Noch nicht. Keine Papiere, keine Ausweise. Aber ich habe schon eine Probe für Förnheim vorbereitet“, antwortet Wildenbacher.
Ich stehe auf und sehe mich um. Die Speicherstadt ist menschenleer, nur das leise Tropfen des Regens und das entfernte Rauschen der Elbe sind zu hören. Der Hafen liegt nur wenige hundert Meter entfernt, und die schweren Containerfrachter wirken in der grauen Dämmerung wie stumme Zeugen.
Wir beginnen mit den Befragungen. Ein Hafenarbeiter, der die Leiche gefunden hat, steht zitternd unter einem Regenschirm. „Ich war früh dran heute, wollte ’nen Container checken. Da lag der Mann. Ich hab’ nichts gesehen, aber ich hab’ gehört, wie jemand laut geschrien hat. War aber zu dunkel, um was zu erkennen.“
Roy und ich tauschen einen Blick. Ein Zeuge, der nichts gesehen hat, ist oft genauso wertvoll wie gar keiner.
„Können Sie uns sagen, ob der Mann jemanden kannte?“, frage ich den Hafenarbeiter.
Er schüttelt den Kopf. „Nein, tut mir leid. Ich hab’ ihn hier noch nie gesehen.“
Wir notieren uns seine Aussagen und verabschieden uns. Zurück im Präsidium treffen wir Kriminaldirektor Jonathan Bock. Er sitzt hinter seinem massiven Schreibtisch, die Stirn in Falten gelegt. „Jörgensen, Müller, ich erwarte von Ihnen, dass Sie diesen Fall schnell lösen. Die Öffentlichkeit ist nervös, und wir können uns keine Fehler leisten.“
Ich nicke. „Verstanden, Herr Direktor. Wir geben unser Bestes.“
Nachdem wir das Büro verlassen haben, lehne ich mich gegen die Wand des Flurs und atme tief durch. „Ein Mann, erschlagen in der Speicherstadt. Keine Papiere, keine Zeugen. Das wird kein Spaziergang.“
Roy nickt. „Und Förnheim hat nichts gefunden, was uns weiterhilft. Keine Fremd-DNA, keine Fingerabdrücke. Das ist ungewöhnlich.“
„Ungewöhnlich ist Hamburg bei Regen sowieso“, antworte ich trocken. „Aber wir haben immerhin die Substanz, die Förnheim erwähnt hat. Die seltene Chemikalie, die nur in bestimmten Industriebetrieben verwendet wird.“
„Dann sollten wir morgen früh direkt dort anfangen“, sagt Roy.
Am nächsten Tag sitzen wir wieder im Streifenwagen, auf dem Weg zu einem Industriegebiet in der Nähe des Hafens. Die Straßen sind noch feucht vom Regen, und die Luft riecht nach Salz und Diesel. Wir halten vor einem großen Werkstor, das von einem gelangweilten Pförtner bewacht wird.
„Guten Morgen, wir sind von der Kripo“, sage ich und zeige meinen Dienstausweis. „Wir ermitteln in einem Mordfall und benötigen Zugang zu Ihren Anlagen.“
Der Pförtner mustert uns misstrauisch, tippt aber schließlich auf seinem Computer herum und öffnet das Tor. „Viel Glück. Hier läuft nicht immer alles mit rechten Dingen.“
Wir betreten das Gelände und werden von einem Sicherheitsbeauftragten empfangen, der uns durch die Hallen führt. Überall surren Maschinen, und Arbeiter in Schutzkleidung bewegen sich zwischen den Anlagen. Die Atmosphäre ist laut, hektisch und irgendwie unpersönlich.
„Haben Sie in letzter Zeit ungewöhnliche Vorkommnisse bemerkt?“, frage ich den Sicherheitsbeauftragten.
Er schüttelt den Kopf. „Nichts, was mir aufgefallen wäre. Aber hier arbeiten viele Menschen, da verliert man schnell den Überblick.“
Wir durchsuchen die Büros, sprechen mit Mitarbeitern und sammeln Informationen. Dabei stoßen wir auf einen Mann namens Lars Petersen, der in der Nachtschicht arbeitet. Er wirkt nervös, als wir ihn befragen.
„Können Sie uns sagen, ob Sie den Toten kannten?“, frage ich.
Er zögert. „Nein, ich habe ihn nie gesehen.“
„Sind Sie sicher?“, hakt Roy nach. „Wir wissen, dass das Opfer Kontakt mit einer Chemikalie hatte, die hier verwendet wird.“
Petersen schluckt. „Ich... ich weiß nicht. Vielleicht habe ich ihn einmal in der Kantine gesehen.“
Wir notieren uns seine Aussagen und verlassen das Werk. Draußen vor dem Tor sehe ich, wie die Elbe im Sonnenlicht glitzert. Hamburg ist eine Stadt der Gegensätze – voller Leben und voller Geheimnisse.
Zurück im Präsidium treffen wir Förnheim und Wildenbacher, um die neuesten Ergebnisse zu besprechen.
„Die Substanz ist ein spezielles Lösungsmittel, das in der Schiffsindustrie verwendet wird“, erklärt Förnheim. „Es ist nicht leicht zu bekommen, und es haftet nur kurz an Oberflächen.“
„Das bedeutet, dass das Opfer entweder dort gearbeitet hat oder jemand ihm die Substanz absichtlich zugefügt hat“, fügt Wildenbacher hinzu.
Ich sehe Roy an. „Dann müssen wir herausfinden, wo der Mann zuletzt war und mit wem er zu tun hatte.“
Die nächsten Tage verbringen wir damit, das Leben des Opfers zu rekonstruieren. Es stellt sich heraus, dass er ein ehemaliger Angestellter eines Schifffahrtsunternehmens war, der vor kurzem entlassen wurde. Die Motive für den Mord werden langsam klarer – Rache, Eifersucht, vielleicht auch Geld.
Doch je tiefer wir graben, desto mehr Fragen tauchen auf. Wer hatte wirklich ein Interesse daran, ihn tot zu sehen? Und warum wurde der Mord so kaltblütig und professionell ausgeführt?
Eines Abends, als ich gerade das Präsidium verlassen will, ruft mich Förnheim noch einmal zurück ins Labor. „Uwe, ich habe etwas gefunden. Etwas, das Sie interessieren dürfte.“
Er zeigt mir unter dem Mikroskop eine winzige Faser, die an der Kleidung des Opfers klebt. „Diese Faser stammt von einem besonderen Stoff, der nur in exklusiven Anzügen verwendet wird. Das könnte der Durchbruch sein.“
Ich nicke langsam. „Dann wissen wir, wo wir als nächstes suchen müssen.“
Hamburg schläft nicht, und wir auch nicht. Der Schatten der Elbe wird länger, und wir sind mittendrin.
*
Der Fund der Faser in Förnheims Labor hatte uns einen neuen Anhaltspunkt geliefert, doch mit dem Wissen allein war es noch lange nicht getan. Hamburg ist eine Stadt voller Geschichten, und jede Faser, jeder Schatten kann eine andere Wahrheit erzählen. Roy und ich saßen wieder in unserem Büro im Polizeihauptpräsidium, die Akten vor uns ausgebreitet, während draußen der Regen nachließ und die Straßen langsam trockneten.
„Exklusive Anzüge, sagst du?“, murmelte Roy, während er die Beschreibung der Faser studierte. „Das schränkt die Verdächtigen schon mal ein. Kein Hafenarbeiter trägt so etwas.“
Ich nickte. „Genau. Das Opfer hatte also Kontakt zu jemandem aus der oberen Etage. Oder war selbst Teil davon. Wir müssen herausfinden, wer in seinem Umfeld solche Anzüge trägt.“
Wir beschlossen, noch einmal die Firmenliste durchzugehen, die wir vom Industriegebiet bekommen hatten. Das Opfer, ein gewisser Jens Kramer, war vor wenigen Wochen entlassen worden, nachdem er in einen Streit mit seinem Vorgesetzten geraten war. Der Name des Vorgesetzten: Henrik Lenz. Ein Mann, der in der Hamburger Schifffahrtsbranche einen guten Ruf hatte, aber auch für seine Härte bekannt war.
Am nächsten Morgen fuhren wir zu Lenz’ Büro in der HafenCity. Das Gebäude war modern, mit Glasfronten, und wir wurden von einer Sekretärin empfangen, die uns skeptisch musterte.
„Kommissare Jörgensen und Müller. Wir möchten Herrn Lenz sprechen“, sagte ich und zeigte meinen Dienstausweis.
Nach kurzer Wartezeit kam Lenz selbst heraus. Ein großer Mann mit grauen Schläfen, der Anzug saß perfekt. Sein Blick war kühl, doch professionell.
„Worum geht es?“, fragte er knapp.
„Wir ermitteln im Mordfall Jens Kramer. Sie waren sein Vorgesetzter, korrekt?“
Er nickte. „Ja. Kramer war ein guter Mitarbeiter, bis er sich plötzlich verändert hat. Es gab Spannungen, ja. Aber Mord? Das ist absurd.“
„Können Sie uns sagen, wo Sie in der Tatnacht waren?“
Lenz runzelte die Stirn. „Ich war auf einer Geschäftsreise in Berlin. Das können meine Kollegen bestätigen.“
Wir notierten uns seine Aussage, doch der Verdacht blieb. Ein Mann mit Macht und Einfluss, der plötzlich einen ungeliebten Mitarbeiter loswerden will – das war ein klassisches Motiv.
Zurück im Präsidium besprachen wir die nächsten Schritte mit Kriminaldirektor Bock. Er war nicht begeistert von der Idee, Lenz zu verdächtigen, aber er wusste, dass wir alle Spuren verfolgen mussten.
„Seien Sie vorsichtig, Jörgensen. Lenz hat Verbindungen, die uns das Leben schwer machen können“, warnte er.
Wir machten uns daran, Lenz’ Alibi zu überprüfen. Die Kollegen aus Berlin bestätigten seine Anwesenheit, doch etwas passte nicht. Die Zeitangaben waren vage, und es gab eine Lücke von etwa zwei Stunden, in denen niemand genau wusste, wo er war.
Währenddessen analysierte Förnheim weiter die Faser. „Ich habe herausgefunden, dass der Stoff von einem italienischen Designer stammt, der nur an wenige exklusive Schneider in Hamburg liefert“, erklärte er mit seiner üblichen Arroganz. „Ich empfehle Ihnen, diese Schneider aufzusuchen. Vielleicht finden Sie dort den Besitzer des Anzugs.“
Wir machten uns auf den Weg zu einem der bekanntesten Schneider in der Stadt, der in einem noblen Viertel nahe der Alster residierte. Der Laden war elegant eingerichtet, und der Schneider, ein älterer Herr namens Herrmann, empfing uns mit höflichem Interesse.
„Sie suchen also den Besitzer eines Anzugs aus meinem Hause?“, fragte er.
„Genau. Können Sie uns helfen?“
Herrmann dachte nach. „Ich habe vor kurzem einen Anzug für einen Herrn Schneider angefertigt. Sehr anspruchsvoll, sehr diskret. Er hat den Anzug persönlich abgeholt.“
„Haben Sie Kontaktdaten?“
„Leider nicht. Herr Schneider zahlt bar und möchte anonym bleiben.“
Wir verließen den Laden mit mehr Fragen als Antworten. Wer war dieser Herr Schneider? Und warum wollte er anonym bleiben?
Zurück im Präsidium erhielten wir einen Anruf von Wildenbacher. „Ich habe die Obduktion abgeschlossen. Es gibt etwas, das ich Ihnen nicht vorenthalten möchte.“
Wir trafen ihn im Rechtsmedizinischen Institut. „Was gibt es?“, fragte ich.
„Das Opfer hatte eine alte Verletzung am linken Unterarm, die nicht zu seinem aktuellen Job passt. Es sieht aus, als hätte er früher in der Bauindustrie gearbeitet. Vielleicht ein Hinweis auf seine Vergangenheit.“
Das passte zu dem Bild, das wir von Kramer hatten – ein Mann, der versucht hatte, sich hochzuarbeiten, aber von seiner Vergangenheit eingeholt wurde.
In den folgenden Tagen durchkämmten Roy und ich die sozialen Netzwerke, sprachen mit ehemaligen Kollegen, Freunden und Bekannten von Kramer. Dabei stießen wir auf eine Frau namens Anna, die als Krankenschwester in einem Krankenhaus in Altona arbeitete. Sie hatte eine Beziehung mit Kramer gehabt, war aber vor kurzem auseinandergegangen.
Wir besuchten Anna in ihrer Wohnung. Sie war eine junge Frau mit müden Augen, die von der Trennung gezeichnet waren.
„Ich wusste, dass Jens Probleme hatte“, sagte sie leise. „Er hat viel gearbeitet, aber er war auch in Schwierigkeiten. Er hat mir erzählt, dass jemand ihn bedroht hat.“
„Können Sie uns sagen, wer das war?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, er wollte mich nicht belasten. Aber ich glaube, es hatte mit seiner Arbeit zu tun.“
Wir verabschiedeten uns und gingen. Die Hinweise verdichteten sich, doch der Täter blieb im Verborgenen.
Eines Abends, als ich gerade das Präsidium verlassen wollte, rief mich Förnheim zurück ins Labor. „Uwe, ich habe etwas entdeckt, das Sie interessieren dürfte.“
Er zeigte mir unter dem Mikroskop eine winzige Faser, die an der Kleidung des Opfers klebte. „Diese Faser stammt von einem besonderen Stoff, der nur in exklusiven Anzügen verwendet wird. Das könnte der Durchbruch sein.“
Ich nickte langsam. „Dann wissen wir, wo wir als nächstes suchen müssen.“
Hamburg schläft nicht, und wir auch nicht. Der Schatten der Elbe wird länger, und wir sind mittendrin.
Kapitel 3: Verdeckte Wahrheiten
Die winzige Faser, die Förnheim unter dem Mikroskop entdeckt hatte, war mehr als nur ein Stofffetzen – sie war ein Schlüssel, der uns tiefer in das Netz aus Lügen und Geheimnissen führen würde, das sich um den Mord an Jens Kramer spannte. Doch bevor wir die Spur weiterverfolgen konnten, mussten wir erst einmal die Puzzleteile zusammensetzen, die wir bisher gesammelt hatten.
Am nächsten Morgen trafen Roy und ich uns früh im Präsidium, um die Liste der Schneider und der möglichen Besitzer exklusiver Anzüge durchzugehen. Die Information, dass ein gewisser „Herr Schneider“ anonym einen Anzug gekauft hatte, ließ uns nicht los. Es war ungewöhnlich, dass jemand in dieser Branche so viel Wert auf Diskretion legte.
„Uwe“, begann Roy, während er die Akte mit den Schneideradressen durchblätterte, „wir sollten herausfinden, ob es in Hamburg Personen mit dem Nachnamen Schneider gibt, die in der Schifffahrtsbranche oder in der Industrie tätig sind. Vielleicht ist das kein Zufall.“
Ich nickte. „Gute Idee. Außerdem sollten wir die Überwachungsvideos aus der Speicherstadt noch einmal genauer ansehen. Vielleicht erkennt Förnheim etwas, das wir übersehen haben.“
Wir kontaktierten die Sicherheitsfirma, die die Kameras in der Speicherstadt betreibt, und bekamen die Aufnahmen der Nacht des Mordes. Das Bild war körnig, die Dunkelheit und der Regen erschwerten die Sicht, doch wir entdeckten eine Gestalt, die sich kurz vor der Tat in der Nähe des Tatorts aufhielt. Die Person trug einen dunklen Mantel und einen Hut, das Gesicht war nicht zu erkennen.
„Das könnte unser Mann sein“, sagte Roy. „Oder unsere Frau.“
Wir ließen die Bilder von Förnheim analysieren. Er zog eine Augenbraue hoch, als er die Aufnahmen sah. „Die Person bewegt sich mit einer Selbstsicherheit, die auf jemanden hindeutet, der sich in diesem Viertel auskennt. Und die Kleidung passt zu meiner Faser.“
Wir hatten also nicht nur den Besitzer des Anzugs, sondern auch einen möglichen Täter vor Augen – oder zumindest eine Person, die uns näher an die Wahrheit bringen könnte.
In den folgenden Tagen konzentrierten wir uns auf die Suche nach dem mysteriösen Herrn Schneider. Unsere Recherchen führten uns zu einem Mann namens Markus Schneider, der als Geschäftsführer einer mittelständischen Reederei in Hamburg bekannt war. Er war ein Mann, der in der Branche respektiert wurde, aber auch für seine knallharten Geschäftspraktiken berüchtigt war.
Wir vereinbarten einen Termin in seinem Büro in der HafenCity. Das Gebäude war modern und elegant, und Schneider empfing uns mit einem kühlen Lächeln. Sein Anzug war tadellos, und sein Blick scharf.
„Kommissare, was kann ich für Sie tun?“, fragte er, während er uns in seinen Empfangsraum bat.
„Herr Schneider, wir ermitteln im Mordfall Jens Kramer“, begann ich. „Es gibt Hinweise, dass Sie den Besitzer eines Anzugs kennen, der mit dem Opfer in Verbindung steht.“
Sein Lächeln verschwand. „Ich kenne viele Menschen, Kommissar. Aber ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.“
„Die Forensiker haben eine Faser gefunden, die nur in exklusiven Anzügen wie dem Ihren vorkommt“, sagte Roy. „Wir möchten wissen, ob Sie Herrn Kramer kannten.“
Schneider lehnte sich zurück. „Kramer? Ja, ich kenne den Namen. Er hat vor einiger Zeit für eine Firma gearbeitet, die ich kontrolliere. Aber das war alles.“
Wir spürten, dass er uns nicht alles sagte. Doch ohne handfeste Beweise konnten wir ihn nicht festhalten.
Auf dem Rückweg zum Präsidium diskutierten Roy und ich die Situation. „Schneider ist unser Hauptverdächtiger“, sagte Roy. „Aber wir brauchen mehr Beweise.“
„Und wir müssen herausfinden, was zwischen ihm und Kramer vorgefallen ist“, antwortete ich.
Zurück im Präsidium rief Förnheim uns ins Labor. „Ich habe die Faser weiter untersucht“, sagte er. „Sie enthält Spuren einer seltenen Chemikalie, die in der Schiffsindustrie verwendet wird – und zwar genau die, die wir schon vom Tatort kennen.“
„Das bestätigt, dass der Täter aus der Branche stammt“, sagte ich.
„Genau“, bestätigte Förnheim. „Und ich habe noch etwas gefunden – winzige Partikel von Lack, die auf eine bestimmte Werft in Hamburg hinweisen.“
Wir beschlossen, die Werft zu besuchen. Dort trafen wir auf den Werftleiter, einen grobschlächtigen Mann namens Klaus Becker, der uns mit misstrauischen Blicken empfing.
„Was wollen Sie hier?“, fragte er schroff.
„Wir ermitteln im Mordfall Kramer“, sagte ich. „Wir suchen nach Verbindungen und Hinweisen.“
Becker zuckte mit den Schultern. „Kramer war ein guter Arbeiter, aber er hat sich mit den falschen Leuten eingelassen. Mehr weiß ich nicht.“
Wir ließen uns die Mitarbeiterliste zeigen und fanden tatsächlich einen Mann namens Schneider, der dort als leitender Ingenieur arbeitete.
Das passte zu unserem Verdacht. Wir mussten herausfinden, ob Markus Schneider und dieser Ingenieur verwandt waren oder ob es sich um eine andere Person handelte.
In den nächsten Tagen verfolgten wir die Spur weiter, sprachen mit Kollegen, überprüften Alibis und sammelten Beweise. Doch je näher wir der Wahrheit kamen, desto gefährlicher wurde es. Jemand wollte nicht, dass wir zu viel erfuhren.
Eines Nachts wurde unser Büro im Präsidium von einem Einbrecher heimgesucht. Zum Glück war Roy gerade noch rechtzeitig zurückgekehrt, um den Eindringling zu vertreiben. Doch die Botschaft war klar: Wir waren auf der richtigen Spur.
Trotz der Gefahr gaben wir nicht auf. Wir wussten, dass Jens Kramers Tod mehr war als nur ein einfacher Mord – es war ein Stück Hamburger Industriegeschichte, das in Blut geschrieben wurde.
Der Einbruch in unser Büro war kein Zufall. Jemand wollte uns einschüchtern, uns davon abhalten, die Wahrheit über Jens Kramers Tod ans Licht zu bringen. Doch Roy und ich ließen uns nicht einschüchtern. Im Gegenteil: Das Risiko zeigte uns, dass wir auf der richtigen Spur waren.
Am nächsten Morgen saßen wir wieder im Präsidium, die Spuren des Einbruchs noch frisch in unseren Köpfen. Kriminaldirektor Bock hatte sich bereits informiert und mahnte zur Vorsicht. „Jörgensen, Müller, passen Sie auf sich auf. Das hier ist kein gewöhnlicher Fall. Sie bewegen sich auf dünnem Eis.“
Ich nickte. „Danke, Herr Direktor. Wir sind vorsichtig.“
Roy und ich beschlossen, unsere Ermittlungen zu intensivieren. Die Verbindung zwischen Markus Schneider, dem leitenden Ingenieur auf der Werft, und dem Opfer Kramer musste geklärt werden. Wir fanden heraus, dass Schneider und Kramer sich kannten – und dass es zwischen ihnen Spannungen gab.
Ein ehemaliger Kollege berichtete uns, dass Kramer in den Wochen vor seinem Tod Informationen über illegale Machenschaften auf der Werft gesammelt hatte. Es ging um Schmiergelder, Auftragsvergaben und dubiose Geschäfte, die den Ruf der Reederei gefährden konnten.
„Das klingt nach einem Motiv“, sagte Roy. „Jemand wollte verhindern, dass Kramer diese Informationen veröffentlicht.“
Wir konfrontierten Markus Schneider mit den Vorwürfen. Er reagierte abweisend und leugnete alles. Doch sein Alibi für die Tatnacht war schwach, und die Überwachungsvideos zeigten eine Gestalt, die seiner Beschreibung entsprach.
Währenddessen arbeitete Förnheim fieberhaft an weiteren forensischen Analysen. „Ich habe Spuren von Schmieröl an der Kleidung des Opfers gefunden“, berichtete er. „Das passt zu den Maschinen auf der Werft.“
Auch Wildenbacher bestätigte, dass die Verletzungen am Arm des Opfers mit einem Arbeitsunfall auf der Werft zusammenpassen könnten – oder mit einem Kampf.
Die Ermittlungen führten uns schließlich zu einem geheimen Treffen in einem verrauchten Hafenlokal, wo wir Informanten trafen, die bereit waren, über die Machenschaften auf der Werft zu sprechen. Die Schatten, die über der Schifffahrtsbranche lagen, wurden immer länger.
Doch je näher wir der Wahrheit kamen, desto mehr gerieten wir selbst ins Visier. Drohungen, Überwachungen, und der Einbruch waren nur der Anfang.
In einer dramatischen Wendung entdeckten wir, dass nicht nur Markus Schneider, sondern auch Henrik Lenz, der Vorgesetzte von Kramer, in die illegalen Geschäfte verwickelt war. Die beiden hatten ein gemeinsames Interesse daran, Kramer zum Schweigen zu bringen.
Die Erkenntnis, dass sowohl Markus Schneider als auch Henrik Lenz in dunkle Machenschaften verwickelt waren, ließ die Luft in unserem Büro förmlich knistern. Roy und ich saßen spätabends noch einmal zusammen, die Akten und Notizen vor uns ausgebreitet, während draußen der Wind durch die Straßen Hamburgs fegte.
„Das ist größer, als wir dachten“, murmelte Roy und rieb sich die Augen. „Wir haben es hier nicht nur mit einem Mord zu tun, sondern mit einem ganzen Netzwerk aus Korruption und Machtmissbrauch.“
Ich nickte. „Und je mehr wir graben, desto mehr geraten wir selbst ins Visier. Der Einbruch war nur der Anfang.“
Am nächsten Morgen vereinbarten wir ein Treffen mit Kriminaldirektor Bock. Er hörte sich unsere Ergebnisse an, sein Gesicht blieb ernst.
„Sie haben den richtigen Riecher, Jörgensen. Aber passen Sie auf. Wenn diese Männer etwas zu verbergen haben, werden sie nicht zögern, alles zu tun, um ihre Geheimnisse zu schützen.“
Wir beschlossen, die Ermittlungen zu intensivieren und eine verdeckte Operation zu starten. Ziel war es, weitere Beweise zu sammeln und die Verstrickungen zwischen Schneider, Lenz und anderen Beteiligten aufzudecken.
Förnheim analysierte weiterhin die Spuren, während Wildenbacher uns mit medizinischen Erkenntnissen unterstützte. Die forensischen Details bestätigten immer wieder, dass das Opfer mehr wusste, als gut für ihn war.
In den folgenden Tagen beobachteten wir die Verdächtigen, dokumentierten ihre Treffen und versuchten, ihre Kommunikation zu überwachen. Dabei stießen wir auf ein Netzwerk von Komplizen, das bis in die höchsten Kreise der Hamburger Wirtschaft reichte.
Eines Abends, als ich gerade das Präsidium verlassen wollte, erhielt ich einen anonymen Anruf. Eine verrauschte Stimme warnte mich, die Ermittlungen einzustellen, sonst würde ich die Konsequenzen tragen.
Ich legte auf und spürte, wie sich eine Mischung aus Angst und Entschlossenheit in mir breit machte. Roy und ich waren jetzt mitten im Auge des Sturms.
Trotz der Bedrohungen arbeiteten wir weiter, bis wir schließlich genug Beweise hatten, um die Drahtzieher zu überführen. Die Verhaftungen erfolgten in den frühen Morgenstunden, als die Stadt noch schlief.
Markus Schneider und Henrik Lenz wurden abgeführt, ihre Gesichter waren blass und angespannt. Die Öffentlichkeit war schockiert, als die Details der Affäre ans Licht kamen.
Die Verhaftungen von Markus Schneider und Henrik Lenz waren ein bedeutender Durchbruch – zumindest schien es so. Doch in der Welt der Kriminalität und Korruption ist ein Sieg selten endgültig. Hamburg atmete auf, die Schlagzeilen dominierten die Zeitungen, und die Öffentlichkeit forderte Antworten. Doch Roy und ich wussten: Die Wahrheit war komplexer, und die Schatten, die wir aufgedeckt hatten, reichten tiefer als gedacht.
Im Büro des Kriminaldirektors Jonathan Bock saßen wir an einem verregneten Nachmittag zusammen. Bock, der sonst eher zurückhaltend war, wirkte diesmal nachdenklich.
„Jörgensen, Müller, ich gratuliere Ihnen zu der Arbeit. Aber seien Sie sich bewusst, dass mit den Verhaftungen nicht alles vorbei ist. Es gibt immer jemanden, der die Fäden zieht, der im Hintergrund agiert.“
Ich nickte. „Wir haben Hinweise auf weitere Beteiligte. Es könnte ein Netzwerk sein, das bis in die Politik reicht.“
Bock seufzte. „Dann müssen wir vorsichtig sein. Hamburg ist eine Stadt mit vielen Gesichtern. Manche davon sind gefährlich.“
In den folgenden Wochen arbeiteten Roy und ich unermüdlich daran, die Verbindungen zu entwirren. Wir durchforsteten E-Mails, Telefonprotokolle und Banktransaktionen. Förnheim und Wildenbacher unterstützten uns mit ihren Analysen, die immer wieder neue Puzzleteile lieferten.
Eines Abends erhielt ich eine Einladung zu einem Treffen an einem geheimen Ort. Der Absender war anonym, doch die Botschaft war klar: Es gab jemanden, der bereit war, mit uns zu sprechen – unter der Bedingung, dass wir vorsichtig waren.
Roy und ich fuhren zu einem verlassenen Lagerhaus am Hafen. Die Atmosphäre war angespannt, der Geruch von Salz und Diesel lag in der Luft. Im Schatten der Container wartete eine Gestalt auf uns.
„Sie sind die Kommissare, die den Fall Kramer lösen wollen?“, fragte die Stimme leise.
Ich trat näher und erkannte einen Mann mittleren Alters, dessen Gesicht von Sorgen gezeichnet war.
„Ich habe Informationen, die Sie brauchen“, flüsterte er. „Aber es ist gefährlich.“
Was folgte, war eine Enthüllung, die unsere Ermittlungen auf den Kopf stellte. Der Mord an Jens Kramer war nur die Spitze eines Eisbergs. Ein Netzwerk aus Korruption, Geldwäsche und Machtmissbrauch hatte sich in Hamburg eingenistet – und es war größer, als wir je vermutet hatten.
Roy und ich wussten, dass wir jetzt vorsichtig sein mussten. Die Jagd war noch lange nicht vorbei.
Der Mann, der uns im verlassenen Lagerhaus am Hafen erwartete, war sichtlich nervös. Seine Augen huschten immer wieder zur Tür, als fürchtete er, dass jemand ihn beobachtete oder gar verfolgte. Doch trotz seiner Angst war er entschlossen, uns die Informationen zu geben, die er hatte.
„Mein Name ist Thomas Bergmann“, begann er leise. „Ich arbeite seit Jahren als Buchhalter für eine Firma, die in Wahrheit nur eine Tarnung ist. Über diese Firma laufen die Geldflüsse, die mit den Machenschaften von Lenz, Schneider und anderen verbunden sind.“
Ich sah zu Roy, der ebenfalls aufmerksam zuhörte. „Warum kommen Sie jetzt zu uns?“
Bergmann schluckte. „Weil ich nicht mehr länger Teil dieses Spiels sein will. Ich habe Beweise, die alles aufdecken können – Banküberweisungen, Verträge, geheime Treffen. Aber ich brauche Schutz, sonst bin ich erledigt.“
Wir versicherten ihm, dass wir alles tun würden, um ihn zu schützen. Zurück im Präsidium setzten wir sofort alle Hebel in Bewegung, um Bergmann in ein Zeugenschutzprogramm aufzunehmen. Gleichzeitig begannen wir, die von ihm gelieferten Dokumente zu prüfen.
Die Beweise waren erschütternd. Sie zeigten, wie ein Netzwerk aus Geschäftsleuten, Politikern und Beamten Geldwäsche betrieben, um illegale Gewinne aus der Schifffahrtsindustrie zu verschleiern. Jens Kramer war auf diese Spur gestoßen und hatte versucht, sie zu durchkreuzen – mit fatalen Folgen.
Während wir die Dokumente durchgingen, klingelte mein Telefon. Es war Förnheim. „Uwe, ich habe etwas entdeckt, das Sie interessieren dürfte. Eine Verbindung zwischen den Überweisungen und einem Offshore-Konto in der Karibik.“
„Das bestätigt, dass das Geld international gewaschen wird“, antwortete ich.
„Genau. Und ich habe noch mehr. Eine Liste mit Namen, die in diesen Kreis verwickelt sind. Namen, die wir bisher nicht auf dem Schirm hatten.“
Wir vereinbarten ein Treffen mit Bock und dem zuständigen Staatsanwalt. Die Lage war ernst, und wir mussten sorgfältig vorgehen, um die Ermittlungen nicht zu gefährden.
In den kommenden Wochen arbeiteten wir rund um die Uhr. Die Gefahr, entdeckt zu werden, war groß, doch wir waren fest entschlossen, das Netzwerk zu zerschlagen. Immer wieder erhielten wir Drohungen, doch wir ließen uns nicht einschüchtern.
Schließlich kam der Tag der Razzia. Gemeinsam mit Spezialeinheiten stürmten wir die Büros, Wohnungen und Lagerhallen der Verdächtigen. Die Beweismittel waren erdrückend, und die Verhaftungen folgten Schlag auf Schlag.
Der Regen hatte aufgehört, und die Straßen Hamburgs glänzten im schwachen Licht der Straßenlaternen. Die Elbe flüsterte leise, als wolle sie uns zur Ruhe mahnen – doch für Roy und mich gab es keine Ruhe. Nicht jetzt, nicht nach allem, was wir gesehen hatten.
Die Razzia lag hinter uns. Zahlreiche Verhaftungen, Berge an Beweismaterial und ein Netzwerk, das sich Stück für Stück auflöste. Doch die Drahtzieher, die wahren Strippenzieher, waren noch immer auf freiem Fuß. Und wir wussten, dass sie nicht kampflos aufgeben würden.
Es war ein kühler Morgen, als wir im Präsidium saßen und die neuesten Erkenntnisse auswerteten. Förnheim hatte sich mit seiner üblichen Arroganz in den Laborraum zurückgezogen, um neue Spuren zu analysieren, während Wildenbacher die Obduktionsergebnisse noch einmal durchging. Kriminaldirektor Bock hatte uns zu einem Gespräch geladen.
„Jörgensen, Müller“, begann Bock, seine Stimme war ruhig, aber bestimmt, „wir haben Hinweise, dass einer der Hauptverdächtigen, ein gewisser Karl-Heinz Vogt, sich ins Ausland abgesetzt hat. Vogt war lange Zeit der Schattenherrscher hinter den Kulissen. Er hat die Fäden gezogen, ohne sich selbst in den Vordergrund zu drängen.“
Ich sah zu Roy. „Vogt… der Name ist mir in den Akten schon begegnet. Ein Mann, der im Hintergrund agiert, aber immer präsent ist.“
„Genau“, bestätigte Bock. „Wir müssen ihn finden, bevor er endgültig verschwindet.“
Wir starteten eine europaweite Fahndung. Die Spur führte uns von Hamburg über Amsterdam bis nach Monaco. Die Ermittlungen waren zäh, die Behörden in den verschiedenen Ländern arbeiteten eng mit uns zusammen. Doch Vogt war ein erfahrener Fuchs, der seine Spuren sorgfältig verwischte.
Währenddessen hielten wir den Kontakt zu Thomas Bergmann, unserem Informanten, der im Zeugenschutzprogramm war. Er lieferte uns weiterhin wertvolle Informationen aus dem Inneren des Netzwerks.
Eines Abends, als ich gerade das Präsidium verlassen wollte, klingelte mein Telefon. Es war Roy.
„Uwe, ich habe etwas. Vogt wurde in einem Hotel in Monaco gesehen. Die Polizei dort ist bereit für eine Festnahme.“
Ich fühlte, wie mein Herz schneller schlug. „Dann sollten wir keine Zeit verlieren.“
Roy und ich flogen noch in der Nacht nach Monaco. Die Stadt war ein glitzerndes Juwel an der Mittelmeerküste, doch hinter der Fassade aus Luxus und Glamour verbarg sich eine Welt voller Intrigen und Gefahren.
Wir trafen uns mit den lokalen Behörden und planten die Festnahme. Vogt war in einem exklusiven Hotel untergebracht, umgeben von Leibwächtern und einem Geflecht aus Sicherheitsvorkehrungen.
Die Operation verlief präzise. In den frühen Morgenstunden stürmten wir das Hotelzimmer. Vogt war überrascht, aber nicht ängstlich. Er lächelte kalt, als wir ihn festnahmen.
„Sie glauben wirklich, dass Sie damit durchkommen?“, fragte er spöttisch.
„Das werden wir sehen“, antwortete ich.
Zurück in Hamburg begann die Vernehmung. Vogt schwieg zunächst, doch unter dem Druck der Beweise und der Aussicht auf eine lange Haftstrafe begann er zu reden.
Er offenbarte das Ausmaß der Korruption, die Verstrickungen in Politik, Wirtschaft und sogar Teile der Polizei. Namen fielen, die wir nie erwartet hätten. Doch mit jeder Enthüllung wurde das Netz klarer.
Vogt erklärte, dass Jens Kramer zu viel gewusst hatte und deshalb zum Schweigen gebracht werden musste. Die Verstrickungen waren so tief, dass es Jahre dauern würde, alle Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.
Mit Vogts Geständnis und den gesammelten Beweisen konnten wir die letzten Puzzleteile zusammensetzen. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen zahlreiche Beteiligte, und die Öffentlichkeit erfuhr die ganze Wahrheit.
Die Medien berichteten ausführlich, und Hamburg erlebte eine Welle der Empörung und des Aufbruchs. Die Stadt wollte sauberer werden, wollte die Schatten vertreiben.
Für Roy und mich war es ein Abschluss, aber auch ein Neuanfang. Wir hatten einen Fall gelöst, der uns an unsere Grenzen gebracht hatte, der uns gezeigt hatte, wie dünn die Linie zwischen Recht und Unrecht manchmal ist.
An einem sonnigen Nachmittag saßen Roy und ich an der Elbe, blickten auf die vorbeiziehenden Schiffe und die glitzernde Wasseroberfläche.
„Weißt du, Uwe“, sagte Roy, „manchmal frage ich mich, ob wir wirklich etwas verändern können.“
Ich lächelte. „Vielleicht nicht die ganze Welt. Aber für heute, für diesen Fall – ja. Und das reicht.“
Die Elbe rauschte leise, und die Stadt lebte weiter. Hamburg, mit all seinen Geheimnissen und seiner Schönheit, war unser Zuhause. Und solange wir hier waren, gab es Hoffnung.
Der Fall war abgeschlossen, die Akten abgeheftet, und die Stadt begann langsam, sich von den Schatten zu befreien, die sich so lange über sie gelegt hatten. Roy und ich standen am frühen Abend an der Elbe, direkt an der Landungsbrücke, wo der Wind salzig und frisch durch die Haare wehte.
In der Hand hielt ich ein frisch belegtes Fischbrötchen – knuspriges Brötchen, saftiger Matjes, rote Zwiebeln und ein Hauch von Dill. Roy biss genüsslich hinein und grinste. „Weißt du, Uwe, manchmal sind es die einfachen Dinge, die einem zeigen, dass das Leben weitergeht.“
Ich nickte und nahm einen großen Bissen. Der Geschmack von Hamburg, von Heimat, erfüllte mich. „Nach all dem Trubel ist das hier genau das Richtige.“
Wir standen schweigend da, blickten auf die vorbeiziehenden Schiffe und die glitzernde Elbe. Die Stadt, die uns so viel abverlangt hatte, schenkte uns in diesem Moment ein kleines Stück Frieden.
„Auf den nächsten Fall“, sagte Roy schließlich und hob sein Fischbrötchen.
„Auf Hamburg“, antwortete ich und stieß mit ihm an.
Die Sonne versank langsam hinter den Dächern, und die Lichter der Stadt begannen zu leuchten. Wir waren zurück – bereit für alles, was noch kommen mochte.
Ende
Thriller von Alfred Bekker
Die Mutprobe einer Jugendgang endet in einem Blutbad. Die Gang-Mitglieder geraten an einen Gangster-Boss, der sich sein Portemonnaie partout nicht abnehmen lassen will. Doch das ist nur der Auftakt für eine Serie von blutigen Ereignissen, die New York erschüttern. Ein brutaler Kampf mächtiger Syndikate entbrennt - und die Ermittler folgen der Spur des Todes.
Action Thriller von Alfred Bekker alias Henry Rohmer
Henry Rohmer ist das Pseudonym des bekannten Fantasy- und Jugendbuch-Autors ALFRED BEKKER.
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author
© 2015 der Digitalausgabe by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
www.AlfredBekker.de
postmaster @ alfredbekker . de
Der Umfang dieses Ebook entspricht 124 Taschenbuchseiten.
17.00 Uhr. Rush Hour im Big Apple. Der Verkehr stand mal wieder auf der Brooklyn Bridge. Die Instandsetzungsarbeiten, die zurzeit an der Brückenkonstruktion durchgeführt wurden, sorgten immer wieder für Staus. Spezialfahrzeuge hielten am Fahrbahnrand. Engpässe waren bei hohem Verkehrsaufkommen vorprogrammiert. Jack Scarlatti klopfte nervös auf dem Lenkrad seines Cabriolets herum. Das dunkelhaarige Girl auf dem Beifahrersitz verdrehte genervt die Augen.
"Du hättest auf mich hören und über Queens fahren sollen", maulte sie. "Ich hab dir doch..." Sie sprach nicht weiter, riss verwundert die Augen auf. Scarlatti war genauso verwirrt. Sieben junge Männer schnellten auf Roller-Skates durch die engen Gassen zwischen den stehenden Fahrzeugen. Ihr Tempo war halsbrecherisch. Sie trugen lange Western-Mäntel, Helme und Sonnenbrillen mit Spiegelgläsern, die einen Großteil des Gesichts verbargen. Der erste von ihnen stoppte, riss eine Automatik hervor und feuerte wild um sich.
Auch die anderen holten ihre Waffen hervor. Automatische Pistolen und eine abgesägte Shot Gun. Einer der Roller-Skates-Fahrer schwenkte eine Handgranate in der Linken.
"Macht die Fenster auf - oder es gibt einen großen Knall!", rief er.
Ein Kerl, auf dessen Helm "Wild Eagle" stand, feuerte mit seiner Automatik durch die Seitenscheibe eines BMW. Zwei Löcher waren im Glas. Die Kugeln steckten irgendwo in den Polstern. Der Fahrer saß schreckensbleich zusammengekauert hinter dem Steuer.
Der Kerl glitt auf seinen Roller-Skates heran und verpasste der durchschossenen Scheibe einen Ellbogencheck. Sie brach auseinander. Mit dem Waffenarm langte er ins Innere, hielt dem BMW-Fahrer die Mündung entgegen.
"Die Brieftasche, du Fettarsch!"
Der BMW-Fahrer griff in die Innentasche seines Tausend-Dollar-Maßanzugs und reichte die Brieftasche hinüber.
Jack Scarlatti beobachtete die Szene mit zusammengekniffenen Augen.
"Verdammte Schweinehunde!", zischte er zwischen den Zähnen hindurch.
Das Girl auf dem Beifahrersitz seines offenen Porsche begann zu wimmern.
"Jack! Unternimm doch was!"
"Halt die Klappe, Evita!"
Einer der Gangster schnellte mit der Waffe in der Hand auf den Sportwagen zu.
Scarlatti griff unter sein Jackett, riss eine Automatik hervor. Er feuerte sofort. Der Roller-Skates-Fahrer bekam einen Kopftreffer, taumelte zurück und schlug gegen das Heck eines Vans.
Evita riss Augen und Mund weit auf.
Das dunkelhaarige Girl schrie hysterisch.
Der Kerl mit der Handgranate zog mit den Zähnen den Auslöser ab. Scarlattis Gesicht verzog sich zur grimmigen Maske. Er schwenkte die Waffe herum und feuerte erneut. Sein Schuss erwischte den Kerl mit der Handgranate in der Brust. Sekundenbruchteile bevor der Roller-Skates-Fahrer die Handgranate in Scarlattis Richtung schleudern konnte, ließ ihn die Wucht des Geschosses zurücktaumeln. Er landete auf dem Kotflügel eines Coupés, rutschte blutüberströmt zu Boden.
Einer seiner Komplizen feuerte fast im selben Moment auf Scarlatti. Ein Ruck ging durch den Körper des Italoamerikaners. Die Kugel erwischte ihn in der Brust, knapp oberhalb des Herzens.
Das Girl auf dem Beifahrersitz schrie.
Im nächsten Moment detonierte die Handgranate.
Scheiben barsten.
Das Coupé wurde buchstäblich auseinander gerissen. Metallteile flogen durch Luft. Der Tank explodierte. Einer der Mantel-Gangster, der zu nahe am Explosionsherd gestanden hatte, wurde von den Flammen erfasst. Die Druckwelle schleuderte ihn wie eine brennende Puppe durch die Luft. Der Körper prallte gegen die Seitenfront eines Container-Trucks. Sein Schrei verstummte.
Der Roller-Skates-Fahrer mit der Shotgun stoppte den Lauf seiner Rollen, wirbelte herum. Für seinen Komplizen konnte er nichts mehr tun. Er starrte auf die lodernden Flammen, dann wandte er sich dem vollkommen unter Schock stehenden Girl auf dem Porsche-Beifahrersitz zu.
Evita saß zitternd da.
Neben ihr die blutüberströmte Leiche von Jack Scarlatti.
Der Maskierte hob die Shot Gun in Höhe ihres Kopfes.
"Gib mir die Brieftasche von deinem Typ!"
Das Girl saß vollkommen konsterniert da. Sie starrte auf einen bestimmten Punkt in Höhe der Schulter, der ihren Blick gefangen nahm. Dort befand sich ein Aufnäher auf dem groben Stoff des Westernmantels. "Fuck U!!" stand darauf.
Evita schluckte.
"Los, verschwinden wir!", rief einer der anderen Maskierten.
Aber der Kerl mit der Shotgun ließ sich davon nicht beeinflussen. Er drückte die Waffe ab, riss sie im letzten Moment in die Luft, sodass das die Schrotladung ins Nichts ging. Die Blondine zuckte zusammen.
"Wird's bald?"
Zitternd griff das Girl dem toten Scarlatti in die Jackettinnentasche und holte die Brieftasche hervor. Der Shotgun-Schütze riss es ihr aus der Hand. Dann setzte er sich in Bewegung, glitt auf seinen Rollen zwischen den Wagen her.
Ein paar Leute, die aus ihren Wagen gestiegen waren, sprangen ihm in letzter Sekunde aus der Bahn.
Mister McKee machte ein ernstes Gesicht. Milo und ich saßen zusammen mit einer Reihe weiterer G-men im Besprechungszimmer unseres Chefs. "Wenn wir Pech haben, dann ist der Tod von Jack Scarlatti nur der Auftakt eines ausgewachsenen Gangsterkrieges", erklärte Mister McKee. Scarlatti und sein Syndikat versuchten zurzeit mit allen Mitteln, die Vorherrschaft der Russen und Ukrainer aus Brooklyn im Bereich der illegalen Müllentsorgung zu brechen. Die Gewinnspannen in diesem Zweig des organisierten Verbrechens überschritten seit Jahren schon die des Drogenhandels bei weitem. Ein unerwünschter Nebeneffekt immer höherer Umweltstandards und knapper werdender Lagerkapazitäten auf den legalen Sondermülldeponien.
Mister McKee wandte sich an Agent Max Carter aus dem Innendienst. "Ich hatte Sie gebeten, für die anwesenden Special Agents ein Dossier über Scarlattis bisherigen Werdegang zusammenzustellen, Max."
"Habe ich auch gemacht. Es wird gerade noch ausgedruckt. Im Wesentlichen lassen sich unsere bisherigen Erkenntnisse folgendermaßen zusammenfassen: Jack Scarlatti übernahm vor drei Jahren die Geschäfte seines Vaters Tony, der außer Landes ging, bevor die Justiz gegen ihn vorgehen konnte. Jetzt sitzt Tony Scarlatti in Marokko und kann davon ausgehen, dass wahrscheinlich auch in den nächsten zwanzig Jahren kein Auslieferungsabkommen zwischen Marokko und den USA abgeschlossen werden wird."
"Und selbst wenn", ergänzte Mister McKee. "Scarlatti senior hat frühzeitig dafür gesorgt, die Gewinne aus seinen illegalen Geschäften ins Ausland zu transferieren. Er wäre reich genug, um in Marokko die Justiz in seinem Sinn zu bestechen."
"Aus diesem sicheren Hafen wird ihn wohl so schnell auch niemand hervorlocken können", war ich überzeugt.
Mister McKee hob die Augenbrauen. "Wer weiß? Sein Sohn Jack Scarlatti wurde jedenfalls gestern am frühen Abend auf der Brooklyn Bridge unter sehr eigenartigen Umständen erschossen, was auch für das alte Familienoberhaupt die Lage ändern könnte. Jeder von Ihnen, der die Lokalnachrichten oder das Frühstücksfernsehen eingeschaltet hatte, wird die Bilder von der Rauchwolke gesehen haben, die Richtung Battery Park zog."
Max Carter projizierte ein Dia an die Wand, das den Tatort nur wenige Minuten nach dem Anschlag zeigte. Ein Hubschrauber der City Police hatte das Foto gemacht. Die Rauchfahne war deutlich zu sehen.
"Die Kollegen der City Police und der Highway Patrol haben gestern Abend noch Dutzende von Zeugen befragt. Einige unserer Agenten waren auch dabei. Danach ergibt sich folgendes Bild: Eine Gruppe von sieben bewaffneten Roller-Skates-Fahrern schnellte zwischen den im Stau stehenden Fahrzeugen her und begann damit, die wehrlosen Insassen auszurauben. Einer von ihnen drohte mit einer Handgranate für ein Inferno zu sorgen..."
"Was ihm ja wohl auch gelungen ist", sagte Clive Caravaggio. Der stellvertretende Special Agent in Charge nippte an seinem Kaffeebecher.
Max Carter kratzte sich am Kinn. "Den Zeugenaussagen nach lief das Ganze nicht so, wie diese Roller-Skates-Gang es wohl geplant hatte. Ein Porschefahrer zog eine Waffe und wehrte sich. Das war Jack Scarlatti. Er lieferte sich mit den Mobstern ein Feuergefecht. Insgesamt drei von ihnen kamen ums Leben. Dabei wurde die Handgranate ausgelöst. Die sterblichen Überreste der drei Roller-Skates-Fahrer sind beim Coroner und ich hoffe, dass wir möglichst bald wissen, um wen es sich handelt. Durch die Explosion, sowie durch die Luft geschleuderte Metallteile kamen außerdem die nach unseren bisherigen Erkenntnissen völlig unbeteiligten Insassen eines Sportcoupés ums Leben. Einige Dutzend Personen erlitten Verletzungen."
"Hatten die Täter es denn wirklich auf Scarlatti abgesehen oder handelte es sich vielleicht doch um einen Raubüberfall?", hakte mein Freund und Kollege Milo Tucker nach.
Max Carter zuckte die Achseln. "Wir wissen es nicht. Nur eins steht fest: Es gibt einige Leute bei der Müllmafia in Brooklyn, denen Scarlattis Tod gut in den Kram passt. Und der alte Scarlatti wird jetzt Blutrache schwören."
"Also können wir uns so oder so in nächster Zeit auf einiges gefasst machen", schloss Mister McKee. "Jack Scarlattis zweiter Mann hier in New York ist ein gewisser Ray Neverio. Gehört zur Familie, ein Großcousin glaube ich. Wir gehen davon aus, dass er die Geschäfte weiter führt."
"Wenn die Hypothese stimmt, dass die Brooklyn-Leute dahinterstecken, dann wird Neverio mit Sicherheit die Nummer Zwei auf der Todesliste sein", stellte Clive Caravaggio fest.
Mister McKee nickte. "Oder die Scarlatti-Familie schlägt zurück und es erwischt einen der Bosse in Brooklyn. Aber wir werden nicht zulassen, dass das passiert. Unter keinen Umständen."
"Für mich sieht das ganze eher aus wie eine dieser Mutproben, wie man sie von den Gangs aus dem Barrio oder der South Bronx kennt", meinte ich. Bei derartigen Mutproben mussten neu aufgenommene Mitglieder Straftaten begehen, die sie an die Gang banden. Es kam auf die Coolness des Auftritts an. Die Neuen mussten sich Respekt innerhalb der Gruppe verschaffen und zeigen, was für tolle Typen sie waren. Die Effektivität stand nicht an erster Stelle. Ihr Geld machten diese Gangs normalerweise im Drogenhandel oder anderen Zweigen des organisierten Verbrechens. Auf jeden Fall gab es einträglichere Möglichkeiten für sie, Geld einzunehmen, als das Auto-Mugging im Stau der Brooklyn Bridge.
Mister McKee nickte. "Normalerweise würde Ihnen jeder hier im Raum sofort zustimmen, Jesse. Aber in diesem Fall heißt das Opfer Jack Scarlatti. Und an so eine Nummer würden sich die üblichen Gangs nicht im Traum herantrauen."
"Sie meinen, dieses Theater mit den Roller-Skates, den langen Mänteln und dem Brieftaschenraub war nur vorgetäuscht?", hakte ich nach.
"Diese Möglichkeit sollten wir nicht ausschließen", fand Mister McKee.
"Immerhin sind Roller-Skates doch auch total out", mischte sich Orry ein. "Heute fährt doch jeder Inliner."
"Die haben allerdings eine viel geringere Stabilität und lassen sich nicht so sicher stoppen", erläuterte Max Carter. "Bei Roller-Skates sind die Rollen jeweils paarweise unter dem Schuh angebracht, bei Inlinern dagegen in einer Reihe."
Clive Caravaggio meldete sich zu Wort. "Wie sind die Kerle eigentlich geflohen?", hakte er nach. "Ich meine, vorausgesetzt, unter diesen Mänteln haben sich keine Girls versteckt!"
Max Carter zoomte die Brooklyn Bridge etwas näher heran. Dann markierte er mit seinem Laserpointer eine ganz bestimmte Stelle. "Sehen Sie hier! Genau dort wartete nach Angaben mehrerer Zeugen ein Mercedes Transporter in entgegengesetzter Fahrtrichtung. Da herrschte nämlich kein Stau! Die Roller-Skates-Gangster kletterten über die Leitplanken und verschwand im Transporter. Glücklicherweise hat sich ein Zeuge bei der City Police gemeldet, der sich die Nummer aufgeschrieben hatte."
"Wenigstens gibt es ab und zu noch so etwas wie Zivilcourage!", raunte Milo mir zu. Manche Leute glauben, Zivilcourage müsse immer bedeuten, dass man den Helden spielt. Oft genug besteht sie aber zum Beispiel nur darin, dass man sich eine Nummer aufschreibt oder sich als Zeuge meldet, anstatt so zu tun, als würde einen das alles nichts angehen.
"Der Transporter wurde einen Tag zuvor genau um 12.38 Uhr als gestohlen gemeldet", fuhr Max Carter fort. "Halter ist ein gewisser Larry Morton. Ihm gehört ein Drugstore in der South Bronx." Carter zeigte ein Bild von Morton, das offensichtlich aus den über das Datenverbundsystem NYSIS stammenden Fahndungsdateien stammte. "Morton ist wegen Versicherungsbetrugs vorbestraft, deswegen haben wir ihn in den Archiven."
Orry Medina meldete sich zu Wort. "Was hat er genau gemacht, Max?"
"Es ging um fingierte Unfälle. Das hat mit der Sache von gestern Abend nichts zu tun."
"Aber wir wissen, dass Morton sich schon auf krumme Touren eingelassen hat", ergänzte ich.
Max nickte. "Diesmal ist auch etwas faul. Er wurde wegen überhöhter Geschwindigkeit auf dem Bruckner Expressway geblitzt - eine halbe Stunde nachdem angeblich sein Wagen gestohlen worden war! Das Foto, das dabei entstand, zeigt eindeutig Morton, daran gibt es nicht den geringsten Zweifel!"
Mister McKee wandte sich an Milo und mich. "Ich möchte, dass Sie sich diesen Morton mal vornehmen. Möglicherweise hat er was mit der Sache zu tun oder kann uns zumindest wertvolle Hinweise geben."
"In Ordnung, Sir", sagte ich.
Unser Chef wandte sich an Clive Caravaggio. "Nehmen Sie alle unter die Lupe, die irgendwie mit den Scarlattis zusammenhängen, Clive. Aktivieren Sie jeden Informanten in Little Italy, der etwas dazu zu sagen hat!"
"Ich schätze, das Scarlatti-Syndikat gleicht im Moment einem aufgescheuchten Hühnerhaufen", meinte der stellvertretende SAC.
Mister McKee hob die Augenbrauen. "Aber dieser Zustand wird nicht lange anhalten, fürchte ich!"
Eines der Telefone auf dem Schreibtisch unseres Chefs klingelte.
Mister McKee ging an den Apparat, nahm den Hörer ans Ohr.
Eine tiefe Furche zeigte sich auf seinem Gesicht.
Kurze Zeit später legte er wieder auf. "In Brooklyn hat es eine Explosion gegeben. Die Villa von Alex Shkoliov steht in Flammen!"
Shkoliov - der Name war uns allen bekannt. Er galt als starker Mann bei den Ukrainern. Das alte grausame Mafia-Spiel ging also wieder los: Ihr tötet einen von uns, dann töten wir einen von euch...
Milo und ich saßen in einem unscheinbaren silbergrauen Chevy aus dem Fuhrpark der Fahrbereitschaft. Den Sportwagen, den uns das FBI Field Office New York sonst zur Verfügung stellte, war für den Job, der vor uns lag, einfach zu auffällig.
Während unsere Kollegen mit großem Aufgebot zur Villa von Alex Shkoliov auf den Brooklyn Heights fuhren, waren Milo und ich in die entgegensetzte Richtung unterwegs.
Unser Ziel war das Haus Nr. 432 in der 143. Straße.
Das war die Adresse von Larry Morton, dem Besitzer des Van, mit dem die Roller-Skates-Gang geflüchtet war. Auf der First Avenue fuhren wir nach Norden. Der Harlem River ist die Grenze zwischen Manhattan und der Bronx, deren südlicher Teil einen geradezu berüchtigten Ruf genießt.
Einige Gebiete wurden von Gangs und Crackdealern beherrscht. Ganze Straßenzüge verfielen langsam. Die Polizei traute sich in manche Gegenden nur in Stärke einer 10er-Einsatzmannschaft und mit kugelsicherer Weste. Im Norden hingegen hatte die Bronx ein eher bürgerliches Gesicht. Schmucke Alleen mit Einfamilienhäusern prägten Viertel wie Riverdale. Auch die Labors der Scientific Research Division, dem zentralen Erkennungsdienst aller New Yorker Polizeieinheiten, befanden sich in der Bronx. Ein Stadtteil mit zwei Gesichtern, einem schönen und einem sehr hässlichen. Leider hatte letzteres den Ruf der Bronx in aller Welt nachhaltig geprägt. Eine Brücke führte über den Harlem River. Ab hier hieß die First Avenue plötzlich Melrose Avenue. Wie ein gerader Strich durchzog sie die Bronx und trennte unter anderem auch Einflussgebiete verschiedener Drogengangs voneinander. "Weißt du, was ich glaube, Milo?", fragte ich, als wir gerade das Bronx-Ufer des Harlem Rivers erreicht hatten. "Mir ging das die ganze Zeit über nicht aus dem Kopf, als wir in Mister McKees Büro saßen..."
"Wovon sprichst du, Jesse?"
"Davon, dass das meiner Ansicht nach auf keinen Fall ein geplantes Attentat auf Jack Scarlatti war."
"Wie willst du das so sicher ausschließen?"
"Diese Roller-Skates-Gang hat angefangen, den Leuten die Brieftaschen wegzunehmen. Wahrscheinlich sind sie aus purem Zufall auf Scarlatti getroffen."
"Und der hat geglaubt, ein Killerkommando hätte es auf ihn abgesehen. Scarlatti griff zur Waffe und das Drama nahm seinen Lauf."
"Genau. Wenn diese Gangster geahnt hätten, dass ihnen zufällig ein Scarlatti gegenübersitzt, hätten sie um dessen Porsche einen weiten Bogen gemacht, Milo."
"Zufällig?", echote Milo. "Wenn das Opfer Jack Scarlatti heißt, denkt man an alles Mögliche. Nur nicht an Zufall. Dir brauche ich ja nicht zu sagen, wie viele Feinde Scarlatti hatte. Wie Mister McKee schon sagte: Das Ausrauben der Leute kann durchaus Tarnung gewesen sein..."
"Aber dann beantworte mir mal eine Frage, Milo: Wie sollen die Mörder gewusst haben, dass Scarlatti junior sich mit seinem Porsche an einer ganz bestimmten Stelle auf der Brooklyn Bridge befand?"
"Keine Ahnung!"
"Siehst du! Wenn es ein Attentat war, dann müssen diese Roller-Skates-Killer das aber gewusst haben!"
Milo kratzte sich nachdenklich am Kinn. "Jemand hat einen Peilsender an Scarlattis Porsche angebracht!", fiel ihm eine Lösung ein, an die ich auch schon gedacht hatte.
"Die Kollegen der Scientific Research Division haben nichts dergleichen gefunden, ich habe mir Max' Dossier daraufhin noch einmal durchgelesen."
"Wir haben den abschließenden Untersuchungsbericht der SRD noch nicht", gab Milo zu bedenken.
Ich grinste. "Eins zu null für dich!"
"Was - so schnell gibst du dich geschlagen?"
"Nein, ich habe mich in dieser Frage nur noch nicht endgültig festgelegt, Milo."
Ich bog von der Melrose Avenue ab. Wir fuhren durch trostlose Straßenzüge. Ganze Blocks waren unbewohnt. Nur hin und wieder fanden sich Geschäfte. Immer wieder konnte man vernagelte Fenster sehen. Larry Mortons Drugstore befand sich im Erdgeschoss eines dreistöckigen Brownstone-Hauses. Ich stellte den Chevy am Straßenrand ab. Wir stiegen aus, blickten uns um. Auf der anderen Straßenseite standen ein paar junge Männer in übergroßen Cargo-Hosen und dunklen Wollmützen. Ein Ghetto-Blaster sorgte dafür, dass die Gegend mit Rap-Musik beschallt wurde. Die Kerle blickten misstrauisch zu uns herüber. Wir betraten den Drugstore. Larry Morton stand hinter dem Tresen und nippte an einer übergroßen Kaffeetasse mit der Aufschrift "I love You". Ich erkannte ihn sofort von den Fotos, die wir von ihm hatten. Er war Mitte dreißig, hatte dunkel gelocktes Haar und blaue Augen. Morton blickte auf. Ich hielt ihm meine ID-Card entgegen.
"Ich bin Special Agent Jesse Trevellian vom FBI Field Office New York und dies ist mein Kollege Milo Tucker. Wir möchten Ihnen ein paar Fragen stellen!"
"Fragen?" Ein Muskel zuckte unruhig unterhalb seines linken Auges. "Was für Fragen?"
"Es geht um Ihren Wagen."
"Den Van?"
"Ja", nickte ich.
"Ich wusste gar nicht, dass sich neuerdings G-men um gestohlene Autos kümmern!"
"Wenn dieser Wagen wenig später bei der Ermordung einer Mafia-Größe als Fluchtfahrzeug der Täter dient - dann ja!"
Morton verschränkte die Arme vor der Brust. "Keine Ahnung, wovon Sie reden!"
"Jack Scarlatti - der Name sagt Ihnen gar nichts? In den Lokalnachrichten gab es kaum ein anderes Thema!"
"Mein Fernseher ist defekt, G-man!"
Milo holte eine Kopie jenes Fotos aus seiner Innentasche, das bei Mortons Geschwindigkeitsübertretung auf dem Bruckner Expressway geschossen worden war. "Dieses Bild wurde zu einem Zeitpunkt geknipst, als Sie Ihren Wagen schon als gestohlen gemeldet hatten."
"Das ist doch Unsinn!"
"Das sind Tatsachen!"
"Tatsache ist auch, dass mein Wagen immer noch verschwunden ist. Wissen Sie eigentlich, was das für mich als Geschäftsmann bedeutet?"
Milo mischte sich ein und sagte: "Ich nehme an, dass man Sie für Ihren Verlust fürstlich entschädigt hat!"
"Was?" Er stierte uns scheinbar verständnislos an. Wir waren uns sicher, dass er ganz genau wusste, worauf wir hinaus wollten.
Ich deutete auf das Foto. "Sie wussten offensichtlich schon im Voraus, dass Ihr Wagen gestohlen wird, Mister Morton. Es gibt zwei Möglichkeiten. Sie können mit uns zur Federal Plaza fahren und sich möglichst schnell um einen Anwalt bemühen..."
"...oder Sie packen aus!", ergänzte Milo.
"Hey, was wollt ihr mir da anhängen, ihr Schweinehunde!", rief Morton.
"Vorsicht!", riet ich ihm. "Ich nehme an, dass jemand Sie mehr oder weniger freundlich gebeten hat, ihm den Van am nächsten Tag zu überlassen. Vielleicht wurden Sie sogar gezwungen. Sie ahnten, dass das mit irgendeiner illegalen Sache zu tun haben würde und meldeten den Van vorsichtshalber als gestohlen. Nur dummerweise brauchten Sie den Wagen noch einmal, bevor die Typen ihn am nächsten Tag abholten..."
"Sie haben eine blühende Fantasie", knurrte Morton zwischen den Zähnen hindurch. Sein Gesicht war dunkelrot angelaufen. Er ballte die Hände zu Fäusten. Die Muskeln seines breitschultrigen Oberkörpers spannten sich.
"Wem haben Sie den Wagen überlassen?", hakte ich noch einmal nach.
"Ich lasse mich von Ihnen nicht einschüchtern!"
"Na schön, dann reden wir besser an einem anderen Ort weiter."
Morton atmete schwer. "Nein!", schrie er. Er deutete zur Tür. "Wenn Sie mit mir dort hinausgehen und mich abführen..." Er stockte.
"Was ist dann?" hakte ich nach. "Wem haben Sie den Wagen zur Verfügung gestellt?"
"Ich kann es nicht sagen!"
"Sie müssen!"
"Die bringen mich um!"
Morton wirkte weiß wie die Wand.
"Wer?", hakte ich nach. "Na los, raus damit! Dass Sie nicht mit Roller-Skates auf der Brooklyn Bridge unterwegs waren, um Brieftaschen einzusammeln oder einen Angehörigen der Scarlatti-Familie umzubringen, ist mir schon klar..."
Milo beugte sich zu ihm über den Tresen. "Geben Sie uns einen Tipp, wir marschieren dann hier raus und unternehmen erst einmal gar nichts."
Der Mann schluckte.
Wenn wir ihn in Gewahrsam nahmen, dann würden alle in der Gegend denken, dass er ausgesagt hatte. Auch diejenigen, denen seine Angst galt. Das war es, was Morton im Moment fürchtete. Er schloss einen Augenblick lang die Augen. "Okay", brachte er schließlich heraus. "Sie suchen ein paar Leute, die gerne auf Roller-Skates über den Asphalt rasen..."
"Ich sehe, wir verstehen uns!"
"Es gibt hier einen Typ namens Kid Dalbán. Ein Puertoricaner. Keine Ahnung, ob das sein richtiger Name ist. Er dürfte kaum über zwanzig sein, aber die ganze Gegend hier bezahlt an ihn Schutzgeld. Ich auch. Dies ist sein Gebiet... Hier passiert nichts, was nicht seinen Segen hätte!" Morton atmete tief durch.
"Wo finden wir Dalbán?", fragte ich.
Morton lachte heiser. "Er wird Sie finden, wenn Sie sich länger als eine halbe Stunde in dieser Gegend aufhalten."
"Darauf möchte ich nicht unbedingt warten."
"Ich habe Ihnen schon viel zuviel gesagt, G-man! Was glauben Sie, was die mit Leuten machen, die sie für Verräter halten?" Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Morton schien wirklich große Angst zu haben. In gedämpftem Tonfall fuhr er fort: "Es gibt zwei Straßen weiter ein Parkhaus, das nicht mehr in Betrieb ist. Da treffen sich des Öfteren junge Leute. Sie benutzen die Rampen, um halsbrecherische Rennen abzuhalten."
"Auf Roller-Skates!", schloss ich.
"Ja. Es wird natürlich gewettet. Man kann viel Geld dabei gewinnen."
"Und Dálban veranstaltet das Ganze."
Er nickte zögernd. "Genau. Ein Teil dieser verrückten Typen, die da ihren Hals riskieren, sind Dalbáns Leute. Und der Rest träumt wahrscheinlich davon, in seine Gang aufgenommen zu werden. 'Los Santos' nennen die sich - die Heiligen. Wer dazugehört, hat nichts zu befürchten und genug Geld. Die tragen häufig so ein protziges Goldkreuz um den Hals. Im Gegensatz zur katholischen Version hängt allerdings nicht Jesus Christus, sondern ein gehörntes Gerippe daran."
"War Dalbán persönlich hier, um sich Ihren Wagen auszuborgen?", fragte ich.
Er schüttelte den Kopf und lachte rau. "Nein, das wäre unter seiner Würde. Es waren ein paar junge Typen. Ich kenne sie nicht namentlich. "
"Das glaube ich Ihnen nicht. Die Typen stammen doch hier aus der Gegend."
"Verdammt, ich sage Ihnen die Wahrheit!"
"Haben Sie die Jungs nicht gefragt, wer sie schickt?"
"Sollte ich dafür meine Zahnkronen riskieren? Die hätten sich doch sowieso genommen, was sie wollten! Sie sagten einfach: Morgen brauchen wir deinen Wagen, sieh zu, dass er vollgetankt ist oder du ernährst dich die nächsten Monate aus der Schnabeltasse!"
"Verstehe."
Morton schüttelte den Kopf. "Nein, das glaube ich kaum. Und wenn Sie glauben, dass ich irgendetwas von dem, was ich Ihnen erzählt habe, vor Gericht wiederhole, dann sind Sie schief gewickelt. Da lasse ich mich lieber wegen Beihilfe an diesem Anschlag auf der Brooklyn Bridge verknacken."
Ich wechselte mit Milo einen kurzen Blick. Er nickte knapp und sagte: "Wir kommen vielleicht noch einmal wieder, Mister Morton."
"Wenn Sie mich ruinieren wollen: Nur zu!"
"Ein Kollege von uns wird dann mit Ihnen zusammen ein Phantombild dieser Männer erstellen."
"Sie trugen Spiegelbrillen und Mützen. Ich glaube nicht, dass das viel bringt!"
"Abwarten."
Er wollte offenbar ganz einfach nicht mehr sagen. Und das Phantombild würde vermutlich so konkret wie ein abstraktes Kunstwerk ausfallen. Die Mühe konnte man sich wohl sparen.
Wir verließen den Drugstore. Ich war mir noch nicht ganz schlüssig darüber, ob Morton uns mit seiner Aussage wirklich einen guten Tipp gegeben oder uns nur schnell abgespeist hatte. Auf jeden Fall wollten wir uns das Parkhaus mal vornehmen...
"Hey, ich glaube, ich spinne", murmelte Milo.
An unserem Chevy machte sich ein Typ mit Spiegelbrille und Helm zu schaffen. Als er uns sah, glitt er auf seinen Roller-Skates davon. Nach wenigen kraftvollen Bewegungen bekam er ein halsbrecherisches Tempo drauf.
Wir rissen die SIGS heraus.
"Stehen bleiben!", rief Milo.
Aber da war der Kerl schon um die nächste Ecke gebogen.
"Na los, den kaufen wir uns!", meinte Milo. Per Fernbedienung deaktivierte ich die Zentralverriegelung des Chevy. Milo riss die Beifahrertür auf. Ich umrundete die Motorhaube, die Hand glitt zum Türgriff. Milo saß schon im Wagen. Ich zögerte.
"Jesse, bist du festgewachsen oder was ist los?", hörte ich Milos Stimme.
Aber da war noch etwas anderes.
Ein ganz leises Ticken.
Es kam von unten.
"Verdammt raus, Milo! Sofort raus!"
Milo starrte mich an.
Im nächsten Moment zerriss eine Detonation den Wagen. Blechteile wirbelten wie Geschosse durch die Luft. Die Druckwelle ließ die Scheiben von Mortons Drugstore zerbersten.
Die Villa von Alex Shkoliov gab ein Bild ab, wie man es sonst von Fernsehbildern aus Kriegsgebieten gewohnt war.
Als Clive und Orry dort mit einem Aufgebot von zwei Dutzend G-men auftauchten, waren bereits zahlreiche Einsatzfahrzeuge des Fire Service und der City Police vor Ort. Die Explosion hatte einen Brand ausgelöst, der allerdings mittlerweile unter Kontrolle war. Ein Übergreifen der Flammen auf benachbarte Häuser war inzwischen so gut wie ausgeschlossen. Aber in der Villa selbst loderten noch immer die Flammen.
Drei Tote waren inzwischen geborgen worden.
Allerdings waren sie bis zur Unkenntlichkeit entstellt.
Es würde den Gerichtsmedizinern vorbehalten bleiben, sie zu identifizieren.
Clive Caravaggio sprach zuerst mit George Rowtenburg, dem Einsatzleiter des Fire Service.
"Sorry, aber es wird noch eine ganze Weile dauern, bis Ihre Leute sich im Inneren der Villa umsehen können!", meinte er. "Momentan herrscht dort noch akute Lebensgefahr."
"Ist noch jemand im Haus?", fragte Clive.
"Soweit wir wissen nicht", erklärte Rowtenberg. "Unsere Leute konnten trotz ihrer Ausrüstung bislang nur einen kleinen Teil des Gebäudes betreten."
Clive blickte zu dem brennenden Gebäude hinüber. Beißende Qualmwolken zogen über das für New Yorker Verhältnisse sehr weitläufige Grundstück.
Orry meldete sich zu Wort. "Ich glaube, wir kriegen Besuch!", stellte er fest. Er deutete auf einen kleinen, breitschultrigen Mann mit Halbglatze und energischen Gesichtszügen. Mit einem Gefolge von mehreren kräftig gebauten Kerlen betrat er das Grundstück.
Einer der uniformierten Kollegen der City Police versuchte die Gruppe aufzuhalten.
"Gehen Sie aus dem Weg, Mann! Ich bin Alex Shkoliov! Mir gehört dieses Haus - oder was von ihm übrig geblieben ist." Der untersetzte Mann verzog das Gesicht zu einer Grimasse.
Clive, Orry und einige weitere G-men gingen auf Shkoliov zu. Clive zog seine ID-Card, hielt sie dem Ukrainer entgegen.
"Ich bin Agent Caravaggio, stellvertretender SAC des FBI Districts New York. Es freut mich, dass Sie wohlauf sind, Mister Shkoliov."
"Ach wirklich? Sie brauchen mir nichts vorzuheucheln, G-man! In Wahrheit haben Sie gehofft, dass ich von den Männern des Fire Service als verkohlte Leiche geborgen werde! Ihr seid doch alle gleich! Ehrliche Geschäftsleute werden von Ihnen mit Ermittlungen überzogen und nach Strich und Faden schikaniert! Aber auf der anderen Seite ist Ihre Behörde nicht in der Lage, für Sicherheit zu sorgen!" Shkoliov streckte den Arm aus und deutete auf die Villa. "Da haben Sie den Beweis! Ich hoffe, Sie verfolgen die Schuldigen genauso hartnäckig, wie Sie es mit unbescholtenen Bürgern tun!"
"Nun mal halblang!", unterbrach Clive Caravaggio den Redefluss des Ukrainers. "Sie können froh sein, dass Sie in einem Staat leben, in dem Verdächtige relativ große Rechte genießen, sonst säßen Sie längst hinter Gittern!"
"Ach! Jetzt wollen Sie mich auch noch beschuldigen! Dabei bin ich um ein Haar das Opfer eines Mordanschlags geworden!" Shkoliov schnappte nach Luft. Er sagte ein paar Worte auf Ukrainisch zu seinen Bodyguards. Einer der breitschultrigen Mobster reichte seinem Boss daraufhin ein daumengroßes Sprühfläschchen.
Shkoliov sprühte sich damit in den Rachen.
Nitro-Spray!, dachte Clive. Er wusste, dass Shkoliov herzkrank war und mehrere Bypass-Operationen hinter sich hatte.
"Was ist Ihrer Meinung nach hier passiert?", fragte Clive in sachlichem Tonfall.
"Ich war in der City unterwegs, als mich einer meiner Leute anrief. Victor Kosteliov. Er sagte, ein Päckchen sei für mich abgegeben worden. Von einem Kurier. Ich habe Vic gesagt, dass er es sofort öffnen soll. Dann habe ich die Explosion durch das Telefon gehört." Shkoliov schluckte. "Ich nehme an, dass Vic nicht mehr am Leben ist. Der arme Kerl. Er war mein Neffe und ich hatte eigentlich gedacht, dass er eines Tages einen Teil meiner Geschäfte weiter führt..."
"Warum war Ihnen dieses Päckchen so wichtig, dass Sie die sofortige Öffnung anordneten?", hakte Clive nach.
"Vic hatte mir durchgegeben, dass es von dem Juwelier Zorovsky abgeschickt worden war. Ich weiß nicht, ob jemand wie Sie das Diamond Dreamland in der Fifths Avenue kennt."
"Ein sehr teurer Laden für handgearbeiteten Schmuck", sagte Clive gelassen.
Shkoliov hob die Augenbrauen. "Sie überraschen mich, G-man! Wie auch immer, Zorovsky gehört das Diamond Dreamland. Ich hatte mir von ihm ein paar Schmuckstücke anfertigen lassen, die ich heute Abend einer Dame zu schenken gedachte. Ich wollte wissen, wie die Stücke geworden sind..."
"Und das konnte dieser Victor Kosteliov für Sie beurteilen?", wunderte sich Clive. "Als was war er bei Ihnen angestellt?"
"Als Majordomus."
Clive wechselte mit Orry einen kurzen Blick. Dann fuhr der stellvertretende SAC fort: "Wir werden von Ihrer Aussage ein Protokoll machen müssen. Möglicherweise werden Sie Ihre Version der Ereignisse eines Tages vor Gericht wiederholen und beeiden müssen. Das ist Ihnen doch klar, oder?"
Shkoliov verzog das Gesicht zu einem dünnen Lächeln.
"Ihre Kollegen haben in der Vergangenheit nie versäumt, mich auf meine Rechte hinzuweisen."
"Ich nehme an, Sie möchten mit Ihrem eigenen Wagen zur Federal Plaza fahren..."
"Bin ich verhaftet?"
Clive schüttelte den Kopf. "Nein, wir vernehmen Sie als Zeugen, Mister Shkoliov."
Der Ukrainer machte eine wegwerfende Geste. "Sie können sich Ihr ganzes Theater meinetwegen sparen."
"Möchten Sie nicht, dass die Schuldigen an diesem Anschlag auf Ihr Leben gefasst werden?", fragte Clive verwundert.
"Doch, das möchte ich schon. Ich traue Ihnen und dem FBI nur nicht besonders viel zu!"
Das Ticken des Zeitzünders war kaum zu hören.
Milo stieß auf meinen Ruf hin die Tür auf.
Er taumelte hinaus, stürzte auf einen Hauseingang zu. In letzter Sekunde rettete er sich in die Nische.
Ich rannte ebenfalls.
Als die Explosion losbrach, hechtete ich mich zu Boden und rollte mich seitwärts über den Asphalt. Im nächsten Moment befand ich mich unter einem der am Straßenrand parkenden Fahrzeuge. Eine Welle aus Druck und Hitze fegte über mich hinweg. Die Sprengladung, die der Roller-Skates-Gangster unter dem Chevy angebracht hatte, ließ eine gewaltige Flamme aufscheinen. Die Bombe wirkte wie eine Art Zünder, denn im nächsten Moment gab es eine zweite Explosion. Der Tank flog in die Luft. Ich betete dafür, dass nicht weitere Wagen Feuer fingen und explodierten. Aber dazu schien die Sprengladung nicht groß genug gewesen zu sein. Ich rollte mich unter dem parkenden Wagen hervor. Es handelte sich um eine Ford-Limousine, deren Unterboden ziemlich rostzerfressen war.
Auf der anderen Seite des Fords tauchte ich wieder auf. Ich rappelte mich hoch. Während die Flammen loderten, rief ich nach Milo.
"Alles klar, Jesse!", antwortete Milo.
