5 Übersinnliche Spuk Thriller in einem Band Mai 2025 - Alfred Bekker - E-Book

5 Übersinnliche Spuk Thriller in einem Band Mai 2025 E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Das Buch enthält: Patricia Vanhelsing – Engel des Bösen Patricia Vanhelsing – Das Spukhaus Die Gruft des bleichen Lords Namenloser Abt Librum Hexaviratum Eine junge Frau gerät in den Bann okkulter Mächte, als sie die Stellung als Verwalterin eines Landguts antritt – und der geheimnisvolle bleiche Lord wirft seinen dunklen Schatten auf sie... Mein Name ist Patricia Vanhelsing und – ja, ich bin tatsächlich mit dem berühmten Vampirjäger gleichen Namens verwandt. Weshalb unser Zweig der Familie seine Schreibweise von "van Helsing" in "Vanhelsing" änderte, kann ich Ihnen allerdings auch nicht genau sagen. Es existieren da innerhalb meiner Verwandtschaft die unterschiedlichsten Theorien. Um ehrlich zu sein, besonders einleuchtend erscheint mir keine davon. Aber muss es nicht auch Geheimnisse geben, die sich letztlich nicht erklären lassen? Eins können Sie mir jedenfalls glauben: Das Übernatürliche spielte bei uns schon immer eine besondere Rolle. In meinem Fall war es Fluch und Gabe zugleich. Alfred Bekker schreibt Fantasy, Science Fiction, Krimis, historische Romane sowie Kinder- und Jugendbücher. Seine Bücher um DAS REICH DER ELBEN, die DRACHENERDE-SAGA,die GORIAN-Trilogie und seine Romane um die HALBLINGE VON ATHRANOR machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er war Mitautor von Spannungsserien wie Jerry Cotton, Kommissar X und Ren Dhark. Außerdem schrieb er Kriminalromane, in denen oft skurrile Typen im Mittelpunkt stehen.

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Seitenzahl: 549

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Alfred Bekker

5 Übersinnliche Spuk Thriller in einem Band Mai 2025

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Inhaltsverzeichnis

Alfred Bekker | 5 Übersinnliche Spuk Thriller in einem Band Mai 2025

Dieses Buch enthält:

Copyright

Alfred Bekker | Patricia Vanhelsing - Engel des Bösen | Unheimlicher Roman

Alfred Bekker | Patricia Vanhelsing – Das Spukhaus | Unheimlicher Roman

Die Gruft des bleichen Lords

Copyright

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Namenloser Abt & Librum Hexaviratum

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Namenloser Abt

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Librum Hexaviratum

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Alfred Bekker | 5 Übersinnliche Spuk Thriller in einem Band Mai 2025

Alfred Bekker

Eine junge Frau gerät in den Bann okkulter Mächte, als sie die Stellung als Verwalterin eines Landguts antritt – und der geheimnisvolle bleiche Lord wirft seinen dunklen Schatten auf sie...

Mein Name ist Patricia Vanhelsing und – ja, ich bin tatsächlich mit dem berühmten Vampirjäger gleichen Namens verwandt. Weshalb unser Zweig der Familie seine Schreibweise von „van Helsing“ in „Vanhelsing“ änderte, kann ich Ihnen allerdings auch nicht genau sagen. Es existieren da innerhalb meiner Verwandtschaft die unterschiedlichsten Theorien. Um ehrlich zu sein, besonders einleuchtend erscheint mir keine davon. Aber muss es nicht auch Geheimnisse geben, die sich letztlich nicht erklären lassen? Eins können Sie mir jedenfalls glauben: Das Übernatürliche spielte bei uns schon immer eine besondere Rolle.

In meinem Fall war es Fluch und Gabe zugleich.

Alfred Bekker schreibt Fantasy, Science Fiction, Krimis, historische Romane sowie Kinder- und Jugendbücher. Seine Bücher um DAS REICH DER ELBEN, die DRACHENERDE-SAGA,die GORIAN-Trilogie und seine Romane um die HALBLINGE VON ATHRANOR machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er war Mitautor von Spannungsserien wie Jerry Cotton, Kommissar X und Ren Dhark. Außerdem schrieb er Kriminalromane, in denen oft skurrile Typen im Mittelpunkt stehen.

Dieses Buch enthält:

Patricia Vanhelsing – Engel des Bösen

Patricia Vanhelsing – Das Spukhaus

Die Gruft des bleichen Lords

Namenloser Abt

Librum Hexaviratum

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Alfred Bekker

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Alfred Bekker | Patricia Vanhelsing - Engel des Bösen | Unheimlicher Roman

Alfred Bekker

Patricia Vanhelsing - Engel des Bösen

Unheimlicher Roman

Mein Name ist Patricia Vanhelsing und – ja, ich bin tatsächlich mit dem berühmten Vampirjäger gleichen Namens verwandt. Weshalb unser Zweig der Familie seine Schreibweise von „van Helsing“ in „Vanhelsing“ änderte, kann ich Ihnen allerdings auch nicht genau sagen. Es existieren da innerhalb meiner Verwandtschaft die unterschiedlichsten Theorien. Um ehrlich zu sein, besonders einleuchtend erscheint mir keine davon. Aber muss es nicht auch Geheimnisse geben, die sich letztlich nicht erklären lassen? Eins können Sie mir jedenfalls glauben: Das Übernatürliche spielte bei uns schon immer eine besondere Rolle.

In meinem Fall war es Fluch und Gabe zugleich.

Ein Cassiopeiapress E-Book

© by Author

© 2013 der Digitalausgabe by AlfredBekker/Cassiopeiapress, Lengerich/Westfalen

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Ich hielt den Atem an und blickte hinunter zum Themseufer.

Wie angewurzelt stand ich im Schatten eines halbverfallenen Hauses und lauschte dem deutlich hörbaren Hufschlag.

Vier Reiter mit knochenbleichen Gesichtern preschten aus der Dunkelheit hervor. Ihre Augen waren leer und blind, die Haut wie vertrocknetes Pergament.

Aschfahl wirkten ihre Gesichter im Licht des Mondes.

Wie tot.

Aber um ihre dünnen, blutleeren Lippen spielte ein triumphierender Zug.

Die skelettartige Hand des ersten Reiters hielt einen Bogen. Pfeile sirrten durch die Luft. Todesschreie gellten in der Nacht und mischten sich mit dem triumphierenden Gelächter der Reiter zu einem schauerlichen Chor des Grauens.

Der zweite Reiter ließ ein gewaltiges, monströses Schwert über dem Kopf kreisen. Er hieb damit nach rechts und links in die Schwärze der Nacht hinein, während sein feuerrotes Pferd in der Dunkelheit zu leuchten begann.

Undeutlich erkannte ich fliehende Gestalten. Sie waren kaum mehr als schattenhafte Umrisse. Aber die Reiter waren unerbittlich. Pfeil auf Pfeil legte der erste Reiter in seinen Bogen und verschoss sie mit einer gespenstischen Treffsicherheit.

Und wann immer der zweite Reiter sein Schwert niedergehen ließ, erscholl ein grauenerregender Todesschrei.

Die Reiter näherten sich.

Sie hielten genau auf mich zu.

Ich wollte fliehen, aber meine Füße fühlten sich an, als ob sie im Asphalt der Straße verwurzelt wären. Einer der Flüchtenden taumelte mir entgegen. Sein Gesicht war von namenloser Furcht gezeichnet. Er schrie mir etwas Unverständliches entgegen, ehe ein Pfeil ihn in den Rücken traf und niedersinken ließ. Reglos blieb er am Boden liegen.

Die Schreie verebbten.

Die Reiter preschten heran und zügelten schließlich ihre Pferde, als sie bis auf einige Dutzend Schritte herangekommen waren.

Ich war ihnen ausgeliefert.

Eine Gefangene, durch geheimnisvolle Kräfte an den Boden gefesselt.

Kalter Angstschweiß stand mir auf der Stirn und meine Knie drohten weich zu werden.

Jetzt erst konnte ich im Schein des Mondes auch die letzten beiden Reiter genauer erkennen. Der eine trug eine Waage in der Hand, ließ sie hin und her schaukeln und kicherte dabei. Die toten, blicklosen Augen leuchteten gespenstisch. Sein Gewand erinnerte an ein stockiges Leichentuch. Der Mund war ein dünner Strich, und die Haut spannte sich so faltig und wächsern über die hervorstehenden Wangenknochen, dass man an eine entblößte Mumie erinnert war.

Der vierte Reiter trug nur zerrissene Fetzen am Leib. Sein Gesicht war zum Skelett abgemagert. Und die knochendürren Hände balancierten eine Schale, aus der blaustichige Flammen emporloderten.

Der Geruch von Moder und Verwesung schlug mir entgegen und betäubte meine Sinne.

Flieh!

Immer wieder schrie eine innere Stimme dieses Wort. Aber ich hatte keine Möglichkeit dazu. Mein Wille war gelähmt. Eine unheimliche Kraft fesselte mich an das kleine Stück Erde, auf dem ich stand.

Die Reiter bildeten einen Halbkreis um mich und verharrten einige Augenblicke.

Der Herz schlug mir bis zum Hals.

Kalter Angstschweiß stand mir auf der Stirn.

„Wer seid ihr?“, murmelte ich, kaum hörbar. Ein kalter Wind pfiff indessen durch die Straßen am Themseufer und wirbelte die Nebelschwaden durcheinander, die sich am Ufer gebildet hatten.

Ein dröhnendes Lachen antwortete mir.

Dann hörte ich eine Stimme.

Sie sprach leise und erinnerte mich an das Wispern einer Schlange.

„Wir sind die Boten des Untergangs, gekommen um das Verderben zu bringen...“

Meine Kehle war trocken. Ich konnte nichts sagen. Völlig starr stand ich da. Ich hatte jetzt nicht einmal mehr die Macht, meine Hände zu bewegen. Eine geheimnisvolle Kraft hielt mich in ihrem eisernen Griff, der wie ein stählernes Korsett war.

Ich versuchte, den Mund zu öffnen und etwas zu sagen.

Aber auch diese Muskeln gehorchten mir nicht mehr.

Der vierte Reiter, der in seinen knochendürren Händen die blauschimmernde Schale balancierte, brach jetzt aus der Phalanx dieser Schreckensgestalten heraus.

Er ließ sein Pferd, dessen Farbgebung ebenso bleich war wie die seines Totenschädel-Gesichtes, ein paar Meter auf mich zutraben, bevor es stoppte.

Wie eine Verkörperung des Todes!

Seine Augen waren vollkommen weiß. Das Mondlicht wurde von diesen blicklosen Augäpfeln reflektiert, so dass man den Eindruck hatte, dass kleine Lampen aus dem Knochenkopf herausleuchteten. Die Haut war im Bereich des Kopfes derart dünn und pergamentartig, dass die Knochen bereits hindurchschimmerten. Sie war noch fadenscheiniger, als seine ihm in Fetzen vom Leib hängende Kleidung.

Mein Gott, was geht hier vor!

Der Reiter stieg von seinem Klepper. Die Augen des Tiers waren ebenso blicklos und tot wie die seines Herren.

Er trat auf mich zu, hob etwas den Kopf und der Ausdruck in seinen Zügen wirkte fast wie die Karikatur eines Lächelns. Seine Lippen bewegten sich nicht. Und doch sprach er mit einer dunklen, sonoren Stimme, deren Klang dafür sorgte, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten.

„Sieh her, Menschenkind“, sagte er.

Wie hypnotisiert starrte ich in sein grauenerregendes Antlitz, dass mir auf gleichermaßen unerklärliche und unangenehme Weise bekannt vorkam...

Wer um alles in der Welt ist er, Patricia?

Das Gelächter meines Gegenübers wirkte wie eine höhnische Antwort auf diese Frage, die durch meine Gedanken blitzte.

Ich schauderte.

„Es ist nicht wichtig, wer ich bin“, erklärte der Knochenmann dann, so als ob er meinen Gedanken gelesen hatte. „Wichtig ist nur, was ich dir bringe... Die Schale des Todes!“

Er hob die Schale an und balancierte sie in der Linken. Das bläuliche Feuer züngelte daraus empor.

Seine Augen begannen grell aufzuleuchten. Und das hatte nichts mehr mit den Reflektionen des Mondlichts zu tun, sondern mit der dämonischen Kraft, die ihm wohnte.

Der Knochenmann lachte heiser.

Er wandte sich von mir ab. Dabei glitt die Schale des Todes aus seiner Hand und fiel auf den Asphalt. Eine pechschwarze Flüssigkeit ergoss sich daraus und verteilte sich in rasender Geschwindigkeit über den Boden. Auf der Oberfläche dieser Flüssigkeit tanzte das blau schimmernde Feuer. Die Flammen fraßen sich an meine Füße heran. Ein geradezu höllischer Schmerz durchfuhr meinen gesamten Körper. Alles krampfte sich in mir zusammen. Ich wollte schreien, aber ich brachte keinen Ton heraus.

In welche Hölle bist du geraten?, durchzuckte es mich, bevor eine erneute Welle aus rasendem Schmerz jeglichen Gedanken erstickte.

*

„Patti, du verplemperst deinen Sekt!“

Tom Hamiltons Stimme riss mich aus dem beinahe tranceartigen Zustand heraus, in dem ich mir für einige Augenblicke befunden hatte.

Es ist bereits das dritte Mal, dass du die Reiter gesehen hast, ging es mir durch den Kopf. Und allein die Erinnerung an die düsteren Bilder, die ich soeben vor meinem inneren Auge gesehen hatte, jagte mir kalte Schauder über den Rücken. Ein leichtes Schwindelgefühl erfasste mich.

Tom sah mich an. Er fasste mich am Arm.

„Du bist plötzlich so blass, Patti...“

Ich lehnte mich gegen ihn, reckte mich ein bisschen und flüsterte ihm ins Ohr.

„Ich hatte eine Vision, Tom.“

Tom Hamilton war einer der ganz wenigen Menschen, die von meiner leichten übersinnlichen Begabung wussten. Und das sollte möglichst auch so bleiben...

Im Augenblick waren wir allerdings umgeben von fast zwei Dutzend Gästen, die meine Großtante Elizabeth Vanhelsing - für mich Tante Lizzy - in ihre verwinkelte viktorianische Villa eingeladen hatte, um mit ihnen gemeinsam den Silvesterabend des Jahres 1999 zu verbringen. Und so war es nahezu unmöglich, jetzt ungestört mit Tom über die Sache zu reden.

Er sah mich fragend an.

Ich versuchte ein Lächeln und strich sanft über seinen Arm.

„Es ist vorbei“, sagte ich.

„Wirklich?“

„Ja...“

Schon zweimal hatte ich diese unheimlichen Reiter gesehen. Aber beide Mal waren es nur kurze, schlaglichtartige Erlebnisse gewesen, denen ich keinerlei besondere Bedeutung zugemessen hatte. Eine kurze Beunruhigung, ein mulmiges Gefühl in der Magengrube, das einige Augenblicke lang anhielt - das war alles gewesen.

Ich hatte weder mit Tom noch mit Tante Lizzy darüber gesprochen, einfach weil es mir nicht wichtig genug erschienen war.

Der Eindruck, den die letzte - dritte - Vision auf mich gemacht hatte, war deutlich nachhaltiger. Erst jetzt beruhigten sich meine überreizten Nerven langsam und der Puls hatte wieder ein normales Tempo.

Mein Blick glitt über die festlich gekleidete Gästeschar, die den Salon von Tante Lizzys Villa bevölkerte. Ein ausgelassenes Stimmengewirr herrschte hier. Tante Lizzy war in ihrem Element. Die alte Dame stand mitten unter den Gästen, zwischen einem Parapsychologen namens Gordon Sykes und dem Chemiker Hugh St. John, den Tante Lizzy um Hilfe gebeten hatte, als es darum ging, eine der Masken chemisch zu analysieren, mit denen die Mitglieder der Weltuntergangssekte ORDEN DER MASKE zu ihrem Herrn und Meister, einem geheimnisvollen Wesen namens Cayamu, Kontakt aufnehmen konnten. St. John war ein ehemaliger Kollege von Onkel Frederik, Tante Lizzys verschollenem Mann. Gordon Sykes hingegen war wesentlich jünger. Ich schätzte ihn auf Mitte vierzig. Sykes war ursprünglich Physiker gewesen, bevor er sich der Parapsychologie zugewandt hatte. Er behauptete, ein Gerät entwickelt zu haben, mit dessen Hilfe er übersinnliche Energien messen konnte. Meine Großtante, die ihr Leben ganz der Erforschung des Okkultismus widmete und das wahrscheinlich größte Privatarchiv Englands auf diesem Gebiet in ihrer Villa untergebracht hatte, war daran natürlich brennend interessiert.

Ich hatte dem Gespräch der drei einige Augenblicke lang zugehört, als mich ein grauhaariger, etwas schlaksig wirkender Mann ansprach. Er war sehr groß und der dunkle Smoking schien ihm nicht so recht zu passen.

Es handelte sich um Dr. Erich Jacobi, einen Spezialisten für alte Sprachen, der vor vielen Jahren Onkel Frederik auf eine archäologische Forschungsreise als Assistent begleitet hatte.

Der gebürtige Schweizer hatte inzwischen einen Lehrstuhl in Cambridge inne.

„Sagen Sie, wie wird denn die London Express News ins nächste Jahrtausend gehen?“, erkundigte sich Jacobi. Die Frage war durchaus berechtigt. Das Londoner Boulevard-Blatt, bei dem Tom und ich als Reporter angestellt waren, hatte seit dem Tod des Verlegers Arnold Reed einiges an Turbulenzen durchgemacht.

Und für eine Zeitung ist es allemal besser, Schlagzeilen zu DER HERR DER FLEDERMÄUSE

zu haben als selbst welche zu machen.

„Man hat so einiges gehört“, meinte Jacobi dann gedehnt. „Wahrscheinlich ist nur die Hälfte davon wahr, aber als regelmäßiger Leser Ihrer Reportagen frage ich mich doch, was nun wird...“

„Wir auch“, meinte Tom etwas düster. „Ein Verkauf an die Konkurrenz ist noch nicht ganz ausgeschlossen. Aber bis die zerstrittene Erbengemeinschaft sich mal geeinigt hat, geht alles seinen mehr oder minder gewohnten Gang.“

„Und das kann noch einige Zeit so weitergehen“, ergänzte ich.

„Sie beide haben doch immer sehr engagiert gegen diesen eigenartigen ORDEN DER MASKE recherchiert“, stellte Jacobi fest. „Ich habe Ihre Stories darüber gelesen... Der Tod von Arnold Reed soll mit den Machenschaften dieses ORDENS in Zusammenhang stehen...“

„Ja, das stimmt“, nickte ich. Die genauen Umstände waren der Öffentlichkeit nicht bekannt. Arnold Reed war Opfer der vampirähnlichen Tuha-na-Dhyss geworden, die von Mitgliedern des ORDENS beschworen worden waren.

„Mr. Reed stand dem ORDEN DER MASKE im Weg, nicht wahr?“, bohrte Jacobi weiter.

„Zumindest hat er mit seinem breiten Rücken unsere Recherchen immer abgedeckt, obwohl es Versuche gab, Druck auf die London Express News auszuüben“, erklärte Tom.

„Nach der Prophezeiung dieses ORDENS soll doch spätestens mit Beginn des Jahres 2000 das Ende der Welt kommen - oder irre ich mich da?“

„Nein, da irren Sie sich nicht“, sagte ich. „Sie wollen die Erde in Chaos stürzen und Cayamu, dieses geheimnisvolle Wesen, das auf dem fernen Planeten einer Doppelsonne residiert, wird seine getreuen Anhänger im Augenblick der Katastrophe entmaterialisieren und zu sich holen...“

„Es gibt Dutzende derartiger Prophezeiungen, Miss Vanhelsing. Verrückte, die irgendwelche willkürlichen Termine für den Weltuntergang festsetzen. Manche sind so schlau, einen kollektiven Selbstmord der Mitglieder anzusetzen, damit hinterher keiner der getäuschten Anhänger noch wütend darüber sein kann, dass die Prophezeiung nicht in Erfüllung gegangen ist...“

„Ich halte den Orden der Maske für eine ernste Gefahr“, erklärte ich. „Und die Ankündigungen dieser Gruppe nehme ich keineswegs auf die leichte Schulter...“

Jacobi wusste nicht genug über die Hintergründe. Anders war sein leicht spöttisches Gerede nicht zu erklären. Oft genug waren Tom und ich bereits den Machenschaften des ORDENS begegnet und hatten sie so gut es ging zu durchkreuzen versucht. Aber dabei hatten wir auch erfahren, wie ungeheuer mächtig dieser aus dem verborgenen heraus operierende Feind war.

Jacobi blickte auf die Uhr.

„Noch ein paar Minuten und das neue Jahrtausend bricht an, Miss Vanhelsing. Glauben Sie, dass der ORDEN DER MASKE etwas unternehmen wird, sobald die Uhr drei Nullen zeigt?“

„Ich weiß es nicht“, sagte ich.

Jetzt mischte sich Gordon Sykes, der Parapsychologe ein. Er kam mit dem Glas in der Hand auf uns zu, was bewirkte, dass sich ein halbes Dutzend Augenpaare in unsere Richtung drehten. Er schien unser Gespräch verfolgt zu haben. „Miss Vanhelsing, ich habe in den letzten Tagen mit Hilfe meiner Apparaturen eine erhöhte Intensität übersinnlicher Energien hier in London gemessen. Glauben Sie, dass das im Zusammenhang mit den Aktivitäten des ORDENS DER MASKE steht?“

„Das will ich nicht hoffen“, erwiderte ich.

Äußerlich blieb ich gelassen.

In Wahrheit war ich überzeugt davon, dass der ORDEN irgend etwas unternehmen würde... Vielleicht nicht gerade in der Silvesternacht, aber schon in allernächster Zeit.

„Wahrscheinlich werden wir uns in Kürze mit viel näherliegenderen Problemen herumzuschlagen haben“, gab Hugh St. John seiner Meinung Ausdruck.

Tante Lizzy hob die Augenbrauen. „Wollen Sie damit auf das berüchtigte Jahr 2000-Problem bei den Computern anspielen?“, hakte sie nach.

St. John zuckte die Achseln und nippte an seinem Glas. „Nun, es reicht doch schon, wenn ein geringer Prozentsatz der Rechner in Unternehmen und Verwaltungen nicht rechtzeitig umgestellt wurden, um ein gehöriges Chaos anzurichten. Geldautomaten spucken kein Bargeld mehr aus, elektronische Kassen in den Supermärkten funktionieren nicht mehr, vielleicht fallen in einigen Städten der Strom und die Heizung aus...“

„Nun, ein paar Minuten müssen wir wohl oder übel noch warten“, meinte Tante Lizzy. „Dann werden wir alle genau wissen, ob an den Unkenrufen, die in den letzten Tagen die Fernsehnachrichten beherrscht haben, etwas dran ist oder nicht.“

„Die computerbedingten Schwierigkeiten werden wohl erst nach und nach auftreten und nicht auf einen Schlag, wie einige Panikmacher in den Medien uns das weismachen wollen“, meinte St. John. „Die ganze apokalyptische Hysterie wird sich in Luft auflösen - genau wie bei der Sonnenfinsternis dieses Jahr. Was bedeutet die Zahl 2000 schon? Eine willkürlich festgelegte Marke. Und wahrscheinlich sogar ein großer Irrtum, denn es spricht vieles dafür, dass Jesus bereits im Jahr 5 vor Christus geboren wurde. Das bedeutet, die 2000 Jahre seit Christi Geburt sind schon lange vorbei...“

„Ich muss Ihnen vollkommen recht geben“, stimmte Tante Lizzy zu. „Und selbst wenn jener römische Mönch namens Dionysus Exiguus, der im Jahre 522 das vermutliche Geburtsjahr Christi errechnete, Recht hätte, hätten wir heute Abend keinen Jahrtausendwechsel, sondern erst im nächsten Jahr. Exiguus kannte nämlich die Null noch nicht und legte den Zeitpunkt von Christi Geburt als Jahr 1 fest, was bedeutet, dass das zweite Jahrtausend erst im Jahre 2001 beginnt...“

„...was wohl nur bedeuten kann, dass die allgemeine Hysterie sich noch ein ganzes Jahr halten wird, wenn sich das herumspricht“, war St. John überzeugt.

„Aber die Messungen, die ich gemacht habe, sind eine Realität“, gab Gordon Sykes zu bedenken. „Mag die Magie der Zahlen auch noch so willkürlich erscheinen...“

Ich hörte dem Disput nur mit einem Ohr zu.

Statt dessen dachte ich an die furchtbaren Bilder, die ich noch vor wenigen Augenblicken gesehen hatte. Ein Schauder überkam mich.

Diese Vision hat etwas zu bedeuten und du weißt es, ging es mir siedend heiß durch den Kopf. Aber was immer das auch für eine Bedrohung sein mochte, vor der diese Bilder mich warnen wollten - im Augenblick hätte ich nicht gewusst, was ich dagegen tun sollte. Da war nur dieses unangenehme Gefühl in der Magengegend und die tief empfundene Gewissheit, dass irgend etwas geschehen würde.

Ich fror innerlich, obwohl Tante Lizzy sehr wärmebedürftig war und stets dafür sorgte, dass ihre Villa gut geheizt wurde.

Die Stimmen der mich umgebenden Gäste traten in den Hintergrund. Undeutlich nahm ich noch wahr, wie sich jemand über die Vorhersagen des Nostradamus ausließ und darüber, dass dieser Seher sich offenbar doch geirrt hatte, als er für das Jahr 1999 einen großen Krieg vorhergesagt hatte, der im Osten Europas seinen Anfang nehmen würde. Der Kosovo-Konflikt konnte ja wohl kaum als großer Krieg durchgehen...

Mein Blick wanderte die langen Regalwände entlang, die in der gesamten Villa die Wände bedeckten. Ein staubiger Buchrücken reihte sich an den nächsten. Tante Lizzy war eine unermüdliche Sammlerin okkulter Schriften sowie jeglicher Literatur, die sich mit Grenzwissenschaften und außergewöhnlichen Phänomene beschäftigte. Ihr Pressearchiv war in diesem Bereich so umfangreich, dass ich es dem Archiv der London Express News meistens vorzog, wenn ich in diesem Themenbereich zu recherchieren hatte. Die langen Bücherreihen wurden immer wieder durch eigenartige Gegenstände unterbrochen, die zumeist irgendeine okkulte oder magische Bedeutung hatten. Götterstatuetten, Schnitzereien von Dämonengesichtern, Kristallkugeln, Schrumpfköpfe und ein bemalter Totenschädel gehörten zu diesen Dingen, die Tante Lizzy als ihre Sammlung bezeichnete. Hin und wieder fanden sich unter diesen Artefakten auch archäologische Fundstücke, die Onkel Frederik von seinen zahlreichen Reisen mitgebracht hatte. Sie ließen die gesamte Villa wie eine Art Museum aussehen. Der tägliche Kampf gegen die dünne Staubsicht, die sich auf ihnen absetzte, war von vorn herein verloren.

Lediglich meine eigenen Räumlichkeiten, die im ersten Stock der Vanhelsing Villa lagen, waren nicht von Tante Lizzys ausuferndem Okkult-Archiv belegt. Wenigstens beim Schlafen wollte ich sicher sein, nicht die ganze Zeit über von einer Dämonenfratze angestarrt zu werden - selbst wenn die nur aus Holz war.

Mein Blick wanderte die Wände entlang.

So als würde er von irgend etwas auf gewisse Weise angezogen.

Die innere Unruhe in mir wuchs.

Und dann bemerkte ich einen bereits etwas grünlich angelaufenen Messingteller. Er hing an einem Haken von einem Regal herab. Er war mir nie sonderlich aufgefallen, aber jetzt stach er mir aufgrund der Gravuren ins Auge.

Vier Gegenstände waren auf dem Teller abgebildet.

Bogen, Schwert, Waage und Schale...

Die Erkenntnis traf mich wie ein Keulenschlag.

Es handelte sich exakt um jene Kombination von Gegenständen, wie sie die grauenerregenden Reiter mit sich geführt hatten, denen ich in meiner Vision begegnet war.

Das kann kein Zufall sein, Patti!

„Lasst uns hinaus gehen! Sonst verpassen wir noch den Beginn des neuen Millenniums!“, hörte ich in diesem Moment Tante Lizzys Stimme.

Ein kühler Luftzug durchwehte einen Augenblick später den Salon. Jemand hatte die Tür geöffnet, die vom Salon aus direkt auf die Terrasse und in den Garten der Vanhelsing-Villa führte.

„Wir sollten das Licht ausmachen“, schlug Hugh St. John vor. „Dann sieht man das Feuerwerk besser.“

*

„Auf das neue Jahrtausend, Patti“, flüsterte Tom mir ins Ohr.

Wir standen in dem leicht verwilderten Garten der alten Vanhelsing Villa.

Ich lehnte mich gegen ihn, während er seinen Arm um mich legte. Wir schauten zum sternklaren Nachthimmel empor.

Hier und und da wurde mit Sektgläsern angestoßen und ein Raunen ging durch die Gästegruppe, als endlich die ersten Feuerwerkskörper über London gezündet wurden. Kaskaden aus Licht sprühten in die Dunkelheit hinein und ließen die Sterne verblassen. Raketen heulten hoch empor und zerplatzten dann zu Myriaden von Funken.

Aber die flirrenden Lichtpunkte erloschen nicht.

Auf geheimnisvolle Weise sammelten sie sich und bildeten Linien...

Nein, das darf nicht wahr sein...

Ich ahnte, was geschehen würde - Augenblicke, bevor es dann Wirklichkeit wurde.

Die Reiter...

Ein Bild von geradezu gespenstischer Intensität entstand aus den flirrenden Lichtern am Himmel und ließ alle Betrachter den Atem anhalten.

Vier Reiter schälten sich aus dem gleißenden Licht heraus. Und jede Rakete, jeder Böller, der nun noch gezündet wurde und vor dem dunklen Hintergrund des Sternenhimmels seine Leuchtkaskaden verteilte, trug auf geheimnisvolle Weise zur Vervollständigung dieses überdimensionalen Gemäldes aus glühenden Teilchen bei.

Eine unheimliche Kraft ordnete diese flimmernden Lichtpunkte so, dass sie die Bilder der vier Reiter vervollständigten.

„Da hat sich aber jemand etwas einfallen lassen für den Beginn des Jahrtausends“, meinte anerkennend Professor St. John.

Doch die Bewunderung, die aus der Stimme des sonst so nüchternen Wissenschaftlers sprach, machte ungläubigem Staunen Platz.

„Tom, hier stimmt etwas nicht“, murmelte ich. Mit der Linken fasste ich mir an die Schläfe. Ich spürte eine starke Präsenz mentaler Energie, die ich mit Hilfe meiner leichten übersinnlichen Begabung wahrzunehmen vermochte. Das Pochen hinter meiner Schläfe war unangenehm und schmerzhaft. Ein starkes Schwindelgefühl erfasste mich.

Ich starrte wie alle anderen Angehörigen dieser etwa zwanzigköpfigen Silvestergesellschaft zum Himmel. Was geschieht dort?, fragte ich mich.

Das aus grellen Lichtpunkten bestehende Gemälde wurde immer vollständiger. Wie bei einem gigantischen Puzzle kamen immer neue Farbpunkte hinzu.

Vier Reiter waren es...

Ich hielt den Atem an.

Der erste dieser Reiter ritt auf einem Schimmel und hatte einen Bogen in der Hand. Das Pferd des zweiten war feuerrot. Er schwang ein gewaltiges Schwert über dem Kopf. Der dritte Reiter war von aufgedunsener Gestalt und ritt auf einem Rappen. In der linken hielt er eine Waage. Bei dem vierten Reiter handelte es sich um eine zum Skelett abgemagerte Gestalt. Die Augen waren hohl und blicklos, und in der unter dem zerrissenen Gewand hervorragenden Knochenhand balancierte er eine Schale, in der ein Feuer mit kalter, blaustichiger Flamme aufloderte.

„Da hat sich jemand einen schlechten Scherz zum Jahrtausend-Ende erlaubt“, meinte Tante Lizzy laut. Sie sah mich an, runzelte dabei die Stirn und fragte dann: „Was ist mit dir, Patti?“

„Ich weiß nicht...“

„Du bist so blass geworden...“

„Ich habe diese Reiter gesehen.“

In diesem Moment begannen die bis dahin starren Reiterbilder am Himmel sich zu bewegen.

Eine unheimliche Art von Leben erfüllte sie.

Es wurde still über London.

Kein Feuerwerkskörper wurde jetzt noch in die Luft gejagt. Millionen von teils verwunderten, teils ungläubigen Blicken gingen zu diesen Himmelserscheinungen empor. Die Umrisse der Reiter leuchteten jetzt grell auf, so dass es in den Augen schmerzte.

In wildem Galopp jagten die vier über den Nachthimmel.

Ein höhnisches Lachen dröhnte zu uns herab. Es klang in meinem Kopf in unerträglicher Lautstärke wider. Ich hielt mir die Ohren zu, aber das nützte nichts. Erstaunt stellte ich fest, dass nicht nur ich dieses schauerliche Lachen wahrnahm, sondern auch alle anderen Anwesenden.

Der Reiter mit dem Bogen legte den ersten Pfeil ein. Wie ein greller Blitz zuckte das Geschoss Sekundenbruchteile später über den Himmel und ging dann mit einem lauten Zischlaut irgendwo hinter dem Horizont nieder.

Der Schwertkrieger wirbelte drohend seine Waffe über dem Kopf.

Die vier Schreckensreiter preschten direkt über uns hinweg.

Und genau in diesem Moment erreichte das Pochen hinter meinen Schläfen eine geradezu unerträgliche Intensität. Das Lachen in meinem Kopf mischte sich mit etwas anderem. Ein gespenstischer Chor war nun zu hören. Ein Chor wehklagender Stimmen, als ob die verdammten Seelen aller Zeitalter und Kontinente zu einem gemeinsamen Schrei angesetzt hatten. Ein Gesang, der einem das Blut in den Adern gefrieren lassen konnte.

Für einen Moment sah ich, wie Hugh St. John und Dr. Jacobi die Hände gegen die Ohren pressten. Ihre Gesichter wirkten verzerrt.

„Das ist ja kaum zu ertragen!“, rief jemand. Es war eine Frauenstimme, aber ich war mir nicht sicher, wem unter Tante Lizzys Gästen sie zuzuordnen war.

Gordon Sykes, der Parapsychologe lief schreiend zurück in den Salon. Auch er hielt sich die Ohren zu. Aber jedem, der noch einen halbwegs klaren Gedanken fassen konnte, musste klar sein, dass das gegen diesen Chor des Grauens nicht half...

Schwindel erfasste mich.

Alles begann sich vor meinen Augen zu drehen. Ich fühlte zwei starke Hände, die mich an den Oberarmen fassten und blickte in Tom Hamiltons entschlossen wirkende Augen. Vielleicht konnte er sich auf irgendeine Art und Weise besser gegen die Einflüsse abschirmen, denen wir alle im Augenblick ausgesetzt waren. Seit seiner Zeit bei den Mönchen von Pa Tam Ran beherrschte er besondere Konzentrationstechniken, mit denen er seinen Geist abschirmen konnte.

„Patti!“

„Tom...“

Über uns preschten die mysteriösen Himmelsreiter in einem Bogen über das Firmament.

Ihre Erscheinungen waren mit der Zeit immer realistischer geworden. Hatten sie zunächst noch recht groben und mit bunter Kreide gezeichneten Darstellungen geähnelt, so wirkten sie jetzt erschreckend plastisch. Sie glichen nun vollkommen jenen Gestalten, die ich in meiner Tagtraum-Vision gesehen hatte.

„Was geht hier vor sich?“, rief Tom.

Ich starrte währenddessen wie gebannt auf den vierten Reiter.

Jene dürre Knochengestalt mit dem zerfetzten Gewand, die auf einem totenbleichen Pferd ritt und in der Hand eine Schale balancierte.

Die Schale des Todes...

Die blauen Flammen züngelten aus ihr heraus.

Dann schleuderte der dürre Knochenmann sie von sich. Ich hielt den Atem an. „Nein“, flüsterte ich kaum hörbar, während in meinem Kopf der Chor der Verdammten einen immer schriller werdenden Gesang aufführte.

Die Schale des Todes wird über der Welt ausgeschüttet!

Ein Gedanke, der mich lähmte.

Die bläulich schimmernde Schale irrte wie ein aus der Bahn geratener Komet über den Nachthimmel. Eine schwarze, zähflüssig erscheinende Substanz floss aus ihr heraus und breitete sich wie ein schwarzer Teppich über immer weitere Teile des Himmels aus. Die Sterne verloschen einer nach dem anderen. Und selbst das Licht des Mondes vermochte nicht, durch diese Substanz hindurchzuscheinen.

Innerhalb eines einzigen Augenaufschlags breitete sich diese vollkommene Finsternis über den gesamten Himmel aus und senkte sich dann tiefer und tiefer.

Renn! Renn ins Haus!

Mein Körper gehorchte nicht mehr den Befehlen des Gehirns. Wie zur Statue erstarrt stand ich da, unfähig, mich zu bewegen, während sich in meinem Kopf alles in rasender Geschwindigkeit drehte. Ich sah ein verwirrendes Gemisch aus Bildern, Farben und dieser allumfassenden Finsternis, die sich immer mehr ausdehnte. Gleichzeitig fühlte ich eine unheimliche Kälte in mir aufsteigen. Sie erfasste meinen gesamten Körper, und ich fühlte mich wie gefroren.

Als ob ganz London sich in eine einzige große Leichengruft verwandelt hatte...

Ein Geruch von Verwesung und Moder stieg mir in die Nase.

Tom!

Ich konnte die Berührung seiner Hände nicht mehr spüren. Und ich sah ihn auch nicht mehr.

Die Kälte lähmte nicht nur meinen Körper, sondern auch jegliche Gedanken. Ich spürte, wie sich eine furchtbare Agonie in mir ausbreitete.

Ich schloss die Augen. Szenen aus meinem Leben zogen in rasender Folge vor meinem inneren Auge vorbei. Erinnerungen an meine Eltern, an den Tag als ich ihren viel zu frühen Tod bei einem Verkehrsunfall voraussah. Ich durchlebte noch einmal das Gefühl der Ohnmacht, das ich in jenem Moment empfunden hatte. Das Gefühl, ein Unheil klar und deutlich vor Augen zu sehen und nichts zu tun können, um es abzuwenden...

Dann sah ich, wie ich in Tante Lizzys Villa einzog.

Tante Lizzy, die mich wie eine Mutter behandelt hatte, all die langen Jahre...

Mein erster Tag bei der London Express News, das strenge Gesicht meines Chefredakteurs Michael T. Swann, der mich am Liebsten gar nicht genommen hätte. Nur Tante Lizzys Einfluss und der Tatsache, dass sie mit dem Verleger Arnold Reed befreundet gewesen war, hatte ich es zu verdanken gehabt, wenigstens eine Chance zu bekommen.

Ich erinnerte mich auch an den Augenblick, in dem ich Tom Hamilton zum ersten Mal begegnet war. An sein sympathisches Lächeln, an den Blick dieser geheimnisvollen meergrünen Augen, die mich immer an den Geruch von Salz und Seetang erinnerten. Ich hatte mich unsterblich in ihn verliebt, auch wenn er mir zunächst eher zwielichtig erschienen war.

Ist das das Ende?, ging es mir durch den Kopf.

Das Ende der Welt, an das ich mich geweigert habe zu glauben?

Durch Tom wusste ich, dass es so etwas wie Wiedergeburt gab.

Seit seiner Zeit in Pa Tam Ran, einem kambodschanischen Kloster, war er in der Lage, sich an alle seine vorherigen Leben zu erinnern.

Finsternis umgab mich nun.

Ich sah nichts mehr und hatte das Gefühl, ins Bodenlose zu fallen.

Dann war da nur noch Dunkelheit und Kälte.

*

„Patti, wach auf!“

Es dauerte einige Augenblicke, bis ich begriff, dass es Toms Stimme war, die da zu mir gesprochen hatte. Ich schlug die Augen auf und stellte fest, dass ich auf dem Boden lag. Der Rasen im Garten der Vanhelsing-Villa war nicht unbedingt das, was man für gewöhnlich als englisch bezeichnete und dementsprechend weich.

„Tom...“ Ich blickte auf. Er half mir auf die Beine. Die Knie waren noch etwas weich. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie viel Zeit vergangen war und wie lange ich auf dem Rasen gelegen hatte. Jedenfalls war mein Kleid auf der einen Seite ziemlich feucht.

Ich blickte hinauf zum Himmel.

Erleichtert stellte ich fest, dass die Sterne dort wie gewohnt funkelten. Der Mond stand als bleiches Oval am Himmel und wirkte wie das Auge eines übergroßen Götzen, das kalt auf uns herabblickte. Ich atmete tief durch und dann schlang ich die Arme um Toms Hals.

„Tom, ich bin so froh...“

„Alles in Ordnung, Patti?“

„Ich denke schon.“

Auf dem Boden lagen noch einige weitere Personen aus Tante Lizzys Gäste-Schar, die langsam zu sich kamen, sich ungläubig die Köpfe hielten und verstört ihre Blicke kreisen ließen.

„Wo ist Tante Lizzy?“, fragte ich.

„Dr. Jacobi und Professor St. John haben sie in den Salon getragen und auf den Diwan gelegt. Ich hoffe, sie kommt auch gleich zu sich...“

Tom strich mir eine verirrte Strähne aus dem Haar. Ich trug mein brünettes, etwa schulterlanges Haar an diesem Abend hochgesteckt, aber die Zeit, die ich auf dem Rasen gelegen hatte, hatte meiner Frisur alles andere als gutgetan. Ich blickte Tom fragend an. Das Mondlicht spiegelte sich in seinen Augen.

„Was ist passiert?“, murmelte ich. „Es wirkte so unwirklich wie ein Traum...“

„Wenn es ein Traum war, dann haben ihn alle hier geteilt“, erwiderte Tom.

„Diese Reiter... Tom, ich habe sie zuvor in einer Vision gesehen.“

„Weißt du irgend etwas darüber?“

„Nein...“

„Was immer das da oben auch war - ein gewöhnliches Feuerwerk haben wir nicht erlebt...“

Ein eiskalter Wind wehte um die Mauern der Vanhelsing-Villa herum. Ich zitterte am ganzen Körper. Tom führte mich auf die Terrassentür des Salons zu. Mir fiel auf, dass nirgends Licht brannte. Die Außenbeleuchtung war ausgefallen, aber auch im Inneren der Villa brannte kein Licht.

Wir betraten den Salon.

Professor St. John hatte eine Kerze entzündet, deren flackernder Schein diesen Raum notdürftig erhellte.

Tante Lizzy lag auf dem Diwan.

Ich ging auf sie zu und sah, dass meine Großtante sich etwas bewegte. Sie rieb sich die Stirn und richtete sich langsam auf. Ich setzte mich zu ihr auf den Diwan.

„Tante Lizzy...“, flüsterte ich.

Sie sah mich an.

Der Schein der Kerze tauchte ihr Gesicht in ein weiches Licht.

„Patti“, flüsterte sie. Sie atmete tief durch und versuchte dann zu lächeln. „Es geht mir gut, mein Kind. Ich hoffe, dasselbe kannst du auch von dir sagen...“

Jetzt meldete sich Professor St. John zu Wort.

„Haben Sie noch weitere Kerzen, Miss Vanhelsing?“, erkundigte er sich.

Tante Lizzy runzelte die Stirn.

„Kerzen?“, echote sie etwas verwirrt. „Wozu Kerzen? Machen Sie doch einfach das Licht an.“

„Tut mir leid, aber wir haben keinen Strom...“ Der Professor zuckte die Achseln. Die Tatsache, die er soeben ausgesprochen hatte, schien ihn in keiner Weise zu beunruhigen. „Wahrscheinlich wird es sich ein paar Stunden hinziehen, bis der Schaden behoben ist... Offenbar hat die Jahr 2000 Umstellung der Großrechner in den Elektrizitätswerken doch nicht so geklappt, wie man uns das hat weismachen wollen...“

„Und wenn dieser Stromausfall mit den Dingen zu tun hat, die am Himmel passiert sind?“, erwiderte ich.

Hugh St. John sah mich mit hochgezogener Augenbraue an. Sein Blick drückte Skepsis aus. „Weiß Gott, ich habe keinerlei Erklärung für das, was wir gesehen haben. Aber ich wüsste nicht, weshalb diese Erscheinungen am Himmel etwas mit dem Elektrizitätsnetz zu tun haben sollten...“

Tom war unterdessen in die Bibliothek gegangen und kehrte jetzt zurück. „Wir haben auch kein Telefon“, erklärte er. „Und wie es scheint, ist selbst das Mobilfunknetz zusammengebrochen. Jedenfalls ist mein Handy tot. Vielleicht ist jemand anderes hier, der ebenfalls über eines verfügt, so dass wir das genauer überprüfen könnten...“

Die Bestätigung ließ nicht lange auf sich warten.

Mehrere der anwesenden Gäste überprüften ihre Handys und machten dieselbe Feststellung wie Tom.

Tante Lizzy erhob sich von ihrem Diwan. Sie suchte noch ein paar Kerzen aus einer Schublade heraus. „Sollte diese Phase der Dunkelheit länger anhalten, so habe ich im Keller noch ein paar sehr dekorative Öllampen, mit denen man die Villa ausreichend beleuchten kann“, erklärte sie.

Etwas Furchtbares ist geschehen, wurde mir in dieser Sekunde klar. Auch wenn es jetzt so schien, als wäre alles wieder wie vorher, so wusste ich doch, dass dieser Eindruck trog. Nichts wird je wieder so sein, wie es war, Patti...

Das grausige Gelächter der vier unheimlichen Himmelsreiter klang mir noch in den Ohren.

Ein furchtbarer Triumph lag darin, eine Siegesgewissheit, die mich schaudern ließ.

Ein dumpfes Grollen ließ plötzlich alle Anwesenden aufhorchen.

Die letzten Gäste stürzten jetzt durch die Terrassentür in den einigermaßen erhellten Salon herein.

„Es gibt ein Gewitter“, meinte jemand.

„Jetzt?“, fragte Tom. „Mitten im Winter?“

Wie, um diesen Einwand sofort zu widerlegen, zuckte der erste Blitz über den Himmel. Der Donner folgte sogleich. Der Wind wurde heftiger. Ich trat ans Fenster und konnte die dunklen Wolken sehen, die sich innerhalb kürzester Zeit gebildet haben mussten. Das Mondlicht schimmerte auf geradezu gespenstische Weise durch sie hindurch. Wie große, schwarze Ungetüme wirkten sie, formlose Schatten, die sich jederzeit in Ausgeburten der Hölle zu verwandeln drohten.

Tante Lizzy trat neben mich, während der Regen gegen die Scheiben klatschte.

„Da draußen ist etwas in schreckliche Unordnung geraten“, stellte sie fest.

Und ich fürchtete, dass sie mit dieser Feststellung sehr viel mehr recht hatte, als uns das allen in diesem Augenblick lieb war...

*

Innerhalb der nächsten halben Stunde normalisierte sich das Leben in der Vanhelsing Villa etwas, soweit man unter diesen Umständen von einer Normalisierung überhaupt sprechen konnte.

Tom holte die Öllampen aus dem Keller und bald war es wenigstens im Salon und in der Bibliothek fast so hell, wie es das mit elektrischem Licht gewesen wäre.

Außerdem wurden sämtliche batteriebetriebenen Taschenlampen hervorgekramt, die in der Vanhelsing Villa aufzutreiben waren. Alec St. John - der Sohn des Professors, der durch einige Sachbücher zum Thema Okkultismus in Afrika hervorgetreten war - versuchte sich vergeblich an den Sicherungskästen, während ich mit Hilfe des batteriebetriebenen Kofferradios in der Küche feststellte, dass es keinerlei Rundfunk mehr gab.

„Offenbar gibt es niemanden mehr, der etwas sendet“, stellte ich tonlos fest, woraufhin im Salon zunächst einmal Schweigen herrschte.

Was mochte geschehen sein?

Die Frage wurde immer drängender.

„Beinahe fühlt man sich an die Szenerie in diesen Hollywood-Filmen erinnert, die zu schildern versuchen, was nach einem Atomkrieg passiert“, meinte Professor Hugh St. John. Er hatte versucht, seine Bemerkung witzig klingen zu lassen, aber es konnte niemand darüber lachen.

Irgend jemand machte den Vorschlag, so schnell wie möglich nach Hause zu fahren, um zu sehen, ob dort alles in Ordnung war. Aber davon riet Tante Lizzy heftig ab.

„Keiner von uns“, so erklärte sie, „weiß, was wirklich geschehen ist. Vielleicht ist der Strom nur in diesem Viertel ausgefallen, vielleicht auch in ganz London. Niemand kann das im Moment sagen. Wenn man von der Tatsache ausgeht, das offenbar auch die Rundfunksender betroffen sind, würde ich letzteres für wahrscheinlicher halten. Das bedeutet, dass jetzt in der Stadt Chaos herrscht. Keine Verkehrsampel funktioniert noch, es gibt keine Beleuchtung mehr... Wer sich da auf den Weg macht, geht ein völlig unnötiges Risiko ein...“ Tante Lizzy versuchte, ein entspanntes Lächeln aufzusetzen und ihre Gäste etwas zu beruhigen. Schließlich war es das Wichtigste, dass jetzt niemand eine unüberlegte Kurzschlussreaktion zeigte und Hals über Kopf in die Ungewissheit dieser mysteriösen Finsternis aufbrach, die über London hereingebrochen war.

Aber ich kannte Tante Lizzy gut genug, um zu wissen, dass auch sie sich große Sorgen machte. Zwischen ihren Augen hatte sich auf ihrer Stirn eine tiefe Furche gebildet.

Gordon Sykes, der Parapsychologe, saß mit kreidebleichem Gesicht in einem der zierlichen Sessel und starrte ins Nichts.

Seine Frau Elaine war bei ihm und redete leise auf ihn ein, doch er schien sie gar nicht wahrzunehmen. Sykes' Augen waren weit aufgerissen. Er schüttelte stumm den Kopf.

„Wir haben notfalls für mehrere Tage ausreichend Verpflegung für alle“, erklärte Tante Lizzy indessen. „Also behalten Sie die Ruhe.“

In diesem Augenblick sprang Sykes auf.

„Was ist dort draußen Ihrer Meinung nach geschehen, Mrs. Vanhelsing“, begann er dann mit vibrierender Stimme. „Ich bin überzeugt davon, dass es irgendwie mit den Messergebnissen in Zusammenhang stehen muss, von denen ich Ihnen schon berichtete! Sie sind eine der anerkanntesten Expertinnen auf dem Gebiet des Okkultismus und der unerklärlichen Phänomene... Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie sich nicht Ihre Gedanken machen...“

Alle Augen waren nun auf Tante Lizzy gerichtet.

Aber ehe sie etwas sagen konnte, hatte sich Hugh St. John zu Wort gemeldet.

„Mrs. Vanhelsing kann nur spekulieren - so wie wir alle. Ich fürchte, wir müssen einfach abwarten, was geschieht...“

Draußen brauste ein regelrechter Sturm los. Fensterläden klapperten. Der Wind heulte wie verrückt um die Mauern der Vanhelsing-Villa. Bei einem Blick durch die hohen Fenster des Salons konnte man sehen, wie die Bäume und Sträucher des leicht verwilderten Gartens hin und her gebogen wurden. Äste knackten. Und wieder zuckten grelle Blitze über den Himmel.

Gewitter im Winter, dachte ich.

So etwas gab es hin und wieder bei extremen Wetterumstellungen.

Ich dachte an den wolkenlosen, sternenklaren Himmel, zu dem wir noch vor wenigen Momenten aufgeblickt hatten.

Jetzt meldete sich Tom zu Wort.

Er sprach mit ruhiger, überlegter Stimme.

„Was wir gesehen haben, waren die Apokalyptischen Reiter“, erklärte er. „Krieg, Hunger, Pest und Tod...“ Ich trat auf ihn zu. Sein Blick schien durch mich hindurchzuschauen. Er wirkte abwesend, als wäre er in lange zurückliegenden Erinnerungen versunken.

Erinnerungen aus einem anderen Leben...

„Das Auftauchen dieser Reiter wurde in der Offenbarung des Johannes angekündigt“, fuhr Tom dann fort. „Immer wieder sind sie auf Gemälden dargestellt worden, die den Weltuntergang veranschaulichten, wie ihn sich die Menschen vergangener Epochen vorstellten. Angefangen von römischen Wandfresken bis zu schauerlichen Darstellungen auf den spätmittelalterlichen Holzschnitten eines Albrecht Dürer.“

Dr. Jacobi nickte.

„Symbole des Untergangs und der Verdammnis“, murmelte er. „Fragt sich nur, wer sie an den Himmel gezaubert hat.“

„Und auf welche Weise“, warf Professor St. John ein.

Jetzt meldete sich Elaine Sykes zu Wort, die nervös mit den Knöpfen ihres kostbaren Cocktail-Kleides herumspielte. „Sie wollen uns allen Ernstes erzählen, dass das, was wir gesehen haben, die Apokalyptischen Reiter der Bibel waren, Mr. Hamilton?“

„Ich will Ihnen gar nichts erzählen“, erwiderte Tom gelassen. „Aber die Reiter, die wir gesehen haben, entsprachen in den Details genau der Beschreibung aus der Offenbarung.“ Tom wandte sich um und nahm jenen Messingteller vom Haken, der auch mir bereits aufgefallen war. Er hielt ihn so ins Licht einer der Kerzen, dass man deutlich das Schwert, den Bogen, die Waage und die Schale sehen konnte. „Die Reiter wurden in der Kunstgeschichte je nach Epoche immer wieder unterschiedlich dargestellt - aber vier Gegenstände führten sie stets bei sich. Das Schwert tötet blindwütig wie der Krieg, der Reiter mit dem Bogen wird oft mit einem Siegerkranz dargestellt, weil er sich seines - des Todes - Triumphs gewiss ist. Mit der Waage werden die Rationen der Hungernden abgewogen...“

„Und die Schale?“, fragte ich.

Tom sah in meine Richtung.

„Die Schale des Todes“, sagte er. „Später wurde sie mit der Pest in Verbindung gebracht...“

„Wer immer dieses Feuerwerk veranstaltet hat, er scheint es darauf abgesehen zu haben, ganz London zu erschrecken“, meinte St. John.

„Nein“, sagte Tom. „Da wollte uns niemand erschrecken....“

„Sie glauben doch nicht, dass wir wirklich diese Schreckensreiter gesehen haben! Das, was da in der Offenbarung steht ist doch sicher bildlich zu verstehen“, meinte St. John, so als müsste er sich selbst davon überzeugen. Er lockerte den Sitz seiner Krawatte, denn ihm war auf unerklärliche Weise heiß geworden.

„Ich weiß es nicht“, sagte Tom. „Ich weiß nur, dass die Menschen vergangener Epochen anders darüber gedacht haben, als wir es heute tun...“

*

Die Lage in der Villa beruhigte sich langsam. Draußen toste noch immer ein furchtbares Unwetter. Inzwischen hatte heftiges Schneegestöber eingesetzt. Und immer noch grollten dumpf die Donnerschläge.

Die Natur schien verrückt zu spielen.

Tante Lizzy besaß einen Weltempfänger mit Kurzwellen-Empfangsbereich. Tom versuchte damit, irgendeinen Radiosender hereinzubekommen, aber auch im Kurzwellenbereich war nichts zu empfangen.

Wir standen in der Bibliothek - Tante Lizzy, Tom und ich - während sich unsere Gäste nach wie vor überwiegend im Salon und den angrenzenden Räumen aufhielten. Einige hatten sich inzwischen über die Reste des Buffets hergemacht. Und obwohl es schon weit nach Mitternacht war, dachte keiner daran zu schlafen.

„Es ist seltsam“, stellte Tom schließlich fest, nachdem Tante Lizzy und ich einige Augenblicke lang gebannt dem Piepen und Rauschen gelauscht hatten, das der Weltempfänger bis dahin produziert hatte. „Ich kann das einfach nicht glauben...“

„Was?“, fragte ich.

Er sah mich an.

„Dass es auf der ganzen Welt keinen Radiosender mehr gibt...“

„Vielleicht verhindern die Wetterturbulenzen einen vernünftigen Empfang“, meinte Tante Lizzy.

Aber sie sagte das ohne jede Überzeugung. Sie schien selbst nicht an ihre Worte zu glauben.

„Was mag da draußen nur geschehen sein...“, murmelte Tom.

„Ich habe diese Reiter in einer Vision gesehen - und du kanntest sie aus einem früheren Leben, nicht wahr?“, sagte ich.

Er nickte.

„Nicht nur aus einem“, murmelte er. „Viele Jahrhunderte lang waren die Apokalyptischen Reiter jedem Kind ein Begriff, bevor die Offenbarung des Johannes mehr oder minder in Vergessenheit geriet. Heute wissen selbst viele Theologen mit diesem Buch nichts rechtes anzufangen...“

„So manche Okkultisten und selbsternannte Propheten dafür um so mehr“, ergänzte Tante Lizzy. „Ich bin im Laufe meiner Studien immer wieder auf die Apokalyptischen Reiter aus der Johannes-Offenbarung gestoßen. Viele Mystiker und Okkultisten haben sich darauf berufen und sogar Hermann von Schlichten nimmt in seinen ABSONDERLICHEN KULTEN darauf Bezug...“

„Aber bei diesen Reitern handelt es sich doch nicht um real existierende Wesen!“, rief ich aus.

„Warum nicht?“, fragte Tante Lizzy. „Wir wissen über die Offenbarung des Johannes, dass sie um das Jahr 97 herum geschrieben wurde, zur Zeit der Christenverfolgung unter Kaiser Domitian. Und es gilt als ziemlich sicher, dass der Verfasser nicht der Evangelist Johannes war.“

„Sondern?“

„Dazu gibt es viele Theorien. Eine - der unter anderem auch von Schlichten anhängt, besagt, dass in dieses Buch ältere Fragmente eingearbeitet wurden, die von einem griechischen Seher namens Theramenes stammten. Dieser Theramenes könnte identisch sein mit einem gewissen Theramenes aus Korinth, der im Jahre 109 nach Christus wegen schwarzmagischer Experimente der Stadt verwiesen wurde. Er soll unter anderem die vier Schrecklichen beschworen haben, aber das müsste ich alles nochmal genau nachlesen...“ Tante Lizzy legte eine Hand auf meinen Arm. „Wir haben alle diese Reiter gesehen“, sagte sie dann mit etwas ruhigerer Stimme. „Sie waren da, daran gibt es keinen Zweifel... Vielleicht war alles nur eine geschickte optische Täuschung. Eine Art Spiegelung oder Projektion. Es gibt niemanden, der das mehr hofft, als ich. Aber wir müssen auch mit der anderen Möglichkeit rechnen, Patti...“

Ich nickte.

Insgeheim wusste ich, dass Tante Lizzy Recht hatte, auch wenn ich mir nichts sehnlicher gewünscht hätte, dass es anders war. Die Tatsache, dass ich eine große Entladung übersinnlicher Energien gespürt hatte, sprach durchaus für Tante Lizzys These.

„Im Moment können wir kaum etwa anderes tun, als die Ruhe zu bewahren und in den Büchern dieser Bibliothek zu stöbern, Patti. Und genau das werde ich tun... Vielleicht finde ich irgendwo einen Hinweis...“

„Mrs. Vanhelsing“, fragte Tom, als die alte Dame sich bereits umgedreht hatte, ihre Lesebrille herauskramte und mit den Augen die langen Reihen staubiger Folianten absuchte.

Tante Lizzy sah Tom an.

„Ja?“

„Dieser Messingteller im Salon... Woher haben Sie den?“

„Ich habe ihn vor ein oder zwei Monaten auf einem Trödelmarkt in der Carlton Street erworben. Der Händler sagte mir, dass er antik wäre, aber inzwischen habe ich große Zweifel, ob ich da nicht einem Schwindler aufgesessen bin... Warum fragen Sie, Tom?“

Tom Hamilton zuckte mit den Schultern.

„Nur so“, meinte er. „Der Teller kam mir irgendwie bekannt vor. Allerdings weiß ich im Moment nicht so recht, woher eigentlich...“

„Erinnert er dich an ein früheres Leben?“, mischte ich mich ein.

„Möglich“, murmelte Tom. „Du weißt, dass ich nicht ständig alle meine Erinnerungen zur selben Zeit abrufen kann. Damit wäre das menschliche Gehirn völlig überfordert... Mal sehen, vielleicht kommt es ja noch.“

Tante Lizzy nickte und schob sich mit dem Zeigefinger die Brille etwas höher.

„Ich wäre euch sehr dankbar dafür, wenn ihr unseren Gästen sagen würdet, dass sie sich hier wie zu Hause fühlen sollen und gerne alles aufessen können, was im Kühlschrank ist.“

Tom nickte.

„Sieht so aus, als würden wir alle noch etwas hierbleiben müssen...“

Tante Lizzy lächelte verschmitzt. „Ich hoffe nicht, dass Ihnen das unangenehm ist, Tom.“

Tom warf mir einen kurzen Blick zu und und schüttelte dann den Kopf.

„Nein, ganz und gar nicht, Mrs. Vanhelsing.“

*

Ich half meiner Tante Lizzy noch eine Weile bei ihren mit fieberhafter Eile durchgeführten Nachforschungen. Tante Lizzy verhielt sich ganz so, als erwartete sie, dass das Geschehene, dessen Zeuge wir alle geworden waren, noch längst nicht der Endpunkt in einer äußerst mysteriösen Entwicklung war.

Vielleicht wusste sie sogar bereits mehr, als sie im Augenblick bereits auszusprechen wagte und wollte sich nur letzte Gewissheit verschaffen...

Schließlich war der Fußboden der gesamten Bibliothek mit aufgeschlagenen Lederfolianten bedeckt, in die Tante Lizzy jeweils Dutzende von Papierstreifen hineingelegt hatte. Sie dienten einerseits als Lesezeichen, andererseits als Raum für Notizen.

Tom sah indessen nach den Gästen.

Aber dort war es ziemlich ruhig. Zunächst hatte es einen heftigen Disput zwischen Professor St. John und Gordon Sykes, dem Parapsychologen gegeben. Es ging um die Interpretation dessen, was wir alle am Himmel gesehen hatten, bevor eine Art Bewusstlosigkeit uns alle erfasste. Sykes fand sich wenig später in der Bibliothek ein, um Tante Lizzy seine Hilfe anzubieten, während sich Professor St. John es sich auf dem Diwan bequem machte und kurze Zeit später eingeschlafen war.

Elaine Sykes war ebenfalls völlig übermüdet. Sie zog sich in eines der Gästezimmer zurück, die es in Tante Lizzys Villa gab.

Tom kehrte ebenfalls in die Bibliothek zurück. Er wirkte nachdenklich und etwas in sich gekehrt. Eine Weile blickte er durch das Fenster hinaus in die Dunkelheit. Graupelschauer gingen jetzt hernieder. Das Gewitter hatte aufgehört, aber der Wind war noch heftiger geworden. Mit ungebrochener Wut riss er an den Fensterläden.

„Die Messungen, die ich in den letzten Tagen durchführte, müssen in irgend einem Zusammenhang mit den heutigen Ereignissen stehen“, meinte Gordon Sykes indessen. „Leider habe ich meine Aufzeichnungen nicht hier, so dass man vielleicht genauere Rückschlüsse ziehen könnte... aber meiner Theorie nach sind übersinnliche Kräfte letztlich auch physikalisch nachweisbare Erscheinungen, deren Natur die heutige Wissenschaft nur noch nicht richtig verstanden hat. Was immer heute Abend auch geschehen sein mag, es hat sich lange angekündigt, auch wenn wohl keiner von uns die Zeichen zu deuten wusste...“

Er hat recht, dachte ich.

Wie waren sonst die kurzen, schlaglichtartigen Visionen zu erklären, die ich von den Schreckensreitern gehabt hatte?

„Was hat denn Ihrer Meinung nach zu dieser Bewusstlosigkeit geführt, die uns alle befallen hat?“, erkundigte sich Tante Lizzy.

Gordon Sykes zuckte die Achseln.

„Es gibt bestimmte mentale Energiewellen, die so etwas hervorrufen können... Meine persönliche Theorie ist, dass wir es mit einer Massenhalluzination zu tun gehabt haben.“

„Was immer es auch war, was das bewirkt hat“, murmelte Tom indessen, „es muss einen sehr weitreichenden Einfluss gehabt haben. Vielleicht sogar weltweit, sonst müssten wir irgend etwas an Radioprogrammen empfangen können...“

„Ich schlage vor, wir sollten uns jetzt alle erst einmal ein wenig hinlegen“, meinte Sykes. „Wahrscheinlich sehen wir morgen früh alles schon sehr viel klarer. Möglicherweise gibt es dann sogar wieder Strom.“

„Tun Sie das ruhig“, nickte Tante Lizzy. „Mir allerdings lässt die Sache keine Ruhe. Ich könnte jetzt ohnehin kein Auge zudrücken. Aber Sie können sich gerne in einem der Gästezimmer einquartieren...“

Ich bekam kaum mit, dass Sykes die Bibliothek verließ. Stattdessen war mein Blick wie hypnotisiert auf den etwas eigenartigen Schreibtisch gerichtet, den Tante Lizzy in einer Ecke dieses pittoresken Raums aufgestellt hatte. Es handelte sich um ein antikes Stück, in dessen beinahe unauffindbaren Geheimfach Tante Lizzy auf Notizen des berühmten Okkultisten Hermann von Schlichten gestoßen war, die dieser zu dem als verschollen geltenden zweiten Band seines Hauptwerkes ABSONDERLICHE KULTE angefertigt hatte. An den vier Ecken der Tischplatte befanden sich grimassenhaft geschnitzte Dämonenköpfe, die den Betrachter grimmig anstarrten.

In einer der Schubladen dieses Schreibtisches befand sich das zusammengeschmolzene Exemplar einer jener Metallmasken, die die Mitglieder des ORDENS DER MASKE benutzten, um mit ihren Herrn und Meister Cayamu in Verbindung zu treten und sich in furchterregende, fast unverwundbare Wesen zu verwandeln, die als Geister der Sonne bezeichnet wurden. Eine dieser Masken war uns in die Hände gefallen, als wir in der Gegend um Inverness die Hintergründe jener Vorgänge zu ermitteln versuchten, die zum Tod unseres Verlegers Arnold Reed geführt hatten. Allerdings war diese Maske in einem zusammengeschmolzenen Zustand gewesen - ein Klumpen metallisch wirkender Materie, die Professor Hugh St. John vergeblich zu analysieren versucht hatte.

Der messingfarbene Metallklumpen hatte sich im Laufe der Zeit verändert. Er hatte die Form eines Kopfes gebildet. Das dazugehörige Gesicht war mir nur allzu bekannt gewesen. Es gehörte dem ehemals für die Mafia tätigen Gesichtschirurgen Dr. Skull, von dem wir inzwischen wussten, dass er im ORDEN DER MASKE eine wichtige Position innehatte.

Außerdem hatte sich auf magische Weise ein Datum in das Metall hineingraviert.

1.1.2000!

Ich hatte mir den Metallklumpen seitdem nicht mehr angesehen und ihn in Tante Lizzys Schreibtischschublade liegengelassen. Allein die Erinnerung an das im höhnischen Triumph verzogene Gesicht Dr. Skulls jagte mir kalte Schauder über den Rücken.

Es war keine Frage, dass die Veränderung des Metalls eine Art Drohung gewesen war.

Mehr noch.

Die Gewissheit kommenden Unheils, die Ankündigung der Katastrophe...

Ich schluckte.

Wie mag sich die zerschmolzene Maske nun verändert haben?

Diese Frage beherrschte mich plötzlich.

Wir schrieben jetzt den 1. Januar des Jahres 2000 nach Christi Geburt. Jener Zeitpunkt des kommenden Schreckens war also gekommen...

Ich ging auf den Schreibtisch zu, berührte leicht die Schublade. Meine Finger ergriffen den Knauf, aber ich zögerte.

Ich wusste um die unheimliche Kraft, die dem Metall innewohnte und konzentrierte mich, um mich dagegen abschirmen zu können, sobald meine Hand das bronzefarbene Material berühren würde.

Tu es! Jetzt! Zögere nicht!

Ich schloss die Augen.

„Patti!“

Das war Tante Lizzys Stimme. Ich hörte sie wie aus weiter Entfernung.

„Patti, was tust du da?“

Ich zog die Schublade auf. Meine Hand griff nach dem eigenartigen metallartigen Material. Als ich es berührte fühlte ich den unheimlichen Strom übersinnlicher Kraft, der meinen ganzen Körper erfasste.

Meine Hand zuckte zurück.

Ich öffnete die Augen und war starr vor Schreck.

Noch immer hatte der Metallklumpen die Form von Dr. Skulls Kahlkopf angenommen. Sein Gesicht wurde durch ein zynisches, triumphierendes Lächeln geprägt.

Daran hatte sich nichts geändert.

Seine Züge waren noch immer genau so, wie ich sie in Erinnerung hatte.

Aber die Datumsgravur war nicht mehr vorhanden.

Statt der Ziffern hoben sich jetzt kleine Totenköpfe reliefartig aus der bronzefarbenen Oberfläche. Ich zog die Hand zurück. Hinter meinen Schläfen pulsierte es schmerzhaft. Ich schloss wieder die Augen, aber trotzdem sah ich noch immer das Bronzegesicht vor mir. Mit einem Ruck schloss sich die Schublade. Ich brauchte einige Augenblicke, um zu begreifen, dass es Tante Lizzy gewesen war, die sie geschlossen hatte. Sie fasste mich bei den Schultern.

„Tu das nicht wieder“, sagte sie.

„Das Metall - es hat sich verändert! Es...“

„Ich habe es gesehen“, unterbrach mich Tante Lizzy.

„Hast du noch irgend einen Zweifel daran, dass der ORDEN DER MASKE seine Finger bei dem, was uns in dieser Nacht widerfahren ist, im Spiel hat?“

„Ich weiß es nicht“, sagte Tante Lizzy ruhig und in gedämpftem Tonfall. „Warum hast du die Schublade geöffnet?“ In ihrer Stimme klang Besorgnis mit.

Ich schluckte.

Ein Kloß steckte mir plötzlich im Hals, und ich hatte Mühe, zu sprechen. „Ich musste es einfach tun“, erklärte ich dann. „Es war beinahe wie ein...“

„Zwang?“

„Das ist ein starkes Wort...“

„Aber es trifft das, was du empfunden hast, nicht wahr?“ Sie sah mir direkt in die Augen. Vor ihr kannst du nichts verbergen, Patti. Dazu kennt sie dich einfach zu gut...

„Ja“, flüsterte ich.

„Du musst versuchen, dich vor den Kräften abzuschirmen, die in diesem Ding wohnen“, forderte Tante Lizzy.

„Lass es uns wegbringen!“, stieß ich hervor.

„Und wohin?“ Tante Lizzy schüttelte energisch den Kopf. „Nein, das wäre keine Lösung, Patti... Außerdem könnte dieses Ding tatsächlich eine Spur sein, die uns dem Geheimnis etwas näherbringt, mit dem wir im Moment konfrontiert sind.“

Tom trat wortlos hinzu. Er nahm mich kurz in den Arm. Dann ging er zum Schreibtisch, öffnete die Schublade erneut und starrte einige quälend lange Augenblicke wie gebannt auf den Metallklumpen, die zu einer Art Büste von Dr. Skull geworden war.

In Gedanken glaubte ich sein schauerliches Lachen zu hören.

Ein Laut, der eher einem Triumphgeheul glich...

Dann schloss Tom die Lade wieder. Sein Blick war starr, das Gesicht ernst.

„Dies hier kann eigentlich nur eins bedeuten“, stellte er dann düster fest.

„Was?“, fragte ich.

Er sah mich nicht an, als er sprach. Stattdessen blickte er an mir vorbei. Seine Augen konzentrierten sich auf einen imaginären Punkt an der Wand.

„Die Prophezeiungen des ORDENS DER MASKE gehen in Erfüllung...“, murmelte er düster.

Das Ende der Welt, die große Katastrophe...

Und am Ende würden nur Cayamus getreue Diener gerettet werden, während der Rest der Menschheit in Schrecken und Chaos versank.

*

Alec St. John, der Sohn des Chemie-Professors, tauchte zwischenzeitlich in der Bibliothek auf. Aufgrund seiner Veröffentlichungen zum Okkultismus-Thema hatte Tante Lizzy eigentlich auf seine Hilfe gehofft, aber das Glas Gin in seiner Rechten schien ihm wichtiger zu sein. Sein Hauptproblem war wohl, dass er nicht schlafen konnte. Schließlich schlug er vor, doch mal in der Nachbarschaft vorbeizuschauen. Aber Tante Lizzy riet davon ab. Erstens war ein großer Teil der Leute aus den Nachbarvillen gar nicht da, weil sie es vorgezogen hatten, den Jahrtausendwechsel an einem Ort mit freundlicherem Wetter zu erleben. Schließlich hätte in London niemand, der bei Verstand war, eine Wette darauf abgeben wollen, ob man das Feuerwerk überhaupt zu Gesicht bekam oder ob es in der grauen Nebelglocke, die so häufig über der Stadt hing, verschluckt wurde. „Sie können das gerne bei Helligkeit nachholen“, meinte Tante Lizzy an den Buchautor gewandt.

Er knurrte etwas Unverständliches vor sich hin und wandte sich dann an Tom.

„Vielleicht ist das keine schlechte Idee, was Mrs. Vanhelsing da vorschlägt. Würden Sie mich begleiten, Mr. Hamilton?“

„Warum nicht?“, erwiderte Tom etwas abwesend. Er blickte aus dem Fenster. Nebel kam da draußen jetzt auf, kroch aus Richtung Themseufer bis hierher und quälte sich in dichten Schwaden durch die Straßen und in die Gärten der Villen.

Woran denkt er?, fragte ich mich.

*

London, Anno 1350, dem Jahr der Verdammnis...

Dem Jahr des vierten Schreckensreiters, der die Schale des Todes ausgeschüttet hatte...

Die Geschöpfe der Hölle würden dem Knochenmann folgen, hieß es in der Überlieferung.

Nebel kroch von der Themse herauf durch enge, verschmutzte Straßen und Gassen mit glattem Kopfsteinpflaster.

Da waren Ratten, die durch das diffuse Licht der flackernden Straßenlaternen huschten. Sie waren so groß, dass sie kaum noch Respekt vor den streunenden Katzen hatten.

Die Rufe der Nachtwächter waren zu hören, dazu das Stöhnen der Sterbenden am Straßenrand, denen kein Mensch mehr helfen konnte.

Und Schreie.

Schreie unendlicher Trauer und Qual, die wie ein gespenstischer Chor des Grauens aus der unheimlichen Stadt herausdrangen.

John Blendworth, ein junger, dunkelhaariger Mann von vielleicht zwanzig Jahren stand da und schlang sich den zerrissenen Umhang enger um die Schultern. Es war bitterkalt. Eine feuchte Kühle, die alles durchdrang und einen bis in den letzten Winkel der Seele frösteln ließ...

John ging weiter, vorbei an einer üblen Schenke, aus der sonst stets zänkisches Stimmengewirr drang. Sie trug den unheilverheißenden Namen 'The Pale Knight' - 'Der bleiche Ritter'.

Heute aber war kein einziger Gast im 'Pale Knight', wie John bei einem Blick durch eines der butzenartigen, kleinen Fenster feststellte.

Edward, der Wirt, stand mit verschränkten Armen und grimmigen Gesicht im Türbogen.

„London ist eine Stadt der Verdammten“, sagte er düster. „Lebende Tote sind wir - der Verdammnis preisgegeben... Wir alle tragen die Kraft des Bösen in uns... Darum kommt das Grauen über uns...“

John antwortete nicht. Er sah den Wirt nur stumm an. Der Nebel kroch kniehoch in dicken Schwaden über das Kopfsteinpflaster. Er wirkte wie ein vielarmiges, formloses Ungeheuer, das die Stadt nach lebenden Seelen absuchte. An einer Hauswand lehnte sitzend ein Vermummter. Er rutschte zu Boden und blieb reglos liegen. Eine Ratte kam unter seinem Umhang hervor und lief über die Straße, um im Kellerloch eines der aus massivem grauen Stein errichteten Häusern zu verschwinden.

Der Wirt deutete zu dem leblosen Körper hinüber.

„Siehst du den da, John?“

„Ich sehe ihn.“

„Wir werden bald alle genauso tot sein, John... Der Pesthauch liegt über der Stadt. Riechst du ihn nicht, den Gestank der Fäulnis und Verwesung? Es gibt keine Hoffnung mehr...“

Das klackernde Geräusch von Pferdehufen auf Kopfsteinpflaster drang an ihre Ohren. Ein Wagen mit knarrenden Rädern tauchte aus dem grauen Nebel auf, gezogen von mageren Kleppern.

Oben auf dem Bock saßen zwei Gestalten in dunkler Kutte und mit schnabelförmiger Gesichtsmaske, die sie vor der Pest schützen sollten.

Auf dem Wagen lagen mindestens zwei Dutzend Leichen.

John sprang schnell zur Seite, um von dem Gespann nicht umgefahren zu werden. Die verzerrten Gesichter der Toten schienen ihn einige Momente lang anzustarren.

Edward hat Recht, dachte er.

Die letzten Tage hatten begonnen.

Der Beginn des Endes...

Die Zeit der schrecklichen Vier...

*

Irgendwann gegen Morgen überfiel mich ein bleiernes Gefühl der Müdigkeit. Tante Lizzy erging es ähnlich. Außer uns und Tom hatten sich inzwischen alle anderen zurückgezogen, um sich wenigstens für ein paar Stunden hinzulegen. Möglicherweise lag es aber auch daran, dass sie das Gefühl bekommen hatten, Tante Lizzy bei ihren mit geradezu fieberhafter Intensität durchgeführten Studien eher zu stören.

„Vielleicht sollten auch wir uns jetzt auch etwas hinlegen“, meinte Tante Lizzy schließlich gähnend. „Wer weiß, was uns in nächster Zeit noch alles abverlangt wird...“ Ihr Tonfall war düster und ihm fehlte der Optimismus, der sonst für die alte Dame immer so typisch gewesen war. Ich fragte, ob sie vielleicht mehr wusste, als sie zu zugeben bereit war. Schließlich verfügte sie über ein enormes okkultes Wissen. Und es war möglich, dass sie bereits aus dem, was bisher geschehen war, insgeheim mehr Rückschlüsse gezogen hatte, als sie zugab. Vielleicht, weil sie sich erst vergewissern und uns nicht unnötig in tiefe Verzweiflung stürzen wollte.

Tom wirkte sehr schweigsam und in sich gekehrt. Das war mir die ganze Nacht über schon aufgefallen. Immer wieder suchte ich den Blick seiner geheimnisvollen, meergrünen Augen. Aber manchmal schien er direkt durch mich hindurchzusehen, so als wäre ich gar nicht vorhanden gewesen...

Irgendetwas beschäftigte ihn.

Etwas, worüber er bislang mit mir noch nicht gesprochen hatte - und das über das hinausgehen musste, was uns allen an düsteren Gedanken im Kopf herumspukte. Ich fragte mich, ob ich ihn drängen sollte und entschied mich dagegen. Vertrau ihm, Patti... Oder hattest du je Grund es nichtzu tun? Warte ab...

Tom und ich gingen hinauf in meine Räume, die im oberen Stock der Vanhelsing Villa zu finden waren. Hier war eine Art okkultfreie Zone, das bedeutete, das meine Zimmer die einzigen im ganzen Haus waren, die nicht zur Unterbringung von Tante Lizzys immenser Sammlung dienen mussten.

In Toms Armen schlief ich ein.

Der Schlag seines Herzens beruhigte mich immerhin so weit, dass ich dazu die nötige innerliche Ruhe fand. Ich spürte, wie seine Hand über mein Haar glitt. Das gab mir wenigstens die Illusion von Geborgenheit.

Ich versuchte nicht, an den nächsten Tag zu denken.

Nicht einmal an die nächsten Stunden.

Der Schlaf, in den ich fiel, war tief und traumlos. Als ich erwachte, spürte ich sofort, dass Tom nicht mehr bei mir war. Ich setzte mich im Bett auf und sah ihn am Fenster stehen. Er blickte hinaus in Tante Lizzys Garten. Und dabei hielt er etwas in der Hand.

Es handelte sich um den Messingteller aus dem Salon, in den jene Gegenstände eingraviert waren, die die Apokalyptischen Reiter bei sich führten.

Ein Bogen, ein Schwert, eine Waage und die Schale des Todes...

Tom hatte nicht bemerkt, dass ich inzwischen erwacht war.

Ich stand auf, trat zu ihm und gab ihm einen Kuss. „Guten Morgen, Tom - wenn man von einem guten Morgen denn unter diesen Umständen überhaupt sprechen kann...“

Er sah mich an.

Und schwieg.

Er war in einem Zustand, der einer Trance sehr nahekam. Vielleicht hatte er eine jener Konzentrationstechniken angewandt, die ihn Meister Heng Tem und die Mönche von Pa Tam Ran gelehrt hatten.

„Seit wann bist du wach?“, fragte ich.

Er lächelte matt. Und in diesem Moment wusste ich, dass er wieder anwesend war. „Schon eine ganze Weile...“, erklärte er. „Seit diese Reiter am Himmel erschienen sind, lässt mich ein Gedanke einfach nicht los...“

„Was für ein Gedanke?“

„Dass ich diese Reiter... kenne.“

„Aus einem früheren Leben?“

„Ja. Nicht in dem Sinn, dass mir ihre Darstellungen auf Reliefs und auf Gemälden bekannt sind, dass ich Mönche und Priester über sie habe reden hören... Das wäre ja auch nur natürlich, schließlich habe ich ja auch in Zeiten gelebt, als die Vorstellung von diesen Reitern der Apokalypse weit verbreitet war. Nein, ich meine etwas anderes...“

Ich berührte ihn am Oberarm.

„Versuch es mir zu erklären“, forderte ich.

„Ich bin mir selbst nicht sicher...“

„Hat es etwas mit diesem Teller zu tun?“

„Mit genau diesem bestimmt nicht. Das ist eine Nachbildung, vielleicht fünfzig Jahre alt. Aber er ist nach einem uralten Vorbild gefertigt, Patti...“ Er brach wieder ab und ich fragte mich, was ihn wohl daran hinderte, weiter zu sprechen. Warum musste er so nach Worten ringen? Das war eigentlich alles andere als typisch für ihn. Wir sahen uns einige Augenblicke lang an und ich versuchte verzweifelt in den meergrünen Augen zu lesen. „Ich glaube, dass ich diesen Schreckensreitern schon einmal begegnete... Sie sind reale Wesen, Patti...“

„ Wann bist du ihnen begegnet? Und wo?“