50 Rock-Alben, die man gehört haben muss - Michael Fohrn - E-Book

50 Rock-Alben, die man gehört haben muss E-Book

Michael Fohrn

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Beschreibung

Von AC/DC bis Jimi Hendrix, von "In-A-Gadda-Da-Vida" bis „Power Up“, von den Weltstars zu den Underdogs – diese 50 Rock-Alben muss man gehört haben! Begeben Sie sich auf einen Streifzug durch 60 Jahre Musikgeschichte von den frühen 1960ern bis heute und entdecken Sie die zahlreichen Spielarten des Rock neu. Dieser Band liefert nicht nur Hintergrundinformationen zu den Künstlern, der Musik und ihrer zeitgeschichtlichen Relevanz, sondern auch spannende Anekdoten zu den einzelnen Alben.

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Michael Fohrn

50 Rock-Alben, die man gehört haben muss

Contents

Vorwort

Nirvana – Nevermind (1991)

Hole – Live Through This (1994)

The B-52s – The B-52s/Play Loud (1979)

Gina Harlow and The Cutthroats – Live On Stage/Live At Max’s Kansas City (1979/2013)

Rory Gallagher – Live At Montreux (2006/2013)

Pekka Pohjola – Keesojen Lehto/Unbenannt (als Mike & Sally Oldfield/Pekka Pohjola) (1977/1981)

Chumbawamba – Anarchy (1994)

Arzachel – Arzachel (1969)

The Sisters Of Mercy – Floodland (1987)

Ten Years After – Naturally Live (2019)

The Who – Who (2019)

MC5 – Kick Out The Jams (1969)

R.E.M. – Out Of Time (1991)

Deep Purple in Rock (1970)

Little Feat – Time Loves A Hero (1977)

Steely Dan – Pretzel Logic (1974)

The Verve – Urban Hymns (1997)

Oblivians – Soul Food (1995)

Ton Steine Scherben – Keine Macht für Niemand (1972)

Sam Gopal – Escalator (1969)

Cream – Disraeli Gears (1967)

Nick Cave and the Bad Seeds – From Her To Eternity (1984)

Birth Control – Hoodoo Man (1972)

Agitation Free – 2nd (1973)

Iron Butterfly – In-A-Gadda-Da-Vida (1968)

Van Halen – Atomic Punks / Live USA (1978/1990)

Bachman-Turner Overdrive – Four Wheel Drive (1975)

White Stripes – White Blood Cells (2001)

Pink Floyd – The Dark Side Of The Moon (1973)

The Smiths – Strangeways, Here We Come (1987)

Guns n’ Roses – Appetite for Destruction (1987)

The Beatles – Please Please Me (1963)

Kevin Coyne – Bursting Bubbles (1980)

Colosseum – Valentyne Suite (1969)

Air – Moon Safari (1998)

Sergius Golowin – Lord Krishna von Goloka (1973)

Jade Bird – Jade Bird (2019)

Roxy Music – Country Life (1974)

Mom’s Apple Pie – Mom’s Apple Pie (1972)

Woodstock: Music from the Original Soundtrack and More (1970)

Boston – Boston (1976)

Dies Irae – First (1971)

Siouxsie And The Banshees – The Scream (1978)

Garbage – Garbage (1995)

Brainbox – Brainbox (1969)

Rock-Requiem (1981)

AC/DC – Power Up (2020)

Die Nerven – Fake (2018)

Jimi Hendrix – Electric Ladyland (1968)

The Doors – The Doors (1967)

Zum Gebrauch

Landmarks

Cover

Vorwort

50 Rock-Alben, »die man gehört haben muss?« Ist dieser Anspruch nicht vermessen?

Wer wollte denn sagen, welches diese fünfzig Alben sind, die wer genau gehört haben soll oder gar muss? Warum muss man diese Alben gehört haben – und wenn man sie gehört hat, was verändert sich dann?

Die hier vorgestellten Platten habe ich behutsam und nach reiflicher Überlegung ausgewählt. Bei dieser Auswahl handelt es sich aber nicht (nur) um eine Selektion bekannter und beliebter Klassiker oder um den sprichwörtlichen Streifzug durch den Gemüsegarten und das möglichst gleichmäßige »Abpflücken« von Platten aus den wesentlichen Genres und Subgenres.

Vielmehr ist diese Auswahl durch einen inneren Zusammenhang gekennzeichnet, der, sei er musikalisch, sei er personell, sei er kontextuell, immer wieder durchblitzt.

Was macht ein gutes Musikalbum aus, was lässt ein Album zu einem modernen Klassiker werden?

Nun, zuerst einmal steht natürlich die künstlerische Qualität einer Platte im Zentrum der Betrachtung – und was künstlerisch qualitätvoll ist (und was nicht), darüber lässt sich trefflich streiten. Vielleicht kann dieses kleine Buch einen Beitrag zu dieser Diskussion leisten, eine vernünftige Antwort auf die Frage nach echter künstlerischer Qualität kann es freilich nicht geben (und das versuche ich auch gar nicht). Auch das Lob (oder der Tadel) der Schallplattenkritik kann (auch wenn sie das auch heute noch hin- und wieder versucht) keine validen Kriterien für eine »gute« Platte aufstellen und sollte nicht als solches verstanden werden.

Ein Klassiker entsteht nicht zwingend mit den Verkaufszahlen, den Streaming-Abrufen oder dem Airplay im Radio oder Musikfernsehen. Verkaufszahlen und entsprechende »Ehrungen« durch silberne, goldene oder gar Platin-Schallplatten sind sogar nicht selten verzerrt: Wer große Werbekampagnen finanzieren kann, wer seine Produkte nicht nur im Fachhandel, sondern auch in den Angebotspaletten der Drogisten und Discounter platziert und zudem hohe Verkaufsränge bei den Onlinehändlern erreicht, der hat mit Sicherheit sein Produkt gut in den Markt »pushen« können, für Qualität bürgt das allein freilich nicht. Über etliche Jahre repräsentierten die »metallenen« Schallplatten in den USA auch gar nicht die tatsächlichen Verkaufs-, sondern die reinen Auslieferungszahlen einer Platte. Wie viele Exemplare davon am Ende verramscht oder gar geschreddert wurden, kann heute niemand mehr genau sagen. Früher wurden die Charts unter anderem anhand des Airplays im Radio aufgestellt, also wie oft sich ein Titel in einem Programm wiederfand (und dieses Airplay war und ist natürlich auch mit den Verkaufszahlen rückgekoppelt, es entstehen Verstärkereffekte in beide Richtungen). Dabei berücksichtigen die Sender bis heute nicht allein die Wünsche und Interessen ihrer Zuhörerschaft – was wir im Radio hören ist mitnichten Resultat eines demokratischen Entscheidungsprozesses, sondern oft Ergebnis einer guten Promotion.

Was heute über die Portale gestreamt wird, entscheidet in der Regel nicht allein der Nutzer, sondern auch mehrere komplexe und außerdem völlig intransparente Algorithmen.

Reines Zahlenmaterial oder die Ergebnisse von Charts und Rankings spiegeln ihre vermeintliche Objektivität häufig nur vor und können somit zwar als Indiz gewertet werden, ob eine Platte nun ein Klassiker ist oder nicht, darüber aber nicht entscheiden.

Wenn sich die Frage, welche Scheibe nun das Zeug zum modernen Klassiker hat, schon nicht quantitativ beantworten lässt, dann vielleicht qualitativ? Fragt man Liebhaber und Sammler (und im Zuge der Entstehung dieses Buchprojekts fragte ich viele Liebhaber und Sammler), erhält man unterschiedliche Impulse, nie aber allgemeingültige Antworten. Der eine sammelt möglichst seltene, abgespacete Sachen, der nächste erfüllt sich spät all die musikalischen Träume seiner Jugend, die er sich mit seinem damaligen knappen Taschengeld nicht leisten konnte. Die Vielzahl der Wiederveröffentlichungen auf Vinyl und die immer dicker werdenden Backkataloge legen gerade hiervon beredt Zeugnis ab.

Es nützt alles nichts: Welches der zahllosen Rock-Alben man hören muss, was ein richtiger Klassiker ist, ist bei manchen Longplayern quasi Konsens und bei anderen höchst umstritten. Die Entscheidung fällt letztlich jeder individuell für sich – aber gerade meine Gespräche mit Musikhörern haben mir viele neue Sichtweisen eröffnet und Ideen gestiftet. Und mitunter ist es auch einfach eine Entscheidung, die aus dem Bauch heraus getroffen werden will.

Rockmusik kann man nicht sinnvoll isoliert betrachten. Die Musik entstand und entsteht immer im Wechselspiel zwischen Mode, Konsum, Politik und (Jugend-) Kultur. Heute steht aber nicht nur diese Jugendkultur Pate für viele Werke. Nachdem die Wurzeln des Rock in die 1950er- und frühen 1960er-Jahre reichen, sind die Rockfans mit den Bands, die noch existieren (und das sind gar nicht so wenige) und ihrer Musik in Würde gealtert und zelebrieren heute gerne auch einen mitunter etwas überdehnten Gegenentwurf zur Jugendkultur – eine Art bewusster Kultur des aktiven und kritischen Alterns. Das gilt natürlich nicht für alle »alten« Bands und schon gar nicht für deren Fans – manche von ihnen wollen schlicht nicht wahrhaben, dass sie eben nicht mehr Jugendliche oder junge Erwachsene sind (und nicht selten ist dieses Nicht-wahrhaben-Wollen des eigenen Alters zur sympathischen Schrulle gereift).

Gerade in den 1960er- bis 1980er-Jahren hatte der Rock auch eine abgrenzende Funktion zur Sichtbarmachung und Aufarbeitung der Konflikte zwischen den Generationen. Wendete sich der Rock der frühen Tage in den Vereinigten Staaten insbesondere gegen überkommene Moralvorstellungen und den Patriotismus der Elterngeneration, kam ihm in Deutschland darüber hinaus auch die Rolle der Abgrenzung gegen die nazistischen Verstrickungen von Eltern und Großeltern zu. Dass er die Jugend einte und sich gleichzeitig zur Rebellion gegen die Eltern eignete, gelang dem Rock nicht per se – vielmehr war er eingebettet in Mode, Kultur und politisches Zeitgeschehen ein integraler Bestandteil eines glaubwürdigen Alternativmodells eines freizügigen, im besten Sinne freien Lebens – und erlangte damit auch internationales Verstandenwerden.

Rockmusik hat also maßgeblich zu jenem Phänomen beigetragen, dass die Politikwissenschaft gemeinhin als westernization, als »Verwestlichung«, bezeichnet. Diese Rolle sollte sich in den nächsten zwei Jahrzehnten wandeln. Spätestens seit den 1990er-Jahren vermochte gerade der Rock die Generationen eher zu einen, als zu spalten. Auch diese Funktion ist kein Zufall, sondern vielmehr Produkt einer kontinuierlichen gesellschaftlichen Entwicklung. Und dennoch ist das Schwert der Rockmusik nicht stumpf geworden – noch bewährt sie sich bestens, um Anklage und Protest gut verständlich, quasi massenkompatibel, zum Ausdruck zu bringen. In seiner einigenden Funktion ist aber auch eine wachsende Entpolitisierung des Rock zu beobachten.

Und so sind die folgenden Betrachtungen auch mehr Essay als Rezension. Hier jedoch lässt sich nur schwer eine sinnstiftende Grenze ziehen. Das muss aber auch nicht sein – manchen Alben nähere ich mich über die Biografie der Künstler, anderen über die Musik, bei manchem ist die genauere Betrachtung der entfalteten Wirkung lohnenswert. Genauso wenig kann übrigens sinnstiftend differenziert werden, was noch Rock, was schon Pop ist, wo der Funk beginnt und der Jazz aufhört. Die hier vorgestellten Alben sind bis auf eine einzige Ausnahme, bei der die Genrezuschreibung zum Rock nur als Implikation funktioniert, hörbar in ebendiesem beheimatet. Mehr dazu ist übrigens im Kapitel Zum Gebrauch am Ende dieses Buchs zu lesen.

Um die eingangs gestellte Frage nach den möglichen Veränderungen noch einmal aufzugreifen: Prognostizieren lassen sie sich nicht, mir persönlich hat die (Wieder-) Beschäftigung mit den ausgewählten Alben aber nicht nur Spaß gemacht, sondern zum guten Teil ein noch tieferes Verständnis für die Musik eingetragen. Ich hoffe, dass dieses Buch die eine oder andere Inspiration geben kann, manche Platte nach langer Zeit einmal wieder aufzulegen oder gar neu zu entdecken – und ich wünsche bei dieser klangvollen Reise durch die Jahrzehnte viel Vergnügen!

Nirvana – Nevermind (1991)

Unbestritten: NirvanasNevermind ist eine musikalische Großtat. Das Album entwickelte sich aus dem Stand zum Millionenseller, stieß über Monate den »King of Pop«, Michael Jackson, vom Charts-Thron, ebnete Beck Hansen oder Bands wie Soundgarden und Pearl Jam den Weg und inspirierte in den 1990ern zahllose Musiker.

Wie wenig anderes ist mir noch der Moment erinnerlich, als der Schlitten die CD im Schacht des Players versenkte, das erste Riff von Smells Like Teen Spirit erklang und dann – mit den einsetzenden Drums das Adrenalin, die Ekstase durch meine Adern schoss. In diesem Moment, in den ersten Sekunden dieses Albums wurden die Achtzigerjahre mit ihrem Synthie-Sound, den Schulterpolstern, dem Yuppietum und ihrem Stadion-Rock beerdigt – nicht in getragener Würde, sondern mit einem heftigen Arschtritt.

Das Album polarisiert. Während es vielen als großer Wurf gilt und den eben beschriebenen Abschied von der Musik der 80’s einläutet, tun sich gerade jene Menschen mit Nevermind schwer, die sich im Rock so etwas wie Kontinuität wünschen. Ihnen scheint Nevermind eine große »Abrechnung« zu sein, eine Art Angriff, den es abzuwehren gilt – aber mit was soll da eigentlich abgerechnet, was angegriffen werden?

Wir sogen damals die Musik auf, ich kopierte mir die CD auf Band und nudelte diese Kassette mit meinem Walkman so lange ab, bis sie im Eimer war, die Platte rotierte in jedem Jugendzimmer, wenn man in jenen Tagen MTV einschaltete, standen die Chancen gar nicht schlecht, dass ein Video von Nirvana lief, sie war in den frühen Neunzigern quasi omnipräsent und dennoch lief sich die Scheibe nicht tot, nervte nicht – und sie nervt bis heute nicht, obwohl man sich längst an diesem Album ab- und sattgehört haben müsste.

Alternative-Rock, das war Anfang der Neunziger ein noch weitestgehend unbekanntes Genre. Punk, klar, Punk kannte jeder, aber Alternative? Grunge gar? Was sollte das sein? NirvanasNevermind hat es uns – ohne ein Wort darüber zu verlieren – erklärt. Die Pullis durften wieder verwaschen sein, die Jeans bekamen große Löcher und die Chucks kamen zurück, je ausgelatschter, desto besser. Und mit dem breiten, schwarzen Strich des Edding bemalten wir unsere Eastpack-Rucksäcke.

Dabei ist das Album ein Album der harten Kontraste. Cobains Gesang ist roh und ungeschliffen, Grohl an den Drums hingegen spielerisch unglaublich präzise. Technisch ist Nevermind eine Hochglanzproduktion, Cobains Songwriting im besten Sinne Pop und doch sind die Titel melancholisch-depressiv und gleichzeitig unglaublich wütend. Punk meets Pop, Garagensound meets Full-Range-HiFi. Smells Like Teen Spirit ist die Hymne einer ganzen Generation, Polly thematisiert die Vergewaltigung und Folter eines jungen Mädchens, die im Jahr 1987 in den USA hohe Wellen schlug. Im Song Lithium findet ein rastloser Mensch Ruhe in einer innigen Beziehung zu Gott (während der Text ja erst einmal tröstlich klingen mag, referenziert Cobain im Songtitel seine zum Zeitpunkt der Aufnahmen schon schwerwiegende psychische Erkrankung und die zur damaligen Zeit übliche Standardtherapie mit Lithiumsalzen). Something in the Way kann man als getragene Ballade hören, der Hidden-Track Endless, Nameless (auch als »The Noise Jam« bekannt) hingegen ist ein fulminanter Wutausbruch. Hymnen und Morbidität, knalliger Rock und Musik gewordene Depression, das alles steckt in Nevermind, das alles vermag Nevermind harmonisch-disharmonisch zu vereinen, dem allem bietet das Album einen Rahmen – und so schwer mancher Songtext auch auf der Seele liegen mag: »Macht doch nichts!«, »Komm, wie Du bist«, das sind starke Zusprüche an jeden einzelnen Hörer.

Dieses kontrastreiche Album fiel uns in einer kontrastreichen Zeit vor die Füße. Der Eiserne Vorhang war gefallen, George Bush war Präsident der Vereinigten Staaten, die gerade in eine schwere wirtschaftliche Rezession abglitten, der Golfkrieg begann. Orientierung konnte Nevermind hier nicht bieten, aber die Musik versteht jene Zeit, mehr noch, sie ist ein nicht unbedeutender Teil von ihr. Und auch das Cover wurde aus dem Stand ikonisches Gemeingut der jüngeren Popkultur, zahlreiche Künstler und Musiker zitieren oder karikieren das nackte, unter Wasser einem an einem Angelhaken angebrachten Dollarschein erwartungsfroh entgegenschwimmende Baby.

Der Rolling Stone kürte Nevermind zum wichtigsten Album der 90er-Jahre. Zu Recht.

Hole – Live Through This (1994)

Live Through This alleine auf die Musik und nicht auf die Begleitumstände des Erscheinens zu reduzieren, ist nicht möglich. Ich hätte es ja gerne gemacht, ich habe aufrichtig versucht, mich immer wieder und wieder eng an den Songs »entlangzuformulieren« und habe all diese Formulierungen wieder verworfen. Manche Alben kommen nicht nur ohne ihre Kontexte nicht aus, sie tragen sie huckepack mit sich herum – auch noch knapp dreißig Jahre nach Erscheinen. Live Through This ist so ein Album.

Der erste flüchtige Blick auf diese Zusammenhänge: Das »Riot Grrrl« Courtney Love hat mit ihrer Band Hole 1991 mit Pretty on the Inside ein halbwegs eingängiges, handwerklich ordentliches, aber weitgehend unspektakuläres Album abgeliefert, das kommerziell dennoch als Achtungserfolg gelten darf. Nicht nur die höchst professionellen Umstände der Produktion dieses Debüts, sondern auch die frische Vermählung mit Kurt Cobain machten Musikpresse und Käufer auf die Platte aufmerksam. Loves und Cobains gemeinsame Tochter Frances Bean wurde 1993 geboren, Love arbeitete zu diesem Zeitpunkt schon am Folgealbum, das Ehepaar litt nicht nur unter Cobains Erfolg, sondern zusehends auch an ihrer gemeinsamen Heroinsucht. Die Regenbogenpresse verstand, diese zumindest »besonderen« Lebensumstände entsprechend auszuschlachten – eine für die Ehe schwere Belastung, wie Love später einmal sagte. In ähnlich unruhigem Fahrwasser schwamm die Band selbst: Love kämpfte mit ständigen Neubesetzungen, die Band Hole war praktisch Courtney Love, bot aber sonst keine nennenswerte Stabilität. Nur ihr Gitarrist Eric Erlandson, mit dem Love zwischenzeitlich auch liiert war, hielt ihr (und damit der Band) die Treue. Love hat zu diesem Zeitpunkt trotz der personellen Wechsel die Wirkung, die sie mit Hole erzielen will, fest im Blick und definiert auch die einzunehmende Positur. Als Lesley Hardy die Band verlässt, inseriert Love auf der Suche nach einer neuen Bassistin: »Ich will eine, die ganz gut spielen kann, vor 30.000 Leuten auf der Bühne stehen und ihr Shirt ausziehen kann, >Fuck You< auf die Titten geschrieben.« Das neue Album soll eingängiger und kommerziell besser verwertbar werden. Loves Auftreten wirkt hart, kompromisslos und sexy, nichtsdestotrotz stehen Hole im Schatten der Erfolge Nirvanas und das Ehepaar Love/Cobain im Blitzlichtgewitter einer im Tonfall zunehmend anklagenderen Yellow Press. Hole gehen 1993 ins Studio, die neu gewonnene Bassistin Kristen Pfaff wird in dieser Zeit ebenfalls heroinabhängig.

Am 5. April 1994 nimmt sich Kurt Cobain das Leben, drei Tage zuvor hat Love ihren Ehemann bei der Polizei als vermisst gemeldet. Am 12. April 1994 wird Live Through This veröffentlicht. Drei Monate später stirbt Kristen Pfaff an einer Heroin-Überdosis.

Die zeitliche Enge dieser Ereignisse darf man, ohne reißerisch zu sein, als Schock, als tiefen Schicksalsschlag verstehen. Und vor diesem Kontext entfaltete das Album seine Wirkung. Kraft und Zerbrechlichkeit, Wut und Klage gewinnen vor der Folie des Suizids Cobains, des Todes Pfaffs und der Zerrissenheit und den Leiden Loves noch an Intensität. Love mag vielen jungen Frauen als ein glaubwürdiger Gegenentwurf zum Öko-Feminismus ihrer Müttergeneration gegolten und gedient haben, integriert sie doch perfekt Rebellion, Provokation und Protest mit Zartheit und Zerbrechlichkeit. Das macht auch das Album aus: Druckvoller Sound, der Opener Violet ist ähnlich hymnisch wie Cobains Smells like Teen Spirit. Das bereits 1991 geschriebene Stück Doll Parts, Holes erfolgreichste Singleauskopplung, darf getrost als Counterpart zu Cobains Heart Shaped Box verstanden werden. »Some days you will ache like I ache.«

Unübertroffen auch der beißende Zynismus in Asking For It – eine Aufarbeitung der alten victim-blaming-Methode (»Sie hat es doch nicht anders gewollt«), der sich noch immer viele weibliche Vergewaltigungsopfer ausgesetzt sehen. Gerade hier stehen Loves sanfte, tragende Stimme neben der schieren, herausgeschrienen Wut so intensiv gegenüber, dass man sich diesem Wechselbad der Gefühle nicht erwehren kann.

Live Through This ist ein einfühlsames, unheimlich kraftvolles und trotz einer ordentlichen Portion Anarchismus, die auch heute noch authentisch wirkt, durchhörbares Album. Die Frage, wie viel Kurt Cobain in Holes wohl gelungenster Platte steckt, ist hochumstritten: Stilistisch kann man ohne Aufwendung allzu großer Fantasie zumindest deutliche Nähen zu Nevermind beobachten, das Songwriting beanspruchen Love und Erlandson alleine – auch dies ist absolut vorstellbar, denn Love hat schon auf ihrem Debütalbum ein sicheres Talent für gutes, unverfälscht ehrliches Songwriting bewiesen und Erlandson gilt nicht nur als virtuoser Gitarren-Nerd, sondern auch kreatives Genie für eine abwechslungsreiche Kompositionsdramaturgie.

Das Albumcover zeigt vorne nicht etwa eine überschminkte und zur Unkenntlichkeit retuschierte Courtney Love, sondern das 1976 geborene Model Leilani Bishop, mit Blumenstrauß und gekrönt in Siegespose, die Mascara von Freudentränen zerlaufen (die deutschstämmige Fotografin Ellen von Unwerth gestaltete nicht nur dieses Cover, sie war auch für Duran Duran, Christina Aguilera, Janet Jackson oder Britney Spears tätig).

The B-52s – The B-52s/Play Loud (1979)

Mit zwei Songs dürften sich die B-52s ins Gedächtnis der fleißigen Radiohörer eingegraben haben: Die wirklich coole und entspannte Partynummer Love Shack aus dem Jahr 1989 spiegelt noch einiges von jenem Glanz wieder, den die Band einstmals verkörperte, 1994 läutete man dann mit der gecoverten Titelmelodie Meet The Flinstones zum Kinofilm Die Flinstones nicht nur das untere Ende des künstlerischen Niveaus, sondern auch das der Band ein, denn die lieb- und inspirationslose Tanz-Schmonzette hätte sich auch jedes drittklassige Eurodance-Projekt aus den Rippen schwitzen können. Yabba-dabba-doo.

Den künstlerischen Höhepunkt markiert bei den B-52s ihr Debüt aus dem Jahr 1979.

Melodiös und zuweilen schrill ist der Gesang der beiden Frontfrauen Cindy Wilson und Kate Pierson, kontrastiert wird er durch Fred Schneiders nasalen Sprechgesang, der oft die grundwitzige Seite der Band unterstreicht, wirken seine rhythmischen Einwürfe doch nicht selten wie eine Erzählstimme in den Stücken. Ebenso charakteristisch ist der spacige Orgelsound und die vielen Gitarrenstaccati. Diese Mischung atmet Rock‘n’Roll, ist ein bisschen punkig, aber immer locker, leicht und irgendwie auch groovig.

Schon der Opener macht Spaß, ist tanzbar und wird getragen von einem nicht ganz unironischen Zitat – das zentrale Riff des Peter-Gunn-Themes bildet die Grundlage des eigentlich düster temperierten Wave-Songs: Planet Claire lässt auf mehr hoffen und die Hoffnung erfüllt sich – 52 Girls schrabbelt angenehm vor sich hin, der große Spaß beginnt aber mit der Nummer Dance This Mess Around: »Why don’t you dance with me? / I’m not no Limburger. / Just a limber girl.« Die B-52s sind auf eine unaufdringliche und liebenswerte Art lustig, das setzt sich beim nicht minder tanzbaren Rock Lobster fort. Spätestens jetzt ist Play Loud zu einer zeitlosen Partyscheibe geworden.

6060-842, jene Telefonnummer, geschrieben an die Wand einer Damentoilette, vermag den Anrufer oder die Anruferin nur zu enttäuschen, doch die nüchterne Antwort des Operators »Your number’s been disconnected« hat Mitgrölpotenzial. Und dann die unweigerlich nötige Referenz auf die frühen Sechziger – das Cover von Petula Clarks Downtown rundet dieses kleine Meisterwerk ab.

Die Inszenierung der Band lässt sich auf dem Cover, das im Stile der 1950er-Jahre gehalten ist, gut erkennen: Vor einem leuchtend gelben Hintergrund präsentiert sich die Band mit ihrer einretuschierten Scherenschnitt-Kleidung und den charakteristischen auftoupierten Bienenkorbfrisuren, die auch namensgebend für die Combo waren. Auch das sehr empfehlenswerte Folgealbum White Planet bedient sich dieser Ästhetik.

Ironische Scheiben haben oft nicht nur ihre Zeit, sie kennen auch ihr Verfallsdatum und werden – nach Jahren gehört – nicht selten unheimlich albern. Nicht so Play Loud – dieses Album macht selbst nach über vierzig Jahren wahnsinnig Spaß und keine einzige Party wird schlechter, wenn man diese Platte auflegt.

Gina Harlow and The Cutthroats – Live On Stage/Live At Max’s Kansas City (1979/2013)

Weder Gina Harlow selbst noch ihre Band The Cutthroats (sehr viel später wurde ihre Begleitband in The Deepthroats umbenannt, dann wurden es wieder die Cutthroats) noch das Label Cutthroat Records sind hierzulande nachhaltig bekannt (etwas anders mag es in Fachkreisen um die Edition American Lost Punk Rock Nuggets des Labels RaveUp, auf dem das Album als Live At Max’s Kansas City wiederveröffentlicht wurde, stehen). Informationen zu Harlow – obschon sie seit 2018 eine eigene Webseite unterhält – sind rar gesät, müssen mühsam zusammengetragen werden und lassen sich kaum verifizieren. Ich unternehme hier nun den Versuch einer halbwegs vernünftigen Rezension – und obwohl ich Fakten zu Musikern und Bands in aller Regel gründlich zu recherchieren pflege, kann ich für die nun folgenden Informationen nur bedingt Gewähr übernehmen.

Das Debütalbum Harlows gilt – nicht ganz zu Unrecht – als besondere Perle unter den frühen Punkrock-Scheiben. Vielleicht, weil die Sängerin auf dem Cover in erotischer Pose zu sehen ist, das Bild ist als Silhouette eines Schlüssellochs ausgeschnitten und einfach auf einen weißen Hintergrund gesetzt worden (und ich muss zugeben: Ich bin auf das Album zuerst auch der Optik wegen aufmerksam geworden, und zwar in dem von Robbie Busch, Jonathan Kirbys und Julius Wiedemann herausgegebenen, grandiosen Bildband Rock Covers, einem unerschöpflichen Quell der Inspiration – als die Platte dann mehr oder weniger zufällig meinen Weg kreuzte, habe ich blind zugegriffen). Billiger und trashiger kann man ein Albumcover eigentlich kaum gestalten (doch, ein Sahnehäubchen, dass das prüde Amerika aufs Vortrefflichste porträtiert bzw. persifliert, muss genannt sein: Der untere Teil von Harlows Gesäß ist mit einem schwarzen »Pornobalken«, den drei weiße »X« zieren, verdeckt). Vielleicht auch, weil die Platte trotz der vorgenannten Wiederveröffentlichung gar nicht so einfach zu kriegen ist. Vielleicht, weil sie aber auch eine Mischung aus hartem Rock und Sex pflegte (im Falle Harlows nimmt sich diese Mischung aus der heutigen Perspektive ja schon fast betulich aus), die immer wieder von Bands aufgegriffen wurde und die in den Performances der britischen Formation Rockbitch ihren Höhepunkt, aber auch ihre provokative Sättigung erfuhr. Vielleicht, weil die Platte musikalisch weniger fies ist, als erwartet. Bestimmt aber, weil die Verquickung dieser Umstände sich vortrefflich eignet, um hier ein Punkrock-Image, garniert mit dem zweifelhaften Chic eines Stripclubs, zu inszenieren. Genutzt hat dies alles freilich nicht, die Platte ist in keinen Charts ausfindig zu machen, Informationen zu offiziellen Verkaufszahlen sucht man vergebens, das will auch nicht verwundern, handelt es sich bei diesem Album doch aller Wahrscheinlichkeit nach um eine Privatpressung, die nie in einem professionellen Vertrieb gelandet ist. Mit großer Sicherheit war die Scheibe ein kommerzieller Misserfolg und trotzdem zementierte sie das Image Gina Harlows als sexy Punk-Pin-Up-Girl.

Mehr als dieses Punk-Pin-Up-Girl wollte Harlow auch nicht sein, Gerüchte drängten sie jedoch in die Porno-Ecke. Harlow bestreitet aber bis heute vehement, je in einer Hardcore-Produktion mitgewirkt zu haben. Verbrieft hingegen ist, dass sie 1975 die Rolle einer Tänzerin im Film Skin Flick einnahm. Der Sexploitation-Streifen, ein typisches, billiges Grindhouse-Machwerk, rahmt seine Erotikszenen in eine reichlich platte Story ein – erzählt der Film doch von den Widrigkeiten, die ein Sexfilm-Produzent mit Darstellern, Geldgebern und der Produktionscrew erlebt. Detail am Rande: Skin Flick ist ein Film von Gerard Damiano, dem Regisseur so bekannter wie genreprägender Pornos wie Deep Throat, The Devil in Ms. Jones oder The Story of Joanna.

Einer alten Zeitungsanzeige zufolge lässt sich der Auftritt in Max’s Kansas City, Downtown Manhattan, New York, auf den 27. April 1978 datieren (die Platte selbst verrät uns nämlich nichts über das Aufnahmedatum des Gigs). Der 1965 eröffnete Club wurde binnen weniger Jahre weltbekannt, starteten hier doch Größen wie Bob Marley, Aerosmith oder Bruce Springsteen ihre Karrieren. Mitte der 1970er-Jahre wandelte sich das »Max’s« und wurde zum Inkubator des US-amerikanischen Punkrocks. Die New York Dolls, die Misfits, die Ramones oder Patti Smith gaben sich dort die Klinke in die Hand.

Bei besagtem Auftritt sang Harlow nicht nur, sondern spielte auch in recht übersichtlicher Virtuosität ihren Rickenbacker-Bass.

»I’m hot’n wild / looking for action«, singt Harlow, sobald man den Tonarm auf die Platte setzt. Schon der erste, gleichnamige Song hat – obwohl dilettantisch aufgezeichnet und nicht minder dilettantisch gespielt, Hit- und Schrammelqualität. Das Songwriting gehorcht – auch bei den folgenden Tracks – einfachsten Prinzipien und trifft damit voll ins Schwarze. Knallig und rotzig haut es die Nummer Punks aus den Boxen – schnell, dreckig und obendrein ein großer Spaß mit Ohrwurmpotenzial. Über den Gitarristen Jesse Davis (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Gitarristen von Taj Mahal und dem Jazzmusiker, der ebenfalls Jesse Davis heißt) und den Drummer Nick Fuse (nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Singer/Songwriter) lässt sich nichts Konkretes sagen – nur so viel: Die drei spielen so abgestimmt, wie man es eben als Punkband braucht und trotz ihrer technischen Unvollkommenheit harmoniert die Combo ganz gut und baut ordentlich Druck auf. Einen Brückenschlag zwischen Rock und Punk wagen die durchaus als erwachsen zu bezeichnenden Titel Jim Jones und Running Out of Love. Insgesamt eine durchhörbare und ziemlich geile Platte, deren größte Schwäche nicht im mitunter amateurhaften Spiel der Cutthroats (Alter!) liegt, sondern in der völlig unzureichenden technischen Umsetzung. Nicht nur das Reissue ist von zweifelhafter Pressqualität, auch die Aufnahme selbst hätte ein dezentes digitales Makeover vertragen, oft ist das Band weit über die Sättigung hinausgepegelt, hie und da ist der tape hiss zu hören, die Vocals zischen gerne mal gruselig und echte Stereofonie klingt auch anders. Nach meinem Gefühl hat bei diesem Gig jemand einfach mal ein Band mitlaufen lassen (schließlich gastierte man im sagenumwobenen Max’s!), ohne sich mit den grundlegenden Funktionen des Recorders vertraut gemacht zu haben. RaveUP wirbt damit, dass es bei dieser Aufnahme keine overdubs gibt, bei den Songs ist man auch geneigt, das zu glauben, aber der durchaus konzertiert einsetzende und sauber ein- und ausgeblendete Applaus lässt sich vom geübten Ohr dann aber doch als eindeutig editiert identifizieren.

Wer Bock auf frühen, rohen, ungeschminkten Punkrock mit viel Speed und wenig Aggressivität hat und mit einem kalkulierten Hauch von Erotik klarkommt, macht mit Live On Stage/Live At Max’s Kansas City bestimmt nichts falsch.

Rory Gallagher – Live At Montreux (2006/2013)

Ganz unumwunden: Das ‘74er Live