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Dieser Band enthält folgende Krimis: Alfred Bekker: Kommissar Jörgensen und die verborgenen Spuren: Hamburg Krimi Alfred Bekker: Die Waffe Alfred Bekker: Der Sniper von Berlin Alfred Bekker: Kubinke und die Killer Alfred Bekker: Künstlerpech für Mörder Ein Scharfschütze macht in Berlin Jagd auf Angehörige des organisierten Verbrechens. Reihenweise schickt der Killer die Drogenbosse ins Jenseits. Ist das der Beginn einer großen Auseinandersetzung zwischen kriminellen libanesischen Groß-Clans und den Banden der sogenannten Balkan-Connection? Der Berliner Ermittler Harry Kubinke und sein Team versuchen, dem Morden Einhalt zu gebieten. Und Kubinke ahnt bald, dass der Killer vielleicht ein ganz anderes Motiv verfolgt, als man ursprünglich vermutete...
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Seitenzahl: 654
Veröffentlichungsjahr: 2025
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5mal Pech für den Mörder: 5 Krimis
Copyright
Kommissar Jörgensen und die verborgenen Spuren: Hamburg Krimi
Die Waffe
Der Sniper von Berlin
Kubinke und die Killer: Kriminalroman
Künstlerpech für Mörder
Titelseite
Cover
Inhaltsverzeichnis
Buchanfang
Dieser Band enthält folgende Krimis:
Alfred Bekker: Kommissar Jörgensen und die verborgenen Spuren: Hamburg Krimi
Alfred Bekker: Die Waffe
Alfred Bekker: Der Sniper von Berlin
Alfred Bekker: Kubinke und die Killer
Alfred Bekker: Künstlerpech für Mörder
Ein Scharfschütze macht in Berlin Jagd auf Angehörige des organisierten Verbrechens. Reihenweise schickt der Killer die Drogenbosse ins Jenseits. Ist das der Beginn einer großen Auseinandersetzung zwischen kriminellen libanesischen Groß-Clans und den Banden der sogenannten Balkan-Connection? Der Berliner Ermittler Harry Kubinke und sein Team versuchen, dem Morden Einhalt zu gebieten. Und Kubinke ahnt bald, dass der Killer vielleicht ein ganz anderes Motiv verfolgt, als man ursprünglich vermutete...
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
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© dieser Ausgabe 2025 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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von ALFRED BEKKER
Es war ein grauer Morgen in Hamburg, einer von den Tagen, die man gerne überspringen würde, wenn man könnte. Die dichte Wolkendecke hing so tief über der Stadt, dass man das Gefühl hatte, sie könnte jeden Moment die Elbe fluten lassen. Regen klopfte monoton gegen das Bürofenster des Kriminalkommissariats im Polizeihauptpräsidium, als das Telefon auf meinem Schreibtisch schrillte.
"Jörgensen", meldete ich mich.
"Uwe, hier Roy. Ein Toter in einem Altbau in Ottensen. Die Kollegen vor Ort sagen, es sieht gar nicht gut aus. Wir sollen uns das ansehen."
Ich schnappte mir meinen Mantel und traf Roy Müller, meinen Partner, am Eingang des Präsidiums. Roy war in Gedanken versunken und würdigte mich kaum eines Blickes, als wir aufs regennasse Kopfsteinpflaster der Hansestadt hinaustraten.
"Was haben wir?", fragte ich, während wir uns den Weg zu unserem Wagen bahnten.
"Ein Mann, Mitte vierzig, tot in seiner Wohnung gefunden. Nachbarn haben die Polizei gerufen, weil sie einen verdächtigen Geruch wahrgenommen haben. Die Wohnungstür war verschlossen – keine Einbruchsspuren."
Das merkwürdige Aroma des sterbenden Herbstes hing in der Luft, als wir die Elbchaussee hinauf fuhren. Es gab nichts an dem Morgen, das ein gutes Omen für den Tag versprochen hätte, abgesehen davon, dass wir einen Toten aufzuklären hatten. Ich konnte mir keinen Ort in Hamburg vorstellen, der beklemmender sein konnte, wie Ottensen in dieser Jahreszeit; die einst schmucken Altbauten wirkten unter dem trüben Himmel düster und verlassen.
Am Tatort angekommen, erwartete uns bereits ein Polizeifahrzeug mit blinkenden Lichtern. Ein uniformierter Kollege führte uns durch das Treppenhaus in den dritten Stock. Die Wohnungstür stand weit offen, und der Geruch von Verfall schlug uns entgegen.
In der Mitte des Zimmers lag der leblose Körper eines Mannes, umgeben von einem Wahnsinnschaos an Möbeln, Schnittblumen und Zeitungen. Dr. Wildenbacher, unser Pathologe, war bereits vor Ort und untersuchte den Leichnam mit einer Mischung aus professionellem Eifer und gleichgültiger Routine.
"Hat man einen Namen, Gerold?", fragte ich.
"Morgen, Uwe. Ja, der Kerl heißt Klaus Degenhardt. Sieht nach ein paar Tagen aus, seit er das Zeitliche gesegnet hat. Todeszeitpunkt schätze ich so vor drei bis fünf Tagen."
"Ursache?", fragte Roy und trat näher heran.
"Unklar", antwortete Wildenbacher und erhob sich. "Friedrich wird mehr sagen können, sobald er seine üblichen Fingerabdrücke und Fasern durchgekaut hat. Aber es gibt keine offensichtlichen Verletzungen, kein Blut."
Der Forensiker Dr. Dr. Friedrich G. Förnheim tauchte ebenfalls auf und nickte uns halbherzig zu. Mit seiner aristokratischen Miene und einer Aura intellektueller Arroganz machte er sich sogleich an die Arbeit und beachtete uns kaum.
"Weg da. Mal sehen, was wir hier haben", murmelte er und beugte sich über den Toten. "Es könnte sich um eine Vergiftung handeln, aber das werden erst die toxikologischen Tests bestätigen."
Roy sah zu mir herüber und hob die Augenbrauen. Das hier versprach, eine verdammt knifflige Angelegenheit zu werden.
"Zeit, herumzuschnüffeln", sagte ich und begann mit der Durchsuchung des Apartments. Da war etwas in der Atmosphäre der Wohnung, etwas, das nach unausgesprochenen Geheimnissen roch. Vielleicht war es die aufgeschlagene Ausgabe des Hamburger Abendblatts vom vergangenen Montag auf dem Couchtisch, vielleicht die Dillinger-CD im verstaubten Player oder die halb ausgetrunkene Flasche Rotwein neben dem Verfall der letzten Tage.
Ich trat ans Fenster und schaute hinaus auf die Straßen von Ottensen. Vielleicht waren wir hier auf dem ersten Schritt einer langen Reise, vielleicht nur ein kleines Puzzlestück in einem weitaus größeren Bild. Aber eines war sicher: In dieser grauen Stadt gab es immer mehr Schatten, als man auf den ersten Blick erkennen konnte. Und heute waren Roy und ich die, die das Licht ins Dunkel zu bringen hofften.
„Wir sollten mit den Nachbarn sprechen“, sagte ich und sah Roy an. "Vielleicht hat jemand in den letzten Tagen etwas Auffälliges gesehen oder gehört."
Roy nickte und wir begaben uns in den Flur. Wir klopften an die Türen der Nachbarwohnungen, die eine nach der anderen – von den schweren Eichentüren, die seit Jahrzehnten auf ihren Angeln ächzten. Die meisten Bewohner waren nicht zu Hause, wahrscheinlich zur Arbeit. Es dauerte eine Weile, bis schließlich eine ältere Frau öffnete.
"Guten Tag, Kriminalkommissar Jörgensen und das ist mein Kollege Kommissar Müller. Dürften wir Ihnen ein paar Fragen stellen, Frau...?"
"Braun. Helga Braun", sagte sie mit zittriger Stimme und skeptischem Blick.
"Wir untersuchen den Tod Ihres Nachbarn, Klaus Degenhardt. Haben Sie in den letzten Tagen etwas Ungewöhnliches bemerkt?"
Frau Braun zog die Stirn kraus und dachte nach. "Eigentlich nicht. Herr Degenhardt war ein ruhiger Mann. Ich habe ihn manchmal das Treppenhaus auf- und abgehen hören, aber das war’s auch schon."
"Haben Sie jemanden zu Besuch kommen sehen? Wurde die Wohnungstür in letzter Zeit häufiger geöffnet?"
"Zu Besuch? Nein, eigentlich nicht. Er hatte selten Besuch, soweit ich das beurteilen kann. Letzte Woche wollte ich ihm ein Stück Kuchen bringen, aber er hat die Tür nicht geöffnet. Ich dachte, er wäre nicht zu Hause."
"Danke, Frau Braun. Falls Ihnen noch etwas einfällt, melden Sie sich bitte bei uns", sagte Roy und wir gaben ihr unsere Visitenkarten.
„Eine Sackgasse“, sagte Roy, als wir den Flur hinuntergingen. "Vielleicht finden wir mehr heraus, wenn wir seine Anrufe und E-Mails überprüfen."
Zurück in der Wohnung des Toten sahen wir, dass Dr. Dr. Friedrich G. Förnheim inzwischen mehrere Proben gesammelt und in kleine Beutel verpackt hatte. Er erhob sich mit einem zufriedenen Lächeln.
„Ich habe ein paar interessante Fasern und Partikel gefunden“, sagte er. „Ich werde sie im Labor analysieren. Aber erwarten Sie nicht zu viel von der Bevölkerung dieser Stadt – sie sind alle gleichermaßen unangenehm unauffällig.“
"Vielen Dank, Friedrich. Wir warten gespannt auf Ihre Ergebnisse", sagte ich, bemüht, höflich zu bleiben in Anbetracht seiner herablassenden Art.
Wir machten uns daran, Klaus Degenhardts Schreibtisch zu durchsuchen. Zwischen unsortierten Papieren fanden wir einige Rechnungen, abgelaufene Zeitschriftenabonnements und ein kleines Notizbuch. Das wichtige Detail kam jedoch, als Roy eine halb versteckte Akte aus einer Schublade zog.
„Uwe, sieh dir das an“, sagte Roy und ich trat näher heran. Es war eine Sammlung von Zeitungsausschnitten über eine Reihe von ungelösten Verbrechen in Hamburg. Namen, Daten und Orte waren peinlich genau notiert und umrandet.
"Das wird ja immer kurioser", murmelte ich. "Was wollte ein scheinbar unauffälliger Mann wie Klaus Degenhardt mit all dem?"
Plötzlich fiel ein einzelnes Foto aus der Akte heraus. Ein Gruppenbild, aufgenommen vor einem bekannten Café in der Speicherstadt. Klaus Degenhardt war darauf zu sehen, neben ihm mehrere andere Personen. Die meisten Gesichter kamen mir nicht bekannt vor, aber eine Person stach heraus: Dr. Gerold Wildenbacher.
„Er scheint in merkwürdiger Gesellschaft verkehrt zu haben“, bemerkte Roy trocken.
"Eindeutig", stimmte ich zu. "Wir sollten unseren Pathologen bei Gelegenheit dazu befragen."
Mit dem Gefühl, dass wir gerade erst an der Oberfläche eines viel größeren Puzzles gekratzt hatten, ließen wir die Wohnung und den grimmigen Herbst in Ottensen hinter uns und fuhren zurück zum Präsidium. Wir mussten Degenhardts digitale Fußspuren verfolgen, seine Verbindung zu den aufgeschlagenen Verbrechen untersuchen und nicht zuletzt herausfinden, was für eine Rolle Wildenbacher in diesem düsteren Spiel spielte.
In unserem Büro angekommen, wurden wir von unserem Vorgesetzten Kriminaldirektor Jonathan Bock erwartet. Sein durchdringender Blick musterte uns, als wir den Raum betraten.
"Was habt ihr bisher?", fragte er ohne Umschweife.
Ich legte ihm die Fotos und die Akte vor, während ich die bisherigen Erkenntnisse schilderte. Bocks Ausdruck verhärtete sich, als er das Bild betrachtete.
"Haltet mich auf dem Laufenden, aber passt auf, dass ihr keinen Fehler macht", sagte er, bevor er den Raum verließ.
Roy klopfte mir auf die Schulter. „Was jetzt?“
„Jetzt werfen wir einen Blick auf seine Anruflisten und E-Mails. Und dann sehen wir weiter“, sagte ich, während ich mich an den Computer setzte.
Es war klar, dass dies nur der Anfang einer langen und gewundenen Straße war. Mehr Fragen als Antworten, mehr Schatten als Licht. Aber eines war sicher – Roy und ich würden nicht ruhen, bis wir die Wahrheit ans Licht gebracht hatten.
Der Name Dr. Gerold Wildenbacher hatte auf dem Gruppenfoto eine merkwürdige, fast unheilvolle Bedeutung. Warum war unser Pathologe mit dem Toten in einem Bild verwickelt, das umgeben war von Verbrechen? Roy und ich wussten, dass hier etwas Tiefergehendes im Spiel war, etwas, das wir nicht einfach ignorieren konnten.
„Wir müssen das hier aufklären“, sagte Roy entschlossen und studierte das Bild. „Wildenbacher wusste nichts von dieser persönlichen Verbindung, als wir ihn heute Morgen bei der Leiche trafen? Oder hat er uns bewusst im Dunkeln gelassen?“
„Das ist eine gute Frage. Wenn er uns absichtlich nicht informiert hat, dann bedeutet das, dass er etwas zu verbergen hat“, antwortete ich und klappte mein Notizbuch auf. „Hören wir uns doch mal um, bevor wir ihn direkt konfrontieren.“
Wir starteten mit einer Suche nach Gerold Wildenbacher in unseren internen Datenbanken. Wildenbacher hatte einen ausgezeichneten beruflichen Ruf – er war bekannt für seine präzisen und sachlichen Berichte, seine Fähigkeit, auch die kleinsten Hinweise zu entdecken, die oft übersehen wurden. In persönlichen Einträgen fanden wir wenige Informationen; er schien ein privater Mensch ohne erkennbare Kontakte zu Klaus Degenhardt oder den anderen Personen auf dem Foto zu sein.
„Wir brauchen mehr Kontext“, sagte ich. „Lass uns Degenhardts Telefon- und E-Mail-Verlauf durchgehen und nach Verbindungen suchen.“
Es dauerte nicht lange, bis wir auf einige interessante Details stießen. Klaus Degenhardt hatte in den letzten Monaten häufig sowohl Dr. Wildenbacher als auch einen gewissen Dr. Konrad Dietrich kontaktiert – ein Name, der uns beiden nicht vertraut vorkam. Regelmäßige Telefonate und E-Mail-Korrespondenzen schienen die beiden miteinander verbunden zu haben, obwohl der Inhalt der Nachrichten meist belanglos wirkte. Aber eines fiel auf: Immer wieder tauchten kryptische Anmerkungen auf – „Besuchen Sie die Speicherstadt, dann verstehen Sie“ oder „Das Projekt trägt Früchte“.
„Schau dir das an“, sagte Roy und zeigte mit dem Finger auf den Bildschirm. „Wildenbacher und Dietrich haben offensichtlich etwas gemeinsam mit Degenhardt geplant.“
„Dietrich scheint auch eine Schlüsselfigur zu sein. Wir sollten ihn ausfindig machen“, stimmte ich zu.
Ein Blick in die ärztlichen Datenbanken ergab, dass Dr. Konrad Dietrich ein kleinerer Forensiker war, der oft an weniger prominenten Fällen arbeitete. Ein unscheinbarer Mann mit wenig Auffälligkeiten, aber er hatte in den letzten Jahren einige bemerkenswerte Studien veröffentlicht, die sich mit experimentellen Toxinen und seltenen Vergiftungsmethoden befassten. Das brachte uns wieder zu Förnheims spekulativem Verdacht.
„Das könnte die Verbindung sein. Degenhardt hat auf eigene Faust Recherchen gemacht und sich möglicherweise in etwas verstrickt, das ihn das Leben gekostet hat“, sagte Roy nachdenklich, während wir die Informationen überprüften.
Unsere nächste Aufgabe bestand darin, Wildenbacher zu konfrontieren, aber wir mussten vorsichtig vorgehen. Ihm gegenüber traten wir später, als er von einer anderen Untersuchung zurückkehrte.
„Gerold, können wir Ihnen kurz sprechen?“, begann ich.
Er sah uns, mit einem skeptisch hochgezogenen Augenbrauen, an. „Natürlich. Was gibt es?“
Ich zog das Foto hervor und zeigte auf sein Bild. Seine Augen verengten sich kaum merklich.
„Wir haben dieses Gruppenfoto in Degenhardts Wohnung gefunden. Es scheint, als ob Sie ihn kannten.“
Für einen Moment blieb es still, bevor Wildenbacher antwortete. „Ja, ich kannte Klaus Degenhardt. Wir haben vor ein paar Jahren zusammen an einem Fall gearbeitet und blieben locker in Kontakt.“
„Und dieser Kontakt?“, fragte Roy und schob ihm die E-Mail-Ausdrucke hinüber.
„Reiner Zufall. Klaus war neugierig auf einige der Forschungsergebnisse von Konrad und mir. Wir treffen uns gelegentlich, um wissenschaftliche Themen zu besprechen. Würde ich wissen, dass er gefährdet war, ich hätte sicher etwas unternommen“, sagte Wildenbacher, aber seine Lippen zogen sich zu einem schmalen, unzufriedenen Lächeln zusammen. „Ihr Verdacht ist unprofessionell.“
„Wir wollen Sie nicht beschuldigen, Gerold. Wir suchen nur nach Antworten“, erwiderte ich.
Wildenbacher lehnte sich zurück. „Es gibt immer mehr, als man in erster Linie sieht. Vielleicht finden Sie heraus, dass Klaus selbst ein Forscher in dieses gefährliche Gebiet war. Vielleicht hat er eine Entdeckung gemacht, die ihn das Leben gekostet hat.“
Die undurchsichtige Erklärung von Wildenbacher ließ uns zwar mit mehr Fragen als Antworten zurück – aber auch mit einer klaren Richtung. Wir mussten diesen Dr. Konrad Dietrich finden und ihn befragen. Und wir mussten herausfinden, welches „Projekt“ Degenhardt und Wildenbacher verbindet.
Der Nebel über Hamburg wurde dichter, während wir tiefer in die Schatten dieser Stadt eintauchten. Ein Toter in Ottensen war vielleicht nur der Anfang eines viel größeren Rätsels.
*
Am nächsten Tag stand Dr. Dr. Friedrich G. Förnheim vor uns, als wir in unser Büro zurückkamen. Er hatte seine berühmte, herablassende Miene aufgesetzt und hielt einen Stapel Papiere in der Hand. Es war klar, dass er Neuigkeiten hatte.
"Endlich tauchen Sie auf", sagte er, als wären wir die Unpünktlichen. "Ich habe die Proben analysiert. Wie befürchtet, müssen wir uns einer äußerst komplexen Situation gegenübersehen.“
„Was haben Sie herausgefunden, Förnheim?", fragte ich und versuchte, nicht auf seine herablassende Art zu reagieren.
Er zückte genüsslich seine Papiere. "Die Proben aus Degenhardts Wohnung enthielten eine Vielzahl von Substanzen. Aber das Bemerkenswerte ist eine extrem seltene, künstlich hergestellte Verbindung aus Alkaloiden. Normalerweise würde man sie in toxikologischen Berichten nicht erwarten – es sei denn, jemand hat es gezielt eingesetzt.“
„Eine vergiftete Substanz also?“, fragte Roy.
„Genau“, antwortete Förnheim und lächelte überlegen. „Etwas, das nur ein Experte wie ich entdecken könnte. Sie sollten wirklich dankbar dafür sein, dass ich hier bin.“
„Tun Sie nicht so, als hätten wir ohne Sie nichts gefunden, Förnheim“, sagte ich trocken. „Aber danke für die Information. Was können Sie uns über die Art der Vergiftung sagen?“
Förnheim genoss es eindeutig, uns in Unwissenheit zu wähnen. „Die Verbindung ist höchst spezifisch und extrem schwer zu synthetisieren. Nur jemand mit tiefem Wissen und Zugang zu spezialisierten Labors könnte so etwas herstellen. Und wenn ich mich nicht irre, ist genau das das Interessante.“
„Was meinen Sie?“, fragte Roy irritiert.
„Ich meine, dass Ihr lieber Dr. Wildenbacher und sein Kollege Dr. Dietrich zu den wenigen in Hamburg gehören, die die Fähigkeit und Ressourcen haben, eine solche Substanz herzustellen“, erklärte Förnheim. „Ihre Studien über experimentelle Toxine sind bekannt, und glaubwürdigerweise hat Degenhardt ihre Arbeit als Laie verfolgt.“
„Das passt alles zusammen“, murmelte ich und sah zu Roy. „Degenhardt hat auf eigene Faust an gefährlichen Substanzen geforscht. Dietrich und Wildenbacher würden perfekte Zuträger für geheimes Wissen abgeben.“
„Aber wo genau passt Wildenbacher in dieses Bild?“, fragte Roy laut. „Ist er der Wissenschaftler, der aus wissenschaftlichem Ehrgeiz solche Gifte herstellt, oder steckt mehr dahinter?“
Förnheim lächelte unverschämt. „Das, meine Herren, herauszufinden, ist Ihre Aufgabe. Ich lege Ihnen alle Beweise aus diesem Labor vor: Fasern, Partikel und toxikologische Berichte. Sie haben das beste Material vor sich – setzen Sie es klug ein.“
„Na, vielen Dank auch, Förnheim“, sagte ich sarkastisch. „Ihre überlegenen Fähigkeiten sind wie immer ein Geschenk für uns einfacher Polizisten.“
Er nickte selbstzufrieden und verließ das Büro, als hätte er gerade die bedeutendste Offenbarung des Jahrhunderts gemacht.
„Dieser Kerl“, murmelte Roy kopfschüttelnd.
„Seine Arroganz hat diesmal zumindest geholfen“, meinte ich. „Klar ist, die seltene Substanz bringt uns näher an Wildenbacher und Dietrich. Wir müssen mit Dietrich sprechen.“
Gerade als ich das sagte, klingelte mein Telefon auf dem Schreibtisch. Ich griff danach und meldete mich.
„Jörgensen.“
„Uwe, hier ist Jonathan Bock“, ertönte die Stimme unseres Kriminaldirektors. „Ich habe gerade von eurem Fortschritt gehört. Es gibt Neuigkeiten. Dr. Dietrich wurde tot in seiner Wohnung gefunden.“
Mir stockte der Atem. Dietrich war also die nächste Leiche in unserer Kette. Wir waren definitiv einer größeren Sache auf der Spur.
„Wir sind sofort unterwegs“, sagte ich und legte auf.
Ich drehte mich zu Roy um, der mein Gesichtsausdruck verstand. „Was gibt’s, Uwe?“
„Dr. Konrad Dietrich. Er ist tot. Wir fahren sofort hin.“
„Sollte wohl keine Überraschung sein“, murmelte Roy düster, während wir uns wieder auf den Weg machten. Der Fall nahm eine rasante Wendung, und die dunklen Wolken über Hamburg zogen sich weiter zusammen. Welche Geheimnisse hatte Dietrich bewahrt? Und wie weit reichte Wildenbachers Beteiligung?
Eine ernste Ahnung sagte uns, dass wir sehr vorsichtig sein mussten. Die Jagd begann erneut - dieses Mal aber nicht nur nach einem Mörder, sondern auch nach der Wahrheit hinter einem wissenschaftlichen Komplott und einem tödlichen Gift.
Der Regen prasselte unaufhörlich gegen die Windschutzscheibe, während Roy und ich in Richtung der Wohnung von Dr. Konrad Dietrich fuhren. Die Dunkelheit des Nachmittags schien sich über die Straßen Hamburgs zu legen, als ob sie die katastrophalen Ereignisse des Tages verfestigen wollte.
„Zwei Tote innerhalb von wenigen Tagen, beide mit Verbindungen zu den gleichen toxischen Substanzen“, sagte Roy gedankenverloren, während er auf die Straße starrte. „Das kann kein Zufall sein.“
„Definitiv nicht“, stimmte ich zu. „Wir müssen herausfinden, was Degenhardt und Dietrich wussten und warum sie dafür sterben mussten. Und Wildenbacher – der muss uns mehr sagen.“
Als wir in der bescheidenen Wohngegend von Dr. Dietrich ankamen, war das Areal bereits abgesperrt. Uniformierte Polizisten standen um das Gebäude herum und der vertraute Wagen unseres Pathologen war ebenfalls vor Ort.
Wir betraten das Gebäude und wurden zu Dietrichs Wohnung geführt. Der muffige Geruch von Tod und Verfall schlug uns entgegen, als wir eintraten. Dietrichs lebloser Körper lag in einer ähnlichen Szene wie die von Degenhardt, umgeben von Chaos und Unterlagen.
Dr. Gerold Wildenbacher war bereits vor Ort und beugte sich über den Leichnam, als wir ankamen. Sein Gesichtsausdruck war ernst, als er sich erhob und uns sah.
„Ihr trefft immer zu den richtigen Zeitpunkten ein“, begrüßte er uns kühl. „Ein weiteres Rätsel, das es zu lösen gilt.“
„Was haben wir hier, Gerold?“, fragte ich direkt.
„Konrad Dietrich, Mitte fünfzig. Todeszeitpunkt vor etwa 24 Stunden. Wieder keine offensichtlichen Verletzungen oder Blutspuren, aber die gleichen Symptome wie bei Degenhardt. Mein vorläufiger Verdacht ist eine ähnliche Vergiftung.“
„Wildenbacher, erklären Sie mir, warum Sie auf diesem Foto mit Degenhardt und anderen zu sehen sind“, fragte ich unvermittelt und hielt ihm das Gruppenfoto entgegen.
Er nahm das Foto und betrachtete es eingehend. „Das ist von einem wissenschaftlichen Symposium in der Speicherstadt vor einigen Monaten. Wir haben über neueste Entdeckungen und Forschungsprojekte gesprochen.“
„Und warum hat Degenhardt Ihr Wissen spezifisch angefordert?“, hakte Roy nach. „Er schien sehr an Ihren Arbeiten über experimentelle Toxine interessiert zu sein.“
„Klaus war ein engagierter Amateurforscher. Es gibt viele solcher Enthusiasten. Er hatte Zugang zu Informationen und Wissen, das für einen Laien ungewöhnlich war. Vielleicht hat er jemanden verärgert. Dietrich und ich haben unser Wissen nie leichtfertig geteilt.“
„Kennen Sie jemanden, der an Degenhardts oder Dietrichs Wissen interessiert war? Jemanden, der davon profitieren könnte?“, fragte ich.
Gerold Wildenbacher zögerte kurz, bevor er antwortete. „Konrad hatte in letzter Zeit Kontakt zu einer dubiosen Gestalt. Ein Mann namens Lars Svenning. Er ist ein ehemaliger Kollege, der in Bereichen arbeitete, die wenig legal sind. Schwarzmarkt für toxische Substanzen.“
„Svenning“, wiederholte ich und vermerkte den Namen. „Wo finden wir diesen Kerl?“
„Ich habe keine genaue Adresse, aber er operiert oft in den weniger renommierten Ecken der Stadt. St. Pauli oder tief in Wilhelmsburg. Ein Ort, wo niemand fragt und jeder wegschaut.“
„Wir müssen ihn finden“, sagte Roy entschlossen.
„Eines noch, Wildenbacher“, sagte ich. „Sollten wir noch etwas wissen, bevor wir Svenning treffen?“
„Seien Sie vorsichtig“, warnte er. „Svenning ist nicht nur schlau, sondern auch gefährlich. Wenn er tatsächlich hinter diesen Morden steckt, wird er alles tun, um ungelöst zu bleiben.“
Während Wildenbacher die letzten Untersuchungen an Dietrichs Leiche durchführte, verließen Roy und ich die Wohnung. Es war klar, dass wir eine heiße Spur hatten. Svenning könnte der Schlüssel sein, der uns den wahren Grund hinter den Morden eröffnet. Aber Wildenbacher ließ uns auch keine Ruhe – seine Rolle in dieser Geschichte war noch lange nicht geklärt.
„Auf nach St. Pauli“, sagte Roy, sobald wir wieder im Auto saßen.
Die Suche nach Lars Svenning würde uns in die dunkleren Winkel Hamburgs führen – Orte, an denen Gesetz und Ordnung oft den Kürzeren zogen. Doch wussten Roy und ich, dass wir näher an der Wahrheit waren als je zuvor. Und wir würden nicht ruhen, bis wir sie entlarvt hatten.
St. Pauli empfing uns mit seinem gewohnten Mosaik aus schäbigen Bars, blinkenden Lichtern und Gestalten, die im Halbdunkel lauerten. Es war ein Teil Hamburgs, der niemals schlief und in dem die Grenzen des Gesetzes oft nur durch die Dicke des Geldbündels bestimmt wurden.
„Lass uns ins ‚Silberne Revier‘ gehen", schlug Roy vor. „Ein paar meiner Informanten hängen dort rum. Vielleicht haben sie etwas über Svenning gehört.“
Das „Silberne Revier“ war eine heruntergekommene Bar, die seit langem als Treffpunkt für Informanten, Kleinkriminelle und zwielichtige Gestalten diente. Der Geruch von abgestandenem Bier und Zigarettenqualm schlug uns entgegen, als wir die Bar betraten. In einer Ecke erkannte Roy seinen Informanten, einen Mann namens Bruno, der mit einem Glas vor sich vor sich hin starrte.
„Bruno, wir müssen reden“, sagte Roy ohne Umschweife und setzte sich gegenüber von ihm.
Bruno, ein Zäher mit einem Gesicht, das Geschichten erzählen konnte, betrachtete uns misstrauisch. „Und was bringt euch Cops hierher?“, fragte er, sichtlich unbeeindruckt.
„Wir suchen nach Lars Svenning. Irgendwelche Hinweise, wo wir ihn finden könnten?“, fragte ich direkt.
Bruno lehnte sich zurück und zog an seiner Zigarette. „Svenning, sagt ihr? Das ist ein schwieriger Fisch. Aber ich weiß, dass er oft in ‚Dunkelzahn’s Keller‘ abhängt. Ein ranziger Club unten am Hafen.“
„Dankeschön, Bruno“, sagte Roy und schob ihm ein paar Scheine zu.
„Vergesst nicht, wem ihr das zu verdanken habt“, murmelte Bruno und steckte das Geld ein.
Wir verließen die Bar und machten uns auf den Weg zum Hafen. „Dunkelzahn’s Keller“ war ein Ort, von dem wir schon gehört hatten – ein Loch in der Wand, bekannt für seine zwielichtigen Gäste und illegalen Geschäfte. Ein Perfekter Ort für einen Mann wie Svenning.
Als wir ankamen, versuchte ich meine Nervosität zu verbergen. Der Club war düster, mit Neonlichtern, die kaum mehr als Schatten in den schmalen Gängen warfen. Die Musik war laut, und der Rauch hing schwer in der Luft.
Wir bahnten uns einen Weg durch die Menge und fanden schließlich den Mann, den wir suchten. Lars Svenning saß an einem abgenutzten Tisch in einer Ecke, umgeben von einigen zwielichtigen Gestalten. Sein Gesicht verriet sofort, dass dies kein Mann war, mit dem man sich leichtsinnig anlegen sollte.
„Svenning“, sagte ich, als wir uns näherten, „wir müssen reden.“
Er sah auf und seine Augen verengten sich. „Wer, zum Teufel, seid ihr?“
„Wir sind von der Kripo“, sagte Roy, während er sich setzte. „Wir haben ein paar Fragen zu Ihren jüngsten Aktivitäten.“
„Na toll“, sagte Svenning sarkastisch, „gerade das, was ich brauchte – zwei Bullen, die mir auf die Pelle rücken.“
„Es geht um Klaus Degenhardt und Dr. Konrad Dietrich. Beide tot durch eine äußerst seltene und toxische Substanz. Wir wissen, dass Sie in diese Kreise involviert sind“, erklärte ich.
Sein Gesicht verhärtete sich. „Und was hat das mit mir zu tun?“
„Degenhardt und Dietrich hatten beide Kontakt zu Ihnen“, sagte Roy. „Und jetzt sind sie tot.“
Svenning lehnte sich zurück und musterte uns. „Meint ihr, ich hab was damit zu tun? Tut mir leid, Jungs. Ich mag in dubiosen Geschäften involviert sein, aber Mord ist nicht mein Stil.“
„Wir wissen, dass Sie mehr wissen, als Sie zugeben wollen“, sagte ich. „Wer ist der Drahtzieher hinter diesen Vergiftungen?“
Svenning hob die Hände in einer gespielten Geste der Unterwerfung. „In Ordnung, vielleicht weiß ich etwas. Aber das kostet.“
Ich nickte Roy zu, und widerwillig zog er ein weiteres Geldbündel heraus und schob es Svenning zu. Er nahm es mit einem selbstzufriedenen Grinsen.
„Degenhardt und Dietrich waren in einer größeren Sache involviert, als ihr denkt. Es geht um eine spezielle Formel – ein Experiment, das weit über die bloße Neugier hinausging. Sie hatten Informationen, an die viele Leute interessiert wären. Vor allem jemand namens Viktor Orlov.“
„Wer ist dieser Orlov?“, fragte ich.
„Ein russischer Wissenschaftler, der illegal in Deutschland operiert“, erklärte Svenning. „Er hat die Fähigkeiten und die Mittel, diese Art von Substanzen zu entwickeln. Und er hat Leute wie euch im Blick.“
„Wo finden wir diesen Orlov?“, wollte Roy wissen.
„Er taucht immer wieder an verschiedenen Orten auf. Aber er hat einen festen Stützpunkt – eine alte Lagerhalle im Industriegebiet von Wilhelmsburg.“
„Danke für die Information“, sagte ich, aufstehend. „Sie haben uns weitergeholfen.“
„Vergesst nur nicht, dass ihr mir jetzt was schuldet“, rief uns Svenning nach.
Zurück im Auto, spürte ich, wie sich die Puzzleteile langsam zusammenfügten. Degenhardt und Dietrich waren Opfer von etwas weit Größerem geworden, und Orlov schien der Schlüssel zu sein. Es war höchste Zeit, dass wir ihn fanden und die Wahrheit ans Licht brachten.
„Auf nach Wilhelmsburg“, sagte ich zu Roy, als wir uns in Bewegung setzten. „Es gibt viel zu klären.“
Die Dunkelheit über Hamburg wurde nur noch dichter, während wir tiefer in die Schatten eintauchten – immer auf der Suche nach der nächsten Antwort, dem nächsten Verdächtigen und letztendlich der Wahrheit.
.
Die Fahrt nach Wilhelmsburg führte uns durch eine unwirtliche, industrielle Landschaft. Verlassene Gebäude und verrostete Container reihten sich einträchtig aneinander, und das einzige Licht kam von den vereinzelten Straßenlaternen, die in regelmäßigen Abständen ein fahles Leuchten verbreiteten. Es war ein perfekter Ort, um unterzutauchen – oder sich in illegalen Aktivitäten zu verstricken.
„Orlov ist ein Schatten“, sagte Roy, während er den Wagen steuerte. „Aber jemand wie er hinterlässt immer eine Spur. Wir finden ihn.“
„Er muss irgendwo in der Nähe operieren“, murmelte ich und überprüfte erneut die Adresse, die uns Svenning gegeben hatte. „Alte Lagerhalle, Industriegebiet. Da sind wir.“
Wir hielten an und traten in die kühle Nacht hinaus. Die Lagerhalle vor uns war genauso verlassen und bedrohlich, wie wir es erwartet hatten. Ein riesiges, graues Gebäude mit zerschlagenen Fenstern und einer schwer verriegelten Metalltür.
„Vorsichtig“, warnte ich Roy, während wir uns der Eingangstür näherten.
Ich klopfte vorsichtig an die Tür, und nach einigen Sekunden des Wartens schob ich sie auf. Die Angeln knarrten und ein leichtes Quietschen hallte durch die Dunkelheit. Wir betraten die Lagerhalle und fanden uns in einem Meer von Schatten und verfallenen Gerätschaften wieder. Der einzige Hinweis auf menschliche Anwesenheit war das Klicken einer entfernten Maschine, das leise durch das Gebäude hallte.
„Sei bereit“, flüsterte ich Roy zu und löste meine Dienstwaffe aus dem Holster.
Wir bewegten uns vorsichtig durch die Halle, immer auf der Hut vor einem möglichen Hinterhalt. Schließlich entdeckten wir eine beleuchtete Ecke des Raumes, in der ein improvisiertes Labor aufgebaut war. Reagenzgläser, Bunsenbrenner und eine Vielzahl von Fläschchen und Substanzen waren ordentlich aufgereiht. In der Mitte des Chaos stand ein hagerer Mann in einem weißen Kittel, der uns nicht einmal wahrnahm.
„Orlov“, sagte ich und hob die Waffe. „Hände hoch!“
Viktor Orlov erstarrte und drehte sich langsam um. Seine Augen weiteten sich vor Überraschung, aber er schien schnell zu realisieren, dass sein Ausweg begrenzt war. „Was … was wollen Sie von mir?“, fragte er auf Deutsch mit starkem russischem Akzent.
„Wir haben einige Fragen zu Klaus Degenhardt und Konrad Dietrich, und wir wissen, dass Sie in ihre Todessache verwickelt sind“, sagte Roy und behielt seine Waffe auf Orlov gerichtet.
Orlov senkte langsam die Hände und lächelte nervös. „Es gibt viele Dinge, die Sie nicht verstehen. Degenhardt und Dietrich … sie waren Teil eines größeren Experiments.“
„Erzählen Sie“, forderte ich ihn auf.
„Degenhardt war ein Amateur, aber er hatte Zugang zu alten Forschungsergebnissen – meine Forschungsergebnisse, um genau zu sein. Er wollte etwas wiederbeleben, das ich vor Jahren aufgegeben hatte. Ein Art Toxin, das sowohl heilende als auch tödliche Eigenschaften besitzt. Dietrich und ich halfen ihm, es zu verfeinern.“
„Warum sind sie dann tot?“, fragte Roy und trat näher.
„Das Experiment geriet außer Kontrolle. Degenhardt hatte keine Ahnung, was er da tat. Dietrich und ich, wir versuchten, es zu stoppen, aber es war zu spät. Das Toxin war bereits synthetisiert. Jemand hat es gestohlen und absichtlich Degenhardts und Dietrichs Tod herbeigeführt.“
„Und wer hätte das tun können?“, fragte ich, während ich in seinen Augen nach Anzeichen von Lügen suchte.
„Ich habe einen Verdacht“, antwortete Orlov zögernd. „Ein ehemaliger Kollege – Lars Svenning. Er hat meine Forschungsergebnisse gestohlen und sie an denjenigen verkauft, der am meisten zahlte. Ich wusste nicht, dass er so weit gehen würde.“
„Svenning?“, fragte Roy ungläubig. „Er hat Ihnen diesen abscheulichen Plan verkauft?“
„Ja“, bestätigte Orlov. „Er war immer nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Aber ich wusste nicht, dass er Degenhardts und Dietrichs Leben zerstören würde.“
„Und warum sollte jemand so etwas kaufen?“, fragte ich.
„Wissen und Macht“, erklärte Orlov. „Das Toxin ist ein tödliches Werkzeug in den falschen Händen, aber es hat auch medizinische Durchbrüche ermöglicht. Für den richtigen Käufer ist es unbezahlbar.“
Bevor wir weiter fragen konnten, hörten wir das laute Krachen der Tür. Eine Gruppe maskierter Männer stürmte die Halle, und Chaos brach aus. Wir hatten keine Zeit zu reagieren, bevor die Schüsse fielen.
„Runter!“, brüllte ich und warf mich hinter ein altes Fass, während Kugeln durch die Luft pfiffen. Roy tat dasselbe, und Orlov zog sich hastig in den Hinterraum zurück.
Es dauerte einige erbarmungslose Minuten, bevor wir die Angreifer außer Gefecht setzten. Orlov kroch hervor, sein Gesicht vor Schock erstarrt. „Das war Svennings Werk, ich schwöre es!“, keuchte er.
„Komm mit“, befahl ich, während wir uns in Bewegung setzten. „Du stehst unter Arrest. Du wirst alles erzählen.“
Mit Orlov in Gewahrsam traten wir hinaus in die kalte Nacht. Wir waren nicht am Ende unserer Suche, aber wir hatten Antworten und eine klarere Richtung. Svenning war tiefer in das Netz der Verschwörung verwickelt als gedacht. Und bevor diese Nacht endete, waren wir entschlossen, ihn zur Rechenschaft zu ziehen.
„Zurück zur Zentrale“, sagte ich zu Roy. „Wir haben noch einen langen Weg vor uns, aber wir kommen der Wahrheit näher.“
Der Fall lastete schwer auf unseren Schultern, doch Roy und ich hatten uns fest entschlossen, den Kopf für einen Moment frei zu bekommen. Der HSV spielte am Abend im Volksparkstadion gegen den 1. FC Köln, und die Karten, die seit Wochen auf meinem Schreibtisch lagen, wollten eingelöst werden. Eine kleine Flucht aus der düsteren Realität unserer Ermittlungen.
„Wenn wir es uns leisten können, für ein paar Stunden abzuschalten, dann heute“, meinte Roy, als er sich seinen Schal um den Hals legte. „Wer weiß, wann wir das nächste Mal eine Gelegenheit dazu haben.“
„Du hast recht“, stimmte ich zu. „Vielleicht klärt sich unser Kopf ein wenig. Und mit etwas Glück gewinnen sie sogar.“
Die Straßen um das Volksparkstadion waren voller Leben, während die Fans in Scharen zum Spiel strömten. Das bekannte Rauschen und die singenden Fans ließen die Anspannung der letzten Tage für einen Augenblick verschwinden.
„Was meinst du, Uwe?“, fragte Roy, als wir unsere Plätze einnahmen. „Kommt der HSV heute durch?“
„Lass uns hoffen“, sagte ich und lächelte leicht. „Ein bisschen Glück könnten wir gebrauchen.“
Das Spiel begann und die Atmosphäre im Stadion war elektrisierend. Die Ränge bebten bei jeder Torchance, die Menge jubelte und seufzte synchron. Für diese kurzen Momente schien die düstere Welt der Kriminalität weit entfernt.
Doch die Ermitttlergene in uns kollabierten nicht so einfach; zwischendurch fanden sich Roy und ich in Gesprächsfetzen über den Fall wieder. „Dieser Svenning ist ein verdammter Fuchs“, murmelte Roy während einer Spielpause. „Als er uns auf Orlov angesetzt hat, wusste er sicher, dass das nichts mehr bringen wird. Er wollte nur seine eigene Spur verwischen.“
„Es gibt noch offene Fragen“, nickte ich. „Orlov ist hinter Gittern, aber die Sache ist noch nicht abgeschlossen. Wir müssen Svenning dranwischen, aber das wird schwierig. Der Kerl ist wie ein Aal.“
Der Jubel der Menge riss uns aus unseren Gedanken – der HSV hatte gerade ein Tor erzielt. Wir sprangen auf, jubelten mit den anderen Fans und gaben uns selbst diese kurze Befreiung. Für einen Moment konnte alles einfach und unkompliziert sein.
Doch die Unterbrechungen zwischen unseren Gedanken an den Fall und dem Spiel wurden kürzer, und schließlich konnte ich nicht anders, als mir die Details wieder ins Gedächtnis zu rufen: das chaotische Labor, die toxische Verbindung und die maskierten Angreifer. Die Verbindung zwischen Svenning, Orlov und den Toten musste ans Licht.
Nach dem Spiel, das der HSV mit einem knappen 2:1-Sieg für sich entschied, verließen wir das Stadion. Die Straßen waren erfüllt von ausgelassenen Fans, fröhlichen Gesichtern und dem Rauschen von ausgelassenen Gesprächen.
„War gut, mal kurz abzuschalten“, sagte Roy, als wir zum Auto gingen. „Aber du hast recht, wir müssen uns morgen wieder voll draufstürzen. Wir können nicht ewig waten.“
„Letzte Nacht war eine Erinnerung daran, dass wir in einem Spiel stecken, bei dem der Einsatz tödlich ist“, sagte ich nachdenklich. „Svenning hat noch ein Ass im Ärmel, davon bin ich überzeugt.“
„Dann sorgen wir dafür, dass er es nicht ausspielen kann“, antwortete Roy entschlossen.
Zurück im vertrauten Umfeld des Präsidiums, klappte ich meinen Laptop auf und begann, die nächsten Schritte zu planen. Wir mussten weiterhin Informationen über Svenning sammeln und mögliche Verbindungen finden, die er zu weiteren Beteiligten hatte.
„Hast du den Bericht von Förnheim dazu bekommen?“, fragte Roy, als er sich an seinen Schreibtisch setzte.
„Ja, er hat die toxischen Substanzen aufgeschlüsselt“, sagte ich. „Es gibt keine Zweifel mehr, dass derjenige, der diese Substanzen nutzte, tief in chemischer Kriegsführungstechnik involviert ist. Da kommt Svenning ins Spiel.“
„Dann haben wir morgen einen Plan“, sagte Roy. „Wir folgen den Geldspuren und den Substanzen. Irgendetwas wird uns zu Svenning und möglicherweise seinem Handelspartner führen. Einer wie er, der wird sich nicht schnell schlagen lassen.“
Ein letzter Blick auf unseren Plan und die Erkenntnis, dass unsere Jagd noch lange nicht zu Ende war, aber zumindest ein Ziel hatte – die Wahrheit und Gerechtigkeit für Degenhardt und Dietrich.
„Gute Nacht, Roy“, sagte ich und rieb mir müde die Augen.
„Gute Nacht, Uwe. Morgen geht's weiter.“
So verließen wir das Präsidium in die kalte Hamburger Nacht hinaus, voller Entschlossenheit, das Dunkel dieser Verschwörung zu durchdringen und die Schuldigen zur Strecke zu bringen.
Am nächsten Morgen starteten Roy und ich den Tag frühzeitig im Präsidium. Die wenigen Stunden Schlaf und der kurze Moment der Flucht am Abend zuvor hatten uns aufgefrischt. Aber die Erinnerung an die tödlichen Puzzleteile, die wir zusammensetzen mussten, blieb präsent.
„Also, zurück zum Geschäft“, sagte Roy mit einem dampfenden Becher Kaffee in der Hand. „Wir wissen, dass Svenning das tödliche Toxin auf dem Schwarzmarkt verkauft hat. Wenn wir ihm den Geldfluss nachweisen können und den Kunden ausfindig machen, sollten wir ihn einkreisen können.“
Ich nickte und zog die neuesten Finanzberichte hervor, die unser Team in der Nacht zusammengetragen hatte. „Hier sind einige Überweisungen zu und von Konten, die mit Svenning in Verbindung stehen. Die meisten davon laufen über Offshore-Banken, aber es gibt einige, die auf hiesige Konten hinweisen. Wir müssen dem nachgehen.“
Während Roy sich daran machte, die finanziellen Ströme zu überprüfen, verließ ich das Büro, um meinen nächsten Anruf zu tätigen. Ich wählte die Nummer von Dr. Dr. Förnheim, der sich nicht gerade als Fan von Frühschichten bekannt machte.
„Förnheim“, meldete er sich schließlich mit schläfriger Stimme.
„Hier ist Jörgensen. Ich brauche Ihre Expertise noch einmal. Diese toxischen Substanzen – können Sie mehr darüber herausfinden? Irgendetwas, das uns hilft, eine Verbindung zu den Schwarzmarkthändlern herzustellen? Und vielleicht eine Möglichkeit, die Quelle zu bestimmen?“
Förnheim seufzte schwer. „Natürlich können Sie auf mich zählen, Jörgensen. Ich werde sehen, was ich tun kann. Erwarten Sie meine Berichte im Laufe des Tages.“
„Danke“, sagte ich und legte auf. Zurück in unserem Büro fand ich Roy, der mit einem Ausdruck konzentrierter Entschlossenheit vor seinem Computer saß.
„Ich habe eine Spur“, sagte er und deutete auf den Bildschirm. „Svenning hat erhebliche Summen an eine Firma namens ‘Schwarzschild Import-Export’ überwiesen. Sie haben Büros in Hamburg und gute Verbindungen zu verschiedenen Schattenbanken.“
„Dann besuchen wir sie“, sagte ich. „Vielleicht finden wir dort Hinweis auf unseren Täter.“
Kein Zeitpunkt wurde verschwendet. Wenig später standen wir vor dem modernen Bürogebäude von ‘Schwarzschild Import-Export’, das sich mit seinen glänzenden Fenstern und sauber gefegten Eingängen demonstrativ von der düsteren Welt von St. Pauli und Wilhelmsburg unterschied.
„Was wollen wir erreichen, Uwe?“, fragte Roy, während wir uns durch die Eingangshalle manövrierten.
„Erst einmal werden wir sehen, wie viel sie über Svenning wissen. Wenn sie Kooperation zeigen, großartig. Wenn nicht, dann werden wir ein wenig Druck ausüben.“
Eine resolute Frau am Empfang musterte uns streng, als wir unsere Dienstmarken zeigten. „Wir möchten mit einem der Geschäftsführer sprechen“, erklärte ich. „Es geht um eine laufende Ermittlung.“
Sie schnaubte verächtlich, aber nachdem wir unsere Anliegen wiederholt und betont hatten, führte sie uns zu einem Büro im oberen Stockwerk. Der Geschäftsführer, ein Mann namens Bernhard Kretschmar, sah uns unverhohlen misstrauisch an, als wir eintraten.
„Womit kann ich der Polizei helfen?“, fragte Kretschmar und verschränkte die Arme.
„Uns interessiert Ihre Geschäftsbeziehung mit Lars Svenning“, sagte ich direkt. „Er hat in den letzten Monaten erhebliche Summen an Ihr Unternehmen überwiesen.“
Kretschmar zog die Stirn in tiefe Falten. Seine Abneigung war offensichtlich, aber er wusste, dass er uns Antworten schuldig war. „Schwarzschild Import-Export ist in viele legitime Handelsgeschäfte verwickelt. Svenning war ein Kunde, der Ware verschiffte. Was er damit machte, interessierte uns nicht.“
„Gewährleisten Sie absolute Diskretion für Ihre Kunden?“, fragte Roy auf den Punkt gebracht.
„Wir garantieren Privatsphäre, so wie jedes andere seriöse Unternehmen auch“, sagte Kretschmar kühl. „Wenn Svenning in illegale Aktivitäten verwickelt ist, hat dies nichts mit uns zu tun.“
„Er hat sowohl Degenhardt als auch Dietrich getötet, um seine Aktivitäten zu verdecken“, sagte ich, wissend, dass wir jetzt den enormen Druck auf Kretschmar ausüben mussten. „Wenn Sie Informationen haben, die uns helfen können, könnten Sie Ihre eigene Haut retten.“
Kretschmar zögerte, doch dann kam ein kurzer Funke der Nervosität in seinen Augen auf. „Es gibt... eine Lieferadresse in Hamburg, an die Svenning regelmäßig Waren geschickt hat. Eine Lagerhalle in einem verlassenen Industriegebiet. Mehr weiß ich nicht.“
Ich notierte die Adresse und nickte Kretschmar zu. „Vielen Dank für Ihre Kooperation. Wir werden jeden Punkt genau prüfen. Und eines sage ich Ihnen: Halten Sie sich bereit, falls wir weitere Fragen haben.“
Zurück im Auto bereitete sich eine ungute Spannung zwischen uns aus. “Diese Lagerhalle könnte der Ort sein, wo Svenning seine Geschäfte sonst abwickelt”, sagte Roy. “Aber wir müssen vorsichtig sein.”
Die Fahrt zur neuen Adresse in einem weiteren abgelegenen Teil von Wilhelmsburg war schneller, als wir erwartet hatten. Die Nacht setzte ein und veränderte die Atmosphäre der verlassenen Gegend, Schatten wurden lang und unergründlich, während wir uns der Lagerhalle näherten. Das Gefühl, dass wir auf dünnem Eis tanzten, wurde immer stärker.
„Bereit?“, fragte ich Roy, während wir vor der Halle hielten.
Er nickte und griff nach seiner Dienstwaffe. Ein tiefer Atemzug – und dann gingen wir los. Das nächste Stück des Puzzles wartete auf uns, und wir würden kein Risiko scheuen, es zu lösen.
Die kalte Nacht Hamburgs legte sich unangenehm auf meine Haut, als wir uns der Lagerhalle näherten. Der dünne Nebel, der vom Hafen heraufgezogen war, umhüllte uns und ließ die Schatten noch undurchdringlicher erscheinen. Roy und ich bewegten uns vorsichtig, die Taschenlampen und Dienstwaffen griffbereit.
„Halt die Augen offen“, flüsterte ich zu Roy, während wir uns den dunklen Ecken näherten. „Svenning könnte überall sein.“
Die massive Doppeltür der Lagerhalle war mit schweren Eisenketten verriegelt, doch dank der Schweißstellen sahen wir, dass sie erst kürzlich montiert worden waren. Irgendjemand wollte hier etwas sehr Wichtiges verstecken.
„Wir müssen rein“, sagte Roy pragmatisch und zog sein Dietrich-Werkzeug heraus. Nach ein paar geübten Handgriffen klickte das Schloss leise auf, und die Tür schwang schwerfällig auf.
Wir traten ein und der schwache Schein unserer Taschenlampen offenbarte ein fast labyrinthartiges Innenleben. Stapel von Kisten und unförmige Schatten von Maschinen erzeugten ein unheimliches Labyrinth. Der Geruch von altem Motoröl und Staub füllte die Luft.
„Das sieht nicht wie eine legale Lagerhalle aus“, murmelte Roy.
„Nein, das tut es nicht“, stimmte ich zu. „Lass uns sehen, was wir finden können.“
Unsere Schritte hallten durch die großen, leeren Räume. Vereinzelte Geräusche deuteten darauf hin, dass wir nicht allein waren – oder dass wir es zumindest nicht gewesen waren. Plötzlich blitzte etwas Metallisches im Licht meiner Taschenlampe auf. Ich trat näher und entdeckte ein Arbeitsplatz – ein provisorisches Labor, ähnlich dem, das wir bei Orlov gesehen hatten.
„Hier ist was“, rief ich Roy zu. „Schau mal.“
Er trat neben mich, und gemeinsam begannen wir, die Unterlagen und Chemikalien zu durchsuchen. Es waren detaillierte Studien und Formeln, teilweise identisch mit den Dokumenten, die wir bei Orlov gefunden hatten. Svenning hatte hier weitergearbeitet.
Plötzlich hörten wir Schritte – leise, vorsichtige Schritte, die sich uns näherten. Wir schauten uns an und nickten gleichzeitig. Unsere Taschenlampen erloschen, und wir verborgen uns hinter einem Stapel Kisten.
Eine Gestalt tauchte aus den Schatten auf. Lars Svenning. Mit einem gehetzten Blick überprüfte er die Umgebung, bevor er sich zu seinem improvisierten Labor bewegte. Er schien in Eile zu sein, als ob er wüsste, dass seine Zeit abläuft.
„Jetzt!“ rief ich, sprang hervor und richtete meine Waffe auf ihn. „Svenning, Hände hoch!“
Svenning wich einen Schritt zurück, schreckte auf und zog etwas aus seiner Jackentasche – vermutlich eine Waffe.
„Keine Bewegung!“, rief Roy. „Oder es endet böse für dich!“
Svenning zögerte, sein Blick wandte sich nach allen Seiten, als ob er einen Ausweg suchte. Plötzlich griff er nach einem Glasbehälter auf dem Tisch und zerbrach ihn – eine dicke Rauchwolke quoll heraus und verschleierte alles.
„Verdammt!“, keuchte Roy. „Los, wir müssen ihn kriegen!“
Wir jagten durch die dichte Rauchwolke und stolperten über die verstreuten Kisten. Die Konturen von Svenning flitzten durch den Nebel, doch wir verloren ihn fast aus den Augen. Die dröhnenden Schritte hallten weiter, aber als der Rauch sich verzogen hatte, war er spurlos verschwunden.
„Hier!“, rief Roy, als er auf ein offenes Fenster stieß. Es schien, als hätte Svenning die Gelegenheit genutzt, durch das schmale Fenster zu fliehen und uns zu entkommen.
„Verdammt!“, fluchte ich. „Er war hier – wir waren so nah dran.“
„Er kann nicht weit gekommen sein“, sagte Roy. „Wir müssen ihn finden, bevor er erneut untertaucht. Aber zuerst sollten wir zurück und alles sichern, was er hier hinterlassen hat.“
Zurück am Provisorischen Labor suchten wir sorgfältig nach Hinweisen. Plötzlich stieß Roy auf ein in Eile hinterlassenes Notebook – voller Notizen und digitalen Aufzeichnungen über die Verbindungen zwischen Svenning, Orlov und weiteren möglichen Komplizen.
„Das hier wird uns weiterhelfen“, sagte Roy und hob das Notebook. „Vielleicht können wir hier die fehlenden Puzzleteile finden.“
„Lass uns zurück zur Zentrale und alles analysieren“, sagte ich. „Svenning mag entwischen, aber wir haben genug, um ihn aufzuspüren. Das Ganze ist noch lange nicht vorbei.“
Mit dem Notebook und den Aufzeichnungen in der Hand kehrten wir zum Präsidium zurück. Die Jagd war intensiver geworden, und Svenning war uns nur knapp entwischt. Doch mit jedem Schritt, den wir machten, waren wir näher daran, das Netz aus Lügen und tödlichen Geheimnissen zu entwirren.
„Wir bekommen ihn“, murmelte Roy entschlossen. „Die Wahrheit kommt ans Licht, egal wie sehr Svenning sich auch verstecken mag.“
„Ja“, stimmte ich zu. „Wir geben nicht auf, bis er hinter Gittern ist.“
Zurück im Präsidium nahm die Spannung im Raum ein unerträgliches Maß an. Das Neonlicht flimmerte leicht über den Schreibtischen, auf denen Beweismittel verstreut lagen. Der Geruch von kaltem Kaffee hing in der Luft, während wir uns über das gefundene Notebook beugten.
„Wenn Svenning uns dieses Notebook überlassen hat, dann entweder, weil er keine Zeit hatte, es zu zerstören, oder weil er dachte, er wäre uns entkommen“, sagte ich und schaltete das Gerät ein.
Roy nickte und setzte sich neben mich. „Hoffentlich finden wir hier genug, um ihn endgültig zur Strecke zu bringen.“
Das Notebook war durch ein einfaches Passwort geschützt – nicht gerade die Sicherheit, die wir erwartet hatten. Mit Hilfe unseres IT-Spezialisten knacken wir es relativ schnell. Vor uns öffnet sich eine Schatzkiste voller Dateien, E-Mails, Transaktionsprotokolle und Videoaufzeichnungen.
„Sehen wir uns zuerst die E-Mails an“, schlug ich vor und begann, durch die Nachrichten zu scrollen.
Es dauert nicht lange, bis wir auf eine Kette von E-Mails stießen, die zwischen Svenning und einem Mann namens Viktor Liebknecht ausgetauscht wurden. Die Nachrichten waren verschlüsselt, aber die Intention dahinter war klar: Liebknecht war tief in das Komplott verwickelt. In den E-Mails wurde über Zahlungswege und Lieferungen von chemischen Substanzen gesprochen, ähnlich denen, die Degenhardt und Dietrich getötet hatten.
„Sieh dir das an“, sagte Roy, als er auf eine spezifische Nachricht deutete. „Liebknecht gibt Anweisungen für eine Besprechung in einer versteckten Villa am Stadtrand von Hamburg.“
„Das könnte unser nächster Schritt sein“, sagte ich. „Wir müssen herausfinden, wer dieser Liebknecht ist und was seine Rolle in dem Komplott ist.“
In diesem Moment betrat unser Vorgesetzter, Kriminaldirektor Jonathan Bock, das Büro.
“Kollegen haben Svenning gefunden und verhaftet”, erklärte Herr Bock. “Der war Ihnen beden ja ohl durch die Lappen gegangen.”
“Leider.”
“Jetzt ist er auf dem WEg in die JVA.”
“Gut”, sagte Roy.
“Und ansonsten?”
“Wie meinen Sie das, Herr Bock?”, fragte ich.
„Ergebnisse?“, fragte er knapp zurück.
„Wir haben einige vielversprechende Hinweise“, sagte ich und brachte Bock auf den neuesten Stand. „Ein Mann namens Viktor Liebknecht scheint ein Hauptakteur zu sein. Wir haben eine Adresse.“
Bock nickte zufrieden. „Gut gemacht. Organisiert ein Team und findet heraus, was ihr könnt. Aber geht vorsichtig vor – wenn diese Leute so gefährlich sind, wie es scheint, wartet möglicherweise noch mehr auf uns.“
Wenig später saßen wir im Wagen, diesmal begleitet von einem kleinen Einsatzteam. Die Villa, die in den E-Mails erwähnt wurde, lag am Rande eines dichten Waldes an der Außenkante Hamburgs. Die Fahrt war angespannt und das Schweigen im Auto spürbar.
Als wir die Villa erreichten, sah sie auf den ersten Blick verlassen aus. Die funkelnden Fenster und der gepflegte Garten standen im krassen Gegensatz zu den düsteren Gestalten, die wir hier erwartet hatten.
„Wir müssen vorsichtig sein“, sagte Roy und deutete dem Team, Position zu beziehen. „Keiner bewegt sich voreilig. Wir gehen das systematisch an.“
Wir näherten uns dem Gebäude und signalisierten dem Team, die Eingänge zu sichern. Dann traten Roy und ich durch die Haustür, die überraschenderweise nicht verschlossen war. Das Innere der Villa war luxuriös ausgestattet, aber es herrschte eine unbehagliche Stille. Wir bewegten uns vorsichtig durch die Gänge, lauschten auf jedes mögliche Geräusch.
Im Wohnzimmer fanden wir einen großen Tisch, der mit Dokumenten und elektronischen Geräten bedeckt war. Etwas fiel mir sofort auf – eine Karte von Hamburg mit markierten Punkten.
„Sieht aus, als ob sie verschiedene Lagerhallen und Verstecke in der ganzen Stadt hatten“, murmelte ich.
Plötzlich hörten wir ein Geräusch aus einem der hinteren Räume. Vorsichtig schlichen wir uns an und fanden Liebknecht, der gerade dabei war, einige Dokumente zu verbrennen. „Hände hoch!“, rief ich.
Liebknecht erstarrte und drehte sich langsam um, die Augen voller Überraschung und Wut. „Was… was wollen Sie?“, stammelte er.
„Svenning schickt Grüße“, sagte Roy trocken. „Aus der Zelle.“
„Sie haben keine Vorstellung, was Sie gerade kaputt machen!“, rief Liebknecht und schleuderte uns die Papiere entgegen. Eine wilde Fluchtversuch begann, doch das Team, das das Gebäude abgesichert hatte, überwältigte ihn schnell.
„Alles vorbei, Liebknecht“, sagte ich ruhig. „Erzählen Sie uns alles, was Sie wissen.“
Kurz darauf fanden wir in einem versteckten Safe mehr belastendes Material – weitere Transaktionsdokumente und geheime Nachrichtenschreiben. Der Umfang des Komplotts war größer, als wir zunächst angenommen hatten; es schloss Verbindungen bis in die hohen Ränge der Wissenschaft und Industrie ein.
Zurück im Präsidium begannen wir die Funde auszuwerten und die Verhaftungen fortzusetzen. Svenning und Liebknecht hatten einen florierenden illegalen Markt für toxische Substanzen und Informationen geführt. Die Verhaftungen und das Zusammenstellen der Verbindungen brachte uns die Gewissheit, dass dieser gefährliche Kreislauf nun unterbrochen war.
„Gute Arbeit“, sagte Bock, als er sich über die Dokumente beugte. „Ihr habt das Netz zerrissen. Aber wir müssen weiterhin wachsam sein.“
Roy und ich nickten, wissend, dass dieser Fall zwar gelöst war, aber in der Schattenwelt von Hamburg immer neue Bedrohungen lauern konnten. Doch für den Moment konnten wir durchatmen.
„Vielleicht schafft der HSV bald wieder ein paar Siege“, sagte Roy, während wir unser Büro verließen.
„Wenn sie so gut verteidigen, wie wir heute gearbeitet haben, haben sie eine Chance“, lachte ich.
Die Nacht brach herein und Hamburgs vertrauter Regenschauer begann wieder. Doch diesmal fühlten wir uns ein wenig sicherer, ein wenig ruhiger. Unsere Arbeit hier war noch lange nicht beendet, aber an diesem Tag hatten wir das Dunkel ein Stück weit durchbrochen.
Kriminalroman
Der Umfang dieses Buchs entspricht 126 Taschenbuchseiten.
Gangs bekriegen sich im erbarmungslosen Kampf um Anteile im Drogengeschäft. Aber die Hintermänner sitzen ganz woanders... Eine Waffe spielt die Schlüsselrolle, denn die Ermittler wissen genau: Nur über diese Waffe führt die Spur zum Killer...
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author
© 2015 der Digitalausgabe by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
www.AlfredBekker.de
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Die Morgensonne kroch im Osten über die Dächer der Wolkenkratzer. Im Central Park, der grünen Lunge New Yorks, zwitscherten die ersten Vögel. Hier und da fuhren ein paar Inline Scater oder Mountain Biker die asphaltierten Wege entlang.
Jogger nutzten die Ruhe des Morgens für ihr allmorgendliches Fitness-Programm. Die meisten würden in anderthalb Stunden ihre Sportfunktionskleidung mit einem dreiteiligen Anzug oder einem konservativen Kostüm vertauscht haben, um in Downtown Manhattan ihren Jobs nachzugehen. Aber für einen dieser Jogger galt das nicht. Sein Job musste genau hier erledigt werden – auf dem Weg, der vom Central Park South zur Transverse Road No. 1 führte.
Er trug einen blau gestreiften Jogginganzug auf dessen Rücken die Aufschrift SUPER BOWL zu lesen war.
Als er den Heckscher Playground erreichte, hielt er an. Er atmete tief durch, schüttelte die Arme aus und tat so, als würde er ein paar Lockerungs- und Dehn-Übungen durchführen.
Dann blickte er auf die Uhr.
Sie haben etwas Verspätung, Herr Staatsanwalt, ging es ihm durch den Kopf.
Der vermeintliche Jogger griff kurz unter das Oberteil seines Jogginganzugs und umfasste den Griff der automatischen Pistole.
James E. Longoria war Mitte fünfzig, aber noch sehr gut in Form. Ein großer Mann, der als Staatsanwalt eisern durchzugreifen wusste. Er bewohnte ein Traumapartment am Ende der Fifth Avenue. Von dort aus hatte man eigentlich immer einen hervorragenden Panoramablick auf den südlichen Teil des Central Park.
Ein Jogger, der am Wegrand nach Atem rang, erweckte kurzzeitig das Interesse des Juristen: Seine Gedanken waren jedoch zu sehr von Aufgaben des vor ihm liegenden Tages erfüllt, als dass er weiter auf den Jogger achtete.
Ein paar knifflige Fälle lagen auf Longorias Schreibtisch. Er hatte sich einen Namen als Hardliner gemacht. Seine Gegner allerdings sprachen davon, dass Longorias Vorgehensweise oft genug am Rande der Rechtsbeugung anzusiedeln war.
Aber das störte den hageren Mann mit den ausgedünnten, grauen Haaren nicht.
Ab und zu warf er einen kurzen Blick nach rechts, wo ein See namens „The Pond“ das Blickfeld beherrschte. Auf der Wasseroberfläche hielt sich hartnäckiger Frühdunst, aber die Sonne würde es in spätestens zwei Stunden zweifellos geschafft haben, die auf dem Wasser liegenden Dunstfelder zu verdrängen.
James E. Longoria bemerkte den Jogger wieder, als er die von Ost nach West den Süden des Central Parks durchziehende Transverse Road No. 1 erreichte.
Der Kerl war ihm gefolgt und hatte es aus irgendeinem Grund vermieden, ihn zu überholen.
Longoria rang nach Luft.
Der Jogger kam näher.
Plötzlich riss er eine Waffe mit aufgeschraubtem Schalldämpfer unter der Kleidung hervor. Sie verfügte über eine Zielerfassung durch Laserpointer. Ein roter Punkt tanzte durch die Luft.
Longoria wich zurück und hob abwehrend die Hände.
Aber für die schnell hintereinander abgefeuerten Kugeln der Automatik war das kein Hindernis. Der vermeintliche Jogger feuerte ein Projektil nach dem anderen ab.
Jedes Mal entstand dabei ein Geräusch, das an ein kräftiges Niesen oder den Schlag mit einer Zeitung erinnerte.
Longorias Körper zuckte. Mit weit aufgerissenen Augen und vollkommen fassungslosen Gesicht stand der Getroffene schwankend da. Weitere Treffer in den hageren Körper ließen ihn zucken. Sein Gesicht verzog sich wie unter großem Schmerz. Dann brach er in sich zusammen und schlug auf den Asphalt. Eine Blutlache bildete sich.
Der Killer drehte sich kurz um. Niemand schien bemerkt zu haben, was er tat.
Vorerst…
Dann rannte er weiter. Er spurtete zur Transverse Road und dort weiter nach links.
Am Straßenrand wartete ein BMW.
Der Fahrer startete den Motor. Der Killer riss die Beifahrertür auf und sprang hinein.
Mit Vollgas raste der BMW anschließend die Transverse Road No. 1 in westlicher Richtung entlang, vorbei am Heckscher Playground. Am Central Park West bog er nach links und fädelte sich ziemlich brutal in die gerade beginnende erste Welle des Berufsverkehrs ein.
Mister Jonathan D. McKee, der Chef des FBI Field Office New York, machte ein sehr ernstes Gesicht, als wir in seinem Besprechungszimmer eintrafen.
Ich hatte Milo am Morgen an der bekannten Ecke abgeholt. Es hatte in Strömen geregnet. Mein Kollege Milo Tucker war pitschnass geworden und versuchte sich mit einem Becher von Mandys Kaffee wieder aufzuwärmen.
Außer Milo und mir nahmen noch eine ganze Reihe anderer G-men an der Besprechung teil, darunter unsere Kollegen Leslie Morell und Jay Kronburg. Ebenfalls anwesend war unser indianischer Kollege Orry Medina und Clive Caravaggio, der im Rang eines Special Agent in Charge nach unserem Chef der zweite Mann im Field Office war.
Mister McKee wartete, bis alle sich gesetzt hatten. Die Hände hatte er tief in die Taschen seiner grauen Flanellhose vergraben.
Eine Furche stand mitten auf seiner Stirn.
Seitdem seine Familie durch ein Verbrechen ums Leben gekommen war, hatte Mister McKee sich voll und ganz dem Kampf für das Recht gewidmet. Oft war er der erste von uns, der in den FBI Büros an der Federal Plaza anzutreffen war und abends der letzte, der ging. Zweifellos war er ein Mann, der viel hatte einstecken müssen und den so schnell nichts zu erschüttern vermochte.
Umso mehr machte uns seine augenblickliche Verfassung deutlich, dass etwas wirklich Schlimmes geschehen sein musste.
„Ich bekam vor einer Viertelstunde die Nachricht, dass der Ihnen allen bestens bekannte Staatsanwalt James E. Longoria beim Joggen im Central Park ermordet wurde.“ Mister McKee atmete tief durch und erklärte uns dann, dass unser Kollege Fred LaRocca bereits am Tatort wäre, um die Ermittlungen aufzunehmen. Die FBI-Erkennungsdienstler Agent Sam Folder und Agent Mell Horster waren ebenfalls auf dem Weg zum Tatort an der Transverse Road No. 1, um die Kollegen der Scientific Research Division zu unterstützen. Die SRD ist eigentlich der zentrale Erkennungsdienst für sämtliche New Yorker Polizeieinheiten, aber auch die Police Departments benachbarter Städte wie Yonkers, Union City oder West New York nehmen deren Hilfe bisweilen in Anspruch. Darüber hinaus verfügte das FBI allerdings noch zusätzlich über entsprechende erkennungsdienstliche Kapazitäten.
Die Tür ging auf.
Agent Max Carter, ein Innendienstler aus unserer Fahndungsabteilung, trat ein.
Er hatte sich etwas verspätet, schien dafür aber einen entschuldbaren Grund zu haben. Jedenfalls nickte Mister McKee ihm lediglich zu, woraufhin Max sich zu uns an den Tisch setzte.
„Über die näheren Umstände am Tatort kann ich Ihnen natürlich noch nichts sagen“, erklärte unser Chef. „Es ist leider unvermeidlich, dass die Medien diesen Fall groß aufziehen werden, was unserer Arbeit, wie Sie sich alle denken können, nicht gerade erleichtern wird. Einen Aufruf für Zeugen, die eventuell sachdienliche Hinweise zu machen haben, hat Max bereits dankenswerter Weise an alle großen Zeitungen und Radiosender, sowie die lokalen Fernsehkanäle herausgegeben. Mister Longoria ist schließlich nicht der Einzige gewesen, der um diese Zeit in diesem Teil des Central Park seine Runden gedreht hat. Nach den bisherigen Angaben der Homicide Squad I des 12. Reviers unter Captain Danny Ricardo, ist Longoria wohl aus nächster Nähe erschossen worden. Es gibt einen Zeugen, der glaubt, einen BMW mit quietschenden Reifen davon fahren gesehen zu haben. Es handelt sich um einen Rentner, der um diese Zeit mit seinem Hund im Central Park spazieren geht. Der Hund hat den Toten übrigens gefunden. Alles Weitere wird man erst noch ermitteln müssen.“ Nach einer kurzen Pause des Schweigens setzte Mister McKee noch hinzu: „Der Respekt vor dem Recht scheint auf einem Tiefpunkt angekommen zu sein, wenn jetzt schon Staatsanwälte fürchten müssen, von Gangstern einfach niedergestreckt zu werden. Es ist allgemein bekannt, dass ich mit Mister Longoria nicht immer und in allen Fragen übereingestimmt habe. Aber die Leidenschaft für das Recht als wichtigste Waffe im Kampf gegen das Verbrechen haben wir geteilt. In letzter Zeit haben wir uns auch persönlich etwas näher kennen gelernt. Mister Longoria verlor seine Eltern bereits im Alter von vierzehn Jahren durch einen Amokschützen, der unter dem Einfluss der damals gerade aufkommenden synthetischen Drogen stand. Das hat seinem Kampf gegen das Verbrechen den nötigen Antrieb gegeben. Seit ich das erfuhr, konnte ich ihn noch um einiges besser verstehen…“
„Die Liste derjenigen, die mit James Longoria noch eine Rechnung offen hatten, dürfte ziemlich lang sein“, brach Clive Caravaggio als erster das anschließende, etwas betretene Schweigen. Es kam nicht oft vor, dass unser Chef seine Emotionen nach außen dringen ließ. Wir hatten gerade einen dieser seltenen Momente erlebt und es erschien den meisten von uns wohl irgendwie unangemessen, einfach zur Tagesordnung überzugehen. Aber genau das mussten wir tun, wenn wir den oder die Mörder von James E. Longoria fassen wollten. Es war immer dasselbe. Die Zeit arbeitete zu Gunsten des Täters und für uns begann jedes Mal ein Wettlauf. Spuren verschwanden oder zersetzten sich, Zeugen erinnerten sich nicht mehr richtig. Die Berichte in den Medien würden außerdem dazu führen, dass wir eine ganze Flut von vermeintlichen Hinweisen, Verdächtigungen und vielleicht sogar falschen Geständnissen von psychisch gestörten Wichtigtuern bekamen. Eine unserer kniffligsten Aufgaben war es dann immer, aus dem ganzen Wust das Wenige herauszufiltern, was wirklich relevant war.
Longoria galt insbesondere in Fällen des organisierten Verbrechens als Hardliner, der sich nicht gerne auf einen Deal mit Verdächtigen einließ, die er für schuldig hielt.
„Max war so freundlich, schon mal ein paar Fälle herauszusuchen, in denen jemand blutige Rache gegenüber Staatsanwalt Longoria geschworen hat oder ihn bedrohte“, erklärte Mister McKee. Er wandte sich an Max Carter und fragte: „Was haben Sie gefunden?“
„Da ist zum Beispiel Shane Kimble, ein Gang-Leader aus der Bronx, der jetzt eine halbe Ewigkeit in Rikers Island absitzen muss“, erläuterte Max. „Ein Komplize hat gegen Kimble ausgesagt, nachdem Longoria ihm ein Angebot gemacht hat. Das hat Kimble ziemlich sauer gemacht.“
„Ausgerechnet der kompromisslose Longoria!“, konnte sich Orry eine Bemerkung nicht verkneifen. Unser indianischer Kollege trug einen modisch geschnittenen italienischen Anzug zu einer stilvollen Seidenkrawatte. Orry galt allgemein als bestangezogendster G-man an der Federal Plaza. Doch das war beileibe nicht seine einzige Qualität. Er war drüber hinaus auch ein hervorragender Ermittler, wie er bei zahlreichen Fällen unter Beweis gestellt hatte. Ein Kollege, auf den man sich hundertprozentig verlassen konnte.
„Ich erinnere mich an den Fall“, sagte Mister McKee und nippte dabei an seinem Kaffeebecher. „Das ist gut fünf Jahre her. Wenn Longoria diesem Komplizen – wie hieß er noch gleich?“
„Dustin Jennings!“, gab Max nach einem kurzen Blick in seine Unterlagen Auskunft.
„…kein Angebot gemacht hätte, wäre Kimble wieder auf freiem Fuß.“
„Jetzt sitzt er wegen Mordes und hat wohl keine Aussicht jemals wieder entlassen zu werden“, stellte Max fest.
„Und was ist mit Jennings?“, fragte ich.
„Ist seit einem halben Jahr auf Bewährung draußen“, erklärte Max. „Jedenfalls hätte Kimble im Gerichtssaal bei der Urteilsverkündung beinahe den Staatsanwalt angefallen und musste trotz Handschellen von mehreren Officers festgehalten werden. Da wir außerdem davon ausgehen müssen, dass Kimble zumindest einen Teil seiner Drogengeschäfte aus dem Gefängnis heraus steuert und von seinen Gangbrüdern wie ein Held verehrt wird, gehört Kimble auf jeden Fall auf die Liste der Verdächtigen!“
„Aber er dürfte nicht der einzige sein“, gab Orry zu Bedenken.
Max nickte.
„Ganz zu Anfang seiner Karriere sorgten Longorias Ermittlungen für die Verurteilung eines Mannes namens Jason Carlito für Aufsehen. Carlito war Zuhälter in Spanish Harlem und wurde beschuldigt, eine der jungen Frauen, die für ihn anschafften, grausam ermordet zu haben. Die Beweise schienen eindeutig zu sein. Jahre später veranlasste sein Verteidiger eine erneute Untersuchung des damals sichergestellten DNA-Materials. Es gab inzwischen bessere Verfahren und so stellte sich heraus, dass Carlito vielleicht ein Zuhälter aber kein Mörder war.“
„Wie hat er das hingenommen?“, hakte Mister McKee nach.
„Schlecht“, fuhr Max fort. „Er hat Longoria mit Hassanrufen verfolgt, sich bei dessen Prozessauftritten ins Publikum gemischt, um ihn aus dem Konzept zu bringen. Longoria ließ ihm gerichtlich verbieten, dass er sich ihm auf mehr als hundert Yards näherte. Es gab in dieser Zeit eine Serie von zusammengeklebten Drohbriefen, die sowohl Longorias Büro als auch seine Privatadresse erreichten, aber Jason Carlito konnte vor Gericht nicht nachgewiesen werden, der Urheber dieser Briefe gewesen zu sein.“ Max deutete auf die vor ihm liegenden Ordner. „Es gibt noch eine Reihe weiterer Fälle, die ebenso mit Longorias Ermordung in Verbindung stehen könnten. Ganz zu schweigen von seinen aktuellen Ermittlungen gegen mehrere Drogengangs in der Bronx und ihre Hintermänner…“
Milo seufzte hörbar.
„Es wird uns wohl kaum etwas anderes übrig bleiben, als diese Liste systematisch abzuarbeiten“, glaubte er und damit lag er zweifellos richtig.
Als Milo und ich am Tatort im Central Park ankamen, war dort das meiste schon gelaufen.
Longorias regelrecht durchsiebter Leichnam lag längst in der Pathologie des Coroners und wurde einer Obduktion unterzogen.
Patronenhülsen, die mit einer Automatik vom Kaliber 45 abgeschossen worden waren, hatten sichergestellt werden können. Ob die Tatwaffe schon einmal verwendet worden war, würde sich erst nach den ballistischen Untersuchungen zeigen. Damit wir in diesem Fall nicht auf die im Moment stark überlasteten SRD-Labors in der Bronx angewiesen waren, würde unser eigener Ballistiker Dave Oaktree die dafür notwendigen Untersuchungen durchführen. Weil wir Dave am Tatort mit Sicherheit nicht mehr antreffen würden, hatten wir während der Fahrt von der Federal Plaza zur Transverse Road No.1 telefonischen Kontakt mit ihm. Er machte uns allerdings wenig Hoffnung darauf, dass die Testergebnisse schneller als in vierundzwanzig Stunden zur Verfügung standen.
Eine Untersuchung der Patronenhülsen auf Fingerabdrücke war bereits am Tatort geschehen und negativ ausgefallen.
Einige Kollegen der City Police hatten Jogger und Passanten befragt, ob sie etwas gesehen hatten. Die Ausbeute war mager.
Nachdem wir uns am Tatort umgesehen und uns ein Bild gemacht hatten, besuchten wir Captain Danny Ricardo auf seinem Revier, der die ersten Tatortermittlungen zu verantworten hatte und sprachen mit ihm über das Problem.
„Sie haben ja sicher selbst mitgekriegt, was für ein Wetter wir heute Morgen hatten. Immer wieder gab es heftige Schauer, die mit kürzeren trockenen Phasen abwechselten. Da sind natürlich nicht gerade viele Leute unterwegs. Außerdem hat der immer wieder einsetzende Regen dafür gesorgt, dass wir so gut wie nichts am Tatort gefunden haben, was irgendwelche Rückschlüsse auf den oder die Täter ergeben könnte – von den Patronenhülsen und einem Reifenprofil einmal abgesehen.“
„Sie gehen davon aus, dass es mehrere Täter waren“, stellte ich fest.
Ricardo nickte. „So ist der Stand der Ermittlungen, wenn die Geschichte mit dem BMW stimmt, wovon ich aber ausgehe. Es gab einen, der die Waffe abgeschossen hat und einen Komplizen, der den Fluchtwagen gefahren hat. Der Rentner, der den Wagen gesehen hat, konnte sich sogar einen Teil der Zulassungsnummer merken.“
„Und?“, hakte ich nach. Selbst wenn man eine Zulassungsnummer nur teilweise vorliegen hatte, dazu aber weitere Merkmale des gesuchten Fahrzeugs wie Typ, Farbe, Ausstattung, Bereifung und ähnliches vorliegen hatte, konnte man das betreffende Fahrzeug in den meisten Fällen ermitteln oder die Zahl der in Frage kommenden Halter stark einschränken.
„Wir vermuten, dass der BMW mit einem Fahrzeug identisch ist, das vor zwei Tagen als gestohlen gemeldet wurde.“
„Ein gestohlener Wagen als Fluchtfahrzeug, keine Fingerabdrücke an den Patronenhülsen – spricht das nicht dafür, dass hier Profis am Werk waren?“, meinte Milo.