7mal Historisches Abenteuer im Bundle Juni 2025 - Alfred Bekker - E-Book

7mal Historisches Abenteuer im Bundle Juni 2025 E-Book

Alfred Bekker

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Dieser Band enthält folgende Romane Wilfried A. Hary & Alfred Bekker : Die schöne Tochter Wilfried A. Hary & Alfred Bekker : Der neue Kaiser Wilfried A. Hary & Alfred Bekker : Zeit der Irrwege Wilfried A. Hary & Alfred Bekker : Die geheimnisvolle Marie Wilfried A. Hary & Alfred Bekker : Catrina und Ricardo Wilfried A. Hary & Alfred Bekker : Miranda und Jaffar John Frederick: Der Kragen aus Bronze Venedig, um das Jahr 1400… Ein zufälliges Treffen von Catrina und Ricardo, dem Straßenjungen, in Venedig ist schnell vergessen. Sie treffen nach Jahren wieder aufeinander, und die Verhältnisse haben sich grundlegend geändert. Nun muss Ricardo im Auftrag des Dogen einen Serienmörder suchen. Catrina will ihm trotz ihrer Blindheit helfen. Die Ming-Dynastie geht ihrem Ende entgegen. Im Jahr 1644 gehen Rebellen und Mandschuren gegen den Kaiser und seine Truppen vor, aber noch wird Peking gehalten. Mitten in diesen Wirren ist ein Liebespaar, die schöne junge Chen und der holländische Händler John van Aarden, auf der Flucht. Als John gefangen genommen wird, muss er den Rebellen helfen, um sein Leben zu retten.

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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Alfred Bekker, W.A.Hary, John Frederick

7mal Historisches Abenteuer im Bundle Juni 2025

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Inhaltsverzeichnis

7mal Historisches Abenteuer im Bundle Juni 2025

Copyright

Die schöne Tochter

Der neue Kaiser

Zeit der Irrwege

Die geheimnisvolle Marie

​Catrina und Ricardo: Die venezianische Seherin 1

Miranda und Jaffar: Die Sarazenenbraut 1

Der Kragen aus Bronze

7mal Historisches Abenteuer im Bundle Juni 2025

von Alfred Bekker, Wilfried A. Hary, John Frederick

Dieser Band enthält folgende Romane

Wilfried A. Hary & Alfred Bekker : Die schöne Tochter

Wilfried A. Hary & Alfred Bekker : Der neue Kaiser

Wilfried A. Hary & Alfred Bekker : Zeit der Irrwege

Wilfried A. Hary & Alfred Bekker : Die geheimnisvolle Marie

Wilfried A. Hary & Alfred Bekker : Catrina und Ricardo

Wilfried A. Hary & Alfred Bekker : Miranda und Jaffar

John Frederick: Der Kragen aus Bronze

Venedig, um das Jahr 1400…

Ein zufälliges Treffen von Catrina und Ricardo, dem Straßenjungen, in Venedig ist schnell vergessen. Sie treffen nach Jahren wieder aufeinander, und die Verhältnisse haben sich grundlegend geändert. Nun muss Ricardo im Auftrag des Dogen einen Serienmörder suchen. Catrina will ihm trotz ihrer Blindheit helfen.

Die Ming-Dynastie geht ihrem Ende entgegen. Im Jahr 1644 gehen Rebellen und Mandschuren gegen den Kaiser und seine Truppen vor, aber noch wird Peking gehalten. Mitten in diesen Wirren ist ein Liebespaar, die schöne junge Chen und der holländische Händler John van Aarden, auf der Flucht. Als John gefangen genommen wird, muss er den Rebellen helfen, um sein Leben zu retten.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

COVER: A. PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alles rund um Belletristik!

Die schöne Tochter

Wilfried A. Hary & Alfred Bekker

Jenseits der Großen Mauer 1

Historischer Roman Anno 1644

von Wilfried A. Hary & Alfred Bekker

nach einem Exposé von Alfred Bekker

Die Ming-Dynastie geht ihrem Ende entgegen. Im Jahr 1644 gehen Rebellen und Mandschuren gegen den Kaiser und seine Truppen vor, aber noch wird Peking gehalten. Mitten in diesen Wirren ist ein Liebespaar, die schöne junge Chen und der holländische Händler John van Aarden, auf der Flucht. Als John gefangen genommen wird, muss er den Rebellen helfen, um sein Leben zu retten.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

nach einem Exposé von Alfred Bekker

© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Alles rund um Belletristik!

1

Die Große Mauer…

Das größte je von Menschen erbaute Bauwerk.

Ein Schutzwall des Reiches der Mitte gegen die Barbaren des Nordens.

Das befestigte Fort direkt an der Küste des Gelben Meeres, dort, wo die große Mauer endete, mochte auf einen Unbedarften wenig furchteinflößend wirken. Doch hier hatte es in seiner Rolle als wichtigstes Bollwerk gegen die immer wieder versuchte Invasion der Mandschuren bislang seine Stellung immer erfolgreich verteidigen können.

Immerhin war dieses Fort der ganze Stolz seines Kommandanten von Kaisers Gnaden Wu. Und weil die Kaiserstadt Peking nicht besonders weit entfernt lag, war sich natürlich auch der Kaiser der ganz besonderen Bedeutung dieses Forts im China des Jahres 1644 bewusst. Es war also überhaupt kein Wunder, dass der amtierende Ming-Kaiser immer wieder einen seiner persönlichen Adjutanten auf die Reise schickte, um Kommandant Wu zu einer Audienz an seinem Hofe einzuberufen.

Eine Aufgabe, der Kommandant Wu natürlich ganz besonders gern nachkam. Wurde ihm dadurch ja auch jedes Mal aufs Neue seine eigene Bedeutung zum Schutze des Ming-Kaiserreichs bewusst.

Er machte sich sogleich weisungsgemäß auf den Weg, dies mit jenem Prunk, der noch angemessen erschien, der dabei jedoch deutlich genug blieb, um seine eigene Bedeutung für jedermann sichtbar bleiben zu lassen.

Kommandant Wu war in diesen Dingen sehr bemüht. Es war ja auch kein Wunder, dass ausgerechnet ihn der Ming-Kaiser zum Kommandanten dieses auch für die Kaiserstadt Peking besonders wichtig erscheinenden Forts am Ende der großen und nach Willen des Kaiserreiches ewigen Mauer zum Kommandanten ernannt hatte. Wohl wissend, dass dieses Fort in seinen Händen sicherlich bestens aufgehoben war.

Bislang war es den Mandschuren zwar noch niemals gelungen, die große Mauer zu überwinden, trotz aller Bemühungen dieser schier unermüdlichen Invasoren aus der Mandschurei, aber das Jahr 1644 war auch in anderer Hinsicht ein sehr bedeutsames Jahr. Denn es war ein Jahr des endgültig drohenden Umbruchs. Beziehungsweise das Jahr, in dem dieser drohende Umbruch ganz besonders deutlich zu werden begann.

Mit anderen Worten: Die bislang ewig erscheinende Ming-Dynastie war deutlich am Bröckeln. Aufstände erschütterten schon seit Jahren das Reich, wichtige Provinzen waren abgefallen. Nicht nur das: Ausländische Händler, darunter vor allem Holländer und Portugiesen, sowie christliche Missionare mit europäischen Wurzeln, versuchten hier Fuß zu fassen. Und das, obwohl gleichzeitig in Europa selbst der später so genannte Dreißigjährige Krieg seit nun schon so vielen Jahren voll im Gange war.

Der Ming-Kaiser allerdings sah die Ausländer bisher nicht als Bedrohung an, sondern eher als Bereicherung, denn sie brachten natürlich auch Handel und Wandel der positiven Art. Man musste bloß aufpassen, dass ihr Einfluss nicht ein erträgliches Maß überschritt. Vor allem musste sehr darauf geachtet werden, dass es keinerlei Unterstützung seitens der Rebellen gab.

Aber die ausländischen Händler, ebenso wie die Missionare, wussten selbst, dass sie lediglich geduldet waren und sich in ihrer Gastrolle kaisertreu geben mussten, um nicht in Ungnade zu fallen, was ihnen wohl recht schlecht bekommen wäre.

Einer von ihnen war der junge holländische Händler John van Aarden, der in Peking trotz seiner relativen Jugend bereits ein Kontor der Ostindischen Handelskompanie leitete und sich bestens in China auskannte. Aufgrund seiner Bedeutung innerhalb der ausländischen Händler ging er gewissermaßen ein und aus, unter anderem im Hause eines der wichtigsten Handelsherren der Dynastie mit Namen Wah. So blieb es nicht aus, dass er irgendwann dabei auch Wahs Tochter Chen begegnete.

John, der sich voll und ganz auf seine Aufgaben konzentrierte und mit Leib und Seele eben das war, was man einen erfolgreichen Händler in einem eigentlich völlig fremden Land nennen durfte, erlebte dabei zum ersten Mal so etwas wie eine unbeschreibliche Faszination allein beim Anblick Chens. Was er sich selbst in keiner Weise erklären konnte. Eine Faszination zumal, die nicht nur ihn erfasste, sondern tatsächlich auch auf Chen selbst überzuspringen schien.

Chen, die sich bislang nie sonderlich für das männliche Geschlecht interessiert hatte und sich stattdessen redlich bemühte, den hohen Ansprüchen ihres Vaters Wah an eine Tochter im Hause eines hohen Handelsherrn gerecht zu werden, war nach der ersten eher flüchtigen Begegnung doch ziemlich irritiert ob der eigenen Reaktion.

Irgendwie bangte ihr von nun an regelrecht vor der nächsten Begegnung, die unweigerlich erfolgen musste, weil es John im Rahmen seiner Aufgaben oft genug in dieses Haus führte.

Obwohl Chen sich redlich bemühte, diesem jungen Mann lieber nicht mehr zu begegnen, weil sie ansonsten befürchten musste, sein Anblick allein schon würde sie zu sehr von ihren täglichen Pflichten ablenken, kam es doch erneut zu Begegnungen.

Jedes Mal zwar eher der flüchtigen Art, doch mit bleibendem Eindruck auf beiden Seiten. Was sie sich beide nicht erklären konnten, weil sie es sich nicht erklären wollten.

Durchaus spürte auch John van Aarden jene deutliche Scheu vor jeder weiteren Begegnung dieser Art, zumal er es als höchst unschicklich erachtete, sich als Ausländer doch tatsächlich einer hohen Tochter von solcher Bedeutung annähern zu wollen, sozusagen auch noch mit der falschen Hautfarbe sogar, doch er konnte sich andererseits nicht gegen die leise Freude wehren, die er bei jeder dieser Begegnungen verspürte. Sie entstand tief in seinem Innern, und ihren Funken bewahrte er sich bereits, wenn er nur schon seinen nächsten Besuch im Hause des Handelsherrn Wah vorbereitete, wohl wissend, dass aus diesem Funken kurzfristig ein wahres Feuer entflammte, wenn sich auch nur ihrer beider Blicke trafen. Wonach sie jedes Mal allerdings beide regelrecht die Flucht ergriffen voreinander.

An diesem Tag jedoch, als John van Aarden den Handelsherrn aufsuchte, gab es keine weitere Begegnung. Eher beiläufig erfuhr John, dass Chen abwesend war. Auf Wunsch des Ming-Kaisers, der sowohl die Anwesenheit ihres Vaters als auch ihre eigene Anwesenheit verfügt hatte, weil er wohl der gegenwärtigen Audienz für Kommandant Wu eine besondere Bedeutung beimaß.

Welcher Art diese Bedeutung sein konnte, wurde allerdings John nicht mitgeteilt. Er wagte auch nicht, speziell danach zu fragen, um nicht allzu interessiert am Verbleib von Handelstochter Chen zu erscheinen.

2

Zum großen Erstaunen von Kommandant Wu herrschte am Palast des Kaisers ungewohnt hektische Betriebsamkeit, und das hatte offensichtlich nicht nur mit seinem Erscheinen zu tun.

Seine eigenen Leibgardisten blieben zurück, als er tiefer in das Allerheiligste des Palastes ging, jetzt von Palastwachen begleitet, die extra seinetwegen abgestellt worden waren. Bei dieser Gelegenheit erfuhr er auch zum ersten Mal, dass er nicht allein zur Audienz berufen worden war, sondern der heutige Tag nach dem Willen des Ming-Kaisers ein ganz besonderer werden sollte, als einer der besonderen Tage, die da anscheinend noch folgen sollten.

Kommandant Wu begann zu ahnen, worum es ging und wieso dabei auch seine Anwesenheit so dringend erforderlich war. Immerhin war er hier als Sinnbild des Widerstandes gegen alle bisherigen Bemühungen der Mandschuren, in das Kaiserreich einzufallen, um die Ming-Dynastie ein für allemal zu beenden. Aber was suchte beispielsweise Handelsherr Wah im Palast bei einer solchen Gelegenheit?

Und dieser war nicht allein gekommen: Was war das für ein göttliches Geschöpf da an seiner Seite?

Kommandant Wu war total fasziniert bei ihrem Anblick, bis ihm dämmerte, dass es sich wohl nur um die Tochter des Handelsherrn Wah handeln konnte. Wie hieß sie noch gleich? Chen? Während die Gattin des Handelsherrn nicht nur für ihre besondere Anmut, sondern auch für ihre stete Zurückhaltung bekannt war, schien Tochter Chen von ganz anderem Kaliber zu sein. Obzwar sie die Schönheit ihrer Mutter geerbt hatte. Ganz eindeutig sogar.

Eigentlich hatte sich der Handelsherr, so wurde zumindest gemunkelt, einen Sohn als Nachfolger für sein Handelshaus gewünscht. Es war jedoch bei Tochter Chen geblieben, die allerdings dem Hause alle Ehre machte, indem sie nicht etwa in die Fußstapfen ihrer für ihre vornehme Zurückhaltung gerühmte Mutter getreten war, sondern eher in die Fußstapfen ihres Vaters. Auch was dessen Handelsgeschick betraf. Kein Wunder also, dass sie ihren Vater hier am Hofe begleitete.

Wobei die Motive des Kaisers für diese Einladung – oder sollte man doch eher Vorladung sagen? – Kommandant Wu in diesem Zusammenhang nicht einmal in erster Linie interessierten. Hatte er doch dadurch endlich Gelegenheit, Chen einmal persönlich zu begegnen, und er war dermaßen entzückt von ihr, dass er schon Pläne zu schmieden begann, wie er sich ihr geschickt genug annähern könnte, ohne gleich allzu aufdringlich zu wirken. Er war schließlich ein erfolgreicher Soldat und nicht gerade als Charmeur bekannt geworden.

Chen ging ihm jedenfalls nicht mehr aus dem Sinn. Soviel stand fest. Ebenso sicher war allerdings auch die Tatsache, dass er umgekehrt Chen noch nicht einmal aufgefallen war, geschweige denn, dass sie sein Interesse an ihrer Person bemerkt hätte. Ihr Vater musste sie erst darauf aufmerksam machen, denn Handelsherr Wah empfand es eher als ungehörig, dass der Kommandant seine Tochter einfach nicht mehr aus den Augen lassen wollte.

„Wer soll das sein? Kommandant Wu?“, wunderte Chen sich indessen. „Also der Kommandant vom Fort am Gelben Meer?“

Ihr Vater nickte nur und warf erneut einen betont grimmigen Blick hinüber zu Kommandant Wu, den dieser geflissentlich übersah. Weil er sowieso mit all seinen Sinnen eher bei Tochter Chen war als bei deren Vater.

Chen selbst empfand das tatsächlich auch als eher unangenehm. Nicht deshalb, weil Kommandant Wu etwa nicht ansehnlich genug gewesen wäre, denn eigentlich war eher das Gegenteil der Fall, was nicht nur von seiner prunkvollen Uniform herrührte, sondern auch mit seinem besonders stolzen Auftritt zusammenhing; aber seit Chen den holländischen Händler John van Aarden kannte, schien es so, als könnte es niemals einen anderen Mann geben, der sie auch nur im Entferntesten interessiert hätte.

Obwohl sie mit John van Aarden bislang nicht einmal ein einziges Wort gewechselt hatte. Sie waren sich immer nur kurz begegnet, waren aneinander vorbeigegangen, ohne allerdings die Blicke voneinander lösen zu können. Aber das war bereits mehr, als jeglicher andere Mann auf der ganzen Welt Chen hätte bieten können, wie sie empfand.

Es war einfach ein Gefühl.

Ein Gefühl, das jeglicher Vernunft widersprach.

Aber andererseits ein Gefühl, dass ihr richtig erschien.

So, dachte sie, sollte es sein.

Es war genau auch das, was Chen in diesem Augenblick so überdeutlich bewusst wurde, dass sie sich nicht mehr länger dagegen wehren konnte. Da half alles Leugnen nichts mehr: Sie wusste definitiv, dass sie sich total in John van Aarden verliebt hatte, und es war mehr als klar, dass diese Liebe tatsächlich von ihm erwidert wurde.

Was war dagegen die Aufmerksamkeit eines Kommandanten Wu mehr als nur eben lästiges Beiwerk während einer wichtigen Audienz beim Ming-Kaiser, an der allerlei Persönlichkeiten mit Rang und Namen teilnahmen?

Und endlich machte der Ming-Kaiser deutlich, wieso er sie alle einberufen hatte. Nach den üblichen Begrüßungsfloskeln und den vorgeschriebenen Ehrerbietungen der Gäste, die er ungeduldig über sich ergehen ließ:

„Es ist mir zu Ohren gekommen, aus berufener Quelle, dass sich die Lage verschlimmert hat!“ Bedeutungsschwangere Worte, die jeden aufhorchen ließen. „Die verhassten Mandschuren haben offensichtlich einen Weg gefunden, den Aufruhr durch Aufständische und Abtrünnige für ihre eigenen Zwecke zu nutzen. Mit anderen Worten: Sie versuchen, gemeinsame Sache mit ihnen zu machen, um das Kaiserreich anzugreifen und den Einfall ins Reich vorzubereiten.“

Sein Blick fiel auf Kommandant Wu.

„Deshalb ist Kommandant Wu ebenfalls hier. Er ist die erste und wichtigste Bastion am Ende der Großen Mauer, um jeglichen Einfall auch von dieser Seite her zu vereiteln. Dennoch müssen wir erkennen, dass die Rebellen nunmehr alles tun werden, um vielleicht einen anderen Weg zu ebnen für die Invasoren, um gemeinsam mit diesen eine Dynastie zu vernichten, die Jahrhunderte überdauert hat.

Um es hier und heute noch einmal deutlich zu machen: Sie wollen erreichen, dass ich der letzte aller Ming-Kaiser sein werde. Und deshalb sind jetzt alle Persönlichkeiten von Bedeutung hier versammelt. Ihr alle seid die Grundfesten meiner Dynastie. Wenn das Kaiserreich untergehen sollte mit mir als dem letzten Ming-Kaiser, geht ihr alle mit unter. Unweigerlich.

Dessen bewusst muss euer Kaiser nicht an euch appellieren, alles zu tun, was in eurer Macht steht, um jeglichen Schaden vom Kaiserreich auch noch weiterhin abzuwenden. Ihr werdet das in eurem eigenen Interesse tun müssen.“

Das waren ja völlig neue Töne aus dem Munde des für sein rigoroses Vorgehen berüchtigten Ming-Kaisers. Keine mit Drohungen untermauerte Befehlsausgabe mithin, sondern tatsächlich ein Appell an die Vernunft aller, die hier anwesend waren? Und es war dies darüber hinaus auch noch eine ungewöhnlich lange Rede gewesen für einen Kaiser der knappen Worte, wie sonst bei ihm üblich.

Offenbar empfand er die sich nur seiner persönlichen Meinung nach anbahnende Übereinstimmung der Mandschuren ausgerechnet mit den Feinden im eigenen Kaiserreich für ganz besonders alarmierend, und da gab es jetzt tatsächlich auch niemanden unter den Anwesenden, der seine Auffassung in dieser Frage nicht hätte teilen wollen.

Einmal abgesehen davon, dass es sowieso nicht ratsam gewesen wäre, ausgerechnet in Anwesenheit des Kaisers eine abweichende Meinung zu vertreten.

Chen und ihr Vater sahen sich erschüttert an. Sie hatte schon munkeln hören, dass die Rebellen an Boden gewonnen hatten, zumal ja bereits wichtige Provinzen vom Reich abgefallen waren. Aber dass sie jetzt auch noch gemeinsame Sache machen sollten mit dem Erzfeind, rief auch in ihnen ein deutliches Gefühl der Beklommenheit hervor. Wobei zunächst einmal gleichgültig erschien, ob es tatsächlich stimmte oder nicht.

Kommandant Wu hingegen sah seine Zeit als gekommen, um sich ein weiteres Mal persönlich in den Vordergrund zu bringen, mit einem Auftritt, der niemandem entgehen konnte, der an dieser ganz besonderen Audienz teilnahm.

Er trat vor, natürlich mit aller geforderten Ehrerbietung. Um zunächst deutlich zu machen, dass er um das Wort bat. Das natürlich nur der Kaiser selbst erteilen konnte.

Der Ming-Kaiser brauchte nur mit einem Finger zu deuten, um Kommandant Wu zu ermächtigen, sich den anderen Gästen zuzuwenden, um stolz aufgerichtet in der Geste des großen Feldherrn, der er eigentlich gar nicht war als Kommandant eines Forts, egal welche Bedeutung dieses Fort auch haben mochte, und mit donnernder Stimme zu verkünden: „Die Angriffe der Mandschuren sind heftiger denn je. Die große Mauer bleibt nach wie vor unüberwindbar für sie und wird dies auch bis in alle Ewigkeit so bleiben, und so lange das Fort am Gelben Meer unter meinem Kommando steht, ist der Schutz des Kaiserreiches unverbrüchlich. Dafür garantiere ich mit meinem eigenen Leib und mit meinem Leben!“

Alle sahen sich bemüßigt, ihm für diese zuversichtlichen Worte Anerkennung zu zollen. Mit der gegebenen Zurückhaltung natürlich in Anwesenheit des Kaisers.

Sogar der Kaiser selbst zeigte sich höchst zufrieden über seinen Auftritt, und Kommandant Wu konnte sicher sein, dass sein Stand innerhalb der Verteidigungsallianz des Kaiserreiches unangefochten bleiben würde, falls er sich nicht sogar auch noch weiter gefestigt hatte.

Er sah sich auffordernd in der Runde um, was jedem Anwesenden klar machte, dass es von nun an tatsächlich auch an jedem selbst liegen würde, die Verteidigung im Innern des Reiches verantwortlich voranzutreiben. Nur so würde die Ming-Dynastie erhalten bleiben können, auch wenn die Feinde aus dem Innern sich mit den Feinden aus dem Äußeren verbündet haben sollten.

Inwiefern diese vorerst ja nur vermuteten Verbindung überhaupt erfolgreich werden sollte, wusste sowieso niemand zu sagen, und anscheinend wusste es der Kaiser selbst auch nicht so genau, sonst hätte er das ganz speziell angesprochen.

Nachdem Kommandant Wu wieder an seinen Platz zurückgekehrt war, hatte er nach wie vor beinahe ausschließlich Augen für Chen, was deren Vater so aufbrachte, dass Chen ihn zwischendurch sogar beruhigen musste, bevor er noch auf die Idee kam, etwas Unbedachtes zu unternehmen.

3

Es kam, wie es kommen musste und wie es Chens Vater letztlich sowieso nicht verhindern konnte, ohne sich selbst dabei in erhebliche Schwierigkeiten zu bringen: Kommandant Wu nutzte die erstbeste Gelegenheit, um sich der Frau zu nähern, die er behehrte. Natürlich in gebührlicher Weise, indem er einen aus der Reihe der Palastwachen, die ihm zugeteilt waren, genauestens instruierte und vorschickte, um sich dabei dezent im Hintergrund halten zu können. Wie es sich gehörte für einen Mann von so hohem Rang wie Kommandant Wu. Immerhin derjenige, auf den der Ming-Kaiser große Stücke hielt, sonst hätte er bei dieser Zusammenkunft nicht ausgerechnet ihm so viel Raum geboten, um sein Ego in den Vordergrund zu bringen.

Sicherlich hatte er diese Gelegenheit auch deshalb so gut genutzt, um damit Chen zu imponieren. Ohne jedoch zu ahnen, wie wenig ihm dies bei ihr nutzte.

Der verlegene junge Mann, der im Auftrag des Kommandanten Chen seine Aufwartung machte, ließ keinen Zweifel daran, dass er nicht aus eigenem Willen so handelte, sondern nur deshalb, weil er dem Kommandanten zugeteilt worden war. Wenngleich nicht gerade deshalb, um dessen Werber zu spielen …

Chens Vater wollte bereits aufbrausen, doch Chen legte beruhigend ihre Hand auf seinen Arm. Ihr Vater ahnte ja noch nicht einmal, dass Chens Herz sowieso längst einem anderen gehörte, und Chen wollte sich vorerst gar nicht vorstellen, wie er wohl auf John van Aarden reagieren würde, sobald er davon erfuhr, und das war derzeit ja auch nicht unbedingt schon aktuell genug.

Chen nickte dem Werber nur freundlich zu und sah dabei hinüber zu Kommandant Wu, der gespannt abwartete, dabei wie verschämt ihren Blick erwiderte.

„Sage deinem Herrn, dass es mir eine ganz besondere Ehre ist, sein Interesse geweckt zu haben. Es wird auch fürderhin mir eine besondere Ehre bleiben, die ich tief in meinem Herzen tragen werde, obschon dieses Herz ihm leider niemals gehören kann. Jetzt nicht und auch nicht in Zukunft. – Kannst du dir das alles überhaupt merken?“

Der Soldat nickte irritiert und versprach: „Sehr wohl, das werde ich!“

Er deutete eine Verbeugung an, von der er wohl annahm, sie sei der Situation angemessen, und zog sich rückwärts von Chen zurück, um sich sogleich stolz aufzurichten und zu seinem Auftraggeber zurückzugehen.

Chen lächelte nur flüchtig und wandte sich ab von der Szene, dabei vortäuschend, dass sie inzwischen schon wieder ganz anderes im Sinn hatte. Obwohl sie durchaus noch heimlich beobachtete, wie der Kommandant auf die Ablehnung reagieren würde.

Der junge Soldat, der es offenbar eher als Belastung ansah, für den Schutz des Kommandanten abgestellt worden zu sein denn als Ehre, redete viel zu viel und viel zu lang. Das waren bei Weitem nicht die gleichen Worte, die ihm Chen mit auf den Weg gegeben hatte, aber doch hoffentlich deren Inhalt?

Chen konnte es auf diese Entfernung leider nicht kontrollieren. Sie wandte sich an ihren Vater.

„Ein besonders lästiger Kerl!“, beschwerte sich dieser.

„Ach was“, meinte Chen dazu leichthin.

„Findest du nicht?”

„Was sollte es dich aufregen, wenn ein Mann von hohem Rang wie der Kommandant sein Interesse an deiner Tochter kundtut? Ich weiß mich ja durchaus zu wehren gegen Avancen, die mir nicht passen, und wenn du ehrlich bist, musst du zugeben, dass sich Kommandant Wu nicht unschicklich benimmt.“

„Das ist wahr…”

„Es wäre nicht die Schlechteste aller Verbindungen für dich!”

„Auch das ist wahr.”

„Oder willst du… noch höher hinaus?”

Chen schluckte.

„Nein”, flüsterte sie mit belegter Stimme.

„Er wird allerdings nicht so schnell aufgeben, fürchte ich!“, brummte Handelsherr Wah missmutig.

Chen riskierte einen verstohlenen Blick hinüber und sah die Befürchtung ihres Vaters als durchaus berechtigt.

Kommandant Wu war ob der Abweisung nicht gerade amüsiert. Aber sein Zorn hielt sich in Grenzen. Noch! Denn man konnte ihm förmlich ansehen, wie er bereits Pläne schmiedete, um Chen doch noch zu erobern.

Beinahe hätte Chen darüber den Kopf geschüttelt, aber das wäre allzu auffällig geworden. Sie dachte über die besondere politische Rolle des Kommandanten nach. Es würde auf die Dauer gesehen wahrlich nicht leicht werden, ihn sich vom Leib zu halten. Insofern teilte sie den Pessimismus ihres Vaters durchaus. Aber was nicht leicht war, musste ja nicht auch noch unmöglich werden. Schließlich war es nicht das erste Mal, dass ihr ein Mann Avancen machte, dem sie in geeigneter Form ihr Desinteresse klar machen musste.

Zwar würde Kommandant Wu ein besonders harter Brocken werden, aber Chen war zuversichtlich, dass alles dennoch glimpflich ablaufen konnte, solange sich ihr Vater heraushielt und nicht doch irgendetwas Unbedachtes tat, in der Annahme, seiner Tochter damit eine Hilfe zu sein.

Und dann dachte Chen wieder an John. Weil sie sowieso meistens an ihn dachte. Jetzt erst recht, nach diesem Erlebnis mit Kommandant Wu.

Niemand ahnte auch nur, dass sie beide in Liebe füreinander entflammt waren. Eine Liebe, die so offensichtlich geworden war, dass sie von ihnen nicht mehr länger geleugnet werden konnte. Nicht vor sich selbst jedenfalls. Denn vor allen anderen mussten sie es ja noch gar nicht leugnen. So lange sowieso niemand auch nur etwas davon zu ahnen begann.

4

John van Aarden indessen benutzte eine, wie er meinte, geschickte Ausrede, um nicht gleich wieder das Handelshaus Wah unverrichteter Dinge verlassen zu müssen. Um hier in Wahrheit nur auf Chen zu warten. Wenn er sie wenigstens einen kurzen Augenblick sehen würde. Das würde ihm bereits genügen.

Würde es im Grunde ja ganz und gar nicht, aber mehr war ihm ja sowieso nicht gegönnt. Ihnen beiden nicht.

Vor allem, weil sie aus völlig verschiedenen Kulturen stammten. Er immerhin aus einem Europa, das derzeit schon so lange von einem nicht enden wollenden Krieg erschüttert wurde, auch wenn die Niederlande darin eine Art Insel des Wohlstands waren - und sie aus einem Peking, das offensichtlich ebenfalls im Umbruch begriffen war. Wobei derzeit niemand zu sagen vermochte, wie das noch enden würde. Etwa im Chaos, wenn die Aufständischen doch noch die Oberhand gewannen? Doch auch wenn es nach dem Willen des Kaisers gelang, die Aufstände blutig niederzuschlagen und damit den Fortbestand der Ming-Dynastie auch noch weiterhin zu sichern, würde das weitere gravierende Folgen haben für die Bevölkerung.

Wie man es auch drehen und wenden wollte: Die Bevölkerung würde auf jeden Fall leidtragend sein. Und die ausländischen Händler wie John van Aarden waren indessen hier, um die Auswirkungen direkt und indirekt zu minimieren. Indem sie mit dem einst so reichen Kaiserreich Handel und Wandel trieben. Zum beiderseitigen Vorteil. Einen so bedeutsamen Handelspartner zu haben würde einerseits das zerrüttete Europa stützen helfen, wenngleich über den Umweg der Ostindischen Handelskompanie, um gleichzeitig auch dem kaum minder zerrütteten Kaiserreich Vorteile zu bringen, weil durch den Wegfall von Provinzen einiges an Warenverkehr zwangsläufig hatte einbrechen müssen. Um Lücken zu schaffen, die nur mittels Außenhandel einigermaßen geschlossen werden konnten.

John war sich seiner Rolle dabei durchaus bewusst und auch all der Schwierigkeiten, die diese mit sich brachte. Denn jeden Tag musste er einen wahren Balanceakt wagen, um einerseits den Eindruck zu erhalten, seine Arbeit wäre besonders nützlich für das Kaiserreich – um andererseits dem stetigen Misstrauen zu begegnen, das ihm von den Chinesen als Holländer und somit Europäer entgegengebracht wurde.

Und in dieser Situation auch noch eine mögliche Liebschaft zur Tochter eines hohen Handelsherren wie Wah?

Das würde dies alles enorm erschweren. Was sicherlich nicht nur ihm selbst klar war, sondern auch Chen.

Und doch fühlten sie sich zueinander in einem Maße hingezogen, dass sie sich dem nicht erwehren konnten. Trotz aller zur Schau getragenen Zurückhaltung. Eine Scheu immerhin, in der Vernunft geboren, deren Sieg über all diese Gefühle eher fraglich erschien, die scheinbar tief in der Brust ihren Ursprung hatten, mitten im Herz, um genauer zu sagen, und ihnen nachhaltig die Sinne vernebelten.

Fraglich zumindest auf Dauer gesehen.

Schließlich, als John beinahe schon aufgegeben hätte, kehrte Chen an der Seite ihres Vaters doch noch rechtzeitig genug zurück.

John, der vorgetäuscht hatte, nur wegen Handelsherr Wah hier zu sein, konnte ein erleichtertes Aufatmen nicht verhindern.

Chen sah es, ihr Vater allerdings nicht, wie sie sich von eigenem Augenschein überzeugte. Er war nämlich immer noch zu sehr mit seinen unheilschwangeren Gedanken bei Kommandant Wu, als dass ihm das eher sonderbare Verhalten von John van Aarden aufgefallen wäre.

John deutete indessen eine höfliche Verbeugung an, die Chen mit einem Kopfnicken und natürlich mit einem Lächeln quittierte, wie es nach Meinung Johns nicht lieblicher hätte sein können. Dann erst wandte er sich an Handelsherrn Wah und begann mit seinem Vortrag, den unmittelbar wieder bevorstehenden Lieferaustausch betreffend.

Seltsamerweise war Handelsherr Wah jedoch mit seinen Gedanken nach wie vor ganz und gar nicht bei der Sache, wie John van Aarden überrascht bemerkte. Etwas, was John bei ihm noch niemals zuvor erlebt hatte. Obwohl er jetzt eher dankbar darum war. Hielt das Gespräch nämlich zwangsläufig dadurch länger an, und weil diesmal Chen als persönliche Vertraute bei allen wichtigen Geschäften nicht von der Seite ihres Vaters wich, verbrachte John mit ihr weit mehr Zeit, als er sich jemals zu wünschen gewagt hätte.

Nicht jedenfalls zum gegenwärtigen Zeitpunkt.

Und auch Chen genoss es sichtlich. Was allerdings nur John selbst bemerkte, nicht Chens Vater.

Was John doch noch zu der Frage brachte, was denn Handelsherr Wah dermaßen beschäftigte, dass er nicht nur ziemlich geistesabwesend wirkte, sondern irgendwie auch, als müsste er seinen Zorn mühsam unterdrücken.

Zorn worauf oder auf wen?

An Kommandant Wu dachte John in diesem Augenblick natürlich keineswegs. Wie wäre er denn auch darauf gekommen, dass ausgerechnet dieser „seiner“ Chen Avancen zu machen wagte?

Wobei kein Mann vom anderen wusste.

Noch nicht jedenfalls.

5

Im Grunde genommen hatte der Ming-Kaiser mit seinem Appell an all jene, die er zur Audienz geladen hatte, eher das Gegenteil von dem erreicht, was er eigentlich hatte erreichen wollen. Denn nicht wenige erkannten in diesem Akt ein unmissverständliches Zeichen von zunehmender Schwäche.

Ein Kaiser, der doch tatsächlich an ihre Vernunft seiner Untertanen appellierte, anstatt einfach als Kaiser das zu tun, was notwendig gewesen wäre, um sein Kaiserreich vor dem Untergang zu bewahren?

Kein Wunder, dass im Nachhinein versucht worden war, diese Begebenheit für alle Zeiten verschämt aus den Geschichtsbüchern zu verbannen, obschon dermaßen deutlich war, dass es sich bereits um einen wahren Akt der Verzweiflung gehandelt hatte. Was eben nicht wenigen klar wurde bei dieser Gelegenheit, wenngleich so jedoch keineswegs Chen und ihrem Vater, dem Handelsherrn Wah.

Immerhin liefen die Geschäfte allein schon aufgrund ihrer funktionierenden Auslandsverbindungen nach wie vor prächtig, und so lange dies der Fall war, sahen sie für das Kaiserreich zwar durchaus die ernsthafte Bedrohung sowohl aus dem Innern durch die Aufständischen als auch aus dem Äußeren durch die Mandschurei, aber noch längst nicht so etwas wie gar die Vorzeichen des wirklichen Untergangs.

Dass ausgerechnet ein entfernter Verwandter von ihnen, nämlich ein Mann namens Zhao, ausgerechnet einer der Rebellenführer war, kümmerte sie allein schon deshalb nicht, weil sie zu diesem Zeitpunkt noch gar nichts davon auch nur ahnten. Chen selbst kannte Zhao lediglich aus ihrer frühen Kindheit. Da war sie dem älteren Jungen mehrfach begegnet, der für das seiner Meinung nach noch viel zu kleine Mädchen allerdings wenig Interesse gehegt hatte. Er hatte sich anscheinend als schon zu alt dafür gesehen, um mit „so einem kleinen Kind“ zu spielen.

Chen hatte ihm das nie wirklich krumm genommen, und später hatte sie ganz einfach die Erinnerung an ihn weitgehend verloren. Zumal Zhao aus der Provinz stammte, was für jemanden, der in Peking geboren und aufgewachsen war und eigentlich kaum etwas anderes kannte, nicht unbedingt von großem Interesse sein konnte.

Es sei denn, sie hätte zu diesem Zeitpunkt bereits um seine besondere Rolle in der Geschichte der Rebellion gegen die schon so alte und für die Aufständischen nicht nur von daher gesehen längst überfällige Ming-Dynastie gewusst.

Zumal Zhao zu diesem Zeitpunkt mit seiner Rebellenarmee bereits der Kaiserstadt schon bedrohlich nah war. Was allerdings neben dem Kaiser selbst nur wenigen so richtig bewusst war. Immerhin war für ihn dieser Umstand letztlich der entscheidende Anlass dafür gewesen, überhaupt eine solch ungewöhnliche Versammlung einzuberufen.

Einer von denen, die inzwischen in die wirkliche Lage des Reiches eingeweiht waren, hieß indessen Kommandant Wu. Zwar waren die Aufständischen nichts, was in seinen eigenen Problem- und Aufgabenbereich fiel, doch er musste als Kommandant des Forts am Gelben Meer selbstverständlich in alle Einzelheiten eingeweiht werden, was ihn länger am Kaiserhof hielt als ursprünglich vorgesehen und von ihm erwartet.

Grund genug für ihn, weiter sich zu bemühen, einen Weg zu finden, um Chens Herz zu erobern. Was er nur so lange in Angriff nehmen konnte, wie er hier in Peking noch zu tun hatte. Sobald er wieder abgereist war, in sein Fort am Gelben Meer, um dort das Reich vor den immer wieder einfallenden Mandschuren zu schützen, wurden seine Möglichkeiten, Chen betreffend, eher gegen Null begrenzt.

So schmiedete er viel lieber Pläne für eine mögliche Eroberung des Herzens, anstatt sich Gedanken zu machen über einen ausreichenden Schutz der Kaiserstadt gegen die bedrohliche Rebellenarmee. Und damit ihm das auch gelingen mochte, stellte er schon einmal ein paar der Männer aus seiner persönlichen Schutztruppe, wie sie ihn auch vom Fort hierher nach Peking begleitet hatten, dazu ab, das Handelshaus des Herrn Wah unter genaueste Beobachtung zu stellen.

Die Beobachter kamen nicht rechtzeitig an ihr Ziel, um noch zu erleben, wie Händler John van Aarden das Haus verließ, um zurückzukehren in sein Kontor der Ostindischen Handelskompanie. Also konnten sie seinen Besuch in diesem Hause noch nicht weitermelden. Sobald er jedoch erneut hier erscheinen würde, ja, dann würde dies ein Umstand sein, wie er dringlich an Kommandant Wu berichtet werden musste.

Wie auch jeglicher andere Besuch des Hauses Wah, egal aus welchem Anlass. Denn Kommandant Wu wollte möglichst alles wissen. Also zum Beispiel wer da ein- und ausging, um mögliche Kontakte knüpfen zu können, die ihn indirekt dem Hause Wah näher brachten. Aber auch sonst alles – und sogar die Handelsbeziehungen mit ausländischen Händlern, wovon John nur einer war.

Ein weiterer war beispielsweise der Portugiese Jorge da Silva. Trotz seiner Konkurrenz ein enger Freund von John van Aarden, immerhin mit gemeinsamem Interesse an China im Speziellen und der chinesischen Kultur im Allgemeinen. Nur eine Stunde später betrat er das Haus in einer wichtigen Handelsangelegenheit. Und nur aus diesem Grund. Denn dass das Herz seines besten Freundes John für Chen entflammt war, wusste sogar er noch nicht. Er ahnte es noch nicht einmal zu diesem Zeitpunkt.

6

Im Gespräch mit Handelsherrn Wah war zwar mit keinem Wort die Rede gewesen etwa von Chen und John van Aarden ob ihrer heimlichen Liebe zueinander, doch John konnte seitdem erst recht an nichts anderes mehr denken. Was seinen Alltag erheblich erschwerte. Und nicht nur das: Eine schlaflose Nacht schloss sich an, in der in ihm der feste Entschluss reifte, seine Gefühle für Chen deutlicher werden zu lassen. Soweit sie das zulassen würde. Was er einerseits inbrünstig sich wünschte, obwohl andererseits seine Vernunft ihn eindringlich vor jeder weiteren Annäherung zwischen ihnen beiden warnte.

Es schien, als würde John nicht nur mit seinem Verstand, sondern auch tief in seinem Herzen, bereits wissen, dass er sich und Chen damit keineswegs einen Gefallen tun würde. Ganz im Gegenteil: Die Probleme, die er damit heraufbeschwor, waren absehbar und konnten nur immens sein.

Ja, wäre Chen ein einfaches Mädchen aus dem Volke gewesen, hätten sie vielleicht sogar Glück haben können. Aber doch nicht Chen, die Tochter eines so hohen Handelsherrn, dem Kaiser persönlich bekannt und sogar einer von dessen Vertrauten. Beratend tätig in Handelsfragen, ganz besonders, wenn es um sogenannten Außenhandel ging, auf den Handelsherr Wah sich großenteils konzentrierte, um nicht zu sagen: Er war inzwischen einer der Spezialisten in solchen Fragen geworden.

Immerhin konnte er handfeste Erfolge vorweisen. Was seine Stellung innerhalb der kaiserlichen Obrigkeit eindeutig stärken konnte.

Wenn John van Aarden nun Chen seine Aufwartung machte, sah das ganz danach aus, als wollte er seine Beziehung zu Handelsherrn Wah, die bislang rein geschäftlicher Natur gewesen war, wie es sich gehörte zwischen Handelspartnern, dazu ausnutzen, um ausgerechnet die Tochter des Handelsherrn zu verführen. Immerhin die einzige Erbin des Handelshauses nach Lage der Dinge und somit über ihren Vater ebenfalls eines der hohen Mitglieder der Obrigkeit, die über das Kaiserreich der Ming-Dynastie herrschte, natürlich mit dem Kaiser unangefochten an der Spitze.

Zumindest bislang unangefochten. Solange eben die Verhältnisse noch klar genug blieben. Was in dieser Zeit des drohenden Umbruchs nicht mehr ganz so bleiben konnte. Obwohl es zunächst den Handelsherrn Wah und seine Tochter Chen nicht unmittelbar berührte.

John konnte trotzdem nicht anders. Seine begründbaren Bedenken waren gewissermaßen gar nichts gegen das Chaos, das seine Gefühle in ihm hervorgerufen hatten. Wenn er nur an Chen dachte, war es ihm, als müsste er auf der Stelle ohnmächtig werden. Das wurde er zwar absolut gar nicht, aber es war dieses lähmende Gefühl, das ihn beherrschte und eindeutig seinen Ursprung dort hatte, wo er sein Herz wusste.

Er hätte vordem niemals auch nur im Entferntesten für möglich gehalten, dass ihn die wahre Liebe auf solch heftige Weise einmal regelrecht heimsuchen würde. Eigentlich doch das, was man das Höchste aller Gefühle nannte, in seiner Situation jedoch beinahe so etwas wie der freiwillige Gang zum Schafott werden konnte.

Was hieß eigentlich freiwillig? Wie sollte er es denn schaffen, gegen diese Gefühle anzukommen? Konnte das überhaupt jemand? Dieses Feuer ignorieren, das ihn von innen heraus schier zu verbrennen schien? Ihn, für den bislang nichts anderes von Wichtigkeit gewesen war als seine Karriere als Leiter des Kontors der Ostindischen Handelskompanie?

Als er diesen Posten hatte übernehmen dürfen, war es ihm als das Größte erschienen, was er jemals erreichen konnte. Harte und auch nicht ungefährliche Arbeit war das zwar einerseits, doch es war genau das, wonach all sein Sinnen und Trachten jemals gestrebt hatten.

Um es jetzt mit einer riesigen Dummheit vielleicht mit einem einzigen Schlag zunichte zu machen?

Wenn er dadurch diesen Posten verlor: Wie würde er dann noch um Chen werben können, um die größte Liebe, die er sich überhaupt jemals hätte vorstellen können?

Das bremste seinen Enthusiasmus und seine Entschlusskraft doch noch am frühen Morgen, als es ihn endgültig aus dem Bett trieb. Es war, als würde ein kurzzeitig geträumter Traum wie eine Seifenblase zerplatzen.

Nicht ganz jedoch, denn dafür waren eben seine Gefühle für Chen viel zu stark, um nicht zu sagen, übermächtig. Aber er musste ganz einfach das schier Unmögliche schaffen und Chen für sich gewinnen, ohne alles dabei zu verlieren. Wobei er möglicherweise nämlich ausgerechnet seine große Liebe gleich mit in den Abgrund reißen würde.

Das würde er nur schaffen können, wenn er äußerst behutsam blieb. Er spürte ja in aller Deutlichkeit, wie sehr Chen seine Gefühle erwiderte. Sicherlich würde auch ihre Vernunft letztlich versagen, und sie würde Dinge wagen, gemeinsam mit ihm, die er ihr unmöglich zumuten durfte. Eben, weil er sie so sehr liebte. Sogar mehr als sein eigenes Leben.

Und es blieb dabei: Heute würde er einen ersten Schritt wagen. Dabei nahm er sich eben zusätzlich fest vor, die nötige Vorsicht walten zu lassen. Allerdings musste er es schaffen, irgendwie Handelsherrn Wah mit einzubeziehen. Denn ohne dessen Unterstützung würde erst einmal überhaupt nichts gehen.

Es blieb nur zu hoffen, dass Handelsherr Wah daraufhin nicht einfach die Handelsbeziehung mit der Ostindischen Handelskompanie aufkündigte und John van Aarden für alle Ewigkeit zum Teufel jagte.

Immerhin eine Möglichkeit, die sich John regelrecht aufdrängen wollte.

Er machte sich auch eingedenk dessen jetzt auf den Weg. Schließlich war er ein erfolgreicher Händler in diesem für die meisten Europäer absolut fremdartigen Land, das längst zu seiner zweiten Heimat geworden war. Obwohl man ihm den Ausländer natürlich nach wie vor ansah.

Chen störte das zwar nicht, aber da war immer noch ihr Vater, den John in dieser Hinsicht ganz und gar nicht einschätzen konnte. Solange die Begegnung mit dem Handelsherrn rein geschäftlich bleiben würde, war mit keinerlei Problemen zu rechnen. Aber was seine Tochter Chen betraf …

7

Es entging den Beobachtern im Auftrag von Kommandant Wu keineswegs, dass der holländische Händler John van Aarden das Handelshaus betrat.

Nicht gerade ungewöhnlich, wie sie fanden, denn es war allgemein bekannt, dass Handelsherr Wah mit Ausländern Handel und Wandel trieb, zum Wohle des Kaiserreichs. Dennoch schickten sie einen Boten zu ihrem Kommandanten, um diesem diesen Umstand mitzuteilen.

Aber auch Kommandant Wu dachte sich vorerst nichts dabei. Schließlich bestand die Handelsbeziehung mit der Ostindischen Handelskompanie schon länger. Und auf seine Leute konnte er sich verlassen. Falls es irgendeinen Anhaltspunkt gab, den er beim Werben um die Gunst der Handelstochter Chen verwenden konnte, würden sie ihn davon in Kenntnis setzen.

Unterdessen war er abgelenkt von immer neuen Hiobsbotschaften betreffend die Aufständischen, die sich immer deutlicher formierten. Alle Anzeichen sprachen dafür, dass sich die Revolutionäre bereit machten, um gegen Peking zu marschieren. Mit allen Konsequenzen nicht nur für den Kaiser, der möglicherweise bereits heimlich seine Flucht vorbereitete. Für alle Fälle. Um den Aufständischen nicht in die Hände zu fallen.

Kommandant Wu wähnte sich regelrecht wie zwischen den Fronten. Einerseits war er speziell zuständig für die Verteidigung des Reiches gegen die immer wieder einfallenden Mandschuren, doch andererseits sah es gegenwärtig eher danach aus, als wären die Aufständischen die eigentliche Gefahr.

Ja, was würde denn letztlich passieren, wenn sie nicht nur gegen Peking angingen, sondern die Kaiserstadt sogar einnahmen? Peking war das wahre Herz des Reiches. Wer dieses Herz kontrollierte, der kontrollierte das Kaiserreich.

Sein geliebtes Reich dann ausgerechnet in den Händen von unberechenbaren Rebellen?

Es grauste ihn davor in einem Maße, dass er darüber beinahe sein Interesse an Chen vergessen hätte.

Aber nur beinahe!

Er blieb in dieser Angelegenheit auf jeden Fall aktiv. Nicht persönlich zwar, aber immerhin über seine Leute vor Ort, denen nichts entging, zumindest niemand, der im Hause des hohen Handelsherrn aus und ein ging.

Was indessen innerhalb des Hauses geschah, entzog sich allerdings ihrer Erkenntnis. So lange es sich nicht bis nach draußen bemerkbar machte.

Und John van Aarden war ja schließlich hier, um einen äußerst gewagten Vorstoß zu machen. Ungeachtet der immer prekärer werdenden Situation auf politischer Ebene, war er auf keinen Fall aus geschäftlichen Gründen hier, obwohl er sogleich um eine persönliche Unterredung mit dem Handelsherrn bat.

Eine Bitte, die ihm nicht sofort gewährt werden konnte, denn Handelsherr Wah war anderweitig noch beschäftigt. Doch als Chen erfuhr, wer da mit ihrem Vater überraschenderweise eine persönliche Unterredung wünschte, nutzte sie die Gelegenheit und sorgte ihrerseits für eine Überraschung:

Anstelle ihres Vaters erschien sie nämlich höchst selbst bei John van Aarden.

John fehlten die Worte, als sie so unvermittelt vor ihm stand. Er brauchte Mühe, um sie nicht einfach in die Arme zu nehmen, und es sah ganz danach aus, als wäre sie tatsächlich gern in seine Arme geflüchtet. Sie konnten sich beide im letzten Moment beherrschen.

„Um welche Angelegenheit handelt es sich denn? Ich bin hier, um meinen Vater so lange zu vertreten, bis er Zeit für eine Unterredung hat.“

John hörte zwar die Worte aus ihrem Munde, doch er erfasste ihre Bedeutung nicht.

Kräftig schüttelte er den Kopf, als würde ihm das helfen können, ihn wieder klarer zu bekommen.

„Es – es geht eigentlich nicht um Geschäfte, sondern …“

„Sondern?“, rief Chen alarmiert.

Sie hatte da einen schlimmen Verdacht: Wollte John van Aarden etwa das Unaussprechliche aussprechen? War er eigens deshalb sogar hierhergekommen?

Sie wollte sogleich einschreiten, wollte ihm eindeutig klar machen, dass er dies nicht tun durfte, unter keinen Umständen. Sie wollte ihm vor allem klarmachen, dass sie beide so vernünftig bleiben mussten, dass sie es niemals zulassen durften, zu ihren Gefühlen zu stehen. Was auch immer stattdessen geschehen mochte: Es würde auf jeden Fall weniger schlimm sein als die Folgen dessen, was er beabsichtigte zu tun.

Allein, kein Laut drang über ihre bebenden Lippen. Ja, sie brachte keinen Ton hervor, weil alles in ihr nämlich ganz im Gegenteil danach schrie, John gewähren zu lassen. Egal, was da auch kommen mochte, welche Folgen dies auch immer haben konnte nicht nur für sie beide. Ganz einfach, weil sie schon wusste, dass sie es selbst auch nicht mehr länger aushalten konnte.

Was war das für eine Welt, die es nicht zulassen wollte, dass zwei Menschen, die sich so sehr liebten wie sie und John, zueinander fanden? Was konnte denn edler und schutzwürdiger sein als die wahre Liebe, über alle Kulturgrenzen hinweg, die es doch nur in den Köpfen jener gab, die selbst zu solchen Gefühlen gar nicht fähig waren?

Zumal John van Aarden zwar ein Holländer war und kein Chinese, aber doch zutiefst vertraut mit der chinesischen Kultur, die er über alles liebte. Sonst wäre er gar nicht erst hierhergekommen, in dieses Land.

Sie sagte indessen überhaupt nichts. Stand nur da, starrte John van Aarden an, der ihre bebenden Lippen sah und durchaus ahnte, was in ihr vorging. War das doch dasselbe Chaos, das er selbst in seinem Innern spürte.

Und er sagte: „Ich muss mit deinem Vater darüber sprechen. Ich kann nicht anders. Bitte, verzeih mir, und egal, was auch geschehen mag: Ich werde alles tun, um allein die Konsequenzen zu tragen. Dir soll daraus kein Schaden entstehen. Und wer weiß? Vielleicht hat dein Vater ja sogar Verständnis für unsere Gefühle? Und vielleicht weiß er sogar einen Rat, den wir in unserer Unfähigkeit, noch einen klaren Gedanken fassen zu können, nicht mehr zu finden vermögen?“

„Nein!“, stieß sie hervor.

„Was?”

„Vater darf es nie erfahren.”

„Aber…”

„Niemand darf das. Du weißt, warum, John.”

„Ja…”

„Obwohl es nichts nutzt, solche Gefühle leugnen zu wollen.

„Auch das ist wahr.”

„Zumindest nicht vor sich selbst.“

John nickte heftig.

„Aber was sollen wir denn bloß tun?“

Sie näherte sich ihm bis auf Armlänge. Dabei war es John, als würde sie schweben. Und als sie ihm so nah kam, konnte er nicht mehr an sich halten. Er nahm Chen fest in die Arme, und auch sie klammerte sich an ihn wie eine Ertrinkende. Als wäre er ihr Rettungsanker. Dabei war eher das genaue Gegenteil der Fall: Wenn sie es nicht schafften, voneinander zu lassen, zogen sie sich unweigerlich gegenseitig in den Abgrund.

Ihre Vernunft sagte ihnen das in aller Eindringlichkeit, doch was war schon die Stimme der Vernunft gegen die Macht der wahren Liebe?

Sie klammerten sich aneinander, wobei es ihnen so erschien, als würden sie sich beide nicht mehr in dieser Welt befinden. Diese Welt mit all ihren Problemen, ihren Sorgen, ihren Nöten. Nichts mehr davon war gültig für sie. Für Momente, die sich scheinbar zu einer Ewigkeit ausweiteten, die nicht mehr enden wollte.

Und die dennoch jäh enden musste. Spätestens dann nämlich, als von draußen sich Schritte näherten.

Handelsherr Wah hatte endlich Zeit gefunden, seinen überraschenden Besucher zu treffen. Und er bemühte sich gleich selbst und ließ John van Aarden nicht etwa in sein Arbeitszimmer kommen.

8

Chen und John ließen schleunigst voneinander ab. Sie gingen sogar auf Abstand. Doch als Handelsherr Wah eintrat, wusste er trotzdem sofort, dass hier etwas nicht stimmte. Es war, als würde die Atmosphäre in diesem Raum noch immer irgendwie knistern.

Wah blieb abrupt stehen, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Erst musterte er seine Tochter. Dann galt sein Blick John van Aarden.

Sie versuchten vergeblich zu verbergen, in welcher Verfassung sie sich beide befanden. Einfach im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr ganz Herr ihrer eigenen Sinne, was eben dem scharfen Blick des hohen Handelsherrn nicht entgehen konnte.

Er erwachte aus seiner Erstarrung, wandte sich ab, um die Tür hinter sich zu schließen. Sekundenlang kehrte er den beiden den Rücken zu. Dann wandte er sich pedantisch langsam wieder um.

Chen wollte etwas sagen, doch eine gebieterische Handbewegung ihres Vaters ließ sie verstummen. Er hatte jetzt nur noch Augen für John van Aarden.

„Ich habe dich in mein Haus gelassen. Ich habe dich respektvoll behandelt, beinahe wie einen Freund. Es war gut für uns beide. Gemeinsam konnten wir erfolgreich sein. Aber du weißt, wie wichtig mir meine Tochter ist?“

John nickte zögernd und schlug wie beschämt die Augen nieder. Er konnte dem strengen Blick des Hausherrn nicht standhalten.

„Ich weiß dies alles sehr wohl“, gab er brüchig zu, „aber Chen ist auch für mich von ganz besonderer Wichtigkeit.“

„Ja, das sehe ich!“, war die lapidare Entgegnung von Wah.

Irritiert wagte es John, aufzusehen. Aus dem unbewegten Gesicht Wahs konnte er nicht herauslesen, was dieser dachte, aber er wirkte dabei sehr streng.

Ja, sehr wohl streng, aber keineswegs abweisend. Es erschien eher so, als hätte er gar nicht vor, John aus dem Haus zu jagen, wie bereits befürchtet, und sogar die Handelsbeziehungen an dieser Stelle vollkommen abzubrechen.

„Ich habe gelernt, Menschen einzuschätzen“, betonte Handelsherr Wah mit deutlicher aber ruhiger Stimme. „Auch wenn sie keine Chinesen sind. Das half mir bei meiner Arbeit. Ich wäre nicht halb so erfolgreich, könnte ich das nicht. Und deshalb bin ich mir durchaus sicher, dass du die Wahrheit sagst, dass es stimmt, was du behauptest. Und ich kenne meine Tochter gut genug, um zu wissen, wem auch ihr Herz gehört.“

Das hörte sich für beide allerdings so an, als würde da zwangsläufig noch ein großes Aber folgen.

Wah ließ sich dazu Zeit. Er ließ dabei die Liebenden nicht aus den unergründlichen Augen.

Endlich fuhr er fort: „Das Kaiserreich befindet sich in einer prekären Lage. Noch betrifft es unsere Handelsbeziehungen nicht direkt, aber das wird sich ändern, sobald Peking wirklich angegriffen wird von der Rebellenarmee. Inzwischen ist das nämlich längst nicht mehr nur ein wildes Gerücht, wie man allerorten munkelt. In dieser Stadt hat die Angst Fuß gefasst. Alle fürchten um ihre Existenz – und die meisten sogar um ihr Leben. Und da meint ihr beide, es wäre noch Zeit für so etwas? Eine Liebe, die nicht nur alle Standesgrenzen, sondern vor allem alle Kulturgrenzen zu ignorieren sich anschickt?

Du, Chen, bist sehr tüchtig als meine würdige Nachfolgerin. Das macht mich stets sehr stolz als dein Vater. Aber du würdest mehr als nur deine Ehre und dein Gesicht verlieren, wenn bekannt würde, dass du dich auf einen Ausländer einlässt. Ist dir das denn überhaupt nicht klar?“

Chen nickte dazu.

„Natürlich ist mir das klar, Vater. Aber auch John weiß um die Schwierigkeiten für unsere Liebe. Und dennoch können wir uns ihrer nicht einfach so erwehren.“

„Du gefährdest alles, was ich aufgebaut habe, ja, du gefährdest deine eigene Zukunft, einfach alles, was unsere Familie ausmacht.“

Wah deutete auf John van Aarden.

„Einmal abgesehen davon, dass es niemand akzeptieren würde, wenn er als Ausländer und Gast unseres Reiches eine engere Verbindung einginge mit ausgerechnet einer Tochter aus so hohem Hause. Man wird Gründe finden, um ihn zu vernichten. Falls ihm nicht noch Schlimmeres widerfährt.“

„Das alles wissen wir“, gestand John indessen, kehrte zu Chen zurück und legte wie beschützend seinen Arm um sie. „Und dennoch würde ich mit Freuden sogar für Eure Tochter sterben.“

Stumm betrachtete Wah das junge Glück, das für ihn eher eine Katastrophe war. Doch er hatte offensichtlich beschlossen, nicht streng zu sein. Dafür liebte er seine Tochter viel zu sehr. Dennoch konnte und durfte er nicht tatenlos zusehen, wie Chen gemeinsam mit dem Mann ihrer Liebe dem wahren Abgrund entgegen steuerte.

„Ich appelliere an euch beide. Vor allem an dich, Chen. Du weißt, dass sogar dieser Kommandant Wu dir Avancen macht. Er ist ein bedeutender Offizier unseres Kaiserreiches. Was glaubst du wohl, wie er reagiert, falls deine Beziehung zu John van Aarden offiziell werden würde? Glaubst du denn, er würde das so einfach hinnehmen? Als Kommandant des wichtigsten Forts im weiten Umkreis? Als Kommandant gewissermaßen der letzten Bastion vor den einfallenden Mandschuren, die genau an dieser Stelle stets und ständig versuchen, die Große Mauer zu umgehen?“

Beide schlugen jetzt die Augen nieder.

Wah wandte sich zum Gehen.

„Ich lasse euch jetzt allein, erwarte jedoch, dass du, John van Aarden, mein Haus verlässt und sobald nicht mehr hierher zurückkehrst. Wir müssen gewappnet sein gegen die Dinge, die uns bevorstehen. Da hat eine Liaison wie diese mit meiner einzigen Tochter wahrlich keinerlei Platz.

Zumindest bis vielleicht alles vorbei und hoffentlich überstanden sein wird. Dann erst werden wir uns gemeinsam hier wieder einfinden und diese Unterredung fortführen.“

„Nein!“, sagte Chen daraufhin trotzig und ließ damit ihren Vater stoppen, der gerade den Raum verlassen wollte.

Er wirbelte auf dem Absatz halb um die eigene Achse. Anscheinend traute er seinen Ohren nicht, denn einen solchen Ton war er von seiner Tochter wahrlich nicht gewöhnt.

Sie erwiderte diesmal fest seinen Blick. „Nein!“, wiederholte sie. „Wenn John van Aarden dieses Haus verlässt, werde ich mit ihm gehen.“

„Du willst während der vielleicht größten Krise, die uns droht, deinen Vater verlassen, ihn im Stich lassen?“

„Nein, das will ich ganz und gar nicht. Es sei denn, du zwingst mich dazu. Tut mir leid, aber ich kann John nicht einfach so wieder gehen lassen.“

Wah schöpfte tief Atem, und beide erwarteten daraufhin einen Zornesausbruch, doch der Handelsherr hatte sich besser im Griff als erwartet. Mit mühsam unterdrückter Stimme sagte er: „Würde ich dich als meine ansonsten so wohl geratene Tochter nicht so sehr lieben und schätzen, würde ich dich jetzt einfach davon ziehen lassen. Wo es doch dein sehnlicher Wunsch zu sein scheint. Aber das kann und will ich nicht. Ja, immer noch nicht. Deshalb appelliere ich noch einmal an die Vernunft von dir, John van Aarden. Du solltest jetzt vernünftig genug sein für euch beide.“

„Ich werde auch auf ihn nicht hören!“, warnte Chen daraufhin. „Bitte, Vater, siehst du denn nicht, dass dadurch alles nur noch schlimmer wird? Es gibt eigentlich ja noch gar keine richtige Beziehung zwischen John und mir. Wir lieben uns zwar schon seit wir uns zum ersten Mal begegnet sind, aber …“

„Seit ihr euch zum ersten Mal begegnet seid?“, wunderte sich jetzt Handelsherr Wah. „Wann soll das denn gewesen sein?“

„Das ist noch nicht allzu lange her. Es scheint wie ein Wunder, dass wir uns niemals zuvor über den Weg gelaufen sind. Auch nicht zufällig. Obwohl John schon länger Geschäfte mit dir macht. Aber du hast dir die Auslandsgeschäfte und die Begegnung mit den ausländischen Händlern immer selbst ausbedungen und wolltest mich nie direkt daran beteiligen.“

„Hätte ich das nur auch noch weiterhin beibehalten“, seufzte Wah ergeben. Dann winkte er auf einmal mit beiden Händen ab. „Ich bitte euch jetzt beide. Und nein, es soll kein Befehl sein oder auch nur eine Aufforderung, sondern tatsächlich nur die Bitte eines besorgten Vaters und Handelsherrn: Ihr müsst eure Gefühle zügeln. Niemand darf davon etwas mitbekommen. Wirklich niemand. Ihr seid beide erwachsene Menschen und wisst selbst um die Risiken und Gefahren einer solchen verbotenen Liebe, und diese gehen nicht nur von einem Kommandanten Wu aus, sondern praktisch von jedem, der im Reich Rang und Namen hat.“

John nahm daraufhin seinen Arm von Chens Schulter.

„Es ist uns beiden bewusst, und natürlich will ich nichts riskieren, was Chen schaden könnte. Unsere Liebe ist wahr und rein und erfüllt unser beider Herz. Ich werde jetzt dennoch gehen, genau um diese Liebe zu beschützen und sie keinerlei Gefahren auszusetzen.“

Er wandte sich tatsächlich zum Gehen, doch das ließ Chen nicht zu. Sie ließ ihn nicht allein gehen und schloss sich ihm spontan an.

„Warte, ich werde dich zumindest hinausbegleiten. Hier, in unserem Haus, gibt es nur Loyale, die nichts verraten werden, falls sie überhaupt etwas mitbekommen sollten.“

Bevor sie gemeinsam mit John jedoch den Raum verließ, wandte sie sich doch noch einmal kurz an ihren Vater.

„Bitte, sei nicht allzu böse über mich. Ich will dir auch weiterhin die beste Tochter sein, die du dir wünschen kannst. Aber John ist mir wichtig. Ich kann wirklich nicht anders. Deshalb hoffe ich auf dein Verständnis. Dass du uns unterstützt, wenn wir unsere Verbindung nach außen hin geheim halten.“

„Glaubst du denn wirklich, das könnte gelingen?“, meldete Handelsherr Wah letzte Zweifel an, und schon waren Chen und John draußen.

So trug es sich zu, dass beide gemeinsam am Hauseingang erschienen. Chen nur, um sich an der Tür von John zu verabschieden. Mit einem ersten Kuss. Noch sehr zaghaft, flüchtig, eher wie unter guten Freunden, aber nicht unbeobachtet, wie sie beide in diesem Moment glaubten.

Eine Viertelstunde später schon jedenfalls wusste Kommandant Wu davon – und das ließ ihn schier überschäumen vor Wut und Enttäuschung.

9

Niemand schafft die Karriere zu einem hohen Offizier von besonderer Bedeutung, der nicht gewöhnt ist zu kämpfen. Um zu siegen. Und nur dafür. In keiner Nation der Welt und zu keiner Zeit. Somit war Kommandant Wu alles andere als jemand, der eine solche Niederlage einfach so hinnehmen konnte.

Und er wertete es als eine ganz besonders schmerzliche Niederlage. Immerhin zog Chen eindeutig einen anderen Mann vor. Dessen Gunst bedeutete ihr also mehr als sogar die eines hohen Offiziers von seinem Rang und Namen? Und dann auch noch ein Ausländer?

Es blieb ihm gewissermaßen gar nichts anderes übrig, als dem Einhalt zu gebieten. Mit welchen Mitteln auch immer. Und in der Wahl seiner Mittel war Kommandant Wu noch niemals sonderlich zimperlich gewesen. Sonst wäre er eben niemals der geworden, der er heute war.

Es musste ihm nur noch die richtige Strategie für sein weiteres Vorgehen einfallen. Und um das zu erreichen, musste er zunächst einmal seinen Zorn, seine Wut und seine Enttäuschung überwinden, um mit klarem Verstand seine Möglichkeiten abzuwägen.

Niemand konnte ihm sagen, wie eng Chen mit diesem John van Aarden bereits war. Allerdings spielte das im Grunde genommen für ihn keinerlei Rolle. So ein Kuss, und sei er auch noch so flüchtig und vielleicht sogar unbedeutend, war zumindest ein Schritt in die in seinen Augen völlig falsche Richtung. Und wenn tatsächlich noch nicht mehr zwischen den beiden war als dieser Kuss zu verraten schien, umso so besser. Dann musste er nicht wirklich um „seine“ Chen fürchten. Dann musste er eben nur alles daran setzen, um John van Aarden als einen zumindest möglichen Rivalen rechtzeitig genug auszuschalten.

Auf dem Weg zur nächsten Besprechung unter hohen Offizieren, was den drohenden Konflikt mit der Rebellenarmee betraf, die sich jeden Augenblick auf den Weg hierher machen konnte, kam ihm dann auch tatsächlich so eine Art Erleuchtung.

Eigentlich erschien es nur logisch. Die Rebellen waren derzeit eindeutig das größte Problem. Ihre Armee konnte ja tatsächlich jederzeit sich auf den Weg hierher machen, um Peking zu überrennen. Deshalb war er ja noch hier, anstatt zurückzukehren in sein Fort.

Allerdings war dort zur gleichen Zeit nichts Neues zu erwarten. Das hieß, es war erstaunlich ruhig am Ende der Großen Mauer. Vielleicht ja sogar die berüchtigte Ruhe vor dem Sturm?

Wie auch immer: Sein Rat als hoher Offizier war jetzt vor allem eben hier erforderlich. Und was, wenn er wie beiläufig die Möglichkeit einmal ansprach, dass die Rebellen unerwartete Unterstützung erhalten könnten? Beispielsweise aus dem Ausland? Und wer würde dafür in Frage kommen?

Allzu viele Ausländer gab es nicht im Kaiserreich. Wenn doch, dann handelte es sich neben Missionaren um Händler. Sonst bekamen sie überhaupt erst gar keinen Zutritt. Und kein Ausländer würde es wagen, illegal im Kaiserreich leben zu wollen. Zumal man ja einem Ausländer seine Fremdartigkeit gewissermaßen schon von Weitem deutlich genug ansehen konnte.

Und jene, die legal sich nicht nur im Kaiserreich, sondern vor allem hier in Peking befanden, das waren eben fast ausnahmslos Händler, mit denen das Kaiserreich zum eigenen Vorteil Geschäfte machte.

Was, wenn diese Händler mehr im Sinn hatten als nur den legalen Handel? Was, wenn sie vielleicht sogar mit den Rebellen heimlich sympathisierten? Mehr noch: Was, wenn sie die Rebellen gegen entsprechende Gegenleistung … mit modernen Waffen, wie europäische Musketen beispielsweise, belieferten?

Nur so einmal als Annahme, als Möglichkeit, die er geschickt mit in die Gespräche einbrachte. Denn wenn die Rebellen tatsächlich mit modernen Musketen ausgerüstet sein sollten, vergrößerte sich die Gefahr durch sie entsprechend. Was jene Ausländer, die man zu einer solchen Tat verdächtigen könnte, ganz besonders verabscheuungswürdig machte.

Natürlich hatte Kommandant Wu dabei nicht irgendwelche ausländischen Händler im Sinn, die sowieso wohl allesamt unschuldig waren, was dies betraf, sondern im Grunde genommen nur einen: Händler John van Aarden vom Kontor der Ostindischen Handelsgesellschaft!

Und genauso ging er dann auch tatsächlich vor. Er erwähnte es wie beiläufig. Als Möglichkeit, die man immerhin nicht völlig außer Acht lassen sollte.

Zunächst ging niemand darauf ein, aber er war gehört worden. Soviel stand fest. Und das bewies sich dadurch, dass nach einer gewissen Verzögerung tatsächlich auf diese Möglichkeit eingegangen wurde. Weil man dafür anscheinend eine gewisse Gedenkpause benötigt hatte.

Erst einmal wurde ganz allgemein das angesprochen, was die Aufmerksamkeit für dieses Thema rasch erhöhte. Und dann wurde darüber debattiert.

Wobei beinahe schon wieder verlorengegangen war, wer überhaupt anfangs diese Möglichkeit eingebracht hatte. Aber dann wurde Kommandant Wu doch noch ganz direkt darauf angesprochen, wie von ihm von Anfang an beabsichtigt:

„Wie kommen Sie überhaupt auf eine solche Möglichkeit, Kommandant Wu?“

Der Angesprochene spielte seine Rolle mehr als perfekt. Er verzog erst einmal nur kurz das Gesicht. Dann schürzte er die Lippen, als müsste er noch genau nachdenken. Doch dann meinte er vorsichtig: „Ich bitte um Verzeihung, aber da liegt mir nichts Konkretes vor. Sonst hätte ich schon gleich darauf hingewiesen. Es ist vielmehr als Gerücht zu verstehen, das mir zu Ohren kam. Weil man natürlich um meine besondere Rolle als hoher Offizier weiß und wohl die Annahme vertrat, ich sei als Adressat für dieses Gerücht geeignet.“

„Welches Gerücht?“, wurde sogleich nachgehakt, wie von ihm erwartet.

Die anderen Offiziere in der illustren Runde sahen sich betroffen an. Dann hefteten sich ihre Blicke wieder auf Kommandant Wu.

„Bitte, ich möchte wirklich betonen, dass es mir lediglich als Gerücht erscheint, aber wir sollten dennoch die Möglichkeit als solche nicht von der Hand weisen. Denn obwohl wir wissen, dass unsere ausländischen Handelspartner sich kaum jemals unbeobachtet hier in Peking bewegen können, ist ja nicht wirklich völlig auszuschließen, dass sie nicht doch noch neben den offiziellen Handelsbeziehungen auch noch höchst inoffizielle unterhalten könnten.“

„Aber das würde doch auffallen, nicht wahr? Eben weil die Händler kaum jemals sich unbeobachtet wähnen können!“, kam der berechtigte Einwand.

Kommandant Wu nickte bedächtig vor sich hin.

„Genau das hat mich ja letztlich stutzig gemacht: Alle Händler scheinen sich tatsächlich an die ihnen auferlegten Pflichten zu halten, wie es sich gehört. Es scheint keinerlei Abweichungen zu geben. Bis eben …“

Er sah in die Gesichter der anderen, die erwartungsvoll seinen Blick erwiderten.

„Bis auf einen gewissen John van Aarden!“

Er hob sogleich wie abwehrend beide Hände.

„Bitte, ich möchte ihn keineswegs beschuldigen, zumal mir keinerlei Beweise vorliegen und es sich tatsächlich nur um ein böses Gerücht handeln kann. Etwa von seinen ausländischen Konkurrenten in die Welt gesetzt. Aber wir sollten es vielleicht dennoch nicht auf die leichte Schulter nehmen?“

„Was wirft man ihm denn gerüchtehalber im Einzelnen vor? Oder ist das einfach nur so eine vage Vermutung ohne jeglichen konkreten Ansatz?“

Kommandant Wu wiegte diesmal bedächtig den Kopf.

„Wenn es so wäre, umso besser. Dann hätte ich es auch gar nicht erwähnen müssen, nicht wahr? Aber es ist leider doch schon ein wenig konkreter, denn es heißt, er würde den Rebellen, die nicht nur unsere Stadt, sondern das ganze Kaiserreich bedrohen, eben moderne europäische Musketen liefern. Davon scheint es ja in Europa hinreichend viele zu geben, zumal wir wissen, dass dort seit vielen Jahren kriegerische Auseinandersetzungen gewissermaßen an der Tagesordnung sind.“

„Dann wäre ja dieser John van Aarden in zweifacher Hinsicht sogar ein besonders verdammenswerter Charakter“, stellte einer der Offizier daraufhin erbittert fest. „Nicht nur, dass er sein eigenes Volk schwächt, indem er ihm die eigenen Waffen entwendet: Er verkauft diese Kriegsbeute dann sogar an die kaiserlichen Rebellen. Noch schändlicher ist ja gar nicht möglich!“

„Falls es wirklich stimmen sollte!“, gab ein anderer allerdings zu bedenken.

Wobei ein Dritter durchaus einen Weg sah, zu mehr Erkenntnis zu gelangen. „Nur einer kann uns sagen, ob das wirklich stimmt oder nicht: Nämlich dieser Händler John van Aarden selbst! Wir sollten ihn daher festsetzen, so bald wie möglich, und ihn einem Verhör unterziehen.

Falls er unschuldig sein sollte, wird er uns das belegen müssen und sicherlich auch können. Falls nicht, müssen wir versuchen, über ihn an jene Rebellen heranzukommen, die an diesem Handel beteiligt sind. Denn ich kann mir kaum vorstellen, dass er persönlich mit der Armee dort draußen verhandeln konnte. Hätte er dafür nämlich Peking auch nur einmal verlassen, wäre das aufgefallen, nicht wahr?“

„Sie meinen, er hätte womöglich Verbündete hier in Peking, sozusagen als seine Vermittler?“

„Was sonst? Damit müssen wir rechnen. Wir müssen mit einkalkulieren, dass es bereits in der Stadt Rebellen gibt oder zumindest Sympathisanten. Die als hoffnungslose Minderheit natürlich keine Chance haben, offen aufzutreten, aber gerade für solche illegalen Handelsbeziehungen wären sie geradezu ideal für die Rebellenarmee.“

Kommandant Wu konnte ein siegesgewisses Lächeln kaum unterdrücken. Er beteiligte sich an dieser Debatte selbst überhaupt nicht mehr. Niemand durfte je auf den Gedanken kommen, dass er mit seinem angeblichen Gerücht etwa persönliche Interessen verfolgte.

Allerdings setzte sich in ihm der Gedanke fest, dass Chen unbedingt erfahren musste, dass John van Aarden, der Mann, der offensichtlich mehr Chancen bei ihr hatte als sogar er als Kommandant, in dringenden Verdacht geraten war. Das sollte ihr zeigen, dass John van Aarden sowieso der Falsche war. Und vielleicht würde sie dabei auch ahnen, wie weit die Macht eines Kommandanten Wu bereits reichte.

Denn Kommandant Wu war sich sehr sicher, dass es für so herausragend starke und schöne Frauen wie Chen nichts Überzeugenderes geben konnte, als männliche Macht und männlichen Einfluss, der über ihren eigenen Einfluss weit hinaus ging.

Ja, er war sich da vollkommen sicher. Und deshalb erfuhr Chen von der bevorstehenden Verhaftung tatsächlich noch deutlich vor John van Aarden.

Das einzige, was Kommandant Wu dabei zutiefst bedauerte: Er hätte gern persönlich gesehen, wie Chen auf diese Botschaft reagierte. Leider war er dabei auf den Bericht seines Boten angewiesen. Desselben jungen Mannes aus der Palastwache, den er eigens dazu beauftragt hatte, in seinem Namen Chen erste Avancen zu machen.

Etwas, was der Wachmann höchst ungern getan hatte. Wie er auch diesen Auftrag jetzt höchst ungern durchführte, aber wie hätte er als kleiner Wachmann sich gegen eine Anordnung des hohen Offiziers Kommandant Wu wehren können?

Obwohl er sich natürlich insgeheim fragte, wieso Kommandant Wu dafür nicht einen seiner eigenen Leute benutzte. War es, weil diese Chen ihn schon kannte? Weil er ihr damit indirekt signalisieren wollte, von wem überhaupt dieser Tipp eigentlich ausging, obwohl der Wachmann natürlich den Namen Kommandant Wu unter keinen Umständen verraten durfte?

Oder war es, damit Kommandant Wu seine Hände im wahrsten Sinne des Wortes in Unschuld waschen konnte, falls dies jemals ans Licht kommen würde?

Kommandant Wu würde es ihm niemals verraten, aber der Wachmann hatte tatsächlich den Verdacht, dass genau das zutreffend war: Genau deshalb nämlich hatte Kommandant Wu keinen seiner eigenen Leute entsandt. Nämlich aus beiden Gründen, die sich gegenseitig ganz klar ergänzten.

Er musste es dennoch tun und anschließend berichten, wie bestürzt Chen darauf reagiert hatte.

10

Während einer Zeit der Bedrohungen, sowohl von außen als auch von innen, war es leider so, dass die kaiserlichen Gardisten ganz besonders rigoros vorgingen, sobald auch nur der geringste Verdachtsfall entstand.

Das war allgemein bekannt und entsprechend gefürchtet. Jeder musste letztlich damit rechnen, allein nur durch Denunziation schon zum Opfer der Kaisermacht zu werden, die vor nichts zurückschreckte. Deshalb wusste Chen durchaus, was es wirklich bedeutete, dass man beabsichtigte, John festzunehmen, um ihn zu befragen.

Das war keine harmlose Befragung, also alles andere als das, wonach es klang. Das würde ein Verhör werden mit Foltermethoden, an die man besser noch nicht einmal denken sollte, geschweige sie sich ausmalen.

Selbst wenn John dieser „hochnotpeinlichen Befragung“ standhalten würde, würde er danach nicht mehr derselbe sein können. Vielleicht würde er sich körperlich davon erholen, aber ansonsten? Man kannte diese Fälle. Immerhin in einer Zeit, in der das Kaiserreich nichts mehr fürchtete als Verräter in den eigenen Reihen, gegen die man meinte, ohne Rücksicht auf Verluste vorgehen zu müssen.

Dass dies letzten Endes erst recht dazu führte, Sympathien für das Kaiserreich zu verlieren, wurde dabei allerdings von niemandem bedacht, der dafür verantwortlich zeichnete. Man versuchte vielmehr, das Schlimmste vom Reich abzuwenden, ausgerechnet durch immer weitere Verbreitung von Angst und Terror.