8 Superspannende Thriller November 2025 - Alfred Bekker - E-Book

8 Superspannende Thriller November 2025 E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Krimis: Trevellian und das leere Theater: Thriller (Frank Maddox) Alain Boulanger und der Heilige von Paris (Henry Rohmer) Der Hacker (Alfred Bekker) Kubinke und das einsame Grab (Alfred Bekker) Künstlerpech für Mörder (Alfred Bekker) Kommissar Jörgensen und der Killer von Altona (Alfred Bekker) Commissaire Marquanteur und der Mordzeuge von Marseille (Alfred Bekker) Commissaire Marquanteur und die Rache (Alfred Bekker) Clément Degresse ist eigentlich in der alten Fabrikhalle, um ein illegales Geschäft abzuschließen. Doch schnell muss er erkennen, dass es sich um eine Falle handelt. Jemand will ihn büßen lassen für ein Verbrechen, an dem er vor Jahren beteiligt war. Commissaire Marquanteur von der Kriminalpolizei in Marseille muss einen eiskalten Rachefeldzug aufhalten, aber jedes Detail dieser blutigen Rache scheint gut geplant. Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Jack Raymond, Jonas Herlin, Dave Branford, Chris Heller, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

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Seitenzahl: 973

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Alfred Bekker, Henry Rohmer, Frank Maddox

8 Superspannende Thriller November 2025

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Inhaltsverzeichnis

8 Superspannende Thriller November 2025

Copyright

Trevellian und das leere Theater: Thriller

Alain Boulanger und der Heilige von Paris

Der Hacker

​Kubinke und das einsame Grab: Thriller

Künstlerpech für Mörder: Thriller

Kommissar Jörgensen und der Killer von Altona

​Commissaire Marquanteur und der Mordzeuge von Marseille

Commissaire Marquanteur und die Rache

Orientierungspunkte

Titelseite

Cover

Inhaltsverzeichnis

Buchanfang

8 Superspannende Thriller November 2025

von Alfred Bekker, Henry Rohmer, Frank Maddox

Dieser Band enthält folgende Krimis:

Trevellian und das leere Theater: Thriller (Frank Maddox)

Alain Boulanger und der Heilige von Paris (Henry Rohmer)

Der Hacker (Alfred Bekker)

Kubinke und das einsame Grab (Alfred Bekker)

Künstlerpech für Mörder (Alfred Bekker)

Kommissar Jörgensen und der Killer von Altona (Alfred Bekker)

Commissaire Marquanteur und der Mordzeuge von Marseille (Alfred Bekker)

Commissaire Marquanteur und die Rache (Alfred Bekker)

Clément Degresse ist eigentlich in der alten Fabrikhalle, um ein illegales Geschäft abzuschließen. Doch schnell muss er erkennen, dass es sich um eine Falle handelt. Jemand will ihn büßen lassen für ein Verbrechen, an dem er vor Jahren beteiligt war. Commissaire Marquanteur von der Kriminalpolizei in Marseille muss einen eiskalten Rachefeldzug aufhalten, aber jedes Detail dieser blutigen Rache scheint gut geplant.
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Jack Raymond, Jonas Herlin, Dave Branford, Chris Heller, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

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© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Trevellian und das leere Theater: Thriller

Frank Maddox

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Trevellian und das leere Theater: Thriller

von Frank Maddox

Ein stilles Theater. Eine tödliche Vorstellung.

In einem verlassenen Theater in Harlem machen die Behörden eine grausame Entdeckung: Dreiunddreißig Mitglieder eines obskuren Kults liegen tot in einem perfekten Kreis, scheinbar Opfer eines rituellen Massenselbstmordes. Für die Special Agents Jesse Trevellian und Milo Tucker vom FBI scheint der Fall eine menschliche Tragödie zu sein – bizarr, aber abgeschlossen.

Doch ein Detail passt nicht ins Bild: Der Anführer des Kults wurde nicht vergiftet. Er wurde ermordet. Mit einer einzigen, präzisen Nadel ins Herz.

Es ist die unverkennbare Handschrift eines Geistes, einer legendären Profikillerin, die Trevellian und Tucker erst kürzlich zur Strecke gebracht zu haben glaubten. Während sie versuchen, die einzige, traumatisierte Überlebende zum Sprechen zu bringen, wird ihnen klar, dass sie es nicht mit einem Nachahmer zu tun haben. Eine neue Generation des Bösen ist aus den dunkelsten Ecken des Kalten Krieges aufgetaucht – jünger, unberechenbarer und in der Kunst der psychologischen Zerstörung geschult.

In einem Wettlauf gegen die Zeit müssen Trevellian und Tucker ein Monster aufhalten, das nicht den Körper jagt, sondern den menschlichen Willen selbst. Die Jagd führt sie von den Schatten New Yorks bis in die verfluchten Hallen einer verlassenen psychiatrischen Anstalt, wo sie erkennen müssen, dass ihr Gegner nicht nur töten will. Er will beweisen, dass es keine Seele gibt, die er nicht brechen kann.

Glossar

Personen

Trevellian, Jesse: Special Agent beim FBI Field Office New York. Er ist bekannt für seine ruhige, analytische und empathische Vorgehensweise bei Ermittlungen.Tucker, Milo: Special Agent beim FBI und Jesse Trevellians Partner. Er ist das Gegenstück zu Trevellian: direkt, ungeduldig und oft zynisch, aber absolut loyal und ein fähiger Agent im Außeneinsatz.McKee, Mister: Der Special Agent in Charge (SAC) des FBI Field Office New York und der direkte Vorgesetzte von Trevellian und Tucker. Ein erfahrener, pragmatischer Leiter, der sein Team fordert, aber auch schützt.Medina, Orry: Special Agent beim FBI, arbeitet oft im Team mit Clive Caravaggio. Spezialisiert auf verdeckte Ermittlungen und die Arbeit mit Informanten.Caravaggio, Clive: Special Agent beim FBI und Partner von Orry Medina. Ein robuster Agent, der für die härteren Außeneinsätze bekannt ist.LaRocca, Fred: Special Agent beim FBI, der oft für die Koordination zwischen verschiedenen Einheiten und die Überwachung von taktischen Operationen zuständig ist.Norton, Nat: Ein ziviler Spezialist und Analyst beim FBI, der im Team von McKee arbeitet. Seine Expertise liegt in der Wirtschafts- und Finanzkriminalität sowie in der digitalen Forensik und Datenanalyse.Finch, Dr. Alistair: Ehemaliger Universitätsprofessor für Religionswissenschaft und Gründer der spirituellen Gruppe „Children of Lumen“ (Kinder des Lichts).Maya Al-Jamil: Ein junges Mädchen aus New Jersey, das als vermisst gemeldet wurde.

Orte

Federal Plaza: Standort des Jacob K. Javits Federal Building in Manhattan, in dem sich das New Yorker Field Office des FBI befindet. Der zentrale Arbeitsplatz der Protagonisten.Majestic-Theater: Ein altes, verfallenes Theater im New Yorker Stadtteil Harlem, das einst eine berühmte Bühne für Künstler der Harlem Renaissance war.Clearwater Mountain Asylum: Ein großes, seit Jahrzehnten geschlossenes und verlassenes Sanatorium im ländlichen Norden des Staates New York.Das Nest (The Nest): Codename für eine geheime, experimentelle Einrichtung aus der Zeit des Kalten Krieges.

Abkürzungen und Begriffe

FBI (Federal Bureau of Investigation): Die wichtigste Ermittlungsbehörde des US-Justizministeriums, zuständig für die Aufklärung von Bundesverbrechen.Field Office: Ein regionales Hauptbüro des FBI. Die Geschichte spielt im New Yorker Field Office.G-Man: Ein umgangssprachlicher, alter Begriff für einen Special Agent des FBI (Abkürzung für „Government Man“).GRU (Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije): Der militärische Auslandsgeheimdienst der Russischen Föderation, Nachfolger des gleichnamigen sowjetischen Dienstes.KGB (Komitet Gossudarstwennoi Besopasnosti): Der wichtigste Geheim- und Sicherheitsdienst der ehemaligen Sowjetunion.SAC (Special Agent in Charge): Der Leiter eines FBI Field Office.Speznas: Eine allgemeine Bezeichnung für Spezialeinheiten des russischen Militärs und der Geheimdienste, bekannt für ihre harte Ausbildung und ihre Expertise in verdeckten Operationen.SRD (Scientific Research Division): Eine fiktive Bezeichnung für die wissenschaftliche Forschungsabteilung bzw. Spurensicherung des FBI (in der Realität entspricht dies in etwa der „Laboratory Division“).Children of Lumen (Kinder des Lichts): Eine kleine, zurückgezogen lebende spirituelle Gemeinschaft.Luminary: Englisch für „Leuchte“ oder „Lichtgestalt“; der Titel, den der Anführer der „Children of Lumen“ trägt.

Kapitel 1

1

Die Nacht über Manhattan war klar und kalt, ein Samttuch, durchstochen von einer Million Lichter. Im 80. Stock des brandneuen Chronos Towers, einem Monolithen aus schwarzem Glas und Stahl, der die Skyline von Midtown durchbohrte, war von der Kälte nichts zu spüren. Hier oben, in seinem Penthouse, das er spöttisch „die Festung“ nannte, herrschte Julian Croft über sein digitales Imperium.

Er stand vor der raumhohen Panzerglasfront und blickte auf die Stadt hinab, ein Glas sündhaft teuren Whiskeys in der Hand. Croft war ein Mann, der sich seine Feinde verdiente wie andere Leute Bonusmeilen sammelten. Er war brillant, rücksichtslos und besaß das Charisma eines Raubtiers. Sein Unternehmen, Chronos Corp., kontrollierte die globalen Datenströme auf eine Weise, die Regierungen nervös und Konkurrenten blass werden ließ.

Ein leises Surren durchbrach die Stille, kaum lauter als das Summen einer Mücke. Croft bemerkte es nicht einmal. Er war zu sehr mit dem Gedanken an die morgige Anhörung vor dem Senatsausschuss beschäftigt. Er würde aussagen. Und wenn er fertig war, würde von seinem größten Rivalen, der Phoenix Group, nicht mehr als ein Haufen Asche übrig sein.

Draußen, unsichtbar vor dem dunklen Himmel, schwebte eine Drohne von der Größe einer Wespe. Sie war ein Meisterwerk der Tarntechnologie, entwickelt in einem Labor, das offiziell nicht existierte. An ihrer Unterseite befand sich eine Nadel, feiner als ein menschliches Haar, beschichtet mit einem potenten Neurotoxin, das einen Herzstillstand innerhalb von Sekunden auslöste, ohne eine Spur zu hinterlassen.

Die Drohne richtete ihren Laser-Zielerfasser auf einen winzigen, fast unsichtbaren Spalt in der Dichtung des Panoramafensters – eine Schwachstelle, die nur jemand kennen konnte, der die Baupläne der Festung bis ins kleinste Detail studiert hatte. Ein Zischen, leiser als ein Atemzug, und die Nadel schoss durch den Spalt.

Croft spürte einen winzigen Stich im Nacken. Er zuckte zusammen, fuhr sich mit der Hand an die Stelle. Eine Mücke? Hier oben? Er runzelte die Stirn. Ein seltsames Kribbeln breitete sich in seiner Brust aus. Sein Herzschlag geriet ins Stolpern, einmal, zweimal. Er keuchte nach Luft, seine Finger öffneten sich. Das schwere Kristallglas fiel auf den persischen Teppich, der Whiskey bildete eine dunkle Lache. Seine Augen weiteten sich in ungläubigem Schock, als sein eigenes, hochmodernes Sicherheitssystem ihm einen Herzinfarkt meldete. Dann wurde alles schwarz.

Kilometer entfernt, in einem anonymen Van, der in einer dunklen Gasse in Queens geparkt war, beobachtete eine Gestalt den Vitalmonitor-Feed, den sie von Crofts internem System abgriff. Die Linie war flach. Die Gestalt nickte zufrieden. Der Laptop wurde zugeklappt. Der Motor des Vans sprang an und verschmolz lautlos mit dem nächtlichen Verkehr. Der Geist war wieder verschwunden.

2

„Ich sage dir, Milo, dieser Kaffee schmeckt, als hätte jemand eine Zigarre darin ausgedrückt.“

Ich nahm einen weiteren Schluck aus dem Pappbecher und verzog das Gesicht. Der allmorgendliche Stau auf dem FDR Drive war die Hölle, und der Kaffee aus der Bodega an der Ecke machte es nicht besser.

Mein Partner, Milo Tucker, grinste. „Sei doch froh, Jesse. Das ist das Einzige, was dich heute Morgen wachhält. Dein Charme tut es jedenfalls nicht.“

Wir waren auf dem Weg zum Federal Plaza, ein Tag wie jeder andere. Routine, Papierkram und die leise Hoffnung, dass irgendwo ein Fall aufploppte, der mehr erforderte als das Ausfüllen von Formularen. Die Hoffnung sollte nicht enttäuscht werden.

Mein Handy schrillte. Es war die durchgeschaltete Nummer von Mister McKee, dem Special Agent in Charge unseres Field Office.

„Trevellian.“

„Jesse, lassen Sie den Papierkram fallen. Fahren Sie sofort zum Chronos Tower. Julian Croft ist tot.“

Ich setzte mich kerzengerade auf. Julian Croft. Jeder in Amerika kannte diesen Namen. „Todesursache?“

„Offiziell ein Herzinfarkt. Aber wir haben vor einer Stunde eine anonyme Mail bekommen. Nur ein Satz: ‚Die Uhr des Zeitmessers ist stehen geblieben. Seht genauer hin.‘ Ich will, dass Sie und Milo sich das ansehen. Diskret. Das NYPD ist vor Ort, aber die tappen im Dunkeln.“

„Verstanden, Sir.“ Ich legte auf. „Änder den Kurs, Milo. Wir haben einen toten Milliardär.“

Milo trat aufs Gas und zwängte unseren unauffälligen Chevy durch eine Lücke, die kaum existierte. „Wurde auch Zeit. Dieser Tag wurde langsam langweilig.“

Als wir in Crofts Penthouse ankamen, war die Stimmung gedrückt. Uniformierte des NYPD standen herum und versuchten, beschäftigt auszusehen. Ein Gerichtsmediziner mittleren Alters zuckte nur mit den Schultern.

„Sieht aus wie ein klassischer Infarkt, Agents. Der Mann war 45, stand unter massivem Stress. Sein eigenes medizinisches System hat es protokolliert. Keine Anzeichen für ein Fremdverschulden.“

Die Suite war eine Kathedrale aus Glas und Stahl, kühl und unpersönlich. Es roch nach teurem Leder und noch teurerem Whiskey. Ich ging zu der Stelle, an der Croft zusammengebrochen war. Der Teppich war noch feucht.

„Er hat hier gestanden“, sagte Milo und deutete auf die riesige Fensterfront. „Die beste Aussicht der Stadt, um zu sterben.“

Ich kniete mich nieder. Irgendetwas störte mich. Die Szene war zu perfekt. Zu sauber. Ich ließ meinen Blick über den makellosen Raum schweifen und dann zurück zu der Stelle am Fenster. Ich trat näher, meine Augen folgten einer imaginären Linie von der Decke zum Boden. Nichts.

Ich wandte mich dem Gerichtsmediziner zu. „Haben Sie den Körper gründlich untersucht?“

„Natürlich“, sagte er, leicht pikiert.

„Auch den Nacken?“

Er zögerte. „Ich…“

Ich trat an die Stelle, wo Crofts Kopf auf dem Teppich gelegen haben musste, und scannte den Boden. Mein Blick blieb an etwas hängen, das so winzig war, dass es fast unsichtbar war. Ich zog eine kleine Lupe aus meiner Jackentasche.

„Milo, leuchte mal hierher.“

Milo aktivierte die Taschenlampe seines Handys. Im Lichtkegel glitzerte etwas. Eine winzige, abgebrochene Nadelspitze, nicht dicker als ein Staubkorn.

„Was zum Teufel ist das?“, murmelte Milo.

Ich richtete mich auf und ging zu der Stelle an der Wand, an der die Leiche gelegen hatte, bevor sie abtransportiert wurde. Ich untersuchte den Halsbereich, den der Mediziner übersehen hatte. Und da war es. Ein winziges, fast verheiltes Loch, kleiner als ein Mückenstich.

„Deshalb sollen wir genauer hinsehen“, sagte ich leise. „Das war kein Herzinfarkt. Das war eine Hinrichtung.“

3

Zurück im Bundesgebäude an der Federal Plaza herrschte geschäftige Anspannung. Mister McKee hatte unser Team zusammengerufen. Neben Milo und mir saßen Orry Medina und Clive Caravaggio, unsere Experten für die schmutzigen Gassenkämpfe, sowie Fred LaRocca und Nat Norton, unser Wirtschafts-Guru, am großen Konferenztisch.

Mister McKee, wie immer in Hemdsärmeln und mit einem Becher dampfenden Kaffees in der Hand, kam direkt zur Sache.

„Die SRD hat die Nadelspitze analysiert. Sie enthält Spuren eines hochkomplexen, synthetischen Toxins. Militärqualität. Es verursacht einen totalen Herzstillstand und zerfällt im Körper innerhalb von Minuten. Ohne diese Nadel hätten wir nie etwas gefunden. Das war ein Profi, einer der besten.“

Er nickte Nat Norton zu. „Nat, klären Sie uns auf.“

Nat, unser wandelndes Wirtschaftslexikon, rückte seine Brille zurecht. „Julian Croft stand kurz davor, morgen vor einem Senatsausschuss auszusagen. Es geht um Wirtschaftsspionage im großen Stil. Croft wollte Beweise vorlegen, dass sein Hauptkonkurrent, die Phoenix Group, seit Jahren Geschäftsgeheimnisse stiehlt und sie an eine ausländische Macht verkauft. Wir reden hier von Technologie im Wert von hunderten Milliarden.“

„Welche ausländische Macht?“, fragte Clive Caravaggio und knackte mit den Fingerknöcheln.

„Das ist der heikle Teil“, erwiderte McKee. „Die Spuren führen nach Russland, zu einem Oligarchen, der dem Kreml sehr nahesteht. Wenn Croft ausgesagt hätte, wären nicht nur die Phoenix Group, sondern auch hochrangige russische Funktionäre bloßgestellt worden. Das Motiv ist also ein ganzes Buffet.“

„Ein Profikiller, Militär-Toxin, internationale Verwicklungen. Das riecht nach einem langen Tag im Büro“, murmelte Milo.

Mister McKee nickte ernst. „Und es wird noch besser. Die Waffe war vermutlich eine speziell angefertigte Drohne, die durch eine fast mikroskopische Schwachstelle in Crofts Sicherheitssystem eingedrungen ist. Der Killer kannte die Baupläne. Er ist ein Geist.“

Er verteilte die Aufgaben. „Jesse, Milo, ihr nehmt euch Crofts direktes Umfeld vor. Feinde, Freunde, Familie. Findet heraus, wer ihm nahe genug stand, um von dieser Schwachstelle zu wissen. Orry, Clive, ihr durchleuchtet die Phoenix Group und deren Sicherheitschef. Findet heraus, ob es Verbindungen nach Russland gibt, die über das Offensichtliche hinausgehen. Fred, du koordinierst mit den anderen Bundesbehörden. Ich will alles über diesen Oligarchen wissen.“

Er lehnte sich zurück. „Dieser Killer hat einen Fehler gemacht. Er hat eine Spur hinterlassen, so winzig sie auch sein mag. Finden Sie ihn.“

4

Unsere erste Anlaufstelle war das Hauptquartier der Chronos Corp., ein weiteres architektonisches Statement, das Bescheidenheit für eine Tugend von Verlierern hielt. Wir wollten mit Crofts Stellvertreterin sprechen, einer Frau namens Evelyn Reed.

Sie empfing uns in einem Büro, das größer war als meine Wohnung. Sie war Ende dreißig, mit scharf geschnittenen Zügen, und strahlte eine eisige Kompetenz aus. Ihre Augen waren gerötet, aber keine Träne trübte ihren Blick.

„Agents, das ist eine Tragödie. Julian war ein Visionär.“ Ihre Stimme war fest, fast zu fest.

„Miss Reed, wir gehen davon aus, dass es kein Unfall war“, sagte ich direkt.

Ihre Fassade bekam einen kaum merklichen Riss. „Was… was meinen Sie damit?“

„Wir glauben, dass er ermordet wurde“, ergänzte Milo. „Wir brauchen eine Liste aller Personen, die Zugang zu den detaillierten Bauplänen des Penthouses hatten.“

Sie schluckte. „Das sind nicht viele. Ich, der Architekt und der ehemalige Sicherheitschef, den Julian vor drei Monaten gefeuert hat.“

„Name?“, bohrte ich.

„Marcus Thorne. Ein Ex-Militär. Sehr fähig, aber… unberechenbar. Es gab einen heftigen Streit. Julian warf ihm vor, nachlässig zu sein. Thorne hat gedroht, dass Julian es bereuen würde.“ Sie reichte uns ein Tablet mit Thornes Personalakte. Das Bild zeigte einen Mann mit harten Zügen und kalten Augen. Er sah aus, als könnte er einen Bären mit bloßen Händen erwürgen.

„Wo finden wir ihn?“, fragte Milo.

„Er wohnt irgendwo in Hell's Kitchen. Mehr weiß ich nicht.“ Sie klang fast erleichtert, uns einen Verdächtigen präsentieren zu können. Zu erleichtert.

„Hatte Croft noch andere Feinde? Persönlicher Natur?“, fragte ich.

Sie lächelte ein dünnes, bitteres Lächeln. „Agent, Julian Croft hatte keine persönlichen Feinde. Für ihn war alles Geschäft.“

Als wir gingen, hatte ich das Gefühl, dass Evelyn Reed uns nur die halbe Wahrheit erzählt hatte.

5

Die Adresse von Marcus Thorne führte uns in ein heruntergekommenes Backsteingebäude in einer jener Straßen, die Touristen meiden. Der Kontrast zu Crofts glitzernder Welt hätte größer nicht sein können.

„Sieht so aus, als hätte sich die Abfindung nicht gelohnt“, sagte Milo, als wir die knarrende Treppe zu Thornes Wohnung im vierten Stock hochstiegen.

Wir waren kaum auf dem Treppenabsatz angekommen, als ein Geruch meine Nase erreichte. Eine chemische, scharfe Note. Gas? Nein, etwas anderes. Plastiksprengstoff.

„Milo, runter!“, schrie ich und warf mich instinktiv zur Seite.

Im selben Moment zerfetzte eine gewaltige Explosion die Tür von Thornes Apartment und die angrenzende Wand. Eine Druckwelle schleuderte uns gegen das Treppengeländer. Holzsplitter und Putz regneten auf uns herab. Schreie gellten durch das Treppenhaus.

Noch während der Staub sich legte, war ich wieder auf den Beinen, die SIG Sauer P 226 fest in der Hand. Milo rappelte sich neben mir hoch, das Gesicht mit Staub bedeckt.

„Alles klar?“

„Abgesehen von einem Tinnitus, bestens“, keuchte er.

Durch die rauchende Öffnung, wo eben noch die Tür gewesen war, sahen wir eine Gestalt. Ein Mann in schwarzer Kleidung sprang aus dem Fenster auf die Feuertreppe.

„Er entkommt!“, rief Milo.

Wir stürmten durch die zerstörte Wohnung, sprangen ebenfalls auf die wackelige Feuertreppe. Unter uns rannt der Mann die Metallstufen hinunter. Er war schnell.

„FBI! Stehen bleiben!“, brüllte ich, aber das war ihm offensichtlich egal.

Er erreichte den Hinterhof, rannte auf eine hohe Mauer zu. Mit einer fast katzenartigen Bewegung schwang er sich hinauf und verschwand auf der anderen Seite.

„Der kommt uns nicht weg!“, knurrte Milo.

Wir folgten ihm, rasten durch stinkende Gassen, sprangen über Mülltonnen. An einer Straßenecke sahen wir ihn wieder. Er versuchte, in der Menge unterzutauchen.

Wir teilten uns auf. Milo nahm die linke Straßenseite, ich die rechte. Ich sah, wie er in den Eingang einer U-Bahn-Station einbog. Ich sprintete hinterher, nahm zwei Stufen auf einmal. Unten auf dem Bahnsteig drängten sich die Menschen. Ein Zug fuhr gerade ein.

Ich sah ihn. Er zwängte sich in den letzten Waggon, gerade als sich die Türen schlossen.

Verdammt!

Doch dann sah ich Milo am anderen Ende des Bahnsteigs. Er hatte es geschafft, in denselben Waggon zu springen. Die Türen schlossen sich hinter ihm.

Ich zog mein Handy heraus. „Milo, Status?“

„Ich hab ihn. Letzter Waggon, Richtung Downtown. Er hat mich noch nicht gesehen. Aber er ist nervös. Und bewaffnet. Ich sehe eine Wölbung unter seiner Jacke.“

„Wir lassen den Zug an der nächsten Station anhalten und räumen den Bahnsteig. Verstärkung ist unterwegs“, sagte ich. „Lass ihn nicht aus den Augen.“

Der Zug raste in den Tunnel. Für den Mann, der gerade versucht hatte, uns in die Luft zu jagen, würde die nächste Haltestelle die Endstation sein. Der erste Stein im Puzzle war gefallen, aber ich hatte das ungute Gefühl, dass das Bild, das sich am Ende zeigen würde, noch viel hässlicher sein würde, als wir es uns vorstellen konnten. Der Geist hatte aufgeräumt. Und wir hatten gerade einen seiner Handlanger an der Angel.

Kapitel 2

6

Die U-Bahn-Station Times Square-42nd Street ist das pulsierende, chaotische Herz des New Yorker Nahverkehrs. Zu jeder Tages- und Nachtzeit ist sie ein Mahlstrom aus Menschen, Geräuschen und Lichtern – der perfekte Ort, um darin zu verschwinden, und der denkbar schlechteste Ort für eine kontrollierte Festnahme.

Ich stand am oberen Ende des Bahnsteigs und presste das Handy ans Ohr, während ich den einfahrenden Zug beobachtete. „Milo, die Einsatzkräfte sind positioniert. Sie werden den Zug am nördlichen Ende des Bahnsteigs stoppen und die Türen blockiert halten. Wir evakuieren den Bahnsteig, aber das dauert. Du musst ihn im Waggon isolieren.“

„Verstanden“, kam Milos gepresste Stimme zurück. „Er wird langsam nervös. Er spürt, dass etwas nicht stimmt.“

Der Zug kreischte zum Stehen, die Bremsen jaulten wie ein sterbendes Tier. Sofort schallten die Megafon-Durchsagen der uniformierten Kollegen durch die Station und trieben die verwirrten Passagiere zu den Ausgängen. Panik war das Letzte, was wir gebrauchen konnten.

Ich rannte den Bahnsteig entlang, die SIG Sauer fest in der Hand, verborgen unter meiner Jacke. Mein Ziel war der letzte Waggon. Durch die schmutzigen Fenster sah ich die Szene wie in einem Stummfilm: Milo, lässig an eine Stange gelehnt, tat so, als würde er auf seinem Handy tippen, doch seine Augen waren auf einen Mann in schwarzer Kleidung fixiert, der unruhig in der Mitte des Waggons stand. Es war unser Mann aus Hell's Kitchen.

Als die Leute im Waggon die Aufregung draußen bemerkten und merkten, dass die Türen sich nicht öffneten, brach Unruhe aus. Genau in diesem Moment traf der Blick des Mannes den von Milo. Ein Funke des Erkennens, ein Anflug von panischer Wut. Die Falle war zugeschnappt.

Der Mann zögerte keine Sekunde. Er war ein Profi. Anstatt zu versuchen, eine Tür aufzubrechen, wirbelte er herum und griff sich die nächstbeste Person – eine junge Frau mit Kopfhörern, die von der ganzen Situation nichts mitbekommen hatte. Er riss sie herum, presste sie vor sich und zog eine kompakte Glock 19 aus dem Hosenbund. Er drückte ihr die Mündung an die Schläfe.

„Keine Bewegung!“, brüllte er, seine Stimme gedämpft durch das Glas.

Milo hatte seine Waffe bereits gezogen. Er stand keine fünf Meter entfernt, eine unbewegliche Statue in einem Meer aus verängstigten Gesichtern. Er und der Täter starrten sich an, ein Duell der Nerven.

Draußen gaben mir die Kollegen der taktischen Einheit ein Zeichen. Sie waren bereit, die Türen zu sprengen. Ich schüttelte den Kopf. Zu riskant. Die Geisel.

„Milo, sprich mit ihm. Halte ihn hin“, sagte ich ins Mikro, obwohl ich wusste, dass es ein sinnloses Kommando war.

Im Waggon war die Luft zum Schneiden dick. Die Passagiere drückten sich an die Wände, einige lagen auf dem Boden. Die junge Frau in den Armen des Killers begann zu weinen, ihr Körper zitterte unkontrolliert.

„Legen Sie die Waffe weg!“, sagte Milo mit einer ruhigen, befehlenden Stimme, die mich immer wieder beeindruckte. „Es gibt keinen Ausweg.“

Der Killer lachte, ein kurzes, hässliches Geräusch. „Für mich vielleicht nicht. Aber ich nehme ein paar von euch mit.“ Sein Blick wanderte zur Tür, an der ich stand. Er sah mich, sah die Verstärkung. Er wusste, dass er verloren hatte. Und das machte ihn nur noch gefährlicher.

In diesem Moment traf ich eine Entscheidung. Ich gab dem Einsatzleiter ein Zeichen. Zwei Männer mit einem Rammbock positionierten sich.

„Auf mein Zeichen“, flüsterte ich ins Mikro. „Milo, mach dich bereit.“

Ich sah, wie Milo kaum merklich nickte. Er verlagerte sein Gewicht, bereit zum Sprung. Der Killer war vollkommen auf Milo fixiert. Er erwartete den Angriff von vorne.

„JETZT!“, brüllte ich.

Der Rammbock krachte mit ohrenbetäubendem Lärm gegen das Glas der Tür neben der, die ich im Visier hatte. Für den Bruchteil einer Sekunde zuckte der Killer in diese Richtung. Es war die einzige Ablenkung, die Milo brauchte.

Er stieß sich von der Stange ab, nicht auf den Killer zu, sondern zur Seite. Sein Sprung war kein Angriff, sondern eine Täuschung. Er landete hinter einem Pulk kauernder Passagiere. Der Killer, für einen Moment verwirrt, weil sein Hauptziel verschwunden war, lockerte seinen Griff um die Geisel um eine Winzigkeit.

In diesem Moment schoss ich.

Mein Ziel war nicht der Mann. Es war seine Hand. Die Kugel aus meiner SIG traf die Glock mit einer solchen Wucht, dass die Waffe aus seiner Hand gerissen wurde und gegen die Decke des Waggons prallte. Ein Schmerzensschrei. Die Geisel brach zusammen und kroch weg.

Die taktische Einheit stürmte den Waggon von zwei Seiten. Der Killer, entwaffnet und schockiert, versuchte zu fliehen, aber er hatte keine Chance. Milo war bereits wieder auf den Beinen und rammte ihn mit der Schulter, sodass er gegen eine Sitzreihe krachte. Sekunden später war er von einem halben Dutzend FBI-Agenten überwältigt, seine Arme wurden ihm auf den Rücken gerissen, Handschellen klickten.

Ich stieg in den Wagnon, der Geruch von Schweiß, Angst und Kordit hing in der Luft. Milo rieb sich die Schulter und grinste mich an. „Du hättest auch einfach klopfen können.“

„Ich wollte nicht stören“, erwiderte ich, während ich auf den Mann am Boden blickte. Sein Gesicht war eine Maske aus Hass und Verzweiflung. Dies war kein gewöhnlicher Krimineller. Das war ein Soldat. Und sein Krieg war gerade erst verloren gegangen.

7

Zurück im Federal Plaza war die Atmosphäre elektrisiert. Der gefasste Mann wurde in einen gesicherten Verhörraum gebracht, während unser Team sich in McKees Büro versammelg. Der Kaffee, den seine Sekretärin Mandy diesmal brachte, war stark, schwarz und schmeckte wie der Himmel.

„Gute Arbeit da unten“, sagte McKee anerkennend. „Der Bürgermeister hat schon angerufen, um sich zu bedanken, dass Sie Times Square nicht komplett in Schutt und Asche gelegt haben.“ Er nahm einen Schluck Kaffee. „Wer ist unser Gast?“

Fred LaRocca, der die erste Überprüfung koordiniert hatte, blickte von seinem Tablet auf. „Sein Name ist Anton Volkov. Geboren in St. Petersburg. Ehemaliger Speznas, Spezialeinheit GRU. Offiziell vor fünf Jahren unehrenhaft entlassen. Inoffiziell tauchte sein Name in den letzten Jahren bei mehreren verdeckten Operationen in Syrien und der Ukraine auf. Ein hochqualifizierter Operator. Ein Geist, genau wie unser Killer.“

„Nur dass dieser Geist jetzt in unserem Keller sitzt“, knurrte Clive Caravaggio.

„Die Bombe in Thornes Apartment war ebenfalls Profiarbeit“, fuhr McKee fort. „C4, präzise platziert, um maximale Zerstörung im Apartment zu verursachen, aber minimale Kollateralschäden im Gebäude. Der Zünder wurde fernausgelöst, wahrscheinlich als Volkov gemerkt hat, dass wir vor der Tür stehen.“

„Was ist mit Thorne?“, fragte ich. „Haben wir eine Leiche gefunden?“

McKee schüttelte den Kopf. „Nichts. Die Wohnung ist ein Trümmerfeld. Die SRD sucht noch, aber die Chancen stehen schlecht. Entweder wurde er bei der Explosion pulverisiert, oder…“

„…oder er war gar nicht da“, beendete ich den Satz. „Volkov sollte ihn eliminieren und alle Spuren beseitigen. Vielleicht ist Thorne ihm entkommen, bevor er den Sprengsatz zünden konnte.“

„Das macht Thorne zu einem sehr wichtigen Zeugen. Wenn er noch lebt“, sagte Milo. „Er ist der Einzige, der eine direkte Verbindung zwischen der Phoenix Group und der Gewalt auf der Straße herstellen kann.“

„Phoenix Group streitet alles ab“, warf Orry Medina ein. „Clive und ich haben deren Sicherheitschef, einen ehemaligen CIA-Mann namens Robert Hastings, befragt. Der Mann ist glatt wie ein Aal. Er gibt zu, dass sie Thorne kannten, aber behauptet, seine Entlassung sei rein professioneller Natur gewesen. Von Drohungen keine Spur.“

„Natürlich nicht“, sagte ich. „Diese Leute lügen so selbstverständlich, wie sie atmen.“

„Nat, was haben die Finanzen ergeben?“, fragte McKee und wandte sich an unseren Wirtschaftsexperten.

Nat Norton schob seine Brille höher auf die Nase. Er hatte die letzten Stunden damit verbracht, sich durch ein digitales Labyrinth aus Offshore-Konten zu wühlen. „Es ist kompliziert, Sir. Aber es gibt eine Spur. Die Phoenix Group hat in den letzten sechs Monaten mehrere große Zahlungen an eine Beratungsfirma auf den Kaimaninseln geleistet. Diese Firma, ‚Ares Strategic Solutions‘, ist eine Briefkastenfirma. Von dort wurde Geld an eine weitere Firma in Zypern transferiert. Und von dieser zypriotischen Firma gingen zwei interessante Zahlungen ab.“

Er tippte auf seinem Laptop und das Bild wurde auf den großen Bildschirm an der Wand projiziert. Ein Flussdiagramm aus Pfeilen und Firmenlogos erschien.

„Die erste Zahlung, eine Viertelmillion Dollar, ging vor drei Monaten auf ein verdecktes Konto, das wir Marcus Thorne zuordnen können. Das war wahrscheinlich seine ‚Abfindung‘.“

„Oder Schweigegeld“, murmelte Milo.

„Die zweite Zahlung“, fuhr Nat fort und markierte einen weiteren Pfeil, „ging vor zwei Wochen an ein anonymes Kryptowährung-Wallet. Zehntausend Dollar. Die Transaktion ist nicht nachverfolgbar, aber der Zeitpunkt ist interessant. Kurz darauf wurde Anton Volkov in die USA eingeschleust.“

„Also: Phoenix Group bezahlt Thorne, um zu schweigen. Thorne wird zur Belastung. Phoenix Group, über denselben Kanal, heuert Volkov an, um Thorne zu beseitigen“, fasste ich zusammen. „Aber wer hat den Auftrag gegeben, Croft zu töten? Und wer ist der ‚Geist‘, der die Drecksarbeit macht?“

„Volkov ist unsere einzige Verbindung“, sagte McKee bestimmt. „Er ist der Fußsoldat. Er muss wissen, wer sein Befehlshaber ist. Jesse, Milo. Brechen Sie ihn. Ich will einen Namen.“

8

Der Verhörraum war kalt und kahl. Anton Volkov saß auf einem Stahlstuhl, eine Hand mit Handschellen an den Tisch gekettet. Er hatte eine frische Wunde an der Hand, wo meine Kugel die Waffe getroffen hatte, aber sein Gesicht war eine unbewegte Maske. Seine blauen Augen musterten uns ohne jede Emotion. Er hatte schon Schlimmeres erlebt als ein FBI-Verhör.

Milo und ich betraten den Raum. Milo lehnte sich an die Wand, die Arme verschränkt, und sagte kein Wort. Das war seine Rolle: der stumme, bedrohliche Schatten. Ich setzte mich Volkov gegenüber und legte eine dünne Akte auf den Tisch.

„Anton Volkov“, begann ich ruhig. „Soldat, Saboteur, Mörder. Sie haben eine beeindruckende Karriere. Schade, dass sie hier endet.“

Er schwieg. Sein Blick war leer.

„Sie haben versucht, zwei FBI-Agenten zu töten. In diesem Land nehmen wir das sehr persönlich. Die Anklagepunkte werden ausreichen, um Sie für den Rest Ihres Lebens in einem Supermax-Gefängnis verschwinden zu lassen. Ein Betonsarg, aus dem Sie nie wieder herauskommen.“

Keine Reaktion.

„Aber vielleicht gibt es eine Alternative“, fuhr ich fort und lehnte mich vor. „Sie sind ein Soldat, der Befehle befolgt hat. Wir sind nicht an Ihnen interessiert. Wir wollen den General. Den ‚Geist‘, der Sie geschickt hat.“

Ein fast unmerkliches Zucken in seinem Augenwinkel. Das erste Zeichen.

„Wer ist es?“, fragte ich. „Wer hat Ihnen den Auftrag gegeben, Marcus Thorne zu töten?“

Volkovs Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln. Er sprach zum ersten Mal, sein Englisch war fast akzentfrei, nur ein leichter, harter Akzent lag darunter. „Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen. Ich bin Tourist. Ich wollte mir die Freiheitsstatue ansehen.“

Milo stieß ein leises, verächtliches Lachen aus.

Ich ignorierte die Provokation. „Wir wissen von der Phoenix Group. Wir wissen von dem Geld. Wir wissen, dass Sie Thorne zum Schweigen bringen sollten. Die einzige Frage ist, wer Ihnen den direkten Befehl gegeben hat.“

„Ich brauche einen Anwalt“, sagte er tonlos.

„Sie werden einen bekommen“, sagte ich. „Einen Pflichtverteidiger, der überarbeitet und unterbezahlt ist. Währenddessen sitzt Ihr Auftraggeber in seinem warmen Büro, trinkt seinen teuren Whiskey und plant bereits, wie er Sie im Gefängnis zum Schweigen bringen kann. Sie sind eine lose Endung, Anton. Und lose Enden werden abgeschnitten.“

Ich ließ die Worte wirken. Ich sah ihm an, dass der Gedanke ihn nicht überraschte. Er wusste, in welchem Spiel er mitspielte.

Stunden vergingen. Wir wechselten die Taktik. Milo übernahm, seine Anwesenheit war aggressiver, lauter. Er schlug mit der Faust auf den Tisch, zählte Volkovs Fehlschläge auf, versuchte, seine professionelle Ehre zu verletzen. Volkov blieb stoisch. Er war ausgebildet, um Schmerz und psychologischen Druck auszuhalten.

Wir brauchten einen anderen Hebel.

Ich kehrte allein in den Raum zurück. Ich setzte mich und schob ihm ein Foto über den Tisch. Es war ein altes, leicht vergilbtes Bild einer Frau mit einem kleinen Mädchen auf dem Arm.

„Ihre Schwester, Elena. Und Ihre Nichte, Anya“, sagte ich leise. „Sie leben in einer kleinen Wohnung in Brighton Beach. Elena arbeitet als Kellnerin. Anya geht hier zur Schule.“

Jetzt brach die Maske. Zum ersten Mal sah ich etwas in seinen Augen. Angst. Reine, unverfälschte Angst.

„Lassen Sie sie aus dem Spiel“, zischte er, seine Stimme war plötzlich rau.

„Das würde ich gerne. Aber die Leute, für die Sie arbeiten… die Phoenix Group, ihre russischen Freunde… die sind nicht so rücksichtsvoll. Wenn Sie reden, sind Ihre Schwester und Ihre Nichte Zeugen. Wenn Sie schweigen, sind sie eine Versicherung. So oder so sind sie in Gefahr. Aber es gibt einen Unterschied.“

Ich lehnte mich ganz nah an ihn heran. „Wenn Sie mit uns zusammenarbeiten, stellen wir sie unter Zeugenschutz. Wir lassen sie verschwinden. Neuer Name, neues Leben, irgendwo, wo die Schatten von Phoenix sie nie finden werden. Wenn Sie schweigen, überlassen wir sie ihrem Schicksal. Und wir beide wissen, was das bedeutet.“

Er starrte auf das Foto, seine Finger zitterten leicht. Ich hatte ihn. Sein einziger Schwachpunkt. Die Familie, die er aus der Ferne zu schützen versuchte.

Er schloss die Augen, kämpfte einen inneren Kampf. Als er sie wieder öffnete, war die stoische Maske verschwunden. Übrig blieb ein Mann, der in einer Falle saß.

„Ich habe den ‚Geist‘ nie gesehen“, sagte er heiser. „Die Kommunikation lief nur über verschlüsselte Nachrichten. Eine Stimme, computerverzerrt.“

„Kein Name? Kein Treffpunkt?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Nur Anweisungen. Das Geld kam über ein Dead-Drop-System. Aber… es gab etwas. Einmal. Ich sollte ein Paket abholen. Ein Ausrüstungspaket. Die Anweisung enthielt einen Notfallcode, falls etwas schiefgeht. Eine Adresse.“

„Welche Adresse?“, drängte ich.

Er zögerte, dann sagte er: „Es ist keine richtige Adresse. Nur eine Koordinate. In Brooklyn. Und ein Wort: ‚Cerberus‘.“

Cerberus. Der dreiköpfige Höllenhund, der den Eingang zur Unterwelt bewacht. Es war nicht viel, aber es war ein Anfang. Es war ein Riss in der Mauer des Schweigens.

9

Während wir Volkov bearbeiteten, hatten Orry, Clive und Nat nicht stillgestanden. Als ich mit den Koordinaten und dem Codenamen „Cerberus“ in den Konferenzraum zurückkehrte, hatte Nat Norton bereits den nächsten Durchbruch erzielt.

„Ich habe die Geldströme von Phoenix weiterverfolgt“, sagte er aufgeregt und zeigte auf eine neue Verzweigung in seinem Diagramm auf dem Bildschirm. „Es gibt eine weitere Briefkastenfirma, die mit ‚Ares Strategic Solutions‘ verbunden ist. Sie heißt ‚Hades Logistics‘. Und raten Sie mal, wem das Lagerhaus gehört, das diese Firma offiziell als Hauptsitz gemietet hat.“

Er zoomte auf eine Karte von Brooklyn, Red Hook. Ein Industriegebiet am Wasser, gespickt mit alten, verlassenen Lagerhallen. Ein roter Punkt markierte ein bestimmtes Gebäude.

„Ich habe die Koordinaten, die Volkov uns gegeben hat, überprüft“, sagte ich und tippte sie in das System ein. Ein zweiter Punkt erschien auf der Karte – exakt auf demselben Lagerhaus.

„Bingo“, sagte Milo.

„Hades Logistics. Cerberus. Der Höllenhund, der den Eingang zum Hades bewacht“, sagte ich. „Unser Geist hat einen Hang zur griechischen Mythologie. Und einen sehr dunklen Sinn für Humor.“

„Das ist sein Nest“, sagte Clive Caravaggio und rieb sich die Hände. „Dort sitzt er und zieht die Fäden.“

„Oder saß“, warnte ich. „Volkovs Festnahme ist seit Stunden öffentlich. Wenn dieser ‚Geist‘ so gut ist, wie wir glauben, dann weiß er, dass wir kommen. Das könnte eine Falle sein.“

„Das Risiko gehen wir ein“, sagte Mister McKee entschieden. „Wir haben eine Adresse, einen Namen und einen Zeugen, der reden wird. Das ist mehr, als wir heute Morgen hatten. Wir führen einen Zugriff durch. Sofort.“

Er wandte sich an mich. „Jesse, was ist mit Evelyn Reed? Du hattest ein schlechtes Gefühl bei ihr.“

„Habe ich immer noch“, antwortete ich. „Sie war zu schnell dabei, uns Thorne als Sündenbock zu liefern. Es fühlte sich an, als würde sie uns auf eine falsche Fährte locken wollen – oder zumindest auf eine, die von ihr wegführt.“

„Könnte sie der ‚Geist‘ sein?“, fragte Orry.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Der ‚Geist‘ ist ein Operator, ein Feldagent. Das passt nicht zu ihr. Aber sie könnte eine Auftraggeberin sein. Vielleicht hat sie mit der Phoenix Group unter einer Decke gesteckt, um Croft aus dem Weg zu räumen und selbst die Kontrolle über Chronos Corp. zu übernehmen.“

„Eine plausible Theorie“, sagte McKee. „Aber eine, die wir erst nach dem Zugriff auf das Lagerhaus überprüfen können. Wenn wir den ‚Geist‘ oder seine Ausrüstung finden, können wir die Befehlskette zurückverfolgen.“

Er stand auf, seine Miene war hart und entschlossen. „Okay, Leute. Taktische Ausrüstung. Orry, Clive, ihr übernehmt die linke Flanke. Jesse, Milo, ihr geht durch die Mitte. Fred, du koordinierst die äußere Absperrung. Ich will dieses Gebäude abgeriegelt haben wie Fort Knox. Niemand kommt rein, und vor allem kommt niemand raus. Gehen wir einen Geist jagen.“

10

Die Nacht war wieder über Brooklyn hereingebrochen, als sich unsere unauffälligen Vans dem Lagerhaus in Red Hook näherten. Die Luft roch nach Salz, verrottendem Holz und Industrieabfällen. Die Gegend war wie ausgestorben, ein Friedhof der industriellen Revolution. Das Lagerhaus selbst war ein riesiger, fensterloser Backsteinklotz, der wie ein schlafendes Ungeheuer am Kai lag.

Wir saßen im hinteren Teil eines Vans, die Stimmung war zum Zerreißen gespannt. Wir trugen schwarze Kevlar-Westen über unserer Kleidung, die Headsets summten leise in unseren Ohren. Jeder von uns überprüfte zum letzten Mal seine Waffe.

„Alle Teams in Position“, flüsterte Fred LaRoccas Stimme in mein Ohr. „Der äußere Ring steht. Das Gebäude ist isoliert.“

„Verstanden“, antwortete McKee, der den Einsatz von einem mobilen Kommandoposten aus leitete. „Team Alpha – Jesse, Milo – ihr habt grünes Licht für den Haupteingang. Team Bravo – Orry, Clive – ihr nehmt den Seiteneingang an der Laderampe. Zugriff auf mein Kommando.“

Wir schlichen zur massiven Stahltür des Haupteingangs. Milo hielt ein tragbares Endoskop an den Spalt unter der Tür. „Keine Bewegungsmelder, keine sichtbaren Sprengfallen“, flüsterte er. „Aber das heißt nichts.“

„Bereit machen“, befahl McKee. „Zugriff in drei… zwei… eins… JETZT!“

Clive und Orry sprengten die Seitentür mit einer leisen, gerichteten Ladung. Im selben Moment rammte Milo die schwere Stahltür mit einem hydraulischen Spreizer auf. Sie sprang mit einem lauten Knall auf.

Wir stürmten hinein, die Waffen im Anschlag, und fächerten sofort aus. Die Haupthalle war riesig und dunkel, nur durch das Mondlicht erhellt, das durch schmutzige Oberlichter fiel. Es war ein Labyrinth aus alten Kisten, rostigen Regalen und verlassenen Maschinen. Es roch nach Staub und kaltem Metall.

„Keine Bewegung“, meldete ich. „Halle scheint leer.“

„Team Bravo, Status?“, fragte McKee.

„Wir sind im östlichen Flügel“, kam Orrys Stimme. „Hier ist auch alles ruhig. Zu ruhig.“

Er hatte recht. Mein Instinkt schrie mich an. Das war zu einfach. Eine Falle.

Wir bewegten uns langsam vorwärts, Rücken an Rücken, unsere Waffenläufe scannten die Schatten. Jeder Knall, jedes Knistern ließ uns zusammenzucken. In der Mitte der Halle fanden wir, was wir suchten. Es war kein Büro, sondern ein abgetrennter Bereich, eine Art Würfel aus schalldichten Paneelen, der wie ein Fremdkörper in der alten Halle stand.

„Das muss es sein“, sagte Milo. „Die Höhle des Höllenhundes.“

Die Tür des Würfels stand einen Spalt offen. Ich gab Milo ein Zeichen, dann stieß ich sie mit dem Fuß auf und wir stürmten hinein.

Der Raum war das genaue Gegenteil der Halle draußen. Er war klinisch weiß, hell erleuchtet und vollgestopft mit modernster Technik. Server-Racks summten leise, Monitore zeigten komplexe Datenströme, und auf einem zentralen Tisch lag eine zerlegte High-Tech-Drohne, die unheimliche Ähnlichkeit mit dem Modell hatte, das Croft getötet hatte.

Aber der Raum war leer.

„Verdammt!“, fluchte Milo. „Er ist weg.“

An der Wand hing ein großer Bildschirm, der jetzt schwarz war. Aber die Wärme, die er ausstrahlte, verriet, dass er noch vor kurzem in Betrieb gewesen war. Der Geruch von Ozon nach frisch gelöschten Festplatten hing in der Luft. Der Geist war hier gewesen. Und er hatte uns erwartet.

„McKee, wir sind im Kontrollraum“, meldete ich. „Er ist leer. Er hat alles gelöscht und ist verschwunden.“

„Durchsucht alles!“, befahl McKee. „Er muss etwas übersehen haben. Niemand ist perfekt.“

Wir durchkämmten den Raum. Die meisten Server waren professionell gewiped, die Daten unwiederbringlich verloren. Es war frustrierend. Wir waren so nah dran gewesen.

„Jesse, sieh dir das an“, sagte Milo und deutete auf ein kleines, unscheinbares Terminal in einer Ecke. Es war das einzige, das noch ein schwaches Licht ausstrahlte. Auf dem Bildschirm stand nur eine Zeile: „ZU LANGSAM, AGENTS.“

Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Er spielte mit uns.

Und dann sah ich es. Etwas, das nicht ins Bild passte. Hinter einem der Server-Racks war der Boden dunkler. Eine feuchte Stelle. Ich kniete mich hin. Es war kein Öl, kein Wasser. Es war Blut. Eine dünne Spur führte hinter das Rack.

Ich gab Milo ein Zeichen. Wir schoben das schwere Gerät vorsichtig zur Seite.

Was wir dahinter fanden, ließ uns das Blut in den Adern gefrieren.

11

Dort, in dem engen Spalt zwischen dem Server und der Wand, lag ein Körper. Er war auf eine Weise zusammengekauert, die unnatürlich und endgültig war. Es war Marcus Thorne.

Er trug dieselbe Kleidung wie auf dem Foto in seiner Akte. Sein Gesicht war eine blasse, wächserne Maske des Schreckens. Mitten auf seiner Stirn, genau zwischen den Augen, klaffte ein kleines, sauberes Loch. Keine Schmauchspuren. Eine schallgedämpfte Waffe, aus nächster Nähe. Eine Hinrichtung.

„Der Geist räumt seine Spuren auf“, sagte Milo mit düsterer Stimme. „Thorne war der Mittelsmann. Er hat Volkov angeheuert, er kannte diesen Ort. Er war die letzte Verbindung, die der Geist nicht digital löschen konnte.“

Ich nickte und mein Blick fiel auf Thornes Hand. Er umklammerte etwas. Vorsichtig löste ich seine steifen Finger. Es war ein kleiner USB-Stick. Hatte er versucht, ihn zu verstecken, bevor er starb? Oder hatte der Geist ihn ihm absichtlich hinterlassen? Eine weitere Provokation?

„McKee, wir haben Thorne gefunden“, meldete ich. „Er wurde exekutiert. Aber er hat uns etwas hinterlassen. Einen USB-Stick.“

„Bringt ihn sofort hierher“, befahl McKee. „Lasst niemanden sonst heran. Das könnte unsere einzige Chance sein.“

Während die Spurensicherung das Lagerhaus auseinandernahm, rasten wir zurück zur Federal Plaza. Die Fahrt war still. Die Entdeckung von Thornes Leiche hatte die Atmosphäre verändert. Der ‚Geist‘ war nicht nur ein unsichtbarer Hacker oder ein ferngesteuerter Killer. Er war hier gewesen, in diesem Raum. Er hatte Thorne von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden und ihn kaltblütig ermordet. Er war real, greifbar und absolut rücksichtslos.

Nat Norton wartete bereits im digitalen Forensiklabor auf uns. Er nahm den Stick entgegen, als wäre er ein heiliges Relikt, und schloss ihn an ein isoliertes System an.

„Der Stick ist stark verschlüsselt“, murmelte er und seine Finger flogen über die Tastatur. „Aber die Verschlüsselung ist mir bekannt. Es ist ein alter Militär-Code der Speznas. Volkovs ehemalige Einheit. Thorne muss den Schlüssel von ihm bekommen haben.“

Minuten, die sich wie Stunden anfühlten, vergingen. Dann endlich erschien eine einzelne Datei auf dem Bildschirm. Eine Audio-Datei. Nat klickte darauf.

Eine computerverzerrte Stimme erfüllte den Raum. Dieselbe Stimme, die Volkov beschrieben hatte. Die Stimme des Geistes.

„…Auftrag bestätigt. Zielobjekt: Julian Croft. Ausführung innerhalb der nächsten 48 Stunden. Sekundärziel: Marcus Thorne. Eliminierung nach Abschluss der Primärmission. Bestätigen Sie den Erhalt der Anweisungen.“

Dann eine zweite Stimme. Nicht verzerrt. Klar und deutlich. Eine Stimme, die ich kannte.

„Bestätigt. Ares Strategic Solutions wird die Zahlung veranlassen. Sorgen Sie dafür, dass es keine Spuren gibt, Geist. Keine.“

Mir stockte der Atem. Es war die Stimme von Robert Hastings. Dem Sicherheitschef der Phoenix Group. Dem glatten Ex-CIA-Mann, der Orry und Clive so überzeugend angelogen hatte.

„Wir haben ihn“, flüsterte Milo.

„Wir haben den Auftraggeber“, korrigierte ich. „Aber wir haben immer noch nicht den Geist.“

In diesem Moment summte Nats Computer erneut. Er hatte den Stick weiter analysiert. „Da ist noch etwas“, sagte er. „Ein fragmentierter Datenrest. Ein Bild. Es ist stark beschädigt.“

Er arbeitete fieberhaft und versuchte, das Bild wiederherzustellen. Langsam, Pixel für Pixel, setzte es sich auf dem Bildschirm zusammen. Es zeigte das Gesicht einer Frau. Scharf geschnittene Züge. Eisige Kompetenz. Ein dünnes, bitteres Lächeln.

Evelyn Reed.

„Scheiße“, entfuhr es mir.

Die Audio-Datei war eine Falle. Eine falsche Fährte, die uns direkt zu Hastings führen sollte. Aber Thorne hatte anscheinend eine eigene Versicherung abgeschlossen. Er hatte nicht nur Hastings aufgenommen, sondern auch Beweise gegen die Person gesammelt, die wahrscheinlich über Hastings stand.

„Sie hat sie alle gegeneinander ausgespielt“, sagte ich ungläubig. „Phoenix Group, Thorne, den Geist. Sie wollte Croft tot sehen, um die Firma zu übernehmen, und hat Phoenix dafür bezahlen lassen, während sie gleichzeitig sicherstellte, dass die Spuren zu ihnen führen.“

„Eine Partie Schach auf höchstem Niveau“, sagte McKee, der den Raum betreten hatte. „Und wir waren nur die Bauern.“

Er sah mich an. „Aber der Geist ist immer noch da draußen. Und er weiß jetzt, dass wir nicht nur Hastings, sondern auch Evelyn Reed im Visier haben. Er wird nicht einfach verschwinden.“

Ich blickte auf den Bildschirm, auf die drei Gesichter: Hastings, der arrogante Auftraggeber. Reed, die eiskalte Drahtzieherin. Und der leere Platz, wo das Gesicht des Geistes sein sollte.

„Nein“, sagte ich. „Er wird nicht verschwinden. Er wird aufräumen. Und seine nächsten Ziele sind jetzt Hastings und Reed.“

Der Fall war gerade explodiert. Wir jagten nicht mehr nur einen Mörder. Wir waren mitten in einem Krieg der Schatten, und unsere Aufgabe war es nun, die nächsten Opfer zu schützen, bevor der Geist sie von der Landkarte löschen konnte. Der Tag war noch lange nicht vorbei.

Kapitel 3

12

Die Luft im Konferenzraum des Federal Plaza war so dicht, dass man sie hätte in Blöcke schneiden und als Baumaterial verwenden können. Die drei Gesichter auf dem Bildschirm schienen uns anzustarren: Hastings, der selbstgefällige Verräter; Reed, die eiskalte Marionettenspielerin; und dazwischen ein schwarzes Loch, ein Silhouetten-Platzhalter für den Geist, der nun einen Namen zu haben schien – Katarina.

Mister McKee schritt vor dem Bildschirm auf und ab, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Sein Gesicht war eine Landkarte der Konzentration. Der anfängliche Triumph, eine Spur gefunden zu haben, war einer viel tieferen, beunruhigenderen Erkenntnis gewichen.

„Okay, fassen wir zusammen“, sagte er, seine Stimme schnitt durch die Stille. „Evelyn Reed ist die Drahtzieherin. Sie wollte Croft loswerden, um die Kontrolle über Chronos zu erlangen. Sie war clever genug, die Phoenix Group als Werkzeug und Sündenbock zu benutzen. Sie hat Hastings manipuliert, der wiederum glaubte, er würde einen externen Killer anheuern, um seine eigene Haut zu retten und seine Firma zu schützen.“

„Den ‚Geist‘“, fügte ich hinzu. „Den er nur als anonymen Auftragnehmer kannte.“

„Exakt“, nickte McKee. „Aber Thorne wusste mehr. Er war tiefer drin. Er wusste von Reed. Und er hatte Angst. Die Audio-Datei war seine erste Versicherung – genug, um Hastings zu Fall zu bringen. Das Bild von Reed war seine zweite, seine Lebensversicherung für den Fall, dass der erste Plan scheiterte. Nur hat sie nicht funktioniert.“

„Der Geist war schneller“, sagte Milo düster. „Er hat Thorne eliminiert, bevor er singen konnte, und uns den Stick als eine Art intellektuelle Herausforderung hinterlassen. ‚Seht her, wie gut ich bin. Ihr habt Hastings, aber ihr habt nicht mich.‘“

„Und jetzt?“, fragte Clive Caravaggio und lehnte sich in seinem Stuhl vor. „Jetzt weiß der Geist, dass wir den Stick haben. Er oder… sie… weiß, dass wir das Bild von Reed wiederherstellen konnten. Das bedeutet, Hastings und Reed sind jetzt beide massive Verbindlichkeiten.“

McKees Blick wurde steinhart. „Und das bedeutet, sie sind die nächsten Ziele auf der Liste des Geistes. Er wird versuchen, die letzten beiden Personen zu eliminieren, die ihn mit diesem Fall in Verbindung bringen können. Wir jagen nicht mehr nur einen Mörder, wir müssen jetzt auch Bodyguard für die beiden Hauptverdächtigen spielen.“

Er deutete auf die Karte von Manhattan. „Wir teilen uns auf. Jesse, Milo, ihr übernehmt Hastings. Er ist der Schwächere, derjenige, der am ehesten bricht und vielleicht noch mehr weiß. Finden Sie ihn, bringen Sie ihn hierher. Gehen Sie davon aus, dass der Geist bereits auf dem Weg zu ihm ist. Orry, Clive, ihr schnappt euch Evelyn Reed. Sie ist in ihrem Büro im Chronos Tower. Ich will sie unter Arrest sehen, unter dem Vorwand der Beihilfe zum Mord. Bringen Sie sie ebenfalls hierher. Sie ist die gefährlichere von beiden; sie wird nicht kampflos mitkommen, also seien Sie auf alles vorbereitet.“

Er wandte sich an Fred LaRocca. „Fred, Sie koordinieren die taktischen Teams. Sobald Jesse und Orry ihre Ziele lokalisiert haben, riegeln Sie die Gebäude ab. Diesmal entkommt uns niemand.“

An Nat Norton gewandt sagte er: „Nat, ich will, dass du alles über den Namen ‚Katarina‘ herausfindest, was mit russischen Spezialeinheiten, der Phoenix Group oder Evelyn Reed in Verbindung steht. Jeder Fitzel an Information, egal wie unbedeutend er scheint.“

Ein Gefühl von unerbittlicher Dringlichkeit erfüllte den Raum. Das Spiel hatte sich gedreht. Wir waren nicht mehr die Jäger, die eine unsichtbare Beute verfolgten. Wir waren jetzt die Hirten, die versuchten, zwei Wölfe vor einem noch größeren, gefährlicheren Raubtier zu schützen.

„Bewegung“, knurrte McKee. „Die Uhr tickt.“

13

Die Fahrt durch die nächtlichen Schluchten Manhattans war ein Rausch aus Neonlichtern und Sirenen. Milo saß am Steuer unseres Chevys und fuhr, als hätte er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Jeder rote Ampel war eine persönliche Beleidigung.

„Katarina“, sagte Milo und sprach das Wort aus, als würde er es auf der Zunge wiegen. „Klingt nicht nach einem ‚Geist‘. Klingt nach einer Frau.“

„Eine Frau, die eine Speznas-Ausbildung hat, mit Militär-Toxinen und Präzisionsdrohnen hantiert und Leute aus nächster Nähe exekutiert, ohne mit der Wimper zu zucken“, erwiderte ich und überprüfte das Magazin meiner SIG. „Ich glaube, ich bevorzuge den Namen ‚Geist‘.“

„Glaubst du die Theorie? Dass Reed die Strippenzieherin ist und der Geist ihr persönlicher Höllenhund?“, fragte er und wich einem Taxi aus, das uns schnitt.

„Es passt alles zusammen“, sagte ich nachdenklich. „Reed hatte das Motiv – die totale Kontrolle über Chronos. Sie hatte die Insider-Informationen über Crofts Penthouse. Sie hatte die Kaltblütigkeit, einen Konkurrenten wie Hastings als Werkzeug zu benutzen. Und wenn der Geist ihre persönliche Agentin ist, erklärt das die unglaubliche Effizienz und die scheinbar unbegrenzten Ressourcen.“

„Aber warum sollte der Geist Thorne in seinem eigenen Nest umbringen und uns dann den USB-Stick quasi auf dem Silbertablett servieren?“, hakte Milo nach.

„Arroganz“, antwortete ich sofort. „Oder eine Botschaft. Vielleicht wollte sie uns zeigen, dass sie uns immer einen Schritt voraus ist. Sie gibt uns Hastings, einen großen Fisch, um uns zu beschäftigen, während sie selbst im Schatten verschwindet. Sie rechnete nicht damit, dass wir das Bildfragment von Reed wiederherstellen können.“

„Also ist sie doch nicht perfekt“, grinste Milo.

„Niemand ist das“, sagte ich. „Das ist unsere einzige Hoffnung.“

Wir erreichten die Adresse von Robert Hastings – ein ultra-modernes Luxusapartmenthaus am Rande von SoHo mit mehr Kameras als ein Fernsehstudio. Zwei unserer unauffälligen Einsatzfahrzeuge waren bereits vor Ort und überwachten die Eingänge.

„Team Alpha vor Ort“, meldete ich ins Mikro. „Wir gehen rein.“

Der Concierge in der Lobby, ein ehemaliger Marine mit einem Hals so dick wie mein Oberschenkel, wollte uns aufhalten, aber ein kurzer Blick auf unsere FBI-Ausweise und die ernsten Mienen der beiden Agenten, die unauffällig hinter uns Position bezogen hatten, ließen ihn erstarren.

„Robert Hastings. Welches Apartment?“, fragte ich knapp.

„Penthouse B. Aber er erwartet keinen Besuch.“

„Heute ist sein Glückstag“, sagte Milo trocken.

Wir nahmen den privaten Aufzug direkt zum Penthouse. Die Fahrt nach oben war still, nur das leise Surren des Lifts war zu hören. Mein Puls hämmerte gegen meine Rippen. Wir wussten nicht, was uns erwartete. War der Geist schon hier? War Hastings schon tot?

Der Aufzug hielt mit einem leisen ‚Pling‘ an. Die Türen öffneten sich direkt in ein privates Foyer. Davor war eine massive Stahltür mit einem biometrischen Scanner.

„Fred“, sagte ich ins Mikro, „wir stehen vor seiner Tür. Wir brauchen einen Zugangscode, und zwar schnell.“

„Moment“, kam Freds Antwort. „Nat arbeitet daran. Hastings hat seine gesamte Wohnung als ‚Smart Home‘ vernetzt. Das ist eine digitale Festung.“

Eine digitale Festung. Die Worte hallten in meinem Kopf nach. Genau wie Crofts Penthouse. Und wir wussten, wie gut das funktioniert hatte.

„Milo, irgendwas stimmt hier nicht“, sagte ich leise und ließ meinen Blick über das makellose Foyer schweifen. Es war zu still. Kein Geräusch drang aus dem Apartment.

Plötzlich zischte es leise aus dem Lüftungsschacht über uns. Ein fast geruchloser, farbloser Dunst begann, in das Foyer zu strömen. Mein erster Gedanke war Giftgas. Ich hielt instinktiv die Luft an.

„Gas!“, zischte ich. Milo tat es mir gleich.

„Nat, was ist das?“, schrie Freds Stimme in meinem Ohr. „Wir haben einen Alarm in seinem System! Die Gaskonzentration in der Wohnung steigt rapide an!“

„Welches Gas?“, fragte ich heiser.

„Erdgas! Jemand hat die Sicherheitsventile seines Designer-Kamins manipuliert! Das ganze Penthouse füllt sich mit Gas! Ein Funke und das ganze Stockwerk fliegt in die Luft!“

Der Geist war hier gewesen. Sie hatte nicht versucht einzubrechen. Sie hatte das Haus selbst in eine Bombe verwandelt.

14

In diesem Moment gab es keine Zeit mehr für Protokolle.

„Sprengt die Tür! SOFORT!“, brüllte ich ins Mikro.

Die beiden Agenten, die unten gewartet hatten und uns gefolgt waren, trugen eine kleine, gerichtete Sprengladung bei sich. Sie platzierten sie in Sekundenschnelle am Schloss der Stahltür.

„DECKUNG!“, schrie einer.

Wir pressten uns gegen die Wand des Foyers. Ein dumpfer, metallischer Knall, gefolgt von einem lauten Krachen, und die massive Tür wurde aus ihren Angeln gerissen. Eine Welle von Gasgeruch schlug uns entgegen, so stark, dass er einem die Tränen in die Augen trieb.

„Keine Schusswaffen! Ein Funke und wir sind alle tot!“, schrie Milo und zog ein spezielles, funkenfreies Brecheisen aus seiner Tasche.

Wir stürmten in die dunkle Wohnung. Die Notbeleuchtung war angesprungen und tauchte alles in ein gespenstisches rotes Licht. Die Luft war schwer und zum Schneiden dick. Jeder Atemzug war eine Qual.

„Hastings! FBI! Wo sind Sie?“, rief ich, meine Stimme klang gedämpft.

Keine Antwort.

Die Wohnung war riesig, ein minimalistischer Palast aus Beton, Glas und Stahl. Wir teilten uns auf, bewegten uns schnell von Raum zu Raum. Die Gefahr einer Explosion hing wie ein Damoklesschwert über uns.

„Schlafzimmer ist leer!“, rief Milo aus einem Flügel der Wohnung.

Ich erreichte das Wohnzimmer. In der Mitte stand ein riesiger, moderner Gaskamin, aus dem das Gas lautlos und tödlich strömte. Und davor, auf einem teuren Ledersofa, lag eine Gestalt. Robert Hastings.

Ich rannte zu ihm. Er war bewusstlos, sein Gesicht war bläulich angelaufen. Ich überprüfte seinen Puls. Er war schwach, aber er lebte noch.

„Ich hab ihn! Er ist bewusstlos!“, rief ich.

Milo kam angerannt. „Wir müssen ihn hier raus schaffen!“

Zusammen packten wir den schlaffen Körper von Hastings. Er war schwerer, als er aussah. Wir schleppten ihn in Richtung des zerstörten Eingangs. Jeder Schritt war eine Anstrengung in der giftigen Atmosphäre. Meine Lungen brannten.

„Die Hauptgasleitung! Wir müssen sie abstellen!“, keuchte Milo.

Genau in diesem Moment hörte ich ein leises Klicken aus der Richtung des Kamins. Ein elektronisches Geräusch.

Der Zünder.

„RUNTER!“, schrie ich und warf mich über Hastings, um ihn mit meinem Körper zu schützen. Milo tat dasselbe.

Nichts geschah.

Ein weiteres Klicken. Und noch eins.

Ich wagte einen Blick über meine Schulter. An der Wand neben dem Kamin blinkte ein kleines rotes Licht an einem Gerät, das dort nicht hingehörte. Eine kleine, schwarze Box, kaum größer als eine Zigarettenschachtel. Der Zünder versuchte zu feuern, aber irgendetwas blockierte ihn.

„Störsender!“, rief Freds Stimme in meinem Ohr. „Unsere Techniker haben das Signal des Zünders erfasst und einen Störsender aktiviert! Ihr habt ein paar Sekunden, bevor er auf eine andere Frequenz wechselt!“

Diese Information war alles, was wir brauchten. Wir rappelte uns hoch, packten Hastings erneut und zerrten ihn aus der Wohnung, durch das Foyer und in den Aufzug. Kaum waren die Türen hinter uns zugefallen, hörten wir oben einen ohrenbetäubenden Knall, gefolgt von einer Druckwelle, die den ganzen Aufzugschacht erschütterte.

Der Geist hatte einen Backup-Zünder.

Wir hatten es um Haaresbreite geschafft. Als wir unten in der Lobby ankamen, warteten bereits Sanitäter. Sie übernahmen Hastings und gaben ihm sofort Sauerstoff.

Ich lehnte mich gegen eine Wand, rang nach Luft und sah zu Milo. Sein Gesicht war rußgeschwärzt, seine Augen groß.

„Das war zu knapp“, keuchte er.

„Ja“, stimmte ich zu. „Aber wir haben ihn. Und diesmal wird er reden.“

Robert Hastings, der arrogante Ex-CIA-Mann, hatte gerade seine eigene Sterblichkeit gerochen. Und ich wusste, dass dieser Geruch seine Zunge lösen würde.

15

Während wir mit Hastings um Leben und Tod kämpften, lief die Operation im Chronos Tower auf einer völlig anderen Ebene ab. Orry Medina und Clive Caravaggio betraten die Lobby des gläsernen Giganten nicht mit gezogenen Waffen, sondern in maßgeschneiderten Anzügen, die sie wie hochrangige Unternehmensberater aussehen ließen.

Sie fuhren in den 80. Stock, in das Büro der neuen CEO, Evelyn Reed. Ihr Vorzimmer wurde von einer Assistentin bewacht, die aussah, als könnte sie Eiswürfel mit Blicken zum Schmelzen bringen.

„Special Agents Medina und Caravaggio vom FBI. Wir haben einen Termin mit Miss Reed“, sagte Orry mit einem charmanten Lächeln, das die Assistentin sichtlich irritierte.

„Miss Reed erwartet Sie nicht.“

„Oh, doch, das tut sie. Sie weiß es nur noch nicht“, erwiderte Clive trocken und hielt seinen Ausweis hoch.

Einen Moment lang sah es so aus, als würde die Assistentin Alarm schlagen, aber Clives unbeweglicher Blick ließ sie zögern. Sie griff zum Telefon. „Ich werde sie informieren.“

Wenige Augenblicke später öffnete sich die Tür zu Evelyn Reeds Büro. Sie stand hinter ihrem riesigen Schreibtisch aus poliertem Obsidian, eine Verkörperung von Macht und Kontrolle. Sie trug ein makelloses, anthrazitfarbenes Kostüm. Kein Haar war fehl am Platz.

„Agents“, sagte sie, ihre Stimme war kühl und melodisch. „Was verschafft mir die Ehre? Ich bin mitten in der Übernahme der operativen Geschäfte. Es ist ein sehr arbeitsreicher Tag.“

„Wir ermitteln im Mordfall Julian Croft“, begann Orry und trat näher an den Schreibtisch. „Und unsere Ermittlungen haben Sie in den Mittelpunkt gerückt. Evelyn Reed, Sie stehen unter dem Verdacht der Beihilfe zum Mord. Wir möchten Sie bitten, uns zur Befragung zu begleiten.“

Sie lachte. Es war kein fröhliches Lachen, sondern ein leises, verächtliches Geräusch. „Das ist absurd. Ich habe mit dem FBI vollumfänglich kooperiert.“

„Sie haben mit uns kooperiert, indem Sie uns auf die Spur von Marcus Thorne gesetzt haben, einem Mann, von dem Sie wussten, dass er nur eine Nebenfigur war“, sagte Clive und umrundete den Schreibtisch, um sich neben sie zu stellen. Eine subtile Machtdemonstration.

Ihr Lächeln erstarrte. „Ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen.“

„Wir haben einen USB-Stick gefunden“, fuhr Orry fort. „Mit einem sehr interessanten, wenn auch beschädigten, Foto von Ihnen. Es scheint, Marcus Thorne war misstrauischer, als Sie dachten.“

Jetzt verschwand jede Spur von Belustigung aus ihrem Gesicht. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen. Sie war wie ein Raubtier, das in die Enge getrieben wurde. Aber anstatt in Panik zu geraten, wurde sie nur noch ruhiger, noch gefährlicher.

„Das ist eine haltlose Anschuldigung“, sagte sie eisig. „Sie haben nichts gegen mich in der Hand. Ich werde meinen Anwalt anrufen.“

„Das können Sie gerne tun. Von unserer Dienststelle aus“, sagte Clive.

In diesem Moment bemerkte Orry etwas auf dem Schreibtisch, etwas, das nicht zu der sterilen, perfekt organisierten Oberfläche passte. Neben ihrem hochmodernen Computerterminal, neben den ordentlich gestapelten Dokumenten, lag eine einzelne, perfekte rote Rose. Sie hatte lange Stiele und keine Dornen. Sie lag auf einem Blatt Papier.

Orry trat näher. „Was ist das? Ein Geschenk von einem Bewunderer?“

Evelyn Reeds Blick zuckte zu der Rose, und zum ersten Mal an diesem Tag sah Orry einen Riss in ihrer perfekten Fassade. Ein flüchtiger Ausdruck von… nicht Angst, sondern etwas Komplexerem. Erinnerung? Bedauern?

Sie griff nach der Rose, aber Clive war schneller. Er hob sie vorsichtig an. Darunter, auf dem Blatt Papier, stand ein einziges Wort, geschrieben in einer eleganten, fast kalligrafischen Handschrift.

Quitt.

„Was bedeutet das?“, fragte Orry und sah Evelyn Reed direkt an.

Sie antwortete nicht. Sie starrte nur auf das Wort, ihr Gesicht war eine undurchdringliche Maske. Aber ihre Hände, die flach auf dem Schreibtisch lagen, ballten sich unwillkürlich zu Fäusten.

Clive untersuchte die Rose. „Kein Wasser. Keine Vase. Die liegt noch nicht lange hier. Und ich wette, Ihre Assistentin hat sie nicht hereingebracht.“

Der Geist war hier gewesen. Nicht mit einer Bombe oder einer Waffe. Sondern mit einer Rose und einem Wort. Eine Botschaft, die nur für Evelyn Reed bestimmt war. Eine Botschaft, die sie zutiefst erschüttert hatte.

„Quitt wofür, Miss Reed?“, fragte Orry leise. „Ist eine alte Schuld beglichen worden? Oder hat jemand gerade eine neue Rechnung aufgemacht?“

Evelyn Reed schloss die Augen für einen Moment. Als sie sie wieder öffnete, war die Maske wieder da. „Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Das muss ein geschmackloser Scherz sein.“

Aber Orry und Clive wussten es besser. Sie hatten gerade den wunden Punkt getroffen. Die Rose war der Schlüssel. Sie war der Beweis für eine Verbindung zwischen der eiskalten CEO und dem unsichtbaren Killer, eine Verbindung, die tiefer und persönlicher war, als sie es sich je hätten vorstellen können.

„Packen Sie Ihre Sachen, Miss Reed“, sagte Clive. „Ihr arbeitsreicher Tag ist gerade noch viel komplizierter geworden.“

16

Robert Hastings saß in demselben Verhörraum, in dem Stunden zuvor Anton Volkov gesessen hatte. Aber im Gegensatz zu Volkov war Hastings gebrochen. Der Geruch von Gas, die Dunkelheit, das Klicken des Zünders – das alles hatte seine Arroganz pulverisiert. Er trug eine Decke über den Schultern und zitterte immer noch, obwohl der Raum nicht kalt war.

„Sie hat mich reingelegt“, flüsterte er, seine Stimme war ein heiseres Krächzen. „Diese verdammte Hexe hat mich von Anfang an reingelegt.“

Ich saß ihm gegenüber, Milo stand wieder an der Wand. „Erzählen Sie uns alles, Hastings. Von Anfang an.“

Und er erzählte. Er erzählte, wie Evelyn Reed vor sechs Monaten an ihn herangetreten war. Sie hatte ihm Beweise für die Wirtschaftsspionage der Phoenix Group vorgelegt – Beweise, die sie anscheinend von Julian Croft selbst gestohlen hatte. Sie hatte ihm einen Deal angeboten: Phoenix sollte ihr helfen, Croft loszuwerden, der im Begriff war, alles auffliegen zu lassen. Im Gegenzug würde sie als neue CEO von Chronos dafür sorgen, dass die belastenden Beweise verschwinden und eine „freundlichere“ Geschäftsbeziehung entsteht.

„Sie sagte, sie hätte einen Kontakt“, fuhr Hastings fort. „Einen ‚externen Spezialisten‘, der solche Probleme diskret lösen könnte. Sie nannte ihn nur den ‚Geist‘. Alle Kommunikation lief über sie. Sie gab mir die Protokolle für die anonymen Zahlungen über Ares Strategic Solutions. Ich dachte, ich würde meine Firma schützen. Ich dachte, ich hätte die Kontrolle.“ Er lachte bitter. „Was für ein Narr.“

„Und Marcus Thorne?“, fragte ich.

„Thorne war Reeds Idee. Sie schlug vor, ihn als Sündenbock zu benutzen, falls etwas schiefgeht. Sie wusste, dass er einen Groll gegen Croft hegte. Sie sorgte dafür, dass er eine großzügige Abfindung bekam, die hoch genug war, um verdächtig auszusehen. Sie hat ihn von Anfang an als Opferlamm aufgebaut.“

„Wussten Sie, dass der ‚Geist‘ Thorne töten würde?“, fragte Milo von der Wand her.

Hastings schüttelte den Kopf. „Nein! Ich schwöre es. Als Sie heute Morgen bei mir waren, habe ich Reed angerufen. Ich war in Panik. Sie sagte mir, ich solle ruhig bleiben. Sie sagte, der ‚Geist‘ würde das Problem ‚final lösen‘. Ich dachte, sie meinte, er würde Thorne einschüchtern oder außer Landes schaffen. Ich wusste nicht, dass… dass er mich auch auf der Liste hatte.“

Er vergrub sein Gesicht in den Händen. „Sie wollte alle Spuren beseitigen. Mich, Thorne, alle. Sie wollte als einzige übrig bleiben, sauber und unantastbar.“

„Kennen Sie die wahre Identität des Geistes?“, fragte ich und lehnte mich vor. „Haben Sie jemals einen Namen gehört?“

Er überlegte, seine Augen suchten in seiner Erinnerung. „Nein. Nie. Es war immer nur ‚der Geist‘. Aber… es gab da etwas. Vor ein paar Wochen. Wir hatten ein Telefonat, um die Details der Operation abzustimmen. Sie war abgelenkt, ich hörte im Hintergrund eine andere Stimme. Sie sagte etwas auf Russisch, dann legte sie schnell auf. Als ich nachfragte, wurde sie wütend und sagte, es ginge mich nichts an.“

„Erinnern Sie sich an irgendwelche Worte?“, drängte ich.

„Nein, es war zu schnell. Aber später, in einem anderen Gespräch, hat sie sich verplappert. Wir sprachen über die Fähigkeiten des Geistes, seine Effizienz. Und sie sagte… sie sagte: ‚Niemand ist besser als meine Katarina.‘ Sie hat sich sofort korrigiert, aber ich habe den Namen gehört.“

Katarina. Da war er wieder.

„Haben Sie diesen Namen jemals wieder gehört?“

„Nein. Aber er ist mir im Gedächtnis geblieben. Es klang nicht wie ein Codename. Es klang persönlich.“

Wir hatten es. Die Bestätigung. Hastings hatte unwissentlich den Namen der Mörderin gehört, die er mitbezahlt hatte. Die Verbindung zwischen Evelyn Reed und ihrem Geist war keine rein geschäftliche. Sie war persönlich.

„Eine Frage noch, Hastings“, sagte ich, bevor ich aufstand. „Was wissen Sie über eine rote Rose?“

Er sah mich verständnislos an. „Eine rote Rose? Nichts. Was hat das zu bedeuten?“

„Wahrscheinlich alles“, sagte ich leise und verließ den Raum.

17

Die letzte Besprechung des Tages fand spät in der Nacht statt. Das Team war erschöpft, aber die Luft im Raum knisterte vor einer neuen Art von Energie. Das Puzzle hatte eine neue, schärfere Form angenommen.

Auf dem großen Bildschirm waren jetzt die beiden Hauptfiguren: Evelyn Reed, die in einem separaten Verhörraum saß und stoisch schwieg, und das leere Feld mit dem Namen „Katarina“.

„Hastings hat alles bestätigt“, begann ich. „Reed ist die Architektin des Ganzen. Sie hat Phoenix benutzt, um den Mord an Croft zu finanzieren und zu verschleiern.“

„Und die rote Rose?“, fragte McKee.

Orry Medina ergriff das Wort. „Es war eine Botschaft. ‚Quitt.‘ Wir haben Reeds Reaktion gesehen. Das hat sie getroffen. Es war keine Drohung, es war… eine Erklärung. Eine Erfüllung. Als ob der Geist sagen wollte: ‚Der Pakt ist erfüllt. Die Schuld ist bezahlt.‘“

„Welcher Pakt? Welche Schuld?“, fragte Milo.

Nat Norton, der die ganze Zeit über fieberhaft getippt hatte, räusperte sich. „Ich glaube, ich habe etwas. Es ist dünn, aber es passt. Ich habe Evelyn Reeds Vergangenheit durchleuchtet. Vor fünfzehn Jahren, als sie noch eine junge Analystin bei einer Investmentbank war, war sie in einen Skandal verwickelt. Es ging um Insiderhandel mit russischen Staatsanleihen. Die Ermittlungen wurden damals plötzlich eingestellt. Einer der Hauptverdächtigen, ein russischer Kontaktmann, verschwand spurlos.“

Er fuhr fort: „Gleichzeitig habe ich nach dem Namen ‚Katarina‘ in Verbindung mit russischen Spezialeinheiten gesucht. Es gibt eine Legende in Geheimdienstkreisen. Eine weibliche GRU-Agentin, ein ‚Schläfer‘, der vor über einem Jahrzehnt in den Westen geschickt wurde. Ihr Codename war ‚Rote Rose‘. Sie war bekannt für ihre Fähigkeit, spurlos zu verschwinden und ebenso spurlos wieder aufzutauchen. Vor fünfzehn Jahren verschwand sie vom Radar. Zur selben Zeit, als die Ermittlungen gegen Evelyn Reed eingestellt wurden.“

Stille im Raum.