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Dieser Band enthält folgende Krimis: Kommissar Jörgensen und der Mord an Lisa: Hamburg Krimi (Alfred Bekker) Der Mann mit der Kapuze (Alfred Bekker) Kommissar Jörgensen und die tote Lena: Hamburg Krimi (Alfred Bekker) Kubinke und die verborgene Wahrheit (Alfred Bekker) Ein Killer in Marseille (Alfred Bekker) Kommissar Jörgensen dreht jeden Stein um (Alfred Bekker) Commissaire Marquanteur und der Schuss auf Julie (Alfred Bekker) Commissaire Marquanteur und die toten Taschdiebe (Alfred Bekker) Commissaire Marquanteur und die Organisation ZARGON (Alfred Bekker) Harry Kubinke und sein Kollege Rudi Meier nehmen an einer großangelegten Operation gegen CASH FLOW teil, einem illegalen Bezahldienst im sogenannten Darknet. Marvin Manteufel wird verhaftet, der Kopf dieser Organisation. Zeitgleich greifen auch Beamten in anderen Städten zu, um diese kriminelle Organisation zu zerschlagen. Doch nach kurzer Zeit kommen Zweifel auf, ob das Netzwerk wirklich zerschlagen wurde.
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Seitenzahl: 715
Veröffentlichungsjahr: 2025
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9 Starke Krimis April 2025
Copyright
Kommissar Jörgensen und der Mord an Lisa: Hamburg Krimi
Der Mann mit der Kapuze
Kommissar Jörgensen und die tote Lena: Hamburg Krimi
Kubinke und die verborgene Wahrheit
Ein Killer in Marseille
Kommissar Jörgensen dreht jeden Stein um
Commissaire Marquanteur und der Schuss auf Julie
Commissaire Marquanteur und die toten Taschendiebe
Commissaire Marquanteur und die Organisation ZARGON
Dieser Band enthält folgende Krimis:
Kommissar Jörgensen und der Mord an Lisa: Hamburg Krimi (Alfred Bekker)
Der Mann mit der Kapuze (Alfred Bekker)
Kommissar Jörgensen und die tote Lena: Hamburg Krimi (Alfred Bekker)
Kubinke und die verborgene Wahrheit (Alfred Bekker)
Ein Killer in Marseille (Alfred Bekker)
Kommissar Jörgensen dreht jeden Stein um (Alfred Bekker)
Commissaire Marquanteur und der Schuss auf Julie (Alfred Bekker)
Commissaire Marquanteur und die toten Taschdiebe (Alfred Bekker)
Commissaire Marquanteur und die Organisation ZARGON (Alfred Bekker)
Harry Kubinke und sein Kollege Rudi Meier nehmen an einer großangelegten Operation gegen CASH FLOW teil, einem illegalen Bezahldienst im sogenannten Darknet. Marvin Manteufel wird verhaftet, der Kopf dieser Organisation. Zeitgleich greifen auch Beamten in anderen Städten zu, um diese kriminelle Organisation zu zerschlagen. Doch nach kurzer Zeit kommen Zweifel auf, ob das Netzwerk wirklich zerschlagen wurde.
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Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, Jack Raymond, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author / COVER A. PANADERO
© dieser Ausgabe 2025 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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von ALFRED BEKKER
Es war ein typischer grauer Morgen in Hamburg. Der Himmel war wolkenverhangen, und ein feiner Nieselregen ergoss sich über die Stadt. Ich, Kommissar Uwe Jörgensen, machte mich auf den Weg ins Polizeihauptpräsidium. Mein Kollege, Roy Müller, saß bereits an seinem Schreibtisch, als ich das Büro betrat. Unser Büro lag im zweiten Stock eines alten Backsteingebäudes mitten in der Stadt, nicht weit von den Landungsbrücken entfernt.
„Morgen, Uwe,“ begrüßte mich Roy mit einem knappen Nicken, während er einen Schluck von seinem inzwischen wohl lauwarmen Kaffee nahm.
„Morgen, Roy. Irgendwas Interessantes über Nacht passiert?“ fragte ich, während ich meinen tropfnassen Mantel an die Garderobe hing und mich hinter meinen Schreibtisch setzte.
„Ja, tatsächlich,“ antwortete er und reichte mir einen Ausdruck. „Da ist heute Nacht eine Leiche in der Speicherstadt aufgetaucht. Kriminaldirektor Bock will, dass wir uns das mal ansehen.“
Mein Blick fiel auf das Foto des Tatorts. Eine junge Frau, Mitte zwanzig, lag tot am Ufer des Brooksfleet, eingehüllt in die allgegenwärtigen Schatten der alten Lagerhäuser. Ein Schauer lief mir über den Rücken.
„Gut, lass uns los,“ sagte ich entschlossen und stand wieder auf.
Wir fuhren mit dem Dienstwagen durch das Herz Hamburgs, vorbei am Michel und den belebten Straßen der Hafencity. Trotz des trostlosen Wetters herrschte reges Treiben. Unser Ziel war ein abgelegener Teil der Speicherstadt, wo die alten Lagerhäuser ein labyrinthartiges Netz aus Kanälen und Brücken bildeten.
Beim Tatort angekommen, empfing uns bereits die übliche Szenerie: Absperrband, Polizisten und neugierige Schaulustige. Dr. Gerold Wildenbacher, unser knorriger Pathologe, war auch schon vor Ort und beugte sich über die Leiche, während Dr. Dr. Friedrich G. Förnheim, unser forensisches „Wunderkind“, mit seinem üblichen aufgesetzten Lächeln daneben stand.
„Morgen, die Herren,“ brummte Wildenbacher und richtete sich auf, als er uns sah. „Todeszeitpunkt ist noch nicht genau feststellbar, aber sie ist definitiv nicht hier gestorben. Jemand muss sie hierher gebracht haben.“
Ich nickte. „Danke, Dr. Wildenbacher. Förnheim, irgendetwas, das uns weiterhelfen könnte?“
Der Forensiker hob eine Augenbraue und musterte mich mit dem ihm eigenen Ausdruck der Arroganz. „Natürlich gibt es Spuren, Kommissar Jörgensen. Aber ob Sie in der Lage sind, sie zu interpretieren, ist eine andere Frage.“
Ich ignorierte seinen spitzen Kommentar und betrachtete die Umgebung genauer. Die alten Backsteinwände, die schmalen Pfade und die trüben Wasserstraßen der Speicherstadt schienen endlose Geheimnisse zu bergen. Doch irgendwo hier musste der Schlüssel zu diesem Rätsel verborgen sein.
„Was wissen wir über das Opfer?“ fragte Roy und wandte sich an einen der uniformierten Polizisten vor Ort.
„Der Personalausweis identifiziert sie als Lisa Meyer. Sie wohnte in Altona, nicht weit von hier.“
„Gut, Roy. Lass uns ihre Wohnung durchsuchen und mit den Nachbarn sprechen,“ sagte ich und schaute noch einmal auf die Leiche. „Etwas an diesem Fall fühlt sich... anders an. Wir müssen jede Spur akribisch verfolgen.“
Ich wusste, dass wir nur an der Oberfläche eines tiefen und komplexen Falles kratzten. Aber das war es, was unsere Arbeit so besonders machte. Hinter jedem Mord verbarg sich ein dichtes Netz aus Lügen, Geheimnissen und Abgründen der menschlichen Natur. Und ich war fest entschlossen, diesen Knoten zu entwirren – selbst wenn das bedeutete, mich den dunkelsten Schatten Hamburgs zu stellen.
Und so ließ ich den Tatort hinter mir, begierig darauf, die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Als wir uns auf den Weg nach Altona machten, konnte ich die lastende Stimmung des Tatorts nicht abschütteln. Der Regen hatte inzwischen nachgelassen, doch die Wolken hingen weiterhin schwer über der Stadt. Die Straßen waren belebt, doch es fühlte sich an, als würde ich in einer Blase der Anspannung und Ungewissheit fahren.
„Was denkst du, Uwe?“ fragte Roy, während er den Wagen durch den morgendlichen Verkehr manövrierte. „War das ein gezielter Mord oder nur ein Zufallsopfer?“
Ich runzelte die Stirn und starrte aus dem Fenster. „Zu früh, um das zu sagen. Aber etwas in meinem Bauchgefühl sagt mir, dass es mehr dahinter gibt.“
Ein kurzer, zustimmender Laut war Roys einzige Antwort, während wir durch die belebten Straßen von Altona fuhren. Schließlich hielten wir vor einem unscheinbaren Wohnkomplex. Lisas Wohnung lag im zweiten Stock, und der Hausmeister, ein älterer Mann mit buschigen Augenbrauen und einer schmutzigen Schiebermütze, ließ uns bereitwillig hinein.
„Die Dame war sehr freundlich, aber auch ziemlich ruhig. Hat nie viel von sich preisgegeben,“ sagte er, während wir zu ihrer Wohnung gingen.
„Danke, wir kommen noch einmal auf Sie zurück,“ sagte ich, als wir vor Lisas Wohnungstür standen. Ein kurzer Blick zu Roy, ein Nicken, und er drehte den Schlüssel, den der Hausmeister uns gegeben hatte.
Die Wohnung war sauber und ordentlich, fast schon steril. Es gab wenige persönliche Gegenstände. Fotos von Familie oder Freunden fehlten komplett. Ein seltsames Gefühl der Einsamkeit beschlich mich.
„Such nach allem, was uns Hinweise geben könnte. Briefe, Mails, Tagebücher, alles,“ sagte ich zu Roy, der sofort begann, Schubladen und Schränke zu durchsuchen.
Ich ging in den kleinen Wohnbereich und sah mich um. Auf dem Couchtisch lag eine Zeitschrift, aufgeschlagen bei einer Seite mit einer Werbung für eine exklusive Bar nahe den St. Pauli-Landungsbrücken. War Lisa dort gewesen? Hatte sie dort jemanden getroffen?
„Uwe, schau dir das an,“ rief Roy aus dem Schlafzimmer. Ich eilte hinüber und sah, dass er einen Laptop hochhielt. „Es gibt eine Menge Nachrichten und Mails, die alle von der gleichen Person stammen. Ein gewisser 'J'."
„J?“ wiederholte ich nachdenklich. „Vielleicht ein Freund oder jemand aus ihrem Umfeld.“
Wir beschlossen, den Laptop zur weiteren Auswertung mit ins Präsidium zu nehmen. Als wir die Wohnung verließen, hatte ich das Gefühl, dass wir der Wahrheit ein kleines Stück näher gekommen waren. Doch es gab noch so viele Fragen.
Zurück im Präsidium klingelte mein Telefon kaum, dass ich mich hingesetzt hatte. Es war Kriminaldirektor Bock.
„Jörgensen, Müller. Ich möchte, dass Sie Ihren Bericht zum heutigen Fall bis zum Ende des Tages einreichen. Und glauben Sie nicht, dass wir massig Zeit haben. Die Presse steht schon in den Startlöchern,“ sagte er in seiner gewohnt strengen, aber fairen Art.
„Verstanden, Sir. Wir arbeiten daran,“ antwortete ich und legte auf.
„Roy, wir müssen die Informationen aus dem Laptop so schnell wie möglich bekommen. Vielleicht sollten wir Förnheim um Hilfe bitten, auch wenn er... nun ja, du weißt schon.“
Roy grinste schief. „Ja, ich weiß, was du meinst. Aber er ist der Beste, wenn es darum geht, technische Daten auszuwerten. Ich rufe ihn an.“
Während Roy telefonierte, lehnte ich mich in meinem Stuhl zurück und ließ meine Gedanken schweifen. Die Speicherstadt, die Wohnung in Altona, die mysteriösen Nachrichten von 'J' – alles fühlte sich wie Puzzlestücke an, die nur darauf warteten, zusammengesetzt zu werden.
Und tief in meinem Inneren hatte ich das unbestimmte Gefühl, dass dieser Fall uns beide an unsere Grenzen treiben würde. Doch ich war bereit, den Kampf aufzunehmen. Mann und Mörder konnten sich in Hamburgs düsteren Winkeln verstecken, aber letztlich würden wir sie finden. Immer.
Mein Blick wanderte zu dem Laptop, der nun vor mir auf dem Schreibtisch stand. Roy hatte ihn bereits gestartet, und der Bildschirm leuchtete mir entgegen. Die Nachrichten und E-Mails mussten Licht ins Dunkel bringen. Wer war 'J' und welche Beziehung hatte er zu Lisa?
Ich begann, die E-Mails durchzugehen. Die ersten Nachrichten waren freundlich, sogar vertraut. Es schien, als hätten Lisa und 'J' eine enge Beziehung gehabt. Aber je weiter ich voranschritt, desto düsterer wurden die Töne.
„Uwe, schau dir das hier an,“ sagte Roy plötzlich und deutete auf eine E-Mail, die besonders hervorstach. Die Betreffzeile lautete: „Dringend – Wir müssen reden.“
Ich überflog den Text, und mein Magen zog sich zusammen.
Von: [email protected]: [email protected]: 12. Oktober 20XXBetreff: Dringend – Wir müssen reden
Lisa,
wir müssen uns dringend treffen. Die Sache wird immer komplizierter, und ich habe das Gefühl, dass uns die Zeit davonläuft. Ich mache mir wirklich Sorgen. Das, was wir besprochen haben, darf auf keinen Fall an die Öffentlichkeit gelangen. Wir sind beide in Gefahr, und ich weiß nicht, wem ich noch vertrauen kann.
Bitte, Lisa. Lass uns das klären, bevor es zu spät ist.
J.
"Wer könnte 'J' sein?" fragte ich laut und richtete mich wieder auf.
Roy ließ seinen Blick über die Nachrichten gleiten. „Es scheint jemand zu sein, der sehr nahe an Lisa dran war. Vielleicht ein Geliebter oder jemand aus ihrem beruflichen Umfeld.“
Die nächsten Nachrichten bestätigten diesen Verdacht. 'J' und Lisa hatten offenbar eine heimliche Beziehung geführt. Die E-Mails waren durchzogen von leidenschaftlichen Worten, aber auch von Andeutungen über etwas Gefährliches, das sie gemeinsam durchlebten.
Von: [email protected]: [email protected]: 5. Oktober 20XXBetreff: Re: Alles wird gut
Lisa,
ich weiß, dass du Angst hast, aber wir werden das durchstehen. Denk daran, warum wir das tun. Denk daran, was auf dem Spiel steht.
Ich liebe dich, und ich werde alles tun, um dich zu beschützen.
J.
Die Verzweiflung und Angst waren in jedem Wort spürbar. Was hatten Lisa und 'J' vor? Und warum hatte jemand offenbar beschlossen, dass Lisa dafür sterben musste?
„Uwe, hast du das Datum bemerkt?“ fragte Roy plötzlich.
Ich blickte noch einmal genauer auf die E-Mails. Das Datum der letzten Nachricht war nur zwei Tage vor Lisas Tod. Sie stand kurz davor, etwas Wichtiges zu teilen oder vielleicht jemanden zu treffen.
„Wir müssen herausfinden, wer dieser 'J' ist,“ murmelte ich nachdenklich. „Vielleicht hatte Lisa Feinde – oder 'J' selbst ist in Gefahr.“
„Vielleicht sollten wir mit Förnheim und Wildenbacher sprechen," schlug Roy vor. „Möglicherweise haben sie mehr Hinweise zu Lisas Umfeld oder haben etwas übersehen, was wir gebrauchen könnten.“
Ich nickte zustimmend. „Ja, gute Idee. Und wir sollten auch in der Bar bei den St. Pauli-Landungsbrücken nachfragen. Vielleicht hat sie sich dort mit 'J' getroffen.“
Während wir uns wieder auf den Weg machten, hatte ich das unbestimmte Gefühl, dass der Schatten um diesen Fall nur tiefer und dichter geworden war. Doch je dunkler es wurde, desto entschlossener war ich, Licht in diese schreckliche Angelegenheit zu bringen.
Lisas letzte Tage vor ihrem Tod entfalteten sich wie ein düsteres Mosaik, während wir tiefer in ihr Leben eintauchten. Jeder Schritt, den wir unternahmen, schien eine neue Facette ihrer Ängste und Hoffnungen freizulegen.
Unsere erste Anlaufstelle war die Bar bei den St. Pauli-Landungsbrücken, die in der Werbung aufgeschlagen war. Das „Leuchtfeuer“ war ein beliebter Treffpunkt – stilvoll, mit gedämpfter Beleuchtung und einer angenehmen Atmosphäre. Wir hofften, hier auf jemanden zu stoßen, der möglicherweise in den letzten Tagen mit Lisa gesprochen oder sie beobachtet hatte.
„Entschuldigen Sie, wir sind von der Kripo,“ sagte ich, als wir den Barkeeper ansprachen. Der junge Mann nickte ernst, als er unsere Ausweise sah.
„Kennen Sie diese Frau?“ Ich zeigte ihm ein Foto von Lisa.
„Ja, ich erinnere mich an sie. Sie war ein paar Mal hier, immer allein,“ antwortete der Barkeeper. „Das letzte Mal habe ich sie vor etwa einer Woche gesehen. Sie wirkte angespannt, unruhig.“
Das bestätigte unsere Vermutungen, dass Lisa in den letzten Tagen vor ihrem Tod unter enormem Druck gestanden hatte. „Haben Sie gesehen, mit wem sie gesprochen hat?“
„Nur mit einem Mann – ein dunkelhaariger Typ, ziemlich gut gekleidet. Sie haben sich sehr intensiv unterhalten. Nichts von dem Gespräch war zu hören, aber die Körpersprache sagte alles: Es war wichtig.“
„Danke. Falls Ihnen noch etwas einfällt, hier ist meine Karte,“ sagte ich und reichte ihm meine Visitenkarte.
Zurück im Präsidium gingen wir die Nachrichten erneut durch. Eine neue Nachricht auf dem Laptop, die wir vorher übersehen haben mussten, stach besonders hervor. Es war eine Notiz in einem versteckten Ordner, datiert auf den Tag vor ihrem Tod.
Lisa’s Notizen
Ich weiß nicht, wem ich vertrauen kann. J sagt, dass alles gut wird, aber ich habe Angst, dass wir beobachtet werden. Die Sache mit den Dokumenten könnte uns beide ins Gefängnis bringen. Aber ich habe keine Wahl. Ich muss die Wahrheit herausfinden, egal mit welchem Risiko. J liebt mich, aber ich glaube, er hat mir nicht alles gesagt...
„Dokumente?“ fragte Roy. „Es klingt, als hätte sie etwas herausgefunden, das gefährlich genug war, um sie zu töten.“
„Ja,“ antwortete ich, tief in Gedanken versunken. „Und nun frage ich mich, ob 'J' wirklich ihr Beschützer war oder doch etwas zu verbergen hatte.“
Wir entschieden, Lisas Arbeitsplatz zu besuchen, um möglicherweise mehr über diese Dokumente zu erfahren. Sie arbeitete in einem kleinen Büro im Kontorhausviertel, einem historischen Teil Hamburgs, bekannt für seine expressionistische Backsteinarchitektur. Das Viertel war ein Labyrinth aus Höfen und Gebäuden, die in den 1920er Jahren errichtet worden waren.
Ich sprach mit ihrer Kollegin, einer Frau namens Karin Schröder, die sehr darauf bedacht schien, uns zu helfen. „Lisa war eine sehr engagierte Mitarbeiterin, aber in den letzten Wochen war sie anders. Sie war oft abgelenkt und wirkte gestresst,“ erklärte Karin.
„Gab es irgendwelche ungewöhnlichen Dokumente oder Projekte, an denen sie arbeitete?“ fragte Roy.
Karin zögerte kurz, bevor sie antwortete. „Ja, tatsächlich. Sie war mit einem sehr sensiblen Projekt betraut. Es ging um finanzielle Unregelmäßigkeiten in einer großen Firma, mit der unser Büro zu tun hatte. Sie hatte mir erzählt, dass sie auf etwas Großes gestoßen war, aber ich weiß nicht, was genau.“
Das passte zu den Notizen auf Lisas Laptop. Es schien, als hätte sie wichtige und möglicherweise belastende Informationen entdeckt, die jemand um jeden Preis geheim halten wollte.
„Danke, Frau Schröder. Ihre Hilfe ist sehr wertvoll für unsere Ermittlungen,“ sagte ich, und wir machten uns wieder auf den Weg zurück zum Präsidium.
Mit jedem Puzzlestück, das wir fanden, formte sich ein klareres Bild der letzten Tage in Lisas Leben. Sie hatte instinktiv gespürt, dass sie sich in Gefahr befand, und der vermeintliche Schutz von 'J' hatte sie letztlich nicht retten können. Ob 'J' nun ihr Verbündeter oder etwas anderes war, stand noch in den Sternen.
Als wir wieder in unser Büro zurückkehrten, wusste ich: Die Wahrheit war näher, als wir vermuteten. Doch würden wir sie rechtzeitig finden, bevor noch jemand ins Visier geriet?
Der Gedanke ließ mich nicht los, während ich starr auf den Bildschirm des Laptops blickte. In den Schatten Hamburgs verbarg sich noch vieles, aber Stück für Stück würde das Licht die Dunkelheit vertreiben.
*
Zurück in unserem Büro im Polizeihauptpräsidium, setzte ich mich wieder an meinen Schreibtisch und ließ die Informationen, die wir gesammelt hatten, auf mich wirken. Roy telefonierte noch einmal mit Dr. Förnheim, um ihn auf dem Laufenden zu halten und herauszufinden, ob die forensische Untersuchung irgendwelche neuen Erkenntnisse hervorgebracht hatte. Kurz darauf kam Dr. Förnheim höchstpersönlich ins Büro, sein souveränes Auftreten und sein gelangweilter Gesichtsausdruck wie immer unverkennbar.
"Ich gehe davon aus, dass Sie mich brennend wegen den Daten benötigen," begann er ohne Umschweife, während er sich nicht die Mühe machte, sich zu setzen.
"Ja, Förnheim, wir brauchen alles, was du herausfinden kannst," sagte ich, während ich ihm den Laptop reichte.
Er seufzte dramatisch, machte sich dann aber mit geübter Präzision an die Arbeit. „Nun, da es scheint, dass Sie meine Hilfe nicht entbehren können, werde ich sehen, was ich tun kann.“
Roy und ich beobachteten ihn schweigend, während er mit rasender Geschwindigkeit über die Tastatur flog. Einige Minuten später lehnte er sich zurück, ein zufriedenes Lächeln auf den Lippen.
"Interessant," murmelte er und drehte den Bildschirm, damit wir es sehen konnten. "Hier sind einige verschlüsselte Dateien. Ich konnte sie knacken. Es scheint, als hätte Lisa detaillierte Berichte über finanzielle Transfers und dubiose Transaktionen gesammelt."
Ich nahm den Laptop und überflog die aufgeschlüsselten Dokumente. Es waren Berichte, die komplexe Schiebereien aufdeckten, Namen von einflussreichen Personen und große Geldbeträge, die zwischen anonymen Konten hin und her flossen. Dies war zweifellos das, was Lisa in Gefahr gebracht hatte. Sie hatte etwas gefunden, das jeden bedrohen konnte, der in diese Machenschaften verwickelt war.
"Förnheim, kannst du herausfinden, ob jemand versucht hat, auf ihren Laptop zuzugreifen, bevor wir ihn in die Hände bekamen?" fragte ich schließlich, hoffend, dass dies noch ein weiteres Puzzlestück preisgeben würde.
"Natürlich. Einen Moment," sagte er knapp und vertiefte sich erneut in die Daten. Einige Minuten später hob er den Blick. "Tatsächlich, jemand hat erst gestern versucht, sich fernzugreifen. Leider erfolglos."
Ich nickte dankbar. „Das hilft uns weiter. Danke, Förnheim.“
„Es ist mein Job, es zu wissen, nicht nur Theorien aufzustellen,“ sagte er mit einem selbstgefälligen Grinsen, bevor er aus dem Büro stolzierte.
Roy und ich tauschten einen Blick aus. „Das gibt uns einen engen Zeitrahmen,“ sagte Roy. „Vielleicht könnte 'J' die gleiche Person sein, die versucht hat, auf den Laptop zuzugreifen.“
„Oder jemand, der wusste, dass Lisa etwas hatte, das für ihn gefährlich war,“ fügte ich hinzu. „Wir müssen dringend mit 'J' sprechen.“
Wir entschieden uns, den Nachmittag damit zu verbringen, Lisas Kontakte näher zu beleuchten. Es musste irgendwo eine Verbindung zu 'J' geben, jemanden, der ihn identifizieren konnte. Als erstes kehrten wir zurück nach Altona und suchten erneut das Gespräch mit den Nachbarn.
Eine ältere Dame im Erdgeschoss erinnerte sich an einen Mann, der Lisa oft besuchte. „Er war immer sehr höflich, aber auch ernst. Er hatte diesen Schatten in den Augen, wissen Sie?“ sagte sie und schüttelte den Kopf. „Ich glaube, er war beruflich sowieso viel unterwegs. Habe ihn häufig mit einem Reisekoffer gesehen.“
In Kombination mit dem, was wir aus den E-Mails wussten, formte sich ein deutlicheres Bild von 'J'. „Roy, es klingt, als wäre er häufiger verreist und könnte eine Art Berater oder Geschäftsmann gewesen sein,“ überlegte ich laut. „Vielleicht jemand aus der Firma, über die Lisa recherchiert hat.“
Roy nickte. „Das Büro sollte noch Informationen haben, vielleicht liegt sein Name in Lisas Aufzeichnungen.“
Wir fuhren zurück ins Präsidium, um unsere Schritte durchzugehen und die neuen Informationen mit Karin Schröder zu teilen. Ihre Augen weiteten sich, als sie Lisas Notizen und die verschlüsselten Dateien sah. „Das ist... unglaublich,“ sagte sie leise. „Ich hatte keine Ahnung, dass das Projekt so gefährlich war.“
„Wissen Sie, ob jemand aus dem Unternehmen, über das Lisa recherchiert hat, sie regelmäßig besucht hat? Jemand, der oft unterwegs ist?“ fragte ich.
Karin dachte kurz nach. „Ja… Da war ein Mann namens Johannes Bergmann. Ich erinnere mich, Lisa hatte häufig Meetings mit ihm. Ich weiß nicht viel über ihn, aber er reist viel und ist enorm einflussreich.“
Roy und ich tauschten einen Blick. Unser nächstes Ziel war klar: Johannes Bergmann. Wenn 'J' wirklich er war, dann hatten wir noch viel herauszufinden. Die Spannung um diesen Fall nahm zu, und ich spürte, dass wir einem Durchbruch nahe waren.
Vielleicht würde Bergmann uns Antworten liefern – oder er würde uns näher zu dem bringen, was Lisa zu ihrer tödlichen Entdeckung geführt hatte.
Mit dem Namen Johannes Bergmann auf unseren Zetteln und einem klaren Ziel vor Augen, machten wir uns auf den Weg. Es dauerte nicht lange, bis wir seine Adresse, ein elegantes Penthouse im noblen Stadtteil Winterhude, herausgefunden hatten. Als der Aufzug im obersten Stockwerk hielt und die Türen sich öffneten, empfing uns ein Flur mit Kunst an den Wänden und einem luxuriösen Ambiente.
Ich klopfte an die massive Holztür, und nach einigen Augenblicken öffnete uns ein gut gekleideter Herr mittleren Alters, vermutlich in den Fünfzigern. Seine Augen weiteten sich kurz vor Überraschung, als er uns erblickte.
„Guten Tag, Herr Bergmann. Kommissar Jörgensen und Kommissar Müller von der Kriminalpolizei Hamburg. Wir haben ein paar Fragen an Sie,“ sagte ich und zeigte ihm kurz meine Dienstmarke.
Johannes Bergmann trat beiseite und ließ uns in sein geschmackvoll eingerichtetes Wohnzimmer. „Worum genau geht es?“ fragte er mit einer Mischung aus Neugier und Nervosität.
„Es geht um Lisa Meyer,“ begann ich, aufmerksam seine Reaktion beobachtend. Er zog darum unmerklich die Augenbrauen hoch, versuchte aber, eine neutrale Miene zu wahren.
„Lisa... Ich habe von ihrem Tod gehört. Sehr traurig,“ sagte er ernst. Doch ich spürte, dass unter der Oberfläche mehr brodelte.
„Sie waren im regen Kontakt mit ihr. Können Sie uns sagen, worüber Sie beide gesprochen haben?“ fragte Roy sachlich und doch direkt.
Johannes' Augen verengten sich leicht, als er uns beide abwechselnd ansah. „Nun, das meiste waren berufliche Belange. Sie arbeitete an einem Projekt, das sehr sensible Informationen beinhaltete.“
„Sensibel genug, um Ihr Leben zu gefährden?“ hakte ich nach.
Er schwieg einen Moment, bevor er antwortete. „Es gab einige Unregelmäßigkeiten, ja. Lisa war klug und sehr gründlich. Sie stieß auf Dinge, die... nun, die nicht jeder wissen sollte.“
„War irgendwas aus Ihren Besprechungen oder E-Mails jemals bedrohlich? Hat jemand versucht, sie zum Schweigen zu bringen?“ fragte Roy weiter.
Johannes senkte den Blick, und in diesem Moment schien er mir auf einmal erschöpft und älter. „Ja...“, er seufzte. „Sie bekam Drohungen. Anonyme Briefe, Nachrichten. Und ich... ich habe versucht, sie zu schützen. Aber es war zu spät.“
Ich nickte verstehend und wog meine nächsten Worte ab. „Sie müssen verstehen, Johannes, dass wir alles wissen müssen, um herauszufinden, wer Lisa nach dem Leben trachtete. Sind Sie 'J'? Derjenige, der ihr so viele E-Mails geschrieben hat?“
Er zuckte leicht zusammen, als er den Spitznamen hörte, und nickte schließlich. „Ja, ich bin 'J'. Ich habe versucht, ihr zu helfen, aber die Menschen, die hinter den Unregelmäßigkeiten standen, sind gefährlich. Sehr gefährlich.“
„Kennen Sie die Namen dieser Menschen? Wissen Sie, wer so weit gehen würde?“ fragte ich eindringlich.
Johannes erhob sich und holte einige Akten aus einer Schublade. „Ich habe alles hier. Es sind mächtige Leute. Leute, die Verbindungen und Ressourcen haben. Sie haben Verbindungen zu Bankern, Politikern und Unternehmern.“
Ich nahm die Akte entgegen und überflog die Dokumente. Es war eine Sammlung von Beweisen, die bis hin zu hohen Beamten und Unternehmern reichten. Dies erklärte auch, warum Lisa so in Gefahr war.
„Das ist eine Menge Material,“ sagte Roy beeindruckt.
„Das ist noch nicht alles,“ fügte Johannes hinzu. „Lisa hatte eine Kopie dieser Dokumente. Sie hatte Angst, dass sie allein nicht sicher genug wären.“
„Wissen Sie, wo sie die Kopie aufbewahrt hat?“ fragte ich.
„Sie erwähnte eine alte Schließfachnummer in der Speicherstadt. Sie sagte, dort sei alles versteckt.“
Das fügte sich zu den Hinweisen, die Lisa uns bereits gegeben hatte. Ein weiterer Grund, die Speicherstadt noch genauer in Augenschein zu nehmen. Roy und ich tauschten einen Blick – wir wussten, dass dies ein gefährlicher Schritt war, aber es musste sein.
„Vielen Dank, Herr Bergmann. Sie haben uns sehr geholfen,“ sagte ich ernst. „Wir werden jetzt zur Speicherstadt fahren und das Schließfach sichern.“
Bevor wir das Penthouse verließen, sagte Johannes noch: „Bitte seien Sie vorsichtig. Diese Leute könnten zu allem fähig sein.“
Wir nickten und machten uns auf den Weg. Die Speicherstadt, mit ihren dunklen Kanälen und den hohen, bedrohlichen Lagerhäusern, erwartete uns. Tief im Inneren dieses Labyrinths verbarg sich die letzte Wahrheit über Lisas Tod. Eine Wahrheit, die vielleicht sogar unser eigenes Leben in Gefahr bringen könnte.
Als wir näher zum Ziel kamen, merkte ich, wie die Spannung in mir und in Roy stieg. Der Regen hatte wieder zugenommen und peitschte uns ins Gesicht, als wir endlich vor dem Speicher standen, in dem das Schließfach war. Ich zog meinen Mantel fester um mich und nickte Roy zu. „Lass uns das durchziehen. Egal, wer sich uns in den Weg stellt.“
Und so stiegen wir die Treppen hinauf, bereit, die finale Antwort auf dieses düstere Rätsel zu finden.
Der Regen verwandelte die schmalen Treppen in glitschige Fallen, aber wir kämpften uns beharrlich voran. Der Schatten der hohen Backsteinwände und das Rauschen des Wassers in den Kanälen der Speicherstadt verstärkten die unheilvolle Atmosphäre. Endlich erreichten wir die Etage, in der sich das vermeintliche Schließfach befinden sollte. Mein Herz schlug schneller, als wir durch die dunklen, schmalen Gänge eilten.
Roy hielt an einer alten Holztür mit einem verrosteten Messingschild, auf dem eine verblasste Nummer zu erkennen war. „Das muss es sein,“ flüsterte er, obwohl kein Grund zur Heimlichkeit bestand – außer unserer eigenen Anspannung.
Ich zog vorsichtig den Schlüssel heraus, den uns Bergmann gegeben hatte, und steckte ihn ins Schloss. Es gab ein leises Klicken, und die Tür öffnete sich mit einem leichten Quietschen. Drinnen herrschte dunkle Finsternis, die nur von einem flackernden Licht begrüßt wurde, als Roy die Taschenlampe einschaltete.
Vor uns lagen mehrere alte, verstaubte Schließfächer. In einer Ecke des Raumes entdeckten wir das Gesuchte – ein mittelgroßes Metallkabinett, das mit einem Vorhängeschloss gesichert war. Ich hob den Schlüssel erneut und öffnete das Schloss mit einer Mischung aus Vorfreude und Furcht.
Drinnen waren mehrere dicke Ordner, die sorgfältig sortierte Dokumente enthielten. Ich begann, durch die Papiere zu blättern, während Roy die Umgebung im Auge behielt.
„Hier sind wir,“ murmelte ich, als ich den entscheidenden Abschnitt fand. Es waren detaillierte Aufzeichnungen über die betrügerischen Transaktionen, die Lisa entdeckt hatte. Namen, Daten, Kontonummern – alles war hier. Und es waren nicht nur finanzielle Unregelmäßigkeiten, sondern auch Verbindungen zu illegalen Aktivitäten, die bis zu höchsten Kreisen reichten.
„Das ist... enorm,“ sagte Roy beeindruckt. „Kein Wunder, dass Lisa in Gefahr war.“
„Wir müssen diese Beweise sichern und Kriminaldirektor Bock informieren,“ sagte ich entschlossen und verstaute die Dokumente in meiner Tasche. „Das wird sicherlich Wellen schlagen, aber es ist notwendig.“
Plötzlich hörten wir ein Geräusch im Gang – Schritte. Instinktiv griffen wir beide nach unseren Waffen und wichen in den Schatten. Die Schritte näherten sich, und bald trat eine Gestalt in den flackernden Lichtkegel der Taschenlampe. Es war ein Mann in einem dunklen Mantel, sein Gesicht im Halbdunkel kaum zu erkennen. Doch als er eintrat und uns sah, zog er blitzschnell eine Waffe.
„Keine Bewegung!“ rief er. „Geben Sie mir die Unterlagen!“
Roy und ich standen regungslos da, unsere Waffen auf den Unbekannten gerichtet. „Was wollen Sie? Wer sind Sie?“ fragte ich ruhig, obwohl mein Puls raste.
„Das sollten Sie besser nicht wissen,“ sagte er kaltlächelnd. „Geben Sie mir die Dokumente und niemand muss verletzt werden.“
„Das können wir nicht zulassen,“ erwiderte Roy fest.
Der Unbekannte lachte leise. „Sie wissen nicht, mit wem Sie sich anlegen, Kommissar. Diese Dokumente könnten sie und viele andere ins Gefängnis bringen. Und deshalb werde ich sie holen, ob Sie es wollen oder nicht.“
In diesem Moment hörten wir weitere Schritte – diesmal eiliger. Verstärkung? Der Unbekannte schaute kurz über die Schulter, genug Zeit, dass ich einen Schritt vorwärts machte und ihn entwaffnen konnte. Roy war schon zur Stelle und fixierte den Mann am Boden. Weitere Polizisten erschienen im Gang – es war Kriminaldirektor Bock mit einem Team.
„Gute Arbeit, Jörgensen, Müller,“ sagte Bock und nickte anerkennend. „Wir haben diesen Mann schon eine Weile im Visier. Wussten, dass er irgendwas mit dem Fall zu tun hat.“
Während der Unbekannte abgeführt wurde, zogen Roy und ich die Dokumente aus dem Schließfach. „Das hier ist der zentrale Beweis. Es wird einige mächtige Leute zur Rechenschaft ziehen.“
„Und Lisas Tod wird nicht umsonst gewesen sein,“ fügte Roy hinzu.
Zurück im Präsidium, verbrachten wir den Rest der Nacht damit, die Beweise zu katalogisieren und Berichte zu schreiben. Am nächsten Morgen, als die ersten Sonnenstrahlen durch das Fenster schimmerten, konnte ich endlich durchatmen. Der Fall war noch nicht ganz abgeschlossen, aber wir hatten einen großen Schritt in Richtung Gerechtigkeit gemacht.
„Roy, ich denke, es ist Zeit für uns, ein wenig Schlaf zu bekommen,“ sagte ich, als ich meinen Stift beiseite legte.
Roy grinste müde. „Das ist die beste Idee, die du heute hattest, Uwe.“
Als ich das Präsidium verließ und den frischen Morgenwind auf meinem Gesicht spürte, wusste ich, dass wir nicht nur Lisa, sondern auch uns selbst ein Stück weit gerichtet hatten. Die Wahrheit war ans Licht gekommen, und Hamburg fühlte sich an diesem Morgen ein wenig sicherer an. Doch in einer Stadt wie dieser warteten immer neue Geheimnisse und Gefahren auf uns. Aber für heute – nur für heute – hatten wir gewonnen.
Ein Harry Kubinke Kriminalroman
von Alfred Bekker
Harry Kubinke und sein Kollege Rudi Meier nehmen an einer großangelegten Operation gegen CASH FLOW teil, einem illegalen Bezahldienst im sogenannten Darknet. Marvin Manteufel wird verhaftet, der Kopf dieser Organisation. Zeitgleich greifen auch Beamten in anderen Städten zu, um diese kriminelle Organisation zu zerschlagen. Doch nach kurzer Zeit kommen Zweifel auf, ob das Netzwerk wirklich zerschlagen wurde.
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, Jack Raymond, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.
Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
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Sie trafen sich zum Essen im nobelsten Lokal, das man in Quardenburg finden konnte. Auch wenn das den gehobenen Ansprüchen von Herrn Förnheim nicht unbedingt entsprach, und natürlich nicht mit der gehobenen Gastronomie in Berlin oder Förnheims Hamburger Heimat zu vergleichen war. Annehmbar, das war Herrn Förnheims Urteil gewesen. Einigermaßen annehmbar. Oder anders ausgedrückt: Man musste sich nicht übergeben.
Sie waren beide hochqualifizierte Sachbearbeiter im Erkennungsdienst des Bundeskriminalamts: Er, Friedrich G. Förnheim, mit mehreren Doktortiteln ausgestatteter Forensiker mit akademischen Graden in Physik, Chemie, Pharmakologie und ein paar mehr oder minder verwandten Gebieten. Sie, Lin-Tai Gansenbrink, war IT-Spezialistin und Mathematikerin. Allerdings hatte sie nur einen Doktortitel, was sie in Förnheims Augen zu einer allenfalls mittelmäßig Begabten degradierte.
Sie waren Kollegen, arbeiteten oft zusammen.
Förnheim war gleichermaßen für sein Genie wie für seine Arroganz bekannt. Menschen mit einem IQ, der nicht im Bereich seiner eigenen Spitzenwerte lag, waren für ihn wahlweise Objekte des Mitgefühls oder des Forschungsinteresses, aber keineswegs adäquate Gesprächspartner, mit denen er seine Zeit verschwendete.
Als Test für die intellektuelle Satisfaktionsfähigkeit des Gegenübers verwendete Förnheim häufig feinsinnige Ironie oder raffiniert-zynischen Humor.
Wer das nicht verstand, landete in der Rubrik Dummerchen. Bedauernswert, hilfsbedürftig, aber ein längeres Gespräch wäre Zeitverschwendung gewesen.
Frau Gansenbrink hingegen war bekannt dafür, dass ihr jeglicher Sinn für Humor abging und dass ihr insbesondere jedes Verständnis für Ironie völlig fehlte. Sie war eben ein trockener Zahlenmensch.
Mit anderen Worten: Zwischen den beiden herrschten die besten Voraussetzungen für ein prickelndes Date.
“Ich hoffe sehr, dass die zugegebenermaßen etwas einfache Quardenburger Küche einem kultivierten Gourmet wie Ihnen zusagt”, sagte Lin-Tai Gansenbrink.
Förnheim sagte: “Oh, seien Sie versichert, Frau Kollegin, ich werde zumindest satt - auch wenn Sie natürlich Recht haben, dass ich die lokale Küche für gewöhnlich meide, soweit das möglich ist. Allerdings - besser als unsere Kantine ist dieses Etablissement schon! Das muss ich zugeben!”
“Dann bin ich ja beruhigt”, sagte Frau Gansenbrink.
Förnheim hob die Augenbrauen.
“Etwas überrascht war ich allerdings schon, Lin-Tai!”
Sie nannten sich beim Vornamen. So viel Kollegialität musste sein. Selbst für Förnheim, der eigentlich niemanden, mit dem er zusammenarbeitete, auch nur annähend als gleichwertig ansah.
“Worüber waren Sie überrascht?”, fragte Frau Gansenbrink.
“Darüber, dass Sie mich eingeladen haben!”
“So wie ich überrascht darüber war, dass Sie die Einladung überhaupt angenommen haben!”
“So ist es uns also anscheinend gelungen, uns gegenseitig zu überraschen!”
“Sie sagen es!”
“Wieso haben Sie mich denn eingeladen?”, fragte Förnheim. “Mein Sinn für Humor kann es ja wohl nicht sein, dem können Sie ja eben sowenig folgen wie anderen Gedankengängen meinerseits, die ich ja, wenn ich sie im dienstlichen Zusammenhang äußere, für Sie immer möglichst auf das Wesentliche reduziere!”
“Ich habe Sie eingeladen, um Ihnen im privaten Rahmen eine Frage zu stellen, die mich beschäftigt.”
Förnheim lächelte kurz. “Das soll jetzt aber nicht so etwas wie ein Heiratsantrag werden, wie ich hoffe! Unsere Kinder hätten auf Grund des von Ihnen eingebrachten DNA-Anteils auf jeden Fall massive Schulschwierigkeiten und wäre kaum in der Lage, einen ersten Universitätsabschluss zu machen bevor sie 15 - also uralt! - sind! Meines Erachtens wäre das unverantwortlich!”
“Keine Sorge, darum geht es nicht.”
“Dann bin ich ja froh, dass ich nicht Opfer eines plötzlichen Anfalls von romantischer Zudringlichkeit Ihrerseits werde, wie es scheint.”
“Ganz sicher nicht.”
“Und was ist das für eine Frage, die Sie mir stellen wollen?”
“Es geht um die Staatsanwältin, die vor kurzem verstorben ist.”
“Was habe ich mit der zu tun?”
“Ich denke, dass Sie sie umgebracht haben, Friedrich.”
Eine Pause entstand.
Friedrich G. Förnheim blickte auf. Nur einen kurzen Moment erschien ein Ausdruck von Überraschung in seinem Gesicht.
Er meinte: “Das sagt Ihre algorithmus-basierte Analyse aller Fakten, richtig?”
“So ist es. Ich kann nicht genau sagen, wie Sie es gemacht haben. Aber es spricht alles dafür, DASS Sie für ihren Tod verantwortlich sind. Natürlich gehe ich eingedenk Ihres Genies davon aus, dass es dafür keine physischen Beweise gibt. Schließlich kennen Sie alle Tricks - als Forensiker, Tatortanalyst, Ballistiker, Chemiker und was Sie sonst alles so sind!”
“Die Staatsanwältin, von der Sie sprachen, hat Beweise gefälscht, um einen geistig zurückgebliebenen Mann verhaften zu können, von dem sie glaubte, dass er ein paar Kinder umgebracht hat. Sie hat dafür gesorgt, dass die Mitgefangenen von der Anklage wussten und er entgegen den Gepflogenheiten nicht in Einzelhaft war, was dazu führte, dass man den Verdächtigen umgebracht hat. Wie sich später herausstellte, war er völlig unschuldig.”
“Und Ihr bekanntermaßen unerbittlicher Sinn für Gerechtigkeit hat das nicht ertragen!”
“Ich finde, so jemand sollte nicht bei der Staatsanwaltschaft sein. Und ich finde, dass so jemand bestraft gehört.”
“Womit wir dann bei dem wären, was mir unter anderem noch fehlte: Ihrem Motiv für die Tat, Friedrich!”
“Falls Sie auf ein verbales Geständnis meinerseits aus sind, weil natürlich schon festgestellt haben, dass es unmöglich ist, physische Beweise gegen mich zu finden, möchte ich Sie auf folgendes hinweisen: Ich trage aus persönlichen Sicherheitsgründen immer einen selbstgebauten, aber sehr effektiven Störsender bei mir, der jegliche Abhörtechnik in meiner Umgebung unbrauchbar macht.” Er nahm sein Handy aus der Jacketttasche und hielt ihr das Display hin. “Das ganze wird über eine praktische App gesteuert. Die Technik, mit der Sie sich verkabelt haben, ist wirkungslos. Sie werden damit nicht mehr als ein Rauschen aufzeichnen, Lin-Tai!”
Frau Gansenbrink schluckte.
Förnheim fuhr fort: “Ich gehe davon aus, dass Sie das selbst installiert haben. Sollte es allerdings noch weitere beabsichtigte Zuhörer dieses Gesprächs geben oder sollten Sie dieses Rauschen an Ihren Rechner senden, so empfehle ich Ihnen, Ihre Apparatur jetzt abzuschalten. Warum? Weil jetzt der Teil des Gesprächs kommt, der für Sie peinlich werden könnte und Sie wissen ja nicht, ob ich ganz plötzlich meinen Störsender abgeschaltet habe, sodass dann ein kompromittierender Mitschnitt auf Ihrem Rechner oder einem Server, zu dem Sie Zugang haben zu finden ist. Ich würde das vermeiden.”
Frau Gansenbrink fasste unter ihre Bluse und ruckelte etwas herum. “Das ist nur mein BH, der etwas kneift.”
“Natürlich!”
“An Ihren Vermutungen ist nichts dran!”
“Haben Sie in der letzten Zeit doch noch gelernt, was Ironie ist - oder meinen Sie das wirklich im Ernst, Lin-Tai?”
“Ich frage mich, wie ich damit umgehen soll, mit jemandem zusammenzuarbeiten, der ein Mörder ist!”, sagte Frau Gansenbrink.
“Finden Sie denn nicht, dass die Staatsanwältin Ihr Schicksal verdient hat. Lin-Tai.”
“Darum geht es hier nicht.”
“Oh, das hätte ich mir denken können. Mit einem geistig Minderbemittelten, der von einer ehrgeizigen Staatsanwältin in den Tod getrieben wurde, hat jemand wie Sie kein Mitleid. Das wundert mich nicht. Mittelmäßige Talente haben mit Menschen, die sie für weniger klug halten oft keinerlei Empathie. Die wirklich Begabten hingegen schon.”
“Damit meinen Sie dann sich selbst!”
“Natürlich!”
“Friedrich, egal ob diese Frau ein Scheusal war: Was Sie getan haben, war falsch! So etwas dürfen wir nicht!”
“Es war ein Dienst an der Gesellschaft und der Gerechtigkeit. Lin-Tai. Sie hätte noch viel Schaden anrichten können.”
“Aber... es ist ungesetzlich, Friedrich!”
Förnheim zuckte die Achseln.
“Meinen Sie so ähnlich wie die kriminellen Anlagegeschäfte, die Sie nebenbei betreiben, Lin-Tai?”
“Wie?”, fragte sie und schien jetzt zum ersten Mal überrascht zu sein.
“Nicht nur Sie haben sich anscheinend bemüht, etwas über mich herauszufinden, sondern umgekehrt sind mir bei Ihnen auch ein paar Dinge aufgefallen, denen ich nachgegangen bin. Sie benutzen Ihre Fähigkeiten und Ihr Equipment sowie Ihre Zugangsmöglichkeiten zu sensiblen Informationen, die eigentlich ausschließlich beruflich genutzt werden dürfen, um Ihre finanziellen Interessen zu verfolgen. Und im Gegensatz zu den Dingen, die Sie über mich herausgefunden haben wollen, lassen sich diese Dinge beweisen. Ich verfüge da familiär bedingt über ein paar hilfreiche Kontakte unter Hamburger Geschäftsleuten. Wie auch immer. Sie nutzen für Ihre Anlagegeschäfte eine Plattform, die Teil von Terra Nostra ist, einem kriminellen Netzwerk. Mittelbar profitieren Sie von der Geldwäsche des organisierten Verbrechens. Dem ein- oder anderen Investor, der sich daran beteiligt, wird man am Ende vielleicht noch abnehmen, dass er diese Hintergründe nicht kannte - einer BKA-Expertin aber wohl kaum.”
“Wollen Sie... mich anzeigen?”, fragte Frau Gansenbrink.
“Warum denn? Nein, ich denke, wir lassen alles, wie es ist. Allerdings empfehle ich Ihnen, Ihr Erspartes möglichst bald von dieser dubiosen Plattform abzuziehen. Es könnte sonst peinlich für Sie werden.”
“Wieso?”
“Nun, spätestens dann, wenn gegen dieses Netzwerk ermittelt wird. Und wie ich gehört habe, steht da ein Schlag unmittelbar bevor.” Förnheim lächelte. “Ja, es gibt Menschen, die noch besser informiert sind als Sie! Auch, wenn Sie das bisher nicht für möglich gehalten haben.” Er sah sie an. “Anscheinend haben wir alle unsere dunklen Seiten, Lin-Tai. Übrigens hat man mir eine Beteiligung an den Geschäften, mit denen Sie so gut verdienen, auch angeboten. Das ging über Kontakte aus meiner Familie und eine Geschäftsmann, der... aber auch egal. Ich habe das abgelehnt. Manche Dinge sind eben eine Frage des Charakters.”
Auf dem Anwesen von Marvin Manteufel...
„Zum Teufel mit diesen Schweinen!”
Marvin Manteufel trug einen dunklen Rollkragenpullover. Sein Gesicht war zur Maske verzerrt. Er stand an der offenen Haustür, riss seine MPi hoch und feuerte. Mündungsfeuer blutete aus der Waffe heraus. Dreißig Schuss knatterten mit dem ersten Feuerstoß aus der Waffe heraus. „Das ist für euch! Wenn ihr mich kaputt zu machen versucht, mache ich euch kaputt!”
Erneut feuerte Manteufel die Waffe ab, so lange bis das ganze Magazin leergeschossen war.
Eine Megafonstimme ertönte.
„Achtung! Achtung! Das Gelände ist umstellt. Legen Sie Ihre Waffen auf den Boden und leisten Sie keinen Widerstand.”
Ein Helikopter mit der Kennung der Polizei näherte sich jetzt dem Anwesen und kreiste über dem Haupthaus.
Manteufel zog sich ins Haus zurück und ging in Deckung. Er riss das leergeschossene Magazin aus seiner Waffe, lud ein neues nach und eröffnete erneut das Feuer.
Ich duckte mich hinter den Kotflügel unseres Dienstfahrzeugs. Eine MPi knatterte los und nur Augenblicke später wurde aus einer Reihe weiterer Waffen geschossen. Ein wahrer Kugelhagel prasselte in unsere Richtung. Scheiben gingen zu Bruch. Aus Reifen entwich die Luft.
Ich hielt meine Dienstpistole in der Faust. Mein Kollege Rudi Meier befand sich in meiner Nähe. Er war ebenso in Deckung gegangen wie ich.
Wie alle anderen an dieser Großoperation beteiligten Kollegen trugen wir eine schusssichere Kevlar-Weste. Über ein Headset waren wir funktechnisch alle untereinander verbunden.
Die Einsatzleitung lag in diesem Fall bei meinem Kollegen Rudi.
Die Schussgeräusche mischten sich jetzt mit dem Rotorenlärm eines Helikopters, der für uns im Einsatz war. Er stieg deutlich höher und kreiste über dem Hauptgebäude des Marvin Manteufel Anwesens. Dieser weiträumige Landsitz lag nur ein paar Meilen von der Stadt Martinsburg. Niemand sah dieser ländlichen Idylle an, dass von hier aus eine der größten und effektivsten Geldwaschanlagen betrieben wurde, die es in der Geschichte des organisierten Verbrechens je gegeben hatte.
Hier stand ein Teil der Server, mit deren Hilfe CASH FLOW betrieben worden war, ein illegaler Bezahldienst im sogenannten Darknet, dem dunklen, nicht für jedermann zugänglichen Teil des Internets. Über CASH FLOW waren anonyme Zahlungen über den ganzen Globus möglich, die in einer virtuellen Währung abgewickelt wurden. Es gab keine Limits, keine Regeln, keine Möglichkeit der Rückverfolgung. Ein Service, der sich ideal für Geldwäsche und illegale Geschäfte aller Art eignete, angefangen vom Drogen-Großdeal bis zur Bezahlung eines Lohnkillers. Und anders als bei legalen Bezahldiensten dieser Art, war es unmöglich, den Weg des Geldes zu verfolgen.
Das Internet-Genie Marvin Manteufel hatte sich mit CASH FLOW ein dunkles Imperium aufgebaut und mutmaßlich Milliarden Euro verdient.
Aber jetzt war er dran. Intensive, langwierige Ermittlungen des BKA, die Steuerbehörden von drei Dutzend Staaten und verschiedener anderer Polizeieinheiten, die im Kampf gegen das organisierte Verbrechen aktiv waren, hatten schließlich dazu geführt, dass nun der Tag X gekommen war.
Zeitgleich mit unserem Einsatz fanden an mehr als zwei Dutzend Orten im In- und Ausland ebenfalls Verhaftungen statt. CASH FLOW war ein international agierender Faktor des organisierten Verbrechens geworden und damit war Marvin Manteufels Organisation auch nur international wirklich nachhaltig zu bekämpfen. Man kann sich vorstellen, wie schwierig die Koordination einer derartigen Aktion im Vorfeld gewesen war. Allein die juristische Abstimmung war ein gewaltiges Problem gewesen.
Aber das Zentrum dieser Krake, die sich global ausgebreitet hatte, lag hier, in diesem idyllischen Ort. So zumindest lauteten unsere bisherigen Erkenntnisse.
Wir waren mit einem großen Aufgebot an Einsatzkräften angerückt. Das gesamte Gebiet um Marvin Manteufels Besitz war dermaßen abgeriegelt, dass eine Flucht unmöglich war.
Nicht einmal in die Luft konnte er entkommen, obwohl diese Möglichkeit grundsätzlich gegeben war. Manteufel unterhielt auf seinem Gelände nämlich einen kleinen Privatflugplatz. Der war allerdings bereits von Einsatzkräften eingenommen und gesichert worden. Blieb der Helikopterlandeplatz direkt neben seinem Wohnhaus. Aber um dort hinzugelangen hätte Manteufel zumindest für kurze Zeit das Haus verlassen müssen. Und davon abgesehen wäre ein Start des Helikopters unter den gegenwärtigen Umständen völlig unmöglich gewesen.
Manteufel hatte selbst einen Flugschein. Er konnte sowohl Flugzeuge, als auch Helikopter fliegen. Letzteres hatte er während seiner Zeit in der Bundeswehr gelernt, aus der er schließlich wegen Veruntreuung von Bundeswehreigentum entlassen worden war. Das war sein erstes Strafverfahren gewesen. Manteufels kriminelle Energie hatte sich bereits im Ansatz offenbart. Nur war er damals noch lange nicht so geschickt gewesen, wie später. Jedenfalls hatte man ihn danach jahrelang nicht mehr erfolgreich anklagen können.
Aber das würde sich mit dem heutigen Tag ganz sicher ändern.
Es lag bereits mehr als genug an gut dokumentiertem Beweismaterial vor, um Manteufel und seine Helfershelfer für sehr viele Jahre aus dem Verkehr zu ziehen.
Wieder prasselten Kugeln in unsere Richtung. Manteufel und seine Getreuen waren schwer bewaffnet. Offenbar verfügten sie über ein ganzes Arsenal von automatischen und halbautomatischen Waffen.
„Das wird nicht so einfach, den Kerl und seine Meute da herauszuholen”, meinte Rudi.
Zeit war in so einem Fall immer ein wichtiger Faktor. Und dieser Faktor arbeitete grundsätzlich für uns. Schließlich hatten wir es mit gewöhnlichen Kriminellen zu tun, die letztlich ein Interesse daran hatten, mit heiler Haut aus der Sache herauszukommen. Bei fanatisierten Terroristen oder psychisch kranken Amokläufern lag die Sache natürlich anders. Aber es gab keinerlei Hinweis darauf, dass so etwas hier im Spiel war.
Andererseits wunderte es mich schon ein wenig, dass selbst angesichts dieser aussichtslosen Lage gleich auf uns geschossen worden war.
Der Geschosshagel verebbte.
Über Megafon wurden alle Personen, die sich gegenwärtig im Hauptgebäude des Marvin Manteufel Anwesen befanden, nochmals aufgefordert, sich zu ergeben und die Waffen niederzulegen. Diesmal mit Erfolg. Die ersten Bewaffneten ergaben sich und ließen sich von den Kollegen widerstandslos festnehmen. Wir kamen aus der Deckung und näherten uns zusammen mit weiteren Kollegen dem Haus. Die Tür stand offen. Wir drangen ein. Einsatzkräfte sicherten uns. Nacheinander kamen die Meldungen, dass einzelne Räume gesichert worden waren.
Mehrere Bewaffnete wurden festgenommen. Wer diese Personen waren, musste erst noch festgestellt werden. Vermutlich Angehörige des inneren Kreises von Manteufels Organisation, denn ansonsten hatte zu diesem Anwesen unseren Erkenntnissen nach niemand Zutritt gehabt. In diesem Punkt hatte es Manteufel sehr genau genommen.
Ein kriminelles Großprojekt wie CASH FLOW war natürlich nicht ohne Mitwisser aufzubauen. Aber abgesehen davon hatte Manteufel immer darauf geachtet, ihre Zahl möglichst niedrig zu halten. Entsprechend schwierig war es für uns gewesen, verdeckte Ermittler in die inneren Kreise dieser Organisation einzuschleusen und an Informationen zu gelangen.
Es brandete noch einmal MPi-Feuer auf. Dutzende von Schüssen knatterten. Die Schussgeräusche kamen irgendwo aus dem Inneren des Hauses.
Rudi und ich gelangten in einen großen Raum im Zentrum des Hauses. Er hatte keine Außenwände und dementsprechend auch keine Fensterfront. Dafür erweckte ein Glasdach den Eindruck eines Atriums.
Der Raum war eine Computerzentrale. Dutzende von Rechnern standen hier. Flachbildschirme in beeindruckender Größe reihten sich aneinander.
Ein Mann mit einer MPi feuerte auf die Anlage. Die Kugeln fetzten in die Rechnergehäuse hinein und durchsiebten die Computer reihenweise.
„Waffe weg, BKA!”, rief ich.
Der Kerl mit der MPi gehorchte augenblicklich, ließ die Waffe fallen und hob die Hände. Noch bevor er sich umdrehte, erkannte ich ihn. Ich hatte schließlich oft genug Bilder von ihm in diversen Dossiers gesehen, die uns bei den Ermittlungen zur Verfügung gestanden hatten.
„Marvin Manteufel, Sie sind verhaftet”, erklärte ich ihm, während ein Kollege ihm bereits Handschellen anlegte. „Sie haben das Recht, zu schweigen. Falls Sie von diesem Recht keinen Gebrauch machen, kann und wird alle, was Sie von nun an sagen, vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Haben Sie das verstanden?”
„War ja deutlich genug”, grinste Manteufel.
Er kicherte wie irre.
„Ich nehme an, diese Ballerei hier diente dem Zweck, noch so viel wie möglich Beweismaterial wie möglich zu vernichten”, meinte Rudi.
„Sie werden mir auch so nichts beweisen können”, sagte Manteufel. „Und wenn Sie denken, dass Sie irgendetwas gegen mich in der Hand hätten…”
„Ich denke, wir haben genug, um zu verhindern, dass Sie in den nächsten Jahrzehnten noch einmal Unheil anstiften können”, unterbrach ich ihn.
„Wir werden ja sehen. Ich will jetzt meinen Anwalt sprechen”, lächelte Manteufel. Ich fragte mich, ob er irgendwelche Aufputschmittel oder Drogen genommen hatte. Er schien sehr aufgedreht zu sein. Die Pupillen waren vergrößert.
„Ihren Anwalt können Sie sehr bald sprechen”, sagte Rudi sachlich.
„Ich habe etwas Einzigartiges aufgebaut”, sagte Manteufel. Eine Ader an seiner Stirn trat dabei stark hervor. Sein Gesicht verzog sich maskenhaft. „Es wird Ihnen nicht gelingen, das kaputt zu machen!”
„Herr Manteufel, Sie haben gegen ein Dutzend Gesetze verstoßen und wahrscheinlich unzähligen Drogenhändlern, Waffenschiebern und Auftragskillern überhaupt erst ermöglicht, ihren Geschäften nachzugehen”, gab ich zu bedenken.
„Ich weiß nicht, welche Ratten in meinem engeren Umkreis Sie bezahlt haben, dass sie mich verraten”, sagte Manteufel. „Aber Sie werden nicht lange Freude an Ihrem vermeintlichen Erfolg haben! Meine Anwälte werden Sie ganz persönlich so durch den Fleischwolf drehen, dass Sie anschließend froh sind, wenn Sie einfach nur Ihren Dienst quittieren dürfen und Sie irgendwo in einem Provinznest vielleicht noch eine Anstellung als Nachtwächter bekommen.”
„Abführen”, sagte ich.
Zwei Kollegen nahmen Manteufel mit.
„Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen!”, rief Manteufel mit heiserer, sich überschlagender Stimme.
„Ziemlich großmäulig”, meinte Rudi, nachdem Marvin Manteufel nicht mehr im Raum war.
„Ich hatte den Eindruck, dass er vorher was eingepfiffen hat, was ihn ihn richtig in Stimmung brachte”, gab ich zurück. „Mit mildernden Umständen kann er deswegen allerdings nicht rechnen. Jedenfalls nicht, was den Angriff auf Polizisten angeht.”
„Ich bin auf jeden Fall froh, dass der ganze Ermittlungskomplex jetzt vor seinem Abschluss steht”, meinte Rudi und unterdrückte ein Gähnen. Ein Gähnen, das natürlich nicht von ungefähr kam. Wir hatte in letzter Zeit wiederholt Nächte durcharbeiten müssen. Wahrscheinlich litt jeder, der an den Ermittlungen gegen Marvin Manteufel und CASH FLOW beteiligten Ermittler momentan unter akutem Schlafmangel.
„Der Prozess wird sich vermutlich eine ganze Weile hinziehen”, gab ich zu bedenken.
„Die Beweise sind so wasserdicht, dass da selbst dann nichts mehr schiefgehen kann, wenn der Staatsanwalt ein Anfänger ist und sich herausstellen sollte, dass die Hälfte unser Beweismittel nicht gerichtsverwertbar sein sollten.”
„Du weißt, dass wir beide schon Pferde kotzen gesehen haben, Rudi.”
„Ja, aber zu Pessimismus ist nun heute wirklich kein Anlass. Wir können uns selbst auf die Schultern klopfen, Harry. Ich würde sagen, dass zu Anfang kaum jemand wirklich daran geglaubt hat, dass man CASH FLOW und der Organisation, die sich um diese Darknet-Plattform herumrankt, jemals das Handwerk legen könnte. Und nun stehen wir kurz davor.”
Ich atmete tief durch. „Vielleicht hast du recht und ich sollte das Positive sehen.”
In diesem Moment bekamen wir wie aufs Stichwort die Nachricht, dass es bei der Schießerei nur zwei Leichtverletzte gegeben hatte, die bereits in ärztlicher Obhut waren. Angesichts der Menge an Projektilen, die bei dem Feuergefecht verschossen worden waren, war das mehr als erstaunlich.
Kurz danach rief ich Kriminaldirektor Hoch an, um ihm zu melden, dass die Aktion erfolgreich zum Abschluss geführt werden konnte. Zumindest was die Teiloperation betraf, an der Rudi und ich beteiligt gewesen waren.
„Gute Arbeit”, sagte unser Vorgesetzter. „Bei mir sind inzwischen auch schon einige Meldungen eingetroffen, die die parallel durchgeführten Verhaftungsaktionen betreffen. Wenn ich mich nicht völlig täusche, dann dürfte die Organisation, die hinter CASH FLOW steht, damit vollkommen zerschlagen sein.”
Kriminaldirektor Hoch hatte normalerweise auf Grund seiner enormen Erfahrung ein sehr sicheres Urteil, auf das man sich fast blind verlassen konnte.
In diesem Fall allerdings hatte er sich gründlich getäuscht, wie wir alle sehr bald erfahren sollten.
Hamburg, Hafen City...
Der Mann mit der weinroten Krawatte und den goldenen Manschettenknöpfen nahm schon seinen zweiten Espresso. Ungeduldig sah er auf die Uhr.
Dann bemerkte er den hageren Kerl mit dem Kapuzen-Shirt durch die Tür des Bistros kommen. Er hatte die Kapuze über den Kopf gezogen. Der größte Teil des Gesichts lag daher im Schatten. Nur das Kinn ragte hervor. Das Kinn und der sehr spezielle Spitzbart, den der Kapuzen-Shirt-Träger sich hatte stehen lassen.
Er drehte sich einmal um, musterte die wenigen Gäste, die um diese Zeit das Bistro frequentierten und wandte sich dann zielsicher in Richtung des Mannes mit der roten Krawatte.
Ohne zu fragen, setzte er er sich.
„Schön, Sie mal persönlich zu treffen, nachdem wir schon so lange zusammenarbeiten”, sagte der Kapuzen-Shirt-Mann.
„Wir hätten das Risiko vermeiden können”, lautete die kühle Antwort.
„Nein, dieser Ansicht bin ich nicht.”
„Ach, nein?”
„Bevor ich so einen Auftrag übernehme, weiß ich immer gerne noch etwas genauer, mit wem ich es zu tun habe, Herr…”
„Nennen Sie mich Frank.”
„Frank.” Der Kapuzen-Shirt-Mann grinste. „Sie verstehen das doch sicher, Frank. Es geht um die Chemie. Um den Eindruck, den man hat. Bei sehr wichtigen Geschäften spielt das immer eine Rolle, finden Sie nicht?”
Frank sah den Kapuzen-Shirt-Mann geradewegs in die Augen. „Sie sind zu alt und nicht schwarz genug, um solche albernen Klamotten zu tragen”, sagte er unvermittelt.
Frank beugte sich jetzt etwas vor. Beide Hände waren jetzt auf dem Tisch. Die Krawattenknöpfe waren jetzt gut sichtbar. Und auch die Gravur, die sie kennzeichnetet: Ein stilisierter Globus.
Der Kapuzen-Shirt-Mann zupfte sich etwas an seinem exakt ausrasierten Spitzbart herum. „Was soll der Mist? Will so ein spießiger Sack wie Sie mir jetzt erzählen, was cool ist? Oder wie soll ich das jetzt verstehen?”
„Ich weiß nicht, ob Sie sich eigentlich darüber im Klaren sind, wie ernst die Lage für uns alle ist”, sagte Frank.
„Sie meinen wegen diesem Scheißkerl?” Der Kapuzen-Shirt-Mann machte eine wegwerfende Handbewegung. „Der wird ja wohl nicht gleich zum Kronzeugen mutieren. Und so, wie sich Manteufel verhalten hat, wird er sich in der Justiz auch nicht gerade viele Freunde gemacht haben, die jetzt bereit wären als erstes einen Deal mit jemanden einzugehen, der eine wilde Schießerei mit BKA-Beamten vom Zaun gebrochen hat.”
„Können Sie es ausschließen?”
„Nein, natürlich nicht.”
„Sehen Sie!”
„Hey, Mann, Frank! Ich hatte gedacht, Sie wären die obercoole Sau schlechthin. Und jetzt sehe ich, dass Sie offenbar ziemlich nervös sind.”
„Sie können dazu beitragen, dass sich diese Nervosität wieder in Grenzen hält”, sagte Frank.
„Ich ziehe es durch, Frank! Und ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, worüber Sie sich Sorgen machen! Es gibt ein paar Geschäfte, die man wohl einfach abschreiben muss, aber ansonsten geht alles einfach so weiter wie bisher. Das habe ich Ihnen versprochen und das halte ich auch.”
„Das freut mich zu hören”, sagte Frank. „Ich verlasse mich allerdings darauf, dass Sie tatsächlich mehr drauf haben als nur ein paar Sprüche.”
„Sonst hätten Sie sich doch gar nicht mit mir getroffen, Frank.”
„Im Übrigen teile ich Ihre optimistische Einschätzung nicht in vollem Umfang”, erklärte Frank. „Aus meiner Sicht hängt jetzt sehr viel davon ab, dass die Sache mit Manteufel durchgezogen wird.”
„Sie können sich auf mich verlassen, Frank.”
„Das will ich hoffen.” Frank lehnte sich zurück und schnippste mit den Fingern. „Ich möchte zahlen!”, rief er zu dem Mann hinter dem Tresen.
„Zahlen ist ein gutes Stichwort”, sagte der Kapuzen-Shirt-Mann. „Ich denke nämlich, dass wir angesichts der hohen Priorität, die die Sache mit Manteufel hat, nochmal über ein paar finanzielle Konditionen verhandeln müssen.”
Frank hob etwas irritiert die Augenbrauen. „Sie wollen die Situation ausnutzen und mich erpressen?”
„Ich will einfach nur darauf hinweisen, dass ich erhöhte Aufwendungen zu bestreiten haben werde, wenn ich die Sache für Sie so erledigen soll, dass Ihrem gesteigerten Sicherheitsbedürfnis dabei Rechnung getragen wird”, konterte der Mann im Kapuzen-Shirt.
Frank lächelte breit und aasig. Seine makellos weißen Zähne blitzten dabei hervor. Ein Raubtierlächeln. „Okay, dann sagen Sie mir mal, was Sie sich da so im Einzelnen vorstellen.”
Der Kapuzen-Shirt-Mann lächelte nun ebenfalls und zupfte dabei erneut an seinem Spitzbart herum. „Ich wusste doch, dass heute doch ein guter Tag werden würde.”
„Man sollte sich nie zu früh freuen.”
„Soll das eine Drohung sein, Frank?”
„Ich drohe nicht. Ich kündige vielleicht etwas an, aber ich drohe nicht.”
Zwei Tage nach der konzertierten Aktion, die zur Zerschlagung jener mächtigen Organisation geführt hatte, die hinter CASH FLOW steckte, saßen wir in Berlin in einem schmucklosen Besprechungszimmer.
Anwesend waren abgesehen von Rudi und mir noch Staatsanwalt Gustav Driemeyer sowie Marvin Manteufel und seine Anwältin Melanie Paretti von der Kanzlei Delbrügge, Gallus & Paretti.
Vieles andere musste jetzt erst mühsam ermittelt werden. Aber unter den im Rahmen der Großaktion verhafteten Personen waren etliche, die gerne bereit waren, als Kronzeugen auszusagen. So würde man vermutlich auch die letzten Einzelheiten nach und nach klären können.
Für Marvin Manteufel, daran ließ keiner der Pressekommentatoren auch nur den Hauch eines Zweifels, würde es eng werden. Sehr eng.
Ich persönlich grübelte immer noch darüber nach, wieso Manteufel kurz vor seiner Verhaftung eine Schießerei quasi vom Zaun gebrochen hatte, von der er eigentlich gewusst haben musste, dass sie ihm nichts einbringen konnte, außer vielleicht ein paar Jahre mehr im Hochsicherheitstrakt einer JVA. Selbst wenn er davon ausgegangen war, dass das bei dem zu erwartenden Strafmaß nicht weiter erheblich war, fragte ich mich doch, ob es da noch irgendeinen anderen Hintergrund gab, von dem wir nichts wussten.
Nach allem, was uns bekannt war, war Manteufel ein kühler, abwägender Charakter. Er war auf Drogen getestet worden. Man hatte nichts gefunden. Zumindest keine Spuren der gängigen Drogen oder irgendwelcher Aufputschmittel.
„Ihr Mandant hat eine Schießerei begonnen, in deren Verlauf zwei BKA-Beamte verletzt wurden”, hielt Staatsanwalt Gustav Driemeyer Manteufel entgegen. „Er hat, abgesehen von den schweren Gesetzesverstößen, die ihm zur Last gelegt werden, versucht, Polizeibeamte zu töten, um sich der Festnahme zu entziehen.”
„Mein Mandant befand sich in einem psychischen Ausnahmezustand und war nur begrenzt fähig, die Folgen seiner Tat zu überblicken”, unterbrach ihn die Anwältin des Beschuldigten. „Ich habe hier medizinische Unterlagen, die beweisen, dass mein Mandant wegen Stimmungsschwankungen und manisch depressiven Schüben in Behandlung war.”
Driemeyer hob die Augenbrauen. „Und das rechtfertigt es, dass Ihr Mandant wie ein Irrer auf BKA-Kommissars feuert? Und nicht nur das! Seine Handlungsweise hat die gesamte Situation eskalieren lassen. Auch andere Personen auf dem Anwesen von Herr Manteufel haben daraufhin zu schießen begonnen.”
„Sie haben das richtige Stichwort bereits gegeben”, sagte Melanie Paretti. „Sie haben gesagt: ‘Wie ein Irrer’. Genau das ist nach den mir vorliegenden Unterlagen der Fall.”
„Sie wollen nicht im Ernst auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren!”, ereiferte sich Driemeyer.
Er war kein Anfänger und eigentlich mit allen Wassern gewaschen. Ein so wichtiges Verfahren hätte man auch niemandem in die Hand gegeben, der im Verdacht stand, den Prozess vielleicht durch ein ungeschicktes, überehrgeiziges Verhalten insgesamt in Gefahr zu bringen. Aber das, was Melanie Paretti uns allen hier auftischte, schien ihn geradezu fassungslos zu machen.
Ich wechselte einen Blick mit Rudi. Keiner von uns brauchte ein Wort dazu zu verlieren. Uns hatte Melanie Parettis Auftritt ebenso überrascht. Wir hatten mit vielem gerechnet. Auch damit, dass Paretti vielleicht versuchte, irgendeinen Deal für ihren Mandanten auszuhandeln, auch wenn es sicher schwierig geworden wäre, da noch irgendeinen Spielraum zu sehen. Aber es hätte ja zum Beispiel sein können, dass Manteufel bereit war, Aussagen über die Hintermänner einiger krimineller Organisationen zu machen, die den Betrieb von CASH FLOW tatkräftig unterstützt hatten, um diesen Bezahldienst für ihre Geldwäschegeschäfte nutzen zu können. Uns war durchaus bewusst, dass Manteufel und seine Organisation nur Teil eines größeren Netzwerkes gewesen sein konnten.
Aber ein Plädoyer auf Unzurechnungsfähigkeit war wirklich eine Überraschung.
„Haben Sie deswegen mit der Schießerei angefangen, um dieses Plädoyer vorzubereiten?”, mischte ich mich jetzt in das Gespräch ein und fixierte dabei Manteufel mit meinem Blick.
Dieser grinste leicht.
„Hey Mann, ich bin nicht verrückt und habe das auch nie gesagt!”, meinte er.
„Sie haben in völlig aussichtsloser Lage das Feuer eröffnet”, stellte ich fest. „Ein Mann, der unseren Erkenntnissen nach als ein berechnendes, kühles Genie des Internets bekannt ist. Jemand, der für alles mögliche bekannt ist, aber nicht dafür, dass er spontanen Regungen nachgibt. Sie wussten genau, dass Sie keine Möglichkeit mehr zur Flucht hatten. Ihren Helikopter neben dem Haus hätten Sie nicht mehr erreichen können. Dazu waren wir einfach zu schnell. Und abgesehen davon…”
„Herr Kubinke, es geht um hier um eine juristische Bewertung der Handlungsweise meines Mandanten”, sagte Melanie Paretti kühl. „Und ich sehe nicht, dass Sie auf diesem Gebiet irgendeine Fachkompetenz besitzen.”
„Ich…”
„Sie werden uns zu gegebener Zeit sicherlich Auskünfte zum Stand der Ermittlungen gegen meinen Mandanten geben können und man wird Sie auch sicherlich eingehend zum Ablauf der Operation befragen, die letztlich zur Festnahme meines Mandanten und bedauerlicherweise auch zur Verletzung von zwei BKA-Kommissars geführt hat.”
„Sie drehen das jetzt so, als wäre das ein Versagen der Einsatzleitung gewesen. Aber es war Ihr Mandant, der das Feuer eröffnet hat, obwohl er verpflichtet gewesen wäre, sich widerstandslos festnehmen zu lassen”, gab ich zurück und musste mich sehr zusammennehmen, um meinen Ärger etwas herunterzuschlucken.
„Das wird eine Frage sein, die noch Gegenstand des Verfahrens sein könnte, Herr Kubinke”, sagte die Anwältin daraufhin. „Wir werden vor Gericht darlegen, dass mein Mandant sich in einem psychischen Ausnahmezustand befand. Er hat sein Leben dem Aufbau einer Plattform gewidmet…”
„...die verbrecherischen, gesetzwidrigen Zwecken diente!”, unterbrach sie Gustav Driemeyer trocken.
Aber Melanie Paretti ließ sich nicht beirren. Sie sprach einfach weiter. „Mein Mandant ist subjektiv der Auffassung, dass sein Lebenswerk durch einen Anschlag zerstört werden soll.”
„Auf den Video-Aufzeichnungen vom Einsatz ist die Megafonstimme nicht zu überhören, die klarstellt, dass das eine Operation des BKA ist”, erwiderte Driemeyer.
„Können Sie beweisen, dass auch mein Mandant dies so verstanden hat?”, konterte Driemeyer. „Immerhin trugen die Einsatzfahrzeuge keine deutliche Kennung als BKA-Einsatzfahrzeuge.”
„Dafür ist der Schriftzug Polizei auf den Einsatzjacken der eingesetzten Beamten so groß, dass er selbst für Sehbehinderte erkennbar sein dürfte!”
„Als mein Mandant seinen Irrtum erkannte, hat er das Feuer eingestellt und sich widerstandslos festnehmen lassen!”
„Ich dachte, Sie gehen davon aus, dass Ihr Mandant sich nicht mehr zu steuern vermochte. Ist das nicht ein Widerspruch zu dem, was Sie jetzt behaupten?”
„Das lassen wir doch einfach die Gutachter entscheiden”, sagte Melanie Paretti. „Und dann werden wir ja sehen, ob es in diesem Punkt überhaupt zu einer Eröffnung des Hauptverfahrens kommt. Was die Anschuldigungen im Hinblick auf die zur Last gelegte Beihilfe zu diversen kriminellen Geschäften angeht, so werden Sie dazu einen Einzelfall-Nachweis führen müssen. Und ich bin mir nicht sicher, ob Sie das wirklich hinbekommen.”
„Wenn Sie denken, dass Sie für Ihren Mandanten hier und jetzt einen Deal herausschlagen können, dann sind Sie schief gewickelt.”
„Und wenn mein Mandant zur Aufklärung von Verbrechen beitragen könnte, von denen Sie ohne seine Hilfe nicht einmal Kenntnis erlangen könnten?”
Jetzt mischte sich der Beschuldigte selbst sein. „Lassen Sie es gut sein, Frau Paretti”, pfiff er seine Anwältin zurück.
„Herr Manteufel, wir hatten doch…”
„Ich will keinen Deal”, erklärte er.
Driemeyer lächelte kühl. „Das trifft sich gut, Herr Manteufel, Sie bekommen nämlich auch keinen. Kronzeugenregelung hin oder her!”
Ich hörte mir das Hin und Her zwischen Anwalt und Staatsanwalt eine Weile an und fragte mich, was es eigentlich war, das mich so irritierte. Aber ich hatte es ihm Gefühl, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Ich zermarterte mir das Hirn darüber, was es wohl sein konnte. Aber ich kam einfach nicht drauf.
Etwas später fuhr ich mit Rudi zurück zum Hauptpräsidium, wo wir beide seit unserer Beförderung zu BKA-Kriminalinspektoren unsere Büros hatte.
Ich benutzte dabei meinen Dienst-Porsche.
„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen”, sagte Rudi. „Die Eröffnung eines Hauptverfahrens nur noch Formsache. Ich kann mir kein Gericht vorstellen, dass anhand der vorliegenden Beweislage die Eröffnung eines Verfahrens ablehnen würde. Und selbst wenn diese Anwältin mit ihrem sehr eigenwilligen Vorstoß durchkommt, dass Manteufel wegen eines angeblich vorhandenen psychischen Ausnahmezustandes und einer ohnehin vorhandenen seelische Erkrankung, wegen der er in Behandlung war, auf uns geschossen hat: Angesichts dessen, was ihn sonst noch so erwartet, sind das Peanuts.”
„Er scheint sich in diesem Punkt mit seiner Anwältin nicht ganz einig gewesen zu ein.”
„Oder er hat uns nur eine Show vorgespielt, Harry. Eine Show, die dieses Märchen noch überzeugender machen soll.”
„Schon möglich.”
„Ich wette, sogar diese psychiatrischen Gutachten oder was Frau Paretti da auch immer vorgelegt haben mag, lässt sich fachlich leicht zerpflücken. Das sind doch irgendwelche Gefälligkeitsgutachten, die nur den Sinn haben, etwas Sand in das Getriebe dieses Prozesses zu werfen.”
„Rudi, ich habe in sein Gesicht gesehen…”
„Und was willst du da gesehen haben?”
„Ich glaube, dass der noch was vorhat.”
„Du siehst in seine Augen und liest seine Gedanken! Harry, das ist jetzt aber noch billiger als die Gefälligkeitsattestierungen, die Frau Paretti uns heute präsentiert hat!”
„Der wusste genau, was er tat.”
„Harry, du hast dich auch bei deiner Annahme getäuscht, dass der Kerl Drogen oder Aufputschmittel genommen hat.”
Ich atmete tief durch, während wir an einer Kreuzung auf dem Weg ins Zentrum von Berlin halten mussten. „Ja, ich weiß”, gab ich zu. „Trotzdem, ich bleibe dabei, seine Pupillen waren geweitet.”
„Ich habe unseren Kollegen Gerold mal danach gefragt”, sagte Rudi.
Dr. Gerold M. Wildenbacher war der Gerichtsmediziner des Ermittlungsteam Erkennungsdiensts in Quardenburg, dessen Dienste uns für unsere Ermittlungen im Bedarfsfall zur Verfügung standen.
Ich hob die Augenbrauen.
„Wann hattest du dazu denn Zeit?”
„Gestern Abend, nachdem du mich abgesetzt hattest, habe ich mit ihm telefoniert. Er war mal wieder länger in seiner Leichenkammer.”
„Und, was hat er dir gesagt?”
„Dass erweiterte Pupillen durch Ausschüttung von Adrenalin verursacht werden können. Die Ursache der Adrenalinausschüttung muss aber nicht unbedingt eine Droge sein.”
„Was sollte es in diesem Fall gewesen sein?”
„Ganz normale Erregung. Der berühmte sprichwörtliche Schlafzimmerblick kommt dadurch zustande.”
„Vielleicht haben wir an diesem Fall einfach schon zu lange und zu intensiv gearbeitet, dass ich so etwas kaum noch in Erinnerung habe, Rudi.”
„Extreme Erregungszustände aller Art lassen die Pupillen mitunter ebenso extrem klein werden wie Drogen, sagt unser Doc aus Quardenburg.”
„Du willst doch jetzt nicht etwa darauf hinaus, dass diese Anwältin am Ende sogar noch recht hat und sich Manteufel in einer - wie nannte sie das noch? - emotionalen >Ausnahmesituation< befand?”
„Lassen wir einfach die Justiz ihren Job machen, Harry.”