A Marvellous Light - Freya Marske - E-Book

A Marvellous Light E-Book

Freya Marske

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Beschreibung

Ein Herrenhaus, ein Heckenlabyrinth und ein magischer Fluch England, 1908: Baronet Robin Blyth tritt seinen neuen Job an. Eigentlich hatte er einen langweiligen Verwaltungsposten erwartet, doch stattdessen ist er plötzlich Verbindungsmann zu einer magischen Geheimgesellschaft. Sein Vorgänger ist spurlos verschwunden – und hinterließ nur einen Haufen Feinde, die Robin mit einem tödlichen Fluch belegen. Seine einzige Hoffnung, dem Tod zu entrinnen, ist Edwin Courcey, sein unausstehlicher Kollege. Widerwillig müssen die beiden zusammenarbeiten und kommen dabei einer Verschwörung auf die Spur, die die gesamte magische Gesellschaft bedroht. »Fantastischer Stil, erstklassiger Weltenbau, herrlich queer.« T. J. Klune, Autor von »Mr. Parnassus' Heim für magisch Begabte«

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Übersetzung aus dem australischen Englisch von Hannah Brosch

© Freya Marske 2021

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»A Marvellous Light«, Tordotcom, an Imprint of Pan Macmillan, New York 2021

By arrangement with Books Crossing Borders, Inc.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Langenbuch & Weiß Literaturagentur, Hamburg

© der deutschsprachigen Ausgabe:

Piper Verlag GmbH, München 2024

Redaktion: Catherine Beck

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Guter Punkt, München, nach einem Entwurf von Christine Foltzer

Coverabbildung: Will Staehle

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

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Epilog

Dank

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für die Bar am Ende des Universums und alle, die der Teufel dort getroffen hat.

1

Reginald Gatlings Verhängnis ereilte ihn unter einer Eiche, am letzten Sonntag eines schnell schwindenden Sommers.

Schwer atmend an die Eiche gelehnt, saß er da, jeder Atemzug schmerzte wie Nadelstiche. Seine Beine waren nicht zu spüren und bewegten sich auch nicht, wie Wachsklumpen, die irgendwie am Rest von ihm angebracht worden waren. Wenn er seine Hand auf die taube Masse legte, bekam er einen Brechreiz, daher griff er stattdessen kraftlos ins Gras. Die raue Baumrinde berührte seine Haut durch einen der Risse in seinem blutbefleckten Hemd. Die Risse waren seine eigene Schuld, er war nicht rechtzeitig losgerannt, deshalb war ihm das Dickicht einer Brombeerhecke, die den See hier im St.-James-Park umgab, als der beste Fluchtweg erschienen. Die Brombeerranken hatten seine Kleidung zerrissen.

Das Blut stammte von dem, was danach passiert war.

»Schaut nur, wie er hechelt«, sagte einer der Männer in verächtlichem Ton. »Ihm hängt die Zunge heraus wie einem Hund.«

Das Beste, was sich im Augenblick über diesen Mann sagen ließ, war, dass er teilweise zwischen Reggie und der brennenden Sonne stand, die langsam den Nachmittagshimmel hinuntersank. Sie stand wie in einer Astgabel vor blauer Fläche, wie ein brennender Stein, der in einer Schleuder zurückgezogen wurde. Lauernd. Wartend. Jeden Augenblick konnte der Stein losgelassen werden und auf sie zufliegen, und sie alle würden gleißend vergehen.

Reggie hustete und versuchte den Unsinn zu verbannen, der in seinem Gehirn köchelte. Seine Rippen krampften sich erneut unter Schmerzen zusammen.

»Na, na«, sagte der andere Mann. »Lasst uns zumindest höflich bleiben.« Die Stimme klang nicht verächtlich. Sie war so ruhig und gleichgültig wie der blaue Himmel, und die letzten Reste von Reggies Mut schrumpften dahin.

»George«, sagte Reggie. Ein Appell.

George mit der ruhigen Stimme stand zum Park gewandt und präsentierte Reggie die seidene Rückseite seiner Weste und das Weiß seiner Hemdsärmel, die Manschetten penibel hochgekrempelt, aber dennoch blutbefleckt. Er überblickte die grüne Freifläche am Fuß des niedrigen Hügels, den der Eichbaum krönte. An diesem Sonntag im Sommer war St. James voller Menschen, die noch einen letzten Rest schönen Wetters genießen wollten, ehe der Herbst sich über ihren Köpfen schließen würde. Kinder rannten kreischend umher, stürzten von Bäumen oder warfen Kieselsteine auf empörte Enten. Freunde picknickten, Paare spazierten mit zielloser Muße. Die Sonnenschirme der Damen verhakten sich, wenn sie einander passierten und die Gelegenheit nutzten, um ihre Spitzenärmel zu richten. Männer lagen dösend da, den Strohhut übers Gesicht gezogen, oder knabberten an einem Grashalm, während sie sich, auf einen Ellbogen gestützt, zurücklehnten und in einem Buch blätterten.

Keiner dieser Leute schaute zu George oder Reggie oder dem anderen Mann hin, und selbst wenn sie es getan hätten, wären ihre Blicke weitergewandert, ohne genauer hinzusehen oder beunruhigt zu sein. Keiner von ihnen hatte auch nur kurz aufgeblickt, als die Schreie begonnen hatten. Und auch nicht, als sie weitergegangen waren.

Schwach sah Reggie das perlenartige Säuseln der Luft, das den Verhüllungszauber kennzeichnete.

George wandte sich um, trat näher und ging in die Hocke, achtete auf seine Hose, während er einen Schmutzfleck von seiner polierten Schuhspitze wischte. Reggies gesamter Leib, einschließlich seiner wachsartigen Beine, versuchte vor Georges Lächeln zurückzuweichen. Seine Nerven erinnerten sich an Schmerzen und wollten den Körper selbst in die raue Rinde drücken, durch sie hindurch – sich irgendwie auflösen.

Doch der Baum war unnachgiebig, ebenso wie George.

»Reggie, mein lieber Junge«, seufzte George. »Wollen wir es noch einmal versuchen? Ich weiß, dass du einen Teil davon allein gefunden hast und dachtest, du könntest damit durchkommen, ihn vor uns zu verstecken.«

Reggie starrte ihn an. Das scharfe, überraschte Aufheulen eines Kindes, das sich wahrscheinlich das Knie aufgeschlagen hatte, erscholl irgendwo in der Ferne.

»Was um alles in der Welt hast du dir davon erhofft?«, fragte George. »Ausgerechnet du?« Er stand wieder auf – es war eindeutig eine rhetorische Frage gewesen – und machte eine knappe Handbewegung zu seinem Begleiter, der seinen Platz vor Reggie einnahm.

Komm schon, dachte Reggie und schielte zu dem unverhüllten Sonnenball. Schleudere dich auf uns. Jetzt wäre der ideale Zeitpunkt.

»Du hast dieses Ding gefunden. Du hast es dir geschnappt. Jetzt sag uns, wo es ist«, verlangte der Mann.

»Ich kann nicht«, sagte Reggie, jedenfalls versuchte er es. Seine Zunge zuckte.

Der Mann brachte die Hände zusammen. Seine Technik hatte keinerlei Raffinesse, aber bei Gott, er war schnell, seine Finger flimmerten durch die kruden Formen des Fadenspiels und erwachten unter dem weißen Glühen seines Zaubers zum Leben, ehe Reggie auch nur Luft holen konnte. Dann hielt er Reggies Hände fest. Aus seinem Griff gab es kein Entrinnen. Seine dicken Brauen zogen sich zusammen, und er blickte stirnrunzelnd auf Reggies Handflächen, als wollte er ihm die Zukunft voraussagen.

Sie wird kurz sein, dachte Reggie hysterisch, dann kroch das Weiß über seine Haut, und er schrie erneut auf. Danach stand einer seiner Finger in einem schrecklichen Winkel ab. Er hatte sich aus dem Griff des Mannes gewunden.

»Was ist?«

Dieses Mal spürte der Schweigezwang Reggies verzweifeltes Bedürfnis nachzugeben und die Frage zu beantworten. Seine empfindliche, pochende Zunge fühlte sich jetzt an wie in dem Moment, als der Zauber geknüpft worden war: gebrandmarkt und kochend heiß. Er wimmerte erstickt und hielt sich das Gesicht. Der Laut, den er von sich gab, schien durch die Luft zu kriechen, dennoch hatte er auf die Parkidylle nicht die geringste Wirkung. Die Leute um sie herum hätten ebenso gut Figuren in einem Gemälde sein können, selig in ihrem Bilderrahmen und sich nicht im Geringsten des kleinen Kindes bewusst, das auf dem Marmorboden der Galerie gerade einen Wutanfall bekam.

»So eine Scheiße«, sagte der Mann. »Verfluchter kleiner Wurm. M’lord, schauen Sie mal.«

»Verdammt und zugenäht«, war Georges Kommentar, während er auf Reggies Zunge starrte, auf der offenbar das Zwangssymbol glühte. Es fühlte sich jedenfalls so an. »Das hat er sich nicht selbst angetan. Trotzdem, ein Schweigezwang hat seine Grenzen. Es gibt Möglichkeiten, ihn zu umgehen.« Er runzelte die Stirn. »Was ist es, Reggie? Spiel Scharade, wenn nötig. Schreib es auf, zeichne es in die Erde. Finde eine Möglichkeit.«

Bei dieser Vorstellung stieg in Reggie ein Rest Hoffnung auf. Als er versuchte, die Hände zu bewegen, brannten sie unter einer plötzlich aufblitzenden, strafenden Hitze, dann wurden sie ebenso stur unempfänglich wie seine Beine. Nein. Es würde für keinen von ihnen so leicht sein.

George hatte die Augen zusammengekniffen. »Na gut. Wo ist es jetzt?«

Reggie zuckte vollkommen aufrichtig die Schultern.

»Wo hast du es zuletzt gesehen?«

Der Schmerz des Zwangs pulsierte warnend, und Reggie wagte es nicht, seine Stimme auszuprobieren. Doch dieses Mal hoben sich seine Hände, als er es ihnen befahl, und er winkte fieberhaft.

»Ha«, sagte der andere Mann. »Jetzt kommen wir weiter.«

»In der Tat.« George blickte wieder hinaus in den Park. Er wandte den Blick nach Norden, dann drehte er sich weiter, in einem langsamen Kreis wie jemand, der sich verirrt hatte und nach Orientierungspunkten Ausschau hielt. Als er sich einmal um die eigene Achse gedreht hatte, begann er einen eigenen Zauber aufzubauen, mit der eleganten Meisterhaftigkeit eines Juweliers, der winzige Zahnräder legt.

George spreizte die magisch aufgeladenen Hände, und ein Stadtplan erschien vor Reggie, als hätte jemand eine kleine Tischdecke ausgeschüttelt und über eine Leine gehängt. Blaue Linien leuchteten in der Luft vor einem Hintergrund aus Nichts. Die dickste Linie bildete die vertraute Schlange der Themse, an deren Seiten sich die Stadt ausbreitete.

Reggie tippte auf die ungefähre Lage seiner Behörde. Seine Finger trafen nichts Greifbares, doch der Stadtplan veränderte sich und zeigte einen wesentlich kleineren Ausschnitt von London. Der Fluss bildete die östliche und südliche Grenze, und im Westen erstreckte sich die Stadt bis hinaus nach Kensington und folgte der Nordgrenze des Hyde Park. Es war ein herrlicher Zauber. Reggie fragte sich, wie viele Einzelheiten er entdecken würde, wenn er immer weiter auf den Plan tippte.

»Nicht, wo wir jetzt sind, du Schwachkopf.«

Dieses Mal schaffte Reggie es, auf das Gebäude selbst zu zeigen: Ja, ironischerweise lediglich einen Steinwurf entfernt, östlich von ihrem jetzigen Aufenthaltsort, auch wenn Reggies Finger näher an Whitehall war als am Ende von St. James.

»Dein Büro?« Zum ersten Mal klang George überrascht.

Reggie schaffte es zu nicken, ehe der Zwang strafend brannte. Er nahm es kaum wahr, als sich der Stadtplan flimmernd auflöste. Er hatte noch immer die Zunge herausgestreckt, als könne er so die Schmerzen wegschieben, und Tränen liefen ihm übers Gesicht. Die beiden Männer blickten durch den Park in Richtung des Gebäudes.

»Sollen wir …«, setzte der andere Mann an.

»Nein«, sagte George. »Und ich denke, das ist alles, was wir dem Schweigezwang entlocken können. Es genügt. Erledige das.« George sah Reggie nicht an. »Wir sind hier fertig.«

Wieder bewegte der Mann mit der Mütze sich schnell. Das Zweitletzte, was Reggie sah, war der weiße Strom, der sich wie ein Spinnennetz erhob, um seinen ganzen Körper zu erfassen. Das Letzte war das Sonnenlicht, das auf dem Knauf von Georges Gehstock glänzte, während George durch den Vorhang seines eigenen Verhüllungszaubers spazierte und den Hügel hinabging, ohne Eile, ein Mann, der kein besonderes Ziel hatte, während Reggie seinen letzten Atemzug nahm.

2

Robin würde auf jeden Fall jemandem einen Faustschlag verpassen, noch ehe der Tag vorüber war.

Ganz oben auf seiner Liste idealer Kandidaten standen gerade der Gutsverwalter seiner Familie sowie der Kerl, der es heute Morgen auf der Treppe zum Innenministerium geschafft hatte, Robin mit seinem Regenschirm in den Fuß zu stechen. Und obwohl Robin niemals eine Frau geschlagen hätte, strapazierte der Ring seiner Stenotypistin, der unablässig auf deren Schreibtisch klopfte, seine Nerven noch mehr.

Robin riss sich zusammen. Er würde sich nicht als Tyrann aufspielen und das Mädchen wegen irgendwelcher Bagatellen anfahren, nicht an seinem allerersten Tag auf dieser Stelle. Er würde die Zähne zusammenbeißen und später in seinen Boxclub gehen, um seine Gefühle an einem willigen Gegner auszulassen.

Das Ring-Klopfen stoppte, als Schritte verkündeten, dass jemand das Vorzimmer betrat. Robin setzte sich an seinem Schreibtisch aufrechter hin und schob einen unordentlichen Aktenstapel einige Zentimeter nach links in einem zum Scheitern verurteilten Versuch, das Ganze weniger danach aussehen zu lassen, als wäre ein Wirbelsturm durch eine Bibliothek gefegt. Das war dann wohl sein Neun-Uhr-Termin.

Hoffentlich hatte der andere verdammt noch mal eine Ahnung, worum es bei diesem Treffen überhaupt ging.

»Mr. Courcey«, ertönte Miss Morrisseys Stimme. »Guten Mor– …«

»Ist er da?«

»Ja, aber …«

Die Schritte hielten nicht inne, und der Sprecher kam direkt ins Zimmer.

»Was hast du bloß getrieben, ich war …« Schweigen folgte den Worten des Mannes, als sein Blick auf Robin fiel. Er blieb abrupt stehen, nachdem er einige Schritte in den Raum getreten war. Damit befand er sich nur noch wenige Schritte von Robins Schreibtisch entfernt; es war ein kleines Büro.

Robin schluckte. Weniger als eine Sekunde lang hatte Erleichterung in der Stimme des Neuankömmlings gelegen, und er hatte ein ziemlich charmantes Lächeln im Gesicht gehabt. Dieses war erschreckenderweise gänzlich verschwunden, sodass Robin beinahe glaubte, er hätte es sich nur eingebildet.

Der Mann nahm eine Ledermappe von einer Hand in die andere. Er war schlank und blass, mit hellem, farblosem Haar, und sein Gesicht war jetzt zu einem unerfreulichen Ausdruck verzogen, der nahelegte, dass er auf der Straße in etwas getreten war, dessen Geruch gerade erst seine Nase erreicht hatte.

Es war, wie Robin sehnsüchtig sinnierte, ein Gesicht, das in hohem Maße zum Hineinschlagen einlud.

»Was verflucht und zum Teufel noch mal ist das? Wo steckt Reggie?«

»Wer ist Reggie?« Es war bereits ein schwieriger Morgen gewesen. Robin war sich nicht zu schade, unhöflich zu kontern, da ihm Unhöflichkeit geboten worden war. »Und wer sind Sie, da wir schon dabei sind?«

Ein blaues Augenpaar wurde schmaler. Sie waren der einzige Farbklecks in der Miene des Mannes – ja, sogar in dessen gesamtem Erscheinungsbild. Seine Kleidung war gepflegt, teuer geschnitten, doch alles in ebenso unscheinbaren und tristen Farben wie sein stumpfes Haar.

»Ich bin die Königin von Dänemark«, sagte er mit kaltem Sarkasmus.

Robin verschränkte die Hände auf dem Schreibtisch, um sich nicht an der Schreibtischkante festzuklammern. Er war derjenige, der hierhergehörte, sosehr ihm das auch gegen den Strich ging. »Und ich bin Leonardo da Vinci.«

Miss Morrissey erschien im Türrahmen. Möglicherweise ahnte sie, dass Blut fließen würde, sollte der Ton noch schärfer werden. Robin gelang es, sie nicht mehr so anzustarren, wie er es bei ihrer ersten Begegnung vor knapp einer Viertelstunde getan hatte. Natürlich hatte er schon Menschen aus Indien getroffen – und ihm waren auch schon einige weibliche Staatsbeamte begegnet, so selten sie auch sein mochten. Doch er hatte niemals erwartet, dass ein Beispiel beider Kategorien sich ihm ruhig als Miss Adelaide Harita Morrissey, seine einzige Untergebene, vorstellen und ihn mit einer Reihe vorwurfsvoller Kommentare bombardieren würde. Dass der Minister wirklich schon eher einen Ersatz hätte finden können, ob Mr. Gatling auf einen neuen Posten versetzt worden sei, und es täte ihr leid, dass auf dem Schreibtisch eine solche Unordnung herrsche, doch vielleicht könnten sie sich diese vornehmen nach seinem ersten Termin in – du liebes bisschen, fünf Minuten, nehmen Sie schon Platz, und sollte sie ihm eine Tasse Tee bringen?

Jetzt legte Miss Morrissey der Königin von Dänemark die Hand auf den Arm. »Mr. Courcey«, sagte sie eilig. »Das ist Sir Robert Blyth. Er ist Mr. Gatlings Nachfolger.«

Robin zuckte innerlich zusammen, dann verfluchte er sich dafür. Früher oder später würde er sich an den verdammten Ehrentitel gewöhnen müssen.

»Sir Robert«, fuhr sie fort, »das ist Mr. Edwin Courcey. Er ist der Verbindungsbeamte für Sonderangelegenheiten. Sie werden hauptsächlich mit ihm zusammenarbeiten.«

»Nachfolger.« Courcey nahm Miss Morrissey ins Visier. »Was ist mit Reggie passiert?«

Reggie, so viel hatte Robin inzwischen begriffen, war Gatling. Wenn dieser und Courcey freundschaftlich verkehrt hatten und Gatling sich nicht die Mühe gemacht hatte, seinem Kollegen zu erzählen, dass er weitergezogen war – oder versetzt worden, da der Verwaltungsdienst Seiner Majestät manchmal so war –, hätte das dessen Überraschung erklärt, wenn nicht sogar dessen allgemein unwirsches Gebaren.

Miss Morrissey sah unzufrieden aus. »Niemand hat mir irgendetwas erzählt. Ich habe versucht, dem Büro des Ministers mitzuteilen – und auch der Vereinigung –, dass es selbst für Reggies Verhältnisse merkwürdig ist, ohne ein Wort vierzehn Tage lang zu verschwinden. Am Freitag erhielt ich eine knapp formulierte Mitteilung, in der stand, dass am Montag ein Nachfolger erscheinen würde. Und hier ist er.«

Courcey lenkte den Blick zu Robin. »Sir Robert. Mit wem, den ich kennen könnte, sind Sie verwandt?«

»Mit niemand Bestimmtem, dessen bin ich mir sicher«, sagte Robin durch die Zähne. Möglicherweise entsprach das nicht vollständig der Wahrheit, seine Eltern waren bekannt gewesen. Dafür hatten sie gesorgt. Aber schamloser Standesdünkel widerstrebte Robin.

»Ach, um Gottes …« Courcey unterbrach sich. »Schätze, es spielt keine Rolle. Danke, Miss Morrissey.«

Die Schreibdame nickte und fegte wieder zurück zu ihrem eigenen Schreibtisch, wobei sie die Tür hinter sich zuzog.

Robin rutschte auf seinem Stuhl herum und versuchte, sich nicht eingesperrt zu fühlen. Es war wirklich ein beengtes Büro und dunkel obendrein. Das einzige Fenster versteckte sich betreten in der Nähe der Decke, als wollte es ausdrücken, dass es hier nur geduldet wurde und nicht beabsichtigte, etwas so Erfreuliches wie eine Aussicht zu bieten.

Courcey setzte sich auf den Stuhl gegenüber von Robins Schreibtisch, öffnete seine Mappe, wobei er ein leeres Blatt zum Vorschein brachte, zog einen Stift aus seiner Westentasche und legte beides auf den Tisch, mit dem Habitus eines Mannes, der nicht darauf vorbereitet war, dass jemand seine Zeit verschwendete.

»Wie Miss Morrissey schon sagte, bin ich der Verbindungsbeamte zum Minister, was bedeutet …«

»Zu welchem Minister?«

»Ha«, machte Courcey säuerlich, als hätte Robin einen unlustigen Witz gemacht und nicht verzweifelt nachgefragt.

»Nein, ich meine es ernst«, sagte Robin. »Sie werden mir eine klare Antwort geben. Ich kann nicht den ganzen Tag hier herumsitzen und vorgeben zu wissen, was zum Teufel ich zu tun habe, denn ich weiß es nicht. Ich habe eine Stunde gebraucht, um heute Morgen hierherzufinden, und das größtenteils, indem ich an Türen geklopft habe. Assistent im Büro für spezielle Inlandsangelegenheiten und -beschwerden. Und das ist alles! Das gesamte Büro! Ich weiß nicht, unter welches Ministerium oder welches Amt es fällt! Ich weiß nicht einmal, an wen ich berichte!«

Courcey hob die Augenbrauen. »Sie berichten direkt an Asquith.«

»Ich … was?«

Das konnte auf keinen Fall stimmen. Diesen Niemands-Posten, so niedrig, dass keiner davon gehört hatte – und dennoch, murmelte ein Teil von Robins Hirn, hatte er seine eigene Schreibdame statt Zugang zu einem ganzen Raum von ihnen –, hatte man ihm gegeben, weil seine Eltern es geschafft hatten, sich die falsche Person zum Feind zu machen, und jetzt trug Robin die Folgen. Healsmith hätte nicht so selbstgefällig ausgesehen, wenn er Robin eine Stelle gegeben hätte, die direkt dem Premierminister unterstellt war.

Courceys Mund hatte jetzt etwas von einer Zitrone. »Sie wissen wirklich nicht einmal, wozu diese Stelle gedacht ist.«

Unbehaglich zuckte Robin mit den Schultern.

»Sonderangelegenheiten. Verbindungsbeamter.« Courcey machte etwas mit seinen Händen, bewegte seine Finger aufeinander zu und wieder auseinander. »Speziell. Sie wissen schon.«

»Sind Sie etwa eine Art … Spion?«, wagte Robin eine Vermutung.

Courcey öffnete den Mund. Schloss den Mund. Öffnete ihn wieder. »Miss Morrissey!«

Die Tür öffnete sich. »Mr. Courcey, Sie …«

»Was«, sagte Robin, »macht Ihr Stift da?«

Es entstand eine lange Pause. Die Bürotür schloss sich wieder. Robin blickte nicht auf, um sich zu vergewissern, dass Miss Morrissey klugerweise auf der anderen Seite geblieben war. Er war zu sehr damit beschäftigt, auf Courceys Stift zu starren, der auf der Spitze stand. Nein – er bewegte sich, wobei die Spitze emsig Schnörkel aufs Papier malte. Das Datum stand rechts oben: Montag, 14. September 1908. Die Tinte – blau – war noch nicht getrocknet. Während Robin zusah, stahl sich der Stift zurück zum linken Rand des Blatts und verharrte dort wie ein Dienstbote, der hoffte, dass niemand ihn dabei beobachtet hatte, wie er beinahe das Salzfässchen hatte fallen lassen.

Courcey sagte: »Es ist ein ganz einfacher …«, dann brach er ab. Vielleicht war ihm klar geworden, dass er das Wort einfach für etwas verwendete, das alles andere war.

Vielleicht auch nicht.

Robins Kopf war seltsam leer, wie manchmal nach einer besonders gemeinen Prüfung, als hätte er dessen brauchbaren Inhalt mit den Fingern herausgeschöpft und grimmig aufs Papier geschmiert. Das letzte Mal hatte er sich so gefühlt, als er erfahren hatte, dass seine Eltern tot waren. Statt Überraschung das hier. Ein erschöpfter, ausgelaugter Geisteszustand.

Robin bewegte die Hand zwischen dem Stift und der Zimmerdecke. Nichts. Keine Drähte. Er wusste nicht einmal, wie so etwas mit Drähten hätte funktionieren sollen. Doch die Handlung erschien notwendig, der letzte Seufzer der Vernunft, ehe Akzeptanz hereinströmte.

In einem erbärmlichen Versuch, lässig zu wirken, sagte er: »Das heißt, als Sie Sonderangelegenheiten sagten …«

Courcey betrachtete Robin jetzt so, als gehöre dieser einer ungewöhnlichen Spezies an, der man in der Wildnis begegnete und die ein großes Maul voller noch größerer Zähne besaß. Kurz gesagt sah er aus, als sammle er seine Kräfte für einen Ringkampf und frage sich, warum Robin noch nicht zugeschlagen hatte.

Sie starrten einander an. Das schwache Licht blieb an den fahlen Spitzen von Courceys Wimpern hängen. Er war kein attraktiver Mann, doch Robin war von anderen Männern bisher nur als Auftakt zu Sex auf diese Weise gemustert worden, und allein diese intime Intensität sandte verwirrende Signale durch Robins Körper.

»Wissen Sie«, sagte er, »langsam kommt mir der Verdacht, dass hier ein Irrtum vorliegt.«

»Wie scharfsinnig von Ihnen«, sagte Courcey, noch immer angespannt wie ein Löwendompteur.

»Möglicherweise fehlt mir die eine oder andere wesentliche Qualifikation für diese Stelle.«

»In der Tat.«

»Ich nehme an, Ihr Kamerad Gatling konnte ebenfalls mit einem Fingerschnippen Tauben aus seinen Schreibtischschubladen zaubern?«

»Nein«, sagte Courcey, wobei er die Silbe in die Länge zog wie Karamell. »Diese Stelle gehört noch zum Innenministerium, es ist keine Position für einen Magier. Ich bin der Kontaktmann zum Ministerpräsidenten der Magiervereinigung.«

»Magier. Magisch. Magie.« Robin warf wieder einen Blick auf den Stift. Er schwebte weiterhin gelassen vor sich hin. Er holte tief Luft. »In Ordnung.«

»In Ordnung?« Der gereizte Ton ließ Courcey menschlicher wirken und passte zu dem, was in dessen Gesicht aufleuchtete. »Ernsthaft? Ich soll Ihnen abnehmen, dass dies das erste Mal ist, dass Sie auf irgendeine Art von Magie gestoßen sind, und Sie sitzen da, ohne auch nur … und das Beste, was Sie aufbringen können, ist in Ordnung?« Die blauen Augen musterten ihn erneut. »Soll das ein Scherz sein? Hat Reggie Sie dazu angestiftet?«

Es schien ein wenig zu spät zu sein, um eine solche Frage zu stellen. Robin war nach Lachen zumute. Doch Courcey hatte keine so gewöhnliche Empfindung wie Hoffnung ausgestrahlt. Das Licht in seinem Gesicht hatte sich zurückgezogen, als wäre jemand, der eine Kerze an ein Glas hielt, einige Schritte zurückgetreten. Nun war sein resignierter Ausdruck der eines Menschen, über den des Öfteren gescherzt wurde und der wusste, dass man von ihm erwartete, mitzulachen, selbst wenn die Witze eher grausam als lustig waren. Robin hatte diesen Ausdruck bei den Gästen der verschwenderischen Abendgesellschaften seiner Eltern aufflackern sehen, und die Person, die die Witze machte, war meist Lady Blyth selbst gewesen.

»Das ist kein Scherz«, erklärte er mit fester Stimme. »Was soll ich denn stattdessen sagen?«

»Sie sind nicht im Begriff, anzudeuten, dass Sie wohl gerade den Verstand verlieren?«

»Ich fühle mich nicht, als hätte ich den Verstand verloren.« Robin streckte die Hand aus und berührte den Stift. Er hatte nicht erwartet, ihn bewegen zu können, doch der Stift ließ sich packen und in der Luft umherziehen. Als er ihn losließ, glitt er zurück, um am Rande des Blattes schwebend zu verharren.

»Woher weiß er, was Sie von ihm wollen?«

»Er hat kein Bewusstsein«, sagte Courcey. »Es ist eine Durchtränkung.«

»Eine was?«

Courcey holte tief Luft und verschränkte die Hände. Robin, der auf Pembroke unter weit ausholenden Tutoren gelitten hatte, erkannte die Vorzeichen und wappnete sich.

Wie zu erwarten gewesen war, ergaben die Worte schnell keinen Sinn mehr. Anscheinend war Magie grundsätzlich genauso knifflig wie lateinische Grammatik und erforderte dieselbe Detailgenauigkeit, selbst wenn man nur etwas konstruierte, das Courcey als geringfügige Objekt-Durchtränkung beschrieb.

Der Stift, offenbar ergriffen von dem Wunsch, nützlich zu sein, schrieb alles, was Courcey sagte, in ordentlicher, spitzer Schrift auf. Doch auch schriftlich ergab das Ganze nicht mehr Sinn. Robins Blick blieb an dem Ausdruck wie ein juristischer Vertrag hängen, als Courcey erklärte, dass britische Magier eine knappe Geste verwendeten, die sie »Fadenknüpfen« nannten, um die Bedingungen jeglichen Zaubers zu definieren, einschließlich derer, die es einem unschuldigen Stift ermöglichten, eifrig übers Papier zu flitzen.

»Unterschreibt der Stift den Vertrag dann selbst?«, fragte Robin, der kaum noch folgen konnte. Das brachte ihm einen weiteren misstrauischen Blick und zusammengepresste Lippen ein. Courcey fühlte sich eindeutig wieder auf die Schippe genommen. »Zeigen Sie mir etwas anderes«, versuchte Robin es stattdessen. »Irgendetwas.«

Courcey zog ein Stück seiner Lippe zwischen die Zähne. Er holte etwas aus derselben Tasche, die auch den magischen Stift beherbergt hatte, und warf einen Blick über die Schulter, als wolle er sich vergewissern, dass die Tür geschlossen war.

Robins Kopfhaut prickelte vor Aufregung. Er glaubte nicht, dass Courcey ihm tatsächlich schaden wollte, der Mann war viel zu kratzbürstig. Wenn er versucht hätte, liebenswürdig zu sein, dann hätte Robin sich Sorgen gemacht.

Was Courcey aus seiner Tasche gezogen hatte, war eine Schlaufe aus schlichter brauner Schnur, die er sich um beide Hände wickelte; dann hielt er sie etwa fünfundvierzig Zentimeter auseinander, wodurch sich die Schnur spannte.

»Wie beim Fadenspiel«, meinte Robin, und dann: »Oh«, als es ihm dämmerte. »Fadenknüpfen.«

»Ja. Und jetzt seien Sie still.« Wieder verschwand die Lippe zwischen den Zähnen. Courceys helle Augenbrauen zogen sich zusammen.

Das Fadenspiel war eine Aktivität für zwei: Einer hielt die Schnüre, der andere nahm sie und zog sie in eine neue Position. Courcey spielte allein, und das komplexe Muster, das sich bildete, als er die Finger bewegte und mit den Daumen Schnüre umherschob, hatte keinerlei Ähnlichkeit mit der Katzenwiege oder der Futterkrippe oder irgendeiner anderen Figur, an die sich Robin aus Kindertagen erinnerte.

Robins eigene Hände, die auf dem Schreibtisch lagen, fühlten sich langsam an, als hielte er sie an die offene Tür eines Eisschranks. Er konnte sich beinahe vorstellen, dass sein Atem anfing, Wolken zu bilden, wie er das im Winter tat, und Courceys Atem ebenfalls.

Dem war tatsächlich so.

Der Nebel zwischen ihnen wurde eine einzige dichte Wolke, ein weißer Klumpen von der Größe einer Walnuss. Courceys Finger bewegten sich weiter wie geschmeidige Häkelnadeln. Nachdem fast eine ganze Minute verstrichen war, erschien etwas Glitzerndes.

Robin war nie von der Sorte gewesen, die über die Fortschritte der Royal Society nachgrübelten, und hatte noch nie selbst ein Auge an ein Mikroskop gesetzt. Dennoch erkannte er diese Form. Die Schneeflocke war nicht größer als ein Penny, doch sie reflektierte das Licht, das winzige Komplexitäten und aufblitzende Farben zeigte. Sie wuchs noch immer.

In Courceys Miene erschien nun etwas anderes als Geringschätzung – als würde man mit der äußersten Pinselspitze Wasserfarbe auf ein feuchtes Blatt Papier geben. Konzentration. Befriedigung. Er behielt die wachsende Schneeflocke im Blick und zupfte wieder und wieder mit dem Zeigefinger an einer einzigen Stelle des wirren Netzes, wobei er einen stetigen Rhythmus beibehielt.

Als die Schneeflocke die Größe eines kleinen Apfels erreicht hatte, bewegten sich Courceys Finger schneller. Die Schneeflocke sank hinab und tropfte in einer Wasserpfütze auf Robins Schreibtisch.

Eine Reaktion schien angebracht. Robin fehlten die Worte. Er hatte jähen Schmerz empfunden, als die Schneeflocke, so sorgsam erschaffen, geschmolzen war. Er war auf stille, erstaunliche Weise entzückt, dass Courcey bei all seinem kurz angebundenen, pragmatischen Verhalten eine so hübsche Art von Magie ausgewählt hatte, um sie Robin zu zeigen. Er wollte sagen, dass die Schneeflocke ihn an ein Gemälde des Franzosen Monet erinnerte, das erst letztes Jahr bei einer Benefizauktion seiner Eltern verkauft worden war, doch er war zu verlegen.

»Das war schön«, sagte er letztlich. »Kann das jeder? Wenn es nur darum geht – Verträge zu schließen und zu lernen, wie man die Hände bewegt.«

»Nein. Man wird entweder mit Magie geboren oder nicht.«

Robin nickte erleichtert. Die ganze Sache war noch immer seltsam, faszinierend und kaum zu glauben. Doch er glaubte daran, und niemand würde von ihm erwarten, dass er irgendeinen akkuraten Vertrag mit einer immateriellen Macht abschloss, indem er mit den Fingern fuchtelte, daher wirkte es wie etwas, mit dem er leben konnte.

»Aber wenn das hier eine Position für Leute ist, die nicht damit geboren wurden«, sagte er, »müssen Sie es doch sicher gewohnt sein zu erklären, wie besonders diese Sache ist.«

»Üblicherweise berät der Ministerpräsident bei der Ernennung. Sie nehmen den Cousin von irgendjemandem. Jemandem, der keine Magie hat, aber über Magie Bescheid weiß.« Courcey runzelte die Stirn. »Minister Lorne ist ein Freund des Ministerpräsidenten, er hat immer verstanden …«

»Oh«, machte Robin. »Nein, es war nicht Lorne. Er ist beurlaubt. Irgendetwas mit der Gesundheit seiner Frau. Healsmith ist derjenige, der mir die Tätigkeit übertragen hat.«

Courcey schüttelte den Kopf, wobei sich sein Stirnrunzeln vertiefte. »Kenne ich nicht. Und wenn er nichts davon weiß … Teufel noch mal, was für ein Chaos! Und nichts davon erklärt, wohin Reggie verschwunden ist und warum der Posten überhaupt frei war.« Er stand auf, steckte sowohl den Stift als auch die Schnur ein, nahm seine Mappe und wandte sich zum Gehen.

»Warten Sie«, platzte Robin heraus. »Wir haben doch … einen Termin?«

»Mich um eine Entscheffelung zu kümmern, reicht für heute. Ich habe keine Zeit, Ihnen dazu noch Schritt für Schritt die Arbeit zu erklären. Fragen Sie Miss Morrissey – es klingt, als hätte sie ohnehin die Führung übernommen.« Er tippte auf die Mappe. »Das hier hat bis morgen Zeit.« Der Anflug von Emotionalität war wieder verschwunden. Sein Blick drückte aus, dass Courcey nicht unglücklich sein würde, bei seiner Rückkehr festzustellen, dass Robin ebenso plötzlich aus diesem Büro wieder verschwunden war, wie er aufgetaucht war.

Courcey ging. Robin fuhr mit der Fingerspitze durch die kleine Pfütze auf seinem Schreibtisch, verteilte die Flüssigkeit.

»Sir Robert?«

»Miss Morrissey.« Robin zwang sich zu lächeln. Allein das bewirkte, dass sich seine Schultern entspannten.

Seine Schreibdame schloss die Bürotür und lehnte sich dagegen. »Mein Gott, was für ein Chaos!«

»Das hat Courcey auch gesagt.«

»Ich wusste nicht, dass Sie nicht Bescheid wussten.« Miss Morrisseys Version des Löwendompteur-Blicks war erschreckenderweise furchtloser als die von Courcey. Sie sah aus, als kalkuliere sie gerade den gängigen Preis für Löwenfelle. Robin kalkulierte, wie wahrscheinlich es war, dass sie die letzten Minuten ein Glas an die Tür gehalten hatte. »Ich war noch nie in eine Entscheffelung verwickelt. Was hat er Ihnen gezeigt?«

»Entscheffelung?«

»›Wir sind der Menschheit herrliches Licht‹? Oh, das kennen Sie natürlich nicht … in der englischen Umgangssprache ist der Begriff offensichtlich biblisch – ›das Gleichnis vom Licht unter dem Scheffel‹ –, und die Franzosen sagen déclipser. Das ist deren Vorstellung von einem Wortspiel. Auf Panjabi hat das Wort nichts mit Licht zu tun, es ist entweder eine Schlangenhaut, die man ablegt, oder die Flut, die sich zurückzieht, je nachdem, wo man ist …«

»Halt«, sagte Robin. Das war wirklich, als sei er wieder an der Universität. »Bitte, Miss Morrissey. Tun Sie so, als sei ich sehr dumm. Einfache Formulierungen.«

»Entscheffelung. Eine Enthüllung von Magie.« Miss Morrissey blickte entschuldigend drein. »Vielleicht sollte ich den Tee holen?«

»Tee«, sagte Robin erleichtert. »Genau das Richtige.«

Fünfzehn Minuten später hatten sie gemeinsam die Kanne geleert, ebenso wie einen Teller mit Butterkeksen. Robin hatte erfahren, dass Adelaide Harita Morrissey zunächst die Aufnahmeprüfung für die Arbeit im Hauptpostamt bestanden hatte und dann von Minister Lorne persönlich von einer Stelle als Gruppenleiterin weggeholt worden war, da er und ihr Großvater Mitglieder im selben Club waren und dieser ihren Namen hatte fallen lassen, als Lorne gerade auf der Suche gewesen war nach jemandem – »wie mir«, erklärte sie durch Kekskrümel hindurch. »Wie Reggie – Mr. Gatling.«

»Sie haben also keinerlei … Magie?«

»Keinen Tropfen«, sagte sie fröhlich. »Es ging alles an meine Schwester. So, dann wollen wir Sie mal richtig einarbeiten.«

Wie Robin feststellte, beinhaltete die Arbeit als Assistent im Büro für spezielle Inlandsangelegenheiten und -beschwerden eine verwirrende Mischung aus Analyse von Geheimdienstinformationen, Hellsehen und Fungieren als besserer Laufbursche. Er sollte Beschwerden, Briefe und reißerische Zeitungsartikel durchgehen und einschätzen, in welchen davon echte Magie vorkam. Alles Verdächtige sollte er zusammentragen und an den Kontaktmann weitergeben. Courcey.

Im Gegenzug würde Courcey ihm von allem Bevorstehenden erzählen, das von gewöhnlichen Menschen bemerkt werden könnte oder worüber der magische Beamtenapparat den Premierminister informieren wollte. Mittwochnachmittags um zwei würde Robin Bericht erstatten.

Beim Premierminister. Persönlich. Es war wirklich verrückt.

Einer der Wirbelsturm-Stapel auf dem Schreibtisch war Post, einiges davon war an Gatling selbst adressiert und noch ungeöffnet. Die Briefe, die an das Büro allgemein gerichtet waren, waren mit einem Brieföffner ausgenommen und dann gewissenhaft zurück in den Umschlag gestopft worden.

»Das meiste davon mache eigentlich schon seit Wochen ich«, sagte Miss Morrissey und strich mit dem Finger über den unregelmäßigen Rand eines geöffneten Kuverts. »Reggie hat mich ziemlich in der Tinte sitzen lassen, auch schon, ehe er verschwand. Er ist im ganzen Land herumgereist. Auf der Jagd nach Berichten, wie er sagte. Er verhielt sich, als sei er etwas sehr Wichtigem und Mysteriösem auf der Spur, aber ich dachte, ihm wäre einfach langweilig.« Nachdenklich drehte sie den Ring an ihrem Mittelfinger.

»Er war noch nie sonderlich geeignet dafür, geduldig an einem Schreibtisch zu sitzen.«

»Ihnen ist doch wohl klar, dass das alles ein absurder Irrtum war«, sagte Robin. »Wie soll ich heraussuchen, was … Ihre Angelegenheiten sind und was reiner Unsinn? Ich bin hiermit nicht aufgewachsen. Ich werde nur im Trüben fischen.«

Miss Morrisseys beredter Blick hätte Robin genauso gut anklagen können, sie wieder zurück in die Tinte zu stoßen.

Robin wurde weich. »Aber natürlich helfe ich, so viel ich kann. Bis Courcey mit seinem Ministerpräsidenten spricht und das alles ausgebügelt bekommt. Bis jemand Geeignetes meinen Platz einnehmen kann. Es dauert sicher nur ein paar Tage.«

3

Als Edwin das Innenministerium verließ, regnete es gerade. Benzindunst stieg von den nassen Straßen auf, verlängert von einem Geruch nach feuchter Wolle und etwas Kräftigem und unerwartet Organischem wie ein frisch umgegrabenes Blumenbeet. Edwin bemerkte es mit dem Teil seines Bewusstseins, der ihn davon abhielt, vor eine Kutsche oder ein Automobil zu laufen. Der Regen klopfte ihm sacht auf Hut und Mantel und hinterließ Perlen auf dem Leder seiner Aktentasche.

Er war gerade an einer Straßenecke, als er stehen blieb, die Hand abrupt auf dem nassen Metall eines Laternenpfahls, sodass die Knöchel weiß hervortraten, und mit geschlossenen Augen einige tiefe Atemzüge nahm.

Er hätte verflucht noch mal bleiben sollen. Einen völlig Fremden nach einer ungeplanten Entscheffelung allein zu lassen, selbst in den Händen eines so vernünftigen Mädchens wie Adelaide Morrissey, war töricht. Und Edwin Courcey war kein Narr. Das war das Einzige, worauf er stolz sein konnte.

Ganz gewiss konnte er sich nicht zu seinem Mut beglückwünschen. Hätte er auch nur ein Quäntchen Tapferkeit besessen, hätte er einen Versuch unternommen, Reggie besser kennenzulernen. Er wäre auf Reggies Angebot zurückgekommen, ihn vor einem Monat auf diese nutzlose Geistersuche in Nord-Yorkshire zu begleiten. Oder er hätte sogar angeboten, sich mit Reggie auf ein Getränk zu treffen oder zu einer Vorführung oder was auch immer Tausende junge Männer mit ihren Freunden so taten.

Dann hätte Edwin vielleicht auch eine Vorstellung davon gehabt, wo sich der Kerl in der Regel aufhielt, über dessen Heimatadresse hinaus. Edwin war nicht in der Lage gewesen, aus Reggies Vermieterin irgendwelche Einzelheiten herauszubekommen, seit er das erste Mal dort gewesen war. Mr. Gatling sei nicht zu Hause gewesen, dem üblichen Muster entsprechend. Mr. Gatling würde feststellen, dass er mit der Miete im Rückstand war, wenn er sich nicht bald wieder blicken ließ.

Weshalb Edwin nur das hier blieb. Er hatte es die ganze Zeit vermieden, aber heute hatte er keine Wahl. Das Wort Nachfolger ratterte in seinem Schädel. Das war keine von Reggies unverantwortlichen Spritztouren. Wenn Reggie ersetzt worden war, dann weil jemand aufgegeben hatte, auf seine Rückkehr zu warten.

Nach Kensington zu laufen, dauerte fast eine Stunde, und der Regen hörte weder auf, noch wurde er so stark, dass Edwin aufgegeben und eine Droschke herbeigewinkt hätte. Sein Ziel war ein Haus in Cottesmore Gardens, ein bedrohlich frisch aussehendes Bauwerk aus glänzenden Fenstern und getünchten Backsteinen. Der Butler der Gatlings nahm Edwins Namen auf und war kaum eine Minute damit verschwunden, ehe Anne Gatling erschien. Sie winkte Edwin ins Empfangszimmer und hielt im Türrahmen inne, um den Flur hinunter die Stimme zu erheben, wobei sie einen Strom rot leuchtender Funken von ihren Fingern schnipste, eindeutig ein privates Zeichen zwischen Schwestern.

»Dora! Es ist Win Courcey!«

»Edwin«, sagte er.

Anne pustete die letzten Funken von ihren Fingerspitzen und trat dann ganz in den Raum. Sie musste schon fast dreißig sein und war erst kürzlich verlobt worden, obwohl sie die für ihre Familie typische makellos dunkle Schönheit abbekommen hatte. Dass sie den nicht-magischen Reggie als Bruder hatten, wurde den Gatling-Mädchen in deren Kreisen negativ angerechnet, denn wer wusste schon, ob man darauf vertrauen konnte, dass deren eigene Kräfte auch wirklich vererbt würden?

»Hallo, Win«, sagte sie freundlich.

Edwin erwog, sie noch einmal zu korrigieren. Er verwarf die Idee, noch ehe sie Luft holte, um hinzuzufügen: »Was macht Bel? Ich habe sie schon ewig nicht mehr gesehen. Auf der Hochzeit? Nein, es muss seitdem gewesen sein.«

»Bel geht es gut. Anne, ich bin wegen Reggie hier.«

»Was hat er diesmal angestellt?«

»Weißt du, wo er steckt? Er war schon seit zwei Wochen nicht mehr bei der Arbeit.«

»Arbeit?«, sagte Anne. »Ach ja, richtig. Kein Grund zur Sorge. Mir hat einmal jemand gesagt, man müsste schon in Rüschenunterhose auf einem Tisch stehen und absoluten Verrat von sich geben, ehe irgendjemand sich die Mühe machen würde, einen aus dem Staatsdienst zu feuern. Bestimmt kommt er zurück, wenn er sich zu sehr langweilt.«

»Ihr habt also nichts von ihm gehört? Er hat keine einzige Nacht in seiner Bleibe verbracht, ich habe es überprüft.« Ein Band dumpfer Schmerzen legte sich um Edwins Schläfen und zog sich enger, als plötzlich ein gedämpftes Geräusch, wie ein Kräuseln von Musik, aus einem Schrank in der Nähe in den Raum drang.

»Diese vermaledeite Uhr«, sagte Anne, die seinem Blick gefolgt war. »Ich dachte, Dora würde sie in den Wäscheschrank packen. Wenn sie kein Familienerbstück wäre, hätte ich sie schon längst aus einem Fenster im ersten Stock geworfen.« Sie ging hinüber und fischte einen sperrigen, in Stoff gewickelten Gegenstand aus dem Schrank. Als er ausgepackt war, hatte er bereits damit aufgehört, Musik auszusenden, und entpuppte sich als eine schöne Standuhr, deren kastenförmiges Gehäuse aus tief rötlichem Holz bestand und deren Ziffernblatt ein Mosaik aus buntem Perlmutt war.

Anne sagte: »Bis letzten Monat ging sie vollkommen richtig, dann bekam sie ihre Launen. Jetzt verkündet sie dreimal am Nachmittag die Uhrzeit oder viermal innerhalb von zehn Minuten.«

»Magisch?«, fragte Edwin.

Anne nickte. »Man braucht sie nicht aufzuziehen, der Mechanismus soll Jahrhunderte halten. Aber ich schätze, nichts hält ewig. Ich habe Saul gebeten, sie sich anzusehen, aber er wollte nicht daran herumbasteln, weil er fürchtete, etwas kaputt zu machen. Und es gibt in ganz London nur einen Thaumhorologen, deshalb berechnet der Mann natürlich eine fürstliche Summe.« Sie warf einen betrübten Blick auf die Uhr. »Wir hoffen, dass ihr die Kraft ausgeht, ehe uns die Dinge ausgehen, in die wir sie einwickeln können.«

»Darf ich?« Edwin trug die Uhr hinüber zu dem niedrigen Tisch, wo das Licht gut war. Die Gehäuserückwand war so durchtränkt, dass sie ordentlich aufsprang, wenn man mit dem Finger über die Fuge strich. Das Innenleben der Uhr tickte weiter, Edwin kam sich vor wie ein Chirurg, der an atmenden Lungenflügeln operierte. Die Zahnräder und das Getriebe waren um eine blanke Kugel herum angeordnet, die ebenfalls aus Holz zu sein schien und fest in einer silbernen Halterung steckte. An kleinen Haken an den Innenwänden der Uhr, wie Mäntel in einem Puppenhaus, hingen eine Reihe von Gegenständen: ein gezwirbeltes Büschel trockenes Gras, ein silberner Ring mit einer dreieckigen Kerbe, ein rotes Band, ein zerbrochenes graues Kettenglied. Edwin berührte nichts davon. Er betrachtete kurz die sich drehenden Zahnräder, dann setzte er die Rückwand wieder ein.

»Ich glaube, es ist ein Eichenherz-Mechanismus«, sagte er. »Ich habe davon gelesen. Richtig behandelte Eiche absorbiert einen große Menge Kraft und entlässt sie nur langsam, wie aufgezogene Metallfedern. Und du hast recht, sie wird nicht ewig laufen. Jemand muss sehr viel mehr Magie in dieses Herz schütten, das ist alles. Als würde man eine Pflanze gießen, wenn die Pflanze bloß alle hundert Jahre Wasser bräuchte.«

»Das klingt leicht.«

»Ja und nein. Die Durchtränkung benötigt dennoch klare Rahmenbedingungen. Die meisten ausgebildeten Magier mit einer gewissen Macht könnten sie durchführen. Hast du Papier …?«

Etwas, das aussah wie Seiten aus einem Haushaltsbuch, entstieg einer von Annes Rocktaschen, und sie bedeutete ihm, die Rückseite des Blatts zu verwenden.

»Saul ist dein Verlobter? In England ausgebildet?«

Anne nickte, und Edwin notierte für den Mann einige grobe Anweisungen, wobei er die Fadenspielfiguren sehr deutlich darstellte. Die Schreib-Durchtränkung seines Stifts reagierte nur auf eine Stimme. Zum ersten Mal fragte er sich, wie man es anstellen würde, diese mit den Bewegungen seiner Hände zu verbinden. Oder mit Klang – könnte er Musik auf Notenlinien aufschreiben, so wie sie laut gespielt wurde? Es würde Grenzen geben, was die Geschwindigkeit und Komplexität betraf, aber vielleicht …

»Schade, dass du es nicht selbst machen kannst«, sagte Anne.

Edwins Hand hielt inne. »Ja.« Er beendete die letzten Zeilen: Achten Sie darauf, die anderen Bestandteile des Mechanismus zu meiden, wenn Sie die Durchtränkung am Holz anwenden. Es scheint sich hierbei um ein fragiles System zu handeln.

»Oh, ich wollte nicht unhöflich sein. Aber bestimmt hast du …«

»Ja.«

»Auf jeden Fall war das leichter, als irgendeinen pedantischen alten Experten herbeizurufen!«, meinte Anne. Sie blickte aufs Papier. Die Anleitung würde für sie ebenso viel Sinn ergeben wie chinesische Schriftzeichen, aber jeder Magier, der im englischen System ausgebildet worden war, würde in der Lage sein, sie zu befolgen. »Was schulden wir dir für deine Dienste, Win?«

Es war eindeutig ein Scherz, doch Edwin sagte: »Schick mir eine Nachricht, wenn du irgendetwas von Reggie hörst. Ich habe Logis im Cavendish.«

Zum ersten Mal schien Anne Edwin tatsächlich richtig anzusehen. Sie runzelte die Stirn. »Ehrlich, ich bin mir sicher, es ist nichts. Aber lass mich Dora und Mama fragen.«

Sie läutete nach einem Hausmädchen, das losgeschickt wurde, um Reggies andere Familienmitglieder ins Empfangszimmer zu holen. Beide bestätigten, dass seit über einem Monat keine von ihnen etwas von ihm gehört hatte. Offenbar fanden sie das nicht ungewöhnlich. Noch offensichtlicher bereitete es ihnen Mühe, irgendwelche echte Sorge um Reggies Wohlergehen aufzubringen.

Die Gatlings waren alte Magie – nicht so alt wie die Courceys, aber alt genug. Die verwitwete Mrs. Gatling behandelte Edwin mit distanzierter, mitleidiger Höflichkeit, die man kränklichen Kindern gegenüber hätte an den Tag legen können, und das Mitleid wurde nur stärker, als sie nach Edwins Mutter fragte. Nun, da die erfreuliche Ablenkung, die die Uhr dargestellt hatte, verflogen war, konnte Edwin es kaum erwarten zu gehen. Er entkam, nachdem er seine Adresse aufgeschrieben hatte und Anne erneut das Versprechen abgenommen hatte, ihm jegliche Neuigkeiten von ihrem vermissten Bruder zukommen zu lassen.

Der Regen war stärker geworden. Edwin schlug seinen Mantelkragen hoch und lief zum Bahnhof Knightsbridge, von wo er die Untergrundbahn nach Leicester Square nahm. Er war nicht in der Stimmung, mit jemandem zu reden, und wie es manchmal vorkam, hatte er das verquere Bedürfnis, sich gerade deswegen mit Leuten zu umgeben. Während der Zug klappernd vor sich hinfuhr, machte er sich noch mehr Sorgen über Reggies Abwesenheit. Einen Ansprechpartner zu haben, mit dem er so gut zurechtgekommen war wie mit Reggie, war immer ein Glücksfall gewesen. Edwin kam mit den wenigsten Leuten gut zurecht.

Und jetzt musste er sich mit Sir Robert Blyth herumschlagen, der die Sprache und das Auftreten von jedem gesunden, munteren, nicht sonderlich schlauen Jungen, die Edwin während seiner Schul- und Studienzeit kennengelernt hatte, zu ignorieren versucht hatte. Ein perfektes Exemplar desinteressierter englischer Männlichkeit, von den dichten braunen Locken bis hin zu seinem starken Kinn. Nicht genug Geist, um skeptisch zu sein. Zu wenig Verstand, um sich zu fürchten.

Was um alles in der Welt hatte ihn nur geritten, Blyth eine seiner eigenen Schöpfungen zu zeigen?

Komm schon, sagte sich Edwin gnadenlos. Du kennst die Antwort.

Die Antwort war, dass Blyth, für den Magie so neu war wie ein spiralförmig geschälter Apfel, gerade genug Nichtwissen besaß, um eine Versuchung darzustellen. Er wusste nicht, dass er darüber hätte spotten können, dass Edwin eine Schnur verwendete, um sein Fadenspiel zu steuern, wie ein Kind, das Handpositionen lernte. Ehe Edwin ihm den Schneeflocken-Zauber gezeigt hatte, hatte Blyth noch nichts Beeindruckenderes gesehen als einen schwebenden Stift.

Seine Miene hatte sich aufgehellt. Noch nie hatte jemand einen von Edwins Zaubern so betrachtet.

Schön, hatte Blyth gesagt.

Edwin hatte noch nie über die Ästhetik der Sache nachgedacht. Es war ein Experiment mit Kristallisierungstechnik, für dessen Entwicklung er ein halbes Jahr gebraucht hatte. Soweit er wusste, war er der einzige Magier in England, der diesen Zauber beherrschte. Und er bekam die Fadenspielfiguren immer noch nicht hin, ohne die Schnur als Krücke zu nutzen.

Nachdem er die Untergrundstation verlassen hatte, begab sich Edwin die Charing Cross Road hinunter zu einer der kleinsten dort ansässigen Buchhandlungen, die sich zwischen zwei größeren und beeindruckenderen befand, wie ein Junge, der, zwischen seine Eltern gequetscht, auf einer Bank saß.

»Guten Tag, Mr. Courcey«, sagte Len Geiger, als die Glocke, die an der Tür hing, blechern läutete.

Edwin zog seinen Hut und erwiderte den Gruß, wobei er sich zwang, sich nach Geigers Familie zu erkundigen, auch wenn seine Füße ihn direkt an der Kasse vorbeizerren wollten. Die Wärme des Ladens und die Feuchtigkeit des Regens bewirkten, dass die Luft war wie in einem Gewächshaus, doch das verschwand, als sich Edwin zwischen Regalen hindurch in den hinteren Teil des Ladens bewegte. Hier war die Luft, wie sie sein sollte: trocken, scharf von Staub, Leder und Papier.

Der Spiegel, der an der Wand in der hinteren Ecke hing, war mannshoch und fleckig angelaufen. Undeutlich reflektierte er die Schatten und Buchrücken. Edwin berührte die Oberfläche des Spiegels, und die Illusion schwand blitzschnell als Reaktion auf das, was er war. Kein sonderlich großer Magier, aber genug. Er trat hindurch in den Raum auf der anderen Seite.

Auf den ersten Blick sah der aus wie ein kleineres Spiegelbild des Raums, den Edwin gerade verlassen hatte. Noch mehr Bücher in mehr Regalen. Er besaß die Ruhe einer leeren Kapelle oder des Magazins einer Bibliothek. Edwin legte seine Aktentasche, Hut und Mantel in der Nähe des Spiegels ab, durch den er getreten war, und atmete auf. Er kam hierher, wie andere Männer Spielsalons oder Bordelle besuchten, Orchesterkonzerte oder Opiumhöhlen. Jeder hatte sein eigenes Laster zu Entspannung. Edwins galt lediglich als langweiliger als die meisten.

Er stöberte eine angenehme halbe Stunde, wobei er die Buchrücken andächtig mit dem Finger betastete und hin und wieder einen Band aus dem Regal zog, um dessen Inhaltsverzeichnis zu lesen. Er widerstand dem Drang, Mannings grottenschlechte Dissertation über visuelle Illusionen nach hinten zu schieben in den Schatten anderer, würdigerer Bücher.

Als er halb durch das Regal war, das mit »Naturwissenschaft & Magie« beschildert war, entdeckte Edwin einen indigoblauen Umschlag, auf den golden der Titel geprägt war: Mit dem Leben arbeiten: Kinoshitas Einklänge und Manipulationen. Ihm stockte der Atem, und er entließ ihn mit einem leisen Pfiff.

Geigers Gesicht zerknitterte um sein Lächeln herum, als er das Buch in Edwins Hand sah, und er zog braunes Papier und Schnur heraus, um es einzupacken. »Ich wusste, Sie würden das zu schätzen wissen, Sir«, sagte er. »Hab’s vor zwei Tagen in einer Spendenkiste bekommen. Dachte, ich lasse Ihnen das Vergnügen, selbst darauf zu stoßen.«

Als Nächstes betrat Edwin mit eingezogenem Kopf eine andere Buchhandlung, die sogar noch schäbiger aussah. Hier machte er eine beiläufige Bemerkung über das Wetter, die mit einem ernsten Nicken quittiert wurde und damit, dass ein wesentlich dünneres Buch, dieses bereits in braunes Papier eingepackt, über den Tresen geschoben wurde.

Als Edwin nach Hause kam, servierte das Cavendish Hotel gerade das Mittagessen im Speisezimmer. Er aß und brachte dann seine Anschaffungen hinauf in seine Räumlichkeiten, die geputzt worden waren. Im größten Kamin hatte man ein Feuer entzündet. Frisch gewaschene Kleidung hing im Kleiderschrank und lag sorgfältig zusammengefaltet in der Kommode. Edwin hätte sich einen eigenen Kammerdiener leisten können, und die von ihm gemietete Suite umfasste ein bescheidenes Dienstbotenzimmer, doch an der Universität hatte er sich abgewöhnt, aus solcher Nähe bedient zu werden. Stattdessen hatte er sich die Gewohnheit zugelegt, sich in Ruhe abzukapseln, und er hatte nicht die Absicht, sich dort wieder herauszuziehen. Das Cavendish Hotel hatte genügend Personal, und dieses hatten sich auf die Bedürfnisse von Junggesellen eingestellt.

Er öffnete das Wohnzimmerfenster einen Spalt. Vom Regen gereinigte Luft erfrischte sein Gesicht. Mit ihr kam der Lärm der Stadt, doch fern und vertraut genug, dass Edwin ihn in wenigen Minuten nicht mehr bewusst wahrnehmen würde. Er kochte Tee, verbrannte sich den Finger am Kessel und gönnte sich nur widerwillig die Menge Magie, die es brauchte, um die Verbrennung zu heilen und so zu vermeiden, dass seine Fadenspielschnur die ganze nächste Woche über die wunde Stelle rieb.

Das kleinere seiner beiden Buchpakete enthielt einen schmalen violetten Band, der eher eine bessere Broschüre war. Edwin schlug ihn an einer beliebigen Stelle auf und las genug, dass seine Lippen und sein Schwanz gleichzeitig zuckten, dann legte er ihn beiseite und nahm das Buch von Geiger mit in seinen liebsten Samtsessel am Kamin.

Üblicherweise hätte er sich so dankbar in die trockenen, faszinierenden Worte vertieft, wie er auch in der Atmosphäre der Buchhandlung versunken war. Doch heute fiel es ihm schwer. Die Wunden seines Besuchs bei Reggies Familie begannen zu schmerzen: das Mitleid, die Vertraulichkeit, das unverhohlene Widerspiegeln von Edwins eigener Abscheu darüber, was er war, verglichen mit dem, was er sein sollte. Kein Wunder, dass der nicht-magische Reggie die Ausgaben in Kauf genommen hatte, in London getrennt von seiner Familie zu wohnen, und sie nur so selten besucht hatte.

Und zu allem Übel würde Edwin morgen wieder nach Whitehall gehen und sich erneut mit Blyth auseinandersetzen müssen.

Das zumindest würde ein zeitlich begrenztes Ärgernis sein. Edwin würde dem Minister den Fehler erklären. Blyth würde eine Tasse Tee bekommen und in sein eigenes Leben zurückgeschickt werden. Derweil würde man jemand Geeigneteren finden. Und schließlich würde Reggie wieder auftauchen und Edwin dafür auslachen, dass er sich umsonst gesorgt hatte.

Edwin ließ den Blick zwei weitere Male über die Seite wandern, und dann, als die Worte sich immer noch weigerten, sich aneinanderzureihen und gesehen zu werden, ersetzte er das Tasten seines Blicks mit dem einer Fingerspitze, wobei er Genuss an der kaum merklichen Rauheit des Papiers fand. Edwins Sammlung kleiner Freuden war sorgfältig kuratiert. Als er seine Sorge ausatmete, stellte er sich vor, wie sie im Knacken des Feuers aufging. Er dachte an die akkuraten Zahnräder in der Uhr der Gatlings und an den bräunlichen Mischton von Sir Robert Blyths Augen.

In den Leerstellen zwischen kleinen Dingen spürte Edwin seine stille Magie wie einen Blutstropfen in einem Eimer Wasser: deutlicher, als sie es bei ihrem Volumen verdient hatte. Er konnte in die Verspannungen in seinem Nacken hineinatmen. Und er konnte die Ränder der von schmerzlicher Sehnsucht erfüllten Lücke in seinem Leben erspüren, die alle Ruhe und Wörter der Welt bislang nicht hatten füllen können.

Edwin hatte keine Ahnung, wonach er sich sehnte, keine echte Vorstellung von seiner idealen Zukunft. Er wusste nur, wenn er sich selbst jeden Tag ein bisschen besser machte – wenn er mehr arbeitete, mehr lernte, mehr als alle anderen –, dann würde er sie vielleicht finden.

4

Der Angriff kam, als Robin gerade an Roastbeef dachte.

Die Charlotte Street war erfüllt von Räderklappern und schlurfenden Schritten, während er von seinem Boxclub nach Hause ging. Der Regen des Tages hatte aufgehört, und jetzt war der düstere Himmel bedeckt. Robins Handgelenk schmerzte, weil er sich bei seinem letzten Kampf gegen Lord Bromley von Ärger und dem sein Denken auf den Kopf stellenden Eindruck des Tages – Magie, Magie – hatte ablenken lassen. Scholz, der stets mürrisch dreinblickende deutsche Ex-Meister, dem der Boxclub gehörte, hatte ihm mit seinem starken Akzent eine Schmährede darüber zuteilwerden lassen, dass er seine Schultern und Handgelenke im richtigen Winkel halten sollte.

Roastbeef. Mit Bratkartoffeln, außen knusprig und innen weich, und goldener Yorkshire-Pudding und eine leckere Portion Bratensoße über das Ganze verteilt.

Robin seufzte. Das Essen zu Hause würde zweifellos in Ordnung sein, aber der Club bereitete diesen besonderen Braten nur montags zu. An einem normalen Abend hätte er es sehr bevorzugt, sich der Gruppe seiner Freunde anzuschließen, die direkt aus dem Boxring in den Speiseraum des Clubs zogen, und wäre dann so spät nach Hause gegangen, dass er jegliche Gespräche, die auf ihn warteten, hätte vermeiden können.

Dies war kein normaler Abend. Es war auch kein normaler Tag gewesen, nicht mal nach den gekippten Maßstäben für normal, die seit dem Tod seiner Eltern in Robins Leben eingedrungen waren.

»Sir. Einen Augenblick bitte, Sir.«

Robin hätte nicht aufgeblickt, wenn die raue Stimme nicht von einer Berührung an seinem Handrücken begleitet worden wäre, und er fragte sich, ob er es mit einem Taschendieb zu tun hatte. Er lockerte die Arme, bereit, auf den Mann loszugehen, und verlangsamte seine Schritte.

Das war ein Fehler. Eine Garnschlinge glitt über seine Hand und zog sich um sein Handgelenk. Robin dachte absurderweise als Erstes an die Schnur, die Courcey verwendet hatte, um die Schneeflocke zu machen.

»Schauen Sie«, sagte Robin scharf und wäre fortgefahren, doch die Schlinge wurde noch enger, und die Worte erstarben ihm im Mund.

Vielleicht war sein erster Gedanke gar nicht so absurd gewesen. Das Garn leuchtete, weiß-gelb, wo es um den dunklen Ärmel seines Mantels geschlungen war. Es sah heiß aus, als könnte es den Stoff verbrennen – vielleicht sogar ihn selbst. Robin versuchte zurückzuweichen.

Sein Körper weigerte sich jedoch, ebenso wie seine Stimme sich weigerte, sich zu erheben und laut zu rufen. Eine schreckliche, dumpfe Wärme durchdrang ihn, wie die Benommenheit unter einer gemütlichen Decke frühmorgens im Winter, aber ohne jegliche Behaglichkeit. Sein Körper hing an ihm wie Lumpen. Regungslos.

Robin war einmal so hart zu Boden geschlagen worden, dass ihm der Atem aus der Lunge getrieben worden war. Er erinnerte sich noch lebhaft an die reine tierische Furcht in den langen, langen Sekunden, die er dort gelegen hatte, während seine schmerzende Kehle gegen die taube Trägheit seines Brustkorbs angekämpft hatte.

Jetzt atmete er noch. Doch aus irgendeinem Grund fühlte es sich schlimmer an.

Ohne irgendeine Führung durch seinen eigenen Willen hob sich Robins Kinn, und er blickte starr geradeaus. Zumindest sah er nun seinem Angreifer ins Gesicht und …

Vor neuerlichem Entsetzen krampfte sich Robins Magen zusammen. Der Mann, der vor ihm stand – er nahm an, dass es ein Mann war, jedenfalls war die Stimme die eines Mannes gewesen –, hatte kein Gesicht. Er trug ein grobes Hemd und hatte sonnengebräunte Hände, die das andere Ende des glühenden Garns festhielten, und dazu passend einen sonnengebräunten Hals. Auf diesem Hals saß ein Nichts von der Form eines Kopfes: ein flau wabernder Nebel.

»So«, sagte der Mann. »Kommen Sie schön ruhig hierher.«

Es war gerade mal eine Stunde vor Sonnenuntergang, kaum die tintige Schwärze, von der man annahm, dass dort üble Kerle hausten. Es war noch hell genug, dass es jemand bemerkt hätte, wenn Robin verzweifelt gewinkt hätte. Mehr als genug Leute auf den Straßen, die hätten stehen bleiben und Fragen stellen können, wenn Robin um Hilfe gerufen hätte.

Wenn, wenn … Robin konnte nichts dergleichen tun.

Er folgte dem Mann so sanftmütig wie ein vertrauensvolles Kind, gezogen von einer Schnur. Von hinten gesehen hatte sein Entführer einen Kopf voll bemerkenswert normalem hellem Haar. Es gab eine deutliche Linie, an der das Haar zu Nicht-Haar … zu Nebel wurde.

Robins Entführer brachte ihn von der Straße weg in eine Gasse, die nach verfaulenden Äpfeln roch. Zwei weitere Männer warteten dort auf sie. Auch diese trugen Nebelmasken und waren wie Straßenarbeiter gekleidet. Einer von ihnen war stämmig, der andere hatte dunkle behaarte Fingerknöchel. Robins Gehirn landete bei einer unbedeutenden Einzelheit nach der anderen, als versuche er, sich ein Gemälde für eine Prüfung einzuprägen, und rechne damit, dass man ihm jeden Augenblick das Bild entriss. Sein Herz veranstaltete einen höllischen Krawall gegen seine Rippen.

»Also, Mr. Wer-auch-immer-Sie-sind. Blyth«, sagte der Mann, der die Schnur hielt. »Ich nehme das jetzt von Ihrer Hand. Und Sie bleiben schön ruhig und beantworten meine Fragen, in Ordnung? Denn ich schätze, Sie können zählen, und ich schätze, selbst ein Mann von Scholz’ Lokal weiß, dass er dreien nicht gewachsen ist, wenn wir mehr als nur Fäuste haben. Und wir wurden nicht beauftragt, Sie zu töten, aber wir wurden auch nicht beauftragt, es sein zu lassen. Falls Sie verstehen, was ich meine.«

Robin fragte sich, ob der Mann erwartete, dass er nickte, und wie er das anstellen sollte. Doch das Garn wurde ohne weitere Umstände von seinem Handgelenk gezogen, und als er wieder die Kontrolle über seinen Körper bekam, keuchte er erleichtert auf. Er schüttelte seine Hände und spürte, wie ihm die Knie zitterten.

»Jetzt …«, sagte der Mann, und Robin holte aus und knallte ihm eine, vermutlich gegen das Kinn. Ehe er sichs versah, kam er blinzelnd wieder zu sich, gegen die Hauswand der Gasse gelehnt. Der faulige Geruch war plötzlich viel näher an seiner Nase, und etwas Feuchtes durchnässte seinen Hosenboden. Es war keine beruhigende Kombination.

»Es war verdammt dumm von Ihnen, das zu tun«, sagte der Mann. Robin hätte gern das Blut an der gespalteten Lippe des Mannes gesehen – er hatte auf jeden Fall gespürt, wie seine Fingerknöchel über Fleisch und Zähne gerieben hatten –, doch wegen der Nebelmaske war es nicht zu erkennen.

»Können die anderen beiden auch sprechen?«, fragte Robin und deutete mit dem Kinn auf die Männer. Er war wütend genug, um weiterhin über der Angst zu schweben. »Oder sind sie eher von der Sorte, die schweigend aufragt?«

Man ignorierte ihn. »Mr. Blyth. Sie sind jetzt an Mr. Gatlings Stelle. Sie sind in Mr. Gatlings Büro.«

»Und Mr. Gatling ist sehr ungehalten?«, wollte Robin wissen. »Ist es das? Dann kann er verdammt noch mal gern zurückkommen. Seine Schreibdame ist ganz aus der Fassung.« Das war übertrieben. Courcey hatte bestürzt gewirkt. Miss Morrissey lediglich … verstimmt.

»Mr. Gatling hat etwas in seinem Büro versteckt, das sehr wichtig ist, nicht wahr? Aber wie sich herausstellt, ist es schwierig zu finden. Sie werden uns dabei helfen.«

Robin fand die Worte Den Teufel werd ich tun in seinem Mund und kostete sie. Doch jetzt war er auf der Hut. Diese Männer hatten ihn vom Büro aus beschattet und dann von seinem Club. Sie kannten seinen Namen. Er würde sie nicht so leicht loswerden können.

»Was ist es? Was hat er versteckt? Und woher wissen Sie, dass es dort ist? Wenn es so wichtig ist, hat er es wahrscheinlich mitgenommen, wohin auch immer er abgehauen ist.«

Der Nebel wirbelte ein wenig. Robin lief ein kalter Schauer über den Nacken.

»Nein, der Vertrag ist dort«, sagte der Mann. »Das weiß ich aus seinem eigenen Mund, und er hat nicht gelogen.«

»In diesem Büro liegt eine Menge Papierkram herum«, war alles, was Robin einfiel.

Ein ungeduldiger Laut. »Stellen Sie sich nicht dumm, Blyth. Gatling muss jemanden gehabt haben, der es für ihn gedämpft hat. Es fühlt sich nicht mehr mächtig an. Aber es wird dort sein.«

»Was?«

Eine Pause. »Er hat Ihnen nicht mehr Einzelheiten erzählt als uns, was? Das bewirken Schweigezwänge. Etwas Verstecktes, schätzen wir. Etwas, das dort nicht hingehört.«

Das verwandelte sich gerade in einen dieser Träume, in denen man seinen lateinischen Text abgab, nur um festzustellen, dass er stattdessen durch Altägyptisch ersetzt worden war.

»Verdammt noch mal, kein Wort hiervon ergibt auch nur ein Quäntchen Sinn«, sagte Robin. »Und …« Er schaffte es, sich auch das zu verbeißen. Sein Instinkt sagte ihm, dass es ihm in diesem Moment wahrscheinlich mehr schaden als nützen würde, wenn er zugab, dass er genau heute zum ersten Mal einen Blick auf Magie erhascht hatte.

Als Robin nicht fortfuhr, machte sein sprechender Entführer eine Geste zu einem der Lauernden hin, der in die Knie ging und Robins rechten Arm am Handgelenk sowie knapp über dem Ellbogen packte. Angst flackerte drängend auf, doch Robin erkannte körperliche Überlegenheit. Der Versuch, den Arm wegzuziehen, würde nur dazu führen, dass er sich für nichts die Schulter zerrte. Seine Finger schlossen sich zu einer so festen Faust, dass er die stumpfen Kanten seiner Fingernägel spürte.