Ab durch die Mauer - Christoph Dalberg - E-Book

Ab durch die Mauer E-Book

Christoph Dalberg

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Beschreibung

"Das Summen des Motors ist beruhigend, ist gleichmäßig und unaufgeregt. Es ist wie Urlaub, Zeit zum Entspannen, es ist wie die Fahrt ins Ungewisse." Nach einer Lebenszeit, die der Autor zu gleichen Teilen in der ehemaligen DDR und in einem weitestgehend freien Europa verbrachte, ist diese Fahrt im Wohnmobil interessant genug, sie in den Spannungsbogen zu seinem früheren Leben zu setzen. Bisweilen mit einer Prise Humor wird in flüssigen Dialogen mit seiner Frau die Vergangenheit beleuchtet und werden neue und minimalistische Ziele erkannt. Mauern, real oder in den Köpfen, können überwunden werden.

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Seitenzahl: 212

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Inhalt

Impressum 4

Vorwort 5

Kapitel 1 - Gestrandet 7

Kapitel 2 - Der Mensch braucht nicht viel 8

Kapitel 3 - Freie Fahrt nach Griechenland 12

Kapitel 4 - Bunt oder Grau? 19

Kapitel 5 - Wir bleiben unterwegs zu Hause 24

Kapitel 6 - Heimat und Ostalgie 29

Kapitel 7 - Klimawandel und Großstadtwirrwarr 32

Kapitel 8 - Christliches Abendland vs. junge DDR 36

Kapitel 9 - Fahrkarte nach Nirgendwo 42

Kapitel 10 - Vielvölkerstaat Jugoslawien 47

Kapitel 11 - Indoktrination 55

Kapitel 12 - Gehversuche in der Freiheit 60

Kapitel 13 - Die Franzosen im Allgemeinen 63

Kapitel 14 - Die Franzosen und meine Vorurteile 65

Kapitel 15 - Noch einmal Frankreich 68

Kapitel 16 - Warten auf die Freiheit 74

Kapitel 17 - Südfrankreich und Lascaux 80

Kapitel 18 - Stolz wie die Spanier 83

Kapitel 19 - Umweltsünden 86

Kapitel 20 - Bücherwurm 90

Kapitel 21 - Strahlendes Schlaraffenland 95

Kapitel 22 - Die wichtigen Dinge des Lebens 97

Kapitel 23 - Mielke und Konsorten 103

Kapitel 24 - Burgen, Festungen und Mauern 108

Kapitel 25 - Blockflöten und Stasi 113

Kapitel 26 - Alhambra und Advent in Granada 119

Kapitel 27 - Winterbefehl 123

Kapitel 28 - Fahrt nach Gibraltar 129

Kapitel 29 - Affenfelsen - Very British 134

Kapitel 30 - Soldatenherrlichkeit? 137

Kapitel 31 - Cádiz - Charme der Jahrtausende 140

Kapitel 32 - Heiligabend an der Algarve 145

Kapitel 33 - Wege der Politik nach der Wende 149

Kapitel 34 - Lissabon – unser Traum am Atlantik 157

Kapitel 35 - Die Goldenen Zwanziger 163

Kapitel 36 - Hinter den Kulissen 170

Kapitel 37 - Paradies in den Subtropen 175

Kapitel 38 - Weltmacht USA 179

Kapitel 39 - Dunkle Wolken 184

Kapitel 40 - Die Lage spitzt sich zu 190

Kapitel 41 - Ständige Ausreise 194

Kapitel 42 - Déjà-vu? 199

Impressum

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

Für den Inhalt und die Korrektur zeichnet der Autor verantwortlich.

© 2022 united p. c. Verlag

ISBN Printausgabe: 978-3-7103-5404-5

ISBN e-book: 978-3-7103-5533-2

Umschlaggestaltung, Layout & Satz:united p. c. Verlag

www.united-pc.eu

Vorwort

„Über Tote soll man nicht schlecht reden“, heißt es so schön im Volksmund.

Ich habe mir wegen der vielen Jahrzehnte in spürbarer Unfreiheit nochein gerütteltes Maß an Restwutbewahrt, mit der ich, da ich nun zur Hälfte in besagter DDR und wider Erwarten zur anderen Hälfte in der Bundesrepublik, gefühlt aber in ganz Europa gelebt habe, nun endlich einmalvom Leder ziehenmöchte, bevor die Zeit über mich hinweg geht und Verklärungen über die DDR die Oberhand gewinnen.

Mir hat 30 Jahre nach dem Mauerfall ein Freund im Westen gesagt: „Jetzt muss es aber auch einmal gut sein. Wir Christen müssen doch auch vergeben!“

Bezogen hat er dieses Vergeben auf alle Mitläufer des Systems, aber leider auch auf alle, die als Täter mit der Stasi unterwegs waren.

Im ersteren Fall kann ich dazu gern bereit sein. Es stellt sich die Frage: Was ist da konkret zu vergeben und warum? Auch interessant: Wer vergibt denn wem? Schließlich wurde hier ein Staat durch ca. 17 Millionen Bürgerinnen und Bürger über viele Jahrzehnte mehr oder weniger mitgetragen.

Bei solchen Schuld- und Vergebens-Szenarien bekomme ich Bauchschmerzen.

Im zweiten Fall sehe ich etwas klarer: Sollten wir den Mitarbeitern der Stasi pauschal vergeben und alles geschehene Unrecht vergessen?

Auf keinen Fall!

Bei allem Urteilen und Beurteilen ist aber zu bedenken: Es gibt keine geradlinigen Entwicklungen, es gibt nicht nur schwarz und weiß, es gibt nicht nur gut und böse und es gibt nicht nur den zerfallenden, menschenverachtenden Ostblock oder dasblütenweißeAmerika mit einer begründeten Angst vor dem Kommunismus, sondern es gibt die Chance auf einen gesellschaftlichen Neuanfang beiderseits der Mauern!

Für mich waren unsere Reisen und die Eindrücke aus dem letzten Jahrzehnt interessant genug, sie in den Spannungsbogen zum vergangenen und beengten Leben hinter der Mauer einzubinden.

So findet sich in diesem Buch eine zeitlich fortlaufende Linie unserer Reisen mit dem Wohnmobil durch ein offenes Europa. Sie wird unterbrochen durch Betrachtungen, Glossen und Erinnerungen aus einer nun schon mehrere Jahrzehnte zurückliegenden DDR -Vergangenheit, der Wende- und Nachwendezeit.

Ganz besonderer Dank geht an Wolfgang Hansen für seine textkritischen Hinweise aus der Sicht eines Menschen, der die Mauer zur gleichen Zeit auf der anderen Seite in der Bundesrepublik erlebt hat und natürlich an meine Frau Beate, die in diesem Buch unfreiwillig, aber gekonnt als Gesprächspartner herhalten musste, eine Rolle, die sie nicht weniger gekonnt im echten Leben spielt.

Borgdorf-Seedorf, 1. Oktober 2021

Kapitel 1 - Gestrandet

Dezember 1955, DDR, ein kleines Dorf in der Rhön, sehr früh am Morgen

Es ist Zeit für meine Geburt im Teil der Rhön, der zur DDR gehört, eigentlich ein sehr unspektakulärer Flecken Erde im Nirgendwo. Ein Dorf, es ist bitterkalt, Glatteis, also ist die Entscheidung für eine Hausgeburt gewissermaßen vorgegeben.

„Na hoffentlich geht das gut?“, dachte ich noch. Ich hatte damals schon den Hang, in allen Dingen rundum abgesichert sein zu wollen. War vielleicht nicht gut, ausgerechnet hier imNirgendwoder DDR gestrandet zu sein?

„Hört mich jemand, ist da irgendwer? Was ist das denn hier für ein Empfang? Meine Güte ist das grau hier“, so oder ähnlich müssen meine ersten Gedanken gewesen sein.

„Och, ist das öde, einfach nur öde. Meine Güte, mal nachdenken, bevor ihr mich hier in diesem Versuchsstaat aussetzt“, so meine zweite Analyse nach der vollzogenen Landung. Es war zum Schreien!

Wenn die DDR doch damals gleich kapituliert hätte, aber dass dieser dilettantische Versuch von einem Staat 40 Jahre andauert, hat ja niemand ahnen können. Da braucht‘s schon viel Geduld.

Kapitel 2 - Der Mensch braucht nicht viel

1. Quartal 2019, Deutschland, Nordrhein–Westfalen

Das Summen des Motors ist beruhigend, ist gleichmäßig und unaufgeregt. Es ist wie Urlaub, Zeit zum Entspannen, es ist wie die Fahrt ins Ungewisse. Und es ist die Freiheit, die ich möchte.

Immer, wenn ich im Wohnmobil Platz nehme, werde ich schlagartig entschleunigt. Ich freue mich auf das, was die Fahrt, was der neue Tag auftut.

Manche Menschen fahren im Urlaub immer an denselben Strand, in dasselbe Hotel, dieselbe Pension. Nur keine Überraschungen. Es ist doch so, wie es ist, gut. Bevor es schlechter wird, bleiben wir bei dem, was wir schon ausprobiert, kennengelernt und liebgewonnen haben. Am besten ist es wie zu Hause, auch was den Platz angeht, in der Dusche muss man doch ausatmen können.

Mit dem Reisen im Wohnmobil geht ein durchdachter Minimalismus einher, der natürlich durch die räumliche Enge des Wohnmobils bestimmt wird.

Ganz sicher ist ein Zurückbesinnen auf das Nötigste sehr wohltuend und heilsam.

Wer benötigt ernsthaft sechs Paar Jeans oder zwanzig Paar Schuhe? Wer braucht, wenn er zwei linke Hände hat wie ich, drei Akkuschrauber? Im Grunde käme ich sogar mit zwei Paar Socken und vier Slips klar, aber meine Frau hat was dagegen, warum auch immer.

„Du sparst wie immer an den falschen Ecken“, höre ich sie argumentieren.

Alles in allem vertreten wir aber ziemlich übereinstimmende Auffassungen. Zugegeben, ein zweiter Fernseher im Wohnmobil klingt dekadent, aber den haben wir uns einmütig gegönnt, in diesem Punkt haben wir keine zwei Meinungen. So kann man sich mit den Fernsehprogrammen auch mal aus dem Weg gehen.

Ansonsten haben wir uns von unglaublich vielen Dingen verabschiedet, von denen wir bislang glaubten, dass wir sie benötigen. Mehrere Schränke mit prall gefüllten Schubladen, die seit Jahren nicht mehr geöffnet worden waren, erhielten ein neues Zuhause oder wurden gnadenlos entsorgt.

„Na, was haben wir denn heute im Hänger? Alte Schuhe, CD-Hüllen, Bücher, ein Regal, na ja, Sie wissen ja, wo das alles hinkommt“, die freundlichen Mitarbeiter auf dem Wertstoffhof begrüßten mich schon fast mit Handschlag. Ich fuhr ungelogen bestimmt ein Vierteljahr lang jeden zweiten oder dritten Tag mit einer vollen Wagenladung dorthin.

Als wir alles entsorgt, verkauft oder verschenkt hatten, was uns noch mit unserem früheren, vom Überfluss geprägten Leben verband, hatte das eineunglaublich befreiende Wirkung. Jetzt konnte auch das Haus verkauft werden.

Der Mensch braucht nicht viel!

Wenn ich bedenke, wie viel oder besser gesagt, wie wenig eine große Familie in Afrika für ihr Leben zur Verfügung hat, dann begreife ich immer mehr unseren unvorstellbaren Reichtum. Das klingt ein wenig platt, denn die Lebensverhältnisse in Afrika sind uns seit Jahrzehnten bekannt und hat uns dieses Wissen schlaflos gemacht?

Um Armut hautnah zu erfahren, reicht es schon, sich nach Südeuropa zu begeben. Unsere Fahrt mit dem Wohnmobil wird uns durch die meisten der ehemaligen Ostblockstaaten führen. Bulgarien und auch Rumänien, Länder, die wir auf unserem Weg nach Griechenland durchqueren, gelten als dasArmenhaus Europas.

Das Unterwegssein in einem Wohnmobil ist für uns nach dem Hausverkauf die logische Konsequenz. Wir sind im Wohnmobil zu Hause, wir sind unterwegs zu Hause. Niemals zu lang an einem Ort, sondern neugierig auf den Horizont hinter dem Horizont.

10. April 2019, Deutschland, Schleswig-Holstein, früher Abend

Bevor wir uns aber ins Abenteuer stürzen, ziehen wir in unseren neuen Wohnsitz. Gemeint ist nicht das Wohnmobil, sondern ein Mobilheim mit angebautem Vorzelt, insgesamt 55 m² Wohnfläche, kein Vergleich zu den 140 m² zuvor, aber wir empfinden es als ausreichend.

Der Mensch braucht nicht viel!

Unser Mobilheim melden wir als Hauptwohnsitz an, was nicht ganz unwichtig ist für eine Bankverbindung, Krankenversicherung und einiges mehr.

Bei einem Anwalt haben wir uns zuvor beraten lassen, denn das ist ja alles Neuland für uns.

Sich zurückzunehmen und den Lebensstil minimalistischer zu gestalten ist in Deutschland nicht einfach, weil es nicht der Norm entspricht.

Ich bin mir aber sicher, dass das in Zukunft ein großer Trend wird und ich meine nicht, dass das deshalb geschieht, weil die Schere zwischen arm und reich immer größer wird und immer mehr Menschen unter der Armutsgrenze leben müssen, sondern weil sich immer mehr Menschen Gedanken über Nachhaltigkeit und ihr Konsumverhalten machen.

Da wir nicht überall in Deutschland ein Mobilheim als Hauptwohnsitz auf einem Campingplatz anmelden können, ziehen wir nach dem Verkauf unseres Hauses auch noch in ein anderes Bundesland, nach Schleswig-Holstein. Hier ist das noch möglich. In unserem kleinen Mobilheim am See fühlen wir uns von Anfang an wohl.

Es gibt Strom, Gas, Wasser und alles ist neu und modern eingerichtet. Außerdem haben wir uns landschaftlich verbessert mit der Lage unseres neuen, zweiten Zuhauses. Etwas weit weg sind alle Bekannten, Verwandten und alten Freunde, aber das stellt in der heutigen Zeit mit den vielen sozialen Plattformen kein Problem dar und wir wollen jetzt ohnehin auf Reisen gehen.

Kapitel 3 - Freie Fahrt nach Griechenland

31.Mai 2019, Deutschland, Schleswig–Holstein, gegen Mittag, die Fahrt beginnt durch den ehemaligen Ostblock

Heute beginnt endlich das, worauf wir uns so lange gefreut haben: Die Fahrt in den Süden.

„Das tritt nach meiner Kenntnis – ist das sofort, unverzüglich“, so die unfassbaren Worte von Schabowski, die diese Reisen für mich und auch Millionen andere DDR-Bürger erst möglich gemacht haben.

Nun ist es fast 30 Jahre her: Mauerfall aus Versehen oder gewollt, je nach Betrachtungsweise. Eine solche Reise habe ich in meinem ersten Leben nicht für möglich gehalten.

Inzwischen bin ich Rentner und sitze mit meiner Frau in unserem Wohnmobil, bewege mich frei durch Europa und ich möchte mich kneifen: Das ist kein Traum, es ist die Wirklichkeit!

Es ist nur schwer in Worte zu fassen, was ich da fühle. Was wäre gewesen, wenn ich mit dieser und anderen Freiheiten schon aufgewachsen wäre, wie meine jetzige Frau, die ich erst nach der Wende kennengelernt hatte?

Hätte ich dann diese Freiheiten eher selbstverständlich hingenommen und nicht so euphorisch betrachtet?

Bei diesen Eindrücken, den alten und den neuen, ist es doch keine schlechte Idee, einmal zur Wiege der Demokratie ins finanzkrisengeschüttelte Griechenland zu fahren. In Griechenland ist die Demokratie geboren, auch wenn sie damals vor über 2500 Jahren nicht so ausgesehen hat, wie wir uns heute Demokratie vorstellen. Aber hier war der Anfang.

Ich freue mich auf Griechenland und das Mittelmeer! Unsere Fahrt nach Griechenland führt über die ehemaligen Ostblockländer, heute Tschechien und Slowakei, dann durch Ungarn, Rumänien mit dem schönen Siebenbürgen und Bulgarien.

Mit einem Wohnmobil durch diese Länder zu fahren ist, wie man sich denken kann, von einer Portion Abenteuerlust getragen, aber wunderschöne, nicht vom Tourismus geprägte Landschaften sind der Lohn auf dieser Fahrt.

Was mir bedrückend in den Sinn kommt: Die alten, verschlissenen Uniformen desWarschauer Pakteswerden nun für dieNATOneu aufgebügelt und irgendwelche Gesinnungsprüfungen scheinen für die Altgedienten beim Wechsel zum Klassenfeind nicht nötig gewesen zu sein oder habe ich da etwas verpasst?

Das Kriegshandwerk bemüht sich seit einigen Jahrhunderten, eigentlich seit Menschengedenken, vergeblich um Friedenssicherung. Vielleicht ist für Lösungen, die den Frieden herstellen sollen, der Gewaltansatz ein falscher.

„Na, über was grübelst du da schon wieder nach?“, reißt mich meine Frau aus meinen Gedankengängen und fügt hinzu, nachdem ich ihr kurz meine hochfahrenden Gedankengänge erklärt habe:

„Du wirst diese Welt nicht ändern, außerdem vertrittst du eine Meinung, die sicher nicht von der Mehrheit geteilt wird.“

„Militärs sind für mich Menschen aus der Steinzeit“, beharre ich störrisch. „Mehrheitlich sind sie gedankenlose Befehlsempfänger mit der Lizenz zum Töten. Bei späteren Nachfragen und Prozessen berufen sie sich auf den Befehlsnotstand und für das Geleistete stecken sie sich Orden an, während sie in der Gesellschaft große Anerkennung genießen. Ich weiß nicht, das wiederholt sich doch in der Geschichte andauernd.“

Es ärgert mich, wenn diese meine Ansichten zu Krieg und Militarismus immer nur als polarisierend abgetan werden. Deshalb halte ich mich jetzt etwas zurück, aber wer sich auch nur oberflächlich mit militärischen Biografien beschäftigt hat, der wird mir Recht geben müssen. Doch ich als unverbesserlicher Pazifist tobe mich hier schon wieder auf solchen Nebenkriegsschauplätzen aus. Das klingt jetzt komisch, merke ich.

Anfang Juli 2019, Rumänien, an einem schwülen Abend

Wir sind in Rumänien auf der Fahrt zur Grenze nach Bulgarien. Letzter Halt in Rumänien. Bevor wir die Donaubrücke nach Bulgarien überqueren, halten wir an einem Supermarkt.

Am Abend decken wir uns mit Lebensmitteln ein. Es ist heiß und einige, gefühlt hundert Mücken begleiten uns ins Wohnmobil.

Na toll! Es ist Juli und die kleinen Biester sind stechwütig. Nach einer schwierigen Nacht auf dem Parkplatz des Supermarktes, die ich nicht näher beschreiben möchte, bringt der nächste Morgen mit einem Nieselregen etwas Abkühlung.

„Ich möchte jetzt ans Mittelmeer, ich brauche Sonne, blaues Meer und Strand“, klingt es von der Seite. Was kann ich diesen ultimativen Beschlüssen meiner Frau noch entgegensetzen? Ich möchte doch auch ans Meer.

Anfang Juli 2019, Bulgarien, an einem Supermarkt

Wir beschließen durch Bulgarien zu fahren, ohne Bulgarien näher zu erkunden, jedenfalls nicht dieses Mal, weil es uns nach Griechenland ans Mittelmeer zieht. Die Donaubrücke ist in dieser Gegend weit und breit der einzige Grenzübergang nach Bulgarien und schon sitzen wir in einem Stau auf dieser Brücke fest.

Vor drei Jahrzehnten hätte uns der Grenzübergang als solcher schon einen Adrenalinstoß versetzt. Jetzt ist es eher der bauliche Zustand dieser Brücke, der uns großes Gottvertrauen abverlangt. Etwas beängstigend ist eine sich auflösende Teerdecke, gepaart mit Schlaglöchern, in denen ein Kind mühelos verschwinden könnte. Doch keine Angst, es sind keine Kinder in der Nähe.

Kurz und nur fürs Mittagessen halten wir dann doch noch in Bulgarien an einem Supermarkt. Deutsche Supermarktketten sind auf der Fahrt durch Südeuropa allgegenwärtig. Das ist zum einen für uns sehr praktisch, aber ob ich das bis in die letzte Konsequenz für gut befinden soll, da bin ich mir nicht sicher.

Wir sitzen also in unserem Zuhause, genießen den Ausblick auf einen inzwischen wieder sonnig gewordenen Tag und lassen es uns schmecken. Jeder, der mich kennt weiß, dass ich durch nichts so schnell aus der Ruhe zu bringen bin. Na ja gut, das stimmt nicht ganz, eigentlich stimmt es überhaupt nicht. Denn untypisch für einen Camper und Wohnmobilisten bin ich, wenn ich ehrlich bin, die VarianteSchisser.

Und plötzlich bleiben mir da die Bissen im Hals stecken.

„Eigentlich glaube ich nicht, was ich da sehe. Beate, sind das Wölfe?“, frage ich etwas unsicher meine Frau.

Da laufen offensichtlich zwei Wölfe über den Parkplatz und suchen sich in den Mülltonnen des Supermarktes die Leckerbissen heraus.

„Ach Quatsch, das sind bestimmt Schäferhunde, wo sollen denn hier mitten in der Stadt Wölfe herkommen?“, beruhigt mich meine Frau.

Zunächst nehmen nicht viele Menschen davon Notiz, doch allmählich machen immer mehr einen großen Bogen um die Tiere und bringen sich in Sicherheit, es erweckt zumindest so den Eindruck.

Es kommt immer gut, wenn man dramatische Geschichten erzählen kann, aber der Ehrlichkeit halber: Niemand wird angefallen und zerfleischt! Wer sich auf Horror- und Gruselgeschichten gefreut hatte, den muss ich enttäuschen.

Als die vermeintlichen Wölfe an unserem Wohnmobil vorbeitrotten, erkennen wir, dass sie an den Ohren gechipt sind. Es sind offensichtlich keine Wölfe.

Dennoch finde ich es nicht gut, wenn zwei so große stattliche Hunde die Mülltonnen an einem Supermarkt durchwühlen.

„Eigentlich ist mir ja klar, dass das keine Wölfe sind“, versuche ich am Ende Recht zu behalten, „wo sollen denn hier mitten in der Stadt auch Wölfe herkommen?“, damit greife ich die Argumentation meiner Frau noch einmal gekonnt auf.

Meine Frau grinst. Na ja, Schwamm drüber.

Wenn wir uns die Infrastruktur von Discountern anschauen, gibt es in Südeuropa schon ein flächendeckendes Netzwerk, wie es uns von Deutschland her bekannt ist.

Die Länder des ehemaligen Ostblocks sind auf dem Weg, sich in der EU zu festigen, sich einzubringen, zu positionieren.

Aber nicht nur diese Länder werden verändert, sondern auch die EU selbst. Momentan verlassen immer mehr Menschen Bulgarien und suchen eine Zukunft andernorts in Europa, bevorzugt in Deutschland.

Solange die Lage mit Ausbildungs- und Arbeitsplätzen in ihren Ländern nicht spürbar besser wird, hat Europa ein Problem. Zwar werden Aufbau- und Infrastrukturmaßnahmen von der EU unterstützt, sie können aber im Moment die Abwanderungstendenzen nicht aufhalten. Armut inBlühenden Landschaften?

Mit denBlühenden Landschaftenin der ehemaligen DDR hat es auch länger gedauert, als die Wahlversprechen glauben gemacht haben. Helmut Kohl hat sich zumindest mit den Versprechungen mächtig ins Zeug gelegt.

„Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“, mag der eine oder andere Politiker denken, dem Glaubwürdigkeit nicht mehr erstrebenswert erscheint. Es geht nur darum, dasStimmviehhinter sich zu scharen und damit die eigene Macht zu zementieren. Besser man schaut dann nicht mehr in den Spiegel!

Wir sollten auch ein Augenmerk darauf haben, bewährte und gute Strukturen in Südeuropa nicht wegen gewinnorientierter Interessen einfach platt zu machen, wie das beim überhasteten Anschluss der DDR oft geschehen ist.

Von Bulgarien kommend erreichen wir im Dunkeln eine langgestreckte Autobahn, die schnurgerade talwärts führt.

Anfang Juli 2019, derselbe Tag, Griechenland, Ankunft in der Nacht

„Wir sind in Thessaloniki?“, meint fragend meine Frau. Sie ist etwas schlaftrunken und abgespannt. Uns begrüßt eine tausendfach beleuchtete Stadt

auf griechischer Seite. Es ist wie die Ausfahrt aus einem Tunnel, aus dem Dunkel der Geschichte. Das Dunkel der Geschichte liegt hinter uns, in Rumänien und Bulgarien. Irgendwie streifen wir die Ceaușescus dieser Welt nicht so einfach ab. Man kann sie bei der Durchfahrt durch diese Länder noch spüren.

Und doch, in Anbetracht dessen, was die Menschen in Bulgarien und Rumänien erleiden mussten, zeichnen sie sich durch ihre große Gastfreundschaft aus, während sie selbst auch noch über 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg in für uns nicht vorstellbarer Armut leben.

Unsere Fahrt geht an Thessaloniki vorbei zu einem Strand an der Ägäis. Wir sind nun in Griechenland angekommen.

Wir sind am Mittelmeer! Auf der rechten Seite taucht der Olymp auf, der sagenhafte Sitz der Götter, der fast immer seine Kuppe in Wolken hüllt. Bei all der Freude, so durch die Länder Europas fahren zu können, bereitet mir die Durchfahrt durch die ehemaligen Ostblockstaaten trotz ihrer heute durchlässigen Grenzen immer noch ein mulmiges, aus der Zeit vor dem Mauerfall herrührendes Grundgefühl, das ich nicht näher beschreiben kann. Aber weil das so ist, empfinde ich beim Erreichen von Griechenland auch ein Aufatmen.

Kapitel 4 - Bunt oder Grau?

2. Halbjahr 1987, einmal DDR-Bundesrepublik und zurück

Wenn ich, wie es heute in Bewerbungsgesprächen gefordert und erwartet wird, meine besten Charaktereigenschaften mit dem Brustton der Überzeugung ins Feld führen müsste, dann ist das vor allen anderen die hoch zu lobende Eigenschaft, dass ich in meinen Erzählungen und Bewertungen stets einen objektiven Standpunkt vertrete, gewissermaßen solide fundamentiert mit Alter und Weisheit.

Meine Frau empfindet das eher gegenteilig, aber natürlich sieht sie das subjektiv.

Kennt ihr dieNette Zahnarztfrauaus der Werbung, die ganz sicher nie Zahnmedizin studiert hat, wahrscheinlich noch nicht einmal weiß, was dental bedeutet? Wie kann sie objektiv über Zahnhygiene sprechen wollen?

Seht ihr, jetzt versteht ihr mich! Ich hoffe nur, das wird mir nicht sexistisch ausgelegt.

Warum erzähle ich das alles? Ich versuche mich mal besser zu erklären. Klar ist, meine Frau ist nicht der TypNette Zahnarztfrau, sonst wäre ich objektiv nicht an sie geraten, schon weil ich Angst vor Zahnärzten habe.

Ich verzettele mich schon wieder!

Spaß beiseite und jetzt komme ich zu dem, was ich eigentlich erklären will: Wer etwas objektiv beurteilen möchte, braucht vor allem Abstand.

Genauso verhielt es sich im ersten Arbeiter– und Bauernstaat auf deutschem Boden. Abstand konnte man hier nur durch Republikflucht gewinnen, d. h. ich war subjektiv an dieses System gebunden, was mir aber objektiv nicht weiterhalf.

Allmählich legt sich nun ein Schleier über die DDR-Vergangenheit. Und dieser Schleier ist grau, so wie ich bei fast allen Erinnerungen an die DDR-Zeit vor allem graue Bilder vor Augen habe.

„Hast du denn keine schönen Erinnerungen an deine DDR-Zeit?“, fragt meine Frau, die mir neugierig über die Schulter schaut und mitliest.

„Gibt’s da nichts Buntes, Farbenfrohes in deinen Erinnerungen?“

„Doch schon“, versuche ich zu erklären, auch wenn mir das schwer fällt, „es gibt ein paar wenige Sequenzen in Farbe, einige schöne Erinnerungen, na ja, genau genommen doch recht viele solcher Erinnerungen. Doch diese Erinnerungen haben nichts mit der DDR zu tun, sondern mit Freunden und Bekannten, die sich mit mir auf ihrem Lebensweg durch dieses Einheitsgrau befanden.“

„Das klingt immer noch sehr dunkel und düster!“, wendet meine Frau ein.

Ich denke aber, dass ihr da zu viele Parameterfehlen, um alles richtig einordnen zu können. Nicht umsonst gibt es den Beruf desGelernten DDR-Bürgers, der in typischer Weise versucht, sich in diesem unzulänglichen Biotop DDR zurechtzufinden.

„Natürlich sind wir nicht ständig verfolgt und gegängelt worden, zumindest die meisten nicht. Wir hatten auch Wünsche, Hoffnungen und Visionen, wir hatten auch ein lebenswertes Leben im Bereich der Möglichkeiten. Aber weißt du“, versuche ich meiner Frau weiter zu erklären, „unterm Strich war die DDR natürlich kein Ponyhof.

Vielleicht können auch Käfighühner ein einigermaßen glückliches Leben führen?“

Ich merke schon, der Vergleich war nicht sehr gelungen. Schließlich kann ich keine Eier legen.

Sehr bunt in Erinnerung ist mir die Reise 1987 zum runden Geburtstag meiner Mutter in die Bundesrepublik. Hier gibt es farbige Erinnerungen in großer Zahl.

Die Fassaden waren in viele verschiedene Farben getaucht. Unmengen von bunten Blumen in den Blumenkästen an den Balkonen, als hätten sich die Orte extra für meine Reise geschmückt, was ja objektiv betrachtet Unsinn ist. Selbst Werbeplakate, die bei mir heute kaum noch irgendeinen Kaufzwang erregen können, erschienen mir damals in ihrer Farbenpracht wie dasHohelied des kapitalistischen Garten Eden.

Und so wurden mir in den Supermärkten dieser Überflussgesellschaft die Knie weich und ich war kurz davor,Meister Properund den vielen anderenSuperheldenpersönlich meinen Dank für das Geleistete abzustatten, aber schon damals hatte ich begriffen, dass das eine Scheinwelt war.

Aber: Es war ein einziger Farbenrausch!

Doch dann steht da dieses graue Bild vom Bahnhof in Eisenach, den ich bei meiner Rückkehr aus dem Westen zu sehen bekam:

Niederschmetternd!

Eigentlich kannte ich diesen Bahnhof, mir war nur nie bewusst gewesen, wie unheimlich grau dieses Gebäude aussah, objektiv betrachtet.

„Warum muss das denn hier alles so verdammt grau sein?“, denke ich, doch auf diese Frage habe ich auch Wochen nach meiner Rückkehr keine Antwort finden können.

Der Vollständigkeit halber: Diese, meine erste und

einzige Reise zu DDR-Zeiten in die Bundesrepublik wurde zunächst verweigert und erst nach einem schriftlichen Protest genehmigt. Meine Eltern hatten ihreStändige Ausreise aus der DDR- so nennt sich das im Fachjargon - beantragt, weil meinem Vater mit seiner Herzerkrankung nicht mehr geholfen werden konnte. Ein Herzschrittmacher war in der DDR keine Option, er selbst sei schon zu alt mit seinen 60 Jahren und die Operation hätte mit den entstehenden Kosten das Gesundheitswesen der DDR zu sehr belastet, so die Begründung.

Bunt oder grau, grau oder bunt? Der Westen mit seinen Helden, demMeister Proper, demWeißen Riesen, denLila Kühenund vielen anderen war längst durch das Fernsehen in der DDR angekommen.

Jeder in der DDR konnte es empfangen, wenn er nicht gerade im Tal der Ahnungslosen in Dresden zu Hause war. Die Antennen mit der entsprechenden Ausrichtung auf den Dächern waren ein beredtes Zeugnis dafür.

In den 50er Jahren, DDR, Arbeiter– und Bauernstaat

Ein paar, wenn auch nicht so glamouröse Helden gab es auch im Osten, wie den unscheinbaren und eher mausgrauen Tischler Walter Ulbricht, auch Spitzbart genannt. Der war mal eben von Moskaus Gnaden Chef der DDR geworden!

Für den Geschichtsunterricht heutiger Schulklassen sind seine Reden als erheiterndes Moment unbedingt zu empfehlen, wobei ich dringend anrate, Originalaufnahmen zu verwenden. Seine Reden stellen, sei es durch diemitreißende Kastratenstimme, dassächsische Timbreoder einfach nur durch den gesammelten Blödsinn seines Inhalts eine spezielle Kunst der Rhetorik dar, die zu erreichen man allenfalls in einem Arbeiter- und Bauernstaat vermuten würde. Ich weiß, das ist ein wenig bösartig und ich entschuldige mich hiermit ausdrücklich bei allen Arbeitern und Bauern.

Eine dieser mitreißenden Reden begann Walter Ulbricht mit der Anrede:

„Liebe Ingenieure, liebe Arbeiterieure!“