Abschiedsball - Uwe Drewes - E-Book

Abschiedsball E-Book

Uwe Drewes

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Beschreibung

Dieses Buch setzt die beliebte Reihe von humorvollen und spannenden Kriminalromanen über Kommissar Hansen fort. Er wechselt die Dienststelle und übernimmt in Itzehoe die Leitung einer Sonderkom-mission, die mehrere Mordfälle im Senioremmilieu aufklären muss. Neben seinen dienstlichen Aufgaben muss Hansen sich wieder um seine Frauengeschichten kümmern. Wird seine Ehe mit Conny überleben oder zieht ihn die schöne und kluge Kyra mehr an? Die Leser können sich wieder auf eine mit leichter Hand verfasste Kriminalgeschichte freuen. Dem Autor ging es mehr um die Darstellung des Denkens und Fühlens der Protagonisten als um die Schilderung de Polizeiarbeit.

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Dieser Roman ist eine Fiktion. Personen und Geschehnisse sind Erfindungen der Autoren. Das gilt auch dann, wenn hinter den Romanfiguren Urbilder erkennbar sein sollten.

Uwe und Sabine Drewes

Horst/Holstein im Februar 2024

Inhaltsverzeichnis

Neuer Start

Pleite

Jugendliebe

Die Sonderkommission

Der Verdacht

Die Begegnung

Alte Gefühle

Der Irrtum des Philosophen

Auferstanden

Alles gut?

Zwei Spuren

Horns Debakel

Geld stinkt doch

Hahnenkampf

Neue Indizien

Die Vernehmung

Abschiedsball

Neuer Start

Heinz Otto verstand was vom Schießen. Als ausgezeichneter Schütze konnte er die Schussgeräusche präzise zuordnen. Der Knall einer Pistole unterscheidet sich deutlich von dem eines Jagdgewehres oder einer Maschinenpistole. Auch gleichen sich Revolver und Pistole nicht, wenn es um das Geräusch des Geschosses beim Verlassen des Laufes geht. Revolver werden mit stärkerer Munition versehen. Daraus resultiert ein lauteres Schussgeräusch.

Doch diesen Gedanken konnte Otto nicht mehr zu Ende bringen. Mit Verwunderung registrierte er einen heftigen Schlag in der Brustgegend. Er verspürte keinen Schmerz, sah nur das Blut seines Körpers. Dann schwanden ihm die Sinne. Besinnungslos sackte er in sich zusammen.

Er war allein mit seinem Schicksal. Niemand war da, der ihn sterben sah, oder ihm helfen konnte, dem Tod von der Schippe zu springen. Es war das Ende seines Lebens. Otto war kein Feigling, wer ihm das nachsagte, kannte ihn nicht genug. Er war vorsichtig, das ja. Er verwendete beim Thema Feigheit oder Mut gerne einen Spruch: „Wer sich in Gefahr begibt, wird darin umkommen und ein starrköpfiger Mensch nimmt ein schlimmes Ende.“

Aber an diesem verdammt herrlichen Sommertag konnte ihn diese uralte Weisheit nicht beschützen. Er hatte die Gefahr nicht erkannt, die Gefahr hatte ihn auch nicht gesucht. Er war zufällig in sie geraten. Das todbringende Geschoss hatte nicht ihm gegolten. Er war in die Schusslinie geraten. Dummer Zufall, wie es jeden, ob mutig oder feige, treffen kann.

Hauptkommissar Horst Hansen wurde vom Unglück seines besten Freundes tief erschüttert. Er gab sich die Schuld, denn er hatte ihn zur Beobachtung einer gewaltbereiten Rockerbande zur Walpurgisfeier in den Harz delegiert. Er sollte nur beobachten, wenn es ging fotografisch dokumentieren.

Horst Hansens seelische Erschütterung blieb seinem Umfeld nicht verborgen. Als der Revierleiter ihm anbot, das Ermittlungsverfahren zum Fall Otto einem Kollegen zu übertragen, nahm Hansen diesen Vorschlag an.

Das passte überhaupt nicht zu dem harten Kerl. Früher hätte er die Leitung der Untersuchungskommission nie und nimmer einem anderen abgegeben. Aber Ottos Unglück erwischte Hansen in einer tiefen Lebenskrise. Die Ehe mit Conny war ihm zur Tortur entartet. Seine Frau alterte wie Fallobst. Sie nahm ungehemmt an Gewicht zu, ihre Haut wurde faltig wie bei einem verschrumpelten Apfel. Er konnte sich nur widerwillig zu ihr legen, unterließ es dann ganz.

Zu Kyra Sommer hatte er nach dem Suizid ihres Mannes keine Bindung herstellen können. Sie hatte ihre Jugendliebe wiedergetroffen und gab sich dieser Romanze ganz und gar hin. Zudem wurde seine Sehnsucht nach Hamburg immer stärker. Er konnte gewiss nicht sagen, dass er in seiner Wahlheimat Harz schlecht behandelt worden wäre. Die Harzer waren netter als ihr Ruf. Aber seine echte Heimat war Hamburg, von der Alster bis zum Horizont.

Aber, wie so schön gesagt wird, wo eine Tür zugeht geht eine andere auf. Über seine alten Seilschaften hatte er erfahren, dass in Itzehoe eine Stelle als Hauptkommissar zu besetzen war. Nicht gleich als Leiter der Mordkommission. Aber immerhin 300 Kilometer näher an Hamburg als Quedlinburg. Hansen fuhr zum Personalgespräch in das kleine, unansehnliche Städtchen. Obwohl es Kreisstadt war, hatte man es nicht einmal für angemessen betrachtet, dem Kreis ihren Namen zu geben, sondern ihm wurde die Bezeichnung Steinburg verordnet. Genannt nach einer mittelalterlichen Trutzburg des Holsteinischen Grafen, die seit langem als Ruine vergammelte. Mittelalterlich war Itzehoe nun nicht gerade, aber viel fehlte nicht.

An der Raststätte Zweidorfer Kreuz lenkte er seinen Volvo an die Zapfsäule. Er gehörte nicht zu den Autobesitzern, die ständig auf der Suche nach günstigen Tankstellen waren. Wenn seine Tankanzeige Reserve anzeigte, hielt er an der nächsten Zapfsäule und machte den Tank voll. Ihm mangelte es nicht an Gründen, sich zu ärgern. Da musste er das nicht auch noch beim Tanken ertragen.

Neben ihm stand ein Volvo V 70. Jünger und auf jeden Fall besser gepflegt als seiner. Der von Wolfskin eingekleidete Fahrer wünschte Hansen einen guten Tag. Hansen knurrte nur „Tach ok“. Was so viel bedeuten sollte wie, lass mich in Ruhe, alter Affe. Fehlt bloß noch, der setzt sich an meinen Tisch, sorgte sich Hansen. Natürlich, Hansen hatte gerade Platz genommen, da kam der Typ vom pinkeln zurück und setzte sich neben ihn. Er tat so, als wären sie alte Bekannte. „Darf man fragen, wie alt ihr Volvo ist“, nervte er Hansen. Der begriff, dass er diesen Affen nicht so leicht abschütteln konnte. Er antwortete deshalb knapp: „Keine Ahnung.“ Der ungebetene Gast zog die Stirn in Falten: „Das wundert mich aber. Wir Volvo – Fahrer sind doch etwas Besonderes. Heutzutage, wo jeder Spießer Mercedes oder BMW fährt, ist das für mich die einzige Möglichkeit, nach außen zu demonstrieren, dass ich etwas Besonders bin, eben ein Mann mit Stil.“

Das Gespräch begann Hansen Spaß zu machen: „Da bin ich ganz bei ihnen. Womit verdient denn der besondere Mann mit Stil seine Volvos?“ Der Mann, erfreut über das Interesse: „Das kann ich ihnen sagen, ich bin Doktor Horst Wenzel, Studiendirektor und Lateinlehrer an einer Waldorfschule.“ Als ob Hansen es geahnt hätte. Ihm war die Vermassung der Volvos schon längere Zeit ein Dorn im Auge. Er war viele Jahre Citroen XM gefahren, weil er sich von der eitlen Masse der Markentrottel unterscheiden wollte. Sein Volvo war ihm schon lieb, aber mittlerweile auch ins Alter gekommen. Ein neuer Job und ein neues Auto. Das macht Sinn. Eine neue Frau würde das Trio vervollständigen.

Hansen war 58 Jahre alt. Früher hätte er die Borniertheit des Studiendirektors Doktor Wenzel nicht ungesühnt gelassen. Aber er war toleranter geworden, oder war das schon die vielzitierte Altersmilde?

Studiendirektor Doktor Wenzel hatte gehofft, von Hansen zu erfahren, welchen Beruf er hatte. Da Hansen wortkarg blieb, fragte er ihn danach. Hansen wurde nun doch von seinem kleinen Teufelchen angestachelt. Statt einer Antwort fragte er: „Wonach sehe ich denn aus?“ Der Mann zögernd: „Ein Mann in den besten Jahren, verschlissene Lederjacke, Boss Jeans, T – Shirt von AC/DC, ich würde raten, Künstler. Maler oder Musiker:“ Hansen: „Fast richtig geraten, fast so etwas wie ein Künstler. Ich bin Bestatter.“

Der dermaßen gefoppte Mann merkte nun doch so langsam, dass er verarscht wurde: „Aber ich bitte sie, sie können doch einen Künstler nicht mit einem Bestatter vergleichen. Es gibt keine Berufsgruppe die weniger mit Kunst zu tun hat als der Bestatter.“

Hansen: „Da irren sie, verehrter Herr Studiendirektor Doktor Arschloch. Wenn einmal ihre Stunde schlägt, brauchen sie schon einen kreativen Bestatter, um ihr Riesenarschloch kunstvoll in den Sarg zu kriegen.“

Hansen ließ den erschrockenen Studiendirektor sitzen. Er tat ihm nicht leid. Wer anderen in die Suppe spuckt, muss es sich gefallen lassen, wenn er sie auslöffeln muss. Kurzentschlossen fuhr er in Soltau zum Verkaufsgelände des größten Gebrauchtautohändlers Deutschlands. Über 200 Fahrzeuge warteten auf einen neuen Besitzer. Hansen suchte einen Citroen XM. Und hatte Glück. Der Wagen sah genauso aus wie sein alter Begleiter. Aber er war es nicht. Es war ein Diesel, kein Auto für Hansen. Er hatte immer den Sechszylinder Benziner gefahren. Diese Motorisierung brachte den aerodynamischen Gleiter auf eine Spitze von 235 KM/H. Für Hansen war das kein theoretischer Wert, er fuhr seine Autos gerne aus. Ein Verkäufer bemerkte den unentschlossenen Interessenten. Er kam nicht mit der üblichen Frage: „Kann ich ihnen helfen?“, sondern sagte nur: „Der ist jeden EURO wert.“ Diese maulfaule Art gefiel Hansen, entsprach sie doch seiner Hamburger Mentalität. Er nahm sich für die Antwort Zeit. Dann sagte er: „So.“

Der Verkäufer nach einer Pause: „Ist zwei Jahre alt. Nur 40 auf dem Tacho. 129 PS, Spitze gut 200.“

Hansen: „Einen Schnelleren haben sie nicht da?“

Der Verkäufer: „Morgen kommt ein Benziner rein. Der ist bisschen schneller. Frist aber doppelt so viel.“

Hansen: „Die Drehmomente?“

Verkäufer: „Diesel 285, Benziner 267.“

Hansen: „Nicht schlecht. Den kaufe ich. Machen sie mir Kennzeichen dran, ich nehme ihn gleich mit. Den Volvo können sie in Zahlung nehmen. Ich bin Hauptkommissar Hansen, hier ist meine Karte. Schicken sie mir alles. Das Geld überweise ich. Gut?“

Der Verkäufer, war nicht zum Wundern auf dem Platz, sondern zum Verkaufen. Er nickte nur: „Gut, Tschüss, und immer gute Fahrt.“

Das hydraktive Fahrwerk senkte den XM bei höheren Geschwindigkeiten ab, so dass seine ohnehin gute Straßenlage noch besser wurde. Das vertraute Luxusauto verbesserte Hansens Stimmung. Er summte leise vor sich hin: „An de Eck steiht e Jung mi nem Tüdelband…“ Der Diesel grummelte friedlich. Im Nu verharrte die Tachonadel bei 200 Sachen. Hansen war zufrieden. Er ließ den Wagen laufen. Ganz relaxt fühlte er sich, nicht so angespannt wie im Volvo. Na bitte, die Abfahrt Itzehoe der A 23. Er war am Ziel. Und ein wenig neugierig war er schon auf seine neue Wirkungsstätte. Doch Überraschungen blieben aus. Itzehoe bot wie die meisten Städte in den Randzonen wenig Erbauliches. Eine ungepflegte Brücke über einen kleinen Fluss, unsaubere Gewerbehallen und einige Ruinen, mehr war nicht zu erkennen. Aber nur wenige Meter weiter fuhr er in eine bunte Altstadt mit netten Stadthäusern, Geschäften und Gaststätten. Das Polizeirevier war in einem Hochhaus untergekommen. Egal, er musste ja nicht hier wohnen.

Pleite

Frank Remmül mochte an diesem regnerischen Novembertag nicht in sein Haus gehen. Er wurde von seiner Familie am frühen Nachmittag noch nicht erwartet.

Der Grund seines frühen Kommens war unerfreulich. Seine Firma war Pleite. 80 Prozent der Mitarbeiter mussten gehen. Frank war erst seit zwei Jahren in der Firma. Er hatte dem Chef vertraut, als er ihm vorschlug, sich zum Meister für Gebäudereinigung zu qualifizieren. Er sah seine Chance, sich als Führungskraft zu profilieren. Der Lehrgang war neben der Arbeit und dem Hausbau eine riesengroß Belastung. Und nun soll das vergebliche Mühe gewesen sein?

Er hatte das Auto zwanzig Meter vor seiner Einfahrt geparkt. Um sich zu sammeln, was er seiner Frau und den drei Kindern sagen könnte. Er wollte sie nicht erschrecken, aber die Wahrheit konnte er ihnen nicht ersparen. Sonst erfuhren sie es von Fremden, was auf jeden Fall schlechter war.

Frank Remmül war ein Mann, der sich weder zum Wissenschaftler oder Künstler berufen fühlte. Er wollte und konnte seinen Lebensunterhalt mit seinen Händen erwirtschaften. Er kannte seine Schwächen, wusste aber auch seine Stärken richtig einzuschätzen. Das Haus hatte er fast alleine gebaut. Von den Großeltern erhielt er einen Zuschuss. Das war lieb gemeint, konnte aber nicht verhindern, dass er die Bank um eine Hypothek bitten musste. 300.000 Euro lasteten auf dem Haus. Er wollte beim Bauen nicht sparen. Viele dachten so wie er und verschuldeten sich höher als vernünftig gewesen wäre.

Ein Junge auf einem schicken neuen Fahrrad passierte das Auto. Sein Sohn Fin. Jetzt konnte er nicht länger warten. Er startete den Motor und fuhr auf den Stellplatz seines Grundstückes. Yvonne, seine Frau in zweiter Ehe, sah ihn an. Ängstlich und neugierig war dieser vertraute Blick. Sie fragte nicht. Auch sie kannte ihren Partner genau und sah voraus, dass er nicht im Lotto gewonnen hatte.

Frank gab sich einen Ruck und ging ins Wohnzimmer. Fin der Große hatte Schulschluss. Marie und Laura waren gerade aus der KITA gekommen. „Hallo Rasselbande“, Frank hatte eine Tüte mit Pfannkuchen mitgebracht. „Wer möchte einen Berliner verspeisen?“ Ich, ich, ich. Die Kinder hoben die Hände wie in der Schule.

Yvonne kam mit Kaffee und Kakao. Alle nahmen am großen Stubentisch Platz. Frank wusste auf einmal, was er seiner Truppe sagen konnte. Es war ihm soeben eingefallen, noch nicht durchdacht und erörtert: „Ich möchte euch heute etwas Wichtiges sagen. Es betrifft nur unsere Familie. Kein anderer darf das wissen.“ Marie, das Nesthäkchen, fragte: „Ist das ein Geheimnis?“ Ja“, sagte der Vater, „unser erstes großes gemeinsames Familiengeheimnis.“ Alle Augen waren auf ihn gerichtet. „Das Geheimnis ist: Euer Vater gründet eine eigene Firma. Ich werde mein eigener Chef.“

So, das musste für die Kleinen genügen. Die waren offensichtlich seiner Meinung, denn die Berliner interessierten sie mehr als Firmengründungen.

Yvonne winkte ihm mit den blauen Augen. Wie er sie für dieses himmelblau liebte. Seine erste Ehe war gescheitert. Zu jung, zu naiv, zu neugierig auf andere Liebschaften waren sie gewesen. Seine zweite Frau hatte noch keine gescheiterte Ehe ertragen müssen, dafür zwei Kinder. Fin den Großen und Laura die mittlere. Marie war sein Kind. Er machte da keine Unterschiede zwischen seinem und den anderen Kindern. Sein großes Herz bot genug Platz für jeden seiner kleinen Halunken, wie er sie liebevoll nannte.

Yvonne hockte wie ein Häufchen Unglück am Küchentisch.“ Was soll werden“, fragte sie ihn. „Ist das dein Ernst, mit der eigenen Firma?“ Frank wusste, es war nicht die Zeit der Naiven. Er hatte eine Frau, drei Kinder und ein großes Haus auf dem Rücken. Da mussten einige Tausender im Monat in die Familienkasse fließen. Er nahm ihre Hand: „Ich halte das in der Tat für eine echte Chance. Ich kenne als Vorarbeiter viele Kunden persönlich. Der Markt ist mir vertraut. Ich will das unbedingt machen. Ich habe schon zu lange andere reich gemach..“

Und was willst du anbieten, auch als Hausmeister arbeiten?“, fragte sie.

Frank: „Wir bieten Haus – und Wohnungsreinigung, Fenster putzen, Haushaltsauflösungen an. Nur private Kunden, die sicher bezahlen. Keine Hausmeisterdienste. Die werden zu schlecht bezahlt. Vor allem im Winter gehst du auf dem Zahnfleisch. Keine Angestellten. Nur wir beide. Jeder ein Auto und das wichtigste an Material und Geräten. Wir haben Ersparnisse. Damit kommen wir ein paar Monate über die Runden. Wir können und werden es schaffen.“

Yvonne hatte nur die Hälfte verstanden. Sie vertraute ihm. Seiner Energie, seiner Standfestigkeit seinem eisernen Willen. Frank wusste, dass solche Gespräche überall in Deutschland stattfanden. Das Land bot gute Rahmenbedingungen, um sich auf eigene Füße zu stellen. Viele versuchten es, nicht wenige scheiterten. Die es nicht versuchten hatten schon verloren.

Er nahm ein Blatt Papier und entwarf den ersten Flyer.

Remmüls Reinigungsservice.

Hausreinigung 99 EURO

Fensterputzen für ein Haus 75 EURO

Inhaber Frank Remmül, Tel 0172 - 063 99 100

Am nächsten Tag fuhr er los und warf seine Flyer in hunderte Briefkästen. Die Nacht war kurz. Am nächsten Morgen klingelte das Telefon und stand den ganzen Tag nicht still.

Jugendliebe

Dr. Kyra Sommer genoss die Abendkühle bei einem guten Glas Rotwein. Die Sonne verabschiedete sich in den Feierabend. Die Dunkelheit senkte sich behutsam über den Rostocker Boulevard. Kyra lächelte Henning zu: „Weißt du überhaupt, dass der Rostocker Boulevard geschaffen wurde, ehe die sogenannten Fußgängerzonen im Westen modern wurden? Schon seit 1961 fahren in dieser Einkaufsstraße keine Fahrzeuge mehr. Zuletzt wurde die Straßenbahn in die Lange Straße verlegt. Im übrigen gefällt mir Boulevard viel besser als Fußgängerzone. Oder?“

Ihr Versuch, Henning zum Sprechen zu bringen, war gescheitert. Er nuckelte lustlos an seinem Rose und nörgelte: „Komm, lass uns nach Hause fahren. Wenn wir gleich aufbrechen, schaffen wir es noch pünktlich zum Filmanfang. Heute bringen sie einen Krimi mit Dieter Wolf als Kommissar.“ Kyra wollte schon klein beigeben, als sie eine Frauenstimme hörte: „Hallo Kyra, bist du es etwa? Mein Gott, wie lange haben wir uns nicht gesehen.“ Kyra blickte suchend nach der lautgebenden Person, die stand aber schon vor ihrem Tisch. „Wally“, rief Kyra spontan. „Das ist mir vielleicht ein Zufall. Komm, setz dich zu uns.“ Nachdem sich ihre ehemalige Kollegin von der Rostocker Schule gesetzt hatte, stellte sie ihren Begleiter vor: „Stell dir vor, das ist Henning, meine Jugendliebe von 1967. Ich traf ihn zufällig in Berlin. Vor kurzem ist er zu mir nach Rostock gezogen. Ist das nicht irre?“

Die temperamentvolle Begrüßung der Freundinnen missfiel Henning. Er stand auf: „Da woll‘n wir mal gehen, kommst du Kyra?“ Kyra war sehr erschrocken. Sie hatte bisher über Hennings diverse Macken hinweggesehen. Zu sehr hatte sie das Wiedersehen mit ihrer Jugendliebe emotional bewegt. Wallys Verärgerung konnte sie aber nicht mehr ignorieren. Sie warf Henning einen Handkuss zu: „Fahr mal schon vor. Ich möchte zu gerne noch mit Wally klönen. Eine meiner wirklich guten Freundinnen. Ich nehme mir dann ein Taxi.“ Damit schenkte sie ihre Aufmerksamkeit wieder Wally, ohne Henning weiter zu beachten. Nachdem der eine Weile unschlüssig dagestanden hatte, trottete er schließlich davon. Die Zeit verging wie im Fluge, die beiden Freundinnen hatten nicht auf die Uhr geachtet. Es gab einfach zu viel zu erzählen. Erst als der nette Ober zum Abkassieren kam, wurde Kyra bewusst, dass die Uhr schon die mitternächtliche Stunde anzeigte.

Henning hatte nicht gewartet. Er schlief im Gästezimmer.

Die beiden Flaschen Rotwein blieben nicht ohne Folgen. Kyra wurde erst nach 10.00 Uhr wach. Henning hatte sie nicht geweckt. Obwohl er wusste, dass sie um 9.15 Uhr eine Vorlesung hatte. Obendrein war er mit ihrem Auto zur Arbeit in die Finanzverwaltung gefahren.

Kyra war eine souveräne und lebenserfahrene Frau. Sie war sich im Klaren, dass es im Inneren des Vulkans rumorte. Er stand kurz vor der Eruption. Welchen Plan hatte ihr Schicksal? Henning war der dritte Mann in ihrem Leben.