Absturz in den Himmel - Dale Black - E-Book

Absturz in den Himmel E-Book

Dale Black

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Beschreibung

Dale Black ist gerade 19 Jahre alt, als er mit zwei erfahrenen Flugkapitänen an Bord einer Frachtmaschine den Erdboden verlässt. Doch dann geht etwas schief: Beim Start kollidiert das Flugzeug mit einem Gebäude. Die beiden älteren Piloten sind auf der Stelle tot. Dale Black ringt ums Überleben. Und erlebt die Herrlichkeit des Himmels. Entgegen ärztlicher Prognosen findet er den Weg zurück ins Leben. Nach und nach erinnert er sich an seine Zeit im Himmel. Was er dort erlebte, prägte von da an seine gesamte Einstellung zum Leben, zu Gott und zu anderen Menschen.

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Über den Autor

Dale Black ist ein pensionierter Berufspilot, der seine Laufbahn vor allem der Flugsicherheit gewidmet hat. Er ist mehr als 40 Jahre lang geflogen und besitzt eine Erfahrung von mehr als 17.000 Flugstunden in verschiedensten Flugzeugtypen. Er hat außerdem buchstäblich Tausende von Missionsflügen in mehr als 50 Ländern absolviert. Er und seine Frau haben zwei erwachsene Kinder und betreiben heute eine Immobiliengesellschaft. Sie leben in Südkalifornien. Im Internet finden Sie ihn unter www.DaleBlack.org.

DALE BLACK

ABSTURZIN DEN HIMMEL

MEIN HIMMLISCHES ERLEBNISZWISCHEN LEBEN UND TOD

Deutsch von Kirsten Winkelmann

Die amerikanische Originalausgabeerschien im Verlag Bethany House Publishers, Grand Rapids, Michigan,unter dem Titel „Flight To Heaven“.© 2010 by Dale Black© der deutschen Ausgabe 2013 by Gerth Medien GmbH, Dillerberg 1, 35614 AsslarDie Bibelzitate wurden, sofern nicht anders angegeben,den folgenden Bibelübersetzungen entnommen:– Gute Nachricht Bibel, revidierte Fassung, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 2000 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart (GN)– Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart (LÜ 84)1. Auflage 2013ISBN 978-3-96122-007-6Umschlaggestaltung: Daniel EschnerUmschlagfoto: ShutterstockSatz: DTP Verlagsservice Apel, Wietze

Dieses Buch ist meiner Frau Paula gewidmet.Ich liebe und bewundere sie.Ohne ihren sanften und liebevollen Ansporngäbe es diesen Bericht über meine Reise in den Himmel nicht.In liebevollem Andenken an meinen Großvater Russell L. Price,ein Mann, der gelernt hatte,im Glauben zu leben und nicht im Schauen.

Prolog

Mein Leben veränderte sich komplett, nachdem ich mit dem Flugzeug abgestürzt war.

Ich war der einzige Überlebende.

Einige Tage verbrachte ich auf einer Intensivstation. Zuvor jedoch hatte ich eine Reise angetreten, die auf keiner Landkarte verzeichnet ist … eine Reise in den Himmel. Was ich dort erlebte, ist mit Worten eigentlich nicht zu beschreiben. Die meisten Begriffe verblassen vor dem, was unbeschreiblich ist.

Im Anschluss an den Absturz erinnerte ich mich aufgrund einer schweren Amnesie monatelang an gar nichts – weder an das Unglück selbst noch an die ersten drei Tage im Krankenhaus oder meinen Besuch im Himmel. Zumindest erinnerte sich mein Verstand nicht. Mein Herz? Nun, das ist eine andere Geschichte.

Ich war in Behandlung bei Dr. Homer Graham, besser bekannt als „Evel Knievels Chirurg“. Meine Verletzungen waren schwer, aber als ich auf der Intensivstation langsam zu mir kam, war auf einer anderen als der körperlichen Ebene alles anders geworden. Allerdings wusste ich nicht, warum. Mir kam es vor, als habe man mir neue Augen gegeben.

Das geschah vor 40 Jahren.

In diesem Buch möchte ich schildern, wie mein Leben durch einen Flugzeugabsturz auf den Kopf gestellt wurde und warum jede wichtige Entscheidung, die ich seitdem getroffen habe, von meiner Reise in den Himmel beeinflusst war. Menschen, die mich kennen, verstehen jetzt vielleicht, warum ich manchmal ein bisschen … anders wirkte und warum mein Leben oft unkonventionellen Pfaden gefolgt ist.

Ich werde versuchen zu erklären, warum ich mich regelrecht gedrängt fühle, die Liebe Gottes mit anderen zu teilen. Warum ich mich freiwillig für beinahe 1.000 Flüge in mehr als 50 Ländern gemeldet habe. Und warum ich – im Wesentlichen auf eigene Kosten – geistliche Leiter und medizinisches Personal ausgebildet habe, um notleidenden Menschen ganzheitlich zu helfen.

Seit jenem schicksalhaften Tag habe ich die Geschichte von meinem Flugzeugabsturz und den Folgen viele Male erzählt. Und doch habe ich die Öffentlichkeit nie an meiner Begegnung mit dem Himmel teilhaben lassen. Bis jetzt.

Wie konnte ich diese lebensverändernde Begebenheit für mich behalten? Dafür gibt es verschiedene Gründe.

Direkt nach dem Absturz litt ich wie gesagt an einer Amnesie. Meine Erinnerungen waren wie ein Puzzle mit nur wenigen erkennbaren Teilen. Es dauerte acht Monate, bis meine Erinnerung zurückzukehren begann, und noch länger, bis mein in Mitleidenschaft gezogener Verstand und mein verwandeltes Herz wieder zusammengefunden hatten.

Als mein Gedächtnis zurückgekehrt war, erzählte ich meinem Großvater alles, was passiert war, aber er warnte mich davor, das Erlebte an andere weiterzugeben. „Dale“, sagte er, „du kannst über deine Erfahrung sprechen, oder du kannst sie als etwas Heiliges ansehen und dein Leben durch dieses Erlebnis verändern lassen. Wenn du wirklich die andere Seite gesehen hast, dann lebe das, was auch immer du dort gesehen und begriffen zu haben glaubst. Deine Handlungen werden lauter sprechen als alle Worte.“

So gab ich mir und Gott das feierliche Versprechen, meine Erfahrung erst dann mit anderen zu teilen, wenn Gott mir ein Signal dazu geben würde.

Kurz nach dem Absturz nahm ich an einem Gottesdienst teil, in dem ein Mann behauptete, er sei gestorben, in den Himmel gekommen und danach ins Leben zurückgekehrt. Auf mich wirkte das Ganze eher eigennützig als heilig. Das Wesen des Himmels ist Gott, und doch waren die Leute mehr an der Sensation interessiert als an dem Einen, der alles geschaffen hat und um den es im Himmel geht. Das Erlebnis machte mich traurig und festigte die Entscheidung, mit niemandem über meine Reise zu sprechen.

Es war auch deshalb nicht so schwer, das Geheimnis für mich zu behalten, weil es Zeiten in meinem Leben gab, in denen ich sehr enttäuscht von mir selbst war. Wenn ich doch einen Einblick in den Himmel bekommen hatte und von dieser Erfahrung so grundlegend verändert worden war, warum schaffte ich es dann nicht, der Mann zu sein, der ich wirklich sein wollte? Warum gelang es mir nicht, das zu leben, was ich gesehen und gehört und gelernt hatte? Ich vermute, der Blick in den Himmel änderte nichts an der Tatsache, dass ich nun einmal menschlich bin. Und sehr fehlerhaft.

Warum teile ich meine Erfahrung jetzt? Mich persönlich hätte es nicht gestört, das Stillschweigen weiter aufrechtzuerhalten. Aber Gott initiierte eine Reihe von Ereignissen, die mich davon überzeugten, dass es jetzt an der Zeit war, meine Erfahrungen im Himmel weiterzugeben.

In gewisser Hinsicht dreht sich diese Geschichte um mich. Aber letzten Endes handelt sie nicht von mir, sondern von Gott. Und sie handelt von Ihnen. Von Ihnen und von Gott, die in eine Geschichte verflochten sind, die für mich immer noch atemberaubend heilig ist. Meine Hoffnung ist, dass Sie nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit einem offenen Herzen lesen werden. Wenn Sie das tun, bekommen Sie vielleicht mehr als das, womit Sie gerechnet haben.

Meine Geschichte beginnt, als ich im Rahmen eines Missionsflugs mitten in der Nacht einen Jet über den afrikanischen Staat Sambia fliege, in einer Höhe von 12.500 Metern. Also legen Sie den Gurt an, bringen Sie Ihren Sitz in eine aufrechte Position und halten Sie sich fest. Das wird ein ganz schön wilder Ritt!

Dale Black

1. Flug in den Himmel

Dienstag, 22. Mai – 1:16 Uhr – 12.500 kmIrgendwo über Sambia, Afrika

Alle Passagiere und Besatzungsmitglieder der Maschine werden in 27 Minuten tot sein, es sei denn, es geschieht etwas Einschneidendes.

Und ich werde dafür verantwortlich sein.

Mit dem bisschen Treibstoff, der sich noch in unseren Tanks befindet, habe ich keine Möglichkeiten und keine Zeit mehr. Und es gibt allerhand Dinge, die einfach keinen Sinn ergeben.

Die Hand meines Kopiloten zittert, als er das Mikrofon an sein aschfahles Gesicht zieht. „Lusaka Anflug, Lusaka Tower, Sambia Zentrum. Irgendjemand? Learjet Vier-Alpha-Echo. Mayday, Mayday, Mayday.“

Immer noch keine Antwort.

Der 38-jährige, erfahrene Kopilot Steve Holmes späht vom rechten Sitz aus durch die Windschutzscheibe des Jets und kann es nicht fassen. „Wo ist die Stadt? Was geht hier vor sich?“ Er schüttelt langsam und ungläubig den Kopf, denn auch er hat unsere Möglichkeiten abgewogen und sie schwinden schnell dahin.

Unser Luxusjet ist mit der neuesten und modernsten Bordelektronik ausgestattet, einschließlich dualer Navigationssysteme, aber beide wurden vor mehr als einer Stunde INOP („inoperative“, das heißt funktionsuntüchtig). Wir haben keine Ahnung warum. Auch antwortet niemand auf unsere Funksprüche und in meinen 16 Jahren als Berufspilot hat mich niemand auf das vorbereitet, was jetzt geschieht. Das wäre auch nicht möglich gewesen. Ich fühle, wie sich mein Brustkorb zusammenzieht, während ich hinter mich greife und die Tür des Cockpits schließe.

Wir funken auf 121,5 MHz, der Notruffrequenz, die auf allen Kontrollgeräten angezeigt wird, und versuchen es erneut.

„Mayday, Mayday, Mayday, Mayday. Learjet November-Vier-Zwei-Vier-Alpha-Echo. Kann mich irgendjemand empfangen? Over.“

Wieder nichts. Nur das Rauschen atmosphärischer Störungen.

Während ich versuche, ruhiger zu atmen und meine Gedanken zu ordnen, lehne ich mich nach vorn und sehe durch die aus mehreren Lagen Plexiglas bestehende Windschutzscheibe des Jets.

„Ich habe schon Lagerfeuer aus dieser Höhe gesehen, Steve. Ich möchte unseren Sinkflug nicht beginnen, bevor wir die Lichter der Stadt erkennen können. Irgendetwas sollte doch zu sehen sein! Such weiter.“

Mein Herz schlägt wie wild. Schuldgefühle nagen an mir. Wie konnte ich zulassen, dass es so weit kommt? Wie können so viele Dinge gleichzeitig schief gehen?

Als vorübergehend beurlaubter Pilot der Trans World Airlines (TWA) hatte ich in Südkalifornien ein Unternehmen gegründet. Ich stellte unentgeltlich Flugzeuge, Piloten und Wartungspersonal zur Verfügung, um gut ausgebildete Menschen an Orte zu bringen, wo sie Bedürftige mit Nahrung und Medizin versorgten – und sie mit Gott in Verbindung brachten.

Der Flug, auf dem wir uns gerade befinden, ist einer von Hunderten, die ich in den letzten Jahren durchgeführt habe, weil ich in einer leidenden Welt Gottes überwältigende Liebe mit anderen teilen wollte. In diesem Monat verschlug es uns nach Europa, den Mittleren Osten und Afrika.

Bis jetzt hat Gott immer für die nötigen Mittel und für Bewahrung bei der Erfüllung unserer Mission gesorgt, aber auf diesem Flug beginnt alles auseinanderzubrechen. Die Ereignisse geraten außer Kontrolle.

Steve und ich haben wie immer diesen Flug sorgfältig vorbereitet. Drei Vollzeitbeschäftigte haben drei volle Tage lang intensive Flugplanung betrieben. Wir griffen auf internationale Flugdatenquellen zurück und trafen Vorkehrungen für alle möglichen Eventualitäten. Wir waren bis aufs i-Tüpfelchen vorbereitet – dachten wir zumindest.

Die neueste Wettervorhersage versprach uneingeschränkte Sicht im Umkreis von Hunderten von Kilometern um die Hauptstadt von Sambia herum, wo wir unsere Tanks auffüllen wollten. Dieser Flug sollte reine Routine sein, auch wenn wir auf Verlangen der Flugsicherheitskontrolle im Sudan zuvor eine längere Verzögerung beim Zwischenstopp hinnehmen mussten.

Ich bete leise. Steve reißt sich frustriert sein Headset herunter und schleudert es auf das Armaturenbrett.

Während ich versuche, mich zusammenzureißen, spreche ich langsam, aber mit fester Stimme. „Steve, wir müssen jetzt funktionieren. Lass uns einfach daran glauben, dass Gott uns helfen wird, dieses Flugzeug bei unserem ersten und einzigen Versuch sicher zu landen. Bist du bei mir?“

Steve wirft mir einen ärgerlichen Blick zu. „Klar.“ Dann rammt er die dicke Checkliste in das Seitenfach des Learjets. „Checkliste für den Anflug abgeschlossen.“ Als selbsternannter Agnostiker kann Steve mit meinem Gottvertrauen nicht viel anfangen. Zumindest noch nicht.

„Ich werde auf der erstbesten Landemöglichkeit aufsetzen, die ich sehe, Steve. Wir könnten uns innerhalb dünner Wolken befinden oder über einer Schicht Hochnebel. Die Lichter der gesamten Stadt könnten aus irgendeinem Grund ausgegangen sein. Das habe ich zwar noch nie gesehen und ich muss zugeben, dass es nicht sehr logisch klingt und nicht erklärt, warum wir keine Lichter von einem Auto oder irgendetwas anderem sehen. Aber, Steve, ich werde dieses Flugzeug in wenigen Minuten landen, das versichere ich dir.“

Er nickt nur grimmig.

„Landeklappen zehn Grad“, ordne ich an. Ich höre das vertraute Geräusch der Klappenmotoren.

Beide NAV1-Nadeln bewegen sich stetig auf das Zentrum des HSI2 zu und bestätigen auf diese Weise, dass wir auf Kurs sind. Aber wohin? Lusaka, nicht wahr?

Ja, Lusaka, unser geplantes Flugziel. Es muss Lusaka sein, rede ich mir ein.

„Gleitpfad aktiv“, fahre ich fort. „Fahr das Fahrwerk aus, Landeklappen zwanzig, und gib mir die Checkliste für den Landeanflug.“

„Roger, Fahrwerk fährt aus, Landeklappen zwanzig, und die Checkliste für den Landeanflug.“

Sekunden später. „Landeklappen vierzig, bitte.“

Ich höre das Zittern in Steves Stimme. „Landeklappen vierzig ausgewählt, vierzig angezeigt, die Checkliste für den Landeanflug ist abgeschlossen.“

Der schnittige Jet ist für die Landung vorbereitet. Kein Schalter muss mehr bewegt werden, bevor wir auf dem Boden sind – wenn wir eine Landebahn finden. Mit Hilfe geringfügiger Korrekturen an den Schubhebeln und am Steuerhorn halte ich die Geschwindigkeit auf exakt 235 Stundenkilometern, während ich Steuerkurs und Flugweg anpasse, um auf Kurs und Gleitpfad zu bleiben. Ich fliege ausschließlich nach Instrumenten, während Steve in die Dunkelheit hinausstarrt, verzweifelt nach irgendeinem Anzeichen für einen Flughafen Ausschau hält und jede meiner Bewegungen überwacht.

Die Muskeln in Steves Gesicht spannen sich sichtbar an, als er spricht. „Dreihundert Meter über Minimum.“ Minimum bedeutet 60 Meter über der Landebahn und ist die geringste Höhe, die wir gefahrlos mit Hilfe der Instrumente fliegen können. Wenn wir keine Landebahn erkennen können, gibt es keine Möglichkeit, unter das Minimum zu sinken … und damit Punkt.

Mit einer federleichten Berührung der Schubhebel verringere ich ein bisschen die Geschwindigkeit und ziehe ein Grad nach rechts, um auf Kurs, in der Geschwindigkeit und im Gleitpfad zu bleiben.

Wir werden diese Landebahn finden, und das beim ersten Anflug, versichere ich mir selbst.

„Hundertfünfzig Meter über Minimum.“

„Hast du Sichtkontakt?“ Ich spüre, wie sich mein Magen verkrampft.

Steve schüttelt langsam den Kopf. „Negativ. Kein Sichtkontakt. Dreißig Meter über Minimum.“

„Sieh weiter nach draußen, Steve, aber sag mir beim Minimum Bescheid.“

Ein paar Sekunden vergehen, dann fährt Steve zusammen und ruft: „Minimum! Minimum, kein Kontakt.“

Für den Bruchteil einer Sekunde reiße ich meinen Blick von den Instrumenten des Cockpits los und sehe über die lange, schlanke Nase des Flugzeugs hinweg nach draußen. Direkt vor uns sollte die Landebahn zu sehen sein – aber nur tiefste Dunkelheit starrt zu uns zurück. Mein Herz setzt ein paar Schläge aus.

Äußerlich wirke ich ruhig und gefasst, aber das ist nur Fassade. Ich zwinge meinen Verstand, die Kontrolle zu behalten, schiebe die Gashebel nach vorn, um wieder durchzustarten und ziehe die Nase auf 15 Grad über den Horizont. Mein Magen fährt Achterbahn, denn mir ist klar, dass die beiden Triebwerke des Jets in diesem Moment unsere begrenzten Treibstoffreserven nur so wegschlucken. In dieser Höhe, bei diesem hohen Luftwiderstand, verbrennen wir den Rest Treibstoff viermal schneller als bei normaler Reisegeschwindigkeit. Der Lebenssaft unseres Flugzeuges wird rasant schnell aufgebraucht.

Während ich verzweifelt darum kämpfe, Herr meiner Gedanken zu bleiben, gehen Steve und ich die Lage nüchtern durch. Es gibt keine Wolken, keinen Nebel oder andere Sichtbehinderungen. Das Licht der Mondsichel bestätigt dies. Es spiegelt sich an den glänzenden Tragflächen unseres Jets – und erreicht uns auch noch auf einer Höhe von 60 Metern. Trotz einer Einwohnerzahl von mehr als einer Million Menschen scheint die Stadt Lusaka verschwunden zu sein. Nicht mal das Licht eines Autos oder Lasters ist zu sehen. Es gibt keine Straßenlaternen oder Feuer. Wir haben bald keinen Treibstoff mehr in unseren Tanks und wir sehen in 60 Metern Höhe keine Landebahn, keinen Flughafen, nicht die geringste Spur des Bodens.

Es ist nicht nur Angst, die mir die Luft abschnürt. Es ist vollkommene Fassungslosigkeit.

Die Funkgeräte bleiben still.

In den 16 Jahren, in denen ich Jets geflogen bin und Piloten ausgebildet habe, habe ich niemals von etwas Derartigem gehört. Sind wir vom Kurs abgekommen? Wenn ja, wie weit? Fliegen wir über Wasser? Befinden wir uns über einer unsichtbaren Schicht Nebel? Unterliegen die Höhenmesser einem groben Irrtum? Nichts macht Sinn. Mein ehemals gestärktes Hemd mit dem weißen Kragen ist jetzt feucht und verknittert und mein Herz rast.

In einer Lautstärke, die nur knapp über einem Flüstern liegt, bete ich: „Herr, was soll ich tun? Du bist der Einzige, der weiß, was hier los ist; also, Gott, was soll ich jetzt tun?“

Während ich mit nur noch einem Rest Treibstoff nutzlose Warteschleifen in 3.600 Metern Höhe irgendwo über Sambia fliege, wandern meine Gedanken zurück zu einem anderen Flug … dem lebensverändernden Flugzeugabsturz, bei dem ich nur ein Passagier war – und doch der einzige Überlebende.

Der Flug, der mich für immer veränderte.

Der Flug, der meine ganze Existenz definiert hat.

Freitag, 18. Juli 1969

Ich war 19 Jahre alt. Der Tag in meiner Heimatstadt Los Alamitos3 war um ungefähr 4:30 Uhr noch nicht angebrochen. Der Himmel war taubengrau mit nur einem leichten Federkleid tief hängender Wolken. Die Morgenzeitung war noch nicht da, aber am Vortag hatte die LA Times angekündigt: „Die Astronauten bereiten das Landungsmodul vor, während sich Apollo dem Mond nähert.“ Der Flug der Apollo 11 hatte in dieser Woche die Nachrichten beherrscht. Aller Augen und Ohren waren auf den Himmel gerichtet, verfolgten jede Bewegung des Raumschiffs und lauschten jeder seiner Übertragungen. Die Welt war fasziniert. In diesem Moment jedoch war der größte Teil meiner Welt noch in tiefem Schlaf versunken – blind für Apollo 11, die durch den Weltraum raste, und blind für meinen MGB4, der auf dem Weg zum Burbank-Flughafen durch die Straßen jagte. Der leichte dunkelgrüne Roadster war in der Lage, in kaum mehr als elf Sekunden von null auf hundert zu beschleunigen.

Was soll ich sagen? Ich war 19 und das Testosteron pulsierte durch meine Adern.

Ich spielte als Halbspieler5 für das Pasadena College und war als Pilot auf dem besten Weg dazu, bald Jets fliegen zu dürfen. Alles in allem lebte ich auf der Überholspur. Ich ging ganztags zur Schule, spielte Baseball und arbeitete im Familienunternehmen mit. Dieses stellte Rotholzspäne her und beförderte sie per LKW zu den verschiedensten Orten in Kalifornien. Das Material wurde im Garten- und Landschaftsbau verwendet, von Spielplatzanlagen bis zu Golfplätzen war alles dabei. Seit meiner Kindheit hatte ich mitgearbeitet, belud und entlud Laster und half, wo es nötig war, um mir etwas Geld zu verdienen. Oft verbrachte ich meine Abende damit, versäumte Wartungsarbeiten an den LKWs nachholen. Manchmal bediente ich eine ganze Nacht lang die Verpackungsmaschine oder die Ballenpresse, um einen Auftrag für den nächsten Tag zu erfüllen. Aber meistens fuhr ich einen Neunachser, der mit Massen von Rotholzspänen gefüllt war, die ganze Nacht durch irgendwohin. Meist kam ich dann gerade rechtzeitig zurück, um an meinen morgendlichen Unterrichtsstunden teilzunehmen. Sämtliche verbleibende Zeit und fast all mein dabei verdientes Geld investierte ich in Flugstunden beim Bracket Air Service in La Verne.

Rückblickend weiß ich nicht, wie ich das alles geschafft habe. Das „Warum“ liegt hingegen auf der Hand: Ich wollte alles mitnehmen, was das Leben zu bieten hatte. Das bedeutete viele Stunden im Klassenraum, auf dem Spielfeld und in der Luft – sehr gut! Und das alles kostete Geld. Ich war kein verwöhntes Kind. Ich bekam keine finanzielle Unterstützung für meine außerschulischen Aktivitäten. Das Fliegen war teuer. Autos waren teuer. Obwohl meine Eltern mir all das also nicht bezahlten, gaben sie mir die Möglichkeit, so viele Stunden im Familienunternehmen zu arbeiten, wie ich wollte, um mir meine kostspieligen Hobbys leisten zu können.

Eines dieser Hobbys war das in Großbritannien hergestellte Cabrio, das ich jetzt in den Sonnenaufgang eines herrlichen südkalifornischen Morgens steuerte. Der Wind hatte zwei Tage lang aus Santa Ana geweht und den Dunst vertrieben, der aus dem San Fernando Valley stammte. Die einzige Farbe am Himmel war eine Spur von Orange. Das einzige Geräusch waren die Umdrehungen meines Vierzylindermotors, die mich beschworen, endlich hochzuschalten.

Habe ich erwähnt, dass ich 19 Jahre alt war?

Und habe ich auch erwähnt, dass ich einen Monat zuvor vom College geflogen war? Es war keine Verwarnung. Es war ein endgültiger Rausschmiss. Aber das war mir egal. Mit der Hand am Schaltknüppel und der Pilotenlizenz in der Tasche lebte ich meinen Traum, war ich der Star meines eigenen Films.

Mein Leben war ein Abenteuerstreifen, der nur darauf wartete, dass der Vorspann endete, damit die Geschichte beginnen und das Adrenalin fließen konnte. Ich war so nah dran. Für mich bestand der Vorspann aus den Kursen am College und den Stunden in der Luft.

Ich touchierte einen Bordstein und hörte, wie die Reifen quietschten.

Auch als ich einen Hauch Vietnam im Nacken spürte, dachte ich nicht im Traum daran, dass ich die Zurückstellung als Student verlieren könnte. Schließlich war ich 19 und unbesiegbar. Es gab andere Colleges. Und ich war sicher, dass ich an einem von ihnen ein Baseball- oder zumindest Footballstipendium bekommen würde. Vom Fliegen einmal abgesehen fühlte ich mich vor allem bei einem harten Angriffsspiel so richtig lebendig.

Aber nichts davon spielte eine Rolle. Nicht jetzt.

Alles, worauf es im Augenblick ankam, war meine Verabredung mit einer schlanken zweimotorigen Piper Navajo. Bald würde ich mich in der Luft befinden und über dem Verkehrschaos von L.A. schweben. Alle meine Sorgen würden hinter mir liegen, eingeschlossen das College sowie die undankbare, niemals endende Fahrerei mit den LKWs.

Am Flughafen angekommen schaltete ich runter. Ich war bemüht, niemanden zu verärgern und gebührenden Respekt zu zeigen. Denn das hier war heiliger Boden für mich. Hier, auf dem Rollfeld, tummelten sich meine Träume und warteten nur darauf, dass ich ins Cockpit stieg und den Gurt anlegte.

Seit ich 14 Jahre alt gewesen war, wollte ich Pilot in der kommerziellen Luftfahrt werden – reisen, die Welt sehen, die Uniform tragen, das Abenteuer leben.

Ich wollte alles. Und ich wollte es unbedingt.

Um dorthin zu kommen, benötigte ich einen Mentor, und ich wollte ihn an jenem Morgen treffen. Sein Name war Chuck Burns, ein 27 Jahre alter Pilot. Er hatte die Lizenz, die Uniform, die Fähigkeiten, alles. Und er war bereit, mich unter seine Fittiche zu nehmen. Ich ließ mich gewöhnlich drei- oder viermal die Woche blicken, um ihn zu begleiten. Dann flogen wir durch den Staat, um Bankschecks auszuliefern. Ich bekam zwar kein Geld dafür, konnte aber allerhand Flugzeit ansammeln. Für einen jungen Piloten wie mich war das Entlohnung genug. Darüber hinaus bot sich mir die Möglichkeit, eine qualitativ hochwertige Maschine zu fliegen und von einem fähigen Ausbilder zu lernen.

Ich besitze immer noch das Logbuch dieser frühen Flüge. Mein erster Flug mit Chuck fand am 29. Mai 1969 statt, in einer Piper Aztec. Wir waren in der Zeit seither gute Freunde geworden. Mehr als Freunde. Er war wie ein älterer Bruder für mich geworden.

Ich kam als Erster auf dem Rollfeld an, wo die rot-weiße Piper Navajo abgestellt war. Die Navajos waren zweimotorige Flugzeuge, die Piper Aircraft Mitte der 1960-er Jahre für kleinere Frachten und den kommerziellen Markt entwickelt hatte. Die Turbo Navajo konnte bis zu sieben Passagiere plus Besatzung befördern und kam mit kraftvollen Lycoming-Motoren daher, von denen jeder 310 PS vorzuweisen hatte. Die Hartzell-Propeller waren verstellbar (Segelstellung). Leer wog das Flugzeug ein bisschen weniger als 2.000 Kilo, das maximale Fluggewicht lag bei ungefähr 3.000 Kilo. Die maximale Geschwindigkeit betrug 420 km/h, die Reisegeschwindigkeit 380 km/h.

Chuck und ich hatten die Navajo erst am Vorabend „ausgeführt“. Wir hatten beide ein Date und beeindruckten die Mädchen mit einem Flug über die Lichter der Stadt, die wie funkelnde Juwelen auf einem Hintergrund aus schwarzem Samt aussahen. Es war ein wunderschöner Abend – kein Wind, keine Wolken und nur ein kleiner Dunstschleier. Chuck übernahm Start und Landung und ließ mich den Rest fliegen. Damals gab es nur begrenzte Luftverkehrskontrollen. Der Luftraum oberhalb von 1.000 Metern war mehr oder weniger frei und lud zur Erkundung ein. Und genau das taten wir: Hollywood. Santa Monica. Arcadia. Pasadena. Wir kamen ziemlich spät nach Hause. Umso kürzer war für uns beide die Nacht gewesen.

Das Flugzeug war mühelos geflogen und hatte weder Ärger noch Sorgen gemacht. Obwohl unser abendlicher Flug erst acht Stunden her war, konnte ich es nicht erwarten, wieder in die Luft zu kommen.

Es war aufregend, mit einer solchen Maschine allein zu sein. Von der Funktion her war sie ein robuster Ackergaul, doch besaß sie die Form eines schlanken Rennpferdes. Sie war genauso schön wie kraftvoll. Ich überprüfte den Zustand des Flugzeuges, untersuchte alles von den Reifen bis hin zur Windschutzscheibe. Ich fühlte mich wie ein Jockey, der das Pferd, mit dem er gleich ins Rennen gehen will, seine Beine, den Sattel, das Zaumzeug sorgfältig überprüft.

Alles geprüft. Jetzt erst kletterte ich ins Cockpit. Dort saß ich einen Moment und nahm alles in mich auf. Die Skalen, die Schalter. Den Geruch von Leder und Metall. Das Gefühl meiner Hände, die nach den Kontrollschaltern griffen. Das Gefühl meiner Träume, die bereit waren loszufliegen.

Ich führte ein paar Checks durch, dann startete ich die Motoren. Sie erwachten stotternd zum Leben, verfielen aber schon bald in ein gleichmäßiges Schnurren. Die Propeller begannen lautstark zu rotieren, dann verschwamm auch dieses Geräusch.

Das Gefühl von so viel Kraft in den eigenen Händen war erregend. Ich schaltete die Maschinen aus und all diese Kraft erlosch mit einem einzigen Handgriff. Meinem Handgriff.

Es war mehr als erregend; es war berauschend.

Ich kletterte aus dem Flugzeug und wartete in der Nähe des Hecks auf Chuck. Dabei schaute ich hinüber zu den gigantischen Jets, die an den jeweiligen Flugsteigen aufgereiht waren, weiter zu anderen, die über die Startbahn rollten und darauf warteten, dass sie an die Reihe kamen. Als sie von ihren starken Motoren donnernd in die Luft katapultiert wurden, geriet mein Blut in Wallung.

Obwohl ich in den 1960-er Jahren aufgewachsen war, war ich kein Kind meiner Zeit gewesen. Die ganze Hippie- und Drogenkultur ging an mir vorbei, ohne dass ich ihr auch nur einen zweiten Blick zugeworfen hätte. Allerdings mochte ich einen großen Teil der Musik. Viele der Texte erzählten von Drogenkonsum. „Eight Miles High“ von den Byrds zum Beispiel: „Acht Meilen hoch, und wenn sie landen …“ – mir gefiel daran mehr das Bild des Fliegens als alle anderen Implikationen.

Diese Jets konnten buchstäbliche acht Meilen hoch fliegen. Auch ich war schon in beträchtlicher Höhe geflogen, und das in kleineren Flugzeugen. Ich war sicher, dass keine Droge auch nur annähernd das Gefühl vermitteln konnte, das mit einem Flug in solcher Höhe vergleichbar war, vor allem nicht mit einem Flug in einem derart kraftvollen Flugzeug, das einem selbst die Illusion unendlicher Stärke gab.

Man kann sich nicht vorstellen, was für ein Gefühl es ist, in einem dieser Dinger zu starten, eines zu fliegen, eins zu landen – der Landeanflug … die Streifen auf der Landebahn, die dir in rasender Geschwindigkeit entgegenkommen … das Quietschen von Gummi, wenn man aufsetzt, das Röhren der Maschinen, das dich einholt.

Was für ein Rausch!

Meine Eltern teilten meine Begeisterung für das Fliegen nicht. Sie unterschieden sich nicht von anderen Eltern, die ihre Kinder in den 1960-ern großzogen. Es gab schon am Boden ausreichend Dinge, über die man sich Sorgen machen konnte – Drogen, freie Liebe, die „Britische Invasion“6 und die Musik, die sie mitbrachte, Vietnam … Welche Eltern würden diese Liste auch noch freiwillig erweitern, indem sie ihr Kind in eine längliche Metallbox steckten und zuließen, dass es damit in einer Höhe von 1.200 Metern herumtollte?

Abgesehen davon hatten sie noch immer die Hoffnung, dass ich im Familienunternehmen bleiben würde. Mein Großvater, der es gegründet hatte, war noch aktiv. Mein Vater, der sein eigenes Geschäft innerhalb dieses Unternehmens eröffnet hatte, war dort. Meine beiden Onkel. Mutter. Großmutter. Meine Brüder und verschiedene Cousins. Es wurde irgendwie erwartet, dass ich ihrem Beispiel folgen würde.

Ich denke, sie waren der Meinung, dass ich mir das mit dem Fliegen schon irgendwann aus dem Kopf schlagen würde. Sie hofften, ich würde auf die Erde zurückkehren, meine Füße wieder auf den Boden stellen und mein Namensschild auf einem Schreibtisch im Büro der Firma platzieren. Aber sie sahen, wie leidenschaftlich gern ich flog und zeigten Nachsicht.

Ein weiterer Jet startete. Das Geräusch der anschwellenden Motoren schlug eine Saite in mir an, die ich nicht erklären kann. Es war, als würde ich unglaublich ansprechende Musik hören, als würde alles in mir darauf reagieren und in einem einzigen aufsteigenden Crescendo zu meiner Seele sagen: „Dafür wurdest du gemacht!“

Meine Tagträume wurden unterbrochen, als sich mir ein sympathischer Mann in den Dreißigern näherte. Er streckte mir die Hand entgegen. „Ich bin Gene Bain. Ich fliege heute mit dir.“ Sein Händedruck war fest und selbstsicher.

Gene war Polizist in Fresno und ein Freund des Chefpiloten der Firma. Er hatte eine Berufspilotenlizenz und war die Strecke gelegentlich schon selbst geflogen. Außerdem hatte er einen guten Ruf, was sehr wichtig war. Schließlich legte ich mein Leben in seine Hände.

„Hast du schon die Vor-Abflug-Kontrolle und den Motorprüflauf durchgeführt?“

„Nun, nicht wirklich“, sagte ich.

In Wirklichkeit hatte ich das sehr wohl getan und alles war in Ordnung, aber ich fühlte mich zu unerfahren, um so viel Verantwortung zu übernehmen.

„Ich hab die Motoren warmlaufen lassen“, bekannte ich, „und die Vor-Abflug-Kontrolle im Außenbereich vorgenommen, aber du solltest das Ganze lieber selbst noch einmal prüfen.“ Dann sind wir heute ja doppelt sicher, dachte ich.

Wenige Minuten später gesellte sich Chuck zu uns und wir drei gingen federnden Schrittes auf das Flugzeug zu, das uns in Richtung Norden nach Santa Maria, Coalinga, Fresno, Visalia, Bakersfield und einigen anderen Zwischenstopps in Kalifornien bringen sollte.

Wir kletterten an Bord und machten es uns auf unseren Sitzen bequem. Gene nahm den Platz des Piloten ein. Ich ließ mich neben ihm nieder, auf dem Platz des Kopiloten. Und Chuck, der Erfahrenste von uns, saß hinter uns auf einem Klappsitz, sodass er jede unserer Bewegungen beobachten konnte.

Das Wetter war ruhig, der Himmel klar. Ich war total entspannt, als Gene die Motoren startete. Die Propeller liefen an, und dasselbe tat mein Herz. Es beschleunigte in gespannter Erwartung des Fluges.

Als Gene jedoch das Flugzeug zur Startbahn rollen ließ, wurde meine Vorfreude gestört. Er wirkte irgendwie ziemlich aufgebracht und drückte aggressiv an den Flugkontrollschaltern herum. Ich fragte mich, was sein Problem war.

Chuck stellte sich offenbar dieselbe Frage, sagte aber nichts. Er tippte mir nur auf die Schulter und bedeutete mir, die Plätze mit ihm zu tauschen.

Als Chuck seinen Gurt anlegte, näherten wir uns gerade der Startbahn 15. Wir würden einen sogenannten „Abflug vom mittleren Teil der Startbahn“ machen, unsere normale Vorgehensweise. Das bedeutete eigentlich nur, dass wir nicht bis zum weit entfernten Ende der Startbahn rollen mussten. Stattdessen würden wir unseren Terminal-Parkplatz verlassen und von dem Punkt aus starten, wo sich unser Weg mit der Startbahn kreuzte, und nicht die ganze 400 Meter lange Startbahn nutzen, die sich hinter uns befand. Auf diese Weise konnten wir ein bisschen Zeit und Treibstoff sparen.

Wir hielten inne, um die Motoren hochlaufen zu lassen und die Vor-Abflug-Checkliste durchzugehen. Gene betätigte die Schalter, überprüfte die Anzeigen. Ich sah ihm dabei zu, wie er die Schritte durchführte, die ich mittlerweile im Schlaf beherrschte.

Alle Primär- und Sekundärsysteme überprüft.

Chuck sah genau zu, er beobachtete alles. Wenn er beunruhigt war, zeigte er es nicht.

Schließlich waren wir bereit zum Abflug. Gene drosselte die Motoren und steuerte das Flugzeug auf die Startbahn im Südosten zu.

Durch das Fenster erhaschte ich einen Blick auf eine Boeing 727, die in einer Entfernung von vielleicht 100 Metern über die Startbahn rollte. Verstehen Sie mich nicht falsch, die Navajo war ein tolles Flugzeug. Aber die 727 stellte sie in den Schatten. Eines Tages werde ich eine davon fliegen, dachte ich, und es war mehr ein Gelübde als ein Gedanke.

Vom Kontrollturm knisterte eine Botschaft zu uns herüber.

„Navajo Fünf-Null-Yankee, hier ist der Burbank Tower. Sie haben Starterlaubnis, Startbahn Eins-Fünf. Nach dem Start drehen Sie nach rechts, Richtung zwei-vier-null, steigen Sie und halten Sie dreitausend. Die Abflugkontrolle wird bei eins-zwei-vier-punkt-sechs-fünf sein.“

Chuck sprach ins Mikrofon. „Roger. Navajo Fünf-Null-Yankee frei zum Start. Startbahn eins-fünf, Richtung rechts zwei-vier-null, steigen und halten dreitausend und zwanzig-vier-sechzig-fünf.“

Alle Systeme waren startbereit. Gene schob auf maximale Startleistung und das Flugzeug beschleunigte die Startbahn entlang. Dabei hüpfte es ein wenig auf und ab. Aber das passierte immer.

Was normalerweise nicht passierte, war, dass wir uns plötzlich bei ungewöhnlich geringer Geschwindigkeit bereits in der Luft befanden. Zig Fragen rasten durch meinen Kopf und lenkten meinen Blick auf die Skalen. Warum waren wir so früh in der Luft? Aus welchem Grund sollte Gene bei weniger als normaler Fluggeschwindigkeit abheben, obwohl das Flugzeug doch mit Treibstoff und Frachtgut voll beladen war?

Ich sagte nichts. Schließlich hatte man mir gesagt, dass Gene ein guter Pilot sei. Außerdem war er doppelt so alt wie ich.

Die Motoren ächzten unter dem Gewicht der Maschine und dem fehlenden Auftrieb. Sie schienen nicht mehr im Gleichklang zu arbeiten. Überhaupt nicht. Anstelle der gewohnten Harmonie zwischen den beiden Motoren gaben ihre Drehzahlen ein dissonantes Heulen von sich.

Irgendetwas war absolut nicht in Ordnung. Ich wusste es. Chuck wusste es. Gene wusste es.

Chuck bellte die Worte, die meine schlimmsten Befürchtungen bestätigten: „Lass uns auf dem lichten Gelände da drüben notlanden.“ Er zeigte auf einen Friedhof in einigen hundert Metern Entfernung.

Ich hielt den Atem an, als der Anblick von einer dichten Wand aus Kiefern die vordere Windschutzscheibe ausfüllte. Wir steigen nicht, sagte ich zu mir selbst. Wir werden über diese Bäume nicht hinwegkommen.

Jeder Muskel in meinem Körper erstarrte.

Mein Gott, wir stürzen ab!

Chuck stürzte sich auf den Schalthebel.

Ich wappnete mich für den Aufprall.

Ich war 19.

1 NAV ist die Navigationsanzeige zur lateralen Positionsbestimmung

2 HSI (horizon situation indicator) ist die Navigationsanzeige zur horizontalen Positionsbestimmung

3 Südlich von Los Angeles, westlich von Anaheim

4 Sportwagen, der 1962 von der British Motor Corporation (BMC) herausgebracht wurde.

5 Der sog. „Halbspieler“ wird beim Baseball zwischen zweiter und dritter Base eingesetzt.

66 Als „British Invasion“ wird in der Popmusik der schlagartige Erfolg britischer Beatgruppen Mitte der 1960-er in den USA bezeichnet.

2. Abgestürzt

Wegen dieses Absturzes würde ein Teil von mir für immer 19 sein. Und kein Teil von mir würde jemals wieder derselbe sein.

Das Letzte, woran ich mich erinnerte, war der Anblick von Chucks Händen an den Schalthebeln, die er brutal ganz nach links und wieder zurück riss.