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Dieser Band enthält folgende Western: (699) Wölfe in der Stadt (W.W.Shols) Kentucky-Melodie (Larry Lash) Zum Sterben nach Sonora (Alfred Bekker) Der Kopfgeldjäger - Zwischen den Fronten (Pete Hackett) Im Tal des toten Bären (Glenn Stirling) Der alte Cowboy (Larry Lash) Wo das Nordlicht leuchtet (Larry Lash) Dunkle Pfade und rauchende Colts (Larry Lash) Überlistet von seinen Feinden und von ihnen zu Boden geschlagen, war er ihnen nur um Haaresbreite entkommen. Amb Robinson schleppte sich durch die Gasse. Er sah das Abzeichen des Gesetzes im Dreck liegen und bückte sich, um es aufzuheben, denn tief war in ihm die Achtung vor dem Gesetz verankert. Als er nach dem Abzeichen tastete, da nagelte ein Stiefel seine ausgestreckte Hand am Boden fest, und gleichzeitig presste sich die Mündung eines Revolvers gegen seinen Nacken. Sein Todfeind hatte ihn gestellt! Das war die Minute der tiefsten Erniedrigung für den jungen Mann, der fremd in diesem Land war. Doch gerade er sollte es sein, der, diesen Stern des Gesetzes auf der Brust, den Banditen die „Kentucky-Melodie“ spielen würde!
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Seitenzahl: 1169
Veröffentlichungsjahr: 2021
Acht spannende Western im August 2021: Western Sammelband
Copyright
Wölfe in der Stadt
Kentucky-Melodie
Zum Sterben nach Sonora
Der Kopfgeldjäger - Zwischen den Fronten
Im Tal des roten Bären
Der alte Cowboy
Wo das Nordlicht leuchtet
Dunkle Pfade und rauchende Colts
Dieser Band enthält folgende Western:
Wölfe in der Stadt (W.W.Shols)
Kentucky-Melodie (Larry Lash)
Zum Sterben nach Sonora (Alfred Bekker)
Der Kopfgeldjäger - Zwischen den Fronten (Pete Hackett)
Im Tal des toten Bären (Glenn Stirling)
Der alte Cowboy (Larry Lash)
Wo das Nordlicht leuchtet (Larry Lash)
Dunkle Pfade und rauchende Colts (Larry Lash)
Überlistet von seinen Feinden und von ihnen zu Boden geschlagen, war er ihnen nur um Haaresbreite entkommen. Amb Robinson schleppte sich durch die Gasse. Er sah das Abzeichen des Gesetzes im Dreck liegen und bückte sich, um es aufzuheben, denn tief war in ihm die Achtung vor dem Gesetz verankert. Als er nach dem Abzeichen tastete, da nagelte ein Stiefel seine ausgestreckte Hand am Boden fest, und gleichzeitig presste sich die Mündung eines Revolvers gegen seinen Nacken. Sein Todfeind hatte ihn gestellt! Das war die Minute der tiefsten Erniedrigung für den jungen Mann, der fremd in diesem Land war. Doch gerade er sollte es sein, der, diesen Stern des Gesetzes auf der Brust, den Banditen die „Kentucky-Melodie“ spielen würde!
Ein CassiopeiaPress Buch: ALFREDBOOKS, CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
Der Umfang dieses Buchs entspricht 150 Taschenbuchseiten.
Er war jahrelang nichts weiter als ein Tramp gewesen, dieser gutaussehende und sympathische Tom Delaware. Er lebte sein Leben und störte sich an niemand. Das wurde anders, als er eines Tages über die Main Street von Silver Rock ritt und mitansehen musste, wie drei Galgenvögel einen alten, weiß-bärtigen Mann brutal zusammenschlugen. Tom zögerte nicht eine Sekunde, dieses Trauerspiel zu beenden. Er kam mit seinen starken Fäusten dem Alten zu Hilfe und haute ihn heraus. Damit handelte sich Tom zwei Dinge gleichzeitig ein: Die Feindschaft Shane Warners, in dessen Auftrag die drei Halunken den Blacksmith Ben Forton fertigmachen sollten, aber auch die Freundschaft dieses kernigen Schmieds. Die Bürger wollten, dass Forton Mayor werden sollte. Der verschlagene und größenwahnsinnige Warner erstrebte dieses Amt für sich. In dem Texaner Tom Delaware erwuchs ihm jedoch ein starker, unverhoffter Gegner. Das konnte einfach kein gutes Ende nehmen …
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker
© by Author
© Cover: Tony Masero, 2019
© dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
Tom Delaware sah die Stadt unter sich liegen. Sie sah aus wie die meisten Städte von Arizona bis Texas.
Über Silver Rock spannte sich ein blass-blauer Himmel, und fern am westlichen Horizont zeigten sich rosafarbene Wolken.
Tom Delaware hatte es nicht eilig. Er hielt sein Pferd an und zog noch einmal die würzige Gebirgsluft in seine Lungen.
Dort unten würde er zunächst einen Whisky trinken, und dann ein riesiges Steak verdrücken, nahm er sich vor. Sein erstes Steak seit Tagen.
Irgendein Saloon würde hoffentlich geöffnet sein, trotz der Mittagsstunde. Tom konnte sich genau vorstellen, wie es unten in Silver Rock aussah. Nur ein paar Katzen und Hunde würden herumstreunen. Die Männer und Frauen scheuten die Hitze des Mittags und hatten sich vermutlich in ihre Häuser verkrochen.
Selbst der Barkeeper würde verschlafen über seinen Tresen äugen und verärgert sein über den Gast.
Ja, Tom Delaware wusste genau, was ihn dort unten erwartete. Aber er hatte keine Lust, bis abends mit dem Steak und dem Whisky zu warten.
„Lauf, Brownie!“
Das müde, staubbedeckte Pferd ging träge an. Schleppend bewegten sich die Beine des Tieres durch das trockene Buffalo-Gras, und jeder Schritt wirbelte den Staub auf.
Wie sein Pferd, so sah auch der Reiter aus. Total verstaubt. Sein breitrandiger Stetson, der einst weiß gewesen sein musste, war dunkelgrau geworden. In der Krone des Hutes befanden sich zwei kleine Löcher, die darauf hinwiesen, dass irgend jemand ihn als Zielscheibe benutzt haben musste.
Das einst leuchtend grün-karierte Hemd mit der schwarzen Kordel war ausgeblichen und grau geworden. Nicht anders sahen die Leggins aus und die kurzen Mexicanstiefel. Ihnen fehlte der Glanz früherer Tage.
Tom Delaware hielt es nirgendwo lange aus. Er war so etwas wie ein Herumtreiber geworden, ein Tramp. Die Unruhe trieb ihn von Ort zu Ort, und sein jahrelanger Ritt hatte ihn schließlich bis nach Arizona hineingebracht.
Tom wusste selbst nicht, was ihn trieb. Sein Vater war früher ein guter Sheriff in Texas gewesen, bis er den Alkohol kennenlernte. Seine Mutter war aus Gram früh verstorben. Und als man seinen Vater an die alte Eiche am Eingang von Lamesa hängte, weil er mit anderen Outlaws zusammen das Vieh der Umgebung geraubt hatte, da hatte es Tom nicht mehr ausgehalten in der Heimat. Er war ein Tramp geworden, von der Unruhe getrieben und von der Angst, eines Tages selbst an irgendeiner Eiche zu hängen.
Dieses Bild würde er nie vergessen. Er selbst hatte sich an der Posse beteiligt, die schließlich die Outlaws einfing, und einer dieser Viehräuber war sein völlig heruntergekommener Vater gewesen.
Tom sah ihn manchmal noch vor sich, wenn das Bild der Vergangenheit vor ihm auftauchte.
Klein und kümmerlich hatte Dad auf dem Pferd gesessen, die Hände über dem Sattelknopf gebunden. Ein wilder, grauer Bart hatte ihn fast unkenntlich gemacht. Und die Augen waren nicht mehr die hellen Adleraugen von Sheriff Delaware gewesen.
Tom wusste noch genau, wie es ihm damals die Kehle zuschnürte, wie er zu schlucken versucht und geglaubt hatte, keine Luft mehr zu bekommen.
„Dad!“, hatte er ausgerufen, als man dem die Schlinge um den Hals legte.
Da war der Blick des alten Outlaw für einen Moment klar geworden. „Reite, Tom Delaware, und vergiss, dass du einen Vater hattest!“
Tom hatte alles versucht, Dad zu vergessen. Sie hatten sich nie nahe gestanden. Damals, als Dad noch Sheriff war, konnte Tom kaum reiten. Er erinnerte sich, dass ihn die anderen Boys in der Schule immer als ihren Anführer wählten, weil sein Vater der Sheriff von Lamesa gewesen war. Dann hatte Dad zu trinken begonnen, und plötzlich war der große Held von Lamesa ein Ausgestoßener.
Mit der Mutter war Tom aus der Stadt gezogen. Ein kleiner Rancher hatte ihnen Unterkunft auf seinem Anwesen geboten. Von Dad hatte man monatelang nichts gehört, bis er eines Tages auftauchte und Geld forderte, um sich Whisky kaufen zu können. Aus Gram war Ma eines Tages gestorben, ehe Tom darüber hinweggekommen war.
Aber auf der kleinen Ranch hatte er das Arbeiten gelernt – bis sein Vater an der Eiche aufgehängt wurde.
Wie lange war das nun her?, fragte sich der Cowboy Tom Delaware. Vier Jahre? Oder sogar fünf?
„Lauf, Brownie!“
Der Braune war stehen geblieben.
Sie hatten die Hügelkette verlassen und befanden sich am Ortseingang von Silver Rock.
Tom Delaware hob den Blick und sah die Main Street der kleinen Stadt hinunter.
Zuerst konnte er gar nicht begreifen, was sich seinen Augen bot.
Tom zog sich den Stetson tiefer in die Stirn, um seine Augen gegen die grellen Sonnenstrahlen zu schützen.
Silver Rock hielt nicht wie andere Städte in Arizona um diese Zeit ihren Mittagsschlaf.
In Silver Rock war der Teufel los.
Zwei grimmige, verwegen aussehende Kerle hielten einen alten Mann mit weißem Bart fest. Einer von ihnen schlug ihm ein paarmal die geballte Faust auf die Nase, aus der bereits das Blut zu laufen begann.
Aber kein Laut kam über die Lippen des alten, knorrigen Mannes, der sich immer wieder zu befreien versuchte und einem der Rowdys heftig gegen das Schienbein trat, dass er brüllend zu fluchen begann.
„Dir werde ich’s zeigen, Ben Forton, du räudiger Schakal!“
Der Kerl riss seinen Colt aus dem Holster und schlug auf den weiß-bärtigen Mann ein.
Ben Forton sackte zusammen und wurde schlaff in den Armen der beiden Schläger.
Die Kerle lachten und sahen sich triumphierend um.
Die Einwohner von Silver Rock standen auf den Gehsteigen und sahen der Schlägerei schweigend zu. Niemand wagte sich näher heran, um dem alten Mann zu helfen. Auf den Gesichtern konnte man Ablehnung lesen – und Angst.
Der Rowdy rammte seinen Colt in das Holster und stieß mit dem Fuß gegen den Leib des zusammengesunkenen Mannes, dann stiefelte er auf den Saloon zu.
Vor den Schwingtüren drehte er sich noch einmal um und grinste zynisch.
„Damit ihr es alle wisst: Silver Rock kann sich nach einem neuen Blacksmith umsehen. Die Schmiede ist vorläufig geschlossen.“
Für einen Augenblick blieb der Blick des Schlägers auf dem Reiter haften, der sich langsam von Westen her näherte.
Aber der Braune und der Reiter sahen so heruntergekommen aus, dass es der Schläger für unwichtig hielt, sich länger mit dem Fremden zu befassen.
Tom Delaware zügelte sein müdes Pferd vor dem Mietstall. Aber er stieg nicht aus dem Sattel. Er überlegte sich noch, ob es nicht besser wäre, einfach weiterzureiten.
Silver Rock, das fühlte er instinktiv, war ein unruhiges Nest. Und Tom Delaware wollte in Ruhe gelassen werden, so wie er andere Leute auch in Ruhe ließ. Er wollte jedem Ärger nach Möglichkeit aus dem Weg gehen.
Er sah zu, wie der Schläger die Schwingtüren aufstieß und den Saloon betreten wollte. Er kam jedoch nicht weiter.
Der alte Mann im Staub der Straße richtete sich knurrend auf. Jetzt erkannte Tom Delaware, dass der mächtige Fäuste hatte, und dass er jünger sein musste, als er zuerst geglaubt hatte.
Der wilde Bart und das hellgraue Haar waren arg zerzaust, und seine mit schwarzen Brandstellen bedeckte Lederschürze war ihm halb vom Körper gerissen worden.
Kein Zweifel, das war der Schmied von Silver Rock.
Ben Forton musste den Schlag auf den Hinterkopf schnell verdaut haben. Als er sich aufrichtete, taumelte er nicht mal.
Das vorher eingetretene Gemurmel der Zuschauer, die sich ängstlich an die Häuserwände drückten, verstummte wieder.
„Shatter!“, knurrte Ben Forton grollend.
Der Schläger, der gerade den Saloon betreten wollte, drehte sich ganz langsam um.
Für einen Augenblick fiel ein Sonnenstrahl in sein Gesicht, und Tom erkannte darin die zynische Grimasse und das hasserfüllte Grinsen eines Berufskillers.
Mit einem Blick bemerkte Tom, dass der Blacksmith nicht mal einen Waffengurt umgeschnallt hatte.
Shatter zog seinen Colt aus dem Holster.
„Hast du immer noch nicht genug, Forton? Du kannst mehr haben, wenn du willst. Und da der Undertaker arbeitslos wird, schicke ich dich noch mal in den Dreck – aber für immer. Begriffen?“
Tom legte die Hände auf den Sattelknopf, beugte sich nach vorn und schüttelte unwillig den Kopf.
Auch der andere Kerl näherte sich dem Schmied wieder lauernd wie ein Puma. Es war klar, dass sie Forton erneut von zwei Seiten bearbeiten wollten.
Weit spreizte Ben Forton die Beine und ruderte mit den mächtigen Armen durch die Luft. Er wollte sich Bewegung verschaffen und die Blutzirkulation wieder in Gang setzen.
Sein Auge war klar wie das eines Raubtieres. Er passte genau den Zeitpunkt ab, wo ihn der zweite Schläger anspringen wollte.
Mit seiner gewaltigen Faust schlug Ben Forton zu. Der Mann wurde schwer am Kinn getroffen und segelte vier Yards durch die Luft. Als er zu Boden fiel, wirbelte eine Staubwolke auf, und erst als sie sich wieder senkte, sah man, dass der Mann besinnungslos am Boden lag.
Auf dem Gesicht Shatters malte sich das Erstaunen ab. Ungläubig starrte er Forton an und dann seinen Komplicen, der sich immer noch nicht rührte.
„Die harte Tour war anscheinend immer noch nicht hart genug“, knurrte er giftig, holte aus und wollte Forton den Kolben seiner Waffe ins Gesicht schlagen.
Geschickt wich der Schmied aus, aber zu spät bemerkte er, dass sich ein dritter Schläger hinzugesellt hatte. Auch Tom Delaware sah den Mann erst jetzt. Er war klein und drahtig und erinnerte ihn an einen Fuchs.
Dieser Mann ließ einfach sein Bein stehen, über das Ben Forton stolperte und sein Gleichgewicht verlor.
Wieder fiel er in den Staub der Straße. Und diesmal warfen sich Shatter und der Kleine, Drahtige über ihn und schlugen auf ihn ein.
Die Schläge klatschten bis in den letzten Winkel von Silver Rock. Aber es gab niemanden, der dem alten Forton zur Hilfe geeilt wäre.
Tom Delaware drängte sein Pferd näher an die Rails.
„He!“, rief er einem älteren Mann zu, der sich nervös mit der Zunge über die Lippen fuhr und mit den Händen die Kordel an seinem ausgeblichenen Hemd zerpflückte. „Was ist dies für eine Stadt, wo man nicht mal in der Mittagszeit Ruhe findet?“
Der Mann starrte Tom misstrauisch an, wandte sich ab und drängte sich durch die Umstehenden davon.
Kopfschüttelnd glitt Tom Delaware aus dem Sattel. Er sah kurz die Gehsteige entlang, wo sich die Männer ängstlich an die Häuserwände drückten, ohne einen Finger zu rühren.
Er hatte nie Streit gesucht, aber er konnte einfach nicht mitansehen, wie drei brutale Kerle einen Mann zusammenschlugen, der nicht mal eine Waffe trug.
Tom war hergekommen, um in aller Ruhe und in Frieden einen Whisky durch seine raue Kehle rinnen zu lassen und ein halbtellergroßes Steak zwischen die Zähne zu schieben und seinen knurrenden Magen zu beruhigen.
Tom sah das Schild über der Schwingtür. Die Farbe blätterte bereits ab, aber noch deutlich stand darauf zu lesen, dass sich dort der „Golden Nugget“ befand, und dass es darin Drinks und Steaks gab.
Um hineinzukommen, musste Tom nur an dem wirren Knäuel von Armen und Beinen vorbei. Der Mann, den Forton mit einem Schlag von den Beinen geholt hatte, war auch wieder zu sich gekommen und beteiligte sich nun daran, Ben Forton völlig fertigzumachen.
Langsam ging Tom Delaware auf die sich am Boden wälzenden Männer zu. Der Staub kitzelte in seiner Nase.
Er sah, wie Ben Forton sich immer noch mit Armen und Beinen wehrte, aber seine Lage wurde immer schlimmer.
Entschlossen griff Tom Delaware nach der erstbesten Schulter eines der Schläger und grub seine Hände ins Flanellhemd.
Überrascht richtete sich der Mann auf. In seinen Augen stand ein großes Erstaunen, als er über die Schulter sah und in ein ausdrucksloses, hageres Gesicht blickte. Er sah in kühle, graue Augen und bemerkte auch die Bartstoppeln am Kinn des Fremden.
„Was, zum Teufel …“
„Was soll das hier?“, unterbrach ihn Tom ganz ruhig. „Solche Schlägerei kann böse enden. Schließlich wird noch jemand ernsthaft verletzt, und möglicherweise könnten Sie es sogar sein, der im Staub liegen bleibt.“
Die Augen des Schlägers schlossen sich zuerst zu schmalen Schlitzen, dann öffneten sie sich unnatürlich weit. Er schnappte nach Luft und schien sich zu fragen, ob dieser Fremde noch alle Sinne beisammen hatte.
Doch im nächsten Augenblick riss er die Fäuste hoch, um sie in den Leib des Fremden zu rammen.
Tom Delaware sah die Gefahr kommen. Er machte einen Schritt zur Seite und schien plötzlich zu explodieren. Seine linke Faust schoss vor, streifte das Kinn des Mannes, dann folgte die Rechte mit voller Wucht in die Magengrube.
Ein tiefes Stöhnen entrang sich der Brust des Mannes. Zum zweiten Mal verlor er die Besinnung und wurde in den Staub der Straße geschleudert, wo er regungslos liegenblieb.
Shatter hatte aus den Augenwinkeln bemerkt, dass sie einen zweiten Gegner erhalten hatten. Als er nun seinen Komplicen durch die Luft segeln sah, sprang er auf, ließ von Forton ab, und riss seinen Colt hoch.
Die Zuschauer in Silver Rock glaubten schon das Peitschen des Schusses zu hören und den Fremden lang ausgestreckt auf der Straße liegen zu sehen.
Stattdessen geschah etwas ganz anderes.
Shatter hielt bereits den Zeigefinger am Abzug, als er sich plötzlich am Arm gepackt fühlte und den Boden unter den Füßen verlor. Dann sah er für einen Moment direkt in die grelle Sonne und wunderte sich, warum er ein solch merkwürdiges Gefühl im Magen verspürte.
Im nächsten Moment klatschte er in den Staub und blieb benommen liegen. Er regte sich erst wieder, als er Hände an seinem Körper verspürte, die sich an seinem Waffengut zu schaffen machten. Seine Rechte klatschte zum Holster, aber zu seiner Verblüffung gab es kein Holster mehr und auch keinen Colt, der diesen Fremden ein für allemal zur Vernunft gebracht haben könnte.
Stattdessen stand der Fremde mit gespreizten Beinen über ihm, den Waffengurt lässig über die Schulter gehängt und freundlich grinsend.
„Stehen Sie auf, Mister“, sagte Tom ruhig. „Sie haben Ihren Spaß gehabt. Ihr Schießeisen können Sie sich aus dem Sheriff-Office abholen, wenn Sie Ihren Rausch ausgeschlafen haben.“
Shatter sah mit verwirrten Blicken um sich. Da lagen zwei Männer in der Mitte der Mainstreet. Aber Ben Forton war nicht dabei. Der Schmied lehnte erschöpft am Haltebalken vor dem Saloon und wischte sich mit einem karierten Tuch das Blut aus dem Gesicht. Und über der Schulter des Fremden hing nicht nur ein Waffengurt, sondern gleich drei.
Die Sporen an den kurzen Mexicanstiefeln des Fremden klirrten leise, als er sich dem Gehsteig näherte und auf den Saloon zuging.
Shatter stemmte sich wütend auf die Beine.
„He, Mister! Sie glauben wohl, sie sind clever, he? Irrtum! Wir werden uns wieder begegnen, und dann werden Sie merken, dass Sie den größten Fehler Ihres Lebens machten. Auf Boothill ist noch ein Platz frei für Sie.“
Wütend klopfte Shatter den Staub von seinem Hut und schoss Tom vernichtende Blicke nach. Auch die anderen beiden Galgenvögel erhoben sich und fluchten hinter dem Fremden her.
„Du solltest lieber in den Sattel steigen und deinen Ritt fortsetzen“, zischte der kleine Drahtige giftig, „solange du noch in einem Stück bist.“
Tom Delaware antwortete nicht. Aber er hörte die Drohung in den Flüchen der Schläger wohl heraus. Er wusste, dass er sich durch sein Eingreifen in den ungleichen Kampf böses Blut geschaffen hatte.
Er ging hinüber zu dem Blacksmith und legte dem bärtigen Forton die Hand auf die Schulter.
„Wieder okay, Mister?“
Der Schmied ließ sein verschmiertes Taschentuch verschwinden und zauberte ein dankbares Grinsen in sein geschundenes Gesicht. Sein rechtes Auge war geschwollen. Quer über seine linke Wange zog sich eine blutige Strieme, und selbst sein zerzauster Bart war blutgetränkt.
Aber seine Augen leuchteten Tom Delaware dankbar entgegen.
„Ich glaube, ich muss mich bei Ihnen bedanken, Mister. Allein hätte ich es nicht geschafft. Ich bin Ben Forton, der Schmied hier in Silver Rock.“
„Delaware“, sagte Tom, die Pranke des riesigen Forton ergreifend. „Tom Delaware. Schätze, Sie hätten mich auch aus der Patsche geholt, wenn ich drin gesessen hätte. Außerdem hätte ich jedem anderen geholfen gegen diese Rowdys. Eines verstehe ich nicht, Forton. Wie konnte es soweit kommen? Gibt es keinen Sheriff in Silver Rock?“
Ben Forton stieß ein raues Lachen aus und spuckte auf den Boden.
„Sie haben bereits mit seinen Deputys Bekanntschaft geschlossen, Delaware. Die beiden Halunken, die mich zuerst angegriffen haben, sind vom Sheriff vereidigt worden.“
Eine steile Falte erschien auf Toms Stirn. Überrascht hielt er den Atem an und sah die Main Street hinunter, wo die drei Männer gerade unten beim Hotel in ihre Sättel stiegen und langsam aus der Stadt ritten.
Die meisten Bürger hatten sich mittlerweile in ihre Häuser verkrochen, und langsam nahm Silver Rock jenes Bild an, das sich Tom oben in den Hügeln vorgestellt hatte.
Die Main Street der kleinen Town war einsam und verlassen – außer den beiden Männern, die vor den Rails am Saloon standen und miteinander Freundschaft schlossen.
„Deputys“, sagte Tom, und plötzlich nahm dieses Gefühl von ihm Besitz, das ihn immer überfiel, wenn irgendwo Ärger auf ihn zukam.
Eigentlich wurde es jetzt Zeit für ihn, Shatters Rat anzunehmen, in den Sattel zu steigen und so lange zu reiten, bis er die nächste Stadt aus den Hügeln auftauchen sah. Dort konnte er vielleicht in aller Ruhe seinen Whisky trinken und sein Steak verdrücken – vielleicht.
Verdammt, sagte sich Tom Delaware, man kann nicht immer nur davonlaufen und jedem Ärger aus dem Wege gehen.
Sein Blick kehrte zu Ben Forton zurück. Der Schmied sah nicht so aus, als würde er jetzt ebenfalls die Stadt verlassen, um sich irgendwo zu verkriechen.
„Wir haben wohl einen Sheriff“, sagte Forton leise und strich seinen Bart einigermaßen glatt. „Aber was für einen.“
Wieder spuckte der Schmied aus, und Tom kam es so vor, als würde der Schmied diesen Sheriff verächtlich anspucken.
„Er wird nicht erbaut sein, davon zu hören, was Sie für mich getan haben, Delaware. Wenn Sie länger in Silver Rock bleiben, werden Sie herausfinden, dass es verdammt ungesund ist, mit mir befreundet zu sein. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, mein Sohn, dann steigen Sie in den Sattel und reiten Sie, bis Sie die Berge hinter sich haben.“
Tom grinste.
„Kann sein, dass ich bald weiterreite, Forton. Aber ich glaube kaum, dass ich noch eine Minute länger ohne Essen und Trinken auskomme. Außerdem muss mein Brauner besohlt werden. Hat draußen einen Schuh verloren. Können Sie das für mich besorgen, Forton?“
Der Schmied streckte Tom impulsiv die Hand hin.
„Kommen Sie in einer Stunde wieder. Bis dahin habe ich Ihr Pferd fertig, Delaware. Und es soll Sie keinen Dime kosten.“
„Gut. Diese drei Waffengurte lasse ich hier liegen. Kann sich der Sheriff abholen, wenn er will.“
Forton ging hinüber zu Toms Pferd und führte es quer über die Straße auf die Schmiede zu. Tom sah ihm nach.
Er begann sich zu wundern. Forton hatte mit keinem Wort den Grund der ungleichen Schlägerei erwähnt. Tom Delaware war es gewohnt, keine Fragen zu stellen, wie er es wünschte, dass man ihn nicht mit Fragen belästigte. Wenn jemand sprechen wollte, musste er es von sich aus tun.
Tom blieb noch einen Moment vor dem Gehsteig stehen und sah sich die Stadt an.
Sie ähnelte in jeder Weise anderen Städten in Arizona, New Mexico und Texas, durch die Tom schon geritten war.
Weiter unten befand sich die Union Bank, daneben die Poststation. Weiter oben lag das City Hotel, schräg gegenüber das Sheriff-Office mit dem angeschlossenen Jail.
Dort, wo sich die Main Street und die South Street kreuzten, lag ein freier Platz. Eine kleine Holzkirche schien der ganze Stolz der kleinen Stadt zu sein. Gleich daneben lag die Schule von Silver Rock.
Eine Stadt wie jede andere.
Und doch lag eine seltsame Atmosphäre in der Luft, die selbst von den heißen Sonnenstrahlen nicht fortgewischt werden konnte, auch nicht von der trockenen Brise, die von Süden her aus den Bergen kam und den Geruch der verbrannten Savanne mit sich führte.
Als Tom Delaware seinen Hut in den Nacken schob und sich den mit Staub vermischten Schweiß aus der Stirn rieb, entdeckte er, dass auf verschiedenen Schildern über den Gehsteigen der gleiche Name stand: Shane Warner.
Eigentümer: Shane Warner.
Tom drehte sich auf dem Absatz und sah auf das verwitterte Schild über dem „Golden Nugget“.
Eigentümer: Shane Warner
Scheint mächtig herumzukommen, dieser Shane Warner, dachte er.
Aber der Besitzer interessierte ihn nicht. Die Hauptsache war, dieser Shane Warner führte einen guten Whisky und verstand es, ein großes Steak nach Toms Geschmack zu braten.
Also gab sich Tom Delaware einen Ruck und stiefelte die Holztreppe zum Saloon hinauf.
Bevor er die Schwingtüren aufstieß, vernahm er das gedämpfte Murmeln einiger Stimmen.
Noch einmal überprüfte Tom Delaware den Sitz seines alten, abgewetzten Peacemaker, der ihn nun schon einige Jahre auf seinem Ritt begleitete.
In einer Stadt, die ihn mit einer handfesten Schlägerei empfing, war alles möglich. Zur Umkehr war es längst zu spät, und diesmal wollte Tom dem Ärger auch nicht aus dem Wege gehen, bevor er nicht zu seinem Whisky und zum Steak gekommen war.
Entschlossen trat er durch die Schwingtüren.
Als er die Lider zusammenkniff, um sich an das mit Rauch und Whiskydunst geschwängerte Halbdunkel zu gewöhnen, stockten die Gespräche.
Es dauerte nur Sekunden, dann konnte Tom Delaware wieder richtig sehen und den ganzen Raum überfliegen.
Zur linken Hand stand der Tresen. Dahinter erhob sich eine Regalwand, darüber ein langer stumpfer Spiegel, in dem man kaum noch etwas erkennen konnte.
Hinter dem Tresen stand mit hochgekrempelten Hemdsärmeln ein dicker Keeper, auf dessen kahler Stirn dicke Schweißperlen glänzten.
Der Barraum war gut gefüllt. An mehreren Tischen saßen Männer in typischer Cowboykleidung, aber nahe der Treppe, an der rechten Seite, die in die obere Etage führte, saßen drei aalglatte Burschen, die Tom sofort als berufsmäßige Killer einstufte.
Ihre Gesichter waren zu ausdruckslos, ihre Augen zu schmal, als dass sie für Tom als Cowboys durchgingen. Die drei hielten Karten in ihren behandschuhten Händen, und ihre Aufmerksamkeit wurde durch Toms Eintritt nur für einen Moment abgelenkt.
Als die Schwingtüren hinter Tom wieder auspendelten, nahmen sie schon ihre Pokerpartie wieder auf.
Tom ging hinüber zur Theke, wo ihn der Keeper schläfrig musterte.
„Einen Whisky und ein großes Steak!“, sagte Tom Delaware. „Mein Magen knurrt gewaltig, ich kann also nicht zu lange warten.“
Dass der Keeper nicht dieser Shane Warner sein konnte, dachte sich Tom gleich. Der Mann hinter dem Tresen sah nicht so aus, als würde er seine Finger in jedem Geschäft haben.
„Yeah“, brummte der Keeper gedehnt. Er nahm eine Flasche unter dem Tresen auf und schob sie mit einem leeren Glas über die Theke. „Das Steak dauert fünf Minuten.“
„Na, ich werd’s aushalten können.“
Tom suchte sich einen Platz an der langen Theke, von wo aus er die drei Pokerspieler im Auge behalten konnte.
Als sich der Keeper entfernte und in der Küche verschwand, klang draußen Hufschlag auf. Ein Reiter kam vom Westen her über die Main Street geritten und schien mächtig viel Zeit zu haben.
Es gab eigentlich niemanden im Saloon, der diesem Hufschlag Beachtung schenkte. Auch Tom Delaware nicht.
Vor dem Saloon verklang der Hufschlag, und dann klirrten Sporen.
Der Barkeeper kam zurück und nickte Tom zu.
„Steak kommt gleich, Mister. Sie sind fremd in Silver Rock, oder? Wollen Sie lange bleiben?“
Obwohl der Keeper sich Mühe gab, ruhig und fast gelangweilt zu wirken, fiel Tom doch das leichte Vibrieren in der Stimme des Mannes auf.
Er nahm sein Glas, trank einen kleinen Schluck Whisky und schüttelte den Kopf.
„Sobald ich mich gestärkt habe, reite ich weiter. Silver Rock ist nicht die Stadt, die mir mehr als ein Steak bieten kann.“
Die Schwingtüren knarrten und schlugen hart gegen die Außenwände. Im Eingang zeichnete sich eine schwarze Gestalt ab, und es dauerte eine Weile, ehe klare Umrisse des neuen Gastes zu erkennen waren.
Im Saloon brachen alle Gespräche unvermittelt ab, und es wurde noch stiller als bei Toms Eintritt.
Mit einem Schritt trat ein Mann in den Saloon, von dem eine eisige Kälte auszugehen schien.
Tom Delaware sah den Fremden über die Schulter an, und sein erhobenes Glas blieb mitten in der Bewegung in der Luft stehen. Er vergaß, dass er eigentlich wieder einen kleinen Schluck nehmen wollte.
Der neue Gast war in Schwarz gekleidet. Selbst der Stetson war schwarz gefärbtes Leder, und auch die Schleife, mit der sein schwarzes Lederhemd zusammengehalten wurde.
Im Gegensatz dazu war das Gesicht des Mannes kalkweiß, und irgendwie überkam Tom bei diesem Anblick ein Frösteln, das er bis hinunter in die Stiefel zu spüren glaubte.
Der Mann war groß und schlank, und seine beiden Hände hingen ruhig über den silbernen Griffen seiner Colts, die er in einem Kreuzgurt stecken hatte.
In das allgemeine Schweigen hinein klang eine Stimme, hart und sanft zugleich, wie das kurze Zischen einer Giftschlange.
„Wo finde ich Shane Warner?“
Der Keeper fasste sich überraschend schnell. Mit einer Behändigkeit, die man seinem runden Körper kaum zugemutet hätte, zwängte er sich hinter dem Tresen hervor und wies auf die Treppe.
„Dort hinauf, Fremder. Die letzte Tür im Gang.“
Der Schwarze nickte kurz und wandte sich der Treppe zu. Mit einem letzten, schnellen, Blick überflog er den ganzen Raum. Tom Delaware bemerkte dabei, dass der Fremde ebenso schwarze Augen wie seine Kleidung hatte, dass diese Augen aber wie Diamanten in dem schneeweißen Gesicht flammten.
Jeder Mann im Raum verfolgte den Fremden mit Blicken, wie er die Treppen hinaufstieg. Sein Gang war federnd und erinnerte Tom an einen Puma.
In den Augen der Gäste konnte man die große Spannung lesen, wer dieser Mann wohl sein konnte.
Tom Delaware brauchte nicht zu raten. Er wusste, wer dieser Fremde war.
Bull Carr!
Bull Carr war ein gefürchteter Revolverheld. Sein Name wurde in New Mexico nur hinter der Hand leise ausgesprochen. Er kam gleich hinter dem Teufel persönlich. Und wo sich Bull Carr aufhielt, gab es für irgend jemanden nur noch wenige Stunden, um Luft zu holen.
Wo Bull Carr auftauchte, konnte der Undertaker des Ortes getrost schon ein frisches Grab ausheben.
In Silver Rock war für irgend jemanden schon das Todesurteil geschrieben.
Obwohl sich Bull Carr keine Mühe gab, seine Schritte zu dämpfen, wurde Shane Warner von dem Gast überrascht.
Carr hatte es sich in den Jahren seiner gefährlichen Tätigkeit angewöhnt, lautlos wie ein Puma zu kommen und zu gehen. Es war einfach ein Instinkt, der des wilden Tieres im Dschungel, zu überleben.
Und dieses Überleben hatte Bull Carr bis zum heutigen Tage meisterhaft verstanden, nicht zuletzt mit Hilfe seiner beiden Colts vom Typ 44er Starr Army und seiner katzenartigen Gewandtheit.
Bevor Bull Carr sanft mit den Knöcheln gegen die Tür pochte, stellte er sich leicht gespreizt in den Lichtschatten des Flures.
Selbst wenn Carr zu einem Freund ging, vergaß er die Vorsicht nie. Denn auch Freunde konnten erschrecken und damit eine Reflexbewegung Carrs heraufbeschwören.
Als es klopfte, riss Shane Warner überrascht den Kopf hoch. Er horchte einen Moment zum Flur hin, dann schob er mit einer hastigen Bewegung einige Papiere in die Lade seines Schreibtisches, verschloss sie sorgfältig und erhob sich.
Shane Warner ließ sich Zeit.
Während er zum Flur hin lauschte, aber nichts weiter als das Gemurmel aus dem Saloon hören konnte, griff er zur Vorsicht in die Brusttasche seines eleganten Coat. Der kühle Griff des Wells Fargo Colt, der auch von Spielern bevorzugt wurde, gab ihm ein beruhigendes Gefühl der Sicherheit.
Ein flüchtiges Grinsen huschte über den schmallippigen Mund Shane Warners, als er seine Krawatte zurechtzupfte und mit schnellen Schritten auf die Tür zuging.
Die Tür öffnete sich nach außen, Bull Carr entgegen.
Warner sah zunächst nur den schlanken Schatten des Mannes. Aber der helle Fleck, den Bull Carrs Gesicht im Dunkeln bildete, sagte dem Saloonbesitzer sofort, wen er vor sich hatte.
„Warner?“, klang es zischend aus dem Dunkeln.
„Treten Sie ein, Carr! Sie kommen früher als erwartet“, erwiderte Shane Warner mit sonorer Stimme.
Bull Carr sicherte noch einmal nach unten, ehe er den Schatten verließ und lautlos an Warner vorbei ins Office trat.
Vor dem Schreibtisch blieb er stehen und sah sich nur einmal flüchtig um. Dieser kurze Blick genügte einem Mann wie Bull Carr, um für alle Zeiten über die Ausstattung und den Aufbau des Büros Bescheid zu wissen. Außerdem vergewisserte er sich, dass sie wirklich allein waren.
Dann musterten sich die beiden Männer sekundenlang.
Shane Warner war ein bulliger Mann mit massigen Schultern und grauem, welligem Haar. Durch seine Größe fiel seine Korpulenz kaum auf, und außerdem verstand er sich geschmackvoll zu kleiden. Seine dezente Krawatte wurde mit einer glitzernden Perle zusammengehalten, und quer über seine seidene Weste spannte sich eine goldene Uhrkette. Wer Shane Warner kannte, der wusste, dass er damit nicht protzen wollte, sondern die Kette einfach brauchte, um sie ständig um seinen Zeigefinger zu wickeln, wenn er erregt war.
In diesem Augenblick war es eine reine Reflexbewegung, die Shane Warner veranlasste, zu dieser Uhrkette zu greifen und sie gedankenlos um seinen Finger zu wickeln.
Bull Carr stand unbeweglich. Dennoch entging dem Salooner nicht, dass der Revolvermann lauernd wie ein Fuchs wirkte.
Warner hatte diesen Mann kommen lassen, um seine beiden Colts zu mieten. Dass er dafür eine Menge Dollars auf den Tisch legen musste, darüber war er sich vorher im Klaren gewesen. Der Mensch Bull Carr interessierte Shane Warner im Grunde überhaupt nicht. Für ihn war nur wichtig, dass er sein Ziel erreichte. Und dieses Ziel hieß: Silver Rock ganz zu besitzen.
Irgend etwas in den glitzernden Augen des Killers ließ Shane Warner frösteln. Aber ein Zurück gab es nun nicht mehr.
„Sie haben sich mächtig beeilt“, sagte Warner, um das drückende Schweigen zu brechen.
„Ich beeile mich immer, wenn ich gerufen werde und weiß, dass der Preis richtig ist. Wer ist der Mann, Warner?“
Die Stimme Carrs beeindruckte Warner. Sie war eigentlich nur ein leises, abgehacktes Zischen, das Warner erneut eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Zugleich wusste er aber auch, dass er den richtigen Mann für diese Aufgabe ausgesucht hatte.
Ihm wurde mit einem Mal auch klar, dass er selbst von Bull Carr nichts zu befürchten hatte, dass er der Boss war über die beiden gefürchteten Colts aus New Mexico. Die nackte Gier nach Herrschaft und Gewalt nahm von Shane Warner wieder Besitz. Mit diesem Mann an seiner Seite würde er endlich an das langersehnte Ziel gelangen.
„Wer sagt Ihnen, dass es sich um einen bestimmten Mann handelt?“
„Da ist immer irgendein bestimmter Mann, Warner, wenn man nach mir ruft. Wer ist es also?“
Der Salooner ließ seine Uhrkette los und sank seufzend in den Sessel hinter seinem Schreibtisch.
„Okay, Carr. Spielen wir mit offenen Karten“, meinte er.
Von unten her sah Warner den Killer an, der immer noch unbeweglich und anscheinend teilnahmslos dastand und aus schmalen Augen den Salooner anblickte.
Bull Carr sagte nichts. Er ließ Warner zuerst reden.
„Unser Mann ist der Blacksmith von Silver Rock, ein Mann namens Ben Forton.“
Bull Carr glaubte, sich verhört zu haben. Man merkte es an dem leichten Zucken seiner rechten Braue. Hinzu kam, dass über sein gespenstisch weißes Gesicht eine Spur von Hohn zuckte.
„Ein Blacksmith?“, fragte er ungläubig.
„Yeah, ein Schmied“, erwiderte Shane Warner heftiger, als er beabsichtigte. „Aber Forton ist kein gewöhnlicher Blacksmith, Carr. Er hat viele Männer hinter sich, die ihn zum Mayor von Silver Rock wählen wollen. Er ist ein Mann, der das Vertrauen der Leute besitzt, ehrlich bis auf die Haut. Aber er steht mir im Wege und …“
„… und Sie wollen natürlich Mayor von Silver Rock werden, wenn ich nicht irre“, unterbrach ihn Bull Carr spöttisch.
Mit einem Ruck erhob sich der stämmige Warner. Der Stuhl scharrte zurück und unterbrach die Stille wie der peitschende Schuss eines Colts.
„Damit wir uns richtig verstehen, Carr“, zischte Warner eisig. „Ich bin hier der Boss, und wenn Sie den Job übernehmen, werden Sie von mir bezahlt. Ich zahle nicht für Ihren Kopf oder was darin steckt, sondern für die Schießeisen da an Ihrer Seite. Haben wir uns verstanden?“
Das spröde Grinsen blieb auf Bull Carrs Gesicht haften. „Ich bin nicht taub, Mister.“
„Also gut. Mit meinem Geld habe ich die meisten Farms und Ranches in der Umgebung aufgekauft und Pächter eingesetzt, die mir vierteljährlich ihre Zinsen zahlen müssen. Außerdem besitze ich die meisten Geschäfte im Ort.“
„Und die Schmiede können Sie nicht erreichen, wie?“
„Im Gegenteil, ich besitze sie schon. Forton ist nur mein Pächter.“
Bull Carr massierte nachdenklich sein Kinn.
„Das verstehe ich nicht, Warner. Warum setzen Sie ihn nicht einfach an die frische Luft?“
„Weil ein Vertrag die Sache regelt, Carr. Ich sehe, von Geschäften verstehen Sie nicht viel. Der Vertrag besagt, dass Forton die Schmiede so lange betreiben darf, wie er seine Zinsen zahlt.“
„Aha, das leuchtet mir ein. Sie wollen ihn ruinieren.“
Warner setzte sich wieder. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht, und sein Blick richtete sich auf das mit einem Plüschvorhang verhangene Fenster des Office.
„Um ihn zu ruinieren, brauche ich Sie nicht. Ich sagte bereits, dass ich Ihre Colts mieten will. Irgend jemand steht noch hinter Ben Forton, jemand, der ihm Geld zufließen lässt, damit er die Zinsen zahlen kann. Denn seit Monaten hat er so gut wie keinen Kunden mehr.“
Bull Carr steckte eine Stroogie in Brand und paffte sekundenlang gegen die Decke.
„Mit anderen Worten“, nahm er das Gespräch dann wieder auf, „dieser Forton muss aus dem Wege geräumt werden, um den Mann im Dunkeln aus der Reserve zu locken und die Bahn freizubekommen für den Posten des Mayor von Silver Rock.“
„Ja, es gibt nur einen Weg, um diesen Forton loszuwerden.“
„Ihn zu einem Kampf herauszulocken. Das meinen Sie doch, Warner? Ich soll ihn erschießen.“
Der Salooner zuckte zusammen, als wäre er von einer Schlange gebissen worden. Er fühlte sich sichtlich unwohl unter dieser direkten Anschuldigung, als Auftraggeber für einen Mord dazustehen.
„Reden Sie nicht so laut, Mann!“
Bull Carr grinste spöttisch. Er sprach nie laut, obwohl selbst sein Zischen von seinen Gegnern gefürchtet wurde.
„Es darf natürlich nicht wie Mord aussehen, Carr. Verstehen Sie? Er muss zuerst ziehen. Sie wissen, was ich meine. Versuchen Sie zuerst, einige Farmer einzuschüchtern, dass sie die Geschäfte mit Forton aufgeben. Die Männer unten am Spieltisch werden Ihnen helfen, Carr. Wenn jedoch nichts erreicht wird …“
Er sprach nicht weiter. Bull Carr verstand auch so, was Shane Warner beabsichtigte.
„Ich hoffe, dieser Ben Forton lässt sich zu einer Schießerei bringen, Warner“, meinte Bull Carr, der noch nie einen Mann von hinten erschossen hatte. Im Gegenteil, ihm bereitete es nur dann Spaß, einen Mann aus den Stiefeln zu schießen, wenn er ihm dabei in die Augen sehen konnte.
„Wie meinen Sie das, Carr?“
„Ich meine, dass ich es hasse, einen Mann in den Rücken zu schießen, Warner“, sagte Bull Carr verächtlich. „Und dass ich jeden Mann hasse, der jemanden in den Rücken schießt. Ich erschieße Ihren Ben Forton, all right, aber von vorn, und wenn er zuerst zum Eisen greift. Ein toter Mann kommt nämlich niemals zurück.“
Bull Carr ging zur Tür, und Shane Warner sah ihm nach, wie er geräuschlos das Office verließ, die Tür leise hinter sich ins Schloss zog, sie dann aber wieder öffnete.
„Besser, Sie kommen mit und machen mich mit den Gents da unten bekannt, Warner“, brummte Carr ärgerlich. „Sonst schieße ich womöglich vorher noch einen von ihnen über den Haufen, und das ist sicher nicht in Ihrem Interesse.“
„Gut“, sagte Warner und erhob sich. „Ich komme mit, Carr.“
Der Salooner verließ sein Office, aber als die beiden Männer das Geländer der Treppe erreichten und in den Saloon hinuntersehen konnten, merkten sie, dass sich die Dinge dort unten inzwischen hektisch entwickelt hatten.
Gerade als Shane Warner den Fuß auf die Treppe setzte, peitschte ein Schuss durch die unnatürliche Stille im Saloon.
Nachdem Bull Carr in der oberen Etage verschwunden war, hatten die Männer unten im Saloon ihre Köpfe zusammengesteckt.
Nur Tom Delaware schien den Mann zu kennen, der sich und seine Colts vermietete. Alle anderen rätselten noch herum.
Tom bekam sein Steak vorgesetzt und stürzte sich heißhungrig darüber. Für ihn war es das beste Stück Braten, das er jemals gegessen hatte. Dass es zäh wie Leder war und voller Sehnen, das bemerkte Tom Delaware nicht.
Als er den leeren Teller zurückschob und nach seinem Glas griff, hatten sich die Gemüter im Saloon wieder beruhigt.
Toms Blick streifte den Tisch am Treppenaufgang, wo die drei Galgenvögel immer noch pokerten. Aber Tom konnten sie nicht täuschen. Geschickt verbargen die drei Männer, wie sie ihre Aufmerksamkeit der oberen Etage schenkten. Einer von ihnen rückte unter dem Tisch immerzu unruhig an seinem Holster herum.
Tom sagte sich, dass es jetzt eigentlich Zeit wäre, aus Silver Rock zu verschwinden. Er kannte Bull Carrs Ruf und wusste von seiner unerhörten Schnelligkeit. Dass man den Killer nur wegen Ben Forton kommen ließ, darauf wäre Tom niemals gekommen. Er hätte es auch nicht begriffen.
Als die Schwingtüren knarrten und drei neue Gäste in den Saloon traten, wusste Tom, dass er sich zu lange aufgehalten hatte.
Zwei Männer hatte er vor einer Stunde dort draußen zusammengeschlagen. Der dritte war ein dicklicher Mann mit einem roten Gesicht und einem Sheriffstern auf der Weste.
Tom nahm sein Glas auf und trank einen tiefen Schluck.
„Da ist er“, hörte er Shatter zu dem Sheriff sagen. „Nennt sich Delaware, und wenn er nicht gewesen wäre, hätten wir den Blacksmith schon gehabt.“
„Okay, Boys, ich werde das regeln“, meinte der Sheriff mit brüchiger Stimme, dann schlurften seine Stiefel durch den Saloon und wirbelten das herumliegende Sägemehl auf.
Tom blieb an der Theke stehen und starrte in den Rest von Whisky in seinem Glas, ohne sich umzudrehen. Allerdings spielte ein verstecktes Lächeln um seinen Mund.
Tom Delaware wandte erst den Kopf, als eine harte Faust sich auf seine Schulter legte.
„Hörte, Sie haben sich da in Dinge gemischt, die nur meine Deputys angingen, Mister“, fauchte der Sheriff.
Tom sah in zwei rot unterlaufene Augen, auf den gestutzten Schnurrbart in dem roten Gesicht, und auf den blankpolierten Stern auf der blauen Seidenweste des Sheriffs.
„Solche Späße mögen wir in Silver Rock nicht gern“, fuhr der Sheriff krächzend fort, als er von dem Fremden keine Antwort erhielt. „Ich gebe Ihnen genau drei Minuten, Ihren Whisky zu trinken und die Stadt zu verlassen. Ist das deutlich?“
Tom Delaware runzelte unwillig die Brauen.
„Wollen Sie damit sagen, diese drei Schlägertypen hielten das Gesetz aufrecht und waren in Ihrem Auftrag unterwegs? Well, Sheriff, tut mir Leid, das hätten sie mir sagen können.“
Delawares Stimme hatte ein wenig belustigt, aber auch schleppend geklungen. Im ganzen Saloon herrschte plötzlich jene eisige Stille, die immer dann eintritt, wenn sich Dinge zuspitzen.
Selbst die drei Pokerspieler hatten ihre Karten beiseite gelegt, sich zurückgelehnt und ihre Stühle ein wenig vom Tisch gerückt, um Spielraum zum Aufspringen zu haben.
Tom Delaware war sich bewusst, dass er in eine unbequeme Situation geraten würde, wenn es zu einer Schießerei kam.
Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass sich Shatter wieder seinen Waffengurt umgeschnallt hatte und die rechte Faust in unmittelbarer Nähe seines Kolbens hielt.
Nur die Ruhe bewahren, alter Freund, sagte Tom sich, nahm sein Whiskyglas auf und wollte trinken.
Da holte Sheriff Dean Brand zum Schlag aus.
Seine klobigen Finger schnitten durch die Luft und schlugen Delaware das Glas aus der Hand. Krachend zersplitterte es auf dem Tresen. Der Rest Whisky rann über die Tischkante und tröpfelte auf Toms Stiefelspitzen.
Tom Delaware reagierte mit einer Gewandtheit, die seine schläfrige Art Lügen strafte.
Er wirbelte herum, packte mit der Linken das Halstuch des Sheriffs und zog ihn dicht zu sich heran.
„Das hätten Sie nicht tun sollen, Sheriff. Habe nämlich gerade für den Whisky bezahlt.“
Im nächsten Moment schoss seine rechte Faust vor und landete krachend unter dem Kinn des überraschten Gesetzeshüters.
Der Sheriff taumelte zurück, direkt auf Shatter und dessen Komplicen zu. Die beiden Schläger sprangen jedoch zur Seite, so dass der Sheriff bis hinüber zu den Pokerspielern gewirbelt wurde, wo er ächzend gegen den harten Tisch prallte.
Shatter glaubte diese Situation für sich nutzen zu können. In die allgemeine Stille hinein ertönten Schritte oben auf der Galerie, so dass Shatter auch noch von der Anwesenheit Shane Warners gereizt wurde. Er wollte zeigen, dass er ein ganzer Kerl war.
Shatter hätte sich jedoch vorher lieber diesen Fremden genauer ansehen sollen.
Er brachte nämlich nicht mal seinen Colt aus dem Holster, als er die verwirrende, unkontrollierbare Bewegung Tom Delawares bemerkte.
Das Peitschen des Schusses durchschnitt die tödliche Stille im Saloon. Shatter sah das Aufflammen des Schusses im selben Moment, als ihm die eigene Waffe mit einer unerklärlichen Gewalt aus der Hand gerissen wurde. Der Huf eines wilden Hengstes hätte keine größere Wirkung erzielen können.
Shatter hörte sich schreien, aber sein Schrei erstickte in der Kehle. Entgeistert starrte er auf seine rechte Hand, über die das Blut warm zu rinnen begann.
Tom Delaware grinste nicht mehr. Sein hageres Gesicht war wie eine steinerne Maske geworden. Immer noch geduckt und seinen Colt durch den Saloon schwenkend, ging er Schritt für Schritt zurück.
Niemand wagte es in diesem Augenblick, zur Waffe zu greifen. Sie alle hatten mit angesehen, wie schnell der Fremde seinen Colt ziehen und abdrücken konnte. Wie schnell musste einen von ihnen erst die Kugel erreichen, wenn der Lauf schon auf ihn gerichtet war.
Sie hielten alle die Hände weit von ihren Kolben weg.
„So ist es richtig, Gents“, sagte Tom Delaware mit spröder Stimme. „Dass bloß keiner auf die Idee kommt, sein Eisen anzufassen! Das nächste Mal ziele ich nicht nur auf die Hände.“
Immer weiter wich Tom zurück. Und es gab keinen Mann im Saloon, der auch nur zu atmen gewagt hätte. Selbst oben auf der Galerie, wo Warner und Bull Carr erschienen waren, hörten die Dielenbretter auf zu knarren.
Tom hatte mittlerweile die Schwingtüren erreicht. Mit einem flüchtigen Blick über die Schulter stellte er fest, dass sich ihm auch dort niemand in den Weg stellte.
„Wenn dieser komische Sheriff wieder wach wird, dann sagt ihm, dass er selbst Schuld daran ist! Ich werde die Stadt verlassen und nach Süden reiten. Aber lasst euch nicht einfallen, mir zu folgen!“
Im nächsten Augenblick knarrten die Schwingtüren, und Tom Delaware war verschwunden. Gerade in diesem Moment regte sich Dean Brand. Ächzend kam er auf die Beine und sah sich verwirrt um.
„Was, zum Teufel …“
„Was geht hier vor, Brand?“, schnappte eine kalte Stimme von oben. Shane Warner beugte sich über das Geländer der Galerie. „Wer war der Mann?“
„Irgend so ein Satteltramp, Mr. Warner“, keuchte der Sheriff. Er schüttelte sich wie ein nasser Hund, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Trotzdem schien eines völlig klar in seinem Gehirn zu funktionieren: der Schmerz. Vorsichtig tastete Brand sein Kinn ab. Das Sprechen fiel ihm schwer, seine Zuge war wie gelähmt.
„Der Bursche hat einen verdammt harten Schlag“, lallte Dean Brand. „Hat sich vorhin mit dem Blacksmith eingelassen.“
Shane Warner, der Delawares Aktion mit angesehen hatte und nicht verstehen konnte, dass ein Saloon voller Deputys diesen Mann nicht stoppen konnte, legte eine schneidende Schärfe in seine Stimme.
„Jagt ihn aus der Stadt! Und lasst euch Trottel nicht noch einmal zu Narren von diesem Kerl machen!“
„Keine Angst, Mr. Warner“, murrte Sheriff Brand. „Ich übernehme diesen Halunken selbst.“
Das Grinsen der Umstehenden ließ Brands Gesicht noch roter werden.
Er nahm seinen Stetson vom Boden auf, klopfte das Sägemehl auf dem Oberschenkel ab und stülpte den Hut wütend über den Kopf. Seine beiden Deputys folgten ihm mit schweren Schritten zum Ausgang. Krachend flogen die Türen gegen die Hauswände, als die drei Männer auf den Gehsteig stiefelten.
Bull Carr grinste verächtlich.
„Einen komischen Sheriff haben Sie da“, murmelte er.
Verärgert wandte sich Shane Warner tun.
„Dieser Brand ist zu schwerfällig für den Job. Er hat kein Format. Es wird Zeit, dass Sie Ihre Arbeit aufnehmen, Carr.“
Er ging voran die Treppen hinunter.
Alle Blicke der noch anwesenden Gäste richteten sich nach oben. An Shane Warner sahen die Männer vorbei auf das weiße Gesicht mit den glitzernden Augen, und jeder spürte das unangenehme Frösteln auf seinem Rücken.
Dieser Mann in Schwarz hatte etwas Raubtierhaftes an sich.
Tom Delaware erreichte die Schmiede, ohne von irgend jemandem aufgehalten zu werden.
Die Straße war ohnehin wie leergefegt, und die Sonne brannte noch unbarmherzig vom Himmel herab.
Allerdings konnte Tom hinter einigen Fenstern Bewegungen erkennen.
Diese Stadt lebte in Furcht, das stand fest.
Aber vor wem fürchtete sie sich?
Ben Forton hatte den Cowboy bereits erwartet. Er führte ihm den Braunen zu.
„He“, rief Tom überrascht aus, „mein Pferd verlor ein Eisen, und Sie haben ihm gleich einen ganz neuen Satz verpasst?“
„Vergessen Sie es, Delaware“, meinte der Schmied lächelnd. „Ich war es Ihnen schuldig. Sie werden jetzt weiterreiten, wie?“
Das hatte Tom Delaware eigentlich vorgehabt. Aber die letzte Frage Ben Fortons hatte irgendwie merkwürdig geklungen, als ob der Schmied gespannt auf die Antwort war.
Tom sah in das ledrige Gesicht des Mannes, der kaum die Fünfzig erreicht haben konnte. Sein wilder, grauer Bart machte ihn älter. Die klaren, grauen Augen hingegen ließen ihn wie einen jungen Mann erscheinen. Es war schwer, Fortons Alter zu schätzen.
Tom sagte sich, dass er eigentlich weiterreiten musste, um jedem Ärger aus dem Wege zu gehen. Er fragte sich aber auch, ob er diesen Schmied einfach mit seinem Problem zurücklassen durfte. Was er eine Stunde vorher gesehen hatte, genügte Tom, um zu wissen, dass Forton nicht viel Unterstützung in Silver Rock finden würde, wenn die Deputys von diesem verrückten Sheriff wieder auftauchten.
Tom winkte daher ab.
„Mal sehen“, sagte er ausweichend. „Vielleicht lege ich noch eine Pause ein.“ Er klopfte den Hals seines Pferdes. „Mein Brauner braucht ein paar Stunden Ruhe. Hier gibt es doch sicher einen Mietstall in der Stadt?“
„Sicher, Delaware“, erwiderte Forton. Obwohl er sich nichts anmerken ließ, war der Schmied über Toms Antwort irgendwie erleichtert. Er mochte diesen jungen Cowboy, der nicht an seine eigene Sicherheit gedacht hatte, als er in den ungleichen Kampf eingriff. Forton verstand sich auf Menschen und ihre Gesichter. Und in diesem hageren Gesicht mit den klaren, grauen Augen und dem scharf geschnittenen Mund stand die Ehrlichkeit geschrieben. Es gab nicht viele ehrliche Gesichter in Silver City. Viele der besten Männer lagen bereits oben auf dem Boothill, sechs Fuß tief unter der Erde.
Ben Forton öffnete das Tor der Schmiede und führte Tom auf die Straße. Er wies nach Süden.
„Rechts hinter der Schule befindet sich der Mietstall, dort können Sie Ihr Pferd versorgen lassen. Der alte Jan Gant ist in Ordnung, Delaware.“
„Danke, Forton! Bis später.“
Tom Delaware zog sich in den Sattel und ließ seinen Braunen im leichten Trott nach Süden über die Main Street gehen. Er ritt an der kleinen Kirche vorbei, an der Schule vorüber, und dann entdeckte er den Mietstall.
Das Schild über dem Eingang war so verwittert, dass er die Buchstaben kaum noch entziffern konnte. Erst als Tom dicht davor stand, konnte er mit einiger Phantasie vermuten, dass auch dieser Mietstall Shane Warner gehörte.
„Egal“, murmelte Tom in sich hinein. „Die Hauptsache ist, du bekommst Festtagsfutter, Brownie.“
Knarrend öffnete sich die Tür. Ein kleiner, runzeliger Mann lugte auf die Straße. Die Sonne schien ihm nicht zu gefallen. Er spie einen braunen Strahl Tabaksaft aus und schien sehr erstaunt darüber zu sein, einen Kunden zu erhalten.
„Mister Gant?“
„Eh?“, machte der Alte kichernd und zeigte seinen zahnlosen Mund. „Mister Gant hat schon lange keiner zu mir gesagt.“
„Ben Forton schickt mich. Können Sie mein Pferd versorgen?“
Gant schnitt eine Grimasse und spuckte noch einmal aus.
„So, hm, Ben Forton schickt dich?“
Tom spürte das Misstrauen des alten Mannes und lächelte.
„Ich habe ihm vorhin aus der Patsche geholfen, als ihn einige Raufbolde fertigmachen wollten.“
„Ach, du bist das. Habe schon davon gehört, mein Sohn. Komm rein! Den Gaul werde ich schon wieder hochpäppeln.“
Tom folgte dem alten Gant in den Mietstall. Man brauchte kein Hellseher zu sein, um sofort festzustellen, dass Jan Gant sich mit billigem Whisky befreundet hatte. Die Flaschen standen überall herum, und in der Luft lag eine seltsame Mischung aus frischem Heugeruch, Whiskydunst und Tabakqualm.
Gant brabbelte ununterbrochen vor sich hin, und es schien ihm nichts auszumachen, dass er meistens keine Antwort bekam.
Tom sah zu, wie der alte gebeugte Mann sein Pferd versorgte. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen einen Stützbalken und drehte sich eine Zigarette.
Die vertrauten Geräusche im Mietstall, das Scheppern des Wassereimers, das Scharren des Pferdes und das Rascheln des Strohs waren sicher daran schuld, dass Tom von einer plötzlichen Müdigkeit überfallen wurde. Seit acht Tagen hatte er in keinem richtigen Bett mehr geschlafen, sondern sich nachts in seine Satteldecke eingerollt und mit den Sternen zugedeckt.
Tom Delaware sehnte sich nach einem weichen Bett und auch einem erfrischenden Bad. Er trat seine Zigarette aus und reckte seine Schultern.
Zu spät bemerkte er den heranfliegenden Schatten. Erst als der Revolver gegen seinen Hinterkopf krachte und Tom sich instinktiv herumwarf, sah er die Umrisse von zwei Männern im Halbdunkel des Mietstalls.
Aber jede Gegenwehr kam zu spät. Die Bewusstlosigkeit hüllte Tom ein.
Sheriff Dean Brand und seine beiden Gehilfen hatten aus der Ferne beobachtet, wie Tom Delaware in der Schmiede Ben Fortons verschwand.
Bebend vor Wut winkte Brand seine beiden Begleiter hinüber ins Sheriff-Office, von wo aus sie die Schmiede im Auge behalten konnten.
Endlich öffnete sich knarrend die Tür dort drüben. Forton und Delaware traten hinaus auf die Straße.
„Er reitet weg“, brummte Shatter missmutig. „Lassen wir ihn doch reiten.“
„Abwarten!“, brummte Brand.
Er sah, wie Forton die Hand hob und nach Süden wies. Offenbar erklärte er Delaware den Weg. Dann stieg der Mann in den Sattel, schien es aber gar nicht eilig zu haben, aus der Stadt zu kommen, denn er ließ sein Tier im Schritt gehen.
Noch fester umklammerte Brand die Gitterstäbe.
„Wenn er bleibt, machen wir ihn fertig.“
Shatter grinste verschlagen.
„Dann müssen wir uns schon was ausdenken, Brand. Der Boy wird vorsichtig sein.“
Brand warf einen wütenden Blick über die Schulter. Shatters Grinsen war wie weggewischt. Er wusste, dass der Sheriff die Niederlage nie vergessen und alles daransetzen würde, diesen merkwürdigen Fremden zu vernichten.
Nicht nur, dass Brand vor den Augen vieler Bürger zusammengeschlagen worden war, schlimmer war schon die Schmach, ausgerechnet vor den Augen Shane Warners am Boden gelegen zu haben.
Shatter aber steckte seine eigene Niederlage gelassen ein. Irgendwann würde er diesem Delaware schon wieder begegnen, und dann konnte man sich immer noch einen günstigen Zeitpunkt aussuchen, sich zu revanchieren.
„Wir folgen ihm“, zischte Brand, als er den einsamen Reiter aus den Augen verlor.
Die Main Street von Silver Rock war menschenleer, als die drei Männer in die Mittagssonne traten.
Sie hasteten bis zur Hotelecke und sahen, wie der Fremde direkt vor dem alten Mietstall aus dem Sattel glitt.
„Verdammt“, knurrte der Sheriff. „Er hat tatsächlich vor, hierzubleiben. Möchte wissen, wer ihn uns auf den Hals gehetzt hat. Langsam wird die Sache komisch.“
„Du meinst, ihn könnte jemand hergeholt haben? Vielleicht ist er gar nicht Delaware, sondern ein ganz anderer.“
Shatter kratzte sich nachdenklich das Kinn. Die Vorstellung, dass sie sich vielleicht mit einem Revolvermann einließen, behagte ihm nicht. Schon der schwarze Kerl auf der Treppe neben Shane Warner hatte ihm den Schweiß aus allen Poren getrieben.
Shatter fühlte sich nur so lange stark, wie er nicht auf sich allein angewiesen war.
Brand sagte nichts zu Shatters Mutmaßung. Ähnliche Gedanken beschäftigten auch ihn. Aber die Angst, von Shane Warner getreten zu werden, war viel größer. Immerhin war der Sheriffposten mit einem Mann wie Warner im Rücken, der für alles die Verantwortung übernahm, das einzige, was Brand noch ausüben konnte.
Tom Delaware sah noch einmal die Straße entlang, bevor er mit dem alten Jan Gant im Mietstall verschwand.
„Jetzt!“, zischelte Brand. „Du bleibst draußen, Monti, und passt auf, dass uns niemand in die Quere kommt! Wir beide, Shatter, werden den Kerl da drinnen fertigmachen, dass er das Wiederkommen vergisst.“
Shatter zog seinen Colt aus dem Holster.
„Nicht schießen, du Dummkopf!“, krächzte Brand. „Forton wiegelt die Leute auf, und uns wird womöglich ein Mord angehängt. Das können wir uns im Augenblick nicht erlauben. Nach der Wahl sieht das ganz anders aus. Nein, dieser Delaware, oder wie immer er heißen mag, muss zuerst aus der Stadt, ohne viel Aufsehen. Also los!“
Brand schob sich, immer im Schatten der Hauswände bleibend, näher an den Mietstall heran. Shatter folgte ihm dichtauf, während Monti die Straße beobachtete.
Alles blieb still. Drüben bei Millers heulte ein Hund auf, in der westlichen Ecke der Stadt war für einen Moment Hufschlag zu hören, aber sonst schien Silver Rock nun wirklich Siesta zu halten.
Diese Ruhe kam Brand sehr gelegen. Er wusste, dass ihn die meisten Männer der Stadt für unfähig hielten, seinen Posten auszuüben. Aber von Shane Warner wollte er sich nicht nachsagen lassen, seinen Befehl nicht ausgeführt zu haben. Und wenn Warner erst Mayor von Silver Rock war, dann …
Sheriff Brand wusste, dass er dann mit Warner zusammen aufsteigen würde. Schließlich kannte er so einiges von den Machenschaften des reichen Mannes.
Die drei Männer erreichten den Mietstall. Brand legte vorsichtig sein Ohr gegen die morsche Tür.
Er hörte den alten Gant reden, konnte aber seine Worte nicht verstehen. Shatter, der sich niedergekniet hatte und durch einen Spalt im Holz der Tür blickte, sah den Fremden lässig an einem Stützpfeiler stehen. Er steckte sich eine Zigarette an.
An der ganzen Haltung Delawares erkannte Shatter, dass der Cowboy ziemlich schläfrig wirkte. Er beobachtete ihn noch einen Moment, um herauszufinden, ob dieser Eindruck nicht täuschte.
Er stieß Sheriff Brand an und machte ihm ein Zeichen, leise die Tür zu öffnen. Brand vergewisserte sich zuerst, ob die Sonne für dieses Vorhaben auch günstig stand, dann schob er die morsche Tür millimeterweise auf.
Das leise Quietschen wurde von dem Scheppern des Wassereimers verschluckt. Beide Männer zwängten sich ins Halbdunkel des Mietstalls. Monti blieb draußen als Deckung zurück.
Delaware drückte gerade seine Zigarette aus, als Shatter seinen Colt hob und auf den Hinterkopf des Cowboys krachen ließ.
Ächzend sank Tom Delaware in einer Spirale zu Boden.
In diesem Moment drehte sich Gant um. Seine Augen wurden unnatürlich groß, als er den Cowboy am Boden liegen sah und die beiden Männer daneben erkannte.
„Eine falsche Bewegung, Gant, und es wird deine letzte sein!“, fauchte der Sheriff, als sich Gant nach einer passenden Waffe umsah. Der Eimer schepperte zu Boden, und der Braune wieherte erschreckt auf.
Sheriff Brand hielt seine Waffe auf den alten Mann gerichtet und kam langsam näher.
„Und noch was, Gant. Ein Wort hiervon an irgend jemanden, und du kannst dir jetzt schon die Stelle auf Boothill aussuchen. Jetzt ändern sich die Zeiten bei uns. Verstanden?“
Jan Gant spuckte verächtlich aus.
„Es wird der Tag kommen, da hängen sie dich an den höchsten Baum auf dem Silver Rock, Brand. Pfui Teufel!“
Sheriff Brand holte aus und schlug dem alten Mann die Faust genau ins Gesicht. Gant taumelte zurück und schlug mit dem Kopf hart gegen die Futterkrippe. Von dort sackte er langsam zu Boden und blieb unbeweglich liegen.
„Lass ihn!“, warnte Shatter, als Brand den Hahn seines Revolvers knacken ließ.
„Well, der kann uns sowieso nichts anhängen. Lassen wir ihn liegen. Lege Delaware Fesseln an! Ich nehme sein Pferd, und dann verschwinden wir.“
Es dauerte nicht lange, dann war der besinnungslose Tom Delaware ein zusammengeschnürtes Bündel.
Brand sah hinaus auf die Straße, und als ihm Monti ein Zeichen machte, dass die Luft rein war, zerrte der Sheriff das Pferd aus dem Mietstall.
Über die von Unkraut überwucherten Hinterfronten der Stadt brachten die drei Sternträger den Gefangenen zum Hintereingang des Jails, wo ihre Pferde standen.
Wenig später befanden sie sich auf dem Ritt in die Berge. Sie ritten bis zum Einbruch der Abenddämmerung, ehe Brand einen günstigen Platz ausfindig machte, wo sie Tom Delaware abladen konnten.
Steif stiegen die drei Sternträger von ihren Pferden. Shatter löste Toms Sattelgurt und ließ den Gefesselten einfach in den Sand fallen.
„So“, sagte Dean Brand heiser, nahm seinen Colt lässig zur Hand und baute sich breitbeinig über Tom Delaware auf. Der war längst wieder zu sich gekommen. Er wusste, dass er kaum eine Chance besaß, die Berge wieder lebend zu verlassen.
Ganz in der Nähe murmelte ein Bergbach, von dem er gern ein paar Schluck Wasser getrunken hätte, denn seine Zunge klebte ihm schon am Gaumen fest.
Als jetzt der Sheriff mit der Waffe herantrat und lächelnd auf ihn herunterblickte, wusste Tom, dass er am Ende seines Weges angekommen war.
Gefesselt gab es keine Möglichkeit für ihn, der Kugel auszuweichen. Dennoch sah er ruhig zu Brand auf.
„Und so was trägt einen Stern“, sagte er verächtlich. „Sie sind ein Coyote, Mister.“
Brand lachte nur höhnisch auf, aber da trat Shatter heran und berührte die Schulter des Sheriffs.
„Lass das, Brand! Okay, wir sind Warners Leute und führen fast alle seine Befehle aus, aber seine Morde soll er selbst vornehmen. Ich bin sicher, Delaware hat seine Lektion gelernt und begriffen, dass er uns nicht noch einmal in die Quere kommen darf. Er wird so schnell nicht wieder nach Silver Rock zurückkommen.“
Zuerst wollte Brand wütend auffahren, aber dann leckte er sich nachdenklich mit der Zunge über die spröden Lippen und sah aus zusammengekniffenen Lidern auf Tom Delaware hinab.
Er überlegte, ob es nicht besser war für alle, wenn diesen Cowboy die Geier holten. Hatte er nicht schon zu viel gesehen? War er überhaupt ein Satteltramp, oder wurde er nicht von irgend jemandem bezahlt?
Kurz entschlossen bückte sich der Sheriff und begann in Toms Taschen zu wühlen. Er brachte nicht viel zutage. Ein paar Krumen Tabak, einen Bleistiftstummel und weiteres wertloses Zeug. Ein Telegramm – oder überhaupt einen Hinweis darauf – dass dieser Mann von jemandem bezahlt wurde, fand Brand nicht.
„In Ordnung“, brummte er. „Lassen wir ihn hier liegen. Sollte er es überhaupt wieder schaffen, hier herauszukommen – ohne Pferd kommt er jedenfalls nie nach Silver Rock zurück.“
Der Sheriff wandte sich ab, Monti und Shatter folgten ihm. Toms Braunen nahmen sie mit, um, wie sie sagten, es irgendwo laufen zu lassen.
Tom hörte das Hufgetrappel noch eine ganze Zeit, ehe es sich im Plätschern des Bergbaches verlor und dann vollends verstummte.
Tom begriff für lange Zeit nicht, dass er noch lebte. Die Dunkelheit kroch schnell heran und hüllte die ganze Umgebung ein. Die ersten Geräusche der Nacht wurden laut. Tiere der Berge meldeten sich, in weiter Ferne schrie ein Puma.
Tom hatte nie Angst gehabt vor der Wildnis, weil er selbst viele Nächte darin verbrachte.
Aber noch nie hatte er Nächte in gefesseltem Zustand verbringen müssen. Das machte seine Lage so schwierig. Er wusste nicht mal, ob es ihm überhaupt jemals gelang, die Fesseln abzustreifen. Und dann war es noch eine Frage, ob er ohne Pferd jemals wieder eine menschliche Ansiedlung erreichte.
Zuerst begann Tom Delaware laut zu fluchen. Er verwünschte diesen Shane Warner und dessen ganze Brut im Allgemeinen und diesen sauberen Sternträger Brand im Besonderen. Wütend zerrte er an den Fesseln, nur um die Feststellung zu machen, dass sie immer tiefer in die Haut schnitten.
Schließlich gab Tom Delaware erschöpft auf. Der Schweiß rann in Bächen von seinem Körper, und der Staub legte sich schwer auf die Lunge.
Keuchend blieb Tom liegen und wünschte, Brand hätte ihn erschossen. Vor Erschöpfung schlief der Cowboy ein.
Bull Carr machte sich an diesem Abend zunächst mit der Stadt vertraut.
Überall, wo ihm Einwohner von Silver Rock begegneten, wich man dem großen, hageren Mann in schwarzer Kleidung aus. Jeder, der in sein kalkweißes Gesicht sah, erschrak über den kalten Glanz in diesen Augen.
Bull Carr bewegte sich lautlos wie eine Katze durch die Straßen der Stadt. Nur die Main Street war von Rochesterlampen einigermaßen ausgeleuchtet, die anderen Straßen lagen im tiefen Dunkel. Aber Carr schien auch sehen zu können wie eine Katze.
Er durchstreifte die Hinterhöfe und prägte sich die Örtlichkeiten ein, vergewisserte sich genau über Fluchtmöglichkeiten. Man konnte nie wissen, wie sich die Dinge entwickelten.
Erst kurz vor Mitternacht kehrte Bull Carr in den Saloon zurück. Bei seinem Eintritt stockten die Gespräche, und als sie wieder aufgenommen wurden, flüsterte man nur noch.
Carr trat an die Theke und ließ sich einen Whisky geben. Niemand traute sich an ihn heran, um ein Gespräch zu beginnen.
Der „Golden Nugget“ war bis auf den letzten Platz gefüllt. Bull Carrs Anwesenheit und der Vorfall vom Mittag hatten auch einige Cowboys aus der Umgebung angelockt. Sie wollten alle diesen Mann sehen, von dem man sagte, er sehe aus wie ein Gespenst. Auf den ersten Blick konnten die Leute erkennen, dass sie einen Schießer vor sich hatten. Selten kam jemand nach Silver Rock, der seine Colts am Kreuzgurt so tief geschnallt trug wie Bull Carr.
Shane Warner ließ sich nicht blicken. Wahrscheinlich wollte er sich im Hintergrund halten, wenn Bull Carr sich mit Ben Forton anlegte.
Doch Carr war ein vorsichtiger Mann. Wenn er es umgehen konnte, dann bestimmte er den Zeitpunkt einer Auseinandersetzung. Er wollte sich auch einen Überblick verschaffen, wen er alles zum Gegner bekommen würde, wenn er Forton ausschaltete.
Er blieb an der Theke stehen, sah gelangweilt aus, aber in Wirklichkeit achtete er auf die Gesprächsthemen der Einwohner von Silver Rock.
Wie er feststellen konnte, befanden sich nur Freunde von Shane Warner im Saloon oder solche Männer, die weder die eine noch die andere Partei ergriffen.
Hier konnte Carr nicht viel Neues erfahren.
„Gibt es in dieser Stadt noch einen Saloon?“, fragte er den Keeper.
Sofort herrschte Stille hinter ihm. Alle Blicke richteten sich auf den Sprecher.
Dem Keeper perlte plötzlich der Schweiß auf der Stirn. Er schielte vorsichtig zur Treppe hinauf, ob Shane Warner auch nicht zuhören könnte. Denn es war ein ungeschriebenes Gesetz in Silver Rock, dass die Gegner Warners in den „Silver Dollar Saloon“ gingen. Nur durfte dieser Saloon hier nicht erwähnt werden.
Dass ausgerechnet Bull Carr sich nach dem „Silver Dollar“ erkundigte, ließ die Männer aufhorchen.
„Na, was ist?“, zischte Bull Carr gefährlich leise. „Können Sie nicht reden, Mister? Ich habe gefragt, ob …“
„Doch, Sir“, meinte der Keeper und schielte noch einmal ängstlich nach oben. „In der South Street liegt der Silver Dollar. Aber ich würde Ihnen nicht raten, dort hinzu …“
„Schreiben Sie den Drink auf Warners Rechnung“, unterbrach ihn Carr gelangweilt, drehte sich um und steuerte auf die Schwingtüren zu.
„Nur Coyoten gehen in den Silver Dollar“, sagte da eine Stimme in die klirrenden Sporen des Revolvermannes hinein.