Achtsamkeit für Gefühle - Michael Seibt - E-Book

Achtsamkeit für Gefühle E-Book

Michael Seibt

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Beschreibung

Was machen Menschen anders, die ohne Stress, Burnout und Erschöpfung leben? Sie setzen auf Achtsamkeit für Gefühle, Meditation und inneres Erforschen. Die damit verbundenen Haltungen fördern die Lebensqualität und ein Gefühl von unbedingtem Glück, das nicht an die Umstände gebunden ist. Das Buch wendet sich an Leserinnen und Leser, denen ein guter Zugang zu ihren Gefühlen wichtig ist. Der Autor lädt dazu ein, etwas für sich selbst zu tun und von externer Hilfe unabhängiger zu werden. Das Buch enthält alltagsnahe Übungen, die eine Kultur der bewussten Begegnung und des achtsamen Zuhörens fördern.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 317

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Michael Seibt

Achtsamkeit für Gefühle

Mit Meditation und innerem ErforschenStress abbauen, das innere Team führen und im Einklang leben

© 2021 Michael Seibt

Verlag und Druck:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback: 978-3-347-20097-5

Hardcover: 978-3-347-20098-2

E-Book: 978-3-347-20099-9

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

„Was ist darf sein und was sein darf, kann sichverändern.“

Werner Bock

“Den Menschen erregen nicht die Dingeselbst, sondern seine Sicht der Dinge.”

Epiktet

“Was hülfe es dem Menschen, wenn er dieganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele?”

Jesus

“Wach auf, der du schläfst!”

Paulus

“Komm! Ins Offene, Freund!”

Hölderlin

INHALT

Was dich hier erwartet

Einleitung: Mein Weg zu diesem Buch

Links und Ressourcen

Kapitel 1: Schon wieder passiert mir das!

Kapitel 2: Der Körper als Bühne für Gefühle

Kapitel 3: Du bist mehr als du denkst!

Kapitel 4: In Beziehungen wachsen

Kapitel 5: Essenz und Persönlichkeit

Kapitel 6: Der Unterschied zwischen Erklären und Erforschen

Kapitel 7: Die drei Ebenen der Realität

Kapitel 8: Verschiedene Formen der Achtsamkeit

Kapitel 9: Stufen des Zulassens

Kapitel 10: Im Garten der Seele

Kapitel 11: Primäres und sekundäres Erleben

Kapitel 12: Wie funktioniert Identifikation?

Kapitel 13: Das Drei-Schichten-Modell der Persönlichkeit

Kapitel 14: Das innere Team in Aktion

Kapitel 15: Wer bin ich?

Kapitel 16: Erste Hilfe in seelischer Not

Kapitel 17: Meditationen

Einladung zum Gespräch

Danksagung

Linkliste

Literaturhinweise

Über den Autor

Copyright

Was dich hier erwartet

Zunächst: ich habe mich dafür entschieden, dich als Leserin und Leser mit “du” anzusprechen. Es geht in diesem Buch um Gefühle und deinen Umgang damit. Mit dem “du” möchte ich dich deshalb persönlich ansprechen und dir freundschaftlich auf Augenhöhe begegnen, soweit das im Rahmen eines Buches möglich ist.

Für wen habe ich dieses Buch geschrieben? Ich denke an Leserinnen und Leser, die sich Fragen wie diese stellen:

- Wie kann ich mich selbst tiefer verstehen?

- Wie kann ich eine Krise oder einen Umbruch in meinem beruflichen oder persönlichen Leben bewältigen?

- Wie kann ich meine Gefühle fühlen und darüber sprechen?

- Wie kann ich Zugang finden zu mir, wie ich wirklich bin?

- Und wer ist überhaupt “ich”, wenn ich so frage?

Ich wende mich mit diesem Buch besonders an Menschen, denen irgendwie die Lebensfreude abhandengekommen ist. Vielleicht hast du den Eindruck, dass gerade einiges schief läuft in deinem Leben. Vielleicht erlebst du dich als überfordert, gestresst, depressiv. Oder du möchtest einfach nur vorbeugend etwas für deine seelische Gesundheit tun. Auch wenn du richtig tief in der Krise steckst oder sogar krank geworden bist, könnte dieses Buch für dich hilfreich werden.

Ich wende mich auch an Menschen, die andere bei ihren seelischen Prozessen begleiten möchten, sei es, weil es zu ihrem Beruf gehört oder sei es, weil sie es ehrenamtlich oder einfach so machen.

Du bist hier also richtig, wenn du nach Antworten suchst auf tiefere, existentielle Fragen. Ich schreibe aus einer spirituellen Perspektive auf unser Menschsein. Damit meine ich: Vielleicht bist du ja mehr, als du über dich zu denken wagst?

Mein Buch lädt dich auf eine Erkundungsreise nach innen ein. Im Alltag sind wir meistens sehr nach außen orientiert. Ich möchte dich einladen, deine Aufmerksamkeit auf deine innere Welt zu lenken. Diese stelle ich mir wie eine Landschaft vor. Du wirst wahrscheinlich nur einen kleinen Teil davon kennen. Dann wartet das meiste noch darauf, von dir erkundet zu werden.

Ins Reisegepäck möchte ich dir mit diesem Buch zwei Werkzeuge oder Methoden geben, die aus meiner Sicht besonders hilfreich sind, um auf deinem Weg weiterzukommen, nämlich:

• Meditation und

• Inneres Erforschen

Was ich darunter verstehe, wird im Verlauf des Buches hoffentlich deutlich.

Wie bei jeder Reise, weißt du vorher nie genau, was geschehen wird und ob du wirklich dort ankommst, wo du hinwolltest. Vielleicht landest du ganz woanders. Deshalb brauchst du für diese Erkundungsreise in die innere Welt Neugier, Freude am Entdecken und die Bereitschaft, dich überraschen zu lassen.

Auf anspruchsvollen Reisen macht es Sinn, sich einem Reisebegleiter anzuvertrauen, der sich im Gelände auskennt. Mein Buch verstehe ich als Angebot zur Reisebegleitung für dich. Sicher wirst du wissen wollen, was mich dazu qualifiziert und wer ich bin. Wenn du mehr über mich und meinen eigenen inneren Weg erfahren möchtest, empfehle ich dir, die folgende Einleitung zu lesen.

Um dir die Orientierung zu erleichtern, findest du von mir selbst angefertigte, einfache Illustrationen. Mit einem Augenzwinkern wollen dich die Zeichnungen einladen, deine eigenen inneren Familienmitglieder zu entdecken, sie dir vorzustellen und mit ihnen in Kontakt zu treten.

Letztlich wollen meine Worte und Zeichnungen nichts anderes sein als ein Fingerzeig zu deiner eigenen inneren Quelle. Wenn dir dieses Buch hilft, daraus zu leben, hat sich erfüllt, wozu ich es geschrieben habe.

Einleitung:Mein Weg zu diesem Buch

Auf einen Blick:

Um die 50 kam die Wende

Wie mich Meditation und inneres Erforschen unterstützen

Eine Predigt wird in 80 Leserbriefen diskutiert

Was ist los in unserer Welt?

Flucht ins Eigene

Wer bin ich?

Identitäten als Zeitgeister

Die Seele als Landschaft

Komm! Ins Offene!

Wie du mit diesem Buch umgehen kannst

Ich stehe am Ende meines aktiven Berufswegs als Pfarrer. Demnächst trete ich in den sogenannten Ruhestand. Das ist ein guter Moment, um innezuhalten und zu sichten, was mich prägte und bewegte. Außerdem möchte ich mit diesem Buch weitergeben, was mir in über 35 Berufsjahren bei der Begleitung von Menschen wichtig und wesentlich geworden ist und es mit dir teilen.

Ich habe viele Jahre meines Lebens verbracht, ohne meine Gefühle wirklich wahrzunehmen. Ich ließ mich mehr oder weniger von außen bestimmen und tat, was man eben tut, um den Erwartungen anderer zu entsprechen und einigermaßen konfliktfrei durchzukommen. Ich versuchte, um des “lieben Friedens willen” den eigentlich fälligen Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu gehen. Dafür zahlte ich einen hohen Preis: Ich blendete meine Gefühle aus und verlor meine Lebensfreude.

Um die 50 kam die Wende

Ich war bereits 50 Jahre alt, als ich merkte, dass es so nicht weiterging. Meine unbekannten Gefühle meldeten sich so stark, dass ich ihnen endlich zuhören musste.

Ich begann, meine Aufmerksamkeit nach innen zu lenken. Dabei half mir die Teilnahme an einem Kurs, der in die Haltung und Praxis von Achtsamkeit und Meditation einführte.1 Das Kursprogramm geht auf Dr. Jon Kabat-Zinn2 zurück. Er hat es Ende der 1970er Jahre entwickelt. Er wollte seinen Patienten seine eigenen heilsamen Erfahrungen mit Meditation und Achtsamkeit zur Verfügung stellen.

In diesem Kurs lernte ich, eine neue Haltung gegenüber meiner inneren Welt einzunehmen. Ich erlaubte meinen Gefühlen, sich zu zeigen. Ich hielt inne und begann damit, täglich zu meditieren.

Zum ersten Mal wurde mir der innere Aufruhr in meiner Seele bewusst. Ich fühlte meinen Ärger, der sich manchmal zur Wut steigerte.

Dann wieder schlug das Pendel in die andere Richtung und ich fühlte eine große Traurigkeit. Ich hatte noch wenig Erfahrung im Umgang mit solchen Gefühlen und tat Dinge, die ich heute nicht mehr tun würde. Ich beschwerte mich und beklagte mein Schicksal. Besser wurde dadurch nichts.

Den Beruf des Pfarrers bezeichnet man auch als “Seelsorger”. Aber offen gesagt: Ich hatte im akademischen Studium nicht gelernt, mit der eigenen inneren Welt umzugehen. Ich sammelte viel durchaus nützliches Wissen über das historische Gottesbild und die Welt. Doch kannte ich mich selbst kaum. Deshalb konnte ich andere Menschen auch nicht dabei begleiten, mit ihrer seelischen Innenwelt umzugehen.

Ich war unzufrieden damit, wie ich lebte und arbeitete. Es fühlte sich irgendwie fremd an. Lange Zeit änderte sich daran nichts, bis schließlich der Punkt kam, an dem der Knoten platzte. Das geschah, als ich meine Gefühle allmählich kennenlernte und ernst nahm.

Bei der täglichen Meditation und während meiner Teilnahme an Schweige-Retreats übte ich mich darin, es bei und mit mir selbst auszuhalten. Das war ganz schön schwierig. Denn ich war gewohnt, von mir wegzulaufen und mich auf kluge Gedanken zu konzentrieren. “Rationalisieren” - das war die Strategie, die ich unbewusst verfolgte. Im Kopf wusste ich, was Sache ist. Doch der Zugang zu meinem eigenen Körper, zu den Gefühlen und zur seelischen Innenwelt war mir verschlossen.

Allmählich änderte sich das innere Klima in meiner Seele. Dafür tat ich eigentlich gar nichts. Ich kapitulierte einfach und gab meine Anstrengungen auf. Ich saß einfach nur da und übte mich im Spüren, Fühlen, Atmen und Beobachten. Ich war gewohnt, immer nützlich und tätig zu sein. Es war sehr herausfordernd, mich selbst und meine Erfahrungen in Ruhe zu lassen und überhaupt erst zu bemerken, was in mir vorging.

Das entfaltete eine heilsame Wirkung. Mehr und mehr breitete sich eine offene, annehmende Grundhaltung in mir aus. Meine Gefühle waren keine Gegner mehr. Ich lernte sie kennen und schätzen. Sie wurden mir zu “inneren Familienmitgliedern”, die alle gebraucht wurden und etwas zum Ganzen beizutragen hatten. Ich schaute ihnen interessiert und neugierig zu und lernte, sie zu erforschen und zu befragen.

So wuchsen die Mitglieder meiner inneren Familie allmählich zu einem Team zusammen. In diesem inneren Team hatten alle ihre Rolle und ihre Aufgabe. Die Wertschätzung für jedes Mitglied meiner inneren Familie dankten sie mir, indem sie sich nicht mehr so extrem verhielten wie bisher. Sie mussten nicht mehr um Aufmerksamkeit bei mir kämpfen. Die bekamen sie jetzt.

Dadurch konnten sie sich offenbar entspannen. Das erlebte ich als innere Ruhe und seelische Harmonie. Zwar verschwanden die “schwierigen” Familienmitglieder wie Ärger, Wut und Traurigkeit keineswegs. Dafür geschah etwas ganz Anderes: Sie wurden mir zu Verbündeten und halfen mir, bewusst und authentisch zu leben. Ich lernte Seiten von mir kennen, die mir bis dahin verschlossen waren.

Wie mich Meditation und inneres Erforschen unterstützen

Beim Sitzen in Stille während der Meditation schenke ich meiner inneren Welt Aufmerksamkeit. Gedanken und Gefühle werden mir bewusst. Es öffnet sich ein weiter Raum von grenzenloser Offenheit und unbedingtem Angenommen-Sein.

In diesem Raum darf sich alles zeigen, was sich zeigen möchte. Je mehr sich der innere Raum in mir weitet, desto mehr bekomme ich mit von meiner inneren Welt. Ich habe Meditation bei verschiedenen Lehrerinnen und Lehrern gelernt und hatte das Glück, dass sie alle Meditation nicht als Mittel zum Zweck verstehen. Bei ihnen geht es nicht darum, sich selbst zu optimieren und etwas Bestimmtes zu erreichen. Auch der Abbau von Stress war aus ihrer Sicht eher ein Nebeneffekt.

Kurz: Ich lerne immer wieder neu, mit allem, was sich zeigt, ganz da zu sein: Schmerz, Wut, Traurigkeit, Angst, schlechte Stimmung, gute Stimmung. Die Praxis führte mich tiefer hinein in die Landschaft der Seele mit ihren verschiedenen Persönlichkeitsanteilen und inneren Akteuren.

Dann ging die Reise weiter. Es kam eine zweite Praxis hinzu: inneres Erforschen. Dabei wende ich mich der gegenwärtigen Erfahrung zu. Die Grundhaltung ist davon geprägt, alles, was sich zeigt, mit einem offenen Herzen wahrzunehmen und es zu erkunden.

Meditation und inneres Erforschen erweisen sich als große Hilfe, mich immer umfassender und tiefer auf mein Menschsein einzulassen. Persönliche Entwicklung bedeutet für mich nicht mehr, dort anzukommen, wo ich mich sehen will. Es geht letztlich darum, mich sein zu lassen. Ich kann dem lebendigen Prozess meiner Seele vertrauen.

Eine Predigt wird in 80 Leserbriefen diskutiert

Das hat auch die Art verändert, wie ich meinen Beruf ausübe. Als Pfarrer gehört es zu meinen Aufgaben, Gottesdienste zu halten. Das war lange Jahre eine ziemlich mühsame Angelegenheit für mich. Ich hatte oft das Gefühl, dass die Kommunikation zwischen mir da vorne und da oben auf der Kanzel und den Menschen in den Bankreihen nicht richtig klappt.

An diesem Setting änderte sich zwar nichts, aber es änderte sich meine Art, damit umzugehen. Heute rede ich nicht mehr “über” Gott und die Welt. Meine Worte kommen jetzt aus einem inneren Raum, in dem alles angenommen ist. Die Bibelstellen, auf die ich noch gerne Bezug nehme, sprechen ebenfalls aus diesem inneren Raum heraus.

Andere hingegen wirken eher verschlossen und ablehnend auf mich. Heute traue ich mich, das dann auch auszusprechen. Jetzt sind Gottesdienste für mich keine langweilige Veranstaltung mehr. Prompt lösen sie auch bei anderen etwas aus. Nach einem Weihnachtsgottesdienst entwickelte sich zum Beispiel eine lebhafte Diskussion in den Leserbriefspalten der örtlichen Tageszeitung mit über 80 Leserzuschriften.

Der Grund war, dass ich sagte, das Bild von der Jungfrau Maria stehe für eine innere Empfänglichkeit, nicht für eine biologische Tatsache. Das reichte, um einige Christen zum öffentlichen Widerspruch herauszufordern. Die Diskussion war mir erst peinlich. Dann dachte ich: Es kann eigentlich nichts Besseres passieren als das. Wenn eine Predigt Gespräch und Begegnung auslöst, dann war sie wohl in einem tieferen Sinn angemessen.

Aus meiner Perspektive geschah da etwas für mich sehr Bedeutsames: Hinter der beruflichen Rolle des Pfarrers leuchtete mein Menschsein wieder auf. Ich versteckte mich nicht mehr hinter meinem Amt. Auch in der Begleitung von Menschen erlebte ich mich zunehmend als Seelsorger. Das lag daran, dass die Leute mich auf einmal aufsuchten. Vorher war ich halt Pfarrer. Jetzt war da mehr.

Das wollte ich dann auch noch einmal “richtig” lernen und bildete mich weiter zum MBSR-Lehrer3 und zum Supervisor und Coach DGSv4. In den letzten Jahren reduzierte ich meine Tätigkeit bei der Kirche und begann, freiberuflich zu arbeiten. Die konfessionelle Bindung, die zur Arbeit der Kirche gehört, erlebte ich zunehmend als einschränkend. Diese lasse ich jetzt hinter mir.

Das alles hat sich entwickelt, seit sich mein Zugang zu den Gefühlen verbessert hat. Ich weiß jetzt nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Körper und „von ganzer Seele“5, was mir wichtig ist und worauf es in meinem Leben und Arbeiten ankommt. Der Preis für diese Veränderungen erschien mir lange Zeit zu hoch. Denn ich musste auch schmerzhafte Entscheidungen treffen und Konflikte durchstehen, sobald ich auf meine Gefühle hörte.

Was ist los in unserer Welt?

Manchmal weiß ich nicht, wie ich mir die Welt erklären soll. Überall sehe ich äußere und innere Symptome einer schweren Krise, in die unsere Art zu leben geraten ist:

Der September 2020 in dem ich diese Zeilen schreibe, war wieder einmal viel zu trocken und zu warm. Fichten und Buchen strecken ihre vertrockneten Äste in den blauen Himmel. In Kalifornien brennen die Wälder lichterloh. Das Eis der Arktis schmilzt. Europa zankt sich um Flüchtlinge, die auf den griechischen Inseln gestrandet sind. Der Brexit in seiner vermutlich “harten” Version steht bevor. Der amerikanische Präsident huldigt mit seinem Programm “America first” dem nationalen Alleingang und spaltet die Bevölkerung in seinem Land. Autokratische Machthaber setzen sich mit Gewalt durch, auch gegen eine protestierende Bevölkerung wie in Weißrussland. In der politischen Debatte tobt ein Kampf um die Deutungshoheit, der auch vor Lügen und sogenannten Fake News nicht zurückschreckt. Verschwörungstheorien teilen die Menschen in Freunde und Feinde ein. Die Corona-Pandemie zwingt zu schmerzhaften Einschränkungen. Manche sehen ihre Grundrechte dadurch bedroht. Tiere werden massenhaft gemästet, geschlachtet und verwertet.

Geist und Bewusstsein haben sich anscheinend zurückgezogen und machen einem zunehmend aufgeregten Chaos Platz. Die Liste bedenklicher äußerer und innerer Entwicklungen ist längst nicht vollständig. Doch ich halte inne. Die Publizistin Ariadne von Schirach spricht von einer „psychotischen Gesellschaft”, in der wir leben.6 Mir scheint, damit trifft sie den Punkt.

Was geht eigentlich in mir vor, während ich das schreibe? Das alles fühlt sich sehr unbehaglich an. In mir breitet sich eine merkwürdige Mischung aus Gefühlen der Dringlichkeit, der Angst, der Sorge und der Ohnmacht aus.

Flucht ins Eigene

Viele Menschen scheinen sich angesichts der zahlreichen Krisen in ihre je eigene Identität zu flüchten. Die eigene Nation, Religion oder Weltanschauung soll vor der Unbill der Welt und ihren Zumutungen schützen. Viele hoffen, dort verlorene Sicherheit und neuen Halt zu finden. Sie suchen nach Abgrenzung und wollen so das Eigene stärken.

Diese Welt verschlägt mir manchmal den Atem. Ich komme gar nicht mehr hinterher mit dem Mitdenken und Mitfühlen. Innere und äußere Umbrüche folgen immer schneller aufeinander. Es scheint keine Zeit zum Innehalten zu geben. Der Verlust von alten Gewissheiten und Zusammenhalt zeigt an, dass wir lange Zeit verdrängt haben, was jetzt schonungslos ans Tageslicht kommt. Es melden sich die geplünderte Natur, entfremdete Gefühle und unsere erschöpften Körper und Seelen.

Wer bin ich?

In dieser Situation stellen sich grundsätzliche Fragen danach, wer ich bin und wie ich gut mit allem und allen zusammenleben kann. Für mich ist das Grund genug, meiner inneren Welt Aufmerksamkeit zu schenken. Damit meine ich keine Flucht in eine kuschelige Innerlichkeit. Ich spreche von einer bewussten Hinwendung zu dem, was ich gerade erlebe. Das bezeichne ich als “Achtsamkeit für Gefühle”.

Denn eines scheint mir klar: Die äußere Welt spiegelt die innere und umgekehrt. Was wir Menschen äußerlich tun, zeigt unseren inneren Zustand. Was außen in der Welt geschieht, wirkt zurück auf unsere innere Welt.

Wonach suche “ich” eigentlich? Und wer ist es, der sucht? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Dieses Nicht-Wissen fühlt sich zwar nicht besonders komfortabel an, scheint mir aber angemessen zu sein und zwar aus einem ganz pragmatischen Grund:

Wenn es dieses “Ich” so nicht gibt, wie ich mir das normalerweise vorstelle, dann gibt es da auch niemanden, der sein Erleben verteidigen oder rechtfertigen muss. Es gibt auch niemanden, der auf seiner Identität bestehen muss. Das hat den Vorteil, dass sich die innere Welt unvoreingenommen und neugierig erkunden lässt. Alles taucht in einem offen und weiten Bewusstseinsraum auf. Es entsteht und vergeht. Ständig, in jedem Augenblick. Wer sollte “ich” denn sein, wenn nicht dieses Fließen selbst? Wie sollte daraus etwas Festes, Klares und Abgegrenztes namens “Ich” entstehen?

Meine christliche Identität ist mir im Lauf des Lebens zugewachsen durch Prägung und Sozialisation. Lange bildete sie die Grundlage meines Selbstverständnisses. Im Lauf meiner beruflichen Arbeit ist mir das herkömmliche Verständnis des Christlichen immer fraglicher geworden.

Heute steht diese Identität nicht mehr im Zentrum meines Bewusstseins. Sie ist, wenn man so will, eines meiner inneren Familienmitglieder geworden. Da gibt es die Stimme der christlichen Prägung in mir, aber ich “bin” diese Stimme nicht. In diesem Buch kommt diese Stimme zu Wort, wenn ich den Eindruck habe, dass sie zum Verständnis beiträgt. Aber ich bin nicht “Christ”. Was ich wirklich bin, entzieht sich solchen Beschreibungen.

Die Zerbrechlichkeit von Identitäten und Selbstbildern ist genau das, was gerade viele Menschen erleben. Sie fühlen sich dadurch verunsichert und bedroht. Aber das verstärkte Pochen und Bestehen auf einer bestimmten Vorstellung von sich selbst und der Welt ist nicht die Lösung, sondern das Problem. Es spaltet und trennt.

Meiner Erfahrung nach hilft es, die Vorstellungen als das zu nehmen, was sie sind: Ereignisse im offenen Raum des Bewusstseins. Sie tauchen auf und vergehen wieder. Wenn du versuchst, sie festzuhalten, werden sie starr und zwingen dich, dein lebendig fließendes Leben zu kanalisieren. Du fixierst dich auf das Bild, verteidigst es und nimmst das Fließen der Wirklichkeit nicht mehr wahr. Die spirituelle Tradition sagt dazu: “Mach dir kein Bild” - weder von Gott, noch von dir selbst, noch von anderen.7

Identitäten als Zeitgeister

Mein Leben hat mir zugemutet, mich mehrmals zu wandeln. Erst war ich evangelikaler Christ, dann war ich aufgeklärter und liberaler Christ, schließlich ein politisch engagierter Christ. Ich habe sozusagen in meinem eigenen Weg verschiedene Bewusstseinsebenen durchlaufen.

Der evangelikale Christ in mir glaubte an die Bibel und ihre Mythen und hielt alles für wahr, was geschrieben steht.

Der aufgeklärte und liberale Christ in mir ließ sich von den Errungenschaften der wissenschaftlichen Bibelauslegung begeistern und hielt jeglichen Fundamentalismus für borniert. Entsprechend heftig grenzte ich mich dann auch von meiner eigenen Vergangenheit ab.

Der politische Christ in mir setzte sich für das Gute in der Welt ein, genauer: Für das, was er als gut und richtig zu erkennen meinte. Ihm genügte der vernünftige Rationalismus in der Welt der Universität und ihrer akademischen Theologie nicht mehr. Er wollte die Welt zum Besseren verändern.

Heute verstehe ich mich als spirituellen Menschen, der in solchen Identitäten keine Heimat mehr findet. Ich kann sie alle nachvollziehen und muss sie nicht bekämpfen. Sie haben ihr Recht. Aber mein Bewusstsein bewegt sich heute “oberhalb” solcher Etiketten und Identitäten. Ich schaue von dort auf sie und mir reicht keine mehr aus, um dieses Leben zu verstehen.

Von oberhalb oder außerhalb dieser Identitäten habe auch ich manchmal das Gefühl, dass nichts mehr so ist, wie ich einmal dachte, dass es sei oder sein sollte. Das fühlt sich sehr luftig an und mir wird manchmal schwindelig dabei. Ich bemerke, dass meine bisherigen Identitäten letztlich alle aus solchen Gedanken bestehen. In der Wirklichkeit gibt es nichts, was mein Denken über die Wirklichkeit behauptet.

Meine vielen Identitäten wechseln offenbar je nach der Lebensphase und der gesellschaftlichen Realität, in der ich mich bewege. Das nennt man auch “Zeitgeist.” Im Grunde gibt es nicht nur einen Zeitgeist.

Da sind mehrere “Zeitgeister”, die sich nicht besonders mögen. Es setzt sich jeweils der Zeitgeist durch, der die besseren Antworten auf die Situation zu geben scheint. Heute habe ich den klaren Eindruck, mich in einem Bewusstseinsraum zu bewegen, der die Bedingtheit aller dieser Identitäten und Geister der Zeit erkennen kann.

Meine Wandlungen zeigen mir, dass ich nie der war, für den ich mich hielt. Das waren nur vorübergehende Bewusstseinszustände, Teilaspekte der einen Wirklichkeit.

Heute kann ich beobachten, wie meine innere Welt ständig in Bewegung ist. Die seelischen Prozesse sind wie ein Fluss. Ich kann nicht wissen, was als Nächstes geschehen wird. Der Verstand hätte gerne Klarheit und möchte wissen, woher ein Gefühl kommt, wohin es führt und was er tun kann, um es so zu verändern wie er sich das vorstellt.

Doch Gefühle brauchen Zeit, um sich ungestört von vernünftigen Argumenten zu entfalten. Ich möchte dich mit diesem Buch einladen, deinen Gefühlen die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie verdienen.

Damit meine ich zweierlei:

Gefühle wollen gefühlt werden. Dafür gibt es sie. Sie sind kein Problem. Bewertest oder verdrängst du deine Gefühle, schneidest du dich ab von deiner inneren Quelle der Orientierung. Das gilt auch, wenn du dich von deinen Gefühlen überfluten oder beherrschen lässt.

Die innere Welt ist weit umfassender als die Gefühle, die sich darin zeigen. Anders gesagt: Du bist nicht, was du fühlst. Es ist möglich, ganz zu fühlen, ohne dich mit deinen Gefühlen und inneren Familienmitgliedern zu identifizieren.

Auf den ersten Blick scheinen sich diese beiden Punkte zu widersprechen. Wie soll es möglich sein, Gefühle ganz zu fühlen und zugleich ihnen gegenüber frei zu sein?

Wir werden sehen, ob und wie beides zusammengeht. Darum wird es in diesem Buch gehen.

Die Seele als Landschaft

Auf der Erkundungsreise in deine innere Welt, zu der ich dich einlade, verstehe ich “Seele” als eine innere Landschaft mit unterschiedlichen “Teilen” oder “Regionen.” Personalisiert spreche ich auch von “inneren Familienmitgliedern”8 oder vom “inneren Team”.9

Damit meine ich Persönlichkeitsanteile, die alle eine wichtige Rolle in deiner inneren Welt spielen. Sie verhalten sich wie “etwas” in dir, aber du bist mehr als das, was dieser Teil denkt und fühlt. Jedes deiner inneren Familienmitglieder steht für bestimmte Gefühle, Impulse und Verhaltensweisen. Erst der Zusammenklang aller Teammitglieder macht ein gutes Team aus. So ist es innen in der Seele wie außen in jedem Team, in dem Menschen zusammenleben und arbeiten.

Bewusst spreche ich von Teilen und sage zum Beispiel: “Etwas in mir ist wütend” statt mich komplett für wütend zu erklären und zu sagen: “Ich bin wütend.” Kannst du ein Gefühl einem Teil zuordnen, ist es möglich, dieses Gefühl einerseits ganz zu fühlen, es andererseits aber auch zu erforschen und das dahinterstehende Bedürfnis zu verstehen und zu versorgen.

Manche Gefühle unserer inneren Familienmitglieder sind sehr unangenehm. Dazu gehören zum Beispiel Angst, Scham, Eifersucht, Neid, Ekel und Traurigkeit. Viele Menschen neigen dazu, schmerzliche Gefühle zu verdrängen. Sie scheinen beim Funktionieren im Alltag zu stören. Sehr oft hören wir zum Beispiel in der Arbeitswelt, Gefühle sollten dort möglichst keine Rolle spielen und wir sollten “immer schön sachlich” bleiben.

Sind sie lange genug unterdrückt und aufgestaut, brechen die Gefühle dann doch irgendwann durch. Diese emotionalen Ausbrüche können dir selbst und anderen schaden. Das lässt sich vermeiden, wenn du mit Gefühlen jederzeit achtsam umgehst, also bereits im Moment ihres Entstehens. Das erfordert freilich ein hohes Maß an Präsenz und Bewusstheit.

Wo Gefühle auftauchen, ist oft Schmerz oder Leid damit verbunden. Das verleitet dazu, Gefühle ganz ausblenden zu wollen. Dann aber verstopfst du die Quelle deiner Lebendigkeit. Ich schlage dir hier einen anderen Weg vor, nämlich eine interessierte, offene und wohlwollende Haltung gegenüber deinen Gefühlen und inneren Familienmitgliedern einzunehmen.

Komm! Ins Offene!

Dieses Buch ist aus meiner täglichen Arbeit heraus entstanden.

Als Pfarrer, Seelsorger, Kursleiter und Coach begleite ich seit über 35 Jahren einzelne Menschen in Übergängen und kritischen Lebenssituationen. In Gruppen und Seminaren profitieren die Teilnehmenden auch von den Erfahrungen und vom Austausch mit anderen. Ich habe deshalb ein Buch aus der Praxis für die Praxis geschrieben und stelle die wichtigsten Haltungen, Werkzeuge und Übungen zur Verfügung, die sich aus meiner Sicht bewährt haben.

Ich verfolge mit diesem Buch keinen wissenschaftlichen Anspruch, beziehe mich aber auf aktuelle Forschungsergebnisse. Ich will dich möglichst alltagsnah und praktisch dabei unterstützen, mit deiner inneren Welt gut umzugehen und in der äußeren Welt zu tun, was die Situation erfordert.

Und noch etwas ist mir wichtig: Was ich dir hier zur Verfügung stelle, ersetzt keine Therapie. Wenn es dir akut schlecht geht oder wenn du unsicher bist, wende dich bitte an deinen Arzt oder deine Therapeutin. Unabhängig von professioneller Hilfe kannst du aber auch selbst etwas tun für dein seelisches, spirituelles und körperliches Wohlbefinden. Und zwar – nach meiner Überzeugung - paradoxerweise dadurch, dass du dich und dein Erleben in Ruhe lässt und dich der inneren Führung durch deine Seele überlässt.

Ich glaube, ein achtsamer Umgang mit Gefühlen ist umso wichtiger, je mehr uns die Entwicklungen im persönlichen, gesellschaftlichen und politischen Leben emotional herausfordern. Ich möchte gerne dazu beitragen, auf die gegenwärtigen Umwälzungen und rasanten Veränderungen angemessen zu antworten. Dazu ist es wichtig, die eigene innere Welt zu kennen, das Opfergefühl zu beenden, die Wirklichkeit anzuerkennen und das persönliche und gemeinsame Leben zu gestalten. Es ist kein esoterischer Luxus, sich um das innere Erleben zu kümmern. Denn das hat immense Folgen für die Gestaltung unseres äußeren Lebens.

“Komm! Ins Offene, Freund!”10 Mit diesen Worten hat Friedrich Hölderlin seinen Freund Landauer in die offene Weite eingeladen, in das Losgelöst-Sein von aller Enge in einer “bleiernen Zeit”. Das Offene steht auch dir in jedem Augenblick zur Verfügung. Es ist die Essenz deines Lebens, die wahre Natur deines Menschseins. Die ist nie verschwunden. Es kann nur sein, dass du im Moment keinen Zugang dazu hast.

Doch es ist nur ein kleiner Schritt, dich von der Vorstellung zu lösen, ein vom Universum getrenntes “Ich” zu sein. So klein der Schritt auch ist, so groß ist manchmal der innere Widerstand dagegen. Das möchte ich zusammen mit dir erforschen.

Wie du mit diesem Buch umgehen kannst

Die einzelnen Kapitel stehen jeweils für sich. Zu Beginn jeden Kapitels bekommst du „auf einen Blick“ eine Übersicht, worum es geht. Die Abfolge der Kapitel folgt einem roten Faden. Deshalb empfehle ich dir, kein Kapitel auszulassen, bevor du zum nächsten gehst. Und: Lasse dir Zeit. Gefühle sind viel langsamer als das Denken.

Ich möchte mit meinem Buch Anregungen geben für den Umgang mit Gefühlen im Alltag. Deshalb findest du Vorschläge für das innere Erforschen am Ende des jeweiligen Kapitels. Das Erforschen fällt deutlich leichter, wenn du es zu zweit mit einer Person deines Vertrauens durchführst. Deshalb ist dieses Buch auch für diejenigen gedacht, die andere gerne begleiten möchten.

Viele der Übungen, die du in diesem Buch findest, sind kaum alleine durchzuführen. Fühle dich also bitte nicht verpflichtet, die Übungen der Reihe nach abzuarbeiten. Das könnte dich sehr überfordern und frustrieren. Die Schilderung der Übungen hat ihren Zweck bereits erfüllt, wenn sie dich neugierig macht und du Lust bekommst, dich auf solche Prozesse tatsächlich einzulassen.

Am Schluss des Buches in Kapitel 17 findest du außerdem Vorschläge für Meditationen, die du auch als mp3-Audio online in meinem Podcast anhören kannst. Die Meditationspraxis ist die Grundlage für das Erforschen.

Eine Gruppe, die sich der Meditation und dem inneren Erforschen widmet, kann dich bei diesen inneren Prozessen sehr unterstützen. Unter Links und Ressourcen findest du gleich weitere Hinweise. In einer solchen Gruppe kann auch so etwas wie eine „Wachstums-Partnerschaft“ entstehen mit einem Menschen, mit dem du dir das vorstellen kannst. Voraussetzung wäre, dass ihr beide Interesse an dieser inneren Arbeit habt.

Ich unterstützte solche Gruppen und Wachstums-Partnerschaften sehr gerne. Eine große räumliche Entfernung braucht dabei kein Hindernis zu sein. Die Kommunikation klappt auch übers Telefon oder über eine Internet-Plattform. Am Ende des Buches findest du eine Einladung zum Gespräch. Ich freue mich, von dir zu hören.

1 Das war ein Acht-Wochen-MBSR-Kurs, Stressbewältigung durch Achtsamkeit

2 Jon Kabat-Zinn: Gesund durch Meditation

3 MBSR steht für Mindfulness Based Stress Reduction, Stressbewältigung durch Achtsamkeit, www.mbsr-verband.de

4 DGSv steht für “Deutsche Gesellschaft für Supervision und Coaching, www.dgsv.de

5 Markus 12,30

6 Ariadne von Schirach: Die psychotische Gesellschaft. Wie wir Angst und Ohnmacht überwinden, Cotta’sche Buchhandlung 2019

7 2. Mose 20,4.

8 Richard C. Schwartz; Das System der inneren Familie. Ein Weg zu mehr Selbstführung, 2008. Schwartz bezieht die spirituelle Sicht auf den Menschen ein. Er spricht vom Selbst als einem inneren Ort der Klarheit und der Stille, von dem aus die Selbstführung möglich wird.

9 Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden, Band 3 Das innere Team und situationsgerechte Kommunikation, rororo, Hamburg 1998

10 Friedrich Hölderlin: Der Gang aufs Land. An Landauer.

LINKS UND RESSOURCEN

Willst du erst hören bevor du liest? Dann dürfte das hier richtig für dich sein:

Online-Vortrag „Meine innere Welt verstehen“

Der Vortrag führt in das Thema dieses Buches ein. Nimm dir 35 Minuten Zeit und erfahre in meinem Vortrag:

✓ wie du Zugang zu deinen Gefühlen findest

✓ wie du gut mit dir selbst und den inneren Familienmitgliedern der Seele umgehst

✓ wie du den Dialog deiner Persönlichkeitsanteile moderierst

✓ wie du auf achtsame und wertschätzende Weise alle inneren Kräfte in dir anerkennst

✓ wie du eine Therapie selbst unterstützen und möglicherweise sogar darauf verzichten kannst

Trage dich hier für die Teilnahme an meinem Online-Vortrag ein und sei dabei: https://bit.ly/2IYvNBL

Oder halte die Foto-App deines Smartphones über den QR-Code und du gelangst direkt zu meinem Online-Vortrag.

Einführungsseminar „Meine innere Welt verstehen“

Zum Thema meines Buches biete ich regelmäßig on- und offline Seminare mit Einführungen in das innere Erforschen an. Termine und weitere Informationen erfährst du hier auf meiner Webseite: https://bit.ly/322AG2j

Oder halte die Foto-App deines Smartphones über den QR-Code.

Meditation jeden Sonntag

Jeden Sonntag (von einigen Unterbrechungen abgesehen) leite ich von 18.15 bis 18.45 Uhr online eine Meditation an. Du kannst einfach dazu kommen. Hier findest du dazu weitere Informationen: https://bit.ly/33f9bnZ

KAPITEL 1: SCHON WIEDER PASSIERT MIR DAS!

Auf einen Blick:

Im Griff automatischer emotionaler Reaktionen

Die Macht der Gewohnheit

Die nächste Ausfahrt nehmen

Was geschieht bei einer automatischen emotionalen Reaktion?

Eine automatische Reaktion unterbrechen

Praxis: Eine hinderliche automatische Reaktion erkennen und Wechselwirkungen erforschen

Im Griff automatischer emotionaler Reaktionen

Vermutlich kennst du das: Schon oft hast du versucht, etwas in deinem Leben zu ändern. Doch es blieb bei ein paar guten Vorsätzen. Es ist, als ob du automatisch funktionierst. Du scheinst keine Chance zu haben, dein Leben an dem auszurichten, wonach du dich eigentlich sehnst. Ist das wirklich so?

Ich möchte dich einladen, automatisch ablaufende Reaktionen genauer zu untersuchen. Die innere Automatik besteht darin, dass bestimmte Gefühle die Tendenz haben, wiederholt aufzutreten. Sie sind keine Einzelgänger. Man bezeichnet sie auch als “Muster”.

Oft treten sie auch im Verbund mit anderen Erscheinungen deiner inneren Welt auf. Zum Beispiel ist sehr oft erst ein Gedanke da und dann folgt das Gefühl.

Vielleicht sind dir Sätze wie diese vertraut:

“Darauf reagiere ich allergisch.”

“Mein Mann drückt bei mir immer wieder denselben Knopf.”

“Wenn meine Frau das sagt, gerate ich aus dem Häuschen.”

“Wenn ich diese Person nur sehe, mache ich dicht.”

“Bei Stress liegt meine Wahrheit im Kühlschrank.”

“In unserem Team geraten wir regelmäßig in Streit.”

“Mit meiner Kollegin komme ich nicht mehr klar.”

“Veränderungen machen mir Angst.”

“Im Grunde weiß ich, dass es nichts bringt, aber ich sage es trotzdem.”

“Manchmal ertappe ich mich dabei, dass ich tue, was ich gar nicht will.”

“Hinterher habe ich den Eindruck, dass ich irgendwie neben mir stand.”

Halte einen Moment inne, wähle einen Satz aus der Liste oder nimm einen eigenen Gedanken, der dir bekannt vorkommt. Dann frage dich: Was löst es in mir aus, wenn ich diesen Gedanken für wahr halte? Was breitet sich dann in mir aus?

Meistens braucht es nicht viel, um eine starke Reaktion in dir auszulösen. Ein Wort, eine bestimmte Bemerkung, ein Gesichtsausdruck, eine unangenehme Situation - das genügt und schon überfluten dich starke Gefühle und du weißt nicht, wohin damit.

Die Folge: Du bekämpfst deine Gefühle oder fliehst vor ihnen.

Wie das geschieht, erkennst du an der spontanen Reaktion, die jetzt einsetzt. Du fängst an, dich zu rechtfertigen, dich zu verteidigen, anderen Vorwürfen zu machen. Dein Gewinn dabei ist: Du kannst etwas “dagegen” tun und musst nicht fühlen. Du kannst dich auch einfach abwenden und jedem weiteren Kontakt aus dem Weg gehen. Du stellst deine Gefühle ab und ziehst dich zurück. Dein Gewinn ist auch hier: Du brauchst nicht fühlen.

Diese ersten Reaktionen laufen völlig automatisch ab. Die Gedanken und Gefühle tauchen wie von alleine auf und du bist ihnen ausgeliefert. Es folgen bestimmte Worte und Verhaltensweisen, die du schon oft an dir erlebt hast. Du scheinst dich nicht anders verhalten zu können. Eigentlich willst du das nicht, doch es passiert dir trotzdem immer wieder.

Du sagst vielleicht etwas Verletzendes, strafst dein Gegenüber mit Missachtung oder behandelst andere Menschen als wären sie Luft für dich. Kommt es ganz dicke, greifst du zu verbaler oder auch körperlicher Gewalt als letztem Mittel. Doch dabei fühlst du dich alles andere als wohl in deiner Haut. Eigentlich passt das nicht zu dir und deinen Werten. Und trotzdem geschieht es.

Dann beginnt ein Kreislauf weiterer automatischer Reaktionen. Dein Gegenüber macht es genauso wie du und reagiert ebenfalls impulsiv und automatisch. Die Folge: Ein Konflikt eskaliert, eine Beziehung geht in die Brüche, eine wichtige Arbeit bleibt liegen, eine fällige Entscheidung wird endlos vertagt. Dein Alltag kostet dich unendlich viel Kraft. Um das alles wieder in Ordnung zu bringen, braucht es sehr viel Zeit und Einsatz. Und manchmal lassen sich die belastenden Folgen automatischer Reaktionen gar nicht mehr heilen.

Du befindest dich also zum x-ten Mal im gleichen emotionalen Strudel und kannst nicht einmal sagen, wie du da jetzt wieder hineingeraten bist:

- Du unterbrichst zum Beispiel eine Mitarbeiterin zum hundertsten Mal, obwohl du ihre Meinung eigentlich anhören willst.

- In deinem Team am Arbeitsplatz dreht sich alles regelmäßig in den bekannten Grabenkämpfen um Einfluss und Macht. Die Interessen und Bedürfnisse anderer scheinen keine Rolle zu spielen.

- Im Umgang mit deinem Partner, deiner Partnerin könnt ihr euch nicht mehr positiv überraschen. Es läuft alles wie immer. Das langweilt dich.

Du meinst, deine allernächsten Menschen gut zu kennen, dabei handelst du lediglich so, wie du es gewohnt bist und schon oft gemacht hast. Obwohl dein Verstand weiß, dass ein anderes Verhalten eigentlich angemessener wäre, reagiert irgendetwas in dir vollkommen automatisch. Das kann sich anfühlen, als ob du fremdgesteuert wirst.

Ist die automatische Reaktion einmal in Gang gekommen, ist es schwer, sie zu stoppen. Selbst dann, wenn dein Kopf merkt, dass da etwas gründlich schiefläuft, schaffst du es nicht, dich dabei zu unterbrechen und etwas anderes zu versuchen. Deine vernünftige Stimme kritisiert dich:

“Du weißt doch, dass es nichts bringt.”

“Schon wieder hast du deine Fassung verloren.”

“Deine Worte waren sehr verletzend.”

“Wie konntest du nur!”

So geht das immer weiter. Bis du am Ende völlig frustriert bist. Denn automatische Reaktionen sind meistens der Situation nicht angemessen und hinterlassen bei dir einen faden Nachgeschmack. Sie waren vielleicht einmal in einer bestimmten Situation hilfreich. Von da an ist es dir zur Gewohnheit geworden, so zu reagieren. Heute gerätst du immer tiefer in die Krise damit. Es macht dich unglücklich.

Damit kein Missverständnis aufkommt: es gibt auch automatische Reaktionen, die im Alltag sehr nützlich sind. Zum Beispiel ist es gut, wenn du weißt, welche Handgriffe beim Autofahren nötig sind. Das weißt du inzwischen im Schlaf - nach einiger Übung in der Fahrschule und nach langjähriger Fahrpraxis. Du kannst es. Der Vorteil: du musst nicht mehr groß nachdenken, was als nächstes zu tun ist. Der automatisierte Ablauf spart dir viel Energie und Denkaufwand.

Hier aber sprechen wir von automatischen Reaktionen im Bereich der Gefühle und des Verhaltens in Beziehungen - im persönlichen oder im beruflichen Bereich. Da können unbewusste Automatismen sehr schädlich sein.

Vielleicht hast du mit solchen unbewussten und automatischen Reaktionen schon oft und sattsam Bekanntschaft gemacht. Dann hast du zwei Möglichkeiten:

Du kannst aufgeben und dir sagen: Es hat alles keinen Zweck, “so bin ich halt” oder “so ist das Leben”. Du ergibst dich in ein angeblich unausweichliches Schicksal und erklärst dich zum Opfer der Umstände oder anderer Leute.

Oder: Dir reicht es jetzt. Du möchtest endlich aussteigen aus hinderlichen Gewohnheiten. Du hast die Nase voll von den immer gleichen Abläufen. Dein Leben ist so berechenbar geworden, dass du genau sagen kannst, was als nächstes kommt. Das interessiert dich aber immer weniger.

Vielleicht pendelst du auch zwischen diesen beiden Möglichkeiten hin und her, was sich auch nicht gerade komfortabel anfühlt. Mal bist du am Boden und mal hast du die besten Vorsätze. Doch mit der Umsetzung im Alltag - da hapert es.

Bei mir war es so: Ich wollte nicht mehr um des lieben Friedens jeden Konflikt vermeiden, der nötig war, um den nächsten Schritt zu gehen. Ich hatte keine Lust mehr darauf, mich selbst und mein Innerstes zu verleugnen. Der Preis wurde mir zu hoch, denn ich verlor meine Lebendigkeit und mein Interesse an dem, was ich tat.

Am Anfang motivierte mich also ein ziemlich großer Frust. Ich gehe davon aus, dass auch dir das nicht völlig fremd ist. Ich wusste intuitiv: So kann es “irgendwie” nicht weitergehen. Aber ich hatte noch keine Ahnung, wie es anders werden sollte.