Aconitus - Susanne Eisele - E-Book

Aconitus E-Book

Susanne Eisele

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Beschreibung

Leibwächter Aconitus erhält den Auftrag, Carolus Primus, den Präsidenten von Hertsensguth III zu bewachen. Eigentlich ein ganz normaler Job. Bis Sewitta auftaucht. Schwarze Haare, roter Mund, Alabasterhaut und verführerische Kurven. Der Präsident liegt der unbekannten Schönheit sofort zu Füßen. Ein Umstand, der den Leibwächter vor neue Aufgaben stellt. Erfahren, wie er ist, glaubt er, dennoch alles im Griff zu haben. Doch dann verschwinden Carolus und Sewitta. Aconitus muss tief in die Trickkiste greifen, um den Präsidenten zurückbringen zu können. Mit oder ohne Sewitta. Aconitus, sein schlimmster Auftrag beinhaltet eine gute Portion schrägen Humor sowie einige Personen, die gewisse Ähnlichkeiten mit bekannten Märchenfiguren aufweisen.

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Seitenzahl: 250

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Für Märchenfans,

die offen sind für eine andere Sicht

auf ein paar bekannte Märchenfiguren

und für alle,

die etwas schrägen Humor mögen.

Viel Vergnügen beim Lesen

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 1

Weit abseits der großen Planetenhauptstadt Cisnavia verbarg sich in nord-östlicher Richtung zwischen den Gipfeln der dortigen Gebirgskette eine gewaltige, nur äußerst schwer zugängliche bauliche Anlage, die einerseits wie ein Kloster, andererseits aber auch wie eine Kaserne anmutete. Tatsächlich waren beide Wahrnehmungen richtig, denn es handelte sich hierbei um das Hauptquartier der Unsichtbaren, dem jahrhundertealten Kriegerorden der Schwanesen, die den irgendwo im Sternensystem Schwan gelegenen Planeten Cisne ursprünglich alleine bewohnten.

Im Laufe der Zeit hatte sich dieser Orden zu einem Geheimbund von Assassinen gewandelt, deren Einsatzgebiet sich letztlich über die ganze bekannte Galaxie erstreckte.

Hierfür errichteten sie auf zahlreichen Welten verborgene Transmittereinheiten, die mithilfe tragbarer Portalgeneratoren genau dort ein Dimensionstor erzeugen konnten, wo immer sich die Person mit dem Generator gerade befand. Dadurch war es den Kriegern möglich, sowohl schnell und unerkannt zu einem Auftragsort zu gelangen, als auch nach erledigtem Auftrag eben so rasch wie spurlos wieder zu verschwinden. Für solche Einsätze wären Raumschiffe viel zu träge, zu auffällig und zu leicht nachverfolgbar gewesen. Bislang verfügten nur die Schwanesen über derartige Technologie.

Doch die anderen Planeten entwickelten sich ebenfalls technisch weiter, wodurch immer mehr Transmittereinheiten aufgespürt wurden, was schließlich dazu führte, dass sich das Hauptquartier der Unsichtbaren bald nicht mehr im Verborgenen hatte halten können. Als sich deren Ordensvorstehern schmerzhaft eröffnete, dass diese Entwicklung nicht mehr aufzuhalten war, wurde ihnen die Angelegenheit dann doch zu heiß.

Rasch ersannen sie ein Konzept, das dem ursprünglichen Kriegerorden erneut einen Charakterwandel bescherte. Letztendlich erwuchs hieraus eine florierende Security-Firma, die erfolgreich Wächter, Leibwächter sowie Söldner vermittelte.

So beanspruchten in der Folge bald auch immer häufiger viele Regierungen aus sämtlichen Teilen der Galaxie die Dienste der Unsichtbaren, was dazu führte, dass die vorhandenen Transmittereinheiten nicht nur bestehen bleiben durften, sondern deren Netz sogar noch erheblich ausgebaut wurde.

Was aber trotz aller Wandlungen nahezu unverändert blieb, war einerseits die Tatsache, dass noch immer alle Ordensmitglieder ihre Ausbildung im Hauptquartier zu absolvieren hatten; andererseits, dass wie seit jeher die deutliche Mehrzahl der Unsichtbaren von Schwanesen gestellt wurde: großgewachsene Männer und Frauen; schön anzusehen, allesamt mit mächtigen Schwingen ausgestattet. Vorwiegend mit reinweißen, seltener mit perlmuttfarben schimmernden Federn besetzt, wobei auch Träger gelblich-, braun- oder sogar schwarzbefiederter Flügel existierten.

In die traditionelle Toga der Unsichtbaren gewandet, wie es die Regeln bei Entgegennahme eines neuen Auftrags geboten, durchschritt ein Schwanese das große, doppelflügelige Tor zu den Heiligen Hallen, wo die Verwaltung des Ordens ihren Sitz hatte.

Seit er hier vor rund zehn Jahren eine Ausbildung zum Assassinen und später zum Leibwächter abgeschlossen hatte, war er diesen Weg schon unzählige Male gegangen. Bisher war dies stets von Vorfreude begleitet gewesen, doch diesmal beschlich ihn ein ungutes Gefühl. Nur warum? Vor drei Tagen erst war er schließlich erfolgreich von der letzten Mission zurückgekehrt, bei der es galt, einen ganz speziellen, beinahe faustgroßen Edelstein wiederzubeschaffen, der von Dieben aus dem höchsten Tempel einer crombyktanischen Glaubensgemeinschaft gestohlen worden war, um ihn auf dem intergalaktischen Schwarzmarkt an den Meistbietenden zu veräußern. Ohne diesen heiligen Gegenstand religiöser Verehrung drohte der Gemeinschaft der Zerfall, was auf dem dortigen Planeten globales Chaos und Anarchie ausgelöst hätte.

Was war heute also anders? Hatte das Gefühl mit der kürzlichen Suspendierung seines Cousins Arsenius zu tun? Zwar kannten und mochten sich die beiden, doch wirklich viel miteinander zu tun hatten sie deswegen nicht. Dessen hinderliche Tollpatschigkeit war letztlich weithin bekannt; Aconitus selbst hatte diese zur Genüge am eigenen Leib erfahren dürfen, weshalb er die Amtsenthebung nur gutheißen konnte. Jedoch war dies nicht der Grund für das Unbehagen. Irgendetwas lag in der Luft.

Nur noch wenige Schritte, dann hatte er das Auftragsbüro erreicht. Der Schwanese redete sich ein, dass es möglicherweise einfach die Aufregung vor etwas Neuem war, selbst wenn er das seither noch nie solcherart verspürt hatte. Wie dem auch sein mochte – wenn er erst einmal wusste, welchen Job er zu erledigen hatte, würde sich das seltsame Gefühl schon legen. Damit wollte er dieser Angelegenheit vorerst keine weitere Aufmerksamkeit schenken.

Als der Geflügelte der Eingangstür des Büros gegenüberstand, klopfte er dezent an. Doch es dauerte einem Moment, bis er von einer weiblichen Stimme aufgefordert wurde, einzutreten.

„Aconitus, schön dich zu sehen. Ich hoffe, du bist wohlauf?“, wurde er von Brugmansia, einer hübschen Schwanesin mittleren Alters, empfangen.

Es war die übliche Begrüßung, die eigentlich bedeutete: Ich gehe davon aus, dass du in deiner freien Zeit viel trainiert hast und für den nächsten Auftrag fit bist.

„Danke der Nachfrage, mir geht es gut. Dir ebenfalls, hoffe ich“, erwiderte er höflich.

Seit sie bei einem Einsatz in einen Hinterhalt geraten war, der einen Sturz aus mehreren Metern Höhe zur Folge hatte, zog sie das linke Bein mühsam nach. Sie war mit der Hüfte direkt auf einen Felsen geprallt. Dabei hatte sie noch Glück im Unglück. Wäre es nur geringfügig anders verlaufen, hätte es ihr auch noch den Schädel zertrümmert.

Zahlreiche medizinische Eingriffe sowie unzählige Wochen des Aufbautrainings später, wurde sie von den Ärzten wieder für arbeitsfähig erklärt, wenn auch eingeschränkt, was sie zum Anlass nahm, vom aktiven Dienst zurückzutreten.

Dabei war Aconitus davon überzeugt, dass Brugmansia sogar mit diesem Handicap ihren Job noch immer besser erledigt hätte, als so mancher Kollege, doch war es offensichtlich, dass sie sich hinter ihrem Schreibtisch sehr wohlfühlte. Das mochte daran liegen, dass sie so bestimmen konnte, wer welchen Auftrag zu übernehmen hatte. Darin lag große Macht; etwas, wofür Brugmansia schon seit jeher empfänglich gewesen war.

„Gut. Kommen wir zum Geschäftlichen“, begann die Einsatzleiterin, ohne auf die Gegenfrage einzugehen, was Aconitus auch nicht wirklich erwartet hatte.

„Wir haben die Anweisung erhalten“, erläuterte sie, „einen Mann zu bewachen, der von einem absolut ungewöhnlichen Leiden befallen ist, das höchstwahrscheinlich durch schwarze Magie ausgelöst wurde. Jeden Morgen um Punkt zwei Uhr segnet er das Zeitliche. Wird er anschließend auf den Mund geküsst, erwacht er wieder zum Leben, bis zum nächsten Tag um zwei Uhr. Dabei ist das Bizarre an Nekromantis Amoris, dass zwischen dem Tod des Betroffenen und dem Kuss, der ihn erweckt, beliebig viel Zeit vergehen kann, denn sein Körper verwest einfach nicht. Das führt zu dem Paradoxon, dass der Mann unsterblich ist, obwohl er ständig stirbt. Um genau zu sein, rede ich von Carolus Primus, dem Präsidenten des Planeten Hertsensguth III.

Die einzige, die ihn seither wachküssen durfte, war seine Ehefrau. Niemanden außer ihr hatte er jemals so nahe an sich herangelassen, bis sie eines Tages bei einem tragischen Unfall ums Leben kam.

Wie sich später herausstellte, wurde sie in Wirklichkeit von politischen Gegnern ermordet, um zu verhindern, dass Carolus weiterhin geweckt würde. Außerdem war es die Absicht der Attentäter, den Präsidenten an einen weit entfernten, unbekannten Ort zu verschleppen, wo ihn garantiert niemand küsste, um es so aussehen zu lassen, als ob er vor der erdrückenden Last seines Verlustes geflohen wäre. Man müsste sich ja nicht einmal die Hände schmutzig machen, um ihn zu töten, das regelte sich schon recht zeitnah von selbst.

Dieser Teil des Plans konnte allerdings von Sicherheitskräften der Regierung vereitelt werden. Vor Carolus hatte Hertsensguth III bereits viele Oberhäupter, doch kaum eines blieb lange genug im Amt, um wirklich etwas bewirken zu können. Ein Teil der Staatsmacht möchte daher Primus als ewigen Präsidenten haben, um auf dem Planeten endlich für die notwendige Stabilität zu sorgen. Natürlich gibt es auch Gruppen, die Vorteile durch ein ständig wechselndes Staatsoberhaupt haben, weshalb die verhindern wollen, dass Carolus an der Macht bleibt.“

Brugmansia hielt kurz inne, sah ihrem Gegenüber in die Augen, um sicher sein zu können, dass er ihr für die folgenden Informationen auch aufmerksam zuhörte, dann sprach sie weiter.

„Deine Aufgabe wird daher sein, Primus nicht nur als Leibwächter zur Seite zu stehen, du wirst ihn zudem auch jeden Morgen wachküssen.“

„WAS?“ Aconitus bekam große Augen. „Ich soll einen…“, begann er entrüstet, doch Brugmansia hob gebieterisch die Hand, wodurch sie zu verstehen gab, dass sie nicht unterbrochen zu werden wünschte.

„Zumindest, bis er sich wieder eine Frau zugelegt hat, die das gewissenhaft durchführt“, fuhr sie fort. „Die Regierung von Hertsensguth III erwartet allerdings, dass du diesen Auftrag in zivil durchführst. Du hast eine halbe Stunde Zeit, dich vorzubereiten, danach begibst du dich umgehend zum dortigen Regierungssitz. Da der Planet über Transmittereinheiten verfügt, kannst du deinen Portalgenerator nutzen. Noch Fragen?“

„Ja … da hätte ich schon noch etwas“, entgegnete Aconitus zögerlich. „Gibt es dafür – also, das Wecken – nicht besser geeignete Kandidaten?“

Dass er einen Mann küssen sollte, war nicht das Problem, es wäre beileibe auch nicht das erste Mal gewesen; wann immer es jedoch dazu gekommen war, geschah dies auf beiden Seiten aus Zuneigung und freien Stücken. Zudem hatte er dabei stets vor Augen gehabt, worauf er sich einließ. Aber einem Unbekannten gegenüber dazu gezwungen zu werden, widerstrebte ihm. Das hatte etwas von Prostitution an sich. Außerdem – wer wusste schon, woran dieser Staatsmann zwischenzeitlich nicht alles herumge…

„Da wir von nun an für die Sicherheit des Präsidenten verantwortlich sind“, riss ihn Brugmansia mit entschlossenen Worten aus seinen Gedanken, „halte ich es für zu riskant, dass ihm ab sofort jemand anderes als ausschließlich der Leibwächter so nahekommt, selbst wenn derjenige aus unseren Reihen stammen sollte. Da sich Carolus auch auf wiederholte Nachfrage mit dem vereinbarten Arrangement einverstanden zeigte, bleibt es dabei, dass du beide Aufgaben übernimmst. Außerdem wäre es zu teuer, eine weitere Person zu involvieren. Sonst noch etwas?“

„Gibt es Einschränkungen bei der Bewaffnung?“, wollte er wissen, wobei er sich mit dieser Frage bedeutend wohler fühlte.

Brugmansia schüttelte den Kopf. „Nimm mit, was du für notwendig erachtest.“

,Na, wenigstens hier habe ich freie Hand‘, dachte Aconitus erleichtert.

„Allerdings solltest du vermeiden, wie ein Kampfroboter zu wirken, da dies sonst die Aufmerksamkeit auf dich lenken könnte.“

,Mist! Also doch nicht!‘

„Schließlich bist du noch immer einer der Unsichtbaren; dies gilt es unter allen Umständen zu wahren. Zudem bist du offiziell lediglich Leibwächter.“

Aconitus wartete einen Moment, um Brugmansia nicht erneut ins Wort zu fallen. Nachdem sie nichts weiter hinzufügte, nickte er zustimmend: „Ich habe verstanden“, womit der Auftrag von seiner Seite aus angenommen war. Genau betrachtet hatte er ohnehin keine andere Wahl. Dafür erschloss sich ihm jetzt auch der Grund für die unangenehme Vorahnung; besser wurde es dadurch allerdings nicht.

Vierundzwanzig Minuten später war der Schwanese reisefertig, hierfür in Jeans, Hemd und schwarze, halbhohe Stiefel gekleidet. Sein Gepäck bestand aus einer braunen, ledernen Umhängetasche, in welcher sich neben einem Kommunikator und anderen Gerätschaften der Portalgenerator befand; dazu ein mittelgroßer Koffer mit Kleidung zum Wechseln sowie einem großen Überseekoffer, in dem seiner Ansicht nach nur das Allernötigste an Waffen untergebracht war. Gerne hätte er noch mehr mitgenommen, doch die Transportkapazität des Generators war bis an dessen Grenze ausgereizt.

Jetzt, da das Ereignis beinahe unmittelbar bevorstand, war Aconitus doch ein wenig mulmig zumute. Längst hatte er aufgehört zu zählen, wie viele Frauen und Männer er bisher schon geküsst hatte. Doch befanden sich seither weder Vorgesetzte, geschweige denn ein Auftraggeber darunter. Noch dazu einer, der zum entsprechenden Zeitpunkt tot sein würde. Auch wenn es kaum etwas gab, wovor der Unsichtbare zurückschreckte, dämmerte ihm in diesem Augenblick, dass er hier quasi zur Nekrophilie genötigt wurde; einer Spielart, die nicht wirklich zu seinen Favoriten gehörte. Lebendes Fleisch war ihm eindeutig lieber. Mit zunehmendem Befremden fragte er sich, wann er in diese beklemmende, surreal wirkende Parallelwelt gelangt war, aus der willentliches Entkommen offensichtlich nicht mehr möglich war.

Aus den Unterlagen, die ihm erst nach dem Gespräch mit Brugmansia ausgehändigt worden waren, konnte Aconitus ersehen, dass der Präsident bereits das achtundsiebzigste Lebensjahr erreicht hatte. Dies machte die Angelegenheit für ihn nicht unbedingt appetitlicher.

,Na großartig! Ich muss tatsächlich eine fast achtzig Jahre alte Leiche knutschen …‘ Bei diesem Gedanken verzog er kopfschüttelnd das Gesicht. Doch er hatte den Auftrag zugewiesen bekommen, da war ein Zurück von vorneherein ausgeschlossen gewesen. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als seine Pflicht zu erfüllen.

Letzte Kontrollen, ob alles korrekt angeordnet war, dann gab er die Zielkoordinaten in den Portalgenerator ein. Kaum einen Atemzug später befand sich der Schwanese auf Hertsensguth III, direkt in der Eingangshalle des Präsidentenpalastes, wo man auf die Ankunft des Geflügelten schon gewartet hatte.

Sein Blick fiel auf eine große Uhr, die über dem Empfangstresen prangte. Nach der lokalen Zeitmessung war Mitternacht erst seit wenigen Minuten vorüber; damit würde noch genügend Gelegenheit bleiben, um mit dem Präsidenten ein paar Worte zu wechseln, bevor dieser das erste Mal vom neu angekommenen Leibwächter erweckt werden sollte.

Nach einer knappen Begrüßung durch das Sicherheitspersonal mit gegenseitiger Bekanntmachung wurde Aconitus gebeten, den Lift zu betreten, der ihn zusammen mit einer Wache direkt ins zwölfte Stockwerk zu den privaten Räumlichkeiten von Carolus Primus bringen würde. Die Kontrolle der Ausweis- sowie Auftragspapiere war schnell erledigt ob des charakteristischen Erscheinungsbildes des Personenschützers, das als fälschungssicher eingestuft werden konnte.

Der Wachmann, der ihm als Begleitperson zugewiesen war, wunderte sich zwar über die Größe des einen Koffers, enthielt sich diesbezüglich aber einer Bemerkung. Zuvorkommenderweise wollte er dieses Gepäckstück bereits in den Fahrstuhl befördern. Einen Laut der Fassungslosigkeit ausstoßend, scheiterte er jedoch an dessen Gewicht, so dass er hierfür einen Kollegen hinzuziehen musste.

Nachdem alle erforderlichen Personen eingestiegen sowie sämtliches Gepäck untergebracht war, schlossen sich die Türen der Kabine, die gleich darauf recht zügig Fahrt aufnahm, wodurch die Passagiere kurzfristig etwas in die Knie gingen. Einer der Wachmänner setzte sich unterdessen mittels Funksprechgerät mit den beiden Sicherheitsleuten im zwölften Stock in Verbindung, um die Ankunft des neuen Leibwächters anzumelden, während er sich merklich außer Atem den Schweiß von der Stirn wischte.

Wenig später war das Ziel erreicht, die Türen öffneten sich wieder. Um sicherzugehen, dass sich die Habseligkeiten des Geflügelten nicht unkontrolliert auf Reisen begaben, sperrten die Wachleute den Aufzug, bevor sie ihn verließen.

Da insgesamt drei Fahrstühle zur Verfügung standen, sollte hierdurch niemand beeinträchtigt werden, zumal sich üblicherweise schon seit Stunden – von Sicherheitspersonal abgesehen – keine weiteren Angestellten oder gar Besucher mehr im Gebäude aufhielten. Außerdem gelangte aus Sicherheitsgründen lediglich dieser Lift bis in die Etage der Präsidentensuite, was darüber hinaus nur mit einem speziellen Schlüssel möglich war.

Die Sachen des Schwanesen konnten so später noch geholt werden, denn das Wichtigste war jetzt, den neuen Leibwächter unverzüglich dem Präsidenten bekannt zu machen. Hierfür wurde Aconitus einige Meter durch einen breiten, halbhoch mit rötlichbraunen Holzkassetten vertäfelten Flur mit gedämpftem Licht geleitet, der direkt auf die Tür der Präsidentensuite zusteuerte, wo Carolus nicht nur arbeitete, sondern auch wohnte.

Die vier Sicherheitsleute standen sich nun gegenüber, nickten einander kommentarlos zu, wodurch sie sich gegenseitig zu verstehen gaben, dass dies die angekündigte Person war sowie alles nach Plan lief.

Einer der Männer klopfte kurz an, trat daraufhin beiseite, um Aconitus mit den Worten: „Der Präsident erwartet Sie bereits“, freundlich die Tür zu öffnen.

In Begleitung eines Wachmanns, der unaufdringlich, aber einsatzbereit neben der wieder geschlossenen Tür stehen geblieben war, betrat der Schwanese den Raum. Ein ausgesprochen weitläufiges Büro, dessen Wände zum größten Teil ebenfalls mit Holz vertäfelt waren. Weitere Türen ließen darauf schließen, dass dies der zentrale Raum sein musste, von dem aus man in angrenzende, von außen nicht zugängliche Zimmer gelangte.

Hinter einem opulenten Schreibtisch saß eine männliche Person auf einem eleganten Bürostuhl mit hoher Rückenlehne, die lederbezogene Polsterung farblich zu Vertäfelung passend. Gekleidet in verwaschenen Bluejeans, mitternachtsblauem Hemd, dessen oberste zwei Knöpfe geöffnet waren; weiterhin ein anthrazitfarbenes Sportsakko sowie schwarze Halbschuhe. Die kräftigen, braunen Haare, die sein Gesicht einrahmten, trug er knapp schulterlang mit Mittelscheitel, dazu einen Spitzbart, der das Erscheinungsbild markant ergänzte.

Der Präsident war so sehr in das Studium diverser Dokumente vertieft, dass er das Klopfen nur beiläufig wahrgenommen und dabei ganz automatisch „Herein“ gerufen hatte, ohne sich dessen tatsächlich bewusst gewesen zu sein. Nachdem er sich auch eine ganze Weile später augenscheinlich nicht von seiner Tätigkeit lösen wollte, räusperte sich der Sicherheitsmann diskret, aber bestimmt, worauf Carolus Primus kurz zusammenzuckte, weil er ganz vergessen hatte, dass sich außer ihm noch weitere Personen im Raum befanden.

Fragend sah er in Richtung der Tür, wo die Wache stand, doch als er dabei seinen neuen Leibwächter erblickte, legte der Präsident mit einem freudigen Ausruf sofort die Schriftstücke aus der Hand, erhob sich sogleich und ging auf den Geflügelten zu, um ihn herzlich zu begrüßen.

Entgegen seinen schlimmsten Befürchtungen sah sich der Schwanese statt einer faltigen Mumie erleichtert einem gutaussehenden Mann in den Vierzigern gegenüber. Ohne Zweifel mochte dieser Umstand dem Fluch geschuldet sein, unter welchem Carolus stand, doch Aconitus war hierüber ganz und gar nicht unglücklich. Dadurch würde sich die Aufgabe doch deutlich angenehmer gestalten.

An den Wachmann im Hintergrund gewandt sprach der Präsident: „Wenn Sie bitte noch so freundlich wären, das Gepäck dieses Herrn in die Dienstbotenkammer zu bringen; danach können Sie und Ihre Kollegen sich wieder nach unten begeben. Vielen Dank, dass Sie alle für die Unversehrtheit meines Gastes gesorgt haben.“

Nachdem dies erledigt war und die Wachen daraufhin die oberste Etage verlassen hatten, lud Carolus seinen Leibwächter auf einen Drink ins Wohnzimmer ein, wo sich die beiden Männer noch einige Zeit angeregt unterhielten, vor allem über die Gesellschaft auf Hertsensguth III.

Plötzlich ertönte im Sekundentakt ein piepsendes Geräusch.

„Eine Bombe!“, sprang Aconitus beunruhigt auf. Carolus dagegen warf einen Blick auf seine Armbanduhr, antwortete dann gelassen: „Nein, nein, keine Sorge. Alles in Ordnung. Das ist nur das Signal, dass es für mich nun höchste Zeit ist, ins Bett zu gehen, bevor ich … na ja, du weißt schon.

Ich wünsche dir eine gute, erste Nacht in der Präsidentensuite.“

Damit begab sich Carolus Primus in sein Schlafzimmer, vorbei an der Dienstbotenkammer, wo der Leibwächter ab jetzt seinen Schlafplatz hatte, um stets in Rufnähe zu sein.

Kapitel 2

Am frühen Morgen des nächsten Tages klopfte Aconitus an die Schlafzimmertür des Präsidenten. Wie erwartet kam auch nach dem zweiten Klopfen sowie darauffolgendem Rufen keine Antwort, worauf er mit gemischten Gefühlen den Raum betrat.

Zögerlich näherte er sich dem Bett, betrachtete anschließend den Mann aufmerksam. Dessen entspannte Gesichtszüge ließen vermuten, er schlafe friedlich, was jedoch die Kontrolle der Atmungsaktivität unter Zuhilfenahme eines einfachen Spiegels widerlegte. Zudem konnte weder am Hals noch am Handgelenk ein Pulsschlag festgestellt werden. Auch ein Horchen am Brustkorb brachte dasselbe Ergebnis, was die Annahme bestätigte, dass sein Auftraggeber tatsächlich tot sein musste.

Der Schwanese atmete tief durch. Jetzt war der Augenblick gekommen, den Präsidenten zu wecken, doch es fiel ihm schwer; er zögerte. Für einen kurzen Moment überlegte er sich, ob er den Toten wirklich küssen sollte. Aber es war Bestandteil des Auftrags, also hatte er sich auch daran zu halten.

So bückte er sich, berührte mit seinen Lippen sanft Carolus' kalten Mund. Gleich richtete er sich wieder auf, um die Reaktion abzuwarten. Doch die blieb aus. Ob es wohl erforderlich war, mehr Leidenschaft in den Kuss zu legen? Gerade wollte er sich erneut zu dem Mann hinunterbeugen, da schlug dieser so plötzlich und ohne Blinzeln die Augen auf, als hätte man eine Maschine eingeschaltet. Erschrocken wich der Schwanese zurück.

Mit den Worten: „Guten Morgen, Aconitus. Ich hoffe, du hast wohl geschlafen“, setzte sich der Präsident genauso unvermittelt in seinem Bett auf, dass er Eindruck entstand, er wäre eine mechanische Puppe. Gleich darauf schlug Carolus die Bettdecke zur Seite, um sich unverzüglich ins Badezimmer zu begeben.

Der Schwanese blickte mit hochgezogenen Augenbrauen kommentarlos dem Mann hinterher, während es ihm eiskalt den Rücken hinunter lief. Etwas derart Befremdliches war ihm seither noch nicht untergekommen. Um sich zu sammeln, beschloss Aconitus, in sein Zimmer zurückzukehren, solange sich der Präsident der Körperreinigung und -pflege hingab.

Gerade mal eine Viertelstunde im Dienst, schon fühlte er sich überfordert. Stumpf vor sich hinblickend, den Kopf auf die Hände gestützt, saß er auf seinem Bett, damit beschäftigt, die wenigen Ereignisse des erst kurz währenden Morgens zu sortieren. So richtig gelingen wollte ihm dies allerdings nicht. Ständig wiederholten sich vor seinem geistigen Auge die bizarren letzten Minuten.

,Wie komme ich aus dieser schrägen Nummer bloß wieder raus?‘, fragte er sich verzweifelt. ,Ach ja – gar nicht!‘ Flügel, Schultern und Kopf sanken nach unten.

„Na, hoffentlich kann ich mich daran gewöhnen“, sprach er seufzend zu sich selbst. Vier Attentätern gleichzeitig das Handwerk zu legen wäre ihm gerade weitaus willkommener gewesen, zumal er als bestens ausgebildeter Leibwächter in der Lage war, mit bedrohlichen Situationen spielend fertig zu werden. Tote zu knutschen war nicht Bestandteil des Trainings. Andererseits – wenn so ein leichter, leidenschaftsloser Kuss ausreichte, um den Präsidenten aufzuwecken, sollte sein Job nicht all zu schwer zu bewältigen sein.

Schnell stellte Aconitus fest, dass der größte Teil der Bevölkerung vertrauensvoll zu Carolus Primus stand. Wann immer sich die Gelegenheit ergab, wollte man ihm wenigsten für einen Moment nahe sein. Was zum Leidwesen seines Leibwächters nicht sonderlich schwer war, denn kaum jubelte jemand dem Präsidenten zu, schon fühlte der sich gemüßigt, der Person die Hand schütteln zu wollen oder für ein gemeinsames Foto zu posieren.

Doch es ist nicht alles Gold, was glänzt. Manch einer nutzte diese leutselige Ader skrupellos aus, um nach vorgespielter Begeisterung hinterrücks ein Messer zu ziehen.

In nur zwei Monaten hatte Aconitus so neben zahlreichen Einzelangriffen bereits sechs größere Attentate erfolgreich abwehren sowie die jeweiligen Täter dingfest machen können. Dank seines gleichermaßen aufmerksamen wie couragierten Leibwächters war das Schlimmste, das dem Präsidenten in der ganzen Zeit widerfahren war, lediglich ein kleiner Kratzer.

Die Bewachung des Präsidenten war bis dahin nicht wirklich schwer gewesen, da sich Aconitus stets in dessen Nähe befand.

Bald darauf sollte zu Ehren eines hochrangigen ausländischen Botschafters ein großes Staatsbankett mit entsprechend aufwendiger Begrüßungszeremonie stattfinden. Während der Feierlichkeiten würde der Schwanese nicht immer ganz so dicht wie bislang üblich bei seinem Auftraggeber sein können. Damit das Fest dennoch für alle Anwesenden mit größtmöglicher Sicherheit verlaufen konnte, trimmte der Schwanese sowohl Schutz- wie auch Dienstpersonal mit eiserner Strenge darauf, verdächtige Verhaltensweisen zu erkennen, potentielle Attentäter zu entwaffnen sowie diese im Idealfall zu überwältigen.

Schließlich war es soweit. Wie auf Hertsensguth III üblich, begann solch eine Veranstaltung am späten Nachmittag. Um diplomatische Kalamitäten zu vermeiden, war das Ende auf ein Uhr morgens festgesetzt, denn niemand sollte mitansehen müssen, wie der Präsident mitten in den Feierlichkeiten tot umfiel, auch wenn sein spezieller Gesundheitszustand allgemein bekannt war. Manch einer der Anwesenden hätte dies dennoch als unhöflich, wenn nicht gar als schockierend empfunden.

Nachdem die ehrenvolle Begrüßung des Botschafters offiziell mit großem Applaus, teilweise sogar mit stehenden Ovationen, ihren Ausklang gefunden hatte, kam das Fest erst so richtig in Gang. Das reichhaltige Buffet wurde eröffnet, wovon sich viele der Geladenen wie magisch angezogen fühlten. Gleichzeitig begann die Kapelle, für musikalische Unterhaltung zu sorgen, was andere eher dazu bewegte, das Tanzbein zu schwingen.

Hochgestellte Persönlichkeiten betrieben untereinander rege Konversation, immer wieder erhob sich für wenige Augenblicke Gelächter über das Stimmengewirr hunderter Anwesender, das vermischt mit der Musik wie ein dumpfes Tosen den Ballsaal erfüllte. Selbst bei Beobachtung der Lippenbewegungen war kaum mehr auszumachen, was der einzelne sprach, weshalb Aconitus die Gäste sowohl im näheren, wie auch im weiteren Umfeld von Carolus genauestens im Auge behielt.

Soweit er die Situation überblicken konnte, schien alles unspektakulär und friedlich seinen Gang zu nehmen. Doch genau deswegen hatte er ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Irgendetwas war hier faul, denn die Gegenspieler des Präsidenten waren überaus gut gelaunt und freundlich, besonders gegenüber Carolus. Dass sie auf einmal ihren Frieden mit dessen Dauerpräsidentschaft geschlossen hatten, hielt der Leibwächter für äußerst unglaubhaft. Da musste mehr dahinterstecken.

Besorgt ließ er den Blick durch den Raum gleiten, auf der Suche nach irgend einer verdächtigen Apparatur, die irgendwo im Halbdunkel einer Raumecke angebracht sein könnte. Oder nach auffällig unauffällig miteinander tuschelnden Personen, bis seine Aufmerksamkeit unvermittelt auf eine außergewöhnlich attraktive Frau gelenkt wurde, die soeben den Saal betreten hatte. Hüftschwingend durchquerte die Schönheit den Raum, während sie freundlich lächelnd den Anwesenden zunickte.

Ihr langes, schwarzes, seidiges Haar wogte bei jedem Schritt, wie auch manch andere Körperregion, was durch die hohen Absätze der Schuhe noch betont wurde. Eine traumhafte Figur, wohlgeformte Beine, perfekt in Szene gesetzt durch ein sehr eng anliegendes, schulterfreies, paillettenbesetztes Kleid mit gewagtem, seitlichem Schlitz, das mehr preisgab denn verhüllte. Das knallige Rot dieses Kleidungsstücks bot ebenso wie der erdbeerrote Mund einen scharfen Kontrast zu ihrer alabasterfarbenen Haut, die in der dämmrigen Beleuchtung des Saals wie von innen heraus zu leuchten schien.

Endlich war es dem Schwanesen gelungen, den Blick von der Unbekannten zu lösen, da bemerkte er, dass auch all die anderen Ballbesucher in ihrer unmittelbaren Nähe, egal ob Mann oder Frau, nur noch Augen für sie hatten.

Das saalerfüllende Gemurmel war deutlich leiser geworden, weil den meisten, vor allem den Männern, trotz offenem Mund das Wort im Halse stecken blieb. Es hatte den Anschein, der Ball würde nur zu Ehren dieser einen Frau abgehalten.

Schlagartig wurde Aconitus vom Pflichtbewusstsein eingeholt. Ihm wurde heiß und kalt, denn der Auftritt der unbekannten Dame hätte ein Ablenkungsmanöver potentieller Attentäter sein können, auf das er hereingefallen wäre wie ein blutiger Anfänger. Besorgt sah er zum Präsidenten, ob es ihm gut ging. Das tat es offensichtlich sehr wohl, denn der bewegte sich in diesem Moment wie an unsichtbaren Fäden gezogen mit einem ziemlich breiten Grinsen zielsicher auf die Schönheit zu.

Daher musterte der Geflügelte die Unbekannte nochmals eingehender. Haarnadeln oder Ähnliches konnte er nicht entdecken, auch vom Schmuck sollte keine größere Gefahr ausgehen. Mit den geschliffenen Steinen hätte man vielleicht mit Mühe jemanden verletzen können, aber keinesfalls töten. Sie hatte nicht einmal eine jener kleinen, briefumschlaggroßen Handtaschen dabei, die bei solchen Anlässen oftmals Verwendung finden. Ein Messer oder gar eine Schusswaffe in ihrem Kleid zu verstecken, war bei diesem Schnitt einfach nicht möglich. Sogar der bei Frauen gerne als Geheimdepot genutzte Ausschnitt bot hierfür zu wenig Platz, da bei einer ruckartigen Bewegung nicht nur die Waffe herausgefallen wäre.

Dennoch fühlte er am ganzen Körper ein unruhiges Kribbeln, das ihn stets ergriff, wenn Unheil drohte. Sicherheitshalber schob sich Aconitus zwischen den Anwesenden hindurch näher zu seinem Auftraggeber hin, um bei Gefahr schnell eingreifen zu können. Mochte es Carolus am heutigen Abend gegönnt sein, sich dem leichtsinnigen Vergnügen hinzugeben, mit einer Frau zu tanzen, die er erst seit wenigen Augenblicken kannte. Doch sein Leibwächter würde sie nicht eine Sekunde aus den Augen lassen.

Sollte sie tatsächlich etwas im Schilde führen und dem Präsidenten nach den Leben trachten, machte er keinen Unterschied, ob es sich wie in diesem Fall um eine zugegebenermaßen äußerst attraktive Dame in einer ebenso reizvollen Hülle handelte, oder um einen hässlichen, widerwärtigen, stinkenden Troll – Attentäter bleibt Attentäter und wird sofort überwältigt.

Wie Aconitus aus Teilen der Unterhaltung zwischen Carolus und der spontan zur Herzensdame Auserkorenen herauszuhören vermochte, war Sewitta der Name der unbekannten Schönheit.

Vom ersten Tanz an bis zum Ballende hing sie ständig im Arm des Präsidenten. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin musste extra wegen ihr die Sitzordnung umgestellt werden, damit sie auch während des Essens Seite an Seite sein konnten. Zwar hatte sie dies mit einem koketten Augenaufschlag abgelehnt, doch ihr Gastgeber war nicht davon abzubringen.

Eine derart unvernünftige, wenn nicht sogar egoistische, rosarote Verliebtheit eines Staatsoberhauptes brachte Aconitus innerlich auf die Palme, weil es seine Leibwächtertätigkeit nur unnötig belastete. Dass er auf einen verknallten Teenager aufpassen sollte, stand nicht in der Jobbeschreibung. Dennoch war er bemüht – und es kostete ihn wirklich einiges an Mühe – eine neutrale Miene beizubehalten, während er die Frau weiterhin argwöhnisch beobachtete. Aber diese verhielt sich einfach nur wohlerzogen freundlich, gurrte den Präsidenten hingerissen an und benahm sich stets vorbildlich, was sie für den Geflügelten nur noch verdächtiger machte.

So kam es, wie es kommen musste: Nach dem offiziellen Ende des Festes, welches für Carolus Primus ohne Frage eines der schönsten seit langer Zeit gewesen war, wollte er – wenig überraschend – mit Sewitta die Nacht verbringen. Er sah sich in alle Richtungen um, konnte aber in dem Gewühle der sich verabschiedenden Gäste seinen Leibwächter nirgendwo ausmachen.

Mit einem verstohlenen Grinsen schnappte er sich seine Traumfrau, um mit ihr in den Lift zu steigen, der sie in die Präsidentensuite befördern sollte. Doch gerade, als die Türen sich zu schließen begannen, bestieg der Unsichtbare ebenfalls den Aufzug, um sich wortlos vor die Turteltäubchen hinzustellen. Dem Präsidenten sackten die Gesichtszüge ab, während er rot anlief. Auch dem Geflügelten war anzusehen, dass er sich längst nicht mehr in Partystimmung befand. Sewitta spürte die Spannung, die plötzlich zwischen den beiden Männern herrschte. Sie sah von einem zum anderen, fragte vorsichtig: „Stimmt etwas nicht?“, bekam jedoch keine Antwort.

Die Kabinentüren schlossen sich, die Fahrt nach oben verlief schweigend, während die Fahrgäste vermieden, einander anzusehen.

Im zwölften Stock angekommen bewegten sich die drei auf den Eingang der Präsidentensuite zu, Aconitus an der Spitze. Schon wollte Carolus die Tür öffnen, da stellte sich ihm der Personenschützer in den Weg.

„Was wird das?“, fragte das Staatsoberhaupt gereizt.

„Da es meine Aufgabe ist, für die Sicherheit des Präsidenten zu sorgen, ist es zwingend erforderlich, dass uns diese Frau jetzt verlässt. Wenn dir so viel an ihr liegt, kannst du dich ja morgen wieder mit ihr treffen; selbstredend unter der Aufsicht deines Leibwächters.“

Der schwer verliebte Mann hatte dafür jedoch so gar kein Verständnis.

„Ich bin der Präsident, und ich alleine bestimme, mit wem ich die Nächte verbringe, klar? Nach all der Zeit voller Trauer und Einsamkeit wird es mir ja wohl erlaubt sein, etwas Spaß zu haben! Solltest du also weiterhin versuchen, meinem Glück im Weg zu stehen, kannst du dich als fristlos entlassen betrachten!“

Nach dieser aufbrausenden Entgegnung schubste er den Geflügelten einfach beiseite, um in das große Büro zu gelangen, von wo aus er direkt auf das Schlafzimmer zusteuerte.