ACT bei Trauma - Russ Harris - E-Book

ACT bei Trauma E-Book

Russ Harris

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  • Herausgeber: Arbor
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Zurück ins Leben Ein integrativer Ansatz zur Bewältigung von Traumata ACT bei Trauma bietet ein flexibles, umfassendes Modell für die Behandlung des gesamten Spektrums traumabezogener Probleme – Sucht, Depression, Angststörungen, chronischer Schmerz, Schlaflosigkeit, Grübeln, Scham und Suizidalität. Russ Harris, international anerkannter ACT-Therapeut und erfolgreicher Buchautor, zeigt, wie Sie mit den auf Mitgefühl beruhenden Konzepten der Akzeptanz- und Commitment-Therapie Ihren Klientinnen und Klienten helfen: Sicherheit und Geborgenheit im Körper zu finden, Hyper- und Hypoarousal zu überwinden, Dissoziation aufzulösen, Selbstmitgefühl statt Selbstkritik zu kultivieren, sich zu erden, sich aus der Verstrickung mit leidvollen Gedanken zu lösen, mit schwierigen Emotionen umzugehen, traumatische Erinnerungen durch flexible Exposition zu transformieren, sich mit den eigenen Werten zu verbinden und diese zu leben, posttraumatisches Wachstum zu erleben.

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Widmung

Teil 1 Was ist „traumafokussierte ACT“?

1 Die vielen Masken von Trauma

2 Ein ACT-Modell für Trauma

3 Kampf, Flucht, Erstarrung, Unterwerfung

4 Für Sicherheit sorgen

5 Der Punkt der Entscheidung

6 Die weitere Reise

Teil 2 Anfangen

7 Solide Grundlagen

8 Den Anker werfen

9 Flexible Sitzungen

Teil 3 In der Gegenwart leben

10 Die Fesseln von Fusion abstreifen

11 Komplexere Defusionstechniken

12 Den Kampfplatz verlassen

13 Kontakt herstellen, Raum schaffen

14 Selbstmitgefühl

15 Wissen, worauf es ankommt

16 Tun, was funktioniert

17 Problematisches Verhalten reduzieren

18 Hindernisse überwinden, Veränderungen aufrechterhalten

19 Wenn etwas schiefgeht

20 Exposition mit Mitgefühl und Flexibilität

21 Das flexible Selbst

22 Mit dem Körper arbeiten

23 Schlaf, Selbstberuhigung und Entspannung

24 Mit Schamgefühlen umgehen

25 Moralische Verletzung

26 Suizidalität

27 Den Schatz finden

28 Bessere Beziehungen aufbauen

29 Das „jüngere Ich“ unterstützen

30 Exposition mit Erinnerungen

31 Trauern und vergeben

Teil 5 Die Zukunft aufbauen

32 Der Weg nach vorne

33 TFACT als Kurzintervention

34 Ein paar Worte zum Abschied

Dank

Anhang A: Quellen

Anhang B: Weiterbildung

Literatur

Zum Autor

Orientierungsmarken

Cover

Textbeginn

Anhang

Russ Harris

ACT bei Trauma

Ein Leitfaden für die Arbeit mit der Akzeptanz- und Commitment-Therapie

Aus dem Englischen übersetzt von Bernhard Kleinschmidt

Arbor Verlag

Freiburg im Breisgau

Impressum

Die Ratschläge und Übungen in diesem Buch sind vom Autor sowie dem Verlag sorgfältig geprüft worden. Dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Bei Beschwerden sollten Sie auf jeden Fall eine Ärztin, einen Psychotherapeuten, eine Psychologin oder einen Heilpraktiker Ihres Vertrauens zurate ziehen. Eine Haftung des Autors oder des Verlages für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist ausgeschlossen.

Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel: Trauma-Focused ACT. A Practitioner’s Guide to Working with Mind, Body and Emotions Using Acceptance and Commitment Therapy bei Contect Press, an imprint of New Harbinger Publications, Inc., Oakland, CA, USA.

Deutsche Erstausgabe

1. Auflage 2024

Copyright der deutschen Ausgabe © 2024 Arbor Verlag GmbH, Freiburg

Copyright der Originalausgabe © 2021 by Russ Harris

Lektorat: Usha Swamy

Umschlaggestaltung: mediengenossen.de

Alle Rechte vorbehalten

www.arbor-verlag.de

ISBN E-Book: 978-3-86781-289-4

Für meine geliebte Natasha, meine Freundin, meine Gefährtin, meine Ratgeberin, meine Unterstützerin, meine Lehrerin, meine Mentorin … und die absolute Liebe meines Lebens. Wenn ich aufgeben wollte, hast du mich ermutigt, und wenn ich stecken blieb, hast du mir herausgeholfen. Volim te zauvek.

Teil 1 Was ist „traumafokussierte ACT“?

1Die vielen Masken von Trauma

„Trauma“ ist das griechische Wort für „Wunde“, und „Psyche“ ist das lateinische Wort für „Seele“. Mit diesen uralten Worten sind sowohl der klinische Begriff „psychisches Trauma“ als auch der poetische Ausdruck „Seelenwunde“ verbunden. Letzterer scheint mir wesentlich besser zu vermitteln, welch tiefe Qualen und welches Leiden im Allgemeinen mit einem Trauma verbunden sind. Der Schmerz durch solche Wunden – körperlich, emotional, psychisch und spirituell – kann jeden Bereich des menschlichen Lebens betreffen, und oft sind die Auswirkungen verheerend: ein zerstörtes Weltbild, ein gebrochenes Selbstgefühl, der Verlust von Vertrauen, Sicherheit oder Sinn, um nur einige Beispiele zu nennen.

Seelenwunden können in jedem Alter auftreten. Bei manchen Menschen beginnt das Trauma in der Kindheit mit dem Missbrauch durch Bezugspersonen, andere sind schon erwachsen, wenn etwas ihre Welt zerreißt. Wenn solche das ganze Leben erschütternde Ereignisse auftreten, können sie alles in Mitleidenschaft ziehen: Beziehungen, Beruf, Freizeit, Finanzen, physische und mentale Gesundheit, ja die Struktur des Gehirns selbst.

In der ACT, der Akzeptanz- und Commitment-Therapie, beschäftigen wir uns intensiv mit jedem Aspekt solcher seelischer Wunden – mit Kognitionen, Emotionen, Erinnerungen, Körperempfindungen, Impulsen, physiologischen Reaktionen und dem Körper selbst. Gelegentlich stellt das eine große Herausforderung für uns dar. Es löst unweigerlich eigene schmerzhafte Gedanken und Gefühle aus. Das können Angst, Traurigkeit oder Schuldgefühle sein, Frustration oder Enttäuschung, Sich-Sorgen, Selbstzweifel oder Selbstkritik. Wenn wir jedoch unangenehme Gefühle zulassen, tief in unser Mitgefühl hineinspüren und einen besonderen, geschützten Raum schaffen, einen Raum, in der wir Seite an Seite mit unseren Klientinnen und Klienten stehen und ihnen helfen, ihre Vergangenheit zu heilen, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen und eine neue Zukunft aufzubauen, dann ist unsere Arbeit zwar oft sehr anstrengend, aber auch zutiefst lohnend.

Was ist Trauma?

Erstaunlicherweise findet man problemlos eine Definition für die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), aber es ist schwer, auf eine klare Definition von Trauma zu stoßen. Damit wir uns nicht missverstehen, folgt hier meine eigene. Es ist nicht die „richtige“ oder die „beste“ Definition, sondern nur eine, die für unsere Zwecke funktioniert.

Bei einem „traumatischen Ereignis“ ist ein signifikanter Grad an tatsächlicher oder angedrohter körperlicher oder psychischer Verletzung vorhanden. Das Spektrum reicht von Fehlgeburt bis Mord, von Scheidung, Tod und Katastrophen bis zu Gewalt, Vergewaltigung und Folterung, von Unfällen, Verletzungen und Krankheiten bis zu der medizinischen und chirurgischen Behandlung dieser Dinge. Handeln kann es sich auch um Ereignisse, bei denen wir etwas, was unser moralisches Gefühl verletzt oder ihm zuwiderläuft, anstiften, begehen, nicht verhindern oder beobachten.

Zu einer „traumatischen Störung“ gehören:

die direkte oder indirekte Erfahrung traumatischer Ereignisse,quälende emotionale, kognitive und physiologische Reaktionen auf diese Erfahrung,die Unfähigkeit, wirksam mit den eigenen quälenden Reaktionen umzugehen.

Wenn ich in diesem Buch das Wort „Trauma“ verwende, steht das für „traumatische Störung“, einen Sammelbegriff für eine riesige Zahl an durch Trauma entstehenden Problemen. Dazu gehören PTBS, Drogen- und Alkoholprobleme, Beziehungsprobleme, Depression, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen, Schlafstörungen, moralische Verletzung, das chronische Schmerzsyndrom, sexuelle Probleme, Aggression und Gewalt, selbstverletzendes Verhalten, Suizidalität, die anhaltende Trauerstörung, Bindungsstörungen, Impulsivität und mehr. Übrigens wird PTBS im Vergleich mit den vielen anderen Formen von Trauma nur selten klar diagnostiziert.

Viele dieser Probleme maskieren die ihnen zugrunde liegende Traumageschichte, sodass diese tief vergraben und lange vergessen bleibt. Und obwohl wir von einer „einfachen“ Traumatisierung (einer Reaktion auf ein schweres traumatisches Ereignis) und einer „komplexen“ Traumatisierung sprechen (vielen traumatischen Ereignissen über einen langen Zeitraum hinweg, der oft in der Kindheit beginnt), gibt es zwischen diesen Extremen viele Facetten. Unabhängig davon, wie einfach oder komplex ein Trauma sein mag, sind immer drei Ströme von Symptomen beteiligt, die beständig ineinander- und auseinanderfließen.

Wiedererleben von traumatischen Ereignissen: Solche Ereignisse werden auf unterschiedliche Weise wiedererlebt, darunter durch Albträume, Flashbacks und Grübeln sowie durch störende Kognitionen und Emotionen.Extreme Über- und Untererregung: Wir werden uns später ausführlich mit diesen Begriffen befassen; beschränken wir uns vorläufig auf die Grundlagen. In der therapeutischen Arbeit sprechen wir nicht von „Übererregung“, sondern von der „Kampf-oder-Flucht-Reaktion“, durch die Wut, Reizbarkeit, Angst, Nervosität, Hypervigilanz, Schlafstörungen und Konzentrationsschwäche entstehen. Ebenso sprechen wir nicht von „Untererregung“, sondern von einer „Erstarrungsreaktion“, bei der der Körper erstarrt und abschaltet, was sich in Apathie, Lethargie, Abwesenheit, emotionaler Betäubung und dissoziativen Zuständen äußert.Psychische Inflexibilität: Das übergeordnete Ziel der ACT ist es, psychische Beweglichkeit oder Flexibilität zu entwickeln. Das ist die Fähigkeit, präsent, fokussiert und konzentriert auf das zu sein, was wir gerade tun, uns unserer Erfahrung vollständig zu öffnen, zuzulassen, dass unsere Kognitionen und Emotionen so sind, wie sie im jeweiligen Moment eben sind, und wirksam zu handeln, geleitet von unseren Werten. Einfacher ausgedrückt: „Präsent sein, sich öffnen und tun, worauf es ankommt.“Die Kehrseite dieses Ziels ist psychische Inflexibilität, die aus folgenden Faktoren besteht:Kognitive Fusion: Unsere Kognitionen, darunter Gedanken, Bilder, Erinnerungen, Schemata und Grundüberzeugungen, dominieren unser Bewusstsein und unser Handeln.Erlebensvermeidung: Der kontinuierliche Versuch, unerwünschte Kognitionen, Emotionen, Körperempfindungen und Erinnerungen zu vermeiden oder loszuwerden, selbst wenn das problematisch ist.Wertferne: mangelnde Klarheit über unsere zentralen Werte oder Abkoppelung davon.Unzweckmäßiges Handeln: ineffektive Verhaltensmuster, die das Leben meist langfristig verschlechtern, darunter sozialer Rückzug, selbstverletzendes Verhalten und exzessiver Drogengebrauch.Kontaktverlust mit dem aktuellen Moment: Ablenkbarkeit, Abwesenheit, Abgetrenntheit von Gedanken und Gefühlen.

Diese drei Ströme von Symptomen – das Wiedererleben von Trauma, extreme Über- oder Untererregung, psychische Inflexibilität – überlagern und verstärken sich auf ebenso vielfältige wie komplexe Weise, wodurch ein wahrhaft riesiges Spektrum an klinischen Erscheinungen zutage tritt.

Was ist traumafokussierte ACT?

Traumafokussierte ACT (TFACT) ist weder eine bestimmte Methode im Sinne einer Handlungsanweisung noch eine Behandlung für eine bestimmte Störung wie etwa PTBS. Es ist ein auf Mitgefühl gegründeter und expositionszentrierter Ansatz zur Arbeit mit der ACT, der vom Trauma ausgeht. Er stützt sich auf relevante Gebiete wie die Evolutionswissenschaft, die Polyvagal-Theorie, die Bindungstheorie und die Inhibitory Learning Theory; er ist traumabewusst, indem er die mögliche Rolle von Trauma bei einem breiten Spektrum an klinischen Erscheinungen im Blick hat; und er ist traumasensitiv, indem er die Risiken von Erfahrungsarbeit – vor allem der Achtsamkeitsmeditation – berücksichtigt.

Die TFACT besteht aus drei miteinander verflochtenen Strängen, die sich allen traumabezogenen Problemen widmen: dem Leben in der Gegenwart, der Heilung der Vergangenheit und dem Aufbau der Zukunft.

In der Gegenwart leben. Das ist der Hauptaspekt unserer Arbeit in der TFACT. Wir helfen unseren Klientinnen und Klienten dabei zu lernen, wie man sich erdet und zentriert; wie man wahrnimmt, wenn man abschaltet oder in einen dissoziativen Zustand verfällt und die Aufmerksamkeit dann wieder aufs Hier und Jetzt richtet; wie man eine Verbindung zum eigenen Körper aufbaut und sich darin „zu Hause“ fühlt; wie man entkräftende Übererregung und lähmende Untererregung überwindet; wie man als Reaktion auf den eigenen Schmerz mit Selbstmitgefühl reagiert; wie man sich darauf konzentriert, was man gerade tut; wie man sich dabei unterbricht, über die Vergangenheit nachzugrübeln und sich Sorgen über die Zukunft zu machen; wie man Zugang zu einem flexiblen, integrierten Selbstgefühl bekommt; wie man den Fokus der Aufmerksamkeit entsprechend den Anforderungen verengt, erweitert, aufrechterhält und verlagert; wie man Emotionsregulation im Sinne der ACT praktiziert; wie man angenehme Erfahrungen genießt und wertschätzt; und wie man sich mit den eigenen Werten verbindet, nach ihnen lebt und handelt. Dazu gehört auch das jeweils erforderliche Training von Kompetenzen (zum Beispiel von Durchsetzungsvermögen und Kommunikationsfähigkeit), mit denen ein wertebasiertes Leben möglich ist.

Die Vergangenheit heilen. Hier erforschen wir mit den Klientinnen und Klienten, wie ihre Vergangenheit ihre gegenwärtigen Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen geformt hat. Wir arbeiten aktiv mit vergangenheitsorientierten Kognitionen und den damit verbundenen Emotionen. Dazu gehören die Beschäftigung mit dem inneren Kind und die Exposition mit traumatischen Erinnerungen sowie Vergebung und Trauer.

Die Zukunft aufbauen. Hier nutzen wir eine wertebasierte Zielsetzung, darunter Strategien zur Verhinderung von Rückfall, um den Menschen in unserer Praxis zu helfen, ihre Zukunft zu planen und sich darauf vorzubereiten. Im Idealfall streben wir ein posttraumatisches Wachstum an. Das bedeutet, dass man sich durch die Prüfungen der Vergangenheit entwickelt und auf positive Weise ändert, und dass man die dabei erworbenen Stärken, Einsichten und Erkenntnisse nutzt, um eine bessere Zukunft aufzubauen.

Warum sollte man traumafokussierte ACT anwenden?

Die Akzeptanz- und Commitment-Therapie wurde Mitte der 1980er Jahre von Steven C. Hayes, Professor für Psychologie an der University of Reno in Nevada, begründet und von seinen beiden Mitarbeitern Kirk Strosahl und Kelly Wilson weiterentwickelt. Seither haben mehr als dreitausend publizierte Studien (über sechshundert davon randomisiert-kontrolliert) erwiesen, dass die ACT bei einem breiten Spektrum von klinischen Erscheinungen wirksam ist, von PTBS, Depression und Angststörungen bis hin zu Substanzmissbrauch, Schamgefühlen und chronischen Schmerzen (Boals u. Murrell 2016, Lang u. a. 2017, ­Gloster u. a. 2020, Luoma u. a. 2012).

Von besonderer Bedeutung sind neuere Forschungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Seit 2016 führt sie weltweit ACT-Programme in Flüchtlingslagern durch, und 2020 wurde in The Lancet die erste randomisiert-kontrollierte Studie dazu veröffentlicht (Tot u. a. 2020). Die Ergebnisse sind eindrucksvoll. Beobachtet wurden aus dem Südsudan stammende Frauen, die in einem ugandischen Flüchtlingslager ­untergebracht waren. Die meisten von ihnen hatten wiederholt genderbasierte Gewalt und die Schrecken des Kriegs erlebt. Dazu kam der anhaltende Stress, in einem Lager mit 250.000 Geflüchteten zu leben. Dennoch führten bereits ganze zehn Stunden ACT, vermittelt in einem von Laienmoderatoren durchgeführten Gruppenprogramm, zu einer signifikanten Verminderung von PTBS und Depression.

Abgesehen von solchen evidenzbasierten Erkenntnissen gibt es mehrere weitere gute Gründe, bei traumabezogenen Problemen die ACT anzuwenden.

Ein transdiagnostischer Ansatz. Die TFACT ist ein transdiagnostisches Modell. Es basiert auf einer kleinen Anzahl von Kernprozessen, die flexibel bei allen Diagnosen im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM) angewendet werden können, darunter bei gleichzeitig auftretenden Störungen. Zum Beispiel kann man mit Personen arbeiten, die unter chronischen Schmerzen, PTBS und Alkoholproblemen leiden – und auf all diese Erscheinungen gleichzeitig mit den Kernprozessen der ACT eingehen. Da Trauma sich so vielfältig präsentiert und da Komorbidität so häufig vorkommt, ist diese Flexibilität sehr praktisch.

Ein expositionsbasierter Ansatz. Exposition ist ein zentrales Element von TFCT. Laienhaft ausgedrückt, bedeutet Exposition im Grunde, bewusst Kontakt zu „schwierigen Dingen“ aufzunehmen, um neue, konstruktivere Möglichkeiten zu erlernen, darauf zu reagieren. Im Körper können zu solchen „schwierigen Dingen“ Erinnerungen, Gedanken, Bilder, Gefühle, Impulse, Körperempfindungen, Verlangen, Emotionen, Betäubung und physiologische Reaktionen gehören. Außerhalb vom Körper können es andere Menschen, bestimmte Orte, Gegenstände, Ereignisse und Aktivitäten sein. Ursprünglich lösen solche „schwierigen Dinge“ unproduktive Verhaltensmuster aus, aber während der Exposition erlernen die Betreffenden neue, flexiblere und ihr Leben verbessernde Reaktionsmöglichkeiten.

Ein interpersoneller Ansatz. Die TFACT biete viele Möglichkeiten, auf der interpersonellen Ebene zu arbeiten, darunter ein bewusster Fokus darauf, was sich in der therapeutischen Beziehung abspielt. Da interpersonelle Probleme bei Trauma so häufig vorkommen, ist das ein eindeutiger Vorteil.

Ein integrativer Ansatz. Auf unserer Reise durch die Welt der TFACT werden wir mehrere Theorien erkunden, die sich gut damit verbinden lassen, darunter die Polyvagal-Theorie, die Bindungstheorie und die Inhibitory Learning Theory. (Aber machen Sie sich keine Sorgen; statt uns in Details zu verlieren, werden wir die genannten Theorien aus einer praktischen Perspektive erforschen, ohne viel technischen Jargon und dafür mit einem Fokus auf der klinischen Anwendung.)

Ein auf Mitgefühl gegründeter Ansatz. Selbstmitgefühl ist ein integraler Teil der TFACT und ein zentraler Aspekt aller Arbeit mit Trauma. Die Fähigkeit, unseren eigenen Schmerz und unser Leiden anzuerkennen und darauf mit echter Freundlichkeit zu reagieren, bildet die Grundlage für Heilung und Genesung. Außerdem ist sie ein wirkungsvolles Mittel gegen Schamgefühle.

Eine Kombination aus Bottom-Up und Top-Down. Die ersten Sitzungen in der TFACT sind üblicherweise von einem „Bottom-Up-Ansatz“ geprägt. Wir beschäftigen uns mit dem physischen Körper, mit Emotionen, Gefühlen, Körperempfindungen, somatischer Wahrnehmung, autonomer Erregung und dergleichen. Spätere Sitzungen sind eher „Top-Down“; sie konzentrieren sich auf kognitive Flexibilität, Werte, ­Zielsetzung, Handlungsplanung und Problemlösen. Trotzdem kommen in den meisten Sitzungen beide Ansätze zum Zug; der jeweilige Anteil variiert von Sitzung zu Sitzung, indem er flexibel an die Bedürfnisse und Reaktionen der einzelnen Personen angepasst wird.

Ein umfassender Ansatz. Die TFACT ist ein reicher, vielschichtiger und ganzheitlicher Ansatz für die umfassende Arbeit mit allen Aspekten von einfachem und komplexem Trauma. In diesem Buch werden Sie Prinzipien und Verfahren kennenlernen, die sich für viele Erscheinungen eignen, für Sucht, zwischenmenschliche Probleme, Schlaflosigkeit, selbstverletzendes Verhalten, Suizidalität, emotionale Dysregulation, Flashbacks, traumatische Erinnerungen, dissoziative Zustände, ein fragmentiertes Selbstgefühl und wesentlich mehr. Dabei müssen Sie nicht als ACT-Purist vorgehen – wenn Sie Ressourcen aus anderen Modellen integrieren wollen, zum Beispiel aus EMDR oder der verlängerten Exposition, können Sie das problemlos tun. Wie wir später sehen werden, lässt die TFACT sich gut mit anderen Modellen kombinieren.

Ein zeitsparender Ansatz. Das Bedürfnis nach kurzen Therapieverfahren wächst, weshalb wir in der therapeutischen Rolle vor der immer größeren Herausforderung stehen, mit möglichst wenig Sitzungen ein optimales Ergebnis zu erzielen. Glücklicherweise funktioniert die TFACT gut als kurze Therapie. In diesem Buch gehen wir hauptsächlich von fünfzig Minuten dauernden Sitzungen aus, von denen durchschnittlich zehn bis zwölf nötig sind. Natürlich brauchen manche Klientinnen und Klienten eine langfristige Therapie, die mehrere Jahre dauert, doch die Mehrheit reagiert auch in einem kürzeren Zeitrahmen gut. In Kapitel 33 („TFACT als Kurzintervention“) geht es darum, wie die TFACT in Situationen eingesetzt werden kann, in denen nur wenige Sitzungen zur Verfügung stehen, die bis zu dreißig Minuten kurz sein können.

Wie man dieses Buch benutzt

Beim Verfassen dieses Buchs bin ich davon ausgegangen, dass Sie sich bereits ein bisschen mit der ACT auskennen, also mindestens an einer praktischen Einführung teilgenommen oder ein Buch über die Grundlagen gelesen haben. Daher berichte ich hier nicht, wie die ACT entwickelt wurde, und verzichte auch auf eine umfassende Beschreibung der grundlegenden Theorie. Sollte dies jedoch Ihre erste Begegnung mit der ACT sein, werden Sie zwar mitkommen, aber ich empfehle Ihnen, zuerst das ganze Buch zu lesen, bevor Sie es anwenden. Die zentralen ACT-Prozesse greifen nämlich ineinander; wenn Sie also noch nicht mit dem gesamten Modell und damit vertraut sind, wie diese Prozesse zusammenhängen, werden Sie wahrscheinlich steckenbleiben. Wenn Ihnen der Ansatz dann gefällt, sollten Sie sich gleich mit einer Einführung in die ACT befassen, um das notwendige Grundwissen zu erwerben, das hier nicht behandelt wird.

Übrigens nehme ich an, dass viele Leserinnen und Leser bereits meine eigene Einführung kennen (ACT leicht gemacht, Harris 2020), weshalb ich mich bemüht habe, Überschneidungen zu vermeiden. Natürlich gibt es trotzdem welche, aber außerdem enthält dieses Buch wesentlich mehr: viele neue Themen, Hilfsmittel, Techniken und Methoden zu einem flexiblen Umgang mit der Funktion und dem Prozess. Wo ich auf meine Lieblingsübungen zurückgreife, zum Beispiel das Ankerwerfen, habe ich ihnen eine neue Richtung mit einem klaren Fokus auf Trauma gegeben.

BEGLEITMATERIAL: Ich habe ein kostenloses E-Book mit dem Titel Trauma-­Focused ACT – The Extra Bits geschrieben, das Sie in Englisch unter „Free ­Resources“ auf der Website www.ImLearningACT.com herunterladen können. Sie finden darin Links zu allen Arbeitsblättern und Handouts, die in diesem Buch erwähnt werden, außerdem Hinweise zu Übungen und Metaphern, YouTube-­Videos und Audioaufnahmen im MP3-Format.

Struktur

Dieses Buch besteht aus fünf Teilen. Im ersten Teil – „Was ist traumafokussierte ACT?“ – geht es darum, was Trauma ist und wie man es aus der ACT-Perspektive betrachtet und damit arbeitet. Im zweiten Teil werden die ersten beiden Sitzungen einer Therapie behandelt, mit einem speziellen Augenmerk darauf, wie maximale Wirksamkeit und Sicherheit erreicht werden können. In den letzten drei Teilen geht es um die drei miteinander verflochtenen Stränge der TFACT: „In der Gegenwart leben“, „Die Vergangenheit heilen“ und „Die Zukunft aufbauen“.

Alles kann angepasst werden

Bitte passen Sie alles, was Sie lesen, Ihrer eigenen Arbeitsweise an. Das betrifft Metaphern, Protokolle, Arbeitsblätter, Übungen, Hilfsmittel und Techniken. Wenn Sie etwas anders ausdrücken oder anders tun wollen, damit es besser zu Ihnen und Ihren Klientinnen und Klienten passt, nur zu! Verlassen Sie sich auf Ihre Kreativität und Ihre Erfahrung, um Ihren eigenen Weg zu gehen.

Neugier und Offenheit

Der TFACT-Ansatz hat viel mit anderen Modellen der Traumatherapie gemein; es gibt jedoch auch signifikante Unterschiede. Gehen Sie daher mit Neugier und Offenheit an die Lektüre heran. Wenn Sie etwas lesen, was im Widerspruch zu Ihrer bisherigen Ausbildung steht, lehnen Sie es bitte nicht automatisch ab, übernehmen Sie es jedoch auch nicht automatisch. Öffnen Sie sich stattdessen; ziehen Sie es in Betracht und hinterfragen Sie es. Vielleicht passt es zu Ihrer Arbeitsweise, vielleicht nicht. Kein Modell ist vollkommen, jedes hat seine Stärken und Schwächen. Eignen Sie sich daher an, was für Sie nützlich ist, und lassen Sie alles andere weg. In diesem Sinne hat C. G. Jung gesagt, man solle Theorien so gut erlernen, wie man könne, sie jedoch beiseitelegen, wenn man es mit dem Wunder der lebendigen Seele zu tun habe.

2Ein ACT-Modell für Trauma

Sind Sie bereit, in das tiefe und eisige Wasser der Fallkonzeptualisierung einzutauchen? In der TFACT begreifen wir Trauma etwas anders als in vielen anderen Modellen, weshalb es wichtig ist, diese Perspektive zu verstehen. Sie bildet die Grundlage für alles, was folgt. (Ein warnender Hinweis für Neulinge in der ACT: In diesem Kapitel werden eine Menge Fachbegriffe eingeführt, aber machen Sie sich keine Sorgen. Wenn wir zu der klinischen Anwendung kommen, wird sich alles klären. Was erfahrene ACT-Praktizierende angeht, kann eine kleine Auffrischung ja bestimmt nicht schaden.) Bevor wir uns also mit dem ACT-Modell von Trauma befassen, folgen hier eine kurze Zusammenfassung der ACT und einige nützliche Übungen, mit denen Sie in Ihrer therapeutischen Arbeit zentrale Konzepte illustrieren können.

ACT – eine kurze Zusammenfassung

Die Akzeptanz- und Commitment-Therapie ist eine existenzielle, humanistische, achtsamkeitsbasierte, kognitive Verhaltenstherapie. Einfach formuliert, zielt die ACT darauf ab, Menschen dabei zu helfen, psychisches Leiden zu reduzieren und ein reiches, sinnvolles Leben aufzubauen. Das geschieht, indem die ACT uns hilft,

neue psychische Fertigkeiten zu erwerben, mit denen die Wirkung schwieriger Emotionen und Kognitionen verringert wird, damit diese uns nicht mehr herumschubsen, zurückhalten oder am Leben hindern können,unsere Werte zu klären (wie wir mit uns selbst, mit anderen und mit der Welt um uns herum umgehen wollen) und sie so einzusetzen, dass sie unser Handeln leiten und unser Leben verbessern,die Aufmerksamkeit auf das zu richten, was wichtig ist, und uns voll und ganz dem zu widmen, was wir gerade tun.

Die sechs Kernprozesse der ACT

Auf der Grundlage einer wissenschaftlichen Philosophie, die als funktionaler Kontextualismus bezeichnet wird, und der auf Sprache bezogenen Bezugsrahmentheorie ruht das ACT-Modell auf sechs Kernprozessen, die auf der folgenden Abbildung dargestellt sind. Spielerisch wird sie oft als „Hexaflex“ bezeichnet.

Das ACT-Hexaflex

Kontakt mit dem gegenwärtigen Moment (im Hier und Jetzt sein)

Im Kontakt mit dem aktuellen Moment sein bedeutet, die Aufmerksamkeit flexibel auf das momentane Erleben zu richten, wobei der Fokus nach Belieben verengt, erweitert, aufrechterhalten oder verlagert wird. Dazu gehört es, bewusst die physische Welt um uns herum und die psychische Welt in uns wahrzunehmen und uns ganz auf unsere Erfahrung einzulassen.

Akzeptanz (sich öffnen)

Akzeptanz bedeutet, bereitwillig Raum für unerwünschte private Erfahrungen wie Kognitionen, Emotionen, Erinnerungen, Impulse und Körperempfindungen zu schaffen. (Der Begriff „private Erfahrung“ bezieht sich auf sämtliche Aspekte unserer inneren psychischen Welt.) Statt dagegen anzukämpfen, Widerstand zu leisten oder davor wegzulaufen, öffnen wir uns und lassen den Erfahrungen Raum, sodass sie frei durch uns hindurchströmen können.

Wichtig ist, dass Akzeptanz nicht bedeutet, sich passiv mit schwierigen Situationen abzufinden. In solchen Fällen befürworten wir in der ACT, engagiert zu handeln, um die Situation zu verbessern oder sie zu verlassen, je nachdem, was die bessere Option ist. Akzeptanz hingegen ist erfahrungsbezogen und bedeutet, private Erfahrungen anzunehmen.

Defusion (das eigene Denken beobachten)

Defusion (kurz für kognitive Defusion) bedeutet zu lernen, unsere Kognitionen wahrzunehmen, anzuerkennen und uns davon zu trennen, also gewissermaßen einen Schritt zurückzutreten, sie zu beobachten, statt davon beherrscht zu werden. Wir betrachten unsere Gedanken als das, was sie sind – Konstrukte aus Wörtern oder Bildern oder beidem –, und erlauben ihnen, da zu sein. Wir stellen sie nicht infrage, lenken uns von ihnen ab oder schieben sie von uns weg; vielmehr nehmen wir sie leicht. Wenn sie nützlich sind, lassen wir uns von ihnen leiten, uns von ihnen jedoch nicht beherrschen. (Defusion und Akzeptanz sind miteinander verflochten: Wir schaffen Raum für unsere Kognitionen und erlauben ihnen, so zu kommen, zu bleiben und zu gehen, wie sie wollen. Außerdem lösen wir uns von Kognitionen, die uns in einen Kampf mit unserem inneren Erleben hineinziehen – Was für ein furchtbares Gefühl! Das muss ich loswerden!)

Das Selbst als Kontext (das wahrnehmende Selbst)

In der Alltagssprache werden unserem Kopf (im Sinne unserer Psyche) zwei „Tätigkeiten“ zugeschrieben. Der eine Teil denkt, das heißt, er erzeugt Gedanken, Überzeugungen, Erinnerungen, Fantasien, Pläne und vieles mehr. Der andere Teil nimmt schweigend wahr, konzentriert sich und passt auf; er ist sich bewusst, was wir momentan denken, fühlen, spüren und tun. Fachsprachlich bezeichnen wir diesen Teil in der ACT als Selbst-als-Kontext, aber in der therapeutischen Praxis verwenden wir Ausdrücke wie „wahrnehmendes Selbst“, „beobachtendes Selbst“ oder „der Teil von uns, der wahrnimmt“.

Ein bisschen verwirrend wird es, weil Selbst-als-Kontext eine zweite Bedeutung hat, nämlich das „flexible Einnehmen von Perspektiven“. Das ist der kognitive Prozess, der die Grundlage für verschiedene Elemente bildet: Defusion, Akzeptanz, Kontakt zum gegenwärtigen Augenblick, Selbstgewahrsein, Selbstreflexion, Mitgefühl, Theory of Mind, Empathie, das wahrnehmende Selbst, die Vorstellung, wie man in der Zukunft sein wird oder in der Vergangenheit war, die Dinge aus der Perspektive anderer Menschen betrachten und noch wesentlich mehr. In diesem Buch werden je nach den Erfordernissen beide Bedeutungen verwendet.

Tipp für die Praxis

Im ACT-Modell gibt es vier zentrale Achtsamkeitsprozesse: Kontakt zum gegenwärtigen Moment, Defusion, Akzeptanz und Selbst-als-Kontext. Der Begriff Achtsamkeit kann sich daher auf jeden dieser Prozesse beziehen oder auf eine Kombination von mehreren.

Werte (wissen, worauf es ankommt)

Werte sind erwünschte Verhaltenseigenschaften; sie beschreiben, wie wir mit uns selbst, mit anderen Menschen und mit der Welt um uns herum umgehen wollen. Dazu gehört, wie wir uns in unseren Beziehungen mit allen und allem verhalten wollen, jetzt und zukünftig. Wir können uns von unseren Werten anregen, motivieren und leiten lassen. Wie ein Kompass zeigen sie uns die Richtung an und helfen uns, den Weg zu finden, wenn wir uns verirrt haben.

Engagiertes Handeln (tun, was nötig ist)

Engagiert zu handeln bedeutet, wirksam und von unseren Werten geleitet das zu tun, was nötig ist, um ein reiches, erfülltes und sinnvolles Leben aufzubauen. Dazu gehören Zielsetzung, Handlungsplanung, Problemlösung und Exposition. Außerdem geht es darum, Fertigkeiten zu erlernen und anzuwenden, die das Leben verbessern – von Selbstberuhigung und Entspannung bis hin zu zwischenmenschlichen Skills wie jenen, sich durchsetzen, kommunizieren und Konflikte lösen zu können.

Psychische Flexibilität

Wie in der Abbildung oben zu sehen, sind die Kernprozesse miteinander verbundene Elemente von psychischer Flexibilität, der Fähigkeit, effektiv, achtsam und von Werten geleitet zu handeln. Je größer diese Flexibilität ist – das heißt unsere Fähigkeit, unser Erleben ganz bewusst und offen wahrzunehmen und im Einklang mit unseren Werten zu handeln –, desto größer ist unsere Lebensqualität. Psychische Flexibilität ermöglicht es uns, wirksam mit unseren Problemen umzugehen, ein tiefes Gefühl von Sinn und Zweck zu entwickeln und uns ganz auf das Leben im Hier und Jetzt einzulassen.

Selbstmitgefühl ist ein fundamentaler, wesenhafter Aspekt der ACT, taucht im Hexaflex jedoch nicht auf, weil es sämtliche sechs Prozesse umfasst. Darum wird es in Kapitel 14 gehen.

Das ACT-Triflex

Die sechs Kernprozesse kann man zu drei größeren Einheiten zusammenfassen, wie die folgende Abbildung zeigt. Wir sprechen spielerisch von dem Triflex (Harris 2020).

Zu Selbst-als-Kontext und zu dem Kontakt mit dem jetzigen Moment gehört es, sich dem Erleben im Hier und Jetzt mit flexibler Aufmerksamkeit zuzuwenden und daran teilzunehmen (anders gesagt: „präsent zu sein“).

Bei Defusion und Akzeptanz geht es darum, Gedanken und Gefühle wahrzunehmen, sie als das zu betrachten, was sie wirklich sind, ihnen Raum zu geben und sie so kommen und gehen zu lassen, wie sie es wollen (anders gesagt: „sich zu öffnen“).

Werte und engagiertes Handeln bedeuten, mit Verhaltensweisen, die das Leben bereichern, zu beginnen und sie beizubehalten (anders gesagt: „zu tun, worauf es ankommt“).

Das heißt, wir können psychische Flexibilität als die Fähigkeit beschreiben, „präsent zu sein, sich zu öffnen und zu tun, worauf es ankommt“.

Das ACT-Triflex

Zwei nützliche Übungen

Die folgenden beiden Übungen sind ausgesprochen nützlich, um die zentralen Konzepte der ACT einzuführen, weshalb ich in späteren Kapiteln darauf zurückkommen werde. Ich möchten Ihnen vorschlagen, den Dialog laut mitzusprechen; das ist eine wesentlich tiefere Lernerfahrung, als ihn nur zu lesen. Die beiden Dialoge stellen lediglich ein Gerüst dar; in der Sitzung gestalten wir sie mit spezifischen Beispielen aus dem Leben der Person aus, mit der wir gerade arbeiten. Zum Beispiel würden wir nach den Worten „… die schwierigen Probleme und Herausforderungen, mit denen Sie sich beschäftigen müssen …“ ein oder zwei Probleme der Person nennen, wie etwa „der Konflikt mit Ihren Kindern“ oder „die medizinische Behandlung Ihrer Verletzungen“.

Hände als Gedanken

Diese Übung verdeutlich die Kosten von Fusion (sich in Gedanken „verstricken“) und den Nutzen von Defusion (sich aus der Verstrickung lösen). In der Sitzung führen wir alle erwähnten Körperbewegungen aktiv aus und bitten unser Gegenüber, das nachzuahmen.

Therapeutin:Wären Sie bereit, mit mir eine kurze Übung zu machen, damit Sie einen Eindruck davon bekommen, was wir als Nächstes vorhaben?

Klient:Klar.

Therapeutin:Gut (deutet auf eine Stelle im Raum, die sich vor der Person befindet), dann stellen Sie sich bitte vor, dass sich vor Ihnen alles befindet, was wirklich wichtig für Sie ist. Alle angenehmen Dinge, die Ihnen etwas bedeuten, zum Beispiel die Menschen, Orte und Aktivitäten, die Sie lieben, Ihr Lieblingsessen, die Musikstücke, Sportarten und Filme, die Sie besonders schätzen, wie etwa (nennt einige Beispiele, die auf die Person zutreffen). Und auch alle schmerzhaften Dinge – die schwierigen Probleme und Herausforderungen, mit denen Sie sich beschäftigen müssen, und all die schwierigen Aufgaben, mit denen Sie konfrontiert sind, wie etwa (nennt wieder einige spezifische Beispiele). Legen Sie jetzt so die Hände aneinander (legt die Hände auf Bauchhöhe mit nach oben gewandten Handflächen aneinander wie ein offenes Buch, Klient tut dasselbe) und stellen Sie sich vor, dass die Hände da Ihre Gedanken und Gefühle sind.

Klient:Okay.

Therapeutin:Machen Sie bitte weiter nach, was ich tue. Jetzt wollen wir sehen, was passiert, wenn wir uns in unseren Gedanken und Gefühlen verstricken (hebt langsam die Hände vors Gesicht, Klient tut dasselbe). Ja, genau so, und heben Sie die Hände jetzt so nach oben, dass sie die Augen verdecken. (Beide setzen die Bewegung fort, bis die Hände so das Gesicht berühren, dass Wangen, Augen und Stirn verdeckt sind.)

So ist es also, wenn wir in unsere Gedanken und Gefühle verstrickt sind. Beobachten Sie jetzt drei Dinge. (Beide lassen die Hände über den Augen.) Erstens: Drehen Sie den Kopf so hin und her, als würden Sie sich im Zimmer umsehen, und fragen Sie sich: Wie viel entgeht mir gerade? Wie abgeschnitten und getrennt bin ich von allen wichtigen Dingen ringsum?

Klient:Total!

Therapeutin: Und ob! Dann beobachten Sie jetzt zweitens bitte, wie schwierig es ist, sich auf etwas zu konzentrieren. Stellen Sie sich vor, dass sich eine wichtige Aufgabe oder eine Person, die Ihnen etwas bedeutet, direkt vor Ihnen befindet. Wie schwer wäre es, dem Ihre ganze Aufmerksamkeit zu schenken?

Klient: Brutal schwer!

Therapeutin: Auf jeden Fall. Dann beobachten Sie nun drittens bitte: Wie schwer wäre es, in Aktion zu treten und das zu tun, was Ihr Leben am Laufen hält? Wie schwer wäre es wohl, Auto zu fahren, Essen zu kochen oder etwas auf dem Computer zu tippen (nennt außerdem einige speziell auf den Klienten zutreffende Beispiele)?

Klient: Na ja, das wäre überhaupt nicht möglich.

Therapeutin: Genau. So ist es also, wenn wir uns in etwas verstricken. Machen Sie jetzt wieder dasselbe wie ich, und dann sehen wir mal, was passiert, wenn wir uns von unseren Gedanken und Gefühlen lösen. (Nimmt ganz langsam die Hände vom Gesicht und lässt sie in den Schoß sinken, Klient tut das Gleiche.)

Therapeutin: Beobachten Sie jetzt: Wie viel mehr können Sie nun in sich aufnehmen? Um wie viel leichter ist es, sich auf die Umgebung einzustellen und auf die anliegende Aufgabe zu konzentrieren? (Klient nickt zustimmend.)

Bewegen Sie jetzt die Arme (schwenkt die Arme, Klient ahmt es nach). Um wie viel leichter ist es jetzt, das zu tun, was Ihr Leben am Laufen hält, wie Auto fahren, etwas auf dem Computer tippen und Essen kochen (stellt beim Sprechen alles pantomimisch dar)?

Klient: Viel, viel leichter!

Therapeutin: Aber sehen Sie, dass die beiden Hände da (bewegt ihre Hände) nicht verschwunden sind. Sie sind noch da, und wenn Sie sie benutzen können, sollten Sie das tun. Weil selbst wirklich schwierige Gedanken und Gefühle uns wertvolle Informationen über Dinge liefern können, mit denen wir uns beschäftigen müssen oder die wir anders machen sollten. Wenn Sie die Hände jedoch nicht gut nutzen können, lassen Sie sie einfach im Schoß liegen.

Ein Blatt Papier wegschieben

Diese Übung (ursprünglich in Harris 2014b) verdeutlicht die Kosten von Erlebensvermeidung und den Nutzen von Akzeptanz. (Da dabei anstrengende Armbewegungen gemacht werden, ist sie ungeeignet, wenn eine der beteiligten Personen Probleme mit dem Hals, den Schultern oder den Armen hat. Eine gute Alternative ohne Bewegungen ist die Metapher Der Kampf-Schalter in Kapitel 12.)

Beide Beteiligten haben ein Blatt Papier vor sich liegen.

Therapeut: Stellen Sie sich vor, dass sich vor Ihnen alles befindet, was Ihnen wirklich etwas bedeutet. Alles Angenehme, was Ihnen wichtig ist, zum Beispiel die Menschen, Orte und Aktivitäten, die Sie lieben, Ihr Lieblingsessen, die Musikstücke, Sportarten und Filme, die Sie besonders schätzen, wie etwa (nennt einige Beispiele, die auf die Person zutreffen). Und auch alles Schmerzhafte – die schwierigen Probleme und Herausforderungen, mit denen Sie sich beschäftigen müssen, und all die schwierigen Aufgaben, mit denen Sie konfrontiert sind, wie etwa (nennt wieder einige spezifische Beispiele). Stellen Sie sich außerdem vor, dass dieses Blatt Papier aus all Ihren schwierigen, unerwünschten Gedanken, Gefühlen, Impulsen und Erinnerungen besteht.

Klientin: Mach ich.

Therapeut: Dann sehen wir mal, was passiert, wenn wir mit diesen Dingen kämpfen. Können Sie bitte alles mitmachen, was ich tue? (Therapeut hält das Blatt mit den Händen an beiden Seiten, Klientin ahmt ihn nach.) Prima. Halten Sie das Blatt weiter ganz fest, während Sie es so weit wie möglich von sich wegstrecken. (Beide strecken die Arme aus.) Das raten Ihnen doch alle, nicht wahr? Im Freundeskreis, in der ärztlichen Sprechstunde, in der Therapie? Nichts wie weg mit solchen Gedanken und Gefühlen!

Aber, wissen Sie (spricht in humorvollem Ton), ich habe den Eindruck, als ob wir uns noch nicht besonders anstrengen. Wie wär’s, wenn wir das Blatt noch ein bisschen fester von uns wegschieben? (Beide tun es.) Ja, genau so, strecken Sie die Ellbogen durch, damit die Gedanken und Gefühle so weit von Ihnen weg sind, wie es irgend geht. (Beide bleiben während des nächsten Teils der Übung in dieser Position; mit gestreckten Armen halten sie das Blatt so weit wie möglich von sich weg.)

Beobachten Sie jetzt drei Dinge. Erstens: Wie ermüdend ist das? Obwohl kaum eine Minute vorbei ist, erschöpft es uns schon. Wenn Sie sich vorstellen, das den ganzen Tag lang zu tun – wie viel Energie würde das wohl verbrauchen?

Zweitens: Nehmen Sie wahr, wie sehr es Sie ablenkt. Wenn ein Mensch, den Sie lieben, direkt hier vor Ihnen sitzen würde, wie schwer wäre es wohl, ihm Ihre ganze Aufmerksamkeit zu schenken? Und wenn Ihr Lieblingsfilm da drüben auf einem Bildschirm laufen würde, wie viel davon würden Sie wohl verpassen? Und wenn Sie jetzt eine wichtige Aufgabe vor sich hätten oder sich um ein Problem kümmern müssten, wie schwer wäre es wohl, sich darauf zu konzentrieren?

Drittens: Während Sie Ihre ganze Anstrengung und Energie nur dafür aufwenden, das Blatt da wegzustrecken, wie schwer wäre es dann, in Aktion zu treten und etwas zu tun, was wichtig für Ihr Leben ist, wie etwa (nennt einige Beispiele aus der Geschichte der Klientin)? Registrieren Sie also, wie schwierig das Leben ist, wenn wir derart mit unseren Gedanken und Gefühlen kämpfen. Wir sind abgelenkt, wir versäumen das Leben, wir können uns schlecht konzentrieren, wir sind erschöpft, und es ist sehr schwer, das zu tun, was unser Leben in Gang hält.

Sehen wir jetzt mal, was passiert, wenn wir den Kampf mit unseren Gedanken und Gefühlen aufgeben. (Therapeut entspannt die Arme und lässt das Blatt Papier in den Schoß fallen. Mit einem lauten, erleichterten Seufzen tut die Klientin das ebenfalls.) Ein großer Unterschied, nicht wahr? Ist das nicht viel weniger ermüdend? Haben Sie nicht wesentlich mehr Energie? Fällt es Ihnen nicht wesentlich leichter, sich auf das einzulassen und zu konzentrieren, was vor Ihnen liegt? Wenn ein Mensch, den Sie lieben, jetzt vor Ihnen sitzen würde, würden Sie dann nicht eine viel stärkere Verbindung zu ihm spüren? Und wenn da drüben Ihr Lieblingsfilm laufen würde, könnten Sie den nicht viel mehr genießen? Wenn Sie eine Aufgabe vor sich hätten oder sich um ein Problem kümmern müssten, wäre es nicht viel leichter, sich darauf zu konzentrieren?

Bewegen Sie jetzt bitte die Arme und Hände (schüttelt behutsam Arme und Hände aus, Klientin tut das ebenfalls). Wäre es jetzt nicht viel leichter, in Aktion zu treten und zum Beispiel mit einem Baby zu schmusen, Tennis zu spielen oder einen Menschen, den Sie lieben, zu umarmen?

Aber registrieren Sie auch, dass die Dinge da (Therapeut deutet auf das Blatt Papier auf seinem Schoß) nicht verschwunden sind. Wir sind sie nicht losgeworden; sie sind noch immer da. Aber wir reagieren auf ganz andere Weise darauf, wir gehen anders damit um. Sie halten uns nicht mehr zurück, belasten uns oder lassen uns hektisch herumstrampeln. Wenn wir etwas Nützliches mit ihnen anfangen können, dann können wir sie verwenden. Selbst richtig schmerzhafte Gedanken und Gefühle enthalten nämlich oft Informationen, die hilfreich für uns sind – auch wenn sie uns nur auf Probleme verweisen, um die wir uns kümmern müssen, oder auf Dinge, die wir anders machen müssen. Wenn wir jedoch nichts Nützliches mit ihnen anfangen können, lassen wir sie einfach da liegen.

Wichtig ist, dass in diesen zwei Übungen keine Absicht besteht, irgendwelche Gedanken und Gefühle loszuwerden; am Ende sind die Hände beziehungsweise das Blatt Papier weiterhin vorhanden. Ebenso wird in beiden Übungen darauf hingewiesen, dass selbst die schmerzhaftesten Gedanken und Gefühle oft nützlich sind; solange wir achtsam darauf reagieren, können wir sie konstruktiv dazu verwenden, unser Leben zu verbessern. Wenn wir mit ihnen verschmolzen sind oder versuchen, sie zu vermeiden, ist das hingegen nicht möglich. Und schließlich wird in beiden Übungen deutlich, dass das Erlernen der neuen Fertigkeiten zwei Hauptzwecke verfolgt: a) wirksames, auf Werte gegründetes Handeln zu ermöglichen, und b) der Person zu helfen, die Aufmerksamkeit auf das zu richten, worauf es ankommt.

Tipp für die Praxis

Nur durch solche Übungen wird nicht erlernt, wie Defusion und Akzeptanz funktionieren. Sie haben einen psychoedukativen Zweck. Wir müssen ihnen immer ein aktives Training von Fertigkeiten zu Defusion und Akzeptanz folgen lassen.

Nachdem wir die Grundlagen der ACT kennengelernt haben, wollen wir nun erkunden, wie ein Fallkonzept erstellt wird.

Fallkonzeptualisierung in der TFACT

Die folgende achtteilige Fallkonzeptualisierung eignet sich für Personen mit jeder Art traumatischer Störung. Zuerst ein wichtiger Hinweis: Während wir Informationen sammeln, gehen wir kein Formblatt durch, auf dem wir jeden Abschnitt nacheinander ausfüllen. Vielmehr füllen wir solche Blätter nach der Sitzung aus, um unsere Gedanken zu ordnen und einen Behandlungsplan zu erstellen. Die Anamnese zu erheben, ist ein nichtlinearer Prozess, bei dem hier und da Fragmente gesammelt und im Lauf der Zeit zusammengesetzt werden. Daher erhalten wir nur selten alle unten aufgeführten Informationen schon beim Erstgespräch; im Allgemeinen setzt sich das in der zweiten Sitzung fort. Erfreulicherweise müssen wir jedoch nicht über alle Informationen verfügen, bevor wir mit der TFACT beginnen. Wir können beim Erstgespräch ein Gerüst zimmern und weitere Einzelheiten später sammeln, wenn es gerade relevant ist.

Behalten Sie bei der Lektüre bitte eine Person im Sinn, die momentan bei Ihnen in Therapie ist, und halten Sie am Ende jedes Abschnitts einige Momente inne, um das Gelesene auf diesen Fall anzuwenden. (Noch praktischer wäre es, wenn Sie das Arbeitsblatt zur Fallkonzeptualisierung aus dem Begleitmaterial herunterladen und beim Lesen ausfüllen.)

1. Teil: Therapieziele der Person

Im siebten Kapitel werden wir uns damit beschäftigen, wie man Ziele für die Therapie erstellt und weshalb sie so wichtig sind. Sie können in drei breite Kategorien gefasst werden:

Emotionale Ziele (auf welche Weise die Person sich anders fühlen will, zum Beispiel glücklich, weniger ängstlich oder frei von unerwünschten Gedanken und Gefühlen).Verhaltensziele (was die Person anders tun will, zum Beispiel mehr Sport treiben oder ihre Familie mehr unterstützen).Ergebnisziele (was die Person haben, bekommen oder erreichen will, zum Beispiel eine Partnerin oder einen Partner finden, einen Arbeitsplatz finden, eine Beziehung beenden, von einer Erkrankung oder Verletzung genesen).

Was sind die Ziele der Person, mit der Sie gerade arbeiten, in diesen drei Kategorien?

2. Teil: Vorgeschichte

Zwar wird der Fokus in der TFACT stark auf das Hier und Jetzt gelegt, doch die Beschäftigung mit der Vergangenheit ist ebenfalls von Bedeutung. Welche traumatischen Ereignisse haben eine signifikante Rolle für die aktuellen Probleme gespielt? Ist ein Kindheitstrauma vorhanden? Haben andere wichtige Lebensereignisse, die nicht notwendig traumatisch, aber doch störend und strapaziös waren, auf den momentanen Zustand eingewirkt?

3. Teil: Physische Hindernisse

Sind physische (im Gegensatz zu psychischen) Hindernisse vorhanden, durch die die Person von einem reichen und sinnvollen Leben abgehalten wird? Lebt die Person zum Beispiel in einer gefährlichen Umgebung wie in einem Gefängnis oder einem sozialen Brennpunkt? Ist sie Rassismus, Diskriminierung, religiöser Verfolgung, Mobbing, Zurückweisung oder Gewalt ausgesetzt? Befindet sie sich in einer dysfunktionalen Beziehung? Hat sie einen Beruf (zum Beispiel im Rettungswesen), in dem sie regelmäßig traumatischen Ereignissen ausgesetzt ist? Hat sie soziale, medizinische, finanzielle, juristische, berufliche oder häusliche Probleme?

4. Teil: Wiedererleben von Trauma und abnormer Erregung

Traumatische Ereignisse werden auf verschiedene Weise wiedererlebt, unter anderem durch Flashbacks, Albträume, intrusive Emotionen und Gedanken, Nachgrübeln über schmerzhafte Erinnerungen und vergangene Ereignisse. Dieses Erleben ist unangenehm und leidvoll, weshalb es die für die Bedrohungsreaktionen zuständigen Systeme des autonomen Nervensystems auslöst.

Das bekannteste dieser Systeme ist die Kampf-oder-Flucht-Reaktion, bei der das sympathische Nervensystem eine Bedrohung wahrnimmt, uns in einen Alarmzustand versetzt und dadurch vorbereitet, zu fliehen oder uns zu wehren. Dieser Zustand von Überregung (oder Hyperarousal) führt zu Symptomen wie starkem Schwitzen, Muskelanspannung, erhöhter Herzfrequenz, Herzklopfen, Hypervigilanz, übertriebener Schreckreaktion, Reizbarkeit, Konzentrations- und Einschlafschwierigkeiten sowie Emotionen, die mit Flucht (Angst, Nervosität, Panik) und Kampf (Frustration, Ärger, Wut) verbunden sind.

Wird ein Reiz als lebensbedrohlich wahrgenommen, und scheinen unsere Versuche, anzugreifen oder zu fliehen vergeblich, aktiviert das parasympathische Nervensystem die Erstarrungsreaktion, die man auch als „Notabschaltung“ bezeichnen könnte. Sie bereitet uns darauf vor, uns hinzulegen, ruhig und reglos zu bleiben und jeden Fluchtversuch aufzugeben. Dies ist ein Zustand von Untererregung (oder Hypoarousal), der Symptome wie Betäubung, Lethargie, Apathie, Langeweile, mentale Abwesenheit und Dissoziation bewirkt.

All diese privaten Erfahrungen sind an sich schon unangenehm und stressvoll. Wesentlich verstärkt wird ihre negative Wirkung jedoch durch die zahllosen unflexiblen Arten und Weisen, wie wir darauf reagieren – anders gesagt, durch unsere psychische Inflexibilität. Dies stellt eine dritte Kategorie von Symptomen bei traumatischen Störungen dar, und die nächsten Teile der Fallkonzeptualisierung erforschen die Schlüsselelemente: kognitive Fusion, Erfahrungsvermeidung, Verlust des Kontakts zum gegenwärtigen Moment, Werteferne und unzweckmäßiges Handeln.

5. Teil: Kognitive Fusion

Kognitive Fusion (im Sinne von Verschmelzung) bedeutet, dass Kognitionen unser Bewusstsein oder unser Handeln (oder beides) beherrschen. Wenn wir mit Kognitionen verschmolzen sind, kommen sie uns vor wie:

Befehle, die wir befolgen müssenetwas Wichtiges, was unsere ganze Aufmerksamkeit beanspruchtBedrohungen für unsere Gesundheit und unser WohlbefindenRatschläge, die wir befolgen solltenabsolut wahre Aussagen

Im Allgemeinen ist Fusion problematisch, weil sie uns meist daran hindert, im Einklang mit unseren Werten zu leben, wirksam zu handeln und uns auf das Leben einzulassen. Zu erkennen sind sechs häufig auftauchende Kategorien: Verschmelzung mit der Vergangenheit, der Zukunft, dem Selbstkonzept, Urteilen, Regeln und Gründen.

Fusion mit Vergangenheit und Zukunft

Verschmolzen mit vergangenheitsorientierten Kognitionen ist man unter anderem, wenn man schmerzhaften Erinnerungen nachhängt oder alte Verletzungen und Fehler wiederkäut, wenn man betrauert, was man verloren hat, Verbitterung oder Bedauern empfindet, grübelt, sich selbst oder anderen die Schuld für irgendetwas zuschiebt oder ständig darüber nachdenkt, wie gut das Leben vor dem Trauma war.

Verschmolzen mit zukunftsorientierten Kognitionen ist man unter anderem, wenn man sich Sorgen macht, zu Schwarzmalerei neigt und immer das Schlimmste erwartet. Die Zukunft erscheint Furcht einflößend oder trostlos: Es wird Schlimmes geschehen, man wird von anderen verletzt, verlassen oder enttäuscht werden, das Leben wird leer und unglücklich sein.

Oft überschneiden sich Vergangenheit und Zukunft: Was in der Vergangenheit passiert ist, wird sich in der Zukunft wiederholen.

Fusion mit dem Selbstkonzept

Selbstkonzept oder konzeptualisiertes Selbst sind Begriffe, die sich auf alle Gedanken, Überzeugungen und Vorstellungen darüber beziehen, wer wir sind und wie wir so geworden sind. Im Falle von Trauma verschmilzt man üblicherweise mit einem negativen Selbstkonzept: Ich bin nicht gut genug. Ich bin kaputt. Ich bin beschädigt. Ich bin abstoßend. Ich bin nichts wert. Ich bin hoffnungslos verloren. Ich habe es verdient. Ich bin an allem schuld und so weiter.

Wenn frühere traumatische Ereignisse zu einem zentralen Element der eigenen Identität und Lebensgeschichte werden, spricht man von Ereigniszentralität (event centrality). Man glaubt dann, man sei von seinem Trauma irreparabel beschädigt oder verdorben worden, weshalb es bestimme, was man sei: wertlos, nicht liebenswert, beschädigt und so weiter.

Manchmal findet auch eine Fusion mit einem abwertenden Selbstkonzept statt: Ich habe keine Ahnung, wer ich bin. Ich bin ein reines Nichts. Ich bin niemand. In anderen Fällen wird ein bedrohlich negatives Selbstkonzept durch die Fusion mit einem übertrieben positiven Selbstkonzept vermieden; das Ergebnis ist Narzissmus. Und gelegentlich ereignet sich eine Fusion mit multiplen Selbstkonzepten, den verschiedenen „Persönlichkeiten“, „Identitäten“ oder „Alter Egos“ der dissoziativen Identitätsstörung.

Fusion mit Urteilen

Oft verschmilzt die Person mit Urteilen über das Leben (Es ist beschissen. Es ist sinnlos.), die Welt (Sie ist unsicher, gefährlich, böse), andere Menschen (Denen ist alles egal. Man kann ihnen nicht trauen.), sich selbst (Ich bin schuld. Es ist mein Fehler.). Eine Fusion kann auch mit Urteilen über die eigenen Kognitionen, Emotionen und Erinnerungen stattfinden (Die sind scheußlich, furchtbar, unerträglich; Ich halte sie nicht aus), was wiederum ein negatives Selbstkonzept verstärkt (Diese furchtbaren Gedanken und Gefühle beweisen, wie kaputt ich bin.).

Fusion mit Regeln und Gründen

Regeln sind oft nützlich; es ist gut zu wissen, auf welcher Straßenseite wir fahren müssen. Wenn wir jedoch mit Regeln verschmelzen, wird unser Verhalten starr und unflexibel. Oft enthalten unsere kognitiven Regeln Worte wie „sollte“, „muss“ und „müsste“ oder Ausdrücke und Bedingungen wie „nur wenn“, „es sei denn, dass“, „sollte nicht, weil“ und „wird nicht, bevor“. Einige geläufige Beispiele: „Ich muss es perfekt hinbekommen; wenn mir das nicht gelingt, hat es keinen Sinn, es überhaupt zu machen“. „Ich muss Alkohol trinken, um damit fertigzuwerden“. „Männern kann man einfach nicht trauen“. „Ich darf niemand zu nah an mich herankommen lassen, weil ich sonst verletzt werde“. Je größer die Fusion mit Regeln ist, desto stärker ist der Drang, diese zu befolgen – und desto größer die Beklemmung oder Angst, wenn man eine Regel übertritt.

Regeln überschneiden sich mit Gründen, das heißt allen Kognitionen darüber, weshalb wir uns nicht verändern können, sollten oder nicht einmal müssten: Das schaffe ich nicht. Es ist zu schwer. Ich habe keine Zeit dazu. Ich habe nicht die nötige Energie. Es wird sowieso schiefgehen. Ich habe es schon mal versucht und werde immer scheitern. Es macht mir zu viel Angst. Ich bin zu deprimiert und so weiter. Und wenn wir mit solchen Gründen verschmolzen sind, verändern wir uns natürlich nicht.

Fusion mit Narrativen, Schemata und Kernüberzeugungen

Alle oben aufgeführten Arten von Fusion – mit Vergangenheit und Zukunft, mit dem Selbstkonzept, mit Urteilen, mit Regeln und Gründen – vereinigen sich zu komplexen Narrativen, Schemata und Kernüberzeugungen. Ein traumabezogenes Beispiel: Weil mir diese schrecklichen Dinge zugestoßen sind (Vergangenheit), bin ich beschädigt (Urteil, Selbstkonzept), weshalb ich weiter Drogen konsumiere (Grund), und damit kann ich nicht aufhören, weil ich die Drogen brauche, um mit dem allem klarzukommen (Regel); daher ist mein Leben ziemlich beschissen (Urteil), und ich kann mir nicht vorstellen, dass es irgendwie besser wird (Zukunft).

Besonders müssen wir auf die Fusion mit dem folgenden Überzeugungssystem achten, weil es Erlebensvermeidung fördert: Diese Gedanken und Gefühle sind schlecht, unnatürlich und unerträglich (Urteil); sie bedeuten, dass etwas mit mir verkehrt ist (Selbstkonzept), und ich kann mein Leben erst verbessern, wenn sie verschwunden sind (Grund), deshalb muss ich sie loswerden (Regel).

6. Teil: Erlebensvermeidung

Erlebensvermeidung ist der kontinuierliche Versuch, unerwünschte private Erfahrungen (Kognitionen, Emotionen, Körperempfindungen) zu vermeiden oder sie loszuwerden, selbst wenn das schädlich ist. So etwas ist völlig normal, wir tun es alle. In der Therapie beschäftigen wir uns deshalb nur dann mit Erlebensvermeidung, wenn diese so exzessiv, starr oder unangemessen wird, dass sie die Gesundheit und das Wohlergehen der Person beeinträchtigt oder Dinge behindert, die das Leben sinnvoll machen. (Bitte denken Sie dabei daran, dass wir keine Achtsamkeits­fetischisten sind, die darauf bestehen, dass man alle privaten Erfahrungen immer annehmen müsse.)

Die Menschen in unserer Praxis haben alle möglichen schmerzhaften Kognitionen und Emotionen, die sie natürlich vermeiden oder loswerden wollen. Und wenn sie endlich eine Therapie machen, haben sie im Allgemeinen bereits viele verschiedene Strategien zu diesem Zweck entdeckt, darunter Drogen, Alkohol, Glücksspiel, sozialer Rückzug, Gefallsucht, selbstverletzendes Verhalten, Suizidalität … und vieles mehr.

Wichtig ist, dass wir ein Verhalten nur dann als Erlebensvermeidung bezeichnen, wenn sein primäres Ziel darin besteht, unerwünschtes inneres Erleben zu vermeiden. Wenn man ins Fitnessstudio geht, weil man primär durch Werte wie Selbstfürsorge und Ziele wie die Verbesserung der körperlichen Gesundheit motiviert ist, handelt es sich natürlich nicht um Erlebensvermeidung. Die ist nur dann vorhanden, wenn die primäre Motivation für den Besuch im Studio darin besteht, emotionales Unbehagen zu vermeiden (zum Beispiel Angstgefühle oder Gedanken darüber, zu dick zu werden). Offensichtlich liegen allen Verhaltensweisen mehrere Motivationen zugrunde, deshalb geht es hier darum, welche dominiert.

Gelegentlich ist Erlebensvermeidung wirkungs- und harmlos, und in anderen Fällen – flexibel, moderat und angemessen angewendet – kann sie das Leben verbessern. Aber wenn sie exzessiv, starr oder unangemessen ist, lässt sie das Leben normalerweise schlechter statt besser werden. So beeinflusst eine starke Tendenz zu Erlebensvermeidung die Beziehung zwischen traumatischen Ereignissen und allgemeinem psychischem Stress, sie verstärkt bei mehreren psychischen Störungen die Symptome, sie erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Rückfalls nach einer Entziehungskur und sie wirkt sich auf die Beziehung zwischen maladaptiven Bewältigungsstrategien und psychischem Stress aus (Chawla u. Ostafin 2007). Neigen Personen mit posttraumatischem Stress stark zu Erlebensvermeidung, sind bei ihnen ein geringeres posttraumatisches Wachstum, weniger Lebenssinn und ein geringeres Wohlbefinden zu beobachten (Kashdan u. Kane 2011). Und je stärker Kriegsteilnehmer mit oder ohne PTSD auf Erlebensvermeidung und Emotionsregulation bedacht waren, desto schlechter war ihre mentale Gesundheit (Kashdan u. a. 2010).

7. Kontaktverlust mit dem Hier und Jetzt

Bei Trauma ist ein signifikanter Verlust des Kontakts mit dem gegenwärtigen Moment zu beobachten. Fassen lässt sich das im Hinblick auf drei Elemente: Ablenkbarkeit, Abwesenheit, Abgetrenntheit von der inneren Welt.

Ablenkbarkeit: Vielen Menschen in unserer Praxis fällt es schwer, sich zu konzentrieren. Sie werden leicht abgelenkt von ihren Gedanken, Gefühlen und Erinnerungen, wodurch ihre Aufmerksamkeit von der aktuellen Aufgabe abschweift.

Abwesenheit: Das bezieht sich darauf, etwas mechanisch zu tun, also emotional distanziert oder desinteressiert an der aktuellen Aktivität zu sein. Zum Beispiel isst man etwas, ohne den Geschmack wahrzunehmen oder zu genießen, man unterhält sich mit einem Familienmitglied, ohne jedes Interesse an dem Gespräch, man führt eine Aufgabe automatisch aus und nimmt sie kaum bewusst wahr. Besonders häufig beobachtbar ist soziale Abwesenheit in dem Sinne, dass man einen großen emotionalen Abstand zu nahestehenden Personen empfindet.

Abgetrenntheit von der inneren Welt: Manche Personen haben kaum Kontakt zu ihren Kognitionen und sind daher nicht in der Lage, uns zu sagen, was sie denken. Andere sind von ihren Emotionen abgetrennt; sie sind unfähig, sich auf diese einzustellen, sie zu identifizieren oder korrekt zu benennen. Je stärker man von der inneren Welt abgetrennt ist, desto schwerer ist es, sich „selbst zu erkennen“, das heißt desto geringer sind Selbstgewahrsein und -erkenntnis.

8. Teil: Mangelnder Kontakt zu den eigenen Werten

Wenn Fusion und Vermeidung das Leben prägen, entfernt man sich immer mehr von den eigenen Werten. Zu den Werten, die häufig verloren gehen, gehören Selbstfürsorge, Fürsorge für andere, menschliche Nähe, Mut, Vertrauen, Durchsetzungsvermögen, Unabhängigkeit, Humor, Dankbarkeit, Mitgefühl und Verantwortungsbewusstsein. Natürlich variiert das von Person zu Person. Bei manchen ist dieses Phänomen zu beobachten, weil ihr Dasein so stark darauf ausgerichtet war, zu überleben und Schmerz zu vermeiden, dass sie nie die Gelegenheit hatten, über ihre Werte nachzudenken. Bei anderen liegt es an der Fusion mit starren Regeln, die sie von der üppigen inneren Landschaft der Werte in das Ödland von sollte, muss und müsste zieht.

9. Teil: Unwirksames Handeln

Wenn etwas, was wir tun, das Leben reicher und sinnvoller macht, bezeichnen wir es als wirksam. Das Gegenteil ist unwirksames Handeln, das heißt Verhaltensweisen, die oft kurzfristige Bedürfnisse erfüllen, das Leben aber auf lange Sicht verschlechtern. So etwas resultiert häufig aus Fusion, Erlebensvermeidung oder beidem. Zum Beispiel wird ein problematischer Drogen- oder Alkoholgebrauch im Allgemeinen aufrechterhalten durch a) Versuche, schmerzhafte Kognitionen und Emotionen zu vermeiden, und b) die Fusion mit mehreren kognitiven Kategorien wie mit Gründen („Ich brauche das, um zurechtzukommen.“), dem Selbstkonzept („Ich habe eben eine Suchtpersönlichkeit.“) oder Urteilen („Das ist doch nicht schädlich.“).

Unwirksame Handlungen bezeichnen wir auch als Wegbewegungen, weil sie uns wegführen von der Person, die wir sein, und von dem Leben, das wir aufbauen wollen. Wegbewegungen sind alles, was das Leben schlechter macht, uns steckenbleiben lässt, Probleme verschlimmert, Wachstum hemmt, wirksame Lösungen verhindert sowie Gesundheit und Wohlergehen beeinträchtigt.

Die negativen langfristigen Folgen von unwirksamem Handeln lassen noch schmerzhaftere Gedanken und Gefühle entstehen, was wiederum noch mehr Fusion und Vermeidung fördert – ein unendlicher Teufelskreis.

Üben, üben, üben

Eigentlich muss ich es Ihnen gar nicht sagen, aber ich tue es trotzdem, weil ich ein aufdringlicher Zeitgenosse bin. (Ist Ihnen aufgefallen, dass ich gerade mit meinem Selbstkonzept verschmolzen bin?) Wenn Sie die TFACT gut praktizieren wollen, wird es nicht ausreichen, dieses Buch zu lesen; Sie müssen üben, üben, üben – und dann noch mehr üben. Bitte laden Sie also das Arbeitsblatt zur Fallkonzeptualisierung herunter und füllen Sie es für eine Person aus, die momentan bei Ihnen in Therapie ist. Sobald Sie damit fertig sind, legen Sie es neben die Abbildung mit dem Hexaflex oder dem Triflex in diesem Kapitel, betrachten abwechselnd das Arbeitsblatt und das Bild und überlegen sorgfältig: Welche ACT-Prozesse passen zu welchen Aspekten der Schwierigkeiten, die die Person hat?

Ich empfehle Ihnen, täglich mindestens ein solches Arbeitsblatt auszufüllen, denn je besser Sie die Konzeptualisierung von Trauma aus der Perspektive der TFACT beherrschen, desto erfolgreicher werden Sie in der Sitzung sein.

BEGLEITMATERIAL: Zu Kapitel 2 finden Sie im E-Book Trauma-Focused ACT: The Extra Bits auf www.ImLearningACT.com eine Version von Hexaflex und Triflex zum Ausdrucken, ein Arbeitsblatt zur Fallkonzeptualisierung und Skripte für die Übungen Hände als Gedanken und Ein Blatt Papier wegschieben.

Kernpunkte

ACT ist eine Form der kognitiven Verhaltenstherapie, die kreativ Werte und Achtsamkeitsfertigkeiten dazu verwendet, psychisches Leiden zu vermindern und ein sinnvolles Leben aufzubauen. Das wird erreicht, indem wir psychische Flexibilität entwickeln – die Fähigkeit, uns auf das einzulassen und zu konzentrieren, was wir gerade tun, unsere Kognitionen und Emotionen so anzuerkennen und zuzulassen, wie sie sind, sowie wirksam und von unseren Werten geleitet zu handeln. Anders gesagt: präsent zu sein, uns zu öffnen und zu tun, worauf es ankommt.

Abgesehen davon ist die ACT ein transdiagnostischer Ansatz, der es uns ermöglicht, jedes klinische Problem in Hinblick auf psychische Inflexibilität zu erfassen. Dabei geht es um kognitive Fusion, Erlebensvermeidung, den Kontaktverlust zum gegenwärtigen Moment, Werteferne und unwirksames Handeln. Dadurch ist die ACT gut geeignet für ein großes Spektrum an Problemen mit Traumabezug. Am besten verschafft man sich einen Eindruck von dieser Vielseitigkeit, indem man ausgiebig Fallkonzepte erarbeitet.

3Kampf, Flucht, Erstarrung, Unterwerfung

Nur allzu oft interpretieren die Menschen, mit denen wir therapeutisch arbeiten, ihre schwierigen Kognitionen, Emotionen und physiologischen Reaktionen als Anzeichen dafür, schwach, beschädigt oder gar verrückt zu sein. Wenn wir ihnen jedoch helfen, solche Erfahrungen zu begreifen und sie als Versuche von Geist, Gehirn und Körper umzudeuten, uns abzusichern und vor Schaden zu bewahren, können wir einen Weg zu Akzeptanz und Selbstmitgefühl bahnen. Im Idealfall beginnen wir damit schon in der allerersten Sitzung.

Die wissenschaftliche Grundlage unserer Reaktionen

Das autonome Nervensystem reguliert die inneren Organe unseres Körpers. Es besteht aus zwei Teilen, dem sympathischen Nervensystem (Sympathikus), das „anregt und beschleunigt“, und dem parasympathischen Nervensystem (Parasympathikus), das uns „beruhigt und verlangsamt“. Diese Systeme sind die Basis dafür, weshalb wir so auf Bedrohungen reagieren, wie wir es tun.

Kampf oder Flucht

Wenn wir eine Gefahr wahrnehmen, aktiviert der Sympathikus die Kampf-oder-Flucht-Reaktion, indem er uns darauf vorbereitet, uns der Bedrohung entweder zu stellen oder vor ihr zu fliehen. Unter anderem erhöht sich der Tonus vieler großer Muskeln, um sie handlungsbereit zu machen; Herzschlag und Atemfrequenz beschleunigen sich, damit sauerstoffreiches Blut in die Muskeln gepumpt wird; das Hormon Cortisol wird ausgestoßen und hebt den Blutzuckerspiegel an, damit viel Energie zur Verfügung steht. Bei der Kampf-oder-Flucht-Reaktion lässt der Sympathikus Emotionen wie Angst, Beklemmung, Panik, Gereiztheit, Wut und Zorn entstehen. Wegen dieser Gefühle hat er seinen Namen erhalten, „sympathisch“ ist abgeleitet von den altgriechischen Wörtern syn und pathos, was „mit Gefühlen“ bedeutet.

Die Polyvagal-Theorie

Para ist das griechische Wort für „gegen“; der Parasympathikus hat seinen Namen, weil er der Gegenspieler des Sympathikus ist. Der größte Nerv im parasympathischen System ist der Nervus vagus, der seinen Namen von dem lateinischen Wort vagari für „umherschweifen“ hat. Er schweift gewissermaßen im Körper umher, indem er viele verschiedene Organe und Bereiche innerviert, besonders im Gesicht, in der Brust und im Bauchraum. Um uns seine Rolle bei Trauma verständlich zu machen, können wir auf die einflussreiche Polyvagal-Theorie zurückgreifen (­Porges 1995). Poly geht auf das griechische Wort für „viel“ zurück; die Theorie hat ihren Namen daher, dass der Vagus viele verschiedene Aspekte und Funktionen hat.

Nach der Polyvagal-Theorie hat der Vagusnerv zwei Hauptäste, den dorsalen (hinteren) und den ventralen (vorderen). Wenn wir nicht bedroht werden, fördert der ventrale Ast einen Zustand des „Ruhens und Verdauens“, in dem wir uns entspannen, Kontakt mit anderen Menschen pflegen und unsere Nahrung verdauen können. Ich bezeichne ihn gern als Zustand der Gemeinsamkeit und Fürsorglichkeit, weil er uns dazu bringt, liebevoll, fürsorglich und rücksichtsvoll zu sein, Verbindung zu anderen herzustellen und uns um sie zu kümmern. Wenn wir uns darin befinden, empfinden wir Gefühle von Wärme, Ruhe und Zufriedenheit.

Sobald wir jedoch eine Bedrohung wahrnehmen, übernimmt der Sympathikus die Führung, und wir schalten von Gemeinschaft und Fürsorge auf Kampf oder Flucht um. Das heißt, wir bereiten uns darauf vor, unsere Stellung zu behaupten oder wegzulaufen. Was aber geschieht, wenn die Bedrohung so extrem ist, dass Kampf oder Flucht vergeblich sind, wenn wir also hilflos unter einer Steinlawine liegen oder als Kind brutal von einem Erwachsenen verprügelt werden?

Wenn die Bedrohung extrem ist und jeder Versuch, zu kämpfen oder zu fliehen, wahrscheinlich nutzlos ist, übernimmt der dorsale Ast des Vagus die Führung und führt eine Art Notabschaltung durch. Um Energie zu sparen, werden viele Körperfunktionen heruntergefahren. Der Körper wird gelähmt, Herzfrequenz und Lungenfunktion werden verlangsamt, der Blutdruck sinkt, unwesentliche Aktivitäten wie die Verdauung werden pausiert. In der ersten Phase dieses Zustands kann man „völlig erstarrt“, „wie festgewurzelt“ oder „vor Angst gelähmt“ sein. In extremen Fällen geben die Beine nach, und man sinkt zu Boden oder verliert gar das Bewusstsein. Bezeichnet werden kann das als „Erstarrung/Unterwerfung“ oder als „Notabschaltung“; es ist ein Zustand, der Dissoziation, Betäubung, Apathie, Verzweiflung und Desinteresse hervorruft.

Einschmeicheln als Reaktion

In der Traumaforschung hat sich ein Trend entwickelt, vier verschiedene Traumareaktionen zu identifizieren: Kampf, Flucht, Erstarrung und Einschmeicheln. Letzteres bedeutet, sich anzustrengen, es anderen Menschen recht zu machen und sie zu besänftigen. Zum Beispiel wäre das die Schutzstrategie eines Kindes, das sich alle Mühe gibt, „brav“ zu sein, wenn seine Bezugspersonen es misshandeln oder vernachlässigen. Erwachsene wiederum übertreiben es damit, anderen zu gefallen. Sie vernachlässigen wiederholt ihre eigenen Bedürfnisse, Werte und Grenzen in Beziehungen, um Anerkennung zu erhalten und die Bedürfnisse anderer zu erfüllen. Ich persönlich ziehe es vor, Einschmeicheln nicht zusammen mit Kampf, Flucht und Erstarrung zu gruppieren, weil diese drei Zustande allesamt automatische, instinktive Reaktionen des autonomen Nervensystems darstellen, Einschmeicheln jedoch nicht.

Psychoedukation

Es ist wichtig, in der Therapie über die genannten Reaktionen aufzuklären. Wenn man versteht, was im eigenen Körper vor sich geht, und warum das so ist, werden die betreffenden Erlebnisse weniger bedrohlich, was es leichter macht, sie zu akzeptieren. Zu viel Psychoedukation kann jedoch zu einer intellektuell geprägten Sitzung führen und wertvolle Zeit vergeuden, die besser für Erfahrungsarbeit genutzt werden könnte. Daher müssen wir ein Gleichgewicht herstellen. Als nützlicher Anfang kann eine Metapher dienen.

Die Bären-Metapher

Die Bären-Metapher ist eine einfache und einprägsame Möglichkeit, die zentralen Punkte, von denen oben die Rede war, einzuführen. Zur Verfügung stehen zwei Fassungen, eine für Über- und eine für Untererregung.

Die Bären-Metapher: Kampf/Flucht

Therapeutin: Wissen Sie über die Kampf-oder-Flucht-Reaktion Bescheid?

Klient: Ein bisschen.

Therapeutin: Ist es in Ordnung, wenn wir ein paar Minuten darüber sprechen, damit Sie einen Eindruck davon bekommen, was in Ihrem Körper vor sich geht?

Klient: Klar.

Therapeutin: Prima. Stellen Sie sich bitte vor, dass einer Ihrer Vorfahren in der Steinzeit alleine auf Kaninchenjagd geht und dabei plötzlich vor einer riesigen Bärenmutter steht. Die hat zwei Junge bei sich, weshalb sie den Menschen als Bedrohung empfindet. Was tut sie, um ihre Jungen zu beschützen?

Klient: Sie greift an.

Therapeutin: Genau, sie greift an. Schnell und kraftvoll. Sie will den Kerl da töten, schließlich stellt er eine Bedrohung für ihre Jungen dar. Wenn Ihr Vorfahr also überleben will, hat er nur zwei Alternativen …

Klient: Kampf oder Flucht!

Therapeutin: Genau. Daher übernimmt augenblicklich sein Nervensystem die Führung. Es ist nicht so, als ob er denken würde: O je, jetzt sollte ich auf die Kampf-oder-Flucht-Reaktion umschalten.