ADELE - Das Schicksal einer Meerjungfrau - Pia Hepke - E-Book

ADELE - Das Schicksal einer Meerjungfrau E-Book

Pia Hepke

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Beschreibung

Der erste Vollmond steht bevor. Adele und ihre Freundinnen erkennen, dass es gar nicht so leicht ist, ihre geheime Meerjungfrauenexistenz zu bewahren. Ihr Geheimnis wird aufgedeckt und sie erfahren wie viel sich noch dahinter verbirgt. Jemand ist ihnen auf der Spur und die Gefahren nehmen zu. Bis eine von ihnen gezwungen ist, eine folgenschwere Entscheidung zu treffen. 6 Perlen - 5 Mädchen und … - 1 schwere Entscheidung

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1 

ADELE - MITWISSER 

Kapitel 2 

KATHARINA - AUF DER HUT 

Kapitel 3 

ZOE - BEN UND ZOE 

Kapitel 4 

ADELE - TRÄUME SIND SCHÄUME? 

Kapitel 5 

ADELE - NEUES AUS DEM STALKERVERSUM 

Kapitel 6 

CHLOE - MISSION POOLPARTY 

Kapitel 7 

ADELE - STOPP DIE ZEIT 

Kapitel 8 

ADELE - DIE STIMME IM TRAUM 

Kapitel 9 

GREGORY - WER IST DER TYP? 

Kapitel 10 

ADELE - VORBEREITUNGEN 

Kapitel 11 

CHLOE - MEERJUNGFRAU AUF KLO 

Kapitel 12 

CHLOE - VOLLMOND 

Kapitel 13 

CONNY - UFO 

Kapitel 14 

GREGORY - VERWANDLUNG 

Kapitel 15 

KATHARINA - KRÄFTE AUSSER KONTROLLE 

Kapitel 16 

ADELE – GEBURTSTAG 

Kapitel 17 

ZOE - BADENGEHEN 

Kapitel 18 

ADELE - CHLOES ETWAS ANDERE GEBURTSTAGSFEIER 

Kapitel 19 

ADELE - KISS A GIRL 

Kapitel 20 

ADELE - DIE STIMME EINER MEERJUNGFRAU 

Kapitel 21 

KATHARINA - DAS LEBEN, DAS DU FÜHRTEST, WAR EINE LÜGE 

Kapitel 22 

ADELE - ECHTE MEERJUNGFRAUEN 

Kapitel 23 

CHLOE - DER WAHRE URSPRUNG DER LUNA-PERLEN 

Kapitel 24 

CONNY - MEERJUNGFRAUEN-PERLEN 

Kapitel 25 

ADELE - ENTSTEHUNG DER MEERJUNGFRAUEN 

Kapitel 26 

KATHARINA - SICHTUNGEN 

Kapitel 27 

ZOE - MONTAG, NEUE WOCHE, ANDERE UNGLÜCKE 

Kapitel 28 

ZOE - BEN, KLAPPE DIE ZWEITE 

Kapitel 29 

ADELE - MEERJUNGFRAUEN KÖNNEN AUCH NICHT ALLES … 

Kapitel 30 

ADELE - … ABER LIEBE HEILT ALLE WUNDEN 

Kapitel 31 

ZOE - ZURÜCK ZUR NORMALITÄT 

Kapitel 32 

ADELE - WIE AUS EINER ANDEREN WELT 

Kapitel 33 

KATHARINA - ZURÜCK INS MEER 

Kapitel 34 

GREGORY - DER DREIZACK 

Vollständige e-Book Ausgabe 2023 

»ADELE Das Schicksal einerMeerjungfrau«

© 2023 ISEGRIM VERLAG 

ein Imprint der Spielberg Verlag GmbH, Neumarkt 

Lektorat: Kati Auerswald 

Bildmaterial: © shutterstock.com 

Covergestaltung: © Ria Raven, www.riaraven.de

Alle Rechte vorbehalten. 

Vervielfältigung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden. 

(e-Book) ISBN: 978-3-95452-847-9 

www.isegrim-buecher.de

Für all meine Leser, die meine Meerjungfrauen seit der ersten Auflage verfolgen und lange darauf warten mussten, zu erfahren, wie es weitergeht.

Vielen Dank für eure Geduld und Treue!

 

 

 

 

Pia Hepke wurde 1992 in Oldenburg i. O. geboren. Sie besitzt übersprudelnde Fantasie und baut nicht selten eigene Erlebnisse und Besonderheiten in ihre Bücher ein, wandelt sie in etwas anderes um. Es gibt so viele Möglichkeiten und sie entwickelt immer neue Ideen. Weil ihr neben dem Schreiben nur noch wenig Zeit zum Malen bleibt, zeichnet sie immer öfter für ihre Bücher. Jede Widmung ziert eine Zeichnung und einige Bücher sind bereits mit Illustrationen geschmückt worden. In ihrer restlichen Freizeit beschäftigt sie sich mit ihrem Hund und ihren Pferden.

 

Kapitel 1 

ADELE - MITWISSER 

 

Träumen. Adele dachte daran, dass sie manchmal morgens aufwachte und das Gefühl hatte, nicht geträumt, sondern sich an etwas erinnert zu haben. Da war dieses starke Gefühl, etwas verloren zu haben. Ihre Finger zuckten, noch immer auf der Suche nach dieser einen Sache. Dieser Sache, die sie vollständig machen würde.

Träume waren eine Mischung aus Erinnerungen, Empfindungen, Wünschen und Ängsten.

Ängste, die einen bis in die Träume verfolgten, das waren die größten. Und genau so eine Angst hielt Adele gerade in ihrer Hand. Ihre Finger zitterten, alles verschwamm und dann klärte sich ihr Blick, doch klar schien lediglich die Katastrophe direkt vor ihren Augen.

Adele starrte nach wie vor auf das Foto, das sie als Meerjungfrau am Strand zeigte. Was sollte sie nur tun? Und was wollte der geheimnisvolle Briefeschreiber? Selbst im dritten Brief hatte er noch immer keine Forderungen gestellt, sondern bloß das Foto mit der Nachricht »Hier ist der Beweis.« geschickt. Was, außer sie in Angst und Schrecken zu versetzen, bezweckte er damit?

Sie holte tief Luft, nachdem sie zuvor nur noch stoßweise Atem in ihre Lungen gepresst hatte. Was auch immer jetzt zu tun war, eines war klar. Sie würde es nicht länger allein tun.

Ein letztes Mal schloss sie die Augen, bereitete sich auf den Sturm vor, der hinter dem Horizont bereits auf sie wartete, sollte sie den Schritt ins kalte Wasser, in die unbestimmbaren Tiefen des Meeres wagen. Doch sie stand längst mit einem Fuß drin. Das hier war nicht länger nur ihr Problem, sie war nicht allein. Sie alle waren in Gefahr. Der Absender dieser mysteriösen Briefe bedrohte ihr aller Geheimnis.

Also schnappte Adele sich auch die zwei anderen Zettel, die sie bereits einige Tage zuvor erhalten hatte, und stopfte sie in ihre Schultasche. Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es schon spät war. Morgen war Montag und damit wieder ein langer Schultag. Sie hatte die Möglichkeit, sofort loszuziehen und alle zusammenzutrommeln, musste sich vorher allerdings noch überlegen, wie sie es ihnen am besten beichtete. Sie hätte schließlich schon beim ersten Brief etwas sagen sollen. Das brauchte ein paar Augenblicke, sonst stand sie vor ihren Freundinnen und bekam keinen einzigen Ton heraus.

Aber wenn sie jetzt noch länger wartete, dann war es wirklich zu spät. Abgesehen davon, dass sie echt erschöpft war. Sie alle hatten an diesem Tag schon so viel durchgemacht. Der Hai, der sie verfolgt hatte, Zoes Verletzung durch den Angriff des Krokodils. Sollte sie zu der Liste tatsächlich noch so etwas hinzufügen?

Adele kramte das Foto wieder hervor.

Komisch, irgendwie hätte sie nie gedacht, dass sie einfach jemand am Strand fotografieren würde. Wenn, dann hätte sie erwartet, dass eine von ihnen sich vor irgendjemandem unbeabsichtigt verwandelt, wie es Zoe beinahe im Klassenzimmer passiert wäre. Aber so etwas?

Adele raufte sich die Haare, in deren Rot nach wie vor die dunkelgrünen Strähnen schimmerten. Sie betrachtete sie wehmütig. Ihre geheime Meerjungfrauenidentität war plötzlich zu einem ziemlichen Problem geworden. Was sie nie gewollt hatte. Aber jetzt war es zu spät.

Adele entschied sich schließlich mehr oder weniger spontan, dass sie den anderen erst morgen von den Briefen erzählen würde. Wie ihre Oma gesagt hatte, war der dritte Brief bereits gestern eingetroffen und sie hatte das bloß vergessen. Was machte da also ein weiterer Tag? Zumal bis auf die drei Briefe ja noch nichts passiert war. Keine komischen Attacken auf sie, um ihr Geheimnis zu enthüllen und auch keine einzige Forderung. Es hing ihr nichts weiter im Nacken als die Angst, die ihren kalten Atem auf Adeles Haut verteilte und sie frösteln ließ. Es war unangenehm und es würde mit Sicherheit einfacher werden, sobald die anderen sich neben sie stellten. Aber sie würde es noch ein Weilchen allein ertragen. Sie war stark genug dafür.

 

»Und? Welche Pläne haben wir heute?« Zoe war quietschfidel und munter. Adele hingegen fragte sich, ob sie Zoe mit der heilenden Meerjungfrauenträne womöglich all ihre Kraft gegeben hatte. Sie war heilfroh, dass sie Zoes schwere Verletzung an ihrer Schwanzflosse hatte heilen können und hätte nicht mit ihr tauschen wollen, aber gerade beneidete sie ihre neue Freundin ein bisschen um ihre übersprudelnde Energie. Adele hingegen hatte in der Nacht kaum ein Auge zugetan, dazu noch dieser merkwürdige Traum. Dort war sie in der Schule vor aller Augen von Greg mit einem Eimer Wasser übergossen worden. Daraufhin hatte sie sich in eine Meerjungfrau verwandelt. Ben hatte das Ganze fast zeitgleich mit Zoe gemacht und zusammen lagen sie da und planschten hilflos in der kleinen Pfütze, während alle sich über sie beugten und Fotos machten und die Polizei sowie Connys Vater anriefen. Kurz darauf tauchte Mister Corbey mit einem ganzen Haufen Wissenschaftler in weißen Kitteln auf, die sie in zwei große Glasbecken, ähnlich riesigen Aquarien, verfrachteten und abtransportierten. Es war klar, woher diese Bilder kamen, und welche Ängste dahinterstanden, dennoch hatte sie das alles, das Gefühl des Entsetzens und die Verzweiflung in Zoes Blick, total verstört.

Am Morgen hatte Adele die Briefe und das Foto mit einem großen Umschlag in ihre Schultasche gesteckt, doch jetzt wusste sie nicht, wie sie das Thema zur Sprache bringen sollte. Es wäre alles so viel einfacher, wenn sie gleich von Anfang an den anderen von den Briefen erzählt hätte. Aber sie hatte angenommen, dass es sich bei ›Ich kenne dein Geheimnis‹ um irgendein eifersüchtiges Mädchen handelte, die ihr die Sache mit Gregs Ohrfeige, die er für den unfreiwilligen Kuss kassiert hatte, übelnahm oder so.

Nein, wenn sie vollkommen ehrlich zu sich war, dann hatte sie das gar nicht angenommen. Sie hatte es gehofft, inständig gehofft. Adele hatte sich an diese Hoffnung geklammert, wie an einen Rettungsring, denn es war die viel einfachere Erklärung für dieses beängstigende Schreiben gewesen. Wenn sie sich der Tatsache jedoch gleich beim ersten Mal gestellt hätte, dass es sich nur um ihr Meerjungfrauengeheimnis handeln konnte, dann würde ihr das hier jetzt so viel leichter fallen.

Nützt alles nichts, da muss ich jetzt durch.

Es war die erste große Pause und sie saßen draußen auf dem Pausenhof. Adele hatte furchtbares Herzklopfen, eiskalte Hände und schwitzte, was ihr extrem unangenehm war. Ihr Kreislauf war auch nicht der beste, außerdem juckten ihre Augen vor Müdigkeit und der Schlafmangel machte es ihr zusätzlich schwer, sich zu konzentrieren. Trotzdem musste sie sich endlich überlegen, wie sie es den anderen erzählen wollte, weiter aufschieben ging nun endgültig nicht mehr.

»Ich muss mit euch reden«, platzte sie schließlich mitten ins Gespräch. Sie wusste, dass sie Zoe gerade im Satz unterbrach, denn die hatte den Mund noch immer geöffnet und wirkte, als habe jemand auf Pause gedrückt. Die anderen drehten mit überraschten Gesichtern die Köpfe in ihre Richtung.

»Adele, alles in Ordnung mit dir? Du siehst schon den ganzen Tag so blass und kränklich aus.« Kathi machte einen besorgten Eindruck und beugte sich zu ihr herüber.

»Ich dachte, das läge womöglich an der Träne. So eine Art Nebenwirkung«, merkte Chloe an und runzelte die Stirn. Ihre braunen Augen schienen vor Sorge dunkler zu werden.

Adele rührte es, dass ihre Freundinnen so besorgt um sie waren, was es ihr nur noch schwerer machte, mit der Wahrheit herauszurücken.

»Und? Worüber wolltest du sprechen?« Connys blaue Augen waren so hell, dass Adele sich für einen Moment geblendet fühlte. Dabei fiel es ihr ohnehin schon schwer auch nur einer von ihnen direkt ins Gesicht zu sehen.

»Ich …« Sie holte tief Luft. »Das kann ich euch nicht hier sagen. Wir müssen uns nach der Schule treffen. Am besten irgendwo, wo niemand zu Hause ist und wir nicht belauscht werden können.«

»Ah, es geht also um eine MJF-Geschichte«, schlussfolgerte Zoe ganz richtig. Adele nickte bloß.

»Mal überlegen. Ich hab‘ ehrlich gesagt keinen Plan, was meine Mum heute so vorhat. Dad ist mit ziemlicher Sicherheit im Labor. Wenn er nicht gerade Stress macht wegen der verschwundenen Perlen, dann arbeitet er gefühlt rund um die Uhr an seinem total wichtigen Forschungskram.«

»Von dem wir noch immer dringend ein paar Unterlagen bräuchten«, murmelte Kathi mit knirschenden Zähnen. Adele wusste, dass es ihrer besten Freundin sehr zu schaffen machte, dass sie bisher nur so wenig über die geheimnisvollen Luna-Perlen herausgefunden hatten. Sie konnten sich nach wie vor nicht erklären, wieso diese sie in Meerjungfrauen verwandelt hatten, doch das war gerade wirklich ihre geringste Sorge. Auch wenn es womöglich der Schlüssel zu ihrer Rückverwandlung sein könnte und sie damit aus dem Schneider wären, was den ominösen Briefeschreiber anging. Aber fürs Erste ging niemand auf Kathis gemurmelte Worte ein.

»Meine Geschwister sind in jedem Fall zu Hause und Mum auch, das kannst du vergessen.« Chloe sah Zoe an. »Was ist mit deiner Schwester?«

»Keine Ahnung, ob die Pläne hat. Bei dem Wetter bestimmt, aber dass wir allein sind, kann ich nicht garantieren.« Zoe hob die Schultern und gab die Gesprächsrunde an Kathi weiter.

»Zwar keine Geschwister, aber allein?« Sie schüttelte den Kopf. »Heute ist Montag, da ist Dad hundertprozentig fischen und wenn ich mich richtig erinnere, müsste Mum im Büro sein. Also vielleicht doch allein. Bei den beiden kann ich das immer so schlecht einschätzen, weil sie vieles spontan umplanen, aber theoretisch …« Sie sah Adele an, als ob diese es entscheiden müsste.

»Also schön, wir können ja zu dir und schauen dann einfach. Zur Not gibt es immer noch den Strand, da wird man so schnell auch nicht belauscht.«

»Hast recht.« Kathi nickte, doch Adele wollte dieses Gespräch nur äußerst ungern am Strand in der Nähe des Meeres führen, denn das würde ihnen allen bestimmt zusätzlich vor Augen führen, in welcher Gefahr sie sich womöglich befanden.

Am schlimmsten fand Adele es, dass sie genau das eben nicht abschätzen konnte. Sie wusste weder, was der Absender von ihr wollte, noch was er damit bezweckte. War es ein Versuch, sie aus der Deckung zu scheuchen? Wohl eher nicht. Hiernach würden sie alle viel, viel vorsichtiger sein. Also was sollte das? War das einfach nur ein kranker Psychoterror, oder was?

Das würde sie so schnell wahrscheinlich nicht herausfinden, aber dadurch, dass sie den anderen davon erzählte, bekam sie immerhin vier denkende Köpfe dazu und Kathis denkender Kopf war wirklich nicht zu unterschätzen. Kein Wunder also, dass sie erst einmal allein nach Hause fuhr, um zu checken, ob die Luft rein war. Adele ließ sie zusammen mit den anderen zwei Straßen vom Haus entfernt warten. Als Kathi sich sicher sein konnte, schickte sie eine Nachricht, dass die Luft rein war.

Obwohl Conny bei diesem Aufwand nur mit den Augen rollte, empfand Adele eine gewisse Übervorsicht derzeit als angebracht. Und dabei wusste Kathi noch gar nicht, um was es ging. Aber wahrscheinlich hatte sie Adele an der Nasenspitze oder dem linken Ohr angesehen, dass es etwas wirklich Ernstes sein musste.

Conny, Zoe, Chloe und Adele betraten wenig später Kathis Haus. Sie waren schon einmal alle fünf hier gewesen und hatten sich in Kathis Zimmer getroffen, sinnierte Adele. Damals war es der Neumond gewesen, der sie …

»Und worüber wolltest du nun sprechen?«, wurde sie von ihrer Freundin rüde aus ihren Gedanken gerissen.

»Ja, Moment.« Adele legte nacheinander die Briefe auf den Tisch. Ihre Hände zitterten nicht, wie sie erstaunt feststellte, und ihr Kopf war beinahe wie leergefegt. Sie drapierte sie ordentlich auf der Tischplatte, lehnte sich zurück und wartete ab. Auf all die Fragen, was das solle, was das wäre und was das bedeuten sollte, reagierte sie gar nicht erst. Sie würden es verstehen, sobald sie das Foto sahen.

»Aber, Adele …« Kathi hatte es in die Hand genommen und blickte nun von dem Foto zu Adele und wieder zurück. »Das … Wann ist das entstanden?«

Trotz der schlechten Qualität, die auf eine eilige, spontane Aufnahme mit einem Handy schließen ließ, konnte man sehen, dass Adele als Meerjungfrau fotografiert worden war, was im Umkehrschluss bedeutete, dass sie jemand als Meerjungfrau gesehen und davon ein Foto gemacht hatte. Was gar nicht gut war. Es wusste also mindestens eine Person, dass sie sich in eine Meerjungfrau verwandelte.

»Es hat dich jemand gesehen?« Connys Augen wurden groß und huschten dann über die Briefe, die sie nacheinander in die Hand nahm. Sie verstand bereits und ihre Miene verfinsterte sich, als hätten sich tiefdunkle Gewitterwolken vor einen eben noch strahlend blauen Himmel geschoben.

»Wann war das?«, fragte Zoe verwirrt. »Wir waren doch immer zusammen schwimmen. Wieso sind wir also nicht mit drauf?«

»Lass mich überlegen. Adele und ich waren bei unserer ersten Verwandlung allein und dann noch dein Ausflug zu dem Riff, wo du mit den Haien geschwommen bist, nachdem du …« Kathi ließ den Satz unbeendet, doch Adele wusste, wie er hätte enden sollen. Nachdem du Greg eine gescheuert hast. Ja, die beiden Male war sie nicht mit den anderen schwimmen gewesen. Ansonsten …

»Dann muss es das eine Mal gewesen sein«, schlussfolgerte Conny schnell. »Das kommt dabei raus, wenn wir nicht zusammen bleiben, dann passieren solche Sachen.« Sie schmetterte die Briefe wütend auf den Tisch. »Weißt du eigentlich, in was für eine Gefahr du uns damit …?«

»Warte mal!« Adele hob den Kopf. Ihr war da gerade ein Gedanke gekommen. Conny sah aus, als würde sie gleich vor Wut platzen, weil Adele es zu allem Überfluss auch noch wagte, ihr den Mund zu verbieten. Aber als sie den Mund erneut aufmachte, um etwas zu sagen, bremste Adele sie ein weiteres Mal.

»Scht, scht. Sei ruhig. Sei mal kurz ruhig. Darf ich das Foto noch mal sehen?«

»Aber klar doch«, sagte Kathi trocken, nachdem Adele es ihr schon längst aus der Hand gerissen hatte.

»Uh, wie dumm!« Adele klatschte sich die flache Hand vor die Stirn.

»Da stimme ich dir absolut zu«, grummelte Conny ungehalten.

»Nein, du verstehst nicht«, entgegnete Adele und sackte auf ihrem Stuhl zusammen, das Foto ließ sie zurück auf den Tisch gleiten.

»Ich denke schon«, widersprach Conny.

»Jetzt lass sie doch mal ausreden«, fuhr Kathi sie entnervt an und verdrehte die Augen. »Und?«

»Als ich mit den Haien schwimmen war, war es ein strahlender Tag. Ich konnte die Sonnenstrahlen im Wasser sehen, wie sie die Korallen zum Leuchten brachten, aber das hier …« Adele gab dem Foto einen Klaps und Zoe verrenkte sich von der anderen Tischseite aus den Hals.

»Das sieht nach einem bedeckten, trüb grauen Tag aus.«

»Richtig«, stimmte Adele Zoe zu. »Es kann also gar nicht der Tag gewesen sein.«

»Und was soll das nun heißen? Dass das alles nur gestellt ist und gar kein echtes Foto?« Conny hob ungläubig die Augenbrauen.

»Nein.« Adele schüttelte den Kopf. »Aber es war an einem anderen Tag. An einem, wo ich ebenfalls allein war.«

»Und wann soll das gewesen sein?« Kathi sah sie durch die schwarz eingefassten Gläser ihrer Brille skeptisch an.

»An einem Tag, als wir alle dachten, die Meerjungfrauensache wäre vorbei und wir würden nicht mehr Gefahr laufen, uns zu verwandeln.«

»Neumond«, schlussfolgerte Chloe vor allen anderen.

»Richtig.« Adele nickte. »Ich bin kiten gegangen. Man sieht sogar den Kite auf dem Bild, wenn man es weiß. Da war dieses mega windige Wetter, die ganzen Wolken und alles und natürlich hab ich mich am Ende verwandelt. Kathi, ich hab dich angerufen …«

»Ja, aber klar doch.« Kathi warf die Hände in die Luft.

»Dann konntest du im Grunde gar nichts dafür.« Chloes Aussage wirkte wie ein Freispruch von all den Vorwürfen, die Conny auf sie geschleudert hatte. Die Blicke aller und auch Adeles richteten sich langsam auf Conny. Sie forderten sie damit stumm dazu auf, sich zu entschuldigen.

»Also schön, dann lag es eben nicht an dem Haiausflug und es war nur ein dummer Unfall, aber das Problem bleibt das Gleiche und außerdem …« Conny unterbrach sich. Es wirkte beinahe so, als wolle sie nicht schon wieder diejenige sein, die Adele irgendetwas vorwarf. Brauchte sie auch nicht, Zoe schien genau das Gleiche gedacht zu haben.

»Warum hast du uns nicht schon viel früher davon erzählt? Der wird ja nicht erst heute gekommen sein, Neumond ist immerhin schon eine Weile her.«

Adele öffnete den Mund. Diese Frage zu beantworten, fiel ihr noch viel schwerer als es ihnen überhaupt zu gestehen. »Ich hab‘ den ersten Brief nach der Ohrfeige von Greg bekommen.« Adele deutete auf das entsprechende Schriftstück. »Deswegen dachte ich zunächst, dass es womöglich darum ginge. Keine Ahnung, ein eifersüchtiges Mädchen, das mir Angst oder Druck machen will.«

»Und nach dem zweiten?«, hakte Kathi nach und tippte anklagend mit dem Zeigefinder auf das Papier. Ihr Gesicht hatte währenddessen einen verletzten, beinahe enttäuschten Ausdruck angenommen. Adele war sich sicher, dass ihre beste Freundin enttäuscht war, dass sie nicht einmal ihr etwas davon erzählt hatte. Aber wie hätte sie denn? Sie waren nun nicht mehr nur zwei Freundinnen. Nicht mehr nur zwei gegen die Welt. Sie hatten sich vergrößert, waren zu fünf Freundinnen geworden. Eine Einheit, ein großes Geheimnis. Wenn sie nur Kathi davon erzählt hätte, dann hätte sie die anderen ausgeschlossen und dieses Gefüge viel stärker ins Wanken und in Mitleidenschaft gezogen, als sie es nun tat, da sie ihnen allen diese Briefe vorenthalten hatte.

»Ich hab‘ es vergessen«, beantwortete Adele die Frage schließlich mit gesenktem Blick. Sie konnte es einfach nicht mehr ertragen in diese beinahe schwarzen Augen zu sehen, die sie schon fast ihr ganzen Leben lang kannte und die sie nun verletzt anblickten.

»Wie kann man so etwas Wichtiges denn vergessen?«, brauste Conny von Neuem auf.

»Ich wollte es erzählen, wirklich«, verteidigte Adele sich. »Aber nach unserem Schwimmausflug … Ich wollte ihn nicht kaputt machen und bis danach warten, doch dann …« Ihr Blick schweifte zu Zoe hinüber, obwohl sie das absolut nicht gewollt hatte, aber damit war alles klar.

»Okay.« Zoe nickte. »Ich kann voll verstehen, dass du es danach nicht mehr im Kopf hattest.«

Zoe war mit Chloe die Einzige, die ihr keine Vorwürfe machte. Chloe war ohnehin nicht der Mensch, der andere an den Pranger stellte und über sie urteilte – ganz im Gegensatz zu Conny. Aber Zoe hielt sich wohl extra zurück, weil sie Adele so viel zu verdanken hatte. Oder bildete sie sich das bloß ein? War ja auch egal.

»Es ist einfach so viel passiert in letzter Zeit und ich … wusste auch nicht wie. Außerdem wollte ich niemanden beunruhigen.«

»Na, Hauptsache, du bist jetzt mit der Sprache herausgerückt, bevor etwas passiert ist.«

»Nennst du das etwa nichts?«, brauste Conny wieder auf und deutete mit anklagendem Blick auf das Foto und die Briefe.

»Conny, wir haben gerade festgestellt, dass Adele nichts dafür konnte, dass sie fotografiert wurde. Wir haben alle angenommen, dass wir uns nicht mehr verwandeln würden. Das hätte jeder von uns passieren können«, sagte Kathi mit ruhiger, beherrschter Stimme. Ihr Blick machte jedoch deutlich, dass sie Conny ordentlich die Meinung sagen würde, sollte diese das Thema nicht endlich ruhen lassen.

»Aber was machen wir denn jetzt?« Conny wirkte richtiggehend panisch. In dem Moment erinnerte Adele sich, dass Conny unglaubliche Angst hatte, ihr Vater könnte herausfinden, was mit den Perlen geschehen war und zu was sie sie gemacht hatten. Wahrscheinlich spielte diese Angst genau jetzt auch wieder eine Rolle.

Conny tat Adele leid. Sie glaube nicht, dass ihre Oma irgendetwas unternehmen würde, was ihr schaden könnte, selbst wenn sie herausfand, was geschehen war. Oma Sanna würde sie sicherlich nach Kräften unterstützen, damit Adele so gut wie irgend möglich mit der neuen Situation klarkam.

Aber sie durfte ihrer Oma trotzdem nichts davon erzählen, auch wenn sie gern wollte. Besonders jetzt, wo sie absolut keine Ahnung hatte, was sie wegen des Briefeschreibers unternehmen sollte. Sie fühlte sich schrecklich überfordert mit dieser Situation.

 

Kapitel 2 

KATHARINA - AUF DER HUT 

 

»Also als Erstes gilt es mal, ruhig zu bleiben. Adele wird nicht erpresst, es wird ihr mit den Briefen bloß Angst gemacht. Keine Ahnung, was das bringen soll, aber solange es dabei bleibt, besteht vorerst keine unmittelbare Gefahr. Dazu kommt, dass ich denke, dass wir anderen uns für den Moment nicht in unmittelbarer Gefahr befinden. Da Adele als Einzige Briefe und dieses Foto bekommen hat, wird der Absender nur Adele gesehen und uns andere nicht im Verdacht haben.« Katharina richtete die Brille auf ihrem Nasenrücken und zählte geordnet alles auf. Wenn man die Dinge neutral und objektiv betrachtete, erschienen sie einem meist gar nicht so schlimm wie kurz zuvor womöglich noch.

»Naja, Verdacht schöpfen könnte derjenige schon. Immerhin haben wir uns ja erst vor kurzem alle so dick angefreundet und wenn man Adeles Geheimnis kennt, liegt die Vermutung irgendwie nahe, dass wir anderen dasselbe Geheimnis teilen, oder nicht?« Zoes Einwurf war nicht unbegründet.

»Damit hast du recht. Trotzdem denke ich nicht, dass es etwas bringt, wenn wir alle in Panik verfallen.«

»Davon hat ja auch niemand etwas gesagt«, erwiderte Zoe, doch Katharina warf Conny nur einen bedeutungsvollen Blick zu. Dass die sich bereits im Labor ihres Vaters sah, war ja wohl mehr als offensichtlich.

»Schon gut, ich reiß mich zusammen.« Conny hob abwehrend die Hände. »Aber nur wenn du mir verrätst, wie es jetzt weitergehen soll, und zwar so, dass wir alle nach Möglichkeit sicher sind.«

»Na, im Grunde ganz einfach. Wir verzichten vorerst auf unsere Schwimmausflüge im Meer.«

»Was?«, Chloe richtete sich kerzengerade auf und hatte die schokobraunen Augen weit aufgerissen.

»Es hilft ja nichts.« Katharina zuckte mit den Schultern. »Wenn wir als Meerjungfrauen schwimmen gehen, laufen wir natürlich Gefahr, entdeckt oder beobachtet zu werden. Wir sollten zumindest ein, zwei Wochen komplett darauf verzichten, uns zu verwandeln. Bis dahin wissen wir womöglich auch schon mehr oder der Typ meldet sich mit einem weiteren Brief bei Adele. Im Moment wissen wir einfach so gut wie nichts und das ist gefährlich. Wir sollten alle sehr, sehr vorsichtig sein und keine unnötigen Risiken eingehen. Dazu gehört nun mal auch das Schwimmen im Meer.«

Chloe sank auf ihrem Stuhl zusammen, verschränkte die Arme vor der Brust und zog einen Schmollmund. Es war deutlich zu sehen, dass sie damit absolut nicht einverstanden war, aber sie widersprach trotz allem nicht.

»Ich denke, dass das vernünftig ist«, meldete Adele sich leise zu Wort.

»Auch wenn es mir wirklich schwerfallen wird, stimme ich dem ebenfalls zu. Außerdem ist das Meer gerade nicht mehr unbedingt mein Freund.« Zoe verzog den Mund und Katharina war sich sicher, dass sie alle genau wussten, was Zoe damit meinte.

»Es birgt Gefahren wie alle anderen Dinge im Leben auch«, meinte Adele ruhig. Sie schwiegen.

Ist damit nun alles geklärt?, fragte Katharina sich, während sie auf die Briefe und das Foto starrte.

»Da wäre noch ein Problem.« Dieses Mal richteten sich Connys durchdringende blaue Augen auf Zoe.

»Was denn? Mir geht es gut. Ich bin wieder vollkommen geheilt, also kein Grund …«

»Darum geht es mir nicht. Was ist mit Ben? Schlimm genug, dass bereits jemand Adele als Meerjungfrau gesehen hat, aber was, wenn er sich doch erinnert? Sobald er irgendetwas davon in Umlauf bringt, wird der Briefetyp mit Sicherheit Lunte riechen und sollten ihm Details einfallen, dann bist du oder besser sind wir ziemlich schnell am Arsch.« Conny war wie immer offen, ehrlich und schonungslos. Andererseits musste Katharina einräumen, dass sie selber an diesen Punkt gar nicht mehr gedacht hatte. Es waren wirklich zu viele Dinge zu beachten und zu viele Dinge in zu kurzer Zeit passiert. Das war selbst für ihren Kopf ein wenig viel, obwohl sie sich normalerweise wie ein hoch entwickelter Computer fühlte, was derlei Dinge anging. Jetzt jedoch hatte selbst sie Probleme, alle Informationen zu berücksichtigen, die es zu berücksichtigen galt.

»Na, der Versuch, über Greg an Ben heranzukommen, gilt wohl als gescheitert. Ich glaube nicht, dass das der richtige Weg ist. Und es dauert auch einfach zu lange.« Conny warf Adele dabei einen Seitenblick zu, als wolle sie sagen: Noch etwas, wofür du die Verantwortung trägst.

Katharina hielt den Mund, obwohl es ihr wirklich schwerfiel. Aber sie konnte Adele nicht immer verteidigen und in diesem Fall hätte sie sich auch mehr symbolisch auf ihre Seite gestellt, als dass sie richtig überzeugt war, dass ihre Freundin diese Behandlung nicht verdient hatte. Die Sache mit Greg war echt mehr als kompliziert.

»Wie wäre es dann, wenn man sich ihm einfach ganz direkt nähert?«, schlug Zoe schließlich vor, nachdem nun absolutes Schweigen herrschte.

»Und wie soll das bitteschön funktionieren? Ich meine, der Kerl ist inzwischen umringt von Bewunderern, fast wie ein Popstar.« Conny klang wirklich genervt. Na ja, wenn man bedachte, dass sie wahrscheinlich nur zu gern all diese Aufmerksamkeit ganz allein für sich gehabt hätte, dann war es verständlich.

»Und was, wenn man einfach wartet, sobald er mal allein ist?«

»Willst du ihn aufm Klo abfangen, oder was?«, schnaubte Conny. Adele und Katharina mussten beide grinsen. Zoe hingegen wirkte empört.

»Natürlich nicht! Ich will mich schließlich nicht als Junge verkleiden, auch wenn ich mir dafür nicht mal die Haare schneiden müsste. Die pinken Strähnen würden mich ohnehin sofort outen. Ich meinte bloß, dass wir abwarten und schauen könnten, wann sich eine Gelegenheit bietet.«

»Dafür müsste man ihn ja regelrecht verfolgen«, meinte Chloe, wohl eher im Scherz, doch Zoe zucke nur mit den Schultern.

»Ja und? Da wir ja in nächster Zeit sowieso nicht schwimmen können und uns von Wasser fernhalten sollten, hab ich ja etwas mehr Freizeit.«

»Du willst dich echt an seine Fersen heften?«, fragte Kathi ungläubig. Na, ob das so klug ist? Nachdenklich kratzte sie sich am Kopf. Die ganze Geschichte war aber auch verfahren. Nach nicht einmal einem Monat befanden sie sich bereits in derart schwierigen und brenzligen Situationen. Das hätte sie anfangs nie gedacht. Sie hatte es als Abenteuer und Herausforderung angesehen. Jetzt musste sie erkennen, dass sie all diesen Dingen vielleicht doch nicht gewachsen war. Aber aufgeben? Kam für Katharina nicht in Frage, unter gar keinen Umständen! Sie würde bis zum Ende kämpfen.

»Wir haben doch schon mal darüber gesprochen. Wenn er wirklich etwas gesehen hat, dann wird er sich am ehesten in meiner Gegenwart erinnern.«

»Du willst es also auslösen?« Adele hob erstaunt die Augenbrauen.

»Nein, nein.« Zoe schüttelte den Kopf. »Ich will einfach nur dabei sein. Dann bekomme ich es mit und kann entsprechend reagieren. Auslösen kann es ja alles Mögliche. Aber sonst erfahren wir wahrscheinlich nichts davon.«

»Das klingt in meinen Ohren ziemlich gewagt.« Adele wandte sich an Katharina, als wollte sie um eine zweite oder gar eine Expertenmeinung fragen.

»Nicht unbedingt. Das Kind ist ohnehin schon in den Brunnen gefallen. Die Frage ist nur noch, ob es ertrinkt oder wieder herausklettert. Ich denke, mal einen Blick hineinwerfen, das schadet nicht.«

»Bitte was?« Chloe sah sie vollkommen verwirrt an und Katharina musste grinsen.

»Vereinfacht gesagt, finde ich, dass Zoes Argumentation schlüssig ist und ich die Aktion nicht für ein zu großes Risiko halte. Besser als nichts zu tun.«

»Du bist also einverstanden?«, fragte Zoe zur Sicherheit noch einmal nach. Katharina nickte, war sich aber insgeheim nicht sicher, ob sie damit nicht einen großen Fehler beging. Doch das war ja eben das Problem, man wusste nie, wohin die Wege einen führten, die man einschlug. Fakt war, dass man sich irgendwann entscheiden musste, ständig nur stehen zu bleiben und abzuwarten, brachte einen nicht weiter.

»Aber sollte sie nicht jemand begleiten?«, warf Conny schließlich ein, sie wirkte besorgt.

»Mhm, zunächst nicht. Man könnte sich höchstens abwechseln. Adele sollte sich ohnehin bedeckt halten und es fällt bestimmt auf, wenn Ben ständig die gleiche Gruppe Mädels hinterherläuft. Das wird ihn eher abschrecken. Sich irgendwann mal neben ein Mädchen zu setzen und ein Gespräch anzufangen, ich denke, da wird Zoe allein einfach mehr Erfolg haben.«

»Ja, vielleicht«, murmelte Conny leise.

»Wenn sie nichts erreicht und nicht an ihn rankommt, dann wechseln wir einfach. Aber Zoe sollte es erst einmal selber versuchen. Sie hat recht, wenn Ben wirklich etwas gesehen hat und sich erinnern kann, wird Zoe am ehesten etwas auslösen. Wir anderen haben auf ihn keine solche Wirkung. Außer wir wollen in seiner Gegenwart eine Runde schwimmen gehen.«

»Okay, da hast du recht, Kathi.«

Katharina hob eine Augenbraue. Seit wann nannte Conny sie denn Kathi? Na ja, wahrscheinlich hatte sie es sich bei Adele abgeschaut und der Name war ja wirklich einfacher und kürzer.

»Dann abgemacht.« Als Zoe so voller Euphorie in die Hände klatschte und Katharina das Funkeln in ihren Augen bemerkte, meldete sich sogleich wieder die Sorge. Sie sah die Anzeichen und musste sie dennoch ignorieren. Es war nur natürlich, dass Zoe eine Art Bindung zu Ben aufgebaut hatte, weil sie sein Retter gewesen war. Das hieß aber nicht, dass sie sich bereits in ihn verliebt hatte. Sie wollte ihm näherkommen und das bestimmt nicht nur um sicherzugehen, dass er sie nicht als Meerjungfrau gesehen hatte. Daran war erst einmal nichts Schlimmes. Adele hatten sie Greg ja auch ›erlaubt‹, wenn man so wollte. Dennoch würde Katharina das im Auge behalten. Zoe durfte vor lauter Liebesgefühlen nicht so blind werden, dass sie sie alle in noch größere Gefahr brachte. Sie schien ihren besorgten – oder war es gar ein skeptischer? – Blick bemerkt zu haben und lächelte beschwichtigend.

»Keine Sorge, ich weiß, dass ich vorsichtig sein muss. Ich werde nichts tun, was mich oder euch in Gefahr bringt und ich melde sofort, sollte er irgendwie durchscheinen lassen, dass er sich an etwas erinnert. Wer weiß, wenn wir richtig dicke Freunde werden, kann ich ihn ja auch direkt danach fragen.« Zoe grinste breit in die Runde.

»Wie willst du das überhaupt anstellen? Also mit dem Anfreunden meine ich«, fragte Adele neugierig.

»Wie gesagt, ich werde ihn einfach eine Weile stalken und schauen, ob ich ihn irgendwo allein erwische.«

»Wie? Willst du etwa vor seinem Haus campieren?« Conny hob die perfekt gezupften Augenbrauen.

»Ach, Quatsch. Aber neben dem Surfen wird er ja noch andere Hobbies haben und bei dem ganzen Trubel in der Schule ist er ja mit Sicherheit froh, wenn er mal seine Ruhe hat.«

»Stell es dir nicht zu leicht vor. Andererseits wer nicht wagt, der nicht gewinnt.« Katharina zuckte mit den Schultern.

»Alles klar. Dann lösen wir unsere Sitzung an dieser Stelle auf?« Adele erhob sich.

»Und gehen eine Runde …« Chloes Begeisterung fiel zusammen wie ein Soufflé. »Ach, nein. Das geht ja vorerst nicht mehr.«

Zoe klopfte ihr aufmunternd und mitfühlend zugleich auf die Schulter.

»Nein. Denkt dran, wir verhalten uns unauffällig und beobachten selber sehr genau, was um uns herum passiert. Achtet noch mehr auf die Kontakte, damit wir nicht in Bedrängnis kommen«, schärfte Katharina ihnen ein.

»Roger.« Adele salutierte im Sitzen und trotz aller Ernsthaftigkeit musste Katharina grinsen.

 

Kapitel 3 

ZOE - BEN UND ZOE 

 

Am nächsten Tag startete Zoe sofort mit ihrer neuen Mission. Sie folgte Ben so unauffällig, wie es ihr nur möglich war. Es war albern, wenn sie sich wie eine verrückte Stalkerin aufführte. Aber um Conny zu beweisen, dass Ben keine Gefahr darstellte und nicht ›eliminiert‹ werden musste, musste sie irgendwie an ihn rankommen. Die Sache mit Greg hatte ja nicht funktioniert. Zoe wollte nicht so weit gehen und Adele unterstellen, dass sie es mit Absicht hatte schieflaufen lassen, aber … Die Sache mit Greg und ihr war schon echt anstrengend, das waren sie beide. Wenn das ganze Drumherum mit den Meerjungfrauen und dem Geheimhalten nicht wäre, wäre die Geschichte wahrscheinlich gar nicht so kompliziert. Wobei man manchmal das Gefühl bekommen konnte, dass Adele sich hinter dieser Sache versteckte und sie für ihre Ausflüchte nutzte.

Egal, Zoe hatte beschlossen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Es lag ja ohnehin in ihrer Verantwortung, schließlich hatte sie riskiert, dass Ben sie als Meerjungfrau sah. Doch sie wäre ihr Leben lang nicht mehr froh geworden, wenn sie ihr Geheimnis über sein Leben gestellt hätte. Und jetzt musste sie eben mit den Konsequenzen leben, aber das konnte sie und das würde sie. Als Allererstes galt es, herauszufinden, ob er nicht doch etwas von der Rettungsaktion und ihrem Mitwirken mitbekommen hatte, wodurch er ihr und ihrem Geheimnis gefährlich werden konnte.

Wie genau sie das jedoch anstellen sollte, wusste Zoe noch nicht. Sie beschränkte sich erst einmal darauf, ihm ein wenig hinterher zu spionieren und ihn zu beschatten, um herauszufinden, ob er sich auf irgendeine Art seltsam verhielt.

Zwar empfand sie es als durchaus ungewöhnlich, dass er nach diesen Ereignissen so bald wieder ein Surfbrett in die Hand nahm, aber das hatte nichts mit der Sache zu tun. Trotzdem war sie ihm mit skeptisch gerunzelter Stirn bis an den Strand gefolgt. Sie hatte es nicht glauben können, bis sie ihn ins Wasser hatte waten sehen. Dort hatte er nicht einmal innegehalten, was ein Indiz dafür gewesen wäre, dass ihm dieser Schritt schwerfiel. Nein, er war sogleich rauf aufs Brett und losgepaddelt. Irgendwie fand sie das ja bewundernswert, wobei …

Sie fürchtete sich nach dem Krokodilangriff auch nicht davor weiter im Meer schwimmen zu gehen. Zoe empfand keine Angst vor dem Meer, auch wenn sie fortan einen großen Bogen um jedes Krokodil machen würde. Allerdings hatte sie im Nachhinein den Eindruck, dass ihre losgelassene Stimmung und dieses Gefühl der Leichtigkeit, das sie empfand, etwas mit der Träne zu tun haben musste. Sie hegte die Vermutung, dass Adeles Meerjungfrauenträne nicht nur körperlich eine Wunderheilung bewirkte. Sie musste auch auf ihren Geist eine sehr, sehr positive Wirkung ausüben. Anders konnte sie es sich nicht erklären, dass sie so gar keine Albträume oder Angstzustände hatte. Immerhin war das eine lebensbedrohliche Geschichte gewesen. So etwas steckte man doch nicht so einfach weg. Nicht, dass sie sich beschweren wollte. Keinesfalls! Es regte sie nur eben zum Nachdenken an.

Und das tat sie auch. Nachdenken. Die gesamte Zeit, die sie in den Dünen saß, aufs Meer starrte und Ben dabei beobachtete, wie er die Wellen ritt. Sich die Kraft des Meeres zu eigen machte. Ohne Angst, ohne Zweifel. Das erinnerte sie daran, wie Adele das Meer sah. Doch sie, sie sah gerade nur Ben.

Was er wohl sagen würde, wenn sie ihm offenbarte, dass sie es gewesen war, die ihn gerettet hatte? Doch sie durfte es nicht, denn dann hätte sie erklären müssen, wie ihr das möglich gewesen war. Sie war klein und zierlich. Wie sollte so jemand es schaffen, einen anderen Menschen vor dem Brecher zu retten und an Land zu ziehen?

Sie hätte es nicht schaffen können, egal wie sehr sie es auch gewollt hätte. Ohne ihre Meerjungfrauenkräfte hätte sie Ben nicht retten können. Sie verdankte diesen Kräften viel.

Moment, hätte es nicht heißen müssen, dass Ben der Meerjungfrau jede Menge verdankte?

»Hey, was machst du denn hier?«

Zoe schreckte aus ihren Gedanken hoch und zuckte fürchterlich zusammen. Hastig sah sie sich um. Ben stand direkt neben ihr und schüttelte sein nasses Haar aus, bevor er es sich schräg über die Stirn legte. Was machte er hier? Und wieso sprach er sie an?

»Wie? Ich?« Sie war vollkommen geschockt, dass er so plötzlich vor ihr stand. Immerhin hatte sie ihn bis eben noch beobachtet und sehr intensiv über ihn nachgedacht und da stand er nun. Irgendwie schaffte ihr Gehirn den Sprung nicht, hing fest.

»Na, siehst du hier noch jemanden?« Ben lachte und musterte sie amüsiert.

»Ja, nein. Also ich … ich sitze hier und schau mir das Meer an.« Hastig streckte Zoe die Beine aus und stützte sich mit den Händen zu beiden Seiten ab, dann richtete sie den Blick kurz aufs Meer und danach wieder auf ihn.

»Jaaa«, antwortete er etwas gedehnt. »Wie auch immer. Du bist Zoe, oder? Bist du nicht mit dieser Conny befreundet? Im Jahrgang unter mir?«

Zoe nickte einfach nur und wusste nicht, ob sie es nun gut finden sollte, dass er ihren Namen kannte oder es als potenzielle Bedrohung ansehen musste. Sie war immerhin hier, um herauszufinden, wie viel er von der Rettung mitbekommen hatte. Auch wenn sie tief im Herzen wusste, dass das nicht der Grund war, sondern bloß ein Vorwand. Und vor allem eine Ausrede.

»Na ja, mich brauche ich nach der ganzen Aufregung wohl nicht mehr vorzustellen, was?« Ben grinste sie an und setzte sich einfach neben sie. Sein Surfbrett hatte er in den Sand gelegt. Es war rot mit blauen und schwarzen Streifen.

»Kannst du denn schon wieder … ich meine, ist es gut, wenn du mit den Verletzungen surfen gehst?«, wagte Zoe es, mit einem raschen Seitenblick auf seine Verletzungen, zu fragen. Er hatte nach wie vor überall am Körper blaue Flecke und einige Schürfwunden. Ihr Rücken, mit dem sie gegen den Felsen gekracht war, war erstaunlich schnell verheilt. Das schob Zoe allerdings auf die Meerjungfrauensache. Nachdem sie von Adele die Träne bekommen hatte, waren die Prellungen nicht einmal mehr zu erahnen.

»Ich kann es jedenfalls nicht sein lassen. Ich liebe das Meer und sobald ich es sehe, muss ich einfach hinein, am liebsten mit meinem Brett.« Er klopfte kumpelhaft darauf und strich dann noch einmal zärtlich drüber. »Dem ist bei der ganzen Aktion wenigstens nichts Schlimmes passiert. Ich sehe ja auch zerklüftet genug für uns beide aus. Einige Wunden brennen ein bisschen, aber das kann man ignorieren.«

Zoe sah ihn ungläubig an. »Hast du denn keine Angst?«

»Wovor?«

»Na, dass so etwas noch einmal passiert?«

Er lachte. »Ach, was. Das war ein blöder Unfall. Und solange ich mich vom Brecher fernhalte …«

Zoe glaubte, irgendeinen Unterton in seiner Stimme gehört zu haben, bei den letzten Worten, doch sie wusste ihn nicht zu deuten. Außerdem war das die Gelegenheit, um auf genau dieses Thema zu sprechen zu kommen, und darauf musste sie sich gerade konzentrieren.

»Weißt du denn noch irgendetwas? Wie es dazugekommen ist? Was danach passiert ist?« Das war ihre Chance, um mehr herauszufinden, und ausgerechnet Ben war es gewesen, der ihr diese nette Vorlage zu dem Thema gegeben hatte.

»Na ja.« Er lehnte sich zurück, stützte sich mit den Händen ab und starrte auf das Meer. »Ich hab‘ einen ziemlichen Schlag gegen meinen Dickkopf bekommen und war wohl auch etliche Sekunden, wenn nicht sogar länger bewusstlos. Dabei muss ich einige Zeit unter Wasser gewesen sein. Aber das ist alles bloß ein großes Durcheinander. Richtig erinnern kann ich mich erst wieder, nachdem ich im Krankenhaus aufgewacht bin.«

»Verstehe.« Zoe wusste nicht, ob sie erleichtert oder enttäuscht sein sollte, denn wenn sie ehrlich zu sich selbst war, dann hatte sie gehofft, er würde sich noch ein kleines bisschen daran erinnern, dass sie es gewesen war, die ihn gerettet hatte. Vielleicht war es nur so eine Art Gefühl oder die Stimme, die ihm bekannt vorkam. Doch es schien nichts dergleichen zu sein.

»Allerdings weiß ich noch ein paar Dinge, bevor ich Treibholz im Meer gespielt habe.«

»Ach?« Zoe interessierte sich eigentlich nicht wirklich für das, was vorher passiert war. Da war sie nicht dabei gewesen und es hatte somit nichts mit ihr zu tun.

»Ja. Ich war nämlich gar nicht so nah am Brecher surfen, wie später alle gesagt haben. Ich bin ja wagemutig, aber ganz sicher nicht bescheuert!« Er sah sie an, als erwartete er, dass sie ihm beipflichtete. Dabei kannte sie ihn nicht gut genug, um das beurteilen sie können. Dennoch nickte sie, als wäre es selbstverständlich, dass er das nicht war.

»‘Türlich nicht«, fügte sie dann noch rasch hinzu.

»Ja, aber jetzt denken alle, ich hätte mich selbstüberschätzt, quasi nach den Sternen greifen wollen, und wäre dabei auf die Schnauze gefallen. Na ja, ist ja auch egal. Jedenfalls hab‘ ich meinen üblichen Sicherheitsabstand zum Brecher eingehalten. Da, wo zwar echt gute Wellen wegen der vielen Felsen sind, man selber aber nicht Gefahr läuft, aufgespießt zu werden, sollte man einen Abgang machen. Und da sehe ich mit einem Mal einen Schatten unter der Oberfläche. Ich war mitten im Reiten einer Welle. Ich dachte, es wäre ein Delfin oder so. Von denen hab‘ ich schon gehört, dass die das machen sollen.«

»War es einer?«, wollte Zoe, nun doch neugierig geworden, wissen. Eventuell hatte er ja irgendein Meereswesen gesehen, das wie sie auch nicht ganz normal war.

»Ich hab keine Ahnung.« Er hob die Schultern.

»Nicht? Schade.« Zoe war enttäuscht, dabei wusste sie nicht einmal genau wieso. Abermals ließ sie möglichst unauffällig ihren Blick über seine Gestalt wandern. Die Spitzen seiner zuvor noch nassen Haare waren bereits getrocknet und hatten einen viel helleren Blondton angenommen als der Rest, der nach wie vor sehr dunkel war. Da er, während sie ihn beobachtete, konzentriert aufs Meer starrte, ließ sie ihren Blick vorsichtig noch ein bisschen tiefer wandern.

Er hatte keinen mega ausgeprägten Waschbrettbauch, aber wer hatte das in ihrem Alter schon? Aber er hatte eine sehr sportliche Figur und bereits schön definierte Muskeln. Die seiner Oberarme spannten, als er Schwung holte und sich vorbeugte. Er klopfte seine sandigen Hände sauber und sprach danach endlich weiter.

»Es ist seltsam, aber ich erinnere mich ganz genau, dass dieser Schatten unter meinem Surfbrett verschwand und ich im nächsten Moment direkt auf den Brecher zusteuerte. Keine Ahnung, wie das möglich ist, aber ich sehe noch die Bilder vor mir. Weil ich nicht gegensteuern konnte, bin ich vom Brett gesprungen. Keine Ahnung, ob mich das dann unter Wasser am Kopf erwischt hat, ich kann mich nur an einen heftigen Schlag erinnern und danach ist alles schwarz.« Ben schwieg und Zoe wusste auch nicht, was sie darauf sagen sollte. Es klang schon sehr seltsam und mysteriös, was er ihr da erzählte. Aber hey, sie war seit neuestem eine Meerjungfrau, abgedrehter ging es ja wohl gar nicht mehr. Wieso sollte dann nicht irgendetwas dafür gesorgt haben, dass Ben mit dem Brecher zusammenstieß. Nur was? Und wieso? Oder hatte er sich das alles bloß ausgedacht? Machte er sich gerade über sie lustig? Nein, wahrscheinlicher war es, dass er sich damit herausreden wollte, nicht so bescheuert gewesen zu sein, selber derart nah am Brecher surfen zu wollen. Andererseits war diese Geschichte nicht unbedingt besser. Man würde ihn auslachen oder für verrückt halten. Das konnte also nicht der Grund sein, weswegen er damit um die Ecke gekommen war.

»Keine Ahnung, wieso ich dir das gerade alles erzählt habe. Aber irgendwie …« Er wirkte für einen Moment irritiert und Zoe hielt erschrocken die Luft an. Kam jetzt der Moment, wo ihm klar wurde, dass er sie von irgendwoher kannte und sie entlarvt war? Sie machte sich bereit, aufzuspringen und möglichst schnell zu verschwinden, auch wenn das natürlich nichts bringen würde, sollte Ben dahintergekommen sein.

»Du bist eine wirklich gute Zuhörerin«, stellte er schließlich fest und Zoe hätte beinahe einen lauten Stoßseufzer losgelassen. »Jeder andere hätte mich für verrückt gehalten. Ich meine, meinen Kumpels brauche ich damit gar nicht kommen. Die wollten alle bloß wissen, wie ich es geschafft habe, mich an Land zu retten. Dabei war ich es gar nicht.«

Während Zoe ihn aufmerksam musterte, schüttelte er den Kopf und der Anflug eines Lächelns zeichnete sich auf seinen Lippen ab. Sie blieb ganz still sitzen, traute sich nicht, sich zu rühren, weil sie ihn dadurch womöglich von den nächsten Worten ablenken könnte. So, wie er das gerade formuliert hatte, bedeutete es, dass er wusste, dass ihn irgendjemand gerettet hat.

Ben schwieg dermaßen lange, dass Zoe überlegte, ob sie nicht doch etwas sagen sollte, um ihn dazu zu animieren, weiterzureden. Wieso hatte er aufgehört? Ausgerechnet jetzt? Das, was da kommen würde, konnte unmöglich abgedrehter sein, als die Sache mit dem seltsamen Schatten. Im Übrigen hatte er zuvor doch gesagt, er könne sich an nichts erinnern. Was sollte das jetzt also?

»Ich weiß«, fing Benn schließlich wieder an zu reden, »ich habe gesagt, ich könne mich an nichts erinnern. Das ist auch nicht wirklich gelogen. Ich weiß vieles nicht mehr, aber ich denke, dass ich zwischendurch zumindest teilweise bei Bewusstsein war. Irgendwie hab ich das Gefühl, da wäre eine Stimme gewesen, die verhindert hätte, dass ich zu sehr ins Dunkle abdrifte. Allerdings erinnere ich mich weder an die Worte noch an ihren Klang. Da ist nur diese ganz entfernte Erinnerung, die genauso gut auch ein Traum gewesen sein könnte. Trotzdem würde ich gern herausfinden, was es ist und was genau passiert ist.«

Plötzlich war da dieser entschlossene Gesichtsausdruck, der Zoe gar nicht gefiel. Eine innere Alarmglocke schrillte los. Ab hier würde es gefährlich werden und das womöglich nicht nur für sie.

»Und wie willst du das machen?«, fragte sie schließlich zögerlich.

»Wie wohl?« Ben wandte sich ihr mit einem breiten Grinsen zu. »Ich werde wieder am Brecher surfen gehen.«

»Bist du bescheuert?« Zoe sprang auf. »Womöglich hat irgendjemand sein Leben riskiert, um deines zu retten, und anstatt dich darüber zu freuen und fortan vorsichtiger zu sein, willst du dein Leben ein zweites Mal riskieren?«

»Keine Sorge, ich bin vorsichtig, ich kenne jetzt die Gefahren und …«

»Bin ich eigentlich die Einzige, die die letzten Minuten deinem Berichten zugehört hat?« Ben schien bei diesen Worten ehrlich irritiert. »Du hast doch gerade selber gesagt, dass so ein seltsamer Schatten dich auf den Brecher zugesteuert hat. Was ist, wenn der wieder auftaucht? Du konntest damals offensichtlich nichts dagegen tun und wirst es auch beim nächsten Mal nicht können, also lass es.« Zoe drehte sich auf dem Absatz um und ging davon. Damit wollte sie nicht das Geringste zu tun haben. Tränen der Wut stiegen in ihr auf, die sie hastig wegblinzelte. Sie hatte alles riskiert, sich dabei sogar verletzt, um ihn zu retten, doch er wusste das allem Anschein nach nicht zu würdigen und war bereit, sein Leben einfach so ein weiteres Mal zu riskieren. Was, wenn wieder etwas passierte?

In dem Fall würde sie kein zweites Mal da sein, um ihn zu retten. Wenn er unbedingt untergehen wollte, dann konnte er das allein tun.

»Zoe warte.« Etwas zog an ihrem Arm. Widerwillig blieb Zoe stehen, drehte sich jedoch nicht zu ihm herum.

»Was?« Sie hatte alles gesagt und er würde ihre Meinung nicht ändern. Es war ihr Leben und ihr aller Geheimnis, das sie für ihn riskiert hatte, und dabei hatte sie ihn zuvor nicht einmal gekannt. Doch jetzt spürte sie diese starke Bindung zu ihm und er? Er spürte scheinbar gar nichts, nicht wie wichtig er ihr geworden war und auch nicht, wie wichtig sie für ihn sein sollte. Er wollte einfach nur …

»Ich will einfach nur verstehen, was passiert ist. Ich will dort draußen wirklich nicht mein Leben aufs Spiel setzen. Aber wenn ich wieder dort surfe, dann fallen mir vielleicht ein paar Dinge ein und ja, eventuell sehe ich diesen Schatten ein zweites Mal und kann herausfinden, was es damit auf sich hat. Bitte, Zoe.« Als er sie mit diesem flehenden Unterton ansprach, musste sie sich schließlich zu ihm herumdrehen. Sie hatte das Gesicht verzogen. Warum war es nur immer so schwierig, das Richtige zu tun und noch viel schwieriger, zu erkennen, was das Richtige war?

»Was willst du von mir, Ben?« Sie waren im Grunde nicht mehr als entfernte Bekannte, Schüler, die auf dieselbe Schule gingen. Er brauchte sich ihr weder zu erklären noch sie von irgendetwas zu überzeugen. Im Grunde konnte es ihm vollkommen egal sein, was sie von ihm oder seinem Unterfangen hielt. Warum war es das dann nicht?

Und warum war sie über diese Tatsache so glücklich?

»Ich …« Er ließ sie los, als wäre ihm erst in diesem Moment bewusst geworden, dass er sie festhielt. Dann strich er sich über das noch feuchte Haar, ordnete den Pony auf seiner Stirn. Zoe musterte ihn derweilen abwartend.

»Ich … also ich würde mich nicht wohl dabei fühlen, das allein zu tun. Und na ja, meine Kumpels, wie gesagt … Denen kann ich davon nichts erzählen. Du weißt es aber schon.« Er sah vorsichtig zu ihr hoch, was merkwürdig war, denn normalerweise sahen die anderen für gewöhnlich zu ihr hinunter. Doch sein Blick war definitiv nach oben gerichtet, zwischen den Fransen seines Ponys hindurch. Da er den Kopf leicht gesenkt hielt, konnte man meinen, da stand ein kleiner Hund mit seinen treuen Augen, der um ein kleines Leckerchen oder ein paar Streicheleinheiten bettelte.

»Und?« Wenn er etwas wollte, dann würde er es wohl oder übel aussprechen müssen. Sie würde ihm das ganz bestimmt nicht abnehmen.

»Na ja, ich wollte dich daher fragen …« Er kratzte sich im Nacken, es musste ihm wirklich unglaublich schwerfallen, es auszusprechen. Sie wollte sich bereits mit einem resignierten Seufzer abwenden, da bekam er endlich den Mund auf.

»Ich wollte dich fragen, ob du mir helfen würdest«, schrie er es beinahe heraus. »Ich weiß, dass du das für eine vollkommen bescheuerte Idee hältst, aber ich brauche dich.«

Ich brauche dich.

Diese Worte hallten in Zoes Kopf wider und schienen ihn gänzlich auszufüllen. Er brauchte sie, er hatte sie gebraucht und er brauchte sie immer noch.

»Ich …« Doch sie konnte es nicht. Wie könnte sie ihn dabei unterstützen, dass er sein Leben aufs Spiel setzte? Und das, um etwas herauszufinden, auf das sie ihm ganz einfach eine Antwort geben könnte. Also schön, was das für ein seltsamer Schatten gewesen sein sollte, wusste sie natürlich nicht, aber wie er gerettet worden war, das wusste sie nur zu gut.

Nein, sie konnte weder danebenstehen und zusehen, wie er sein Leben riskierte, noch könnte sie ihn ein weiteres Mal retten. Sie hatte einmal ihr Leben und ihr Geheimnis für ihn aufs Spiel gesetzt. Ein zweites Mal konnte sie es einfach nicht.

»Nein.«

»Nein? Also …« Man konnte die Enttäuschung auf seinem Gesicht sehen. Wo vorher noch ein aufgeregtes Funkeln gewesen war, erlosch gerade das Leuchten in seinen Augen. Es war schmerzhaft dabei zuzusehen.

»Nicht, ohne ein paar Bedingungen.« Zoe, bist du denn bescheuert?, schrie sie sich in Gedanken an. Doch jetzt konnte sie keinen Rückzieher mehr machen.

»Was für Bedingungen?«, wollte Ben mit gerunzelter Stirn wissen.

»Solange du noch verletzt bist und die Wunden nicht richtig verheilt sind, wirst du nicht da draußen beim Brecher surfen gehen.« Er konnte dem zustimmen oder nicht. In dem Fall verschwand sie und würde sich nicht mehr darum kümmern, was er vorhatte.

»Mhm, das klingt zwar grundsätzlich vernünftig, aber wie lange soll das dauern?«

Zoe brauchte Zeit. Sie musste in seiner Nähe bleiben und jedes Anzeichen darauf, dass er sich daran erinnern konnte, von einer Meerjungfrau gerettet worden zu sein, bemerken. Das bedeutete jedoch gleichzeitig, dass sie ihn möglichst lange vom Brecher fernhalten musste. Das Spiel konnte sie allerdings nicht ewig spielen, irgendwann würde er ungeduldig werden.

»Mindestens diese und nächste Woche. Du und dein Körper müssen sich erst erholen. Es bringt rein gar nichts, wenn du vom Brett kippst, nur weil du noch nicht wieder richtig fit bist.« Sie ließ ihre Augen dabei einmal über seinen gesamten Körper wandern, von Schnittwunde zu Schürfwunde und zu jedem einzelnen blauen Fleck. Am Ende blieb sie bei seinem Kopf hängen.

»Aber mir geht es gut. Hast du mich heute surfen sehen?« Er deutete hinter sich aufs Meer, als wäre seine Erscheinung dort immer noch auf den Wellenspitzen zu sehen.

Beinahe hätte Zoe sich dazu verleiten lassen, Ja zu sagen. Doch dann hätte sie zugeben müssen, ihn beobachtet zu haben.

»Das spielt keine Rolle. Du kannst dich noch so in Topform fühlen, Tatsache ist, dass du gerade erst einen schweren Schlag gegen den Kopf bekommen hast, ohnmächtig warst und nur knapp dem Tod entkommen bist. Übertreib es also nicht.«

Ben schwieg daraufhin, als müsse er wirklich intensiv darüber nachdenken, ob diese Bedingungen für ihn tragbar waren.

»Wie auch immer, wenn du mich dabeihaben willst, dann nur so oder gar nicht.« Zoe wandte sich bereits halb ab, als er sie stoppte.

»Also schön. In dem Fall habe ich allerdings ebenfalls eine Bedingung.« Als Zoe sich ihm erneut zuwandte, konnte sie den Schalk in seinen Augen aufblitzen sehen. »Du hilfst mir, bis ich deiner Meinung nach körperlich wieder fit bin, bei meinem Schwimmtraining.«

»Was … was soll ich denn da machen?« Schwimmtraining? Das bedeutete Wasser. Nicht unbedingt die beste Idee. Ja, klar, es war schon sehr riskant, mit ihm hier am Strand Zeit zu verbringen. Aber das war vor den anderen noch zu rechtfertigen, immerhin versuchte sie damit ja, herauszufinden, ob Ben eine Gefahr für sie als Meerjungfrauen war. Aber Schwimmtraining? Wie sollte sie sich da rechtfertigen? Am besten gar nicht.

»Ja, zum Beispiel morgens vor der Schule stoppst du meine Zeit, während ich meine Bahnen schwimme. Du stehst mit mir auf und unterstützt mich, wo es geht. Indem du meine Zeiten im Blick behältst, weißt du, wie fit ich bin.«

Ach, darum ging es ihm also. Sie sollte als Strafe morgens früh aufstehen. Deswegen hatte er sie vorhin so verschmitzt gemustert.

»Also schön, wenn du meinst.« Pah, ein bisschen früh aufstehen, als wenn das so schlimm wäre.

»Dann schlag ein, Trainer.« Ben hielt ihr seine Hand hin. Sie war längst getrocknet. Das war nicht das Problem, weswegen Zoe zögerte. Auch wenn sie vorgab, das alles nur zu tun, um für die anderen auf Nummer sicher zu gehen, dass Ben sie nicht enttarnte. So wusste sie doch ziemlich genau, dass sie das einzig und allein für sich tat, weil sie Zeit mit ihm verbringen wollte.