Adele Spitzeder - Marita A. Panzer - E-Book

Adele Spitzeder E-Book

Marita A. Panzer

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Beschreibung

1872: Ein gewaltiger Finanzskandal, der über 30.000 Menschen um ihre Ersparnisse und Existenzen brachte, erschüttert München, ja ganz Bayern. Es handelt sich um ein Schneeballsystem ungeheuren Ausmaßes, das von der Leichtgläubigkeit der "kleinen Leute" und von ihren Geldern befeuert wurde – bis schließlich die "Dachauer Bank" von Adele Spitzeder zusammenbrach und sich der ganze Umfang des Betrugs vor Gericht offenbarte. Der spannende, kuriose Fall der Adele Spitzeder (1832–1895), gescheiterte Schauspielerin und populäre "Bankmadam", mutet angesichts der Finanzskandale in unserer Zeit nachgerade modern an. Dieser Band erzählt von einem turbulenten Leben zwischen Schein und Sein, Luxus und Bankrott, Gutgläubigkeit und Betrug.

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Adele Spitzeder

herausgegeben vonThomas Götz

MARITA A. PANZER

Adele Spitzeder

Schauspielerin, Bankgründerin und Betrügerin

Verlag Friedrich PustetRegensburg

Biografien machen Vergangenheit lebendig: Keine andere literarische Gattung verbindet so anschaulich den Menschen mit seiner Zeit, das Besondere mit dem Allgemeinen, das Bedingte mit dem Bedingenden. So ist Lesen Lernen und Vergnügen zugleich.

Dafür sind gut 100 Seiten genug – also ein Wochenende, eine längere Bahnfahrt, zwei Nachmittage im Café. Wobei klein nicht leichtgewichtig heißt: Die Autoren sind Fachleute, die wissenschaftlich Fundiertes auch für den verständlich machen, der zwar allgemein interessiert, aber nicht speziell vorgebildet ist.

Bayern ist von nahezu einzigartiger Vielfalt: Seine großen Geschichtslandschaften Altbayern, Franken und Schwaben eignen unverwechselbares Profil und historische Tiefenschärfe. Sie prägten ihre Menschen – und wurden geprägt durch die Männer und Frauen, um die es hier geht: Herrscher und Gelehrte, Politiker und Künstler, Geistliche und Unternehmer – und andere mehr.

Das wollen die KLEINEN BAYERISCHEN BIOGRAFIEN: Bekannte Personen neu beleuchten, die unbekannten (wieder) entdecken – und alle zur Diskussion um eine zeitgemäße regionale Identität im Jahrhundert fortschreitender Globalisierung stellen. Eine Aufgabe mit Zukunft.

DR. THOMAS GÖTZ, Herausgeber der Buchreihe, geboren 1965, studierte Geschichte, Germanistik und Philosophie. Er lehrt Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Regensburg und legte mehrere Veröffentlichungen, vor allem zu Stadt und Bürgertum in Bayern und Tirol im 18., 19. und 20. Jahrhundert, vor. Darüber hinaus arbeitet er im Museums- und Ausstellungsbereich.

Inhalt

Vorwort – Gründerzeit und Frauenrechte

1 Adele wächst auf

Die Eltern

Der Vater: Josef Spitzeder

Kindheit und Jugendzeit

Die Mutter: Betty Vio

2 Adele spielt Theater

Ausbildung zur Schauspielerin

Charlotte von Hagn, gefeierte Schauspielerin der Biedermeierzeit

Beginn und Ende der Karriere

Zur Lage der Schauspielerin im 19. Jahrhundert

3 Adele ist arbeitslos

Das damalige München

Geldnöte und Auswege

Löhne und Preise in München um 1870

4 Adele gründet die »Dachauer Bank«

Der Beginn

Der Wechsel – ein Wertpapier

Die Blütezeit

Die Kundschaft der »Dachauer Bank«

Situation auf dem Lande

Privatbanken in Bayern

Frühe kritische Stimmen

5 Adele kauft und macht Pläne

Gutshöfe und Gebäude

Währung in Deutschland und Bayern 1871/73

Villa Rosa

Wertsachen und Zeitungen

Pläne und Projekte

6 Adele wirkt wohltätig

Die »Münchner Volksküche«

Volks- und Suppenküchen

Andere »Humanitätswerke«

Bayerische Soldaten 1870/71

7 Adele lebt gut und wird verehrt

Privatleben und Gesundheit

Doktorbäuerin Amalie Hohenester

Selbstdarstellung und Verehrung

8 Adele geht bankrott

Niedergang

Gründung der kommunalen Sparkassen

Die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank

Zusammenbruch

Die Gant

Verhaftung

In Untersuchungshaft

9 Adele wird verurteilt und kommt ins Gefängnis

Der Prozess

Das Urteil

Gefängnis oder Zuchthaus?

Zwei Finanzbetrüger der modernen Zeit

Pressestreit und öffentliche Meinung

Gefängnis und Haftzeit

10 Adele ist wieder in Freiheit

Haftentlassung und Kuraufenthalt

Theaterende und Geldgeschäfte

Komponieren und Deklamieren

11 Adele stirbt und bleibt in Erinnerung

Tod und Grabstätte

Literatur und Nachrufe

Verkaufte Literatur

Anhang

Zeittafel

Verzeichnis der Quellen und Literatur

Bildnachweis

Dank

Impressum

Vorwort – Gründerzeit und Frauenrechte

Adele Spitzeder (1832–1895) lebte in einer sehr bewegten Zeit – wirtschaftlich wie gesellschaftlich. Die Epoche seit etwa der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die frühen 1870er Jahre wird häufig als »Gründerzeit« bezeichnet. Seit circa 1850 nahm die Wirtschaft einen raschen industriellen Aufschwung, die »Industrielle Revolution«. Vor allem die französischen Reparationszahlungen nach dem verlorenen Krieg gegen Deutschland 1871 befeuerten den Wirtschaftsboom noch massiver. Allerdings wurde dieser Höhenflug bereits 1873 mit dem Schwarzen Freitag an der Wiener Börse (9. Mai) wieder gestoppt. Der Börsen- und Bankenkrach läutete eine 20 Jahre andauernde wirtschaftliche Stagnation ein. Dennoch gab es in Bayern 1875 bereits fünf Unternehmen mit je über 1000 Beschäftigten.

Gründer von Firmen, Wirtschaftsunternehmen, Aktiengesellschaften und Banken konnten wegen des herrschenden Wirtschaftsliberalismus, des Eisenbahnbaus und der technischen Erfindungen – zumindest bis zum Börsen- und Bankenkrach im Jahr 1873 – innerhalb weniger Jahre reich werden. Frauen waren als Gründerinnen weniger bis gar nicht daran beteiligt, da sie in ihrer Selbständigkeit sehr beschnitten waren. Sie besaßen kein Versammlungs- oder Wahlrecht und waren als Bürgerstöchter in der Wahl ihrer Berufe auf nur wenige beschränkt – so konnten sie, z. B. als Lehrerin oder in künstlerischen Berufen wie dem der Schauspielerin tätig werden.

Das höhere Bildungssystem – Gymnasium und Universität – stand den Frauen nicht offen. Die weiblichen Angehörigen der niederen sozialen Schichten, wie aus den Familien der kleinen Handwerker, Ladeninhaber oder der Angehörigen der Arbeiterklasse, schufteten dagegen in den Geschäften ihrer Ehemänner oder Väter bzw. in den Fabriken, in Heimarbeit und im fremden wie im eigenen Haushalt.

Auf dem Lande waren nach der endgültigen Bauernbefreiung von 1848 die selbständigen Bauern nun den liberalen Marktgesetzen ausgeliefert. Neben wenigen Vollerwerbsbauern gab es zahlreiche bäuerliche Betriebe im Nebenerwerb. Kleinbauern und Mägde, Landarbeiter und Bauerntöchter, arbeitsloses Gesinde wanderten in die Städte, um dort Arbeit zumeist in den Fabriken, Wirtschaften, aber auch in der Prostitution zu finden.

Zwar war das Idealbild der Frau im 19. Jahrhundert das der nicht erwerbstätigen Hausfrau und Mutter gemäß ihrer »natürlichen Bestimmung«, wie es in der traditionellen Auffassung hieß; damit sollten Haus und Kinder der Wirkungsort der Frauen sein. Dieses Ideal traf in der Realität aber vor allem auf die Frauen des wohlhabenden Bürgertums zu, während die Frauen der Arbeiterklasse erwerbstätig sein mussten, um mitzuhelfen, den Lebensunterhalt für ihre Familien zu sichern.

Auch die Frauen der mittleren und unteren Bürgerschichten waren oftmals erwerbstätig. Als Kauf- und Gewerbetreibende konnten sie aber nur in kleingewerblichen Bereichen – mit Erlaubnis ihres Ehemannes! – Geschäfte führen. Der Status als selbstbestimmte Menschen war ihnen verwehrt. Töchter und Ehefrauen standen unter Geschlechtsvormundschaft ihrer Väter bzw. ihrer Ehemänner.

Allerdings regte sich bereits Mitte des 19. Jahrhunderts weiblicher Widerstand gegen diese Einengung und Minderstellung der Frauen. Im Oktober 1865 gründete sich der Allgemeine deutsche Frauenverein (ADF) auf einer ersten Frauenkonferenz in Leipzig. Dies war der Beginn der Frauenbewegung in Deutschland.

Die bürgerliche Frauenbewegung forderte von Anfang an das Recht auf Bildung, auf Arbeit und auf Besitz. Seit dem Wintersemester 1903/04 konnten sich Frauen offiziell in Bayern an Universitäten einschreiben und studieren. Die sozialistische Frauenbewegung hingegen ging noch einen Schritt weiter und forderte die Gleichstellung der Frau in allen Lebensbereichen. Ab 1892 gab es dann erste Gewerkschafterinnen, ab 1908 die Versammlungsfreiheit für Frauen und 1918 das Frauenwahlrecht.

Im 19. Jahrhundert (und auch später noch im ersten Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900) wurden Frauen im Privatrecht und im Rechtsverkehr stark eingeschränkt. Als Begründung galten ihre vermeintliche Verstandesschwäche, mangelnde Einsichtsfähigkeit und ihre Unzuverlässigkeit. Der Neurologe und Psychiater Paul Julius Möbius veröffentlichte gar im Jahr 1900 ein Büchlein »Über den physiologischen Schwachsinn des Weibes«, das in zahlreichen Auflagen noch jahrelang erschien. Seiner Überzeugung nach waren Frauen von Natur aus geistig minderbegabt und für die Wissenschaft bzw. das Studium an Universitäten nicht geeignet.

Die Rechtsstellung der Frau im 19. Jahrhundert ist schwer zu verallgemeinern, da vor 1871, der Gründung des Kaiserreichs, kein einheitliches Recht in Deutschland galt. Jedes Königreich, Fürstentum und Herrschaftsgebiet in Deutschland besaß seine eigenen Rechtsbücher. Zumeist galten Söhne und Töchter mit dem 24. Lebensjahr (manchmal allerdings auch schon mit dem 21. Geburtstag) als volljährig. Dennoch wurden die Töchter mit dem Erreichen der Völljährigkeit nicht automatisch geschäftsfähig. Beispielsweise verfügten sie nicht frei über ihr Vermögen, außer über das, was sie nach der Volljährigkeit selbst erwirtschafteten. Sie wurden also vermögensrechtlich nicht aus der »väterlichen Gewalt« entlassen und gingen bei Eheschließung in die Hände des Gatten über.

Auch bei schwerwiegenden Rechtsgeschäften benötigten Frauen einen männlichen Beistand. Bis etwa Mitte des 19. Jahrhunderts blieb z. B. im preußischen Recht die Geschlechtsvormundschaft bestehen.

Nach dem französischen Code civil von 1804, der im Königreich Bayern Einzug fand, waren jedoch unverheiratete, volljährige Frauen ebenso geschäfts- und prozessfähig wie Männer ab ihrem 21. Geburtstag. Seit 1875 galt dann im gesamten deutschen Kaiserreich die Volljährigkeit mit 21 Jahren sowie die Geschäfts- und Prozessfähigkeit der ledigen Frau. Die verheiratete Frau dagegen blieb weiterhin rechtlich eingeschränkt.

Ledige Frauen, die das 21. Lebensjahr vollendet hatten, waren Ende des 19. Jahrhunderts also in Bayern voll geschäftsfähig – aber auch vollumfänglich verantwortlich für ihr Geschäftsgebaren, wie uns der Fall Adele Spitzeders eindrucksvoll vor Augen führt.

»Von meinen geliebten und verehrten Elternkannte ich eigentlich nur meine Mutter,da mir mein Vater frühzeitig durch den Tod entrissen wurde.«

1 Adele wächst auf

DIE ELTERN

Die gefeierte Sängerin Betty Vio lernte am Königstädter Theater in Berlin den berühmten Bassbuffo Josef Spitzeder kennen und lieben. 1831 heiratete die 25-Jährige schließlich den elf Jahre älteren verwitweten Josef, der sechs Kinder aus seiner ersten Ehe mit Henriette Schüler in die neue Verbindung einbrachte – je drei Jungen und Mädchen; weitere vier Kinder der beiden hatten nicht überlebt.

Sie gaben ein ungleiches Paar ab: Josef Spitzeder – hochgewachsen und von stattlicher Statur, Betty Vio – eine zierliche Erscheinung. Beiden eigen waren jedoch ein heiteres Naturell und ein witziger, schlagfertiger Geist. Über ihre Mutter schrieb Adele in ihren Erinnerungen: »Mit herrlichem Mutterwitz erfüllt und stets zu den treffendsten Antworten gerüstet, war sie ein sprudelnder Quell voll Geistesfrische für den gesellschaftlichen Umgang.«

Am 9. Februar 1832 wurde dem Künstlerpaar, das zu diesem Zeitpunkt noch in Berlin engagiert war, eine Tochter geboren, die den Namen Adelheid (Adele) erhielt. Bald danach zog es den Vater Josef nach München, denn ein Engagement an der Hofoper lockte. Ungern folgte Betty Spitzeder mit der ganzen Familie. Kaum dort angekommen und aufgetreten, starb Adeles Vater im Alter von 36 Jahren an der Lungenschwindsucht und ließ seine junge Frau mit den sieben Kindern allein zurück.

König Ludwig I. und seine Gemahlin Therese nahmen sich der männlichen Waisen Spitzeders an, ließen zwei Söhne an der Militärschule ausbilden und den dritten am Kunstseminar. Um die drei Halbschwestern Adeles kümmerten sich Betty Spitzeder selbst bzw. ihre Schwester Auguste. Karoline, die älteste Tochter, galt als große Schönheit, wurde aber eine eher erfolglose Sängerin und heiratete Wilhelm Wegner, einen ehemaligen Gutshofpächter des Grafen von Schwerin. Beide lebten dann in München. Die zweite Tochter aus Spitzeders erster Ehe, Henriette, besaß ebenfalls eine gute Stimme und Talent; sie ehelichte Adolf von Zieten und wanderte mit ihm und ihrer Schwester Josephine um 1848 nach Amerika aus. Adeles jüngster Halbbruder Gustav starb bereits mit 27 Jahren in Augsburg, Wilhelm wurde Graveur und der älteste Bruder Georg wurde Gerichtsschreiber beim Münchner Stadtgericht.

Der Vater: Josef Spitzeder

Josef (bisweilen auch Joseph) wurde 1795 in Bonn geboren. Er entstammte einer in Österreich und Bayern verzweigten Künstlerfamilie. Sein Vater Johann Baptist (geb. um 1769 in Wien) tourte mit seiner Familie von Theater zu Theater und hatte Auftritte in ernsten Bassrollen. Wegen der zahlreichen Ortswechsel erhielten die Kinder wenig schulische Bildung; Josef soll in Nürnberg zumindest einige Zeit das von Hegel geleitete Gymnasium besucht haben. Er entwickelte in Nürnberg sein Schauspieltalent und seine schöne Bass-Stimme. Im Jahr 1816 ehelichte er die Sängerin Henriette Schüler. 1819 reiste das Paar nach Wien, um dort zu reüssieren. Josef Spitzeder errang vor allem als Bassbuffo seine größten Erfolge. 1824 trat er im neuen Königstädter Theater zu Berlin auf. Er verließ 1832 die Stadt jedoch wieder, um als Mitglied des Künstlerverbandes am Münchner Hof- und Nationaltheater aufzutreten – allerdings nur ein Mal, denn er starb bereits am 13. Dezember 1832 an einem Lungenleiden.

Aus erster Ehe hatte er sechs (überlebende) Kinder. Von seiner zweiten Ehefrau, der Sängerin Betty Vio, bekam er eine weitere Tochter namens Adele.

(Quellen: Allgemeine Deutsche Biographie, Artikel »Spitzeder, Joseph« v. Heinrich Welti; Wikipedia)

Adeles Vater, der Bassbuffo und Hofsänger Joseph Spitzeder. – Lithographie von Wilhelm Werner, um 1830

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KINDHEIT UND JUGENDZEIT

Einige Jahre nach dem Tod ihres Ehemannes absolvierte Betty Vio mehrere Gastspiele und ließ sich mit ihrer Tochter Adele schließlich in Wien nieder. Die zweite Ehe der Sängerin mit Franz Maurer, einem verschuldeten Fabrikbesitzer, verlief unglücklich und wurde bereits nach einem Jahr wieder geschieden. Ihr Auskommen fand Betty durch ein Engagement in Wien und die Unterstützung des Theaterdirektors Carl, der sich als wahrer, väterlicher Freund erwies, wie Adele in ihren Erinnerungen mitteilte.

Ab 1840 erhielt Adele die übliche Schulausbildung für höhere Töchter zunächst in einem Institut zu Wien, dann im Sankt-Anna-Institut der Ursulinen in der Wiener Johannesgasse und ab 1844 in München. Hier lebte ihre Tante Auguste, die Schwester ihrer Mutter und Gattin von Friedrich Adolph Lehfeld, Stallmeister des Prinzen Karl von Bayern. Tante Auguste kümmerte sich bereits um Adeles Halbschwestern und um ihre eigenen vier Knaben. Betty hatte inzwischen die Bühne verlassen und blieb bis zum Ende ihres Lebens in München wohnhaft. Adele fühlte sich dort ebenfalls recht wohl, vermutlich auch, weil Onkel Lehfeld sie gemeinsam mit seinen Söhnen im Fechten und Turnen unterwies.

Die Mutter: Betty Vio

Elisabeth (Betty) Vio wurde am 22. Juni 1806 (oder 1808) in Lübeck geboren. Sie war die Tochter des italienischen Edelmannes Francesco Vio und seiner französischen Gattin Elise, geb. Dupont. Ihr Vater stammte aus Mailand und trat als Bassist auf den europäischen Bühnen auf. Betty, die eine reizende Gesangsstimme und großes Schauspieltalent besaß, musste bereits mit fünf Jahren als sogenanntes »Wunderkind« auftreten. Später nahm sie Gesangsunterricht bei Antonio Salieri und Giuseppe Ciccimara. Am Theater an der Wien debütierte sie 1818, blieb in Wien an verschiedenen Theatern und nahm 1829 ein Engagement (bis 1832) am Königstädter Theater in Berlin an. Mit ihrem ersten Ehemann, dem Bassbuffo Josef Spitzeder, wandte sie sich nach München und wurde dort zu einem hervorragenden Mitglied der Hofbühne. Ab Sommer 1836 hatte sie in verschiedenen Städten Gastauftritte.

1837 ging Betty eine zweite, kurz währende Ehe mit Franz Maurer in Graz ein, nachdem ihr erster Man bereits 1832 gestorben war. Gegen Ende der 1830er Jahre zog sie sich allmählich von der Bühne zurück, hatte jedoch noch bis 1854 Gastauftritte und lebte bis zu ihrem Tod am 15. Dezember 1872 in München.

(Quellen: Ludwig Eisenberg, Großes biographische Lexikon der deutschen Bühne, 1903; Allgemeine Deutsche Biographie, Bd. 35, 1893, Artikel »Spitzeder, Joseph« von Heinrich Welti, S. 217–220; Wikipedia, Artikel »Betty Vio«)

Von 1848 bis 1850 besuchte Adele in München das »Institut der Madame Tanche«, später die »Neumayersche Erziehungsanstalt« genannt, zumal sie in Wien nach eigenen Aussagen nicht viel gelernt hatte, allerdings auch, weil sie hinsichtlich des Lernstoffes faul und uninteressiert war und daher noch mit 12 Jahren kaum lesen und schreiben konnte. Ansonsten galt sie damals eher als ein wildes und jähzorniges Kind, so gar nicht »mädchenhaft«: Am liebsten spielte sie mit den Buben, streunte in den Wiener Straßen umher und fuhr heimlich auf den Rücktritten der Kutschwagen durch die Stadt. Auch dem Tabakrauchen verfiel Adele bereits in sehr frühen Jahren. Sie selbst charakterisierte sich in ihren Memoiren so: »Geiz, Neid und Selbstsucht waren mir in den Tod zuwider. Ich bin ebenso eigensinnig, unstet und jähzornig geblieben, als ich freigiebig, weichherzig und gutmütig zu sein mir bewußt bin.«

Adeles Mutter, die Soubrette und Hofsängerin Betty Vio. – Lithographie von Franz Eybl, um 1830

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Allerdings besaß Adele durchaus einiges Talent: Vor allem für Fremdsprachen entwickelte sie eine große Begabung, auch ließ sie sich im Komponieren unterweisen. Es fehlte ihr jedoch an Ausdauer und Fleiß. In einem zeitgenössischen Bericht heißt es: »Die stille Zurückgezogenheit und Regelmäßigkeit einer der Arbeit, dem Studium, gewidmeten Lebensweise sagten ihr nicht zu. Von Natur mit dem zweifelhaften Geschenk einer leicht erregbaren Phantasie ausgestattet, nicht frei von einer gewissen Ueberspanntheit, suchte sie ihre Befriedigung in der Zerstreuung und (dem) Abwechseln(…).«

Inzwischen war Adele herangewachsen, hatte mit 18 Jahren ihre Schulzeit beendet und besuchte als 19-Jährige erstmals einen Offiziersball, der sie in die Gesellschaft einführen sollte. Obwohl ihr die »Kavaliere« nicht entsprachen, wie sie sich später erinnerte, blieb ihr die Leidenschaft fürs Tanzen und für die Musik. Am Tegernsee, wo ihre Familie jeweils den Sommer verbrachte, ging sie gerne auf die »ländlichen Tanzvergnügungen« und zu den Abenden mit Zithermusik und »Schnaderhüpfeln«.

Am Tegernsee lernte sie auch die ehemalige Schauspielerin und damalige morganatische Gattin des Prinzen Karl von Bayern kennen: Henriette Hölken, geborene Schöller, geadelte Freifrau von Frankenburg. Sie beschäftigten sich gemeinsam mit der englischen Sprache und der Astronomie. Bei den häufigen Musikabenden wurde Adele oftmals gebeten, ihre eigenen »Pieces« zu Gehör zu bringen, da sie, nach eigenen Angaben, am Pianoforte und in der Komposition von Professor Eduard Föckerer Unterricht erhalten hatte.