ADHS im Jugendalter - impulsiv, gereizt und lebensfroh - Donatella Arcangeli - E-Book

ADHS im Jugendalter - impulsiv, gereizt und lebensfroh E-Book

Donatella Arcangeli

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Beschreibung

ADHS ist eine der häufigsten psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen: 4 bis 6 Prozent der Kinder leiden an der Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung. Sie wirkt sich nicht nur auf das kindliche Entwicklungsalter aus: In den meisten Fällen bleibt sie auch im Jugend- und Erwachsenenalter eine echte Herausforderung für die Betroffenen, die als Kinder eine Diagnose erhalten haben. Obwohl es kein „typisches“ Profil eines Kindes mit ADHS gibt, kann man es sicherlich als unberechenbar, häufig aufgeregt, verträumt, schwierig in Beziehungen, oft unzuverlässig und manchmal problematisch beschreiben. Vor Eltern eines ADHS-Kindes in der Pubertät liegen zweifellos keine leichten Jahre, nicht zuletzt, weil das Kind mit zunehmendem Alter immer weniger Unterstützung annehmen wird. Die Südtiroler Ärztin und Kinder- und Jugendneuropsychiaterin hat jahrelange Erfahrung mit Jugendlichen, die an ADHS leiden und zeigt Eltern in diesem Buch einen Weg, wie sie problematischen Situationen vorbeugen, Organisations- und Beziehungsstrategien finden, um die Besonderheit ihres Kindes voll auszuleben und ihm zu helfen, sein Potenzial in Fähigkeiten und Talente umzusetzen.

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Seitenzahl: 143

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Für Carlotta

und Benedetta

Die Drucklegung dieses Buches wurde ermöglicht durch die Südtiroler Landesregierung / Abteilung Deutsche Kultur.

INHALTSVERZEICHNIS

Einführung

Was ist ADHS?

ADHS – Behandlung

ADHS IN DER VORPUBERTÄT

11–13 Jahre: Familie, Schule und Freizeit

Schlaf

Ernährung

Ordnung

Zeit

Langeweile

Handy

Elektronische Geräte: Internet, Videospiele und TV

Körperpfl ege

Schule

Aufgaben

Sport

Familie

ADHS IN DER PUBERTÄT

13–18 Jahre: Schule, Familie und Sozialleben

Schule

Familie

Freundeskreis

Kleidungsstil

Sexualität

Geld

Alkohol und Tabak

Drogen

Psychische Gesundheit

Reizbarkeit

Stimmungsschwankungen

Angstzustände und Panikattacken

Antisoziale Verhaltensweisen

ADHS BEI JUNGEN ERWACHSENEN

18–25 Jahre: Beziehungen, Verpflichtungen, Verantwortung

Beziehungen

Universität und Studium

Arbeit

Gesundheit

EIN LEITFADEN FÜR ELTERN

Stets zur Stelle, selbstbewusst und zuverlässig

Jugendlichen ADHS erklären

Schlusswort

Mehr zum Thema

EINFÜHRUNG

Dieses Buch ist die Fortsetzung des 2024 im Athesia-Tappeiner Verlag erschienenen Leitfadens Unaufmerksam, hyperaktiv und glücklich (Kinder mit ADHS). Es soll in erster Linie Eltern, aber auch Großeltern, Tanten und Onkeln, Lehrpersonal und Erziehungsfachkräften

von Jugendlichen mit Aufmerksamkeitsdefizit (mit und ohne Hyperaktivitätsstörung) die Grundlagen für die Bewältigung des Lebensabschnitts zwischen 11 und 25 Jahren vermitteln.

Immer wieder höre ich dieselbe besorgte Frage: „Wie wird sich unser Kind mit ADHS entwickeln? Welche Probleme werden Vorpubertät, Pubertät und junges Erwachsenenalter mit sich bringen?“

Mit Sicherheit wird ihr Kind weiterhin ständig Abenteuer suchen und immer noch „besonders“, überdreht, unberechenbar und häufig instabil, verträumt, in Beziehungen zuweilen schwierig, oft unzuverlässig und manchmal problematisch sein.

Die nächsten Jahre werden nicht immer leicht sein, denn heranwachsende Kinder mit ADHS wissen „Unterstützung“ allzu oft nicht zu schätzen: Sie betrachten sich nicht als „anders“, sondern als „besonders“ – und zwar in jeder Hinsicht.

Mit diesem Leitfaden möchte ich Ihnen einfache, wirksame Methoden zeigen, um mögliche zukünftige Problemsituation zu vermeiden oder erfolgreich zu überwinden und Organisations- und Beziehungsstrategien zu entwickeln, anhand derer sie die „besondere“ Natur Ihres Kindes in den Griff bekommen und sein vielfältiges Potenzial in konkrete Fähigkeiten und Talente verwandeln können.

Ich wünsche Ihnen viel Durchhaltevermögen: Verlieren Sie nicht den Mut und lassen Sie sich in ihrer Erziehungsarbeit nicht beirren, denn nur so können Sie Ihrem Kind ein erfülltes, glückliches und vor allem ausgeglichenes Leben bescheren.

Viel Freude beim Lesen!

WAS IST ADHS?

Das Kürzel ADHS steht für Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung.

Gleich zu Beginn möchte ich klarstellen, dass ADHS keine Krankheit ist, von der man geheilt werden kann, sondern eine Störung der neuronalen Entwicklung, die eine veränderte Gehirnfunktion zur Folge hat: Kinder werden damit geboren und zeigen im Laufe der ersten zwölf Lebensjahre entsprechende Anzeichen. Unabhängig vom Intelligenzgrad bedingt die Störung bestimmte ausgeprägte Schwierigkeiten, mit denen Betroffene umgehen lernen müssen: Diese betreffen Selbstregulation und Selbstkontrolle, Organisation, das Abschließen von Tätigkeiten oder Aufgaben, Zuverlässigkeit, die Anerkennung der eigenen Schwächen und Probleme sowie die Einschätzung der möglichen negativen Auswirkungen des eigenen Verhaltens auf Umgebung und Mitmenschen.

Da sich Menschen mit ADHS all dessen nicht bewusst sind, fühlen sie sich zu Unrecht verurteilt, wenn sich andere aufgrund ihrer Launenhaftigkeit, wechselnden Gemütslage, Frustration und Unzuverlässigkeit irritiert zeigen.

Tatsächlich liegt ihrem Verhalten nicht mangelnder guter Wille oder Geringschätzung zugrunde (wie leider häufig angenommen wird), sondern ein neurochemisches Problem in Verbindung mit der Freisetzung von Neurotransmittern – Botenstoffen – im Gehirn.

Menschen mit ADHS haben erhebliche Schwierigkeiten damit, ihre Motivation für eine Tätigkeit aufrechtzuerhalten, denn ihr Interesse gilt dem möglichst raschen Erreichen eines Ziels, das vor allem bei mangelndem Interesse für besagte Tätigkeit nicht notwendigerweise in deren Abschluss oder Gelingen besteht. Ihr Aufmerksamkeitsgrad ändert sich je nach dem, was sie gerade tun.

Das Belohnungssystem des Gehirns hat seinen Sitz im Nucleus accumbens in beiden Gehirnhälften und ist für die Aufrechterhaltung der Motivation zuständig: Der anfänglich hohe Grad sollte sich im Laufe einer Tätigkeit „festigen“. Im Allgemeinen gelingt dies, selbst wenn keine unmittelbare Befriedigung möglich ist.

Bei Menschen mit ADHS hingegen scheint der Motivationsgrad rasch abzufallen, weshalb man sie dabei unterstützen muss, weiterhin auf ein Ziel hinzuarbeiten – etwa, indem man sie beim Erreichen einzelner Etappen belohnt.

Jugendliche mit ADHS haben Schwierigkeiten mit Ausführung, Zeitmanagement, Planung und Organisation. All das verhindert eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und früheren Erfahrungen und hat zur Folge, dass sie Fehler fortsetzen und nicht imstande sind, ihr Verhalten zu ändern und zukünftigen Zielen anzupassen.

Jeder Mensch teilt sich seinen Tag nach Mahlzeiten, Ruhezeiten oder bestimmten morgendlichen, nachmittäglichen und abendlichen Abläufen ein: Dahinter steckt nicht Starrheit, sondern einfach Regelmäßigkeit. Jugendliche mit ADHS hingegen haben besondere Schwierigkeiten, sich einen regelmäßigen Rhythmus anzueignen. Daher ist es unabdingbar, dass ihre erwachsenen Bezugspersonen im Tagesablauf konsequent und aufmerksam für die Einhaltung einer klaren Struktur sorgen, die nicht eintönig, aber auch nicht improvisiert sein sollte, um so Überreizung, Angst und Unsicherheit zu vermeiden.

Ein besonders schwerwiegendes Problem für Jugendliche mit ADHS sind die negativen Urteile, die oft über sie gefällt werden. Es ist unvermeidlich, dass sie aufgrund ihres Verhaltens schlechtes Feedback bekommen: Sie kommen oft zu spät, vergessen Aufgaben und Aufträge, machen Fehler, sind unachtsam im Umgang mit Sachen und im Studium und fallen aufgrund ihrer Impulsivität nicht selten durch unangemessene Äußerungen auf. Negative Urteile lassen die Betroffenen aber keineswegs kalt, sondern sorgen für Verunsicherung und Traurigkeit und ein angeschlagenes Selbstwertgefühl: Häufig „funktionieren“ sie dadurch noch schlechter als bei Überreizung.

Wir müssen uns also vor Augen halten, dass ADHS eine durch einen chemisch-genetischen Defekt verursachte Störung ist: Betroffene dürfen nicht verurteilt, sondern müssen vielmehr mit spezifischen Erziehungsmaßnahmen geführt und unterstützt werden, damit sie trotz ihrer angeborenen Störung zu selbstständigen, ausgeglichenen, verantwortungsvollen und glücklichen Erwachsenen werden.

ADHS wird durch einen Mangel am Neurotransmitter Dopamin verursacht. Neurotransmitter sind chemische Botenstoffe, die Signale von spezialisierten Nervenzellen (Neuronen) an einen Empfänger (Synapse) übermitteln, und Dopamin ist einer der wichtigsten Botenstoffe im Gehirn.

Ein weiterer Botenstoff, Noradrenalin, spielt gemeinsam mit Dopamin eine Schlüsselrolle für Denken, Aufmerksamkeit, Erinnerung und Lernen. Beide zusammen helfen uns, Gedanken fortzuführen, uns besser zu konzentrieren und erhöhen Wachsamkeit, Motivation und Engagement bei bestimmten Aufgaben. Dopamin ist außerdem ein wichtiger Teil des Belohnungssystems unseres Gehirns und löst Glücksgefühle aus, durch die wiederum die Motivation steigt. Der Mangel an Dopamin bedingt die Fehlfunktion einiger Gehirnbereiche, die für Problemlösung, Organisation, Ausführung, Planung, Toleranz, Erfüllung, Warten und Hemmung zuständig sind.

ADHS UND DAS GEHIR

ADHS scheint die Funktion der Neurotransmitter in folgenden vier Gehirnregionen einzuschränken:

Präfrontaler Kortex: Eine Schicht grauer Substanz, die beide Gehirnhälften bedeckt und eine grundlegende Rolle in der Steuerung komplexer Verhaltensweisen spielt, Handlungen lenkt und Aufmerksamkeitsniveau, Organisation und Ausführung regelt. Ein Dopaminmangel in dieser Gehirnregion bewirkt Unaufmerksamkeit und beeinträchtigt durch die Einschränkung der Organisationsfähigkeit letztlich die Handlungsfähigkeit.Limbisches System: Ein Komplex aus Gehirnstrukturen und -regionen im inneren Bereich des Gehirns, der eine wesentliche Rolle in der Regulierung der Emotionen spielt. Ein Dopaminmangel in dieser Gehirnregion führt zu Unruhe, Unaufmerksamkeit und emotionaler Dysregulation.Basalganglien: Nervenbahnen im Kern des Gehirns, deren Aufgabe die Steuerung der Kommunikation innerhalb des Gehirns ist. Informationen aus allen Gehirnregionen gelangen in die Basalganglien und werden von dort aus an die zuständigen Stellen des Zentralnervensystems weitergeleitet. Ein Dopaminmangel in den Basalganglien bewirkt einen „Kurzschluss“ in der Kommunikation und dadurch Unaufmerksamkeit und Impulsivität.Retikuläres Aktivierungssystem (RAS): Ein System miteinander verbundener Kerne und die größte der auf- und absteigenden Nervenbahnen. Ein Dopaminmangel in diesem System kann Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit und Impulsivität bewirken.

ADHS ist also das Produkt von Problemen in einer oder mehreren dieser Gehirnregionen. Da die Regionen aber untereinander verbunden sind, kann ein Dopaminmangel in einer davon auch eine oder mehrere andere in Mitleidenschaft ziehen.

NEUROTRANSMITTER

Neurotransmitter sind chemische Botenstoffe, die über die Zellen des Nervensystems miteinander und mit anderen Zelltypen – Muskel- oder Drüsenzellen – und damit mit dem Rest des Körpers kommunizieren. Diese Kommunikation erfolgt über Synapsen: Jene Stellen, an denen der Kontakt zwischen Neuronen und anderen Zelltypen stattfindet.

Neurotransmitter spielen eine wesentliche Rolle in der Übertragung von erregenden oder hemmenden Impulsen. Die bekanntesten sind Dopamin, Noradrenalin und Serotonin.

ADHS – Symptome

Wie bereits erwähnt ist ADHS eine Störung der neuronalen Entwicklung, die bei Betroffenen atypische Gehirnfunktionen und vom Intelligenzgrad unabhängig spezifische Schwierigkeiten bei der Durchführung altersgerechter Aufgaben bedingt.

Wie alle Störungen der neuronalen Entwicklung betrifft auch dieser Typus mit drei von vier Betroffenen vorwiegend das männliche Geschlecht.

Form, Schwere und Ausmaß der drei Hauptsymptome von ADHS – Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit und Impulsivität – können während unterschiedlicher Lebensabschnitte variieren.

Hyperaktivität:

Menschen mit ADHS haben Schwierigkeiten, stillzuhalten und zur Ruhe zu kommen, langweilen sich rasch und brauchen ständige, anregende Beschäftigung. Hyperaktivität bedingt Verhaltensprobleme, da übermäßig lebhafte Betroffene nicht leicht zu kontrollieren bzw. sozial zu integrieren sind.

Impulsivität:

Impulsive Betroffene sind ungeduldig, temperamentvoll, sehr energisch und neigen zu Extremreaktionen. Impulsivität führt zu Problemen bei der Steuerung und Kontrolle von Emotionen, Affekt und Genuss sowie in den sozialen Beziehungen zu Gleichaltrigen.

Unaufmerksamkeit:

Unaufmerksame Betroffene sind oft gedankenverloren, lassen sich leicht zerstreuen, bringen Aufgaben nur schwer zu Ende, sind unordentlich, desorganisiert, vergesslich und unbeständig. Unaufmerksamkeit bedingt Lernprobleme und bremst die schulische Leistung.

Eine ADHS-Diagnose setzt voraus, dass die drei charakteristischen Symptome der Störung – Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität – während der ersten zwölf Lebensjahre auftreten. Das bedeutet allerdings nicht, dass eine spätere Diagnose unmöglich ist: Im Gegenteil kommt es nicht selten vor, dass eine solche erst im Jugendalter gestellt wird, nachdem der oder die betroffene Jugendliche schwerwiegende Verhaltensprobleme manifestiert und etwaige bisherige Schwierigkeiten möglicherweise fehlinterpretiert wurden.

Je frühzeitiger die Diagnose, desto eher können die Schwierigkeiten der Betroffenen korrekt erkannt und genau bestimmt werden – und desto wirksamer sind die therapeutischen Maßnahmen bzw. desto besser der klinische Verlauf und die Prognose.

Zusammenfassung

ADHS ist eine Störung der neuronalen Entwicklung und betrifft die Funktionsweise des Gehirns, d. h. des Zentralnervensystems. Sie ist auf die gestörte Funktion des ZNS zurückzuführen – insbesondere jener Nervengruppen, die Hemmung und Selbstkontrolle steuern (präfrontaler Kortex und Basalganglien). Besagte Funktionsstörungen des Gehirns treten im Laufe der ersten Lebensjahre auf und wirken sich „störend“, also negativ, auf die Gesamtfunktionsweise und somit auf die Leistung der betroffenen Person aus, etwa bei der Durchführung von Aufgaben.

Es gilt heute als erwiesen, dass ADHS nicht durch schlechte Erziehung, übermäßige Zuckeraufnahme oder Videospiele verursacht wird, sondern eine neurobiologische Störung des Gehirns ist.

ADHS – eine wunderbare Herausforderung

Es gibt eine Reihe von Adjektiven, mit denen sich Jugendliche mit ADHS recht gut beschreiben lassen: übertrieben, aufgeweckt, lebhaft, flink, schlau, schlecht erzogen, respektlos, gelangweilt, rastlos, unruhig.

Ebenso gehören Langeweile, Frustration, Prokrastination, Verdruss, Verlangen, Leidenschaft, Wettstreit und Energie zum „ADHS-Universum“.

Jugendliche mit ADHS wollen unzählige Dinge tun, viele Menschen treffen, ständig in Bewegung sein, niemals verlieren, viel besitzen, intensiv genießen und brauchen viel Abwechslung.

Das Kürzel „ADHS“ beschreibt Menschen – in unserem Fall Kinder und Jugendliche – mit ähnlichen Verhaltens- und Denkmustern: Junge Menschen, die mich seit jeher faszinieren und die ich als wunderbare Herausforderung betrachte. Gerade in diesem Sinne

möchte ich Ihnen in diesem Buch so viele Mittel und Instrumente wie nur möglich zur Verfügung stellen, damit Sie sich so gut wie möglich in der Welt und im „besonderen Kopf“ Ihres Kindes mit ADHS zurechtfinden.

Allzu viele Menschen – Lehrpersonen, Eltern, Großeltern, Erzieherinnen und Erzieher, aber auch Expertinnen und Experten für Kindesentwicklung – glauben bis heute nicht an ADHS, sondern sind der Meinung, übermäßige Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität, Rastlosigkeit und Desorganisation bei Jugendlichen sei die Folge von schlechter Erziehung oder sogar Misshandlung. Ich möchte in meinem Buch aufzeigen, wie irreführend dieser Ansatz ist, und vor allem wie ungeeignet, um Betroffenen über ihre Schwierigkeiten in der Schule oder unter Gleichaltrigen hinwegzuhelfen.

Hierbei müssen wir uns vor Augen halten, dass vorwiegend hyperaktive Jugendliche mit ADHS nicht gezwungenermaßen auf ewig hyperaktiv sind – und ebenso ist nicht auszuschließen, dass Jugendliche mit Aufmerksamkeitsstörung zu impulsiven Heranwachsenden werden.

Ebenso ist zu beachten, dass eine ADHS-Diagnose nicht kategorial ist, wie beispielsweise Epilepsie, Diabetes oder Malaria, sondern dimensional, wie etwa Übergewicht, Hochdruck, Fieber: Kurz, eine ADHS kann schwach oder stark ausgeprägt sein!

Die Störung entwickelt sich zusammen mit dem Menschen: Gerade deshalb ist es äußerst wichtig, dass Betroffene nach der Diagnose sorgfältig überwacht werden, bis sie einen ausreichenden Grad an Selbstständigkeit, Selbstkontrolle und Selbstmanagement erreicht haben. ADHS problematisch, wenn die Störung eine funktionale Beeinträchtigung verursacht, d. h. erhebliche Schwierigkeiten in der Schule und/oder im Sozialleben.

Das Krankheitsbild ändert sich im Laufe der Kindheit und Jugend häufig – hinzu kommt, dass die Störung schwerer ausfällt, wenn das familiäre und schulische Umfeld der betroffenen Jugendlichen nicht angemessen und hinsichtlich Emotionen, Beziehungen und Aufbau schädlich ist. Die funktionelle Beeinträchtigung – und damit die klinische Schwelle – ist eng mit dem soziokulturellen Kontext verbunden, in dem die Jugendlichen aufwachsen.

Subtypen von ADHS

Nicht alle Kinder mit ADHS weisen dieselben Merkmale auf. Das liegt zum einen Teil daran, dass jedes Kind einzigartig ist, zum anderen, dass es unterschiedliche Subtypen von ADHS gibt. Der Ausprägungsgrad von ADHS ändert sich außerdem je nach Alter und Geschlecht.

Man unterscheidet zwischen folgenden Subtypen:

Kombinierter ADHS-Typ:

Hyperaktivität, Impulsivität und Unaufmerksamkeit sind bei Betroffenen leicht zu erkennen. Dies ist die „typische“ Form von ADHS.

Unaufmerksamer ADHS-Typ:

Die Betroffenen wirken oft zerstreut, sind meist sehr feinfühlig und kreativ, ruhig, oft unbeständig und faul und wirken zuweilen etwas verloren.

Impulsiver/hyperaktiver ADHS-Typ:

Die Betroffenen sind eindeutig hyperaktiv und schwer zu kontrollieren bzw. in eine Gruppe zu integrieren.

Begleiterkrankungen

Unter diesem Begriff versteht man das gleichzeitige Vorliegen von zwei oder mehreren unabhängigen Störungen. Rund 70 Prozent der ADHS-Betroffenen haben mindestens eine Begleiterkrankung. Die sogenannten Komorbiditäten wirken sich auf Krankheitsbild, Entwicklung, Prognose und Behandlung aus und verstärken die ADHS. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass sie frühzeitig erkannt und getrennt behandelt werden. Bei Jugendlichen, die laut Diagnose ADHS und eine Lernstörung wie beispielsweise Dyslexie haben, ist etwa unbedingt auch eine eigene Dyslexie-Behandlung vorzusehen. Lautet die Diagnose ADHS und Angststörungen, sind die Angststörungen zu behandeln. ADHS darf nicht pauschal zur Begründung sonstiger Schwierigkeiten herangezogen werden: Diese gilt es sorgfältig zu untersuchen.

Besonders häufige Begleiterkrankungen

Unter diese Gruppe fallen Begleiterkrankungen, die in 50 Prozent aller Fälle – also bei fünf von zehn Jugendlichen – auftauchen.

Oppositionelle Verhaltensstörung:

Eine früh einsetzende Verhaltensstörung, die sich durch eine Neigung kennzeichnet, sich absichtlich Regeln zu widersetzen, nicht zu gehorchen und Gleichaltrige, Lehrpersonen und Erwachsene im Allgemeinen zu provozieren. Betroffene mit dieser Begleiterkrankung müssen sehr gut unter Kontrolle gehalten werden: Medizinisches Personal, Familie und Schule müssen vernetzt arbeiten und umgehend eingreifen. Wird die Begleiterkrankung nicht bereits im Kindesalter angemessen behandelt, ist das Risiko einer schwerwiegenderen Entwicklung im Jugendalter erheblich.

Störung des Sozialverhaltens:

Eine Störung, die typischerweise nach dem zwölften Lebensjahr auftritt und sich durch willkürlich antisoziale Verhaltensweisen wie Diebstahl, Aggression und Vandalismus manifestiert. Dabei handelt es sich häufig um die negative Weiterentwicklung unzureichend behandelter oppositioneller Verhaltensweisen.

Häufige Begleiterkrankungen

Unter diese Gruppe fallen Begleiterkrankungen, die in 30 Prozent aller Fälle – also bei drei von zehn Jugendlichen – auftauchen.

Angststörungen:

Bereits Kinder können unter Angstzuständen leiden. Typische Anzeichen sind Somatisierung (Magen- oder Kopfschmerzen), Schwierigkeiten beim Loslösen von Bezugspersonen sowie übermäßige Sorgen und Ängste. Sehr häufig leiden Betroffene mit unaufmerksamem ADHS-Typ unter Angststörungen, die unter anderem durch Schwierigkeiten bei der Organisation und der Erledigung von Aufgaben hervorgerufen werden.

Lernstörungen:

Wie bereits erwähnt sind solche Störungen bereits ab den ersten Grundschuljahren eine erhebliche Beeinträchtigung und können die Schule im Laufe der Zeit zu einer regelrechten Belastung machen.

Mäßig häufige Begleiterkrankungen

Unter diese Gruppe fallen Begleiterkrankungen, die in 15–20 Prozent aller Fälle – also bei zwei von zehn Jugendlichen – auftauchen.

Stimmungsstörungen:

Unter diese Kategorie fallen sowohl Depressionen als auch bipolare Störungen. Um zu verstehen, ob Jugendliche mit ADHS auch unter einer Stimmungsstörung leiden, werden Reizbarkeit, Neigung zu Stimmungsschwankungen sowie negative Reaktionen bei Misserfolgen in der Schule, im Sport oder in Beziehungen ausgewertet.

Ticstörungen:

Es kann durchaus vorkommen, dass das Gehirn von Jugendlichen mit ADHS angesichts ihrer enormen Energie sozusagen als Ventil Tics entwickelt. Wie bereits erwähnt handelt es sich dabei um eine Störung der neuronalen Entwicklung, und damit um eine „Verwandte“ von ADHS, die als solche auch in Kombination damit auftreten kann.

Seltene Begleiterkrankungen

Begleiterkrankungen, die in fünf bis zehn Prozent aller Fälle – also bei fünf bis zehn von 100 Jugendlichen mit ADHS – auftauchen.

Autismus und geistige Behinderung:

Die Hauptstörung ist in diesen Fällen nicht ADHS, vielmehr handelt es sich um Jugendliche mit Autismus oder einer geistigen Behinderung, die auch hochgradig hyperaktiv und unaufmerksam sind. In solchen Fällen ist es wichtig, die ADHS frühzeitig zu erkennen, um eine Verschlechterung des Hauptkrankheitsbildes zu vermeiden und eine angemessene Behandlung zu gewährleisten.

ADHS – Ursachen

Wie bereits erwähnt handelt es sich bei ADHS um eine Störung der neuronalen Entwicklung, die auf das Ungleichgewicht einiger für die Steuerung von Gehirnaktivitäten wie Aufmerksamkeit und Bewegung zuständiger Neurotransmitter (Noradrenalin und Dopamin) sowie auf Fehlfunktionen verschiedener Bereiche und Kreisläufe des Gehirns zurückzuführen ist.

Man geht davon aus, dass es keine Einzelursache für ADHS gibt: Vielmehr spricht man von einer multifaktoriellen Störung, die durch eine Vielzahl unterschiedlicher – anatomischer, genetischer, biologischer und umgebungsbedingter – Ursachen hervorgerufen werden kann. Der Ursprung von ADHS ist folglich in Veränderungen der Biologie des Gehirns zu suchen, die durch genetische oder pränatale Faktoren (z. B. Alkohol- oder Drogenkonsum während der Schwangerschaft, stark verfrühte Geburt) verursacht wurden.

Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass sich Gehirne von ADHS-Betroffenen morphologisch von normalen Gehirnen unterscheiden. Genetische und umgebungsbedingte Faktoren wirken in einer Frühphase der Entwicklung auf verschiedene neuronale Netzwerke ein und bewirken so die neuropsychologischen Defizite, die bei ADHS festzustellen sind.

ADHS und Vererbung