Adler und Leopard Teil 1 - Peter Urban - kostenlos E-Book

Adler und Leopard Teil 1 E-Book

Peter Urban

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  • Herausgeber: neobooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Arthur Wellesley kehrt nach zehn Jahren Krieg aus Indien nach Europa zurück. Als er seine Heimat im Jahr 1795 verlassen musste, war es ein Akt der Verzweiflung und eine Flucht nach vorne gewesen. Jetzt ist der Sohn eines verarmten irischen Landadeligen nicht nur um einige zwischenmenschliche Erfahrungen und 40.000 Pfund Sterling reicher. Er ist auch der jüngste General in der Armee des englischen Königs und der Einzige, der noch niemals besiegt wurde. Doch für das militärische Establishment in den Horse Guards und die gute Gesellschaft Englands ist er lediglich ein "Sepoy-General", der am anderen Ende der Welt gegen Eingeborene und unzivilisierte Wilde gekämpft hat. Wie die alle Soldaten, ist der irische Offizier heimatlos. Niemand erwartet ihn im Hafen, denn er hat eine geliebte Frau und ihr ungeborenen Kind in einem Garten im fernen Indiens begraben und der erbarmungslose Krieg gegen die Marattha-Fürsten hat Spuren auf seiner Seele und an seinem Körper hinterlassen. Wellesley ist erst 34 Jahre alt, doch er hat keine Träume und Illusionen mehr. Dann begegnet ihm die schöne und exzentrische Lady Sarah Lennox, doch noch bevor Sarahs Liebe seinem Leben einen neuen Sinn gibt, fangen die Trommeln für den Offizier wieder an zu schlagen. Der französische Kaiser Napoleon Bonaparte und seine Soldaten ziehen von Sieg zu Sieg. England steht am Abgrund......

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EPUB

Seitenzahl: 315

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Peter Urban

Adler und Leopard Teil 1

John Churchills Erbe

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1 Ein politischer Faktor von unbekannter Grösse

Kapitel 2 Ein Offizier kann nur der Krone dienen.

Kapitel 3 Der Weser-Ems Feldzug

Kapitel 4 Schmutzige Machenschaften

Kapitel 5 Im Namen des Allmächtigen Baumeisters Aller Welten

Kapitel 6 Kitty

Kapitel 7 Das indische Pulverfass

Kapitel 8 Und England steht wieder alleine

Kapitel 9 Staatssekretär für Irland

Kapitel 10 Liebe und Krieg

Kapitel 11 Ein streng geheimer Operationsplan

Kapitel 12 Marlboroughs Schwert

Impressum neobooks

Kapitel 1 Ein politischer Faktor von unbekannter Grösse

Der Lakai tauchte aus dem Nichts auf. Er trug eine weiß gepuderte Perücke, eine lachsfarbene Weste aus schwerem Brokatstoff und seidene Kniehosen in einem undefinierbaren Farbton zwischen Blut und Erdbeere. Sarah verkniff sich mit Mühe ein Grinsen. Sie fand, dass der Mann einem Storch glich. Obwohl seine Livree nicht billig wirkte, sah er lächerlich aus. Dem zu trotz war diese seltsame Verkleidung sichtlich von einem der besseren Schneider der Hauptstadt genäht worden. Der Storch trat zur Seite und eine riesige, prunkvoll verzierte Flügeltür tat sich vor ihnen auf. Sie befanden sich in einer überfüllten Eingangshalle.

“Die Kunst liegt darin, weder zu früh, noch zu spät zu erscheinen“, dachte Sarah schmunzelnd, “und lieber die Unannehmlichkeiten eines Menschenauflaufs akzeptieren, als kein entsprechendes Publikum für den Auftritt zu haben.“ Ihre Mutter hatte alles für diesen Abend arrangiert. Georgiana verstand es meisterhaft, sich während der Londoner Ballsaison in Szene zu setzen. Der gesamte Richmond-Clan trug Blautöne: Die Herzogin selbst hatte ein spektakuläres Königsblau gewählt. Auf ihrer Abendgarderobe glänzte als einziger Schmuck eine Saphirbrosche. Sarah trug ein schwarz anmutendes Nachtblau. Das elegante Kleid war aufwendig mit grauen Perlen bestickt. Für die drei jüngeren Schwestern hatte ihre Mutter zarte Pastelltöne ausgewählt. Im Licht der Kronleuchter schimmerten die weich fließenden Stoffe fast weiß. Keines der jüngeren Richmond-Mädchen trug Geschmeide. Nur hübsche, kleine Sträußchen aus frischen Blumen waren adrett am Dekolleté befestigt. Stimmengewirr und Gelächter klangen zu ihnen. Es überlagerte ein populäres Tanzmenuett des Wiener Komponisten Josef Haydn, das aus dem Ballsaal im ersten Stock leicht zu ihnen hinunterschwebte. Peitschenknallen, Hufgetrampel, lautes Wiehern und die Flüche zahlloser Kutscher draußen auf der Straße kündigten noch mehr Gäste an. Dieser Abend eröffnete die Wintersaison des Jahres 1805 in der Hauptstadt des Inselkönigreiches. Die gute Gesellschaft Londons hatte sich um Lady Hollands Einladungen gestritten. Man wollte sehen und gesehen werden. Man kam in der Hoffnung, seinen Namen am nächsten Tag in den Gesellschaftsspalten der Sun oder der Times wiederzufinden. Am besten war es natürlich, in einem Zug mit einer wichtigen Persönlichkeit aus der Politik oder aus dem Hochadel erwähnt zu werden. Damit bewies man sich und den anderen, dass man etwas galt in diesem Lande. Als sie das amüsierte und wenig damenhafte Grinsen ihrer Ältesten bemerkte, warf die Herzogin von Richmond ihrer Tochter einen strafenden Blick zu. „Selbstverständlich, Mama.“, zischte Sarah durch die Zähne, ohne ihren Gesichtsausdruck zu ändern, “ich habe es versprochen! Ich werde die Höflichkeit selbst sein. Keine taktlosen Bemerkungen und kein Gelächter, außer es handelt sich eindeutig um einen Witz!“ Sie legte die Rechte aufs Herz, während sie mit der Linken ihr Cape bändigte. In einer schubsenden Menschentraube die Treppe in den ersten Stock zu bewältigen, ohne Schaden an Haartracht und Abendgarderobe zu nehmen, war schwierig. Georgiana nickte zufrieden, wenn auch nicht ganz überzeugt. Die Herzogin kannte ihre Älteste. Sie wusste, dass Sarah stur war, wie ein Maultier. Ihre Tochter betrachtete gesellschaftliche Verpflichtungen als unnütze Zeitverschwendung. Sie hasste es, mit uninteressanten Menschen geistlosen Klatsch auszutauschen. Mit pikiertem Gesicht geziert ein Champagnerglas durch die Gegend zu balancieren lag ihr ebenso wenig.

„Guten Abend, meine Liebe“, Lady Holland strahlte die Herzogin von Richmond an, “wie reizend, Sie zu sehen!“ Die Gastgeberin war eine große, aufrechte, hagere Frau. Sie überragte viele der Männer im Ballsaal. Obwohl sie fast siebzig Jahre alt war, trug sie das ergraute Haupt stolz erhoben. Sie hielt sich so aufrecht, wie ein Gardegrenadier. Das hochgesteckte Haar krönte ein ausgefallenes, sehr modisches Diadem. Es funkelte im Schein der Kronleuchter, wie ein Regenbogen. Sie hatte ein Kleid in einem ganz außergewöhnlichen Farbton ausgewählt, weder Silber, noch grau. Die Aufmachung war meisterhaft. Sämtliche Details dienten nur einem Zweck: Lady Hollands feinen Züge, ihre makellose Haut und ihre ungewöhnliche Haarfarbe zu unterstreichen. Nachdem sie Georgianas Hand einen langen Augenblick freundschaftlich festgehalten hatte, wandte sie sich an die älteste Tochter der Herzogin: “Dr.Lennox, eine seltene Freude, einen viel beschäftigten, begabten Mediziner in unserer Mitte begrüßen zu dürfen. Wie geht es Sir James McGrigor? Wir erwarten mit großer Spannung den Wohltätigkeitsball für das Krankenhaus des Malteser-Ordens.“ Sie zwinkerte Sarah, wie eine Verschwörerin zu. Diese trug den offiziellen Titel Lady Lennox. Doch sie schätzte es, mit ihrem hart erarbeiteten Doktortitel angesprochen zu werden. Vor allem in der Öffentlichkeit. Sarah hatte achtzehnjährig, bei Nacht und Nebel ihrer Heimat den Rücken gekehrt, um an der berühmten Medizinschule von Montpellier im Herzen des französischen Feindeslandes zu studieren. Sie war davon besessen gewesen, Chirurg zu werden. Erst vor zwei Jahre war sie wieder nach England zurückgekehrt. Sie hatte einen abenteuerlichen, gefährlichen. Umweg über das unbesetzte Gebiet der Hansestadt Hamburg gemacht und war als Mann verkleidet gereist. Es war natürlich der perfekte Skandal gewesen. Ganz London hatte sich wochenlang den Mund über die Älteste des Herzogs von Richmond zerrissen. Trotzdem war sie heute eine der wenigen Frauen Englands, deren Fachwissen und Kompetenz in der Öffentlichkeit Beachtung fanden. Nachdem Lady Holland noch ein paar kurze Worte mit jedem der drei jüngeren Richmond-Mädchen gewechselt hatte, wandte sie sich wieder ihren anderen Gästen zu. Ein Lakai rief die Namen der Herzogin und ihre Töchter aus und die zunächst Stehenden wandten sich um. Eine stattliche Frau, etwas älter, als Georgiana und mit einem Gesicht, dass auf eine sehr eigenwillige Art attraktiv war, löste sich sofort aus einer Gruppe, glitt auf sie zu und streckte ihr beide Hände entgegen: „Haben Sie Neuigkeiten aus Dublin, meine Liebe? Konnten der Herzog und der junge Wellesley-Pole irgendetwas erreichen?“, Lady Bessborough war die Gemahlin von Sir William Ponsonby. Er galt als die graue Eminenz der Liberalen. Was die Whigs mit ihren politischen Gegner im Parlament nicht regeln konnten, lösten oftmals Lady Bessborough und Georgiana während irgendeines Balls, Dinners oder bei einem gemeinschaftlichen Theaterbesuch. „Unterschätzen Sie die Radikalen nicht, Ann! Dieser O‘Flaherty ist genau der Mann, den die Katholiken sich gewünscht haben. Er ist nicht nur in seinen eigenen Kreisen beliebt, sondern hat es auch geschafft, zusätzliche, konservative Wähler anzuziehen. Er überfordert nie den Intellekt seiner Zuhörer. Er rührt auch nicht an den traditionellen Vorurteilen, die die protestantische Wähler, vor allem die Kaufleute und die andere Mitglieder der gewerbetreibenden Mittelschicht des County Galway haben!“

Die jüngeren Richmond-Schwestern waren folgsam neben ihrer Mutter stehen geblieben. Sie lächelten charmant, hielten den Mund und benahmen sich so, wie man es von braven Töchtern aus gutem Haus erwartete. Sarah gab Georgiana und Lady Bessborough ein Zeichen mit dem Kopf. Dann verschwand sie in der Menge. Sie war nicht auf diesen Ball gekommen, um vorgestellt zu werden. Sie hielt auch nicht nach einem Ehemann Ausschau. Nach den Maßgaben der guten Gesellschaft gehörte sie mit ihren siebenundzwanzig Jahre bereits zum alten Eisen. Man hatte sie als einen unbelehrbaren und unverbesserlichen Blaustrumpf abgelegt. Da ihr Vater, der Herzog von Richmond, sich allerdings noch in Irland aufhielt und sie nicht zu diesem Fest begleiten konnte, übernahm Sarah gekonnt die Rolle, die ansonsten dem Ehemann oder einem ältesten Sohn zugefallen wäre: Sie besorgte für Georgiana und Lady Bessborough zwei Gläser mit kühlem Champagner. Dann rief sie drei jüngere, unverheiratete Herren aus der näheren Bekanntschaft der Familie freundlich aber bestimmt dazu auf, mit ihren kleinen Schwestern zu tanzen. Als alle versorgt waren, suchte sie sich einen Sitzplatz am Rande der Tanzfläche, um darüber zu wachen, dass sich sowohl die Tanzpartner, als auch ihrer jüngeren Schwestern gesittet benahmen. Ab und zu grüßte Sarah jemanden oder winkten Freunden zu. Natürlich tanzte sie selbst auch gerne. Wenn ein geistreicher und interessanter Partner sie aufforderte, konnte sie Stunden zufrieden in einem Ballsaal verbringen. Doch an diesem Abend war sie nicht gekommen, um sich zu vergnügen. Ihre Mutter und Ann Bessborough mussten sich wieder einmal auf neutralem Boden unauffällig besprechen. Es ging um ein Thema von höchster, politischer Brisanz. Aus diesem Grund hatte Sarah ihrer Mutter versprochen, die drei Js im Auge zu behalten: Jane, Jemima und Justinia.

Ihre jüngeren Schwestern hatten aus einer Laune der Natur heraus jeweils nur ein Jahr Altersunterschied. Wohl aus einer ähnlichen Laune heraus hatte Georgiana beschlossen, das Trio gleichzeitig in die gute Gesellschaft einzuführen. Natürlich waren die Js zum Heiraten noch viel zu jung. Aber sie hatte gedrängelt und wie immer hatte man dem Quengeln der Kinder nachgegeben. Während Sarah an ihrem Glas nippte und die Js mit ihren Kavalieren beobachtete, ging ihr durch den Kopf, wie sonderbar es doch war, das ausgerechnet ihr Vater, der im gesamten Königreich als knallharter Politiker berüchtigt war, seiner Familie gegenüber so unglaublich nachgiebig war. Zuvor, als er noch Soldat gewesen war, war er auch nicht gerade Samthandschuhen angehabt. Trotzdem schlug er keinem seiner neun Kinder auch nur den geringsten Wunsch ab, egal wie verrückt oder hanebüchen dieser war. Als sie selbst mit knapp achtzehn Jahren losgezogen war, um zu studieren, hatte ihr Vater sie nicht nur heimlich unterstützt. Er hatte sie sogar noch darin bestärkt, ihren eigenen Weg zu gehen. Er hatte sie nie gezwungen, den Konventionen der Gesellschaft zu gehorchen. Und er hatte ihr Recht gegeben, als sie verkündet hatte, dass sie nicht, wie alle Mädchen heiraten wollte, sondern lieber ihr Leben der Wissenschaft verschrieb. Sarah war felsenfest davon überzeugt, dass Georgiana noch heute einen gewaltigen Wutanfall bekommen würde, wenn sie je erfahren sollte, wie tief ihr Gemahl wirklich in das waghalsige und skandalöse Studienprojekt seiner ältesten Tochter in Montpellier verstrickt gewesen war.

„Guten Abend, Sarah.“, riss eine unbekannte und doch irgendwie vertraute Stimme sie aus den Betrachtungen über ihr glückliches Familienleben. Ohne um Erlaubnis zu bitten, hatte ein Mann in einer schlichten, dunkelgrünen Redingote neben ihr Platz genommen. Das Kleidungsstück wirkte ein bisschen altmodisch und angestaubt, wenn man es mit der Aufmachung der anderen Männer im Ballsaal verglich. Er hatte graublaue, durchdringende Augen und entgegen der Gepflogenheiten trug er sein schwarzes Haar streichholzkurz geschnitten und nicht eingepudert. Das Gesicht kamen ihr auch irgendwie bekannt vor. “Ich bin überrascht, eine junge Dame vor mir zu sehen, wo ich nur ein wildes Kind in Erinnerung habe!“, half der Mann ihr ein wenig auf die Sprünge. Sarah schüttelte den Kopf und lachte: “General Sir Arthur Wellesley, Ritter des Bath-Orden, Sieger von Assaye, Argaum, Gawilghur und weiß der Himmel was noch alles ...“, entfuhr es ihr. Freundschaftlich nahm sie seine Hände in die Ihren und hielt sie ganz fest. Als sie noch ein Kind gewesen war, hatte sie diesen scheuen, etwas linkischen Iren, der so oft bei ihren Eltern zu Gast gewesen war immer sehr gerne gemocht: “Ich wusste gar nicht, dass Du wieder in London bist, mein lieber Arthur! Gütiger Himmel! Du hast Dich verändert! Ich erkenne Dich nicht wieder!“, Von ihrer letzten Begegnung mit Wellesley vor etwas mehr als zehn Jahren hatte Sarah noch eine wage Erinnerung an eine schüchterne, schmalbrüstige und etwas kränklich wirkende Vogelscheuche in einer abgetragenen, roten Uniform. Heute saß ein großer, breitschultriger und braun gebrannter Soldat mit kantigen Gesichtszügen und imposanter Adlernase neben ihr. Er strotzte vor Kraft und Gesundheit und machte überhaupt keinen schüchternen, verträumten Eindruck auf sie. Seine kalten Augen und der harte Zug um den Mund erschreckten Sarah sogar ein wenig: „Willkommen daheim, mein lieber Arthur! Ich freue mich, dass Du unbesiegt aus Indien zurückkehrst. Erzähl mir einfach alles. Was hast Du in den letzten Jahren angestellt?“

„Erzähl mir lieber, was aus Dir geworden ist, Kleine.“, neckte Wellesley Sarah, „Unbesiegbare Generäle sind ein langweiliges Gesprächsthema!“ Der Offizier bot der jungen Frau den Arm an. Zusammen suchten sie sich einen Platz an einem Fenster, um abseits der Tanzfläche in Ruhe miteinander zu plaudern. Eine halbe Stunde später war Sarah in ihrer Erzählung bereits bei der Rückkehr nach England und dem abenteuerlichen Weg über den Kanal angekommen. „Wie hast Du das bloß angestellt? In dieser Gegend wimmelte es damals doch regelrecht von streitlustigen Franzosen.“, Wellesley war beeindruckt. Er hatte eine große Schwäche für unabhängige, intelligente Frauen. Er nickte Sarah bewundernd zu.

„Ich habe mich verkleidet, Arthur. In Hosen und die Haare unter einer Mütze versteckt. Hungrige Studenten auf klapprigen Pferden fallen niemandem auf“, beendete sie belustigt ihre Geschichte, “und jetzt, wo Du alles über mich weißt, ist es nur fair, wenn Du mir von Indien erzählst. Wir haben hier ja lediglich den Trubel um Assaye mitbekommen. Papa hat mir...“ Ein kleiner Schatten huschte über das Gesicht des Generals. Kaum merklich verzog sich sein Mund, wie ungehalten. Doch seine guten Manieren gewannen schnell wieder die Oberhand. Er hatte keine Lust über den Krieg zu sprechen. Doch er wollte Sarah nicht verärgern. Darum beschloss er, die Flucht nach vorne zu wagen: „Wenn ich jetzt aufhöre, Dich mit Fragen zu quälen, gewährst Du mir dann diesen Tanz?“ Sarah verstanden, was man ihr höflich mitzuteilen versuchte. Sie seufzte ergeben, legte ihre Hand auf Wellesleys angebotenen Arm und schwebte an einer üppigen Blumendekoration vorbei auf die Tanzfläche. Die Kapelle begann eine Quadrille zu spielen. Sie hatte gerade noch Zeit ihre Füße und ihre Schleppe zu ordnen, als sie schon aufs Parkett gewirbelt wurde. Die Augen ihres Tanzpartners blitzten sie vergnügt und ein bisschen hinterhältig an. Zum Reden und Ausfragen blieb hier keine Zeit. Dazu war das Gedränge auf der Tanzfläche zu groß. Wer Zusammenstöße vermeiden wollte, musste sich konzentrieren. Schon bald stellte sich zwischen ihnen ein vertrautes Gefühl ein. Arthur war der erste Mann, mit dem Sarah je getanzt hatte. Es war vor einer halben Ewigkeit gewesen, auf einem Fest auf dem Landsitz ihrer Eltern! Sie hatte noch keine dreizehn Lenze gezählt. Von allen unbeachtet, war sie traurig in einer Ecke gesessen. Die jungen Herren hatten eine Vorliebe für junge Damen im heiratsfähigen Alter. Daran hatte sich bis zu diesem Tage nicht viel geändert. Keiner der damals eingeladenen Offiziere und Gentlemen wäre auch nur auf die Idee gekommen, mit einem Kind zu tanzen, nur um es zu amüsieren. Arthur hatte auch eine hübsche Kleine am Arm gehabt und sich mit ihr vergnügt. Doch irgendwann war ihm Sarahs tieftrauriger Blick aufgefallen und ihre sehnsuchtsvollen Augen, die sie auf die Tanzfläche gerichtet hatte. Ziemlich herzlos hatte er seine Kleine an irgendeinen Offizierskameraden weitergereicht. Und dann hatte er sich in aller Form vor Sarah verbeugt. Als die Musik verklang, knickste sie vor ihm und bedankte sich, genauso, wie sie es damals mit dreizehn Jahren getan hatte. Der kalte Schleier über seinen Augen hob sich kurz und machte einem Lächeln Platz: „Du siehst einfach bezaubernd aus, Sarah! Genauso bezaubernd, wie damals...“, flüsterte er ihr zu. „Damals hast Du mir meist Dornen aus den Fingern gezogen, oder mir die aufgeschlagenen Knie mit Deinem Taschentuch verbunden...“, erwiderte die junge Frau amüsiert.

Die Herzogin von Richmond beobachtete ihre älteste Tochter auf der Tanzfläche, während sie gleichzeitig mit Lady Bessborough diskutierte. „Sarah beißt also doch nicht alle Männer.“, ging es ihr durch den Kopf. „Die beiden sind ein wirklich hübsches Paar, obwohl ich mir einfach keinen Reim darauf machen kann, wer der Mann ist.“ Sie fuhr noch kurz fort, ihren Gedankengang zu beenden, dann deutete sie für Lady Bessborough diskret mit dem Finger auf ihre Älteste. „Ich weiß nicht, wer das ist, meine liebe Georgiana! Was ich Ihnen aber mit Sicherheit sagen kann: Der Herr ist bezüglich der Modetrends der diesjährigen Saison nicht auf dem Laufenden. Sicher, es ist eine gute Garderobe. Er hat einen vorzüglichen Schneider ...aber dunkelgrün. Und diese Schlichtheit! Und dann noch kurz geschorenes Haar. Wenn er wenigstens eine ordentliche Perücke trüge!“ „Wellesley“, entfuhr es der Herzogin von Richmond erfreut, “das muss Arthur Wellesley sein! Ich habe gehört, dass er aus Indien zurückbeordert wurde. Aber irgendwie erkennt man ihn nicht wieder.“ Die Neugier der beiden Damen wurde schon bald befriedigt. Als die Kapelle eine Pause machte, bugsierte Sarah ihre Jugendfreundschaft zielstrebig in Richtung ihrer Mutter.

In den Tagen, die dem Ball folgten, stellte Arthur fest, dass England sich während der letzten zehn Jahre, tief greifend verändert hatte. Seit 1793 befanden sie sich mit den Franzosen fast ohne Unterbrechung im Kriegszustand. Die Idee einer Invasion der britischen Inseln war für Volk und Regierung zu einer Zwangsvorstellung geworden. Seine irische Heimat wurde von Aufständen erschüttert. Die Franzosen hatten es geschafft, mithilfe katholischer Rebellen Truppen in der Killala-Bucht zu landen. König Georges Rotröcke hatten mit unbeschreiblicher Gewalt die Rebellen und ihre französischen Verbündeten niedergemetzelt. Die Gefahr der Invasion war damit vorläufig gebannt, doch die irischen Katholiken hassten die englischen Protestanten noch entschlossener als zuvor. Der Friede von Amiens war eine unwichtige Feuerpause gewesen. Anschließend hatte Premierminister William Pitt mit aller Kraft eine neue Koalition gegen Bonaparte geschmiedet. England hatte in dieses verzweifelte Ringen mit Frankreich mehr Menschen, wirtschaftliche Ressourcen und finanzielle Mittel eingebracht, als das Land sich eigentlich leisten konnte. Trotzdem war die Lage katastrophal. Lediglich der Krieg zu See gegen Napoleons Flotte war ein Erfolg. Zu Land schlugen der Kaiser und seine Marschälle jeden Gegner. Arthur hatte das Gefühl, dass dieser endlose Krieg das Land zusammengeschweißt hatte. Die Leute schienen auf den ersten Blick weniger selbstsüchtig und weniger individualistisch, als er sie in Erinnerung hatte. Sogar die vergnügungssüchtige, intrigante und zu Verschwendung neigende Aristokratie hatte sich etwas, Disziplin angeeignet. Es war eine überlebensnotwendige Qualität in einer schweren Zeit. Arthur hatte diesen Wandel nicht miterlebt. Er begriff nicht viel von dem, was er sah oder hörte. Doch sein Leben in Indien war Vergangenheit. Er musste lernen, sich in diesem Land, das er so wenig kannte zurechtzufinden. In Verlauf der nächsten Wochen hatte er eine Reihe wichtiger Entscheidungen für die Zukunft zu treffen. Sein erster Besuch galt aus diesem Grunde Robert Castlereagh, der im Kabinett von William Pitt als Minister das Ressort Kriegswesen und Kolonien verwaltete. Robert war, wie Arthur in Irland zur Welt gekommen und aufgewachsen. Sie waren gleichaltrig und seit ihrer frühesten Kindheit eng miteinander befreundet. Sie hatten in ihrer Jugend sogar einige Jahre Seite an Seite auf den hintersten Bänken des irischen Unterhauses gesessen und sich zusammen gelangweilt. Arthur hatte sich schließlich auf den Weg nach Indien gemacht. Robert Castlereagh hatte den Weg in die große Politik eingeschlagen. Als der General unangemeldet in Whitehall eintraf, verließ gerade ein Besucher das Amtszimmer des Ministers. “Los, lass uns gemeinsam zu Mittag essen!“, überfiel Robert, Arthur sofort, “jetzt, wo aus dem hässlichen Entlein endlich ein stolzer Schwan geworden ist, ist es förderlich für einen Politiker sich mit Dir in der Öffentlichkeit zu zeigen! Unbesiegbare Generäle sind in meinem Ministerium eher Mangelware, alter Freund!“ Arthur lachte. Wenigstens Robert hatte sich überhaupt nicht verändert. Er war immer noch impulsiv und genauso überschwänglich, wie früher. Trotz seines schwierigen Amtes war es ihm gelungen, seinen jugendlichen Übermut zu bewahren. Er warf sich seinen schweren, dunkelblauen Soldatenmantel über die Schultern, um die kurze Strecke bis zum White‘s Club am Eingang zum St.James Park gemeinsam mit Castlereagh zurückzulegen. Er hatte sich noch nicht an das englische Wetter gewöhnt. Der Club, der in einer Nebenstraße von Whitehall und parallel zur Downing Street lag, war nicht für seine gute Küche bekannt. Aber es war der einzige öffentliche Ort in London, an dem die Mitglieder von Regierung und Opposition zivilisierten Umgang miteinander pflegten. Castlereagh bat einen Bediensteten, ihnen das Mittagessen nicht am langen Tisch der Klubmitglieder zu servieren, sondern in einem der Separees. Natürlich freute er sich über das Wiedersehen mit Arthur. Doch in seiner Rolle als Kriegsminister musste er ihm auch eine schlechte Nachricht schonend beibringen: Nachdem sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte und jeder ein Glas mit einem Aperitif in Händen hielt, fing er an zu erklären. Wellesleys Bruder, Lord Mornington, war von seinem Posten als Generalgouverneur von Britisch-Indien abberufen worden. Er befand sich bereits auf dem Rückweg nach England. Großer Ärger mit der Ostindienkompanie erwartete ihn...und ein Untersuchungsausschuss.

„Robert, die können nicht einfach so behaupten, dass Mornington dieses Land schlecht verwaltet hat!“ Castlereagh schüttelte den Kopf. Der Kriegsminister vertrat eine etwas andere Meinung als sein Gast. Richard Wellesley Lord Mornington hatte in seinen acht langen Jahren als Generalgouverneur von Britisch-Indien viele Fehler gemacht. Der Letzte war sein übereilter Feldzug gegen Holkar gewesen. Dass diese Schlappe den Einfluss Großbritanniens in Mysore, Bullum, Wynaad und Soonda nicht geschmälert hatte, war alleine der Verdienst seines jüngeren Bruders Arthur gewesen. Nachdem die Kellner ihre Vorspeisen aufgetragen und den Raum wieder verlassen hatten, antwortete Castlereagh seinem Freund: „Es hat eigentlich Nichts mit der Verwaltung der Kolonie zu tun. Es ist mehr Richards unmöglicher Charakter: er hat sich, als Addington noch Premierminister war, hier in London einfach zu viele Feinde gemacht. Der missratene Feldzug und die Niederlage gegen Holkar waren lediglich die beiden letzten Nägel zu seinem Sarg.“

„Holkar? Monson?“ Arthur verstand nicht. Ein Offizier im Dienste der Ostindien-Kompanie hatte an einem strategisch unwichtigen Ort ein bedeutungsloses Scharmützel verloren. Zur gleichen Zeit hatte er selbst die gesamte Marattha-Konföderation einschließlich ihrer europäischen Söldner bei Assaye vernichtet und General Lake hatte den Anführer der Franzosen Jean-Francois Perron bei Deeg geschlagen. Wieso war ein kleiner Rohrkrepierer plötzlich wichtiger, als eine große Entscheidungsschlacht und ein beeindruckender Sieg? Castlereagh wollte Arthur Wein nachschenken, doch dieser legte seine Hand übers Glas und zog die Stirn in Falten: “Wer steckt hinter dieser Intrige?“

„Arthur, das ist keine Intrige“, der Blick des Kriegsministers war hart geworden, “aber immer, wenn Dein Bruder Erfolg hatte, dann hat er großartige Berichte nach Hause geschickt und sich dabei stets kräftig selbst auf die eigene Schulter geklopft. Seine Niederlagen, Pleiten und Pannen hat er aber regelmäßig tot geschwiegen oder sogar ganz unverfroren Anderen in die Schuhe geschoben. Die Nachricht über Monsons Niederlage kam auf verschlungenen Pfaden nach London. Richard hat versucht, die Sache zu verschweigen. Der Grund für seinen Fall ist eine Vertrauenskrise. Pitt ist zu krank um ihn zu beschützen und ich habe nicht diese Macht...“, belog Castlereagh seinen Freund unverfroren. Natürlich hätte er Mornington beschützen können, doch es war dem Kriegsminister nicht ungelegen gekommen, dass dieser hinterlistige Ränkeschmied endlich zu Fall kam. Er hatte Arthurs ältesten Bruder nie leiden können. Und Castlereagh spürte, dass lediglich ein einziger Wellesley Potential besaß. Arthur hatte nicht Richards Charisma, aber er hatte enormes militärisches Talent, Integrität und darüber hinaus noch einen ruhigen, ausgeglichenen Charakter. Er wurde scheinbar nicht von gefährlichen Ambitionen getrieben. Trotzdem hatte in Indien bewiesen, dass er auch ein geschickter Diplomat sein konnte. Und er verfügte über eine rasche Intelligenz. Um in militärischen Dingen zwischen den regierenden Konservativen und den Liberalen in der Opposition zu vermitteln, war Arthur wohl nicht die schlechteste Wahl. Vielleicht war er gar, wenn jemand sich nur die Mühe machte, ihm den richtigen Weg zu weisen, ein politischer Faktor von unbekannter Größe.

Die Bedrohung Englands durch Bonaparte war offensichtlich. Schon bald würden die beiden Kontrahenten sich nicht mehr nur zur See gegenüber stehen. Der Kriegsminister hatte alle Berichte über Arthurs erfolgreiche militärische Operationen in Indien sorgfältig studiert. Castlereagh hatte bereits nach dem Sturm auf Seringapatam begriffen, dass sein Freund aus Kindertagen eine außergewöhnliche Begabung in militärischen Dingen besaß. Was der Kriegsminister mit noch größerem Interesse studiert hatte, als die rein militärischen Berichte, waren Wellesleys Gedanken zu Strategie, Taktik und der Organisation des militärischen Nachschubwesens. In allen drei Bereichen hatten Englands Landstreitkräfte erhebliche Schwachstellen und ihm gegenüber saß ein Mann, der begriffen hatte, wie man diese Probleme in den Griff bekam. Arthur war dabei auch erfrischend unpolitisch. Das würde ihm möglicherweise dabei helfen, sich bei den Horse Guards und beim Oberkommandierenden der Streitkräfte Gehör zu verschaffen. Dieser, der zweite Sohn von König George, Frederick Herzog von York, war ein fanatischer Liberaler. Jeden Tag machte er seinem konservativen Kriegsminister mit großem Gusto das Leben zur Hölle! Trotz seiner Freundschaft für Arthur, sah Robert Castlereagh in dem gerade aus Indien heimgekehrten General auch ein Instrument der Macht, das England eines Tages gegen Napoleon und seine Marschälle würde einsetzen können. Heute brauchte er dieses Instrument, um die verkalkte und überalterte militärische Führungselite aus den Angeln zu heben. Darum wollte er auch verhindern, dass Arthur sich aus einem unsinnigen Gefühl brüderlicher Loyalität heraus, mit der Ostindischen Kompanie anlegte. Ein solcher Schritt gefährdete seine Zukunft und er riskierte es, sich unnötige Feinde zu schaffen. Dabei würde Mornington es seinem jüngeren Bruder am Ende nicht einmal danken, sondern ihn bei erster Gelegenheit wieder hinters Licht führen. “Arthur“, sagte der Kriegsminister bestimmt, „ich möchte, dass Du den Premierminister triffst. Ich werde für dich einen Termin mit William Pitt vereinbaren. Wo wohnst Du eigentlich, falls ich dich kontaktieren möchte? Bei Deiner Mutter?“ Der General stöhnte. “Gütiger Himmel. Meine Mutter! Was für eine Idee!“ Lady Mornington hatte sich während seiner zehn Jahre in Indien nicht ein einziges Mal die Mühe gemacht, Arthur zu schreiben, um zu erfahren, ob ihr Sohn überhaupt noch lebte. Als er in Plymouth gelandet war, hatte er sich und seine ganze Habe lieber den britischen Landstreitkräften anvertraut, als seiner lieblosen Familie. Man hatte ihm ein recht hübsches Quartier in der Nähe der Horse Guards zur Verfügung gestellt. Darüber hinaus hatte er seit Lady Hollands Ball noch eine Einladung seiner alten Freunde, der Richmonds in der Tasche. Er würde sie annehmen. Ein bisschen Leben und Trubel nach den langen, harten Jahren im Felde konnten nicht schaden: „Lasse mir Nachrichten nach Richmond Palace schicken, Robert! Ich ziehe um!“, erklärte er entschlossen. „Ah, Richmond Palace!“, schmunzelte der Kriegsminister, “Hast Du die Älteste des Herzogs, Lady Sarah schon gesehen. Sie ist reizend!“

„Sarah hat mich eingeladen ...“

„Großer Gott.“, Castlereagh grinste, „dann bist Du der einzige Mann im ganzen Königreich, den Zerberus noch nicht gebissen oder verbellt hat. Seit Lady Sarah Lennox vom Kontinent zurück ist, hat sie wenigstens fünf oder sechs Anträge entrüstet abgelehnt … und die jungen Herren kamen aus den allerbesten Familien unseres Landes! Willst Du etwa Dein Glück bei ihr versuchen? Soviel ich weiß, bist Du selbst ja auch noch nicht unter der Haube!“

Arthur seufzte traurig. Der Freund hatte einen wunden Punkt getroffen: In Indien war er mit einer wunderbaren, jungen Frau verlobt, ja fast verheiratet gewesen. Ein unbarmherziges Schicksal hatte ihm Charlotte und ihr ungeborenes Kind genommen und er war bis zu diesem Tag nicht über den Schmerz dieses Verlustes hinweggekommen. Er war sich nicht sicher, ob er schon bereit war, das Blatt zu wenden und einen neuen Anfang zu versuchen, obwohl der Geist seiner geliebten Charlotte ihm immer und immer wieder zuflüsterte, das fünf Jahre der Trauer eine endlos lange Zeit waren. Arthur hatte während der neunmonatigen Überfahrt nach Europa genug Zeit zum Nachdenken gehabt. Er hatte sich eingestehen müssen, dass er nicht nur kreuzunglücklich war, sondern sich auch schrecklich einsam fühlte. “Habe ich etwas Falsches gesagt, Arthur?“, fragte der Kriegsminister mit besorgtem Blick. Er hatte Gerüchte darüber gehört, was in Seringapatam geschehen war. Er kannte auch die Geschichte eines gebrochenen Herzens, dass unter einer Zypresse in einem Garten, unweit des Palastes der Sultans von Mysore begraben lag. Arthur atmete tief durch und versuchte seine Fassung wieder zu finden.“ Vielleicht ist Deine Idee gar nicht so dumm, Robert! Sarah Lennox ist eine bemerkenswerte Frau.“ Er erhob sich und verabschiedete sich von Lord Castlereagh. Dann holte er sein Pferd aus den Stallungen des Kriegsministeriums. Er konnte einen ganzen Nachmittag vertrödeln. Das Wetter war leidlich gut. Seine Schonfrist war fast vorbei. Die nächste Woche kündigte sich anstrengend und arbeitsreich an. Der Oberkommandierende der Streitkräfte, der Herzog von York, wollte ihn sehen. Er musste sich offiziell in den Horse Guards zurückmelden. Castlereagh wollte ihn zu Pitt zu schicken. Und er musste einen Termin mit seinem Armeeagenten machen, denn er wollte endlich dafür sorgen, dass die restlichen Schulden seines Vaters getilgt wurden. Nachdem Richard sich geweigert hatte, zusammen mit dem Titel auch die finanziellen Probleme der Familie zu übernehmen, war die Restschuld Arthur zugefallen. Sozusagen als einziges Erbe. Doch dank seiner Preisgeldern aus Indien war es endlich möglich geworden, sich von diesem Übel zu befreien und die Ehre des alten Lord Mornington wiederherzustellen. Was übrig blieb, war für ihn ausreichend. Er würde vielleicht sogar seine eigene Familie gründen können und wenn auch nicht reich, so doch sorgenfrei leben. Zufrieden beschloss Arthur ein paar Stunden zu vertrödeln und die Hauptstadt zu erkunden.

London war ins Endlose gewachsen. Die Anzahl der Menschen, die hier lebten, hatte sich in den letzten zehn Jahren erheblich vergrößert. Es war an manchen Stellen kaum mehr möglich, durch das Gedränge zu reiten. Kutschen und Fuhrwerke verstopften die Straßen. Oft musste Arthur sogar absteigen und sein nervöses Pferd an einem Engpass vorbeiführen. Irgendwann merkte der Offizier, dass er den Stadtkern verlassen hatte. Die Häuser sahen zunehmend bescheidener aus und die Leute waren schlechter gekleidet. Doch es war nicht diese schreckliche Armut, die er in Indien kennengelernt hatte.

Vor einem kleinen Gasthof stieg er ab, um sich zu erkundigen, wo er denn überhaupt sei. Man erklärte ihm, dies sei Lambeth und wenn er weiter geradeaus reiten würde, käme er zum Frachthafen von London. Da Sarah ihm erzählt hatte, sie praktiziere als Arzt in einem Armenhospital dieses Stadtteils, fragte er den Wirt auf gut Glück nach dem Weg. Nach kurzem Gespräch stellte sich heraus, dass das Hospital nur wenige Straßen von der Taverne entfernt war und Arthur beschloss, der Tochter des Herzogs von Richmond einen Überraschungsbesuch abzustatten. Er war bereits auf dem Ball von Lady Holland neugierig geworden und hatte Lust, die junge Frau wiederzusehen. Es war nicht schwer das Hospital zu finden. Der solide Steinbau überragte alle anderen Häuser. Ein alter Mann mit einem Holzbein versah das Amt des Türstehers. Freundlich fragte er, ob der feine, junge Herr sich verlaufen habe. Ebenso freundlich antwortete Wellesley ihm, dass er gekommen sei, um Dr.Lennox zu besuchen. Der alte Mann zwinkerte ihm zu und klopfte auf das Holzbein: "Ein guter Mensch, unsere Lady Sarah! Hat mir die Haut gerettet, als alle anderen Ärzte schon aufgegeben hatten. Gehen Sie nur nach oben. Im zweiten Stock müssen Sie dann eine der Schwestern fragen. Die führt sie zu Dr.Lennox.“ Er bot Arthur an, sein Pferd in den Stall hinter das Hospital zu bringen.

Das Innere des Gebäudes war einfach, aber sehr sauber. Alle Wände waren weiß getüncht und es roch streng nach Kampferessig. Ordensschwestern in schwarzen Kleidern und mit absonderlichen Kopfbedeckungen, die an Kuhhörner erinnerten, liefen geschäftig durch die Gänge. Der Krankensaal war groß, aber mit Decken unterteilt und jeder Patient hatte ein eigenes Bett, ähnlich dem Feldbett, das er in Indien gehabt hatte. Aus einem Zimmer am Ende eines Ganges im zweiten Stock kam Sarah im weißen Kittel. Neben ihr ging ein anderer Arzt. Er war älter und trug einen eindrucksvollen Backenbart und eine Hornbrille. Die junge Frau bemerkte Arthur und winkte ihm munter zu. Sie schien sich über seinen Besuch zu freuen. Dann stellte sie ihn ihrem Kollegen vor: " Sir James, das ist General Sir Arthur Wellesley, ein alter Freund der Familie. Er ist erst vor kurzem aus Indien zurückgekehrt.“ Der Schotte Sir James McGrigor war der führende Professor für Chirurgie an der Londoner Universität und ein bekannter Philanthrop, der verschiedene Armenkrankenhäuser der Stadt mit seinen eigenen, nicht unerheblichen finanziellen Mitteln unterstützte und gleichzeitig auch die Patienten von seinen medizinischen Fähigkeiten profitieren ließ. "Ah, unser unbesiegbarer General! Der Held von Assaye! Ich freue mich, Sie kennenzulernen, Sir Arthur. Möchten Sie unser Krankenhaus ansehen? Ihre Armeehospitäler können hier viel lernen!" Arthur schmunzelte: " Leider verstehen sich die meisten Feldscher am besten aufs Amputieren."

" Ja, ja, junger Freund“, schmunzelte McGrigor, “bei Migräne schneiden meine militärischen Kollegen den Patienten gleich den Kopf ab. Eine schnelle und sichere Methode. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich dieser Tage von Dr.Lennox dazu verleiten ließen, mit mir und meinen Assistenten zu speisen. Am Lehrstuhl natürlich. Indien ist sicher voll mit schrecklich interessanten Krankheiten. Sie müssen uns alles genau schildern und wir laden einen Freund ein, der sich mit dem neuen Fachgebiet der Tropenmedizin beschäftigt und erfreut sein wird, aus erster Hand zu erfahren, woran man in der Kolonie so alles sterben kann..." McGrigor verabschiedete sich leicht zerstreut und überließ es Sarah, Arthur herumzuführen. “Tut mir leid, mein Lieber! Mac wollte Dich nicht provozieren, aber die Medizin ist nun mal...“ Arthur wiegelte ab. “Lass nur, ich hab ihn schon richtig verstanden und Du kannst Deinem Chef sagen, dass ich seine Einladung gerne annehme, um Euch über Indien zu erzählen. Wenn es vielleicht irgendwann einmal hilft, irgendeinem Rotrock die Haut zu retten...“ Er konnte durchaus über seinen Krieg auf dem Subkontinent sprechen, wenn er einen tieferen Sinn darin sah, sich an die Geister der Vergangenheit zu erinnern. Er war sichtlich beeindruckt von der Organisation des Hospitals und vom Eindruck, den die Patienten machten. In Indien hatte er nach einer unglücklichen und außergewöhnlich schmerzhaften Erfahrung die Feldscher und anderen Ärzte, die mit den Soldaten zogen lieber gemieden und darauf vertraut, dass die Natur ihr Werk tun würde. Der Sanitätsdienst der britischen Landstreitkräfte war dafür berüchtigt, dass er mehr Soldaten umbrachte, als der Feind.

"Den dritten Stock zeige ich Dir nicht, mein Lieber”, sagte Sarah und schob Arthur in Richtung ihres Büros, “da liegen nämlich die schweren Fälle. Das ist nichts für einen Gentleman!”

"Ich habe in Indien nicht nur Rosengärten gesehen!", bemerkte der Soldat belustigt.

"Für heute reicht es! Lasse uns nach Hause reiten, Arthur. Wenn ich Dich richtig verstanden habe, dann nimmst Du unsere Einladung an und kommst nach Richmond Palace, genauso, wie früher! Das ist besser, als in irgendeiner Absteige der Armee zu hausen.“ bemerkte Sarah, “Und du kennst dich hier doch gar nicht mehr aus.“ Dann fügte sie ohne böse Absichten aber völlig undiplomatisch hinzu: “Deine komische Familie benimmt sich Dir gegenüber ja immer noch genauso miserable, wie damals! Na ja, darüber dürftest Du inzwischen hinweg sein!“ Arthur seufzte. Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte ihn eine Aussage dieser Art tief getroffen. Einen kurzen Augenblick lang - in Kalkutta - hatte er tief in seinem Inneren gehofft, die Uhren vielleicht zurückdrehen zu können und neu anzufangen. Doch Richard hatte ihm bewiesen, dass die Kluft zwischen ihnen unüberwindlich war: Auf der einen Seite diejenigen, die um der Macht willen bereit waren jeden zu verraten, auf der anderen die, die zu naiv oder zu dumm waren, um sich zu wehren. Er hatte einfach Abstand zwischen sich und seine Familie gebracht; Henry stand ihm zwar irgendwie nahe und sie mochten sich auch, aber der Benjamin der Wellesleys führte inzwischen sein eigenes Leben und hatte seine eigene Familie gegründet. Gerald, den Zweitältesten und William, der bereits mit drei Jahren von einem entfernten kinderlosen Verwandten adoptiert worden war kannte er kaum. Und seine Mutter hatte ihn - das vorletzte Kind - weggeworfen, wie einen alten Lumpen, als er gerade einmal zwölf Jahre alt gewesen war und sein geliebter Vater starb. Arthur wollte nichts von diesen Menschen, deren Namen er trug und er hoffte, dass sie alle vernünftig genug waren, auch ihn in Ruhe zu lassen. Sarah spürte, dass sie in ein Fettnäpfchen getreten war. Sie schimpfte sich innerlich einen Esel und wechselte rasch das Thema. “Ich habe heute nichts Dringendes mehr zu tun. Das Wetter ist viel zu schön, um Dir und mir die gute Laune mit meinen hoffnungslosen Fällen zu verderben. Es gibt einen hübschen Weg von hier ins West End, entlang der Themse und dann setzen wir uns zuhause gemütlich auf die Terrasse und trinken eine Tasse Tee. Dabei kannst Du mir dann ausführlich von Deinem abenteuerlichen Tag in den Gängen der Macht rund um Whitehall erzählen. Na, ist das ein Vorschlag. " Sie zog ihren weißen Kittel aus und brachte ihn ins Ärztezimmer. Dann kam sie mit einer schwarzen Arzttasche zurück und beide verließen das Gebäude. Gemeinsam ritten sie ins West End, während Arthur von dem Treffen mit Castlereagh berichtete. " Und nun machst Du Dir Sorgen?" Sarah schüttelte den Kopf. Die Information über Richards Abberufung hatte sie bereits vor einigen Monaten von ihrem Vater erhalten. Er vertrat eine ähnliche Position, wie der Kriegsminister und wollte, genauso wie Castlereagh vermeiden, dass Arthur sich um seines ältesten Bruders Willen unnötig Feinde schaffte.

„George,“ unterrichtete die Herzogin von Richmond höflich den Major Domus der Familie, “General Wellesley wird für einige Zeit unser Gast sein. Veranlassen Sie doch bitte, dass man seine Sachen nach Richmond Palace bringt und sagen sie den Mädchen, man möge das blaue Zimmer für unseren lieben Freund herrichten!“ Sie übergab dem Bediensteten ein Papier, auf dem Arthurs aktuelle Adresse stand. Dann wandte sie sich ihrer Tochter und ihrem Gast zu.“ Es ist eine wirklich kluge Entscheidung hier bei uns zu wohnen, so wie Du es früher immer getan hast, Arthur!“

Der Offizier zog den Mantel aus und reichte ihn einem anderen Bediensteten. Dann sah er sich in der großen Halle um. Die Eichentäfelung erreichte eine Höhe von fast drei Metern und war mit düsteren Familienporträts bedeckt, die in schweren, vergoldeten Rahmen mit allerlei Schnörkeln steckten. Das Gold schimmerte im Schein des Kronleuchters. Der Raum lag durch das Holz in einem dämmrigen Halbdunkel. “Hier hat sich absolut nichts verändert, Mylady! Es ist gut, nach so langer Zeit an einen vertrauten Ort zurückzukehren und zu Menschen, die ...“