Marattha König Zweier Welten Teil 3 - Peter Urban - E-Book

Marattha König Zweier Welten Teil 3 E-Book

Peter Urban

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Beschreibung

Juni 1796: Arthur Wellesley, ein junger Offizier, befindet sich in einer prekären Lage: Er ist völlig mittellos, mit seiner Familie zerstritten und ohne Zukunft in Irland. In dieser Situation bleibt ihm nur ein Ausweg: Die Heimat verlassen und nach Indien fahren. In der Kronkolonie kann er sich bewähren, militärische Ehren erlangen und vielleicht sogar zu ein bisschen Geld kommen. Der Subkontinent ist weit und unerforscht. Blutige Machtkämpfe zwischen der britischen Ostindischen Kompanie und den lokalen Machthabern sind entbrannt. Es geht um Einfluss, Macht, Handelskonzessionen und sehr viel Geld. Die Gefahren sind vielfältig, doch Arthur weiß sich zu behaupten. Als er sich in Charlotte, die Tochter eines hohen, britischen Beamten in Kalkutta verliebt, gewinnt das Leben in Indien sogar ganz neue Facetten. Dann wird Arthur vom Generalgouverneur mit einer gefährlichen Mission betraut. Tippu Sultan, der berüchtigte "Tiger von Mysore" probt den Aufstand gegen die Briten. Der Erfolg gegen den "Tiger" bleibt nicht aus und festigt Arthurs Ruf als Soldat, doch der Preis für den Ruhm ist hoch. Tippus bester General –Dhoondia Wao – schwört dem Bezwinger seines Sultans blutige Rache. Unter dem Namen "König Zweier Welten" bricht zusammen mit den Anhängern der blutrünstigen "Thugee-Sekte" einen grausamen Krieg im Herzen Indiens vom Zaun, dem nicht nur unzählige Unschuldige zum Opfer fallen, sondern auch Arthurs junge Verlobte und ihr ungeborenes Kind. Der britische Offizier verfolgt den "König Zweier Welten" bis ans Ende des Maharastra und zerstört den berüchtigten Khali-Tempel von Aymangala, in dem die "Thugee" ihre schrecklichen Rituale zelebrieren. Doch auch dieser Sieg bringt weder den Menschen in Mysore noch Arthur Wellesley den ersehnten Frieden.

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Peter Urban

Marattha König Zweier Welten Teil 3

Bahadour

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1 Der Zauberlehrling

Kapitel 2 Sepoy-General

Kapitel 3 Ahmednuggur

Kapitel 4 Der Schrecken unserer Waffen

Kapitel 5 Ein Hauch von Unbesiegbarkeit

Kapitel 6 Blutiges Assaye

Kapitel 7 Bis zum bitteren Ende

Kapitel 8 Aufsteigende Sterne

Kapitel 9 Eine endlos lange Zeit

Epilog

Marattha - Glossar

Historische Anmerkungen

Weitere historische Romane von Peter Urban

Impressum neobooks

Kapitel 1 Der Zauberlehrling

Montstuart Elphinstone küsste Lutuf Ullah beide Hände, als der alte Paschtune den Serai von Seringapatam betrat. »Baba, es tut gut, dich zu sehen!« Dann umarmte er Huneefa, Lutufs Hauptfrau, mit einer Herzlichkeit, die er seiner eigenen Mutter nie entgegengebracht hätte. »Es war ein gutes Jahr, Bedi. Ich komme aus Kalkutta. Clarke-Sahib hat all unsere Pferde gekauft, und wir haben hervorragende Preise bekommen. Ibrahim und Mullaih bringen noch einmal fünfhundert Tiere für die >inglis< aus Dagestan.«

»Komm, Baba! Wir haben uns viel zu erzählen. Alle warten auf euch!« Elphinstone legte den Arm um Lutufs Schulter und geleitete ihn in einen prächtigen Saal, in dem bereits aufgetragen wurde. Wie einen ungezogenen kleinen Jungen packte der Paschtune Wellesleys politischen Offizier an der Nase. »Du meinst, ich habe euch viel zu berichten, denn ihr seid gewiss neugierig, aus erster Hand zu erfahren, was Mornington-Sahib in Bassein ausgehandelt hat?«

Montstuarts junges, sonnengebräuntes Gesicht wurde rot vor Verlegenheit. »So kann man’s auch interpretieren. Arthurs Verhältnis zu seinem ehrenwerten Bruder ist ...«

Lutuf schlug Elphinstone herzhaft auf die Schulter und lachte laut auf. »Im besten Falle frostig. Ganz Indien scheint es zu wissen. Übrigens, es geht das Gerücht, ihr hättet einen Generalmajor für das Kommando in Mysore bekommen, obwohl man mir zugetragen hat, jemand würde hier sehr laut verkünden, solche Schnösel seien überflüssig in eurem kleinen Reich.«

»Er hat sich noch nicht von diesem Schock erholt, Baba. Die Schulterstücke hat Miss Seward ihm erst heute mit sanfter Gewalt angenäht, und er hat’s nur über sich ergehen lassen, weil Du Sir Edwin mitbringst. Wo ist der eigentlich?«

»Bedi, die Mission ist delikat, die Sache geheim ... Sir Edwin muss sich erst den Walnusssaft aus dem Gesicht waschen und wieder europäische Kleider überziehen. Er hat es vorgezogen, in Landestracht zu reisen, denn meine Karawane ist durch Marattha-Land gezogen.« »Du machst es spannend, Lutuf!«

»Warte ab, Bedi! So, jetzt lasse mein Weib ihren Augapfel begrüßen, oder ich werde mir heute Nacht schlimmes Gezeter und Geschimpfe anhören müssen.« Der Paschtune gab seiner Frau einen liebevollen Klaps und schickte sie zu Barrak.

Arthur Wellesley befreite sich mit einiger Mühe von den Kindern und ihrem vierbeinigen Spielgefährten Jack, um Lutuf zu begrüßen. »Gebt mir fünf Minuten, ihr kleinen Racker!« versuchte er gutmütig, sie zu verscheuchen. »Habt Mitleid mit einem alten Mann!«

Salabuth überhörte die Aufforderung geschickt, denn Lutufs beeindruckendes Äußeres faszinierte ihn. Er schlich sich hinter Arthur an den Afghanen heran und fingerte begeistert an dessen großem, edelsteingeschmücktem »tulwar« herum.

»Hast du schon viele Männer besiegt? Erzählst du mir von euren Kriegszügen?« drängte der Junge auf Persisch, ohne sich um die Erwachsenen zu kümmern. »Barrak hat versprochen, dass du alles erzählst, wenn du kommst!«

Lutuf strich dem Kleinen über die schwarzen Haare und schmunzelte Arthur an. »Deiner?«

»Meiner!« antwortete der Ire. Ein trauriger Schleier legte sich über seine Augen. Wenn Dhoondia Wao nicht gewesen wäre, hätte er heute vielleicht voller Stolz Charlottes und seinen Sohn oder ihre kleine Tochter präsentieren dürfen.

Der Paschtune umarmte ihn fest. »Arthur, du musst eines Tages darüber hinwegkommen«, flüsterte er ihm ins Ohr. »Du kannst nicht dein ganzes Leben mit den Toten verbringen. Wenn es Allahs Wille ist, dann ruft er dich zu sich, und du wirst Charlotte und dein Kleines im Paradies wiedersehen. Allah u akkbar – Allah ist allmächtig, und in seiner unendlichen Weisheit hat er dir ein anderes Schicksal bestimmt.« Er blickte nachdenklich Salabuth an. »Es gehört viel Mut dazu, den Sohn seines Feindes großzuziehen.«

Wellesley befreite Lutufs »tulwar« mit geübten Händen von dem kleinen, neugierigen Quälgeist. Dann nahm er ihn in die Arme. »Es gehört auch viel Mut dazu, dem Mann zu vertrauen, der deinen Vater erschlagen hat.«

»Ihr >inglis< seid sonderbare Menschen! Ihr führt Krieg, obwohl ihr nicht hasst. Wieso dann?«

Sir Edwin Hall war inzwischen sauber und in europäischer Kleidung in den überfüllten Speisesaal gekommen. Trotz seines Alters hatte er scharfe Ohren. Er nahm Wellesley die Antwort ab. »Wir sind ein kleines Land, umgeben von einem wilden Meer, Lutuf! Und wir haben Männer wie den Marquis von Mornington, die ihre Blicke weit in die Zukunft richten ...«

Als der Name seines Bruders fiel, verzog Arthur den Mund. Sir Edwin schüttelte den Kopf. Er hatte dem Jungen bestimmt schon hundertmal geschrieben, dass er lernen müsse, Gefühle zu unterdrücken. Es konnte nicht so weitergehen, dass er seinen Bruder Mornington mit dem Generalgouverneur Mornington in einen Topf warf. Man konnte dem Marquis berechtigterweise auf menschlicher Ebene Vorwürfe machen, doch seine Strategie für Großbritannien auf dem Subkontinent war brillant und sehr geschickt. Sie war vor allem erfolgreich ... Als er den Generalgouverneur zu den Verhandlungen in Bassein begleitet hatte, um nach dem Massaker von Poona einen Schutzvertrag mit Bajee Rao II. auszuhandeln, war ihm im Verlauf der zähen Gespräche klar geworden, welches Ziel Mornington verfolgte. Er wollte eine befriedete Marattha-Konföderation, welche die Oberherrschaft König Georgs akzeptierte; Großbritanniens politische Strukturen und das Rechtssystem sollten auf den Subkontinent übertragen werden; es sollte ein Allianzensystem entstehen, das der Ostindischen Kompanie das Monopol für die endlosen Gebiete von der Coramandel-Küste bis hinauf zum Himalaja garantierte. Und – nicht zu vergessen – Mornington dachte stets an den Hof von St. James.

Man munkelte, dass die Regierung Addington schwankte. Ein gelungener Streich gegen die Marattha, eine Verfünffachung des britischen Einflussgebiets ... dann winkte das Amt des Außenministers, vielleicht sogar des Premiers. Mornington wurde von brennendem Ehrgeiz angetrieben und scheute nicht davor zurück, seinen Bruder Arthur erbarmungslos auszunutzen. Eine der Grundlagen für die britischen Vorbereitungen der Gespräche von Bassein war Arthurs genaue und tiefgründige Analyse des Herzstücks Indiens gewesen, die von dem jungen Offizier vor knapp einem Jahr mit dem Gedanken verfasst worden war, Fort William zu einer weniger aggressiven Politik zu bewegen. Sir Edwin nahm sich vor, unter vier Augen ein paar ernste Worte mit Arthur zu wechseln.

Lakshmi hatte ein langes, erfrischendes Bad genommen. Nun saß sie bequem auf einem weichen Kissen, während eines ihrer Mädchen geschickt ihr rabenschwarzes Haar bürstete und ölte. Lakshmi war nach der Aburteilung von Saxon, Mandeville und Macintire und nach Dodds spektakulärer Flucht über die Grenze des Maharastra heilfroh gewesen, dass ihr schmieriger Geschäftspartner John Shee sich nicht mehr in ihrem feinen Hurenhaus blicken ließ.

Genauso wie General Wellesley, der Gouverneur von Mysore, überall Augen und Ohren hatte, verfügte auch Lakshmi über Zuträger. Einer ihrer treuesten einheimischen Kunden, ein reicher und ausgesprochen fetter, parfümierter Tamile, der mit Seidenstoffen handelte und die britischen Truppen ab und zu mit Tuch oder Leinen versorgte, hatte ihr anvertraut, dass im »Dowluth Baugh« so laut über sie gesprochen wurde, dass es sogar durch die Wände drang. Wellesley-Sahib schien Nachforschungen über ihre Person angestellt zu haben, und entgegen seiner sonstigen Gewohnheiten posaunte er es überall laut herum. Lakshmi war nicht dumm. Sie verstand diesen diskreten Wink des britischen Offiziers: Ich habe nichts gegen dich in der Hand, aber ich weiß über dich Bescheid! Beim nächsten falschen Schritt bezahlst du für deine Taten...

Was sie dabei verwirrte und zutiefst beunruhigte war die Tatsache, dass er ihr feines Hurenhaus weiterhin in Seringapatam duldete und seinen britischen und indischen Offizieren Besuche bei ihren Mädchen nicht untersagte. Hatte er Spitzel unter ihre Kunden gemischt? Wusste er weniger, als er vorgab? Versuchte er ihr eine Falle zu stellen, oder war sie ihm gleichgültig?

Lakshmis langes Haar wurde zu einem straffen Knoten im Nacken gelegt. Man parfümierte ihren Körper mit Patschuli-Öl. Eine Bedienstete trat mit einem Armvoll Kleidungsstücken ein. Lakshmis schwarze Augen glitten nachdenklich über die Auswahl kurzer Seiden-»cholis«. Sie wählte ein edles Stück mit großen, ineinander verschlungenen feuerroten Blumen. Warum befreite sie sich eigentlich nicht von Shee und schloss auf diesem Weg Waffenstillstand mit der Regierung von Mysore? Sie hatte viel Geld mit dem Diebesgut aus dem Arsenal gemacht, ihre Geschäfte in Seringapatam liefen prächtig ... Während Lakshmi einen dunkelgrünen, schweren Sari mit einer zart gestickten Bordüre aus Blumen und Kolibris auswählte, beschloss sie, ihrem fetten Stoffhändler Damodar Ratha für seinen nächsten Ausflug in den »Dowluth Baugh« einen Brief anzuvertrauen.

Der Raum war verqualmt und dämmrig. Nur über dem Tisch in der Ecke brannte noch eine Lampe. Halb verborgen hinter einem großen Bierfass saß ein einsamer Gast. Vor ihm standen eine leere und eine halbvolle Brandyflasche.

Major John Shee hatte den ganzen Tag keinen Bissen heruntergebracht. Seit Wellesley ihm das 33. Regiment weggenommen hatte, verbrachte er seine Zeit damit, unter dem verächtlichen Blick des Generals administrativen Kleinkram zu erledigen, den jeder des Schreibens kundige gemeine Soldat auch abarbeiten konnte. Doch Wellesley, der irische Buchhalter, hatte Shees elender Beschäftigung einen klangvollen Namen gegeben und damit pro forma die Spielregeln eingehalten, die es erlaubten, dass Gore das Regiment übernahm. Draußen in Brindavan gab es keinen ranghöheren Offizier mehr. Obwohl Wellesley bis zum Hals mit Arbeit zugeschüttet war, schien es ihm nicht an der Zeit zu fehlen, Shee hingebungsvoll zu tyrannisieren. Immer wieder provozierte der General Augenblicke trauter Zweisamkeit, weitab von den anderen. Immer wieder behandelte er den Major mit einer solchen Arroganz, dass jeder normale Offizier – Vorgesetzter hin, Vorgesetzter her – bereits zur Waffe gegriffen hätte, um Genugtuung zu fordern. Shee konnte nachvollziehen, dass der junge General ihn zu demütigen versuchte, doch er fraß alles voller Hass in sich hinein. Er spürte instinktiv, dass Wellesley darauf wartete, dass er den Degen zog. Seit Wellesley aus Gores und Elphinstones Mund detailliert das Ausmaß von Shees Schreckensherrschaft über das 33. Regiment vernommen hatte, war klar, dass er ihn endgültig loswerden wollte.

Doch der Anstand ließ es nicht zu, dass ein Ranghöherer den Untergebenen forderte. Wellesley war viel zu sehr auf seine Ehre bedacht, um diese Grenze zu überschreiten und ihm an irgendeinem verschwiegenen Ort im Schutze der Nacht die Kehle durchzuschneiden, um dann zu behaupten, Shee hätte ihn angegriffen ...

Vor wenigen Jahren noch hatte er Wellesley gar nicht ernstgenommen und sich einen feuchten Kehricht um ihn geschert, doch seit er gesehen hatte, zu welch kaltblütigem Handeln der Kleine fähig war und wie ungerührt er Männer hinrichten ließ – oder sie selbst tötete –, hatte John Shee geradezu panische Angst vor seinem Vorgesetzten. Als Shee die erste Flasche geleert hatte, war sein Entschluss gefasst: Er würde es Dodd gleichtun und die Grenze zum Maharastra überschreiten. Mit der zweiten Flasche trank er sich den Mut an, seinen Entschluss in die Tat umzusetzen. Doch bevor er verschwinden konnte, musste er ein letztes Mal Lakshmi besuchen und seinen Anteil des Gewinnes aus ihren gemeinsamen Geschäften abkassieren.

Mary Seward schnaufte energisch und laut, um sich General Wellesleys Aufmerksamkeit zu verschaffen. Es war fast schon Mitternacht, und der kleine Salabuth gehörte ins Bett, nicht in eine fröhliche Männerrunde, die um eine große Flasche Whisky versammelt saß.

Arthur stellte seine Kaffeetasse auf den Tisch und musterte Mary Seward mit einem schiefen Lächeln. Charlotte hatte die Kleine gern gehabt. Er hatte sie aus Gewohnheit bei sich behalten, obwohl er eigentlich niemanden brauchte und Vingetty völlig ausreichte, um die paar Hemden und die drei Uniformjacken sauber zu halten, die er besaß. »General, der Junge muss ins Bett!« sagte Mary. Seit sie ihre Angst vor Wellesley verloren hatte, herrschte zwischen den beiden ein liebevoll-rauer Umgangston.

Arthur seufzte ergeben und schlug die Augen nieder. »Miss Seward hat gesprochen, mein kleiner Salabuth! Also bleibt uns allen nichts anderes übrig, als ihr brav zu gehorchen. Du und Jack, ihr verschwindet jetzt!« Er gab dem Jungen einen Kuss auf die Stirn und knuddelte das Hündchen, das vergnügt mit dem Schwanz wedelte.

Hilfesuchend richtete Salabuth seinen Blick auf Barrak und Lutuf Ullah. Der Paschtune war gerade dabei gewesen, eine alte Geschichte zum Besten zu geben, und der Junge hatte hingebungsvoll zugehört. Doch weder Barrak noch Lutuf ergriffen Partei für ihn, und Arthur sah auch nicht wie ein rettender Engel aus. Also nahm der Junge das Hündchen und trottete mit hängendem Kopf zu Mary. »Morgen musst du mir aber das Ende erzählen«, rief er Lutuf auf Persisch zu. »General, ich hätte es beinahe vergessen.« Mary Seward trat noch einmal zu Wellesley. »Ein Händler hat John diesen Brief für Sie übergeben. Zuerst wollte John ihn nicht annehmen, denn der Tamile hätte ja direkt um einen Gesprächstermin bei Ihnen bitten können, aber dann hat er sich gedacht« – ihre grünen Augen streiften kurz Barrak und Montstuart – »dass es vielleicht einer der Korrespondenten von Mister Ullah oder Mister Elphinstone sein könnte.«

Arthur nahm der jungen Frau das Schriftstück ab. »Hat der Tamile irgendwas gesagt?«

»Nur dass man ihn gebeten habe, den Brief bis in den »Dowluth Baugh« mitzunehmen, wenn er sein Tuch für die Regimenter abliefert.« Mary machte einen Knicks vor den Anwesenden; dann nahm sie Salabuth an der Hand und verschwand von der Terrasse.

Wellesley erbrach das Siegel und überflog den Text. Er war in einem grauenvollen Englisch verfasst, aber durchaus verständlich. Seine Miene verfinsterte sich.

»Schlechte Nachrichten?« Sir Edwin Hall schenkte sich Whisky nach. Elphinstone und Barrak ben Ullah beobachteten Wellesley ohne ein Zeichen der Ungeduld. Lutuf kratzte sich zufrieden den roten Bart. Stoffhändler waren geschwätzig und immer gut dafür, Gerüchte in Umlauf zu setzen oder Unruhe zu stiften. Der fette, parfümierte Damodar Ratha machte da keine Ausnahme.

»Endlich!« seufzte Arthur und reichte Lakshmis Schreiben an Elphinstone weiter.

»Klär mich bitte auf, mein Junge.« Sir Edwin hasste es, einer Unterhaltung nicht folgen zu können. Jedes Mal, wenn Barrak, Montstuart und Arthur miteinander tuschelten, hatte er das Gefühl, den undurchsichtigen Ritualen einer Geheimgesellschaft beizuwohnen. »Ein fauler Apfel in meinem Regiment, Edwin! Es hat nichts mit Morningtons glorreichen Plänen für unseren geliebten König und >John Company< zu tun«, flachste der Ire. »Der Mann hatte seine Finger in dieser schmierigen Unterschlagungsgeschichte im Arsenal. Wir hatten keine Beweise, und ich konnte ihn nicht loswerden ... da hatte Barrak die Idee, ihm eine kleine Falle zu stellen. Es ist ziemlich kompliziert ...«

In der Nacht fuhr Shee auf. Er wollte nach der Brandyflasche greifen, die draußen in Brindavan stets auf seinem Nachttisch stand; stattdessen geriet seine Hand in ein feines Netz und Shee wusste wieder, wo er war. Er setzte sich mit schmerzendem Kopf auf und schob den Stoff zur Seite. Das Mädchen neben ihm atmete tief. Es war ein günstiger Augenblick, um sich aus Lakshmis Hurenhaus zu schleichen und weit fortzureiten. Der Gedanke an seinen prall gefüllten Geldbeutel und ein neues Leben weitab der britischen Armee und dieses tyrannischen Buchhalters Wellesley war verlockend.

Schon wollte Shee den Fuß auf den Boden setzen, als der kleine Hintern neben ihm sich bewegte. Zwei Arme umschlangen ihn und zogen ihn zurück in die Kissen. Als er das nächste Mal erwachte, erfüllten eine sanfte Helligkeit und die zarten Pastelltöne eines Frühlingsmorgens im Herzen Indiens den Raum. In der Magnolie vor dem Fenster sangen Vögel. Die Zweige, in denen der Wind spielte, bewegten sich leicht auf und ab.

Diesmal hielt der hübsche kleine Hintern Shee nicht zurück, als er aufstand. Bevor er in sein schmutziges Hemd fuhr, verfluchte er seine Dummheit, die letzte Nacht nicht für die Flucht aus Mysore genutzt zu haben. Er wusste nicht, wann Wellesley ihn wieder für ein paar Stunden von der Leine lassen würde, und er glaubte nicht, dass er der Tyrannei des Iren noch lange standhalten konnte. Das Mädchen im Bett rollte sich zufrieden in die Leintücher und drehte ihm den Rücken zu.

Als Shee die Tür hinter sich schloss, ging ein leichtes Lächeln über ihr Gesicht. Der brutale Mistkerl würde sich wundern! Sie bedauerte, dass sie dem Spektakel nicht beiwohnen durfte, aber Lakshmi hatte ihr streng aufgetragen, Shee bis zum Morgengrauen im Bett zu halten und dann dort zu bleiben, um keinen Verdacht zu erwecken. Der Gouverneur von Mysore hatte sein Wort gegeben: All ihre Sünden und Missetaten der Vergangenheit waren vergeben und vergessen. Sie musste ihren Anteil aus den Unterschlagungen im Arsenal nicht zurückgeben und durfte ihr Hurenhaus weiter betreiben, wenn sie in Zukunft ordentlich ihre Steuern zahlte und den Behörden nicht mehr ins Auge fiel.

Er war an der Tür stehengeblieben, und sie ließ sich Zeit, ihn eingehend zu betrachten. In seinem schmalen, braungebrannten Gesicht konnte sie weder wilde Entschlossenheit noch Hass lesen. Er war allein gekommen, als sie die Nachricht in den »Dowluth Baugh« geschickt hatte. Während ihr Mädchen Shee im Bett beschäftigte, hatten sie lange miteinander gesprochen. Lakshmi beherrschte die englische Sprache, doch General Wellesley schien es vorzuziehen, sich mit den Einheimischen auf Hindustani zu unterhalten.

Für einen »inglis« sprach er ausgezeichnet und verfügte über einen reichen Wortschatz. Obwohl er Lakshmi sehr genau spüren ließ, wieviel er über sie wusste, war er doch höflich, beinahe freundlich. Sie wunderte sich, dass er nicht versucht hatte, sie zu brüskieren oder zu erpressen – oder einfach auf sein Versprechen der Straffreiheit zu pfeifen, wo er ihre schriftliche Aussage gegen Shee in der Hand hatte.

»Was wird mit ihm geschehen, General? « fragte sie schließlich.

»Es gibt Gesetze, Madam! Sie haben ausgesagt, und ich habe einen Augenzeugen. Shee wird vor ein Kriegsgericht gestellt und verurteilt.« Doch Arthur hoffte, dass Shee es gar nicht erst dazu kommen ließ. Der Major war direkt oder indirekt für den Tod von dreißig guten Männern des 33. Regiments verantwortlich. Es hatte Arthur Wochen gekostet, den Arzt und ein paar Soldaten zurückzuholen, indem er in halb Indien verbreiten ließ, dass er ihre verzweifelte Flucht nicht als Desertion betrachtete. Für diejenigen, die ungerechtfertigter Weise die Zeichnung der Neunschwänzigen auf dem Rücken trugen, konnte er nicht viel mehr tun, als sie fühlen zu lassen, wie leid es ihm tat. Es wäre nicht akzeptabel gewesen, hätte er – als General – wegen einer Bestrafung auch nur ein Wort mit einem gemeinen Soldaten gewechselt. Die Dienstvorschriften der britischen Armee sahen es nicht vor, dass ein Offizier sich bei einem Soldaten entschuldigte.

Arthur drehte an dem dünnen silbernen Reif an seinem rechten Handgelenk – wie immer, wenn er über Dinge nachdenken musste, für die er eine tiefgreifende Antwort suchte. Irgendwie hoffte er, Charlotte würde ihm raten, was er mit Shee machen sollte. Schwere Schritte waren auf der Treppe aus dem Obergeschoß zu hören.

Bereits als die Zimmertür ins Schloss gefallen war, hatte sich sein Magen zusammengekrampft. Shees Gesicht war fahl, und die Haut besaß den Glanz eines polierten Steins. Nur in den dunklen Augen war Leben. Arthur las den ganzen Hass und die ganze Angst darin, die sich über Monate in Shee aufgestaut hatten und die durch sein unerwartetes Auftauchen in Lakshmis Hurenhaus noch verstärkt wurden. Shees Blick glitt von Lakshmi zu Arthur, und das Flackern in den Augen wurde immer heftiger. Sah Shee vielleicht den Moment vor sich, in dem das Kriegsgericht sein Urteil verkündete und man ihn mit verbundenen Augen vor zwölf auf ihn gerichtete Gewehre führte? Eine Falte erschien auf der Stirn des Majors. Wellesley sah eine bläuliche, klopfende Ader an der rechten Schläfe des Mannes. Shee trat einen Schritt zurück, seine Hand zuckte. Es bedurfte keiner Worte des Generals, um klarzumachen, welchen Zweck sein frühmorgendlicher Besuch in einem verrufenen Hurenhaus am Rand der Wälle von Seringapatam hatte.

Sein Leben war zerstört. Der Major wusste es. Es gab keinen Ausweg.

»Sie werden mir nicht das Fell über die Ohren ziehen, Sie verdammter Teufel.« Shees Stimme war hasserfüllt. »Seit dem Tag, an dem Sie zum Regiment gekommen sind, wollen Sie meinen Untergang.« Die Hand zuckte immer wilder, während er Stück um Stück in Richtung Treppe zurückwich. Er fühlte sich wie ein Tier, das in eine Falle geraten war, und er glaubte in Arthur Wellesleys ruhigen, graublauen Augen die Genugtuung des erfolgreichen Jägers zu lesen.

Der General rührte sich nicht. Seine Arme waren über der breiten Brust verschränkt. Er war völlig entspannt und gelassen. Shee hatte ihn schon oft in diesem Zustand erlebt: immer dann, wenn er einem Feind entgegentrat und die Absicht hatte, ihn gnadenlos zu zerbrechen. Shee wandte einen kurzen Augenblick den Kopf. Es gab keine Fluchtmöglichkeit aus Lakshmis Hurenhaus. Die Treppe führte hinauf in die Zimmer; vor der Tür in den Garten stand eine große Schranktruhe, und den Schritt in die Freiheit versperrte sein Kommandeur.

Wellesley sagte nichts. Sein Schweigen war Antwort auf alle Fragen, die John Shee sich über seine Zukunft stellte.

Shees zuckende Hand hatte die Blankwaffe an seiner Hüfte endlich gefunden. Doch der Mann, der ihm gegenüberstand, reagierte nicht. »Warum, Sir?« hörte Shee die emotionslose Stimme Wellesleys. Selbst in diesem Augenblick schien der Kerl nicht in der Lage zu sein, seine guten Manieren und seinen grenzenlosen Gleichmut abzulegen.

»Verdammte Bande von verzogenen, arroganten Adelssprösslingen!« stieß Shee hervor. »Was wisst ihr schon, was uns einfachen Leuten in dieser verdammten Armee aufgezwungen wird! Zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel ... das bekommen wir von diesem verdammten König, obwohl wir unsere Haut für ihn riskieren. Halbe Kinder dürfen uns herumkommandieren, nur weil ihre Väter irgendeinen verdammten Titel tragen, und wenn wir alt und lahm sind, bleibt uns außer einer erbärmlichen Pension bloß die Hoffnung, dass einer von euch gerade einen Erzieher für seine Brut sucht oder einen Verwalter für eines seiner Güter.«

Shee wollte sich plötzlich vor Wellesley rechtfertigen, wollte seine Haut retten, indem er an etwas appellierte, von dem er wusste, dass es in Arthur existierte, seit sie in Flandern gekämpft hatten: Der Kleine hatte ein weiches Herz und war gutmütig, obwohl er allen seine Komödie von der eisernen Hand vorspielte. Burschen, die irgendeinem stinkenden Rotrock ihre Wasserflasche reichten oder die Bälger ihrer Feinde aufsammelten, um sie großzuziehen, konnte man mit der weinerlichen Tour immer um den Finger wickeln. Sie waren zu dumm, um einen Halunken einen Halunken zu nennen.

Arthur lächelte den Major an. »Natürlich, Sie hatten allen Grund, die Armee zu bestehlen. Ich kann Sie verstehen, Major. Ihr Leben war an dem Tag zerstört, als Sie als Sohn Ihres Vaters zur Welt kamen. Ihr Weg war vorgezeichnet. Sie mussten sich einfach nehmen, was Ihnen zustand, weil Ihr alter Herr nicht daran gedacht hatte, Ihnen einen hübschen Titel und ein paar hundert Acker Land zu hinterlassen. Natürlich war es dabei unabdingbar, dass Sie eine Handvoll unnützer Saufköpfe im roten Rock zu Tode geprügelt haben. Zählt ja nicht viel, so ein roter Rock. Kann nicht lesen, kann nicht schreiben, bringt seinen Tag mit Faulenzen zu und schlägt sich die Nächte mit Huren um die Ohren ... nichts als der Abschaum dieser Erde.«

Die Stimme war freundlich, beinahe sanft. Shee lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Lakshmi hatte sich von ihrem Stuhl erhoben und war wie ein Geist aus dem Haus verschwunden.

»Dass Sie das Arsenal bestohlen haben, Shee, dass Sie geholfen haben, gegnerische Truppen mit unseren Waffen auszurüsten ...« Die Stimme des Generals war immer noch ruhig und freundlich, doch in seinen graublauen Augen flackerte es. »Sie haben sich an meinen Männern vergriffen. Sie haben meine Männer um ihren verdienten Sold betrogen. Sie haben sie gedemütigt und ohne Grund bestraft ... Shee, das einzige, was in einer Armee zählt, sind diese Halunken im roten Rock. Sie und ich, wir sind nichts ohne die Männer. Ich werde Sie persönlich vors Kriegsgericht zerren. Man wird Sie verurteilen, und ich werde Ihnen die Epauletten eigenhändig von der Schulter reißen und Ihren Säbel zerbrechen. Ich werde dafür sorgen, dass jeder der zwölf Halunken, denen Sie in Kürze in die Augen schauen werden, eine Kugel in seinem Lauf hat und einen Grund, auf Sie anzulegen.« Wellesleys Stimme war immer noch ruhig, freundlich und gelassen, aber in seinen Augen blitzte inzwischen der blanke Hass. Shee wich ein letztes Mal zurück. Er spürte das warme Holz des Treppengeländers in seinem Rücken. Das schmutzige Leinen des abgetragenen Hemdes klebte auf seiner schweißnassen Haut. Zwei Seelen kämpften in seiner Brust einen verzweifelten Kampf: Die Stimme der Hoffnung gebot ihm, die Hand von der Waffe zu nehmen und aufzugeben. Oberst Saxon war mit einem blauen Auge davongekommen, obwohl Wellesley lauthals geschrien hatte, er würde dem alten Trottel den Kopf abreißen ... Die Stimme der Vernunft sagte Shee, dass er zu lange schon zu weit gegangen war. Die Diebstähle hätte der General verziehen. Die Toten des 33. Regiments konnte Wellesley nicht verzeihen. Der Augenblick war gekommen, an dem er einen Strich unter sein jämmerliches Leben ziehen und ein einziges Mal wie ein Offizier und Gentleman zu seinen Taten stehen musste.

Arthur schüttelte nur kurz den Kopf, als Shee den Degen zog, dann bohrte sich sein schwerer »tulwar« in die Eingeweide des Majors, und warmes Blut floss über seine Rechte. Einen kurzen Augenblick hatte er den Gegner nicht töten wollen, doch dann hatte die Vernunft gesiegt. Das 33. Regiment würde bald schon ins Feld ziehen, um zu kämpfen. Das einzige, was je zwischen ihm und den 700 Halunken im roten Rock gestanden und ihre Vertrautheit gestört hatte, war dieser Mann gewesen.

Shee existierte nicht mehr. Shee würde nie wieder einen braven Burschen quälen. Sein Regiment konnte nun in den Krieg ziehen. Wellesley zog die Klinge aus Shees Leib und wischte sie an dessen schmutziger Uniformjacke ab. Charlottes Geist tadelte ihn leise für das, was er gerade getan hatte, doch entgegen seiner sonstigen Gewohnheit zischte er dem Schatten zu: »Verschwinde, kleine Lady! Misch dich nicht in Dinge ein, die du nie verstehen wirst!« Dann verließ er Lakshmis verrufenes Haus. Ihm war leicht ums Herz.

»Bajee Rao II. hat den Schutzvertrag akzeptiert!« Sir Edwin Hall legte die Kopie des Textes auf das riesige Möbelstück, das dem »Dewan« des Rajahs von Mysore als Schreibtisch diente. »Aber die Verhandlungen waren zäh. Nur der Fall von Poona und der Verlust seines Thrones haben ihn zu einem Abkommen mit dem Generalgouverneur bewegt.«

»In diesem Augenblick ist der Peshwa nicht mehr als ein Flüchtling, der auf den Schutz der britischen Krone angewiesen ist«, bemerkte Purneah nachdenklich. »Ein Schutzvertrag – aber es gibt nichts zu schützen. Zahlungen an die Ostindische Kompanie für eine Armee, die kein Gebiet mehr zu verteidigen hat. Seit dem Fall von Poona gibt es erhebliche Sicherheitsprobleme an den Grenzen von Mysore ...«

Arthur Wellesley hörte schweigend zu, während Sir Edwin und der »Dewan« diskutierten. Neben ihm hatten Elphinstone und Barclay Platz genommen. Sie hatten die letzte Nacht gemeinsam über den Karten verbracht und Stapel von Agentenberichten durchforstet, um eine Antwort auf die alles entscheidende Frage zu bekommen: War es möglich, Bajee Rao II. mittels einer 6000 Mann starken Armee zurück auf den Thron von Poona zu befördern?

Arthur hatte die Frage verneint, denn Dowluth Rao Scindia, der Maharadscha von Gwalior und Ragojee Bhoonslah, der Rajah von Nagpor, konnten 50000 Mann gegen sie schicken und verfügten über einen ausgezeichneten Geschützpark. Sollte sich noch Jeswant Rao Holkar, der Maharadscha von Indore, anschließen, standen ihnen plötzlich mehr als 100000 Gegner gegenüber. Arthur wollte verhandeln und Holkar treffen, mit dem er sich schon mehr als einmal vernünftig geeinigt hatte ... John Malcolm, der Resident von »John Company« in Poona, hatte ihm geschrieben und bestärkte ihn in dieser Auffassung. Obwohl Holkar den Peshwa geschlagen hatte, hatte er Barry Close höflich darum gebeten, weiterhin als britischer Resident in der Hauptstadt zu verweilen. Arthur hatte nicht den Wunsch, die unabhängigen Herrscher zu vernichten, wie Mornington es plante. Ihm war lediglich daran gelegen, ihre Regierungen so zu beeinflussen, dass sie friedlich wurden, Mysores Grenzen respektierten und verantwortungsvoll handelten.

Mornington kannte seine Position. Er hatte dafür gesorgt, dass über Sir Alured Clarke ein Papier den Weg in den Palast des Generalgouverneurs fand. Natürlich hatte Richard ihm auf ähnlich indirektem Weg eine gesalzene Abfuhr erteilt: Mit seinem Generalspatent war ein Schreiben von Stuart nach Seringapatam geflattert. Der Befehl des Gouverneurs von Madras, Lord Clive, ließ keine Fragen offen. Richard war wie immer ein glänzender Taktiker: Er hatte sich Stuarts und Clives bedient, um Hand an seinen Bruder zu legen. Er musste gespürt haben, dass Arthur nach der Trincomale-Affäre durchaus in der Lage gewesen wäre, sich auf eine langatmige Diskussion mit Fort William einzulassen. Diesen Weg hatte man ihm nun versperrt, denn man wusste, dass er weder Clive noch Stuart in eine peinliche Lage manövrieren würde. Stuart hatte Arthur immer geschätzt, hatte ihm sein Vertrauen geschenkt, hatte seine Ernennung zum General durchgeboxt, ihn in den Generalstab von Madras geholt ... Mornington wusste, dass sein kleiner Bruder eine große Qualität besaß: Er war loyal und unfähig, um eines eigenen Ränkespiels willen einem Offizierskameraden in den Rücken zu fallen. Sogar mit dem unmöglichen Davie Baird vermochte er in Freundschaft zu leben. Unzählige lange Briefe über die Lage in Indien hatten ihren Weg in der diplomatischen Post bis nach Ägypten gefunden. Es war ein offenes Geheimnis, dass Davie und Arthur Frieden geschlossen hatten.

Arthur betrachtete Sir Edwin. Charlottes Vater war nicht nur deshalb aus Bassein nach Seringapatam gekommen, weil er ihr Grab besuchen und den trauernden, immer noch verzweifelten Verlobten seiner Tochter tröstend an die Brust drücken wollte: Sir Alured Clarke hatte ihn gebeten, seinem jungen, heißblütigen Offizier zu erklären, dass Mornington sich in den letzten fünf Jahren eine solche Macht angeeignet hatte, dass jeglicher Widerstand gegen seine expansive Politik sinnlos war. Nicht einmal der Unwille der Direktoren in der Leadenhall Street schüchterte ihn ein, obwohl er Clives und Hastings’ Schicksal vor Augen hatte.

Purneah nickte, als er den Vertragstext zu Ende gelesen hatte. »Natürlich werden wir alles tun, was in unserer Macht steht, um England zu unterstützen, Sir Edwin! Wenn der Nizam Truppen stellt, werden auch wir Truppen ins Feld schicken. Doch der Rajah hat eine Bedingung.« Ein Lächeln umspielte seine Mundwinkel, und die Augen blitzten vergnügt. »Er kommandiert unser Kontingent!« Sein schlanker Finger zeigte auf Arthur. »Und Bisnapah Pundit befehligt Krishnas Kavallerie!«

Wellesley schlug die Augen nieder. Elphinstone lachte schallend. Er kannte die Bedenken seines Freundes. Arthur quälte ihn seit Wochen, Spione in die unabhängigen Gebiete zu schicken und die Region entlang des Tombuddra auszukundschaften, während er ihm gleichzeitig mit seinem Gejammer über Morningtons Kriegstreiberei in den Ohren lag und über Barry Close eine Friedenstaube um die andere auf Holkar hetzte.

»Was wirst du Stuart und Clive antworten, mein Junge?«

»Der Befehl ist sehr vage, Edwin. Einerseits bin ich Soldat ... Er hat mir einen geradezu beunruhigend großen Handlungsspielraum eingeräumt für einen Generalmajor, den die Horse Guards nicht auf der britischen Liste bestätigt haben. Andererseits rede ich seit fast fünf Jahren mit den Maratthas. Man kann mit ihnen reden. Es ist nicht gut, sie in die Kniekehlen zu treten und ihnen die Zepter aus den Händen zu reißen. Goklah ... sogar Holkar ... im Grunde akzeptieren sie uns doch. Warum müssen wir zum Teufel noch mal versuchen, einen Mann zurück auf den Thron zu bringen, den keiner dort sehen will, seit sein Minister Nana Phadnis tot ist? Bajee ist jung, unvernünftig, beeinflussbar und biegsam wie ein Weidenzweig. Wer nur ein bisschen klüger ist als der Peshwa, der kann ihn lenken und leiten, wie es beliebt.« Arthur biss sich auf die Zunge. Er hatte eigentlich sagen wollen, dass sowohl Holkar als auch der Gaiwar von Baroda oder der Maharadscha von Gwalior genauso gut in Poona sitzen konnten wie Bajee, und sie würden die Sache mit den Regierungsgeschäften allemal besser machen als er. Doch ihm wurde plötzlich klar, dass er sein eigenes Urteil verkündet und Morningtons Plan laut und deutlich unterstützt hatte.

Aber genau das wollten sie: Einen Mann, der so leicht zu manipulieren war, dass sie in seinem Gebiet tun und lassen konnten, was sie wollten! Politiker zettelten Kriege an – Soldaten mussten sie beenden!

»Ja, ja, mein Junge. Der Generalgouverneur hat dein kluges Papier sorgfältig gelesen. Wir alle haben es gelesen – Mornington, Clive, Clarke, Stuart. Sogar mir hat man es in die Hand gedrückt, um festzustellen, ob dein Text für einen Schutzvertrag Hand und Fuß hat. Das war übrigens der einzige Punkt, der nicht durchgegangen wurde. Mornington meinte, er wolle kein Bündnis, sondern ein Gebiet für den König und die >Company<.«

»Ich hab’s gemerkt, Edwin! Ihr knöpft Bajee 260000 Pfund Sterling im Jahr ab, und wir riskieren unsere Haut. Wo soll ich sechstausend Mann für Poona finden? Ich kann sie nicht herzaubern, und ich habe nicht die Artillerie, die ihr dem Peshwa versprecht. Selbst wenn Purneah und der Nizam ihre Kräfte in die Waagschale werfen – was ich bezweifle. Der Nizam hat eine lange gemeinsame Grenze mit Scinde, und Purneah hat Holkar am Hals. Sie brauchen jedes ihrer Geschütze selbst.« Arthur kannte die Situation in Zentralindien inzwischen besser als die Landkarte Großbritanniens.

»Arthur, wenn du Clives Schreiben zu Ende gelesen hättest, dann wüsstest du, woher der Wind weht. Mornington und du, ihr seid zwei Dickköpfe ersten Ranges, doch dein Bruder hat etwas eingesehen, was du ihm vielleicht nicht zutraust: Wenn der Generalgouverneur dem

Oberkommandierenden von Madras freie Hand gibt, den Befehlshaber dieses Expeditionskorps zu ernennen und Stuart seit Monaten jeden britischen General aus dem Weg räumt, der auch nur fünf Minuten länger auf den Dienstlisten steht als du, dann heißt das, man will dich in Hurryhur sehen und nicht St. Leger oder Campbell oder Davie Baird, der übrigens auf dem Rückweg aus Ägypten ist!«

»Ich weiß. Davie hat mir geschrieben. Wie oft habe ich diesen Spruch eigentlich schon gehört, Edwin? Ich darf mit meinem Stab immer die Drecksarbeit machen ... Weißt du, wie groß allein der Tross dieses Expeditionskorps wird? Um einen Sechspfünder durch unwegsames Gebiet zu ziehen, braucht man zwölf Ochsen. Und um die Männer zu versorgen, benötigt man über den Daumen gepeilt allein dreißigtausend Pfund Salz. Und mein Vorgesetzter in Madras hat mir aufs Papier geschrieben, ich soll den Peshwa zurück auf den Thron setzen, ohne England in einen Krieg zu verwickeln. Wer würde mir das glauben, wenn ich mit knapp sechstausend Mann durch die Gegend ziehe? Wer lässt einen gerade erst beförderten Oberst, der halb so alt ist wie neunundneunzig Prozent seiner hohen Offizierskameraden, mit sechstausend Mann von der Leine?«

Arthurs Widerstand gegen das Kommando schwand mit jedem Augenblick. Während sein Herz noch heiß mit Sir Edwin Hall, den Befehlen aus Madras und der bitteren Erinnerung an Ceylon kämpfte, rechnete sein Verstand bereits eifrig Transportochsen, Futtermittel, Verpflegung und Pulver für das Expeditionskorps durch, und sein geistiges Auge inspizierte die Gegend zwischen der Grenze und dem Tombuddra, die er vor zwei Jahren auf dem Zug gegen Dhoondia genau kennengelernt hatte. Sie würden Boote brauchen und Pontons, um über die vielen Flüsse zu kommen. Natürlich war es kein Problem, sich mitten in der Regenzeit mit den Maratthas herumzuschlagen. Arthur war nun einunddreißig Jahre alt und Soldat mit Leib und Seele. Er war viel zu sehr in diesem aufregenden Spiel gefangen, um sich einen Feldzug entgehen zu lassen, auf dem er all seine Theorien, seine Erfahrungen, seine Kämpfe gegen Bullum, Wynaad und Soonda umsetzen konnte. Ein ruhiges Leben war noch nichts für ihn, und Mysore kam inzwischen auch ganz gut ohne ihn klar. Vielleicht war das Spiel ja den Einsatz wert. Ein vollständig befriedetes Zentralindien mit guten und gerechten Gesetzen für alle, egal ob sie weiß, grau, braun oder schwarz waren ... Und seit dieser langen Nacht, in der er sich mit Baird ausgesprochen hatte, fühlte er, dass er nun stark genug war, um für ein Kommando zu kämpfen und sich jedem entgegenzustellen, der es ihm wegnehmen wollte.

Niemand kannte die unabhängigen Gebiete besser als er. Niemand hatte je Armeen durch die Dschungellandschaften geführt und Männer über Flüsse ohne Brücken gesetzt. Niemand, seit den Tagen des großen Clive, hatte es fertiggebracht, die Versorgung im Feindesland so zu organisieren, dass alles seinen Weg dorthin fand, wo es gebraucht wurde – auf den Kriegsschauplatz.