Der Fluch von Azincourt Buch 2 - Peter Urban - E-Book

Der Fluch von Azincourt Buch 2 E-Book

Peter Urban

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  • Herausgeber: neobooks
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2014
Beschreibung

Als der französische König den Großmeister des Templerordens Jacques de Molay verhaften ließ, verschwand die Übersetzung eines uralten Manuskriptes aus dem Orient auf unerklärliche Art und Weise. Einhundert Jahre lang suchte eine geheimer Bund weiser Männer, die keine Religionen und keine Grenzen mehr anerkannten vergeblich nach ihr. Jetzt taucht sie unvermutet in den Händen des ehrwürdigen Notarius der Pariser Universität auf und Gerüchte gehen durch das vom Krieg gegen England erschütterte Land, dass Nicolas Flamel mit Hilfe seines Grimoarium den Stein der Weisen geschaffen und Blei in Gold verwandelt hat. Zwischen dem Orden von Santiago und dem skrupellosen, gefährlichen bretonischen Baron Jean de Craon kommt es zu einem erbitterten Wettlauf um den Besitz der Handschrift, die in sich ein größeres und gefährlicheres Geheimnis birgt, als die Umwandlung von Blei in Gold. Als ein leichtgläubiger, junger Alchimist in den Wirren des Falls von Paris die Übersetzung aus dem Grab von Nicolas Flamel stehlen kann und auf die Festung von Jean de Craon bringt, löst er damit unbedacht eine blutige Fehde zwischen zwei Männern aus, die beide nicht nur in der Lage sind ein Schwert zu führen, sondern auch die höheren Mächte beschwören. Gilles de Laval, Baron de Rais ist der reichste Mann der Bretagne, ein Vasall des Königs von Frankreich, reich, schön, hochgebildet und abgrundtief böse. Sévran de Carnac ist der Sohn des geheimnisvollen Herzogs von Cornouailles, einem winzigen Fürstentum am äußersten Zipfel der französischen Landmasse. Er wurde durch eine uralte Magie unter den Feuern der Mittsommernacht wieder zurück ins Leben geholt, nachdem er im Augenblick seiner Geburt nicht zu atmen vermochte. Er wurde in den uralten, von der Kirche verfemten Lehren der Druiden erzogen und besitzt die seltene Gabe des "Zweiten Gesichts".

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Seitenzahl: 289

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Peter Urban

Der Fluch von Azincourt Buch 2

Die Nebel von Bar'ch Hé Làn

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1 Der Orden von Santiago

Kapitel 2 Die Drei Welten des Marzhin

Kapitel 3 Diener der Finsternis

Kapitel 4 Die Beschwörung des Raben

Kapitel 5 Der Krieger

Impressum neobooks

Kapitel 1 Der Orden von Santiago

I

„Komm, Sévran. Es ist Zeit.“

Der junge Mann seufzte leise, dann erhob er sich von seinem Stein unter der Weide, um Aodrén zu folgen. Am Ufer des Aff blühten kleine, weiße Anemonen. Der Boden war bedeckt von frischem, neuem Gras, von Veilchen und von Waldmeister. Nur ein leiser Lufthauch drang durch die Blätter der Bäume und lies Blütenduft im warmen Wind verwehen. Der wirbelnde Schaum auf dem vom Frühlingsregen geschwollenen Bach sah aus, wie ein weißes Feengewand. Als er sich einen kurzen Augenblick von seinem Lehrer unbeobachtet glaubte, strich Sévran de Carnac sorgfältig das einfache rostbraune Gewand glatt, das er heute vielleicht zum letzten Mal tragen würde. Ein leises Lächeln umspielte seinen schmalen Mund und seine kohlrabenschwarzen Augen leuchteten. Hocherhobenen Hauptes schritt er auf den Steinkreis zu, in dem sie ihn erwarteten. Seine Schultern waren eckig und breit geworden und sein Körper war schlank und wohl bemuskelt. Trotzdem wirkte er auf den ersten Blick immer noch zierlich, wie ein Mädchen.

Sévran überragte seinen Lehrmeister Aodrén Jaouen Kréc’h Elis bereits um einen ganzen Kopf und an die Stelle eines schwächlichen, oftmals kränkelnden Kindes war im Verlauf der letzten drei Jahre im Heiligen Wald von Brocéliande ein zäher, sehniger und sehr selbstbewusster junger Mann getreten, der niemals müde zu werden schien. Als er sich schließlich vor den versammelten Drouiz leicht verbeugte, schenkten Konogan und Hegareg ihm ein aufmunterndes Lächeln. Lediglich Tugdual versuchte ernsthaft dreinzuschauen, doch so ganz gelang ihm die Übung nicht.

Der Sohn des Herzogs von Cornouailles spürte Zuversicht in sich aufsteigen: Unter der uralten Eiche, im Schatten und fast vor den Blicken der anderen verborgen saß Maod’ana. Sie musste sogar noch älter sein, als Aodrén. Üblicherweise bemühte die Bandrouiz sich nicht, wenn es lediglich darum ging zu entscheiden, ob einem jungen Mann das Recht zugesprochen wurde, den Titel eines Anruth zu führen, denn der Weg von Séna - der Ile de Sein- quer durch Cornouailles und Breizh war weit, gefährlich und beschwerlich. Es war eine große Ehre, der steinalten, von Sagen und Legenden umwobenen Hohepriesterin zu begegnen.

Maod'anas schlohweißes Haar verbarg ihr Gesicht, wie ein Schleier. Sie stützte ihre faltige, wettergegerbte Rechte auf die Schulter von Berc’hed, die eines Tages an ihre Stelle treten würde, wenn die Götter beschlossen, die Bandrouiz in die weiße Welt nach Tir na ù Ban zu rufen. Hinter den beiden Frauen stand noch eine Dritte im Schatten der Eiche. Sévran konnte aus der Entfernung ihr Gesicht nicht erkennen und sie schien ihm mehr Schatten, als Wirklichkeit. Im Gegensatz zu Maod’ana und Berc’hed war sie in dunkle Gewänder gehüllt und trug ihr schwarzes, hüftlanges Haar offen. Alles hatte den Anschein, als ob man ihn heute mehr einer Formalität, als einer echten Prüfung unterziehen wollte.

Er spürte, wie Aodrén ihm sanft die Hand auf die Schulter legte. Ohne Worte schien sein Lehrer ihm mitzuteilen, dass alles gut sein würde, am Ende dieses langen Tages. Der junge Mann blickte den Weiße Brüdern, die am Steinring im Hochwald von Brocéliande versammelt waren, um ihr Urteil über ihn zu sprechen fest in die Augen. Er brauchte sich nicht vor ihnen zu fürchten.

Als die feinen Morgennebel zerrissen und eine strahlende Sonne durch das Blätterwerk auf die Gruppe im Steinkreis fiel, hatte Sévran bereits das Schlimmste hinter sich: Aodrén hatte ihn immer dazu antreiben müssen, sich mit den Gesetzen zu beschäftigen und ihre Geschichte auswendig zu lernen.

Als Kind, als er sich noch gequält hatte, eine um die andere die fünf ersten Stufen der Weisheit zu erringen, da war ihm dieses Wissen verglichen mit den Abenteuern der Natur, den Geheimnissen der Gestirne, der Lehre von den Göttern und ihren Kräften und der Präzision der Mathematik immer wie schmückendes Beiwerk vorgekommen, obwohl er niemals den Zauber der Verse geleugnet hatte. Doch in diesem Augenblick, als Tugdual die Arme ausbreitete und der junge Mann im Zentrum des Steinrings auf die Knie fiel, um die Anerkennung der Drouiz für diesen Teil seiner Prüfung zu empfangen, sprach er die traditionellen Worte voller Stolz.

„ Ich weiß, warum die Erle purpurfarben ist,

warum der Hänfling grün ist,

warum die Zweige rot sind,

warum eine Frau nie zur Ruhe kommt,

warum die Nacht hereinbricht...

Ich weiß,

dass der Fuß des weißen Schwanzes schwarz ist,

ich weiß, dass die spitze Lanze vier Kanten hat,

ich weiß, dass das Geschlecht der Himmel

niemals untergehen wird,

aber ihr Endzweck ist mir unbekannt.

Ich kenne die Fährten der Eber und der Hirsche,

ich weiß, welch unendliche Macht

in den Gezeiten des Meeres schlummert,

aber niemand weiß, warum das Herz der Sonne rot ist.“

Tugdual bedeutete Konogan, dessen Fähigkeiten in der Medizin und den Wissenschaften über die Natur die aller anderen Drouiz im heiligen Wald von Brocéliande übertraf, das der Prüfling nun ihm gehörte.

Sévran warf einen Blick zu Aodrén hinüber, der inzwischen im Kreis der anderen Weisen saß. Er bemerkte, wie lebhaft und aufgeregt sein Lehrer war. Der alte Mann reckte sich, um jede Einzelheit der Prüfung mitzubekommen, die Konogan vorbereitet hatte und seine Augen glitzerten. Aodrén hatte vor endlos langer Zeit einmal selbst hier in diesem Steinring gestanden, um als Drouiz Meur über einen jüngeren Konogan zu urteilen, bevor er schließlich endgültig den heiligen Wald von Brocéliande verlassen hatte, um nur noch den Herzögen von Cornouailles zu dienen.

„Der Ollamh erscheint mir heute um Vieles nervöser, als sein Schüler“, schmunzelte Konogan, bevor er Sévran die erste Frage in lateinischer Sprache stellte. „An ergo alia, melior et mollior, reperta? Et quae illa, Sevran ?“, beendete Konogan schließlich seine eigenen kurzen Ausführungen über verschiedene Möglichkeiten, Schmerzen zu lindern. „Existiert also etwas anderes, etwas Besseres und Angenehmeres? Und was ist es?“

Der junge Mann bemühte sich so ernst, wie nur möglich dreinzuschauen, als er dem Drouiz antwortete. Konogan hätte ihn zur Astronomie, zur Mathematik, zur Geographie oder zur exakten Berechnung der Zeit ausfragen können. Natürlich hätte Sévran ihn auch in diesen Wissenschaften zufriedengestellt, doch der Drouiz hatte in Anwesenheit der Bandrouiz und der beiden Töchter von Séna ganz offensichtlich mit Absicht die Medizin und die Pflanzenkunde gewählt. Als Schüler von Aodrén war es beinahe selbstverständlich, das Sévran hier glänzen konnte. Aodrén hatte seine Kunst auf weiten Reisen erweitert und vertieft. Er war in seinen jungen Jahren sogar an der berühmten Akademie von Salerno gewesen, die der römische Kaiser Friedrich II. von Hohenstauffen dort im Jahre 1224 gegründet hatte und auch an der maurischen Schule von Cordoba in Al Andalus. Er hatte die Welt bereist: Ägypten, das Land am Nil, Persien und sogar das ferne und geheimnisvolle Indien…obwohl er über diese Zeit seines Lebens niemals zu ihnen sprach.

Aodrén hatte von diesen weiten und abenteuerlichen Reisen Abschriften zahlreicher wunderbarer Werke mitgebracht, die er gemeinsam mit Sévran las, wenn er ihm Unterricht in der arabischen und der jüdischen Sprache erteilte. Avincenna - Abu Sina, der Vater der maurischen Heilkunst gehörte genauso zu Sévrans Lektüre, wie Djabir Ibn Haijan, der mit seinem Werk um die islamische Alchemie den bedeutenden Einfluss der Gestirne auf den Körper und die Gesundheit des Menschen erklärt hatte. Der junge Mann räusperte sich. Sein jugendlicher Wissensdurst hatte ihn auch dazu verleitet Ibn Masarra und Ibn Arabi zu lesen und in den Kopien der Tabula Smaragdina und der Ghajat al-Hakim herumzuschnüffeln, die Aodrén mitgebracht hatte, doch diese etwas anrüchigeren Dinge wollte er seinen Prüfern vorerst ersparen.

„Schon bei den Griechen spielten Schlaf- und Schmerzmittel eine herausragende Rolle“, erläuterte er selbstsicher, „so nennt Gaius Plinius der Ältere in seinem Werk Naturalis Historia unter anderem den Mandragora-Wein und unterscheidet das Einsatzgebiet: soll Schlaf erzeugt werden, reicht allein schon das Einatmen des Weins; für eine betäubende Wirkung wird der Wein als Trank verabreicht. Als Mittel um nur eine bestimmte Stelle des menschlichen Körpers zu betäuben, gibt Plinius den sogenannten Stein von Memphis an, eine Paste aus Marmorstaub und Essig, welche auf die Haut aufgestrichen diese unempfindlich gegen Schmerzen macht, sowie die Asche von Krokodilshaut.“

Konogan nickte zufrieden. Auch Maod’ana und Berc’hed schienen von seinen Ausführungen angetan. Über dem runzeligen, verwitterten Gesicht der Bandrouiz lag ein katzengleiches, zufriedenes Lächeln und ihre von tiefen Falten umgebenen smaragdgrünen Augen glitzerten fröhlich, während Berc’hed ihr irgendetwas ins Ohr flüsterte und dabei mit einem spitzen, dünnen Finger etwas ungezogen direkt auf ihn deutete. Sévran fasste Mut. Er hatte selbst schon ein wenig herumprobiert und war dabei zu einer noch einfacheren Lösung gekommen, wie man ein Mittel zur Schmerzlinderung und Betäubung geschickt transportieren und auch verabreichen konnte. Aodréns Erfahrungen von der Akademie in Salerno, wo er Haschisch aus Persien, Opium aus dem Hindukusch und Belladonna erprobt hatte, hatten ihn dazu angeregt. Alle diese Stoffe ließen sich genau so leicht in eine Tinktur verwandeln, wie verschiedene Pflanzen, die er im heiligen Wald fand und die ähnliche Eigenschaften besaßen: „Verbo, nihil ut doceatur, discatur, sciatur, temere, ad curiositatem duntaxat, ut sciatur: sed ad artem, ut fiat..”, setzte er seine Ausführung auf Lateinisch fort, „Mit einem Wort; Nichts soll um des Lehrens Willen gelernt werden, nicht planlos als bloße Kuriosität gewusst werden, sondern für die Fertigkeit und damit es gemacht werden kann.“

Das Lateinische hatte mit der zunehmenden Christianisierung langsam aber bestimmt den Gebrauch der griechischen Sprache in den Wissenschaften verdrängt. Sogar die Drouiz hatten dies letztendlich akzeptiert, obwohl viele der Älteren immer noch vorzogen, das Wenige was sie schriftlich niederlegten, auf Griechisch zu verfassen.

„Wenn man nun aber die Auszüge von Papaver Somniferum, die die Araber allgemein „abu en nom“, den Vater des Schlafes nennen mit Alraunen- Bilsenkraut- und Schierlingssaft vermischt und einen ganz gewöhnlichen Schwamm voll saugen lässt, dann kann man diesen hinterher in der Sonne trocknen und ganz einfach mit sich führen. Wenn er dann verwendet werden soll, lege man diesen „spongium somniferum“ in eine Schüssel mit ein wenig warmem Wasser. Nach Beendigung einer Operation kann man durch erneutes Trocknen, den Schlafschwamm wieder in seine einfach zu transportierende Ausgangsform zurückverwandeln“, der junge Mann verbarg nach Abschluss seiner Erklärung seinen Stolz nicht mehr. Auf seinem Gesicht lag ein ausgesprochen selbstzufriedenes Lächeln.

Die Weisen, die um die Drouiz, die Sévran befragten versammelt saßen nickten alle anerkennend. Auch Maod’ana und Berc’hed gaben Konogan Zeichen, das er seine Prüfung nun beenden könne, denn Sévran hatte ausreichend bewiesen, dass er sich nach elfjährigem Studium das Recht auf den Titel eines Anruth erarbeitet hatte und sich endlich auf die letzte und schwierigste Etappe seines Weges begeben konnte. Tugdual winkte ihn heran.

Sévran atmete auf. Die Sonne wärmte angenehm seine nackte Haut. Die rostbraune Robe lag ordentlich zusammengefaltet vor ihm auf dem Boden und er hielt einen langen Stab aus hartem, glänzendem Eibenholz in der Rechten. Noch schmückten den Stab keine Zierden aus Silber und kein Kristall thronte auf seiner Spitze und der dunkelblaue Pflanzensaft, mit dem Hegareg die Konturen eines Triskel auf seine Brust gezeichnet hatte war noch feucht. Aber trotzdem: Es war beinahe zu Ende. Er würde sich bis zum Einbruch der Nacht ausruhen dürfen. Er hatte Hunger und war schrecklich durstig.

II

Nach dem Abendessen kehrten Jean de Craon und Gilles noch einmal in das Laboratorium des alten Mannes in den Gewölben von Champtocé zurück. Der Ritter aus Anjou, der seit einigen Wochen ihre Gastfreundschaft genoss, hatte diesen Teil der Festung noch nicht betreten. Er war in einem Gemach im Turm untergebracht. Der Raum war gut eingerichtet: ein großes, bequemes Bett, ein Schreibtisch, Stühle, eine Truhe, eine kleine Bibliothek mit interessanten Handschriften aus der reichen Sammlung von de Craon.

Nach seiner beschwerlichen Reise von Paris bis an die Ufer der Loire und den vorausgehenden Entbehrungen während der Kriegshandlungen und der anschließenden Belagerung der Hauptstadt, war der Mann nicht in einer Verfassung gewesen, sofort die vereinbarten Forschungsarbeiten aufzunehmen. Er hatte Dankbarkeit gezeigt, als de Craon ihm vorschlug, erst einmal wieder zu Kräften zu kommen.

Sorgfältig verschloss Gilles die schwere Eichenholztür, während sein Großvater drei Kerzen an einem großen Schreibtisch entzündete. Das Buch des Alchemisten lag dort aufgeschlagen. Sie hatten ohne größere Schwierigkeiten die meisten Anweisungen lesen können, die Abraham Eleazar der Jude für seine in alle Winde zerstreut lebenden Brüder und Schwestern damals niedergelegt hatte, um ihnen zu helfen, die Steuerlast zu ertragen, die die weltlichen Herrscher ihnen aufbürdeten. Erstaunlicherweise hatte der Leviterfürst und Priester für sein Werk die klassische, lateinische Sprache ausgewählt, wohl wissend, dass viele Israeliten im Exil der hebräischen Sprache kaum noch mächtig waren. Doch damit hatten Jean und Gilles das Rätsel um Nicolas Flamel und seinen unglaublichen Reichtum natürlich noch lange nicht gelöst.

„Großvater, habt Ihr damals während der Ermittlungen, als Ihr noch im Dienste von Staatsrat Cramoisi gestanden habt nicht vielleicht doch irgendein Detail übersehen...oder im Verlauf von drei Jahrzehnten einfach vergessen“, der junge Laval besaß einen außergewöhnlich scharfen Verstand. Seine Ausbildung war vom ersten Tag an, als Jean de Craon das Kind seiner ältesten Tochter nach Champtocé geholt hatte vom Besten gewesen: Gilles sprach und schrieb die lateinische und die griechische Sprache. Er hatte Mathematik und Astronomie studiert und sämtliche bedeutenden philosophischen Werke gelesen, die auf dem Markt für gutes Gold erworben werden konnten. Jean selbst hatte ihn nicht nur in der Schwarzen Kunst unterwiesen, sondern ihn auch die Ars Alchimia und das Sternedeuten gelehrt. Natürlich war Gilles' Unterweisung im Waffenhandwerk immer an erster und wichtigster Stelle gestanden, doch der Junge war begabt und ausgesprochen wissbegierig. Das Lernen fiel ihm leicht.

Der alte Mann zog sich einen Stuhl an den Tisch und bedeutete auch seinem Enkel sich zu ihm zu setzen. Seine Rechte strich Gilles liebevoll über die dunkelbraunen Locken und de Craons hellgraue Augen, die ür gewöhnlich kalt und hart blitzten, wurden für einen kurzen Augenblick weich und zärtlich: „Wir haben den Fall Flamel lange untersucht, mein lieber Junge. Ich befürchte, weder de Cramoisi noch ich selbst haben damals irgendetwas übersehen. Es war ein persönlicher Befehl des Königs gewesen, diese Untersuchung durchzuführen. In jenen Tagen, als Charles noch klar im Kopf war, konnte sich niemand Fehler leisten, nicht einmal de Cramoisi.“

In der Tat waren de Craons Erinnerungen an dieses Schlüsseljahr 1389 so klar und so präzise, als ob sich das Ganze erst gestern abgespielt hätte: Er war fünfunddreißig Jahre alt gewesen, energisch, ehrgeizig und gerissen. Sein Interesse an den geheimen Künsten und an der Ars Alchimia hatte die Aufmerksamkeit des Staatsrates de Cramoisi auf ihn gelenkt, obwohl er nur ein einfacher und unbedeutender Landedelmann von der Loire gewesen war. Dazu war es gekommen, weil der Notarius der Sorbonne Nicolas Flamel, von dem man hinter vorgehaltener Hand munkelte, er besitze ein Zauberbuch und studiere die Alchemie, sozusagen über Nacht angefangen hatte, für Unmengen von gutem Gold Spitäler, Armenhäuser und Kapellen in Paris und in der Hafenstadt Boulogne zu stiften. Zuvor war der Mann zu einer Pilgerfahrt nach Santiago de Compostella aufgebrochen und beinahe zwei Jahre vom Erdboden verschwunden gewesen. Viele andere Männer, die als Alchemisten auf der Suche nach dem Lapis Philosophorum waren, hatten diese Pilgerfahrt gleichfalls unternommen, doch keiner von ihnen war je zurückgekehrt und hatte plötzlich so viel Gold besessen, wie der Notarius des Collegium Sorbonianum. Und niemand hatte je aus Flamels Mund erfahren, was er auf seiner Reise nach Galizien erlebt, oder wen er getroffen hatte. Auch Jean de Craon nicht. Aber dank seines ausgeprägten Spürsinnes und einer großen Gabe komplizierte Intrigen zu spinnen, ohne dabei ertappt zu werden, war er ihm es schließlich doch gelungen, alles herauszufinden..im Verlauf der langen Jahre, die der Untersuchung durch den Staatsrat de Cramoisi gefolgt waren. Er hatte Paris und dem Hof den Rücken gekehrt, um mit seinen eigenen Nachforschungen kein Aufsehen zu erregen. Auf dem Weg, den er eingeschlagen hatte, um das Geheimnis von Nicolas Flamel zu ergründen, war er durch alle Ebenen der geheimen Kunst gewandert. Er hatte dabei unendlich viel gelernt…und schmerzliche Erfahrungen gemacht, die er seinem Enkel ersparen wollte.

„Damals“, fuhr er für Gilles mit seiner Erzählung fort, „mussten wir die Ermittlungen einstellen, denn wir konnten ihm nichts nachweisen. Flamel war nach außen hin ein ganz ehrlicher, gottesfürchtiger Mann. Sein Skriptorium lief höchst profitabel und das Stiften von Spitälern, Armenhäusern und Kapellen wurde nicht einmal von den misstrauischen Pfaffen als ein Verbrechen angesehen. Dazu kam noch: Flamels Lebenswandel und der von Dame Perenelle, seiner Gemahlin -die reiche Erbin eines bedeutenden Zunftmeisters - waren unauffällig.“

Gilles hing an den Lippen seines Großvaters. Sie hatten immer schon viel zusammen gearbeitet und experimentiert. Die Ars Alchimia als solche faszinierte ihn, obwohl er diese exakte Kunst, die ihn irgendwie an die Arbeit eines Apothekers erinnerte, oftmals als zu anstrengend und zu zeitaufwendig abtat. Er hatte immer gerne in den Werken geblättert, die sein Großvater im Verlauf eines langen Lebens angehäuft hatte. Doch die meisten dieser Handschriften bedienten sich einer sonderbaren, verschlüsselten Sprache und bildlicher Allegorien. Jean de Craon war davon überzeugt, das nur in ihnen, aber nicht in den zahlreichen anderen Werken die sich mit den schwarzen Künsten befassten, der Schlüssel zu wahrer Macht und zu Geldmitteln ohne Ende lag. Die schwarze Kunst, so predigte ihm der alte Mann dauernd, barg eine nicht zu verleugnende Gefahr eines Tages von den eigenen Dämonen und Geistern aufgefressen zu werden.

Seitdem Gilles sich bei Azincourt genommen hatte, was er haben wollte und den Sigillenreif an seinem rechten Handgelenk trug, vertiefte er sich trotz der ständigen Warnungen de Craons immer weiter in die schwarze Kunst. Der Großvater besaß in seiner Bibliothek nicht nur den Schlüssel Salomons –Clavicula Salomonis- der die Durchführung magischer Rituale schilderte, mit denen man Geister der Toten beschwören konnte oder Dämonen als Hilfskräfte aus dem Schattenreich rief. Er hatte auch ein eigenes Grimoarium begonnen, in dem er schon seit langem seine Erkenntnisse eintrug und all die Beschwörungsformeln, die ihm Erfolg gebracht hatten niederschrieb.

Der Sigillenreif war ein mächtiger Schutz. Nachdem Gilles herausgefunden hatte, wie er das Amulett handhaben musste, wagte er sich inzwischen auch an das einzigartige Grimoarium von Armadel heran, das die verschiedenen Ordnungen von Geistern beschrieb, deren Namen und Siegel zeigte und Formeln, mit denen man durch die Hilfe der angerufenen Wesen Bannzauber, Schadenszauber oder Todeszauber vornehmen konnte. Doch das Böse verlangte Blut und de Craon hielt ihn oftmals zurück, denn die Bauernkinder die Gilles zusammen mit seiner kleinen Schar Getreuer ab und an in der Nähe von Champtocé einfing, um einen der Zauber von Armadel zu versuchen, wurden von ihren Eltern vermisst und es entstanden bereits Gerüchte über einen Teufel, der unter der Festung hauste.

Gilles strich mit der Hand nachdenklich über die hauchdünnen Seiten von Abrahams Buch. Sie waren aus Baumrinde gemacht worden, denn Rinde überdauerte die Zeit besser als Pergament und fiel dem Hunger von Mäusen nur sehr selten zum Opfer. Er hatte den Fluch auf der ersten Seite der Handschrift auch gelesen und nur über ihn gelacht: Er war vielleicht kein Gelehrter und ganz sicher kein Priester oder blöder Pfaffe, aber er fühlte sich durchaus befugt, die große Arbeit um den Lapis mit allen Mitteln zu versuchen.

„Großvater, nachdem ihr herausgefunden hattet, dass der Jud Canches dem Flamel geholfen hatte, den Text und die Allegorien zu begreifen...warum sollen wir uns da mit diesem Rittersmann aus dem Süden aufhalten? Holt doch einen anderen Jud von Spanien oder treibt einen von den Konvertierten auf, die sich noch immer überall verstecken. Die wissen sicher eher die Bildnisse zu deuten, als dieser verträumte Schöngeist, der uns die Suppenschüssel leer frisst und mit feuchten Augen und verklärtem Blick über Gott und die Vollkommenheit von Seele und Geist doziert.“

De Craon schmunzelte. Gilles hatte nicht nur Verstand im Kopf, sondern auch Witz und eine scharfe Zunge. Dafür sah er ihm gerne seine kleinen Unvollkommenheiten und Fehler nach. Der junge Mann war inzwischen fünfzehn Jahre alt, aber Geschmack an den Weibern hatte er immer noch nicht gefunden, und das obwohl Jean ihm jede Gelegenheit dazu bot und ihm schon mehrfach gute Partien für eine Heirat vorgeführt hatte. Doch Gilles zog die Gesellschaft seiner kleinen Halunken oder die der Waffenleute von Champtocé vor und wenn es ihm nach Erleichterung war, dann holte er sich irgendeinen Bauernlümmel, den hinterher sowieso kaum einer vermisste…oder er teilte das Lager mit dem Hauptmann von Champtocé, Yves de Kerma’dhec, den er vergötterte und fast genauso innig liebte, wie ihn selbst.

De Craon seufzte bei dem Gedanken an dieses kleine Problem kurz auf, doch dann schob er es erneut von sich. Er nahm sich wieder einmal vor Gilles in ein oder zwei Jahren endlich energisch ins Gewissen reden...und es ihm gefiel oder nicht. Eine reiche Jungfer mit gutem Namen musste her und ab ins Bett, damit der Gilles einen Erben für das Vermögen de Laval-Craon-Montmorency zeugte. Dann antwortete er dem jungen Mann gutmütig und erklärte: „Claire de Saint Germain entstammt einer Familie, die seit den Tagen des ersten Kreuzzuges Handschriften über die Ars Alchimia nach Frankreich gebracht und übersetzt haben. Er ist für Deinen Geschmack vielleicht ein wenig zu philosophisch, doch glaube mir bitte: Der Mann versteht sein Geschäft und er weiß um die geheimen Lehren und Riten der Ungläubigen. Auch Flamel muss um sie gewusst haben…durch den Juden Canches. Es heißt, dass einst unweit der Stadt Mekka, die die Sarazenen heiligen, zur Zeit ihres Propheten Muhammad ein uralter Einsiedler mit Namen Ben Chasi gelebt hat. Dieser Weissager, Zauberer und Sternedeuter hat den Propheten der Sarazenen in der geheimen Kunst der Ars Alchimia unterrichtete. Als der Unterricht zu Ende war, schenkte Ben Chasi, Muhammad eine metallene Tafel, auf der die Formeln verzeichnet waren, deren Bedeutung der Prophet eben gelernt hatte. Ben Chasi eröffnete seinem Schüler damit die wahre Herkunft des Wissens; es stammte aus dem Lande Mizraims im alten Ägypten und war von dort aus nicht nur nach Chaldäa und Persien gelangt, sondern auch nach Indien und in jene Länder, wo die Sonne aufgeht. Auch den Griechen und den Römern waren diese Geheimnisse vertraut. Die Israeliten haben sie in der babylonischen Gefangenschaft kennengelernt, wo ihr Stammvater Abraham ein Schüler des Meisters der Meister, des Dreimal Großen Hermes Trismegistus geworden war. Abraham leistete Hermes den Schwur, dieses heilige Wissen –die Israeliten nennen es Kabbala- immer nur an wenige Auserwählte weiterzugeben. Durch Abraham und seine Schüler waren die Formeln schließlich bis zu den Wüstensöhnen gelangt und Ben Chasi, der Einsiedler wünschte, dass Muhammed seinerseits dieses Erbe weiterverbreitete und wahrte. Bald darauf verstarb der Einsiedler, und der Prophet würdigte den Eid, den er dem alten Lehrer geleistet hatte: Er lehrte im engsten Kreise seiner Anhänger das Geheimnis dieser heiligen Formeln. Abu Bekr, der erste Kalif, erbte schließlich die Tafeln des Ben Chasi. So verbreitete sich das uralte Wissen um den Lapis Philosophorum und seine Erschaffung bis nach Al Andalus. Du siehst, Gilles: Die Schlüssel zu unserem Manuskript sind allen bei den Orientalen – Juden und Sarazenen! Doch keiner dieser ungläubigen Ketzer vertraut Dir einfach so sein Wissen an, ganz gleich wie schrecklich Du ihn bedrohst oder erpresst. Saint Germain dagegen kennt diese Geheimnisse dank der Verwicklung seiner Familie in die Kreuzzüge. Seine Vorfahren haben lange Zeit im Heiligen Land gelebt. Vielleicht weiß er sogar, wie man das Buch des Propheten Muhammed –den Qur’an - deuten muss, um den Schlüssel von Ben Chasi wiederzuentdecken. In Outremer existiert eine Sekte, die Ahl al Haqq, über die man erzählt, sie seien auch Hüter dieses Wissens und man kann davon ausgehen, dass Saint Germains Vorfahren mit ihnen Kontakt hatten. Ich weiß, dass die Tempelritter so eng mit den Ahl al Haqq verbunden waren, dass manche von ihnen sogar ihren eigenen Glauben verleugneten und freiwillig die Lehren der Ungläubigen annahmen. Wenn es überhaupt möglich ist, das Buch des Leviterprinzen Abraham zu entschlüsseln und das Opus Major so durchzuführen, wie Meister Flamel es getan hat, dann ist es Claire de Saint Germain mit all seinen Kenntnissen und seiner Fähigkeit die Sprachen der Ungläubigen zu lesen und zu verstehen, der uns die beste Chance in die Hände legt. Er scheint im Israelitischen genauso bewandert, wie in der Sprache der Sarazenen…. Und im Augenblick ist der Mann willig und neugierig. Einen eingefangenen Juden musst Du zur Arbeit zwingen und schlau, wie die sind versuchen sie Dich sogar dann noch zu betrügen, wenn Du ihr Leben bedrohst. Und ein Sarazene würde eher sterben, als den Mund aufzumachen...oder ein kompliziertes, schwieriges Experiment vor den Augen seiner schlimmsten Feinde durchzuführen.“

Laval nickte de Craon zu: „Ihr habt gewiss recht, Grossvater. Er ist hier, er hat viele Erkenntnisse der Mauren und der Israeliten im Originaltext studiert und wenn wir es ihm nicht gestatten, dann kann er Champtocé niemals wieder verlassen...Benutzen wir ihn vorläufig, um zu sehen was er herausfindet. Doch daneben sollten wir nicht vergessen, das Eure Bibliothek noch andere Schlüssel enthält, mit denen es unter Umständen möglich ist, dem Geheimnis des Lapis ex Coelis auf die Spur zu kommen.“

De Craon erhob sich von dem Lehnstuhl, in dem er gesessen hatte und ging langsam und nachdenklich im Laboratorium auf und ab. Der Athenor lag still. Die langen Wandregale, in denen ordentlich aufgereiht die Substanzen standen, sahen verwaist und unberührt aus. Er nahm ein Stück weißer Kreide in die Hand und betrachtete es nachdenklich: „Du willst also versuchen, den Geist des Alchemisten Flamel aus dem Totenreich zu locken, Gilles?“

Der junge Mann nickte. Er würde mit seinen Halunken losreiten. Sie würden natürlich nicht im Gebiet seines Großvaters jagen, sondern durch den Wald und über die Grenze verschwinden. Dort konnte er finden, was er für den Versuch benötigte...unschuldige Kinderherzen. Für ihre Hilfe verlangten der Schattenfürst und seine Dämonen immer frisches Blut und reine Herzen. Gilles spürte, wie es anfing, in seinen Lenden zu pochen. Unschuldige, reine Kinderherzen! Er hatte schon seit Monaten keine mehr gehabt. Einen, der sich ihm nicht bereitwillig hingab und es mit sich geschehen lies und der ihm für diesen Gunstbeweis, die Nacht in seinem Bett verbracht zu haben auch noch die Hände küsste. Die, die sich willig nehmen ließen, erregten Gilles schon lange nicht mehr in dem gleichen Maß, wie die die vor Angst zitterten, um Gnade flehten, weinten und winselten.

Er hatte es zum ersten Mal in der Nacht von Azincourt getan, nachdem er den Barbaren aus Cornouailles totgeschlagen hatte. Sie waren damals mit ihrer Beute triumphierend von dem blutigen Feld verschwunden. Der Großvater hatte ihn gelobt und geherzt und er hatte ihm erlaubt, den Sieg mit den Waffenleuten zu feiern. Er hatte seinen ersten Mann eigenhändig totgeschlagen...ohne mit der Wimper zu zucken.

Sie hatten ihn in dieser Nacht als einen richtigen Mann in ihrem Kreis akzeptiert, mit ihm getrunken und gelacht. Und als de Kerma’dhec ihn umarmt, geküsst und gestreichelt hatte, da hatte er es zum ersten Mal gespürt, dieses Pochen. Es war so wild gewesen, dass er geglaubt hatte zu zerspringen. Doch de Kerma’dhec hatte ihn mit zu sich in sein Zelt genommen und ihn gelehrt, wie man sich Erleichterung verschaffte. Gilles hatte es genossen...auf die eine Art und auf die Andere. Hinterher hatte er es dann auch noch mit einem Mädchen ausprobiert, einer kleinen Küchenmagd aus dem Tross von Champtocé. Die Waffenleute hatten sie ihm gebracht. Zuerst hatte ihm einer von ihnen gezeigt, wie man es einem Weib richtig besorgte: Sie hatten alle zugeschaut. Der Mann hatte laut gegrunzt und gestöhnt, während die Kleine sich in de Kerma’dhecs Zelt unter seinen harten Stößen wie ein Aal gewunden und vor Lust geschrien hatte. Dann war Gilles an der Reihe gewesen. Die Kleine hatte noch ganz feucht, schlüpfrig und lüstern vor ihm gelegen und sie hatte sich viel Mühe gegeben ihm zu gefallen. Er hatte es genossen, obwohl es irgendwie nicht dasselbe war, wie mit einem echten Kerl. Ab und an, wenn sich niemand anders fand, dann lies er die Kleine aus der Küche von Champtocé holen und bestieg sie: Ihre prallen Brüste und ihr runder Hintern erregten ihn. Es gefiel ihr, wenn er sie hart anpackte. Sie ließ sich von hinten nehmen, wie eine Stute. Aber vor allem schreckte sie vor keiner neuen Erfahrung zurück, die man in einem Bett machen konnte. Gilles spürte schmerzhaft die Härte zwischen seinen Beinen. Allein schon der Gedanke an die Jagd hatte ausgereicht. Zuerst würde er sie holen lassen...für diese Nacht. Und morgen, beim ersten Tageslicht würde er mit seinen Halunken losreiten und sich richtig amüsieren. Der junge Mann atmete tief durch, um sich ein wenig unter Kontrolle zu bringen, dann grinste er de Craon an, dem die Erregung seines Enkels und die harte Schwellung in dessen enger Lederreithose natürlich nicht verborgen geblieben war.

„Der Mann aus Anjou kann ja auf seine Art arbeiten, und wir beide werden es nebenher zur Sicherheit noch auf unsere Weise versuchen“, er nahm dem Großvater das Stück Kreide aus der Hand und lies sich gutgelaunt auf den Knien nieder. Geschickt zog er die Linien eines Dreiecks der Kunst auf den Steinboden. In dessen Mitte zeichnete er einen Kreis. Dann schrieb er an jeder Seite des Dreiecks griechische Worte: Tetragrammon, Primeumaton und Anaphaxeton. Zuletzt spaltete er den Namen des Erzengels Michael in drei Silben und schrieb sie umgekehrt um den Kreis.

De Craon schüttelte belustigt den Kopf und wandte sich zum Gehen: „Ich werde Dich wohl nicht weiter stören, mein lieber Junge. Vergnüg Dich nach Herzenslust mit der Kleinen aus der Küche. Dir scheint es danach zu sein. Und morgen früh, bevor Du aufbrichst, denk daran zu mir zu kommen und einen alten Mann zu umarmen.“ Als Jean die schwere Eichentür zu seinem Laboratorium schloss, hörte er seinen Enkel bereits eine alten und bewährten Zauber murmeln, der einem Mann Ausdauer und einem Weib höllische Lust verlieh.

III

Sidonius hatte entgegen seiner früheren Pläne die kürzeste Strecke von Champtocé nach Concarneau gewählt und nicht die bequeme, gut ausgebaute Straße über Nantes und Vannes genommen. Während er sich in einem höllischen Tempo seinen Weg über Pisten und durch menschenleere Waldgebiete bahnte, die höchstens besonders tollkühne Kriegsleute oder verzweifelte Gesetzlose einschlugen, wenn sie keine andere Möglichkeit mehr hatten ihren Verfolgern zu entkommen, beglückwünschte er sich mit jeder zurückgelegten Leuge dazu, dass er damals in Paris den Mut gefunden hatte ein wirklich ausgezeichnetes Pferd zu stehlen. Das Tier war zäh, ausdauernd und trittsicher, wie ein Maultier und es trug seinen Reiter von Sonnenaufgang bis zum Einbruch der Nacht, ohne sich je zu beklagen.

Der Herzog von Cornouailles war im ersten Augenblick zwar leise verwundert gewesen an einem sonnigen Spätsommermorgen in der Halle seines Palas einen Mann anzutreffen, den er eigentlich wohlversorgt und sicher am Collegium Sorbonianum in Paris geglaubt hatte, aber er zögerte trotzdem nicht, den erschöpften, ungewaschenen und zerrissen wirkenden Sidonius sofort anzuhören. Nachdem der Benediktiner in wenigen, präzisen Worten erläutert hatte, warum er Paris hinter sich gelassen hatte, um alleine und unbewaffnet einen weiten und gefährlichen Ritt durch ein von Krieg zerrissenes Land zu unternehmen, wurde Ambrosius Arzhur mit einem Mal sehr bleich und sehr still. Als er den ersten Schrecken überwunden hatte, rief er nach dem Truchsess.

Sidonius staunte nicht wenig, als er am nächsten Morgen einem Mann vorgestellt wurde, in dem er mühelos den unheimlichen, raubvogelartigen Professor Anselmus von Vannes erkannte, dem er bei der Grablegung von Nicolas Flamel zum ersten Mal begegnet war. Doch Ambrosius Arzhur de Cornouailles gab ihm einen ganz anderen Namen.

Inquisitoren verfolgten Guy de Chaulliac seit ein paar Jahren erbarmungslos, weil er es einmal gewagt hatte, die Kirche direkt herauszufordern und ohne eine erzbischöfliche Genehmigung an der Universität von Montpellier eine öffentliche Autopsie an einem Hingerichteten vorzunehmen. Auch ohne diese Provokation hatte er damals bereits schlechte Karten gehabt: Die Chirurgie wurde nicht als gleichberechtigt mit der Medizin angesehen und Chirurgen galten als unziemlich und unehrenhaft. Außerhalb Italiens konnten Wundärzte nur noch in Montpellier eine eigene Universitätsausbildung genießen. Ansonsten blieb ihnen lediglich, bei einem fahrenden Bader oder Feldscher in die Lehre zu gehen und deren Ruf war für gewöhnlich noch miserabler, als der eines Chirurgen. Als sogenannten Leichenschänder erwartete Chaulliac bereits von weltlicher Seite der Richtblock. Als Mann der Wissenschaften, der öffentlich Thesen vorgetragen hatte, die der kirchlichen Hierarchie verhasst waren, musste er zusätzlich damit rechnen, dass man im Falle seiner Festnahme die Autopsie von Montpellier eilig vergessen würde, um ihm sogleich den Prozess wegen Häresie zu machen, womit Guy der rotglühende Scheiterhaufen gewiss war.

Sidonius konnte nur annehmen, dass Chaulliac selbst an der großen und verhältnismäßig anonymen Pariser Universität am Ende der Boden unter den Füssen zu heiß geworden war. Er hatte verstanden, dass der Mann sich schon verhältnismäßig lange im Fürstentum von Ambrosius Arzhur aufhielt, wo er nicht nur Schutz vor seinen Verfolgern fand, sondern offensichtlich auch die äußerste Wertschätzung und Protektion des Herrschers hatte.

Ambrosius und sein verfemter und etwas unheimlich wirkender Freund hatten am Anfang lange die Köpfe zusammengesteckt und leise miteinander getuschelt. Sidonius fühlte, dass sie in diesen Stunden abgewogen hatte, wie weit man ihn ins Vertrauen ziehen konnte. Inzwischen hatte der junge Benediktiner begriffen, dass er seine Prüfung wohl mit Auszeichnung bestanden hatte: Nicht nur waren einen Tag nach Chaulliacs Ankunft und seinem vertraulichen Gespräch mit dem Herzog bereits Kuriere auf den besten Pferden aus den Ställen von Concarneau in alle vier Himmelsrichtungen losgaloppiert. Auch mehrere schnelle und bis an die Zähne bewaffnete Kriegsschiffe stachen in See. Die Wochen, die auf diese geschäftigen Tage folgten, waren dann allerdings ereignislos und ruhig.

Doch Sidonius genoss eine geradezu seltsam anmutende, großzügige Gastfreundschaft, die so gar nicht seinem Stand entsprach: Bei den gemeinschaftlichen Abendmählern in der großen Halle saß er nicht mit den Dienstboten und Gefolgsleuten, sondern nahm einen Platz neben Guy de Chaulliac an der herzoglichen Tafel ein. Und Ambrosius Arzhur selbst ermutigte ihn dazu, sein Studium, dass er wegen des Diebstahls von Saint Jacques gezwungenermaßen unterbrochen hatte, wieder aufzunehmen. Er hatte ihm ohne zu zögern seine beeindruckende Bibliothek geöffnet, in der sich eine erstaunlich große Sammlung seltener und seltsamer Manuskripte befand. Wenn der junge Mann nicht gerade seinen eigenen Interessen nachhing, wurde er oft in die Frauengemächer gerufen, wo Maeliennyd Glyn Dwyr, Ambrosius’ walisische Gemahlin sich mit einem eigenen, nicht weniger erstaunlichen und seltsamen Hofstaat umgab. Sidonius begegnete dort zwar auch einigen edlen Damen und ein paar jungen Frauen aus den besten Familien von Cornouailles, doch die wichtigste Gruppe bestand aus einem guten Dutzend hochgelehrt wirkender, steinalter Männer und Frauen. Er begriff schnell, dass Maeliennyd Glyn Dwyr den üblichen, höfischen Vergnügungen kaum Aufmerksamkeit schenken mochte und nur ab und an dem Drängen der jüngeren Frauen nachgab, um zur Jagd zu reiten oder Zeit mit irgendwelchen vergnüglichen Spielen oder kurzweiliger Musik und Poesie zu vergeuden. Die Herzogin war eine ernste, streng wirkende Frau, die in ihrer ganzen Art stark an seinen Freund Sévran erinnerte. Sie disputierte mit den alten Männern und Frauen und war offensichtlich in den Wissenschaften genauso bewandert, wie in der Philosophie.