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Begleiten Sie Adrian Troy, einen Kämpfer des Lichts, auf seiner rasanten und gefährlichen Reise durch viele Epochen der Menschheitsgeschichte. Kämpfer des Lichts werden von den Hütern des Lichts, die der Herrscher des Universums im Kampf gegen Satan und seine dämonischen Horden aussendet, immer dann wiedererweckt, wenn Ihre Hilfe gebraucht wird. So trifft Adrian Troy auf Orte und Völker quer durch die Menschheitsgeschichte. Zeit hat für Kämpfer des Lichts keine Bedeutung und sie sind gegen alle Tricks der Dämonen gewappnet - aber wird Adrian im Körper eines Menschen mit Gefühlen wie Liebe umgehen können? Begegnen Sie den Truppen des Lichts in allen möglichen Erscheinungsformen - als Katzen, Adler, Menschen oder auch Engel - und fiebern Sie mit, wie sie sich den Horden des absolut Bösen tapfer entgegenstellen, um die Menschheit - ja, gar das Universum selbst! - zu retten und zu bewahren. Lassen Sie sich von Adrian Troy mitnehmen auf eine turbulente, unterhaltsame und spannende Reise durch Zeit und Raum. Erleben Sie, wie er mit seinem Schwert des Lichts, "Invictus", angsteinflößenden und ekelerregenden Dämonengenerälen und ihren dunklen Armeen furchtlos gegenübertritt - im Namen der Menschheit, des Lichts und der Liebe.
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Seitenzahl: 419
Veröffentlichungsjahr: 2019
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adrian troy
Ein Roman von Renate Anna Becker
© 2019 Renate Anna Becker & CFS (Christian F. Siege Medienverlag & Sprachservice)
Impressum:
CFS
Christian F. Siege
Medienverlag & Sprachservice
Grabenstraße 5
92249 Vilseck
Alle Ereignisse und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit real existierenden Ereignissen und Personen sind nicht beabsichtigt.
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Wieviel wohl in dieser langen Zeit geschehen ist?
Ich stand auf und sah an mir hinab, neugierig, welchen Körper die Hüter des Lichts mir dieses Mal gegeben hatten.
Es war ein muskulöser Männerkörper mit leicht gebräunter Haut. Ein Gefäß mit Wasser stand in einer Ecke. Ich blickte hinein wie in einen Spiegel. Das Haar war halb lang und von schwarzer Farbe, die Augen schienen ebenso schwarz wie das Haar zu sein. Eine schmale Nase, ein Mund mit Lippen, die nicht zu voll waren, kräftige weiße Zähne und ein markantes Kinn rundeten ein ausdrucksvolles männliches Gesicht ab.
Ich sah mich um und erkannte das Gewölbe, in dem ich mich vor undenklich langer Zeit zum Schlaf niedergelegt hatte – das Lager mit den weichen Fellen, die kahlen Wände. Es wunderte mich nicht, dass im Kamin in der Ecke ein Feuer brannte und wohlige Wärme verbreitete.
Gabriel hatte gut für mich gesorgt in dieser langen Zeit.
Ein Knarren ließ mich über die Schulter blicken. Eine geheime Tür öffnete sich und eine unscheinbare, in ein graues Gewand gekleidete Gestalt trat ein. In der rechten Hand hielt sie den Stab des ewigen Feuers, auf dessen Spitze ein blutroter Rubin das Flackern der Flammen reflektierte.
„Du hast lange geruht, aber nun brauchen wir dich wieder, Adrian“, hörte ich die Stimme der Gestalt.
„Gabriel – schön, dich wiederzusehen“, sagte ich leise und spannte die bewegungsungewohnten Muskeln. „Was geschah mit dem Mann, dem dieser Körper gehörte?“
„Er starb an einer Überdosis Heroin“, entgegnete Gabriel. „Wir haben ihn entgiftet. Dieser Körper ist so gut wie neu. Er wird dir in jeder Hinsicht gute Dienste leisten.“
„Wie lange habe ich geschlafen?“, erkundigte ich mich. „Und was soll ich dieses Mal erledigen?“
„Zwei Fragen und zwei Antworten, die ich dir darauf sogleich geben werde. Du wirst später viele weitere haben. Wir werden dich über alles aufklären. Wir – das sind in dieser Dimension derzeit Eva und ich. Die anderen wurden vom Herrn des Universums in andere Welten geschickt.“ Gabriel schwieg einen Augenblick. „Du hast fünfhundert Jahre geschlafen“, fuhr er fort. „Du musst eine Menge lernen, sonst kommst du in der gegenwärtigen Welt nicht zurecht.“
Das Lernen erwartete mich nach jedem Erwachen. Warum sollte es dieses Mal anders sein? Wenig verwundert fragte ich: „Ihr braucht wieder meine Hilfe. Was ist geschehen?“
„Aguaros ist wieder da. Seine Gier nach Macht ist noch größer geworden und seine Wut auf die Hüter des Lichts unermesslich.“
Ich erinnerte mich: Vor fünfhundert Jahren war ein Riss im Zeitgefüge entstanden mit verheerender Wirkung auf die Zwischenwelt. Dort wimmelte es von Dämonen, die irgendwann einmal durch die Hüter des Lichts von der Erde verbannt worden waren. Einige hatten die Gunst des Augenblicks genutzt, waren durch den Riss entkommen und hatten die Erde erneut unsicher gemacht. Sie zerstörten vieles, was die Menschheit im Laufe der Jahrhunderte aufgebaut hatte. Sie quälten und zerstörten irdisches Leben. An willigen Helfern hatte es ihnen nicht gemangelt. Die so Verführten hatten sich einen Vorteil davon versprochen, mit den bösen Mächten verbündet zu sein. Damals hatten wir – die Kämpfer des Lichts, Energiewesen in menschlichen Körpern – die Dämonen rasch besiegen können. Nur ihr Anführer Aguaros, ein Urteilsvollstrecker Satans, des Fürsten der Hölle, war nicht so leicht zu überwältigen gewesen. Zuletzt aber war uns auch das geglückt. Wir hatten ihn in die Zwischenwelt zurückgedrängt und das Portal mit einem Artefakt aus fünf unterschiedlichen Siegeln verschlossen, die zusammengesetzt die Form eines Pentagramms ergaben. Eingraviert waren die vier Zeichen Wasser, Erde, Luft, Feuer und in der Mitte das Zeichen der Sonne.
Diese fünf Teile wurden von den Hütern des Lichts in fünf unterschiedlichen Zeitzonen versteckt. Kein Unbefugter sollte sie je finden können und die Möglichkeit haben, sie zusammenzusetzen. Falls dies nämlich geschehen sollte, dann öffnet sich die Zwischenwelt und die Dämonen brechen über die Menschheit herein wie Riesenwellen über die Küstenregionen der Erde. Falls ich Gabriel recht verstanden hatte, schien genau diese Gefahr nun zu drohen.
„Wie konnte es passieren, dass Aguaros sich befreit hat?“
„Wir wissen es nicht, denn die Artefakte befinden sich in Sicherheit. Vielleicht ein neuerlicher Zeitriss? Doch scheint nur er allein entkommen zu sein. Er befehligt wie einst Satans Höllenheer. Deine Aufgabe wird nun sein, den Dämon wieder dahin zu befördern, wo er hingehört: In die Verbannung.“
Ich begann, mich mit den Begebenheiten der neuen Zeit vertraut zu machen. Erst dann konnte ich es wagen, mich der neuen Aufgabe zu stellen.
Schließlich kam der Tag, an dem ich mein Domizil verlassen durfte, um einen Kampf aufzunehmen, der gefährlicher und kräftezehrender sein würde, als alle bisherigen Auseinandersetzungen. Denn dieses Mal standen mir lediglich zwei Hüter des Lichts zur Seite: Eva und Gabriel, deren verlängerter Arm ich war – der Kämpfer Adrian Troy.
Der Übergang in die reale irdische Welt erfolgte wie immer im Zustand der Bewusstlosigkeit. Als ich meiner Sinne wieder habhaft geworden war, schien sich nichts verändert zu haben: Noch immer umgaben mich die gleichen tristen Wände, stand da das Lager mit den Fellen; nur das Feuer im Kamin war erloschen.
Dieses Szenario glich vergangenen Einsätzen. Ich nahm die Ausrüstung, die mir dieses Mal zugedacht war, in Augenschein und war gespannt darauf, wie sich die Umgebung im Laufe der Jahrhunderte verändert hatte.
Die Kleidung, die ich trug, war zweckmäßig: Das Obergewand nicht mehr zweiteilig, sondern aus einem einzigen Stück bestehend, in das man hineinschlüpfte.
Ich holte noch einmal tief Luft und betätigte den geheimen Mechanismus, der eine Wand zurückgleiten ließ und mir den Weg in eine unbekannte Welt freigab.
Der erste Blick fiel auf einen dichten Vorhang aus Schlingpflanzen, deren sattgrüne Blätter die Aussicht auf die Landschaft verbargen. Vorsichtig schob ich das Blattwerk beiseite und musterte neugierig die Umgebung.
Mein Versteck lag dieses Mal in einem Urwald. Farne wuchsen zwischen Bäumen, die hoch in den Himmel ragten. Als ich das letzte Mal hier war, erstreckte sich vor mir eine Steppe mit hohem Gras, soweit das Auge reichte. Die Landschaft hatte sich im Laufe der Jahrhunderte also drastisch verändert. Die Bäume, die hier standen, schienen um die dreihundert Jahre alt zu sein.
Ich holte meine Ausrüstung aus dem Versteck. Sie umfasste nichts weiter als einen wetterfesten Umhang und das Wichtigste – Invictus, das Schwert des Lichts. Es hatte eine Klinge von gut einem Meter Länge und bestand aus der geweihten Energie der Magierinnen von Bustoro, die dieses Schwert zu einer wirkungsvollen Waffe gegen alle Kreaturen der Hölle machte. Kein Dämon hatte ihr etwas Gleichwertiges entgegenzusetzen.
Ich legte den derben Umhang um und verbarg die Waffe darunter. Besorgt beobachtete ich durch das dichte Geäst die am Himmel aufziehenden Wolken. Das ohnehin schon schwache Licht des Waldes nahm sichtlich weiter ab. Es würde nicht lange dauern, bis ich die Hand nicht mehr vor den Augen sah. Vielleicht sollte ich doch besser den morgigen Tag abwarten, ehe ich aufbrach, Aguaros zu suchen. Wie ich die Mächte der Finsternis einschätzte, waren sie über mein Erscheinen längst unterrichtet. Lohnte es sich, im Dunkeln gegen Bäume zu laufen, nur um Zeit zu gewinnen? Mein Schwert würde leuchten, wenn ich es wollte – diese Option barg allerdings das Risiko, dass man mich leichter aufspüren konnte.
Ich entschied, abzuwarten, mir noch etwas Ruhe zu gönnen und die Augen zu schließen. Mein Geist ging auf Reisen – er löste sich von seinem geliehenen Körper und trieb hinaus in die Dunkelheit.
Als ich erwachte, war es Tag geworden, und ich machte mich auf den Weg durch dichten Farn und verflochtenes Unterholz. Die Sonne stand hoch, es musste demnach Mittag sein, als ich einen Trampelpfad erreichte. Erleichtert folgte ich dem ausgetretenen Weg bis zum Ende des Waldes. Vor mir erstreckte sich eine hügelige Landschaft in den leuchtenden Farben des Sommers. Der Pfad führte geradewegs in diese wunderschöne Gegend. Ich folgte ihm auch weiterhin und hoffte, bald auf eine menschliche Ansiedlung zu stoßen. Eine Hoffnung, die sich nicht erfüllen sollte.
Als es Abend wurde, war die hügelige Landschaft in eine weite Ebene übergegangen. Am Horizont blinkten winzige helle Lichter. Vielleicht befand sich dort eine Ortschaft oder gar eine größere Stadt. Heute war sie auf keinen Fall mehr zu erreichen. Also richtete ich mir ein Lager ein und entzündete ein kleines Feuer, das kaum Rauch abgab. Ich wickelte den Umhang um mich, legte mich in die Nähe der leise knisternden Flammen und schlief ziemlich schnell ein.
Es war ungefähr Mitternacht, als mich ein Rauschen in der Luft weckte. Das Feuer war erloschen.
Gegen den sternenbedeckten Nachthimmel hoben sich schemenhaft eigenartige Wesen ab. Mit Schwingen, deren Spannweite sicher mehrere Meter betrug, glichen sie den geflügelten Wesen der Urzeit. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich vermutet, in der Zeit der Dinosaurier angekommen zu sein. Doch Gabriels Versicherung zufolge befand ich mich in einer modernen Welt. Wie war es möglich, dass Tiere die Erde bevölkerten, die doch längst ausgestorben sein sollten?
An Schlaf war nicht mehr zu denken und so eilte ich dem Schwarm hinterher, der am nächtlichen Himmel lautlos und gemächlich in großen Kreisen dahinzog. Die Verfolgung der Vögel, die in nördlicher Richtung unterwegs waren, brachte mich von meinem Ziel ab, dorthin zu gehen, wo ich am Abend den hellen Lichtstreifen gesehen hatte. Aber die Anwesenheit dieser Tiere erregte meine Neugier mehr als eine mögliche Ortschaft.
Die Kreaturen verschwanden am Horizont und aus meinem Blickfeld. Ich hoffte, dass sie ihren Kurs nicht wechselten und folgte der einmal eingeschlagenen Route.
Nach einem weiteren Tag Fußmarsch durch menschenleeres Gebiet und einer kurzen Rast während der Nacht erreichte ich den Fuß einer Gebirgskette: Unüberwindlich für mich, für die Vögel kein Problem. Ich überlegte, den Rückweg anzutreten, als ich im Fels eine Höhle entdeckte, die scheinbar quer durch den Berg verlief. Mit aller gebotenen Vorsicht betrat ich die schmale Schlucht und folgte ihrem Verlauf. Bald traten die Felswände zurück und ein gewaltiger Talkessel tat sich auf. Er war gut überschaubar. Am westlichen Rand des Kessels entdeckte ich die Kreaturen, denen ich gefolgt war. Ich suchte mir an Ort und Stelle einen günstigen Beobachtungsplatz.
Stundenlang geschah gar nichts. Die Wesen hockten unbeweglich auf dem nackten Fels. Hin und wieder reckten sie die säbelartigen Schnäbel in die Luft, als erwarteten sie etwas Entscheidendes.
Wolken zogen auf. Zögerlich erst, dann immer schneller braute sich ein Unwetter zusammen. Blitze zuckten aus dem Gewölk hervor und Donner hallte zwischen den Felsen wider. Unerwartet formierten sich die Vögel kreisförmig, die Schnäbel wie Leitlinien in das Innere des Kreises gerichtet. Und dann sah ich, dass die Wolken über dem Kessel zu rotieren begannen. Die Wurzel des Wirbels befand sich in der Mitte des Vogelkreises. Immer schneller werdend bildete sich dort eine Windhose.
Plötzlich senkten die Vögel ihre Köpfe, als wollten sie sich verbeugen. Blitz und Donner folgten ein letztes Mal dicht hintereinander, die Windhose schien zu zerplatzen und dort, wo sie gerade noch mit Macht Staub aufgewirbelt hatte, erhob sich eine scheußliche Kreatur. Es schien, als sei sie nicht formbeständig. Sie waberte wie schwarzer Nebel und bildete sich neu. Kleine Flammen umgaben sie von allen Seiten und beleuchteten das Szenario schemenhaft. Die geflügelten Kreaturen hatten einen schaurig krächzenden Gesang angestimmt, zu dem die Gestalt in ihrer Mitte zu tanzen schien.
Fasziniert sah ich dem Schauspiel zu. Der tanzende Dämon – denn was sollte das Gebilde sonst sein? – erhob sich zuletzt mit den Vögeln in die Luft und zog mit ihnen gemeinsam nach Norden davon.
Sobald die Schar meinem Blick entschwunden war, näherte ich mich vorsichtig dem seltsamen Tanzplatz. Deutlich konnte ich dort die Ausstrahlung des Bösen spüren.
Ich würde diesen Kreaturen folgen müssen, denn ich fühlte, sie hatten etwas mit meiner Aufgabe zu tun. Trotz fortgeschrittener Tageszeit machte ich mich daher auf den Weg ins Ungewisse.
Nicht weit von Mitternacht entfernt, erreichte ich ein Dorf. In einer Senke gelegen, machte es einen friedlichen Eindruck. Ich spürte nichts Böses in der Umgebung und betrat den Ort. Die einzige Straße, die mitten durch die Ansiedlung führte, war unbeleuchtet. Auf einem großen freien Platz, der sicher der Marktplatz war, hielt ich inne. Hoffentlich gab es hier einen Gasthof, der um diese Zeit noch geöffnet hatte, denn ich verspürte Hunger und Durst.
Hell stand der Mond am Himmel. Von fern meldete sich ein Käuzchen. Eine fette Ratte huschte lautlos an mir vorüber und verschwand in einer Lücke im Gemäuer. Das Dorf schien wie ausgestorben, die Stille greifbar.
Ich wandte mich nach rechts, näherte mich einer Behausung und drückte vorsichtig die Türklinke nieder. Die Tür war nicht verschlossen. Ich trat ein. Kälte und muffiger Geruch reizten meine Nase. Keine menschliche Spur. Ich suchte in einem zweiten Haus und in einem dritten. Alle Behausungen waren menschenleer. Außer Ratten schien es hier kein Leben zu geben.
Unvermittelt vernahm ich ein Rauschen in der Luft. Ein schneller Blick nach oben gab mir die Gewissheit, dass die seltsamen Vögel das Dorf als Landeplatz zu nutzen gedachten. Schnell verkroch ich mich in eine ziemlich baufällige Hütte. Durch ein kleines Fenster konnte ich den Markt gut überblicken.
Die Riesenvögel landeten und verursachten einen Lärm, dass mir die Ohren dröhnten. Aus größerer Nähe erkannte ich nun: Ihre Schädel waren kahl wie die der Geier. Das schwarze Gefieder des Körpers, an einigen Stellen leuchtend rot, glänzte im Mondschein. Die Schwingen waren kahl wie der Schädel und erinnerten an die der Fledermäuse. Die Größe der Tiere erstaunte mich: Sie reichte an die der dörflichen Häuser heran. Der Platz schien fast nicht auszureichen für alle.
Und dann ging eine seltsame Veränderung mit ihnen vor: Sie schrumpften und veränderten ihre Gestalt – aus den Monstervögeln wurden menschliche Wesen. Schlagartig trat Stille ein.
Die Menschen – Männer und Frauen – gingen auseinander und suchten die Behausungen auf. Dem Himmel sei Dank. Ich schien in ein Haus geraten zu sein, in dem niemand mehr wohnte.
Ich blieb noch eine Weile in meinem Unterschlupf, denn es wäre nicht möglich gewesen, ihn zu verlassen, ohne gesehen zu werden. Der natürliche Instinkt meines Körpers riet mir, schnell aus dem Dorf zu verschwinden. Aber hatte ich diesen seltsamen Vögeln, die – wie ich nun erlebt hatte – zu Menschen wurden, nicht nachspüren wollen? Welchen Grund gab es für deren Verwandlung?
Müdigkeit überkam mich, aber zu schlafen wagte ich nicht, lauschte nur angestrengt nach draußen. Unter äußerster Vorsicht stahl ich mich schließlich aus dem Haus und schlich aus dem Dorf.
Ich marschierte zurück, bis in den Talkessel hinein. Unter einem Felsvorsprung bereitete ich mir ein Lager, hüllte mich in meinen Umhang und umklammerte das Schwert. Es gab mir ein Gefühl der Sicherheit. Ich wusste, dass ich sofort erwachen würde, sofern sich eine Gefahr nähern sollte.
Lange konnte ich noch nicht geschlafen haben, als ich durch eine Berührung an der Schulter jäh geweckt wurde. Verstört fuhr ich empor, stand mit erhobenem Schwert da und sah in zwei leuchtend grüne Augen, die mich neugierig musterten. Das Tier glich einer Katze, nur hatte es deren dreifache Größe. Es legte den Kopf schief und gab ein leises, friedfertig klingendes Fauchen von sich. Langsam senkte ich das Schwert.
Das Tier schien zu spüren, dass von mir keine Gefahr mehr drohte und stieß dieses Mal ein leises Maunzen aus. Gemächlich näherte sich nun ein weiteres Geschöpf dieser Art. Die Großkatzen stellten sich nebeneinander, sahen zu mir auf und ich glaubte zu wissen, was dies bedeuten sollte. Aus einem Beutel, der meinen Proviant enthielt, entnahm ich zwei getrocknete Fleischstücke und hielt sie den Tieren hin. Sie verschmähten das Fleisch nicht, fraßen jedoch eher, als wollten sie mir eine Freude machen. Ich legte mich wieder auf mein Lager. Zu meiner Verwunderung rollten sich die Tiere dicht neben mir zusammen und schlossen die Augen. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Doch weil sonst nichts geschah, übermannte auch mich erneut der Schlaf.
Als ich erwachte, lagen die beiden Tiere noch immer neben mir. Sobald ich mich erhob, erwachten sie und benahmen sich nun wirklich wie Katzen – reckten und streckten sich, schnurrten und strichen mir um die Beine. Diese waren gewiss keine dem Satan dienstbaren Geschöpfe. Plötzlich sauste eine der Katzen davon und kam nach kurzer Zeit mit einem Kaninchen zwischen den Zähnen zurück. Ich hatte offenbar zwei Jäger an meiner Seite, die sich für das gedörrte Fleisch erkenntlich zeigten. Das ließ ich mir gerne gefallen. Ich teilte gerecht – sie erhielten ihre Portion roh, ich briet mir meinen Anteil über einem kleinen Feuer. Wiederum nahm ich wahr, dass die Katzen nur aus Anstand zu fressen schienen.
Heute wollte ich dem Dorf noch einmal einen Besuch abstatten und beobachten, wie diese seltsamen Menschen auf mich reagierten. Ich packte das Wenige zusammen, das ich besaß und machte mich auf den Weg. Die Katzen liefen neben mir her. Beabsichtigten sie etwa, meine ständigen Begleiter zu werden?
Schon bald erblickte ich die kleinen Häuser. Seltsam, in der Nacht war mir der Weg viel länger vorgekommen. Ich sah auf die Katzen und merkte, dass beide Tiere konzentriert geradeaus blickten. Ich hörte sie warnend fauchen. Sie liefen jedoch weiter mit mir auf das Dorf zu. Vielleicht wollten sie mit ihrem Verhalten auch nur eine Art ständiger Aufmerksamkeit ausdrücken.
Wir erreichten den Ort. Es herrschte bereits reges Treiben auf der einzigen Straße. Niemand schien von mir und den Katzen Notiz zu nehmen, trotz des seltsamen Anblicks, den wir boten. Nirgendwo bemerkte ich Kinder, dagegen fiel mir eine junge Frau auf, die wie verloren in der Mitte der Straße stand und mit leerem Gesichtsausdruck einen Punkt am Himmel zu fixieren schien.
Ich ging auf sie zu und sprach sie an: „Ich grüße dich.“
Es war, als erwache die Frau aus einem Traum. Sie blickte erschreckt auf und murmelte: „Oh, Entschuldigung. Ich stehe Ihnen im Weg.“
„Nein, nein“, beruhigte ich sie. „Ich suche eine Unterkunft. Könnten Sie mir behilflich sein?“
Grüne, verträumte Augen musterten mich nun freundlich. Das Gesicht der jungen Frau durfte schön genannt werden. Sie trug ein einfaches blaues Kleid und eine weiße Haube, die den größten Teil des roten Haares verbarg. Als sie lächelte, erschienen auf ihren Wangen zwei Grübchen. „Einen Gasthof gibt es hier nicht“, sagte sie und setzte nach einer kurzen Pause ernst hinzu: „Halten Sie sich lieber nicht bei uns auf. Dieser Ort ist verflucht. Hier lauert das Böse.“
„Ich habe keine Angst vor dem Bösen“, erwiderte ich.
„Und ich wüsste gern, warum ich glaube, dass es am Himmel lauert, von dem doch nur Gutes kommen sollte“, sagte sie mehr zu sich selbst.
Nun ahnte ich, warum sie nach oben gestarrt hatte: Dachte auch sie an die Vögel? Noch wusste ich nicht, ob ich ihr trauen durfte und warf daher einen verstohlenen Blick auf die Katzen, die sicher das bessere Gespür für Gefahr besaßen. Sie saßen auf den Hinterläufen, sahen mal nach dieser, mal nach jener Seite, zeigten jedoch keine Anzeichen erhöhter Anspannung.
„Ich könnte Ihnen ein Unterkommen bieten, wenn Sie mit einem einfachen Lager zufrieden sind“, bot die junge Frau an. „Aber wie ich schon sagte, …“
„Ich danke für die Gastfreundschaft“, unterbrach ich sie schnell. „Ich nehme das Angebot gern an.“
Die junge Frau nickte zustimmend, aber ihr Gesichtsausdruck blieb besorgt. Sie lief voran, die Straße entlang auf den Rand des Dorfes zu. Ich folgte ihr bis zu einem einfachen Häuschen. Die Katzen ließen sich rechts und links der Tür nieder, als nähmen sie einen Wachtposten ein. Seltsame Tiere.
Der Raum, den ich betrat, war spartanisch eingerichtet. An drei Wänden standen breite Bänke, die mit Fellen, Decken und Kissen bestückt waren. Offenbar dienten sie als Schlafplätze. Mitten im Raum befand sich eine Feuerstätte mit Rauchabzug im Dach, über der an eisernen Ketten ein Kessel hing. Ein jüngerer Mann mit düsterem Gesichtsausdruck rührte mit einem großen Holzlöffel darin herum.
Unser Eintreten schien er zu überhören und erschrak, als die Frau sagte: „Das ist mein Bruder Jago.“ Dann wandte sie sich an ihn: „Der Fremde wird hier übernachten. Bitte gib ihm einen Teller Suppe.“
Der Mann musterte mich misstrauisch und fragte: „Wie heißt du?“
„Adrian Troy nennt man mich“, antwortete ich wahrheitsgemäß und fügte zur Tarnung hinzu: „Ich komme aus der Ferne und möchte Land und Leute in diesem Teil der Welt kennenlernen.“
„Setz dich, Adrian.“ Der Mann wies auf einen Stuhl am Tisch, dann entnahm er einem Regal eine irdene Schüssel, füllte sie mit Suppe aus dem Kessel und setzte sie mir vor.
Die junge Frau brachte mir einen Löffel. Der Eintopf roch gut. Mein irdischer Körper freute sich auf die Mahlzeit. Jago und die Frau nahmen mir gegenüber Platz. Während des Essens wurde nicht geredet, was mir recht war. So konnte ich die beiden unauffällig beobachten.
Jago warf der Schwester Blicke zu, aus denen ich herauslas, dass er nicht viel von meiner Anwesenheit hielt. In dieser Hinsicht erging es mir ähnlich: Ich hätte gern gewusst, mit welche Art Menschen ich es zu tun bekam. Das Dorf sei verflucht, hatte die junge Frau gesagt und keine Unklarheit darüber aufkommen lassen, dass ihr meine Anwesenheit an diesem Ort Sorge bereitete. Was steckte nur dahinter?
Plötzlich hörte ich in meinem Kopf eine Stimme: „Viele Fragen, mein Freund, und keine Antworten.“ Die Stimme kicherte und fuhr fort: „Und nun fragst du dich, wer mit dir spricht.“
Ich starrte wie gebannt in meine Schüssel, als läge darin die Erklärung für das, was mir passierte. Nur nichts anmerken lassen.
„Hihihi.“ Wieder dieses Kichern, das fast an ein Miauen erinnerte.
„So ist es“, bestätigte die Stimme. „Wir sind es, die Katzen. Wir wurden dir als Helfer zur Seite gestellt. Deine Aufgabe ist uns bekannt, deine Gedanken liegen offen vor uns. Wir sind positive Energie, die sich gegen das Böse richtet – gegen die Dämonen und Satan.“
„Schmeckt es Ihnen nicht?“, fragte die junge Frau.
Ich fuhr aus meiner Starre auf und beeilte mich zu versichern, das Mahl sei köstlich. Darauf erhielt ich eine weitere Portion und nun teilte ich meine Aufmerksamkeit erneut zwischen der Stimme in meinem Kopf und dem Löffeln der Suppe.
Ich fragte in Gedanken hoffnungsvoll: „Gibt es noch mehr Verbündete?“
„Oh ja. Viele“, erhielt ich zur Antwort. „Aber eines nach dem anderen. Komm unter einem Vorwand nach draußen.“
Die Stimme schwieg und falls die Katzen meine Gedanken noch empfingen, so antworteten sie nicht mehr. Ich dankte für die Suppe und sagte, ich sei gewohnt, mich nach dem Essen zu bewegen. „Gleich hinter dem Haus ist freies Feld“, schlug die junge Frau vor. „Ein guter Weg für einen Spaziergang.“
Als ich vor die Tür trat, erhoben sich die Katzen und nahmen von selbst genau diesen Weg. In einigem Abstand zum Dorf ließ ich mich auf der Wiese nieder. Die Katzen folgten meinem Beispiel und schon hörte ich die Stimme in meinem Kopf: „Bei Eintritt der Dunkelheit werden die Dorfbewohner wieder zu Monstervögeln. Aguaros bedient sich ihrer scharfen Augen, um die Segmente des Artefakts zu finden, die ihn in die Lage versetzen, die Zwischenwelt zu öffnen. Verlass die Behausung unter keinen Umständen nach Einbruch der Dämmerung, nur dann bist du sicher. Wir werden uns, sobald das Dorf verlassen ist, mit dir zu unserem Heer aufmachen. Bist du einverstanden?“
Und ob ich damit einverstanden war. Während ich zuhörte, betrachtete ich mal die eine, mal die andere Katze verstohlen. Beide sahen mich aufmerksam an. Es war unmöglich herauszufinden, welche von beiden mit mir sprach.
„Wir haben eine gemeinsame Stimme“, ließen die Katzen mich wissen.
Schließlich kehrten wir zum Haus zurück. Als ich eintrat, rief Jago seiner Schwester mürrisch zu: „Mira, zeig ihm, wo er sich waschen kann; er hat es nötig.“ Das war eine deutlich unhöfliche Ansage und der Mann wurde auch nicht freundlicher, als er sich mir zuwandte und verfügte: „Du kommst heute Abend mit auf den Dorfplatz. Du wolltest doch Leute kennenlernen.“
Ich dachte an die Warnung der Katzen, das Haus nicht zu verlassen, und erwiderte: „Ich bin seit Tagen auf den Beinen, daher sehr müde und möchte lieber schlafen. Lass uns das Kennenlernen auf später verschieben. Niemand zwingt mich, das Dorf schon morgen zu verlassen.“
Diese Argumente hatte ich mit freundlicher Stimme vorgetragen und Jago einen offenen Blick geschenkt, während der seine lauernd auf mir ruhte. Ohne ihn weiter zu beachten, ging ich darauf mit Mira nach draußen.
Hinter dem Haus gab es eine einfache Waschgelegenheit. Ich entledigte mich der Kleidung. Mira sah mir verstohlen zu und ihren Blicken entnahm ich, dass ihr gefiel, was sie sah. Ich hätte gar zu gern gewusst, was sie dachte.
Warum war ich nicht überrascht, als ich ein Kichern in meinen Gedanken hörte? „Willst du wirklich wissen, was sie denkt?“, fragte die Stimme spöttisch.
„Aber ja“, versicherte ich, ebenfalls auf mentalem Weg.
„Sie bedauert, dass sie heute Abend dein Lager nicht teilen kann. Sie weiß nicht, warum sie dafür keine Zeit finden wird, weiß nur, dass sie sich bei Einbruch der Dämmerung auf dem Dorfplatz einfinden muss. Aguaros hat ihre und die Erinnerungen aller Dorfbewohner getrübt. Er lenkt deren Willen.“
Ich dachte an die in den Himmel lauschende Mira. Die Katzen erklärten weiter: „Sie ist die einzige, die etwas von dieser negativen Energie spürt. Die anderen ahnen nicht, dass sie einer höllischen Macht dienen.“
Ich hatte mir fast so etwas gedacht. Also wusste auch Jago nicht, warum er mich unbedingt mit auf den Marktplatz mitnehmen wollte. Aber hatte ich die geflügelten Ungeheuer nicht auch am Tag gesehen? „Das sind die vom Dämon in den Dienst genommenen gierigen Menschen, die glauben, an der Herrschaft über die Welt beteiligt zu werden. Noch gehört keiner aus diesem Dorf dazu“, erhielt ich zur Antwort. Das war tröstlich, denn so bestand Hoffnung auf Rettung für diese armen Menschen, Hoffnung auch für die junge Frau und ihren Bruder.
Mira reichte mir ein Tuch. Ich schlang es mir um die Hüften und las Bedauern in ihrem Gesicht. „Nun, hübsche Mira“, dachte ich belustigt, „vielleicht findet sich ja noch eine Gelegenheit, den Körper, den ich erhalten habe, mit dir gemeinsam auszuprobieren.“
In der Hütte erhielt ich von ihr saubere Kleidung in der Art, wie Gabriel sie mir gegeben hatte. Sie passte sich meiner Statur gut an. Obgleich das Schwert unter meinem Umhang lag, entdeckte Mira es beim Aufnehmen der getragenen Kleidung, die ich achtlos dort platziert hatte, und blickte mich fragend an. „Eine reine Vorsichtsmaßnahme für unterwegs“, erklärte ich gleichmütig und schwor mir, künftig sorgfältiger beim Verbergen der Waffe vorzugehen. Meine Gastgeberin schwieg und stellte keine Fragen.
Die Dämmerung setzte an diesem Tag früh ein und schritt rasch voran. Nach meiner Rechnung hatten wir höchstens späten Nachmittag. Beeinflusste der Dämon etwa auch die Tageszeit? Jago wurde zunehmend unruhig. Er versuchte, mich in meinem Entschluss umzustimmen, im Haus zu bleiben und mir den Eindruck zu vermitteln, auf dem Marktplatz werde ein Fest gefeiert. Aber ich blieb standhaft und machte es mir auf einer Bank bequem. Voller Unmut verließ er schließlich mit Mira die Behausung.
Ich hielt mich nicht an die Warnung der Katzen, sondern schlich durch den Hinterausgang über das Feld und durch verwilderte Gärten bis in die Nähe des Marktplatzes. Im Schatten einer Mauer fand ich Schutz und beobachtete, wie sich die Menschen auf dem Platz zusammendrängten. Ein Rauschen ertönte in der Luft.
Unvermittelt senkte sich eine tiefschwarze Wolke auf die Wartenden herab. Unartikuliertes Krächzen überlagerte menschliche Stimmen und als sich die Schwärze auflöste, erblickte ich die hässlichen Riesenvögel der vergangenen Nacht. Sie erhoben sich in die Luft, dann herrschte gespenstische Stille.
Ich eilte auf dem Weg zurück, den ich gekommen war. Die Katzen erwarteten mich schon. „Du solltest vorsichtiger sein“, hörte ich ihre Warnung, dann schlichen sie geschmeidig vor mir durch die Dunkelheit querfeldein.
Ein silberner Vollmond stand am Himmel. Die Katzen liefen nach Süden und es dauerte nicht lange, da hatten wir einen Wald erreicht. „Hat es dir das Denken verschlagen?“, vernahm ich eine spöttische Stimme in meinem Kopf. Wenn ich nur gewusst hätte, welche von beiden …
Das wohlbekannte Kichern war zu hören. „Gib dir keine Mühe. Ra und Rho wirst du nie auseinanderhalten. Wir sind eins.“
Laut sagte ich: „Dann – Ra und Rho – schaut mich wenigstens an, wenn wir miteinander im Geist sprechen.“ Absolut zeitgleich stoppten die Tiere ihren Lauf und wandten mir die Köpfe zu. Ihre Augen leuchteten. „Geht es dir nun besser?“, spotteten sie.
Die beiden waren mir über. „Lasst uns weiterlaufen“, knurrte ich. Wir verließen den Wald und erreichten einen Fluss, der sich durch eine Ebene schlängelte. Am Ufer hielten die Katzen inne. Sie schienen auf etwas zu warten. Es dauerte nicht lange, da steuerte ein Boot auf uns zu. Warum wunderte ich mich nicht, als ich am Ruder eine Katze wahrnahm?
Wir stiegen ein. Das Boot drehte in den Fluss und hielt lautlos und gegen die Strömung auf eine Felswand zu. Als wir uns näherten, hörte ich das Rauschen eines Wasserfalls und bald sah ich ihn auch im Mondschein niederstürzen. Das Boot hielt genau darauf zu. Wir tauchten in die Gischt ein. Unvermittelt umfasste uns nächtliches Dunkel, dennoch fand das Boot seinen Weg, offenbar glitt es zwischen die Felsen hinein. So rasch die Dunkelheit über uns hereingebrochen war, so unerwartet wurde es wieder nachthell.
Vor mir tat sich eine märchenhafte Gegend auf – Sterne am Himmel, ein freundlicher Mond, dessen silbernes Licht sich in einen spiegelglatten See zu ergießen schien. An seinem Ufer brannten zahllose Feuer und um sie herum saßen Katzen, alle im Aussehen miteinander identisch. Es herrschte eine Stille, die mir unheimlich war. Das Boot konnte nicht direkt anlegen, es gab auch keinen Steg oder dergleichen. Meine Begleiter waren mit einem geschickten Satz ans Ufer gesprungen, ich hingegen musste ein paar Schritte durch das Wasser an Land waten.
Währenddessen hörte ich Ras und Rhos Stimme in meinem Kopf: „Natürlich ist es still. Sie unterhalten sich telepathisch. Wenn du dich auf eine unserer Artgenossinnen konzentrierst, kannst du hören, was sie sagt. Versuch es nur.“
Ich fixierte eine Katze, die im Feuerschein gut erkennbar war, und hörte: „Mal sehen, was Ra und Rho da anschleppen. Es soll ein Mensch sein oder besser, ein beseelter Körper, der eigentlich tot ist. Sachen gibt es, die gibt es nicht.“ Ich lächelte in mich hinein. Ein ‚beseelter Toter’ war ich also in ihren Augen. Nette Vorstellung.
Mehrere Katzen hatten sich erhoben, um uns zu empfangen. Mittels Gedankenübertragung hießen sie mich, am nächstbesten Feuer Platz zu nehmen. Die Anwesenden hatten offenbar nur noch auf uns gewartet, denn ein Kater – als einziger wesentlich größer als die anderen – sprang jetzt auf einen Felsvorsprung. Alle wandten sich ihm zu. Auch ich hörte seine tiefe Stimme in meinem Kopf.
„Liebe Freunde. Wir haben heute einen Menschen unter uns, der, wie es die Prophezeiung besagt, zum Kampf gegen Aguaros und Satans Brut angetreten ist. Lasst euch von seiner unvollkommenen Hülle nicht täuschen. Er ist ein hervorragender Kämpfer des Lichts und hat dies in der Vergangenheit schon viele Male bewiesen. Wir wollen ihm helfen, seine Aufgabe zu erfüllen. Kommen wir nun zu dem, was wir schon wissen: Aguaros führt Satans Dämonen an und besitzt die Kraft, sich Menschen dienstbar zu machen, sie in Bestien zu verwandeln, ohne dass es ihnen bewusst wird. Wir wissen auch, dass er den Siegelöffner zur Zwischenwelt sucht und müssen verhindern, dass er ihn findet. Unsere vornehmliche Aufgabe ist daher, Aguaros rechtzeitig dorthin zu schicken, woher er gekommen ist – in die Verbannung.“
Der Kater wandte sich nun direkt an mich. An der Haltung seines Kopfes erkannte ich, dass er mich ansah. „Ich spreche für uns alle, wenn ich sage: Adrian Troy, wir werden dir nach Kräften zur Seite stehen. Rho und Ra sollen deine ständigen Begleiter sein. Aber du kannst auch jederzeit Kontakt mit mir aufnehmen. Dazu ist es nur notwendig, dass du intensiv an mich denkst. Ich weiß, du fragst dich, wer wir sind. Unser wahres Sein gleicht dem deinen – wir sind reine Energie. Wir haben die Gestalt der Katzen angenommen, weil uns dies als die beste Form erschien, unter den Menschen nicht aufzufallen und auch, um über eine Gestalt zu verfügen, die den Anforderungen eines Kampfes gewachsen ist. Dieser Körper ist künstlicher Natur und wandelbar. Du hingegen musst die irdischen Schwächen und Gefühle deines geborgten Körpers mit dem Kräftehaushalt deines ureigenen Seins kombinieren. Das birgt Gefahren in sich.“
Der Kater hatte sicher Recht. Die Energiewesen vor mir steckten nicht in einer aufwendig gereinigten menschlichen Hülle, die vormals heroinsüchtig gewesen war – also weitab von jeder Vollkommenheit.
Hatte der Redner meine Gedanken aufgefangen? Gewiss, denn er sagte: „Sei ohne Besorgnis. Ich heiße Boral und Boral lässt keinen ohne Hilfe. Wie ich schon sagte: Wenn du mich brauchst, denk an mich. Wie weit du auch von mir entfernt sein magst, ich werde dich hören. Und nun kehre mit deinen Begleitern zurück in das Dorf, aus dem du gekommen bist. Es wird der Ausgangspunkt für deinen Kampf und Erfolg sein.“ Das eine hatte ich mir bereits gedacht, das andere klang tröstlich, sofern es sich nicht nur auf den Erfolg in diesem ersten Kampf bezog. Doch darüber würde ich mir erst Gedanken machen, wenn es soweit war.
Die Versammlung war beendet. Rho und Ra drängten zum Aufbruch. Wir mussten vor Mitternacht im Dorf sein. Unsere zeitweilige Abwesenheit sollte von Mira und vor allem von Jago nicht bemerkt werden. Es ging zurück durch den tosenden Wasserfall, mit der Strömung auf dem Fluss abwärts, in Eile ans Ufer, im Dauerlauf durch den Wald und schließlich querfeldein bis zur atemlosen Ankunft im Dorf.
Dort herrschte noch immer Totenstille. Ohne mich weiter um meine Gefährten zu kümmern, fiel ich auf mein Lager und schlief sofort ein. Nicht einmal das doch so ohrenbetäubende Krächzen der heimkehrenden Monstervögel weckte mich richtig. Erst als Mira den Raum betrat, öffnete ich träge die Augen. Sie zündete einige Kerzen an. Als sie sich über das Licht beugte, bemerkte ich tiefe Ringe unter ihren Augen. Sie schöpfte Wasser aus einem Gefäß und trank. Daraufhin legte sie sich auf eine Bank und war auch schon eingeschlafen.
Ich quälte mich auf, trat an ihr Lager und deckte sie zu. Unversehens wurde ich an der Schulter herumgerissen und blickte in Jagos wütendes Gesicht. „Ich warne dich“, zischte er. „Komm ihr nicht zu nahe. Meine Schwester ist nichts für einen Abenteurer wie dich.“
Ruhig streifte ich seine Hand ab und trat auf mein Lager zu. Ich hatte ihn nun im Rücken, ahnte jedoch, was geschehen würde. Ich neigte den Kopf ein wenig seitwärts und Jagos Faust zischte an meinem Ohr vorbei ins Leere. Sofort trat ich einen Schritt nach rechts und aus der Drehung heraus ergriff ich seinen rechten Oberarm. Ich musste nur wenig Kraft aufwenden und schon taumelte Jago rückwärts in die Feuerstelle, riss den Topf mit sich, der über dem erloschenen Feuer hing und rutschte an der Wand neben dem Regal herunter. Ich folgte ihm und reichte ihm die Hand zum Aufstehen. Er gab einen verächtlichen Laut von sich und erhob sich ohne Hilfe.
„Was sollte das?“, fragte ich ernst. „Ich habe deine Schwester nur zugedeckt und du solltest dich besser auch zum Schlafen hinlegen. Wo wart ihr denn so lange? “
Jagos Blick war lauernd. „Hast du uns kommen hören?“
„Ja, natürlich“, gab ich scheinbar gleichgültig zu. „Ich muss sagen, ihr wart nicht eben leise.“
Mit dieser Doppeldeutigkeit hoffte ich, ihn aus der Reserve zu locken. Ich wollte herausfinden, ob ihm von seinem nächtlichen Treiben wirklich nichts in Erinnerung geblieben war. Mein Plan schien aufzugehen, denn er sah grübelnd über mich hinaus ins Leere. Dann schien er einen Entschluss gefasst zu haben. Er hob den Kopf, blickte mir in die Augen und sagte: „Ich weiß nicht, wer du bist, weiß nicht, ob ich dir trauen kann. Aber ich will es wagen. Seit einiger Zeit geschehen hier seltsame Dinge. Wir schlafen viel am Tag und nachts wissen wir nicht, was wir tun. Unsere Erinnerungen reichen bis zum Marktplatz, ab da verschwimmt alles zu Nebel. Gegen Morgen stehen wir noch immer dort und fragen uns, was wir da wollten. Meist fallen wir wie tot aufs Lager.“
Jagos Blick streifte die schlafende Schwester. „Sie hat bereits Wahnvorstellungen, glaubt, der Tod für das gesamte Dorf stürze direkt vom Himmel auf uns herab.“ Eine Stimme meldete sich in meinem Kopf: „Er sagt die Wahrheit. Er ist ehrlich verzweifelt.“ Wenn die Katzen nichts dagegen hatten, dann durfte ich wohl offen reden. „Ich weiß ebenfalls nicht, ob ich dir trauen kann“, erklärte ich. „Aber ich weiß, was mit euch geschieht. Vielleicht lässt sich etwas dagegen tun.“
Jagos Blick hing halb zweifelnd, halb hoffnungsvoll an mir und er forderte ungestüm: „Rede nicht herum. Sag, was du weißt und spann mich nicht auf die Folter.“
„Setz dich und hör zu“, erwiderte ich und drückte ihn auf die Bank nieder, auf der ich geschlafen hatte. Dann berichtete ich, was ich selbst beobachtet und was ich durch die Katzen erfahren hatte.
Jago ballte die Fäuste, sein Gesicht verzerrte sich wütend. Er stieß Worte in einer Sprache aus, die ich nicht verstand, mit einer Stimme, die ihm nicht gehörte. War das Jago? Oder sah sich hier ein anderer entdeckt? Doch als der Mann vor mir wieder er selbst wurde, entlud sich sein Grimm auf mich: „Wenn du glaubst, du kannst uns helfen, dann steh nicht untätig herum. Du machst dich doch nur wichtig, Herumtreiber.“
Darauf hätte ich nun viel sagen können, doch was hätte es gebracht? Sollte ich ihm von der Versammlung der Katzen erzählen? Ihm versichern, dass viel positive Energie bereitstand, das Chaos des Bösen wieder in Recht und Ordnung zu verwandeln? Hatte ich nicht eben den Verdacht gehegt, die Wut des Aguaros hinter Jagos seltsamem Ausbruch zu erkennen? Und sicher sammelte der Dämon die Gedanken der Menschen ein wie Früchte von den Bäumen, sobald sie zu Vögeln geworden waren. Auf keinen Fall wollte ich durch unbedachtes Reden die Rettung der Erde gefährden. Die Katzen schienen gleicher Meinung zu sein, denn sie forderten: „Schick ihn zur Ruhe.“
„Jago, leg dich schlafen“, redete ich ihm zu. „Du brauchst Kraft, wenn du dich gegen den Dämon zur Wehr setzen willst. Gleich morgen musst du die Dorfbewohner darüber aufklären, was mit ihnen nachts geschieht, musst sie von der Notwendigkeit überzeugen, gegen das Böse anzukämpfen.“
Der Mann nickte mechanisch und streckte sich auf der Bank aus. Bald hörte ich ihn gleichmäßig atmen. Dass er schlief, verschaffte mir die Gelegenheit, mich im Dorf umzusehen. Ich trat nach draußen und rief in Gedanken nach Rho und Ra. Sie erschienen wie Geister und strichen mir um die Beine. Zu dritt machten wir uns auf, den Ort zu erkunden. Die Dorfstraße und der Markt lagen wie ausgestorben da.
Die Katzen bestätigten meine Gedanken: „Alle schlafen.“ Und sie setzten hinzu: „Leider träumen sie auch nicht. Wir denken, das ist von Aguaros so gewollt. Manch einer würde sich sonst vielleicht erinnern, was er nachts tut. Diese Menschen werden nicht mehr lange durchhalten. Ihre Kräfte schwinden, ihr Geist verwirrt sich. Schon viele sind andernorts auf diese Weise zugrunde gegangen. Sind sie ausgelaugt, tötet Aguaros sie und sucht sich neue Opfer.“ Das beunruhigte mich sehr.
Wir wanderten ein Stück aus dem Dorf hinaus und ich entdeckte im nahen Feld ein dunkles Portal. Es stand da, mitten in der Landschaft. Weder rechts noch links befand sich eine Mauer, die ein Tor gerechtfertigt hätte. Ich war im Begriff, mich dem ungewöhnlichen Bauwerk zu nähern, da überfielen mich die Stimmen der Katzen: „Zurück. Verbirg dich. Es kommt etwas durchs Tor.“
Ich ließ mich sofort in die nahen Büsche fallen. Die Katzen kauerten sich neben mich. Wir richteten unsere Augen durch das dichte Blattwerk auf das Portal, welches im Inneren zu rotieren begann. Helle und dunkle Schlieren schlangen sich ineinander und dann spuckte das Tor eine Gestalt aus, die einem Alptraum glich.
Die Katzen an meiner Seite fauchten leise, regten sich aber nicht. Ein kurzer Impuls erreichte mein Hirn: „Nicht senden.“ Das bedeutete, der Dämon – oder was da auch immer aus dem Tor katapultiert worden war – hatte empfindliche Antennen und beherrschte die stumme Kommunikation ebenfalls.
Woher wussten die Katzen das? Ich betrachtete das riesige Scheusal aus meinem Versteck heraus, soweit das bei Mondlicht möglich war. Es hatte einen gehörnten Schädel, gewaltiger als der eines Stieres, und eine feuerrot leuchtende Fratze. Die weit hervorstehenden Augen erschienen mir so schwarz wie die Nacht bei Neumond, die Nasenlöcher waren handtellergroß und die Ohren so gigantisch, dass sie der Erdanziehungskraft folgten und ein großer Teil davon wie Schlappohren hinunterhing. Der vorgeschobene geöffnete Rachen, gespickt mit scharfen Hauern, glich dem eines Pavians, dazu gemacht, Beute zu reißen und in ständiger Bereitschaft, zu töten. Der unförmige Schädel saß dem Dämon direkt auf den Schultern, die kräftigen Arme hingen rechts und links vom Körper bis zu den Kniekehlen der für den Körper viel zu kurzen, stämmigen Beine, herab. Von Kopf bis Fuß war das Untier mit langen, verfilzten Haaren bedeckt. Ich wagte nicht, mir vorzustellen, wie viel Ungeziefer sich darin tummelte. Die Ausgeburt der Hölle grunzte wie eine Herde wilder Schweine, drehte und wendete sich wie eine Maschine und hielt nach rechts und links Ausschau.
Als das Monster in unsere Richtung blickte, hielt ich unwillkürlich den Atem an, denn ich hatte den Eindruck, als könne es durch das Blattwerk hindurchsehen. Tatsächlich machte es drei Schritte auf unser Versteck zu.
Urplötzlich – wie von der Sehne geschnellt – sprangen die Katzen auf und stürmten dem Ungeheuer entgegen. Jetzt hielt auch mich nichts mehr an meinem Platz. Ich zog das Schwert, drückte auf den roten Stein am Schaft der Waffe und schon flammte sie auf in der Farbe des reinigenden Feuers.
Die Katzen waren einen Sprung weit vor der Kreatur auf dem Boden gelandet und nun zeigte sich ihre Macht: Sie stellten sich auf die Hinterbeine, gleißend helle Energiestrahlen lösten sich aus ihren Tatzen, die dort, wo sie auf das Ungeheuer trafen, verbranntes Fell hinterließen.
Da kam auch ich heran und konnte gerade noch verhindern, dass eine der Katzen Bekanntschaft mit den Pranken des Untieres machte. Mein Schwert durchtrennte den Unterarm des Monsters wie Butter. Es heulte auf und wandte sich geifernd mir zu. Wieder wirbelte mein Schwert durch die Luft und ehe die Höllenkreatur reagieren konnte, hatte ich ihr den Kopf abgeschlagen. Stinkender grüner Qualm drang aus dem Torso und schwarzes Blut sprudelte heraus. Langsam sank die unförmige Masse zu Boden und löste sich auf. Nichts blieb von ihr zurück. Es war, als sei an diesem Ort nie etwas geschehen.
Das Tor verschwand, als hätte man eine Flamme ausgeblasen, in meinem Kopf aber dröhnte eine Stimme: „Ich weiß nun, wo du bist, Adrian Troy.“ Es war Jahrhunderte her, dass ich diese Stimme gehört hatte, aber es bestand kein Zweifel.
„Richtig. Ich, Aguaros, rede mit dir“, spottete die Stimme. „Ich muss zugeben, du bist stark und deine Begleiter können sicher mehr als meinem Sendboten das Fell verbrennen. Aber denk daran: Du bist allein mit deinen beiden Katzen. Kein Mensch wird dir helfen, gegen mich zu kämpfen; ich lenke sie alle. Tritt auch du in meine Dienste ein. Du wirst es nicht bereuen, denn ich werde das gesamte Universum beherrschen. Es wird keine Hüter des Lichts mehr geben; keine schwachen menschlichen Kreaturen, nur Dämonen. Nimm mein Angebot an oder ich werde dich vernichten.“
Ich war unfähig, mich zu rühren, solange Aguaros sprach. Endlich schwieg die dröhnende, heisere Stimme und die Starre in meinen Gliedern löste sich. Laut rief ich in die Dunkelheit hinein: „Niemals werde ich in deinen Dienst treten, Dämon. Wer bist du, dass du es wagst, einen Kämpfer des Lichts herauszufordern? Du bist ein Feigling. Schickst eine deiner Kreaturen, statt selbst zu erscheinen. Du willst die Menschheit vernichten? Willst über das Universum herrschen? Du bist doch nur ein Scherge des Höllenfürsten. Satan lenkt dich. Und er hofft, dass die Menschen dich mit Hilfe der Hüter und Kämpfer des Lichts vernichten, dich und deinen Größenwahn.“
Was ich gehofft hatte, trat leider nicht ein: Ich hatte gedacht, Aguaros derart provozieren zu können, dass er alle Vorsicht außer Acht lässt und in eigener Gestalt erscheint. Stattdessen spürte ich, dass die negative Präsenz endgültig dahinschwand. Die Stimmen der Katzen in meinem Kopf warnten: „Aguaros weiß nun, wo wir uns aufhalten. Sobald die Dorfbewohner wieder zu Monstervögeln werden, wird er sie auf uns hetzen und wir müssen viele von ihnen verletzen oder gar töten. Also gilt es, etwas zu unternehmen, damit es nicht dazu kommt.“
Der Morgen war inzwischen angebrochen. Wir eilten zurück ins Dorf. Dort stand Mira wie bei unserer ersten Begegnung mitten auf der Straße und starrte angestrengt in den Himmel. Ich berührte ihre Schulter. Als sie mich erkannte, fiel sie mir um den Hals und weinte hemmungslos. Ich fragte, was geschehen sei.
„Oh, Adrian“, schluchzte sie. „Mein Bruder. Er ist … er lief gegen Morgen auf die Straße. Er wurde zu einem Monster. Er ist … er ist davongeflogen.“
„Verdammt“, dachte ich. „Aguaros verliert wirklich keine Zeit. Er holt sich den angreifbarsten Charakter.“
Jene aus dem Dorf, die bereits auf den Beinen waren, hatten Jagos Verwandlung mit angesehen und redeten wild durcheinander. Ich sah das Entsetzen in ihren Gesichtern. Mit einem lauten Ruf sorgte ich für Ruhe und erklärte den Dorfbewohnern dann, was in den Nächten mit ihnen geschah, wer dafür verantwortlich war und wozu der Dämon sie missbrauchte. Nun stand neben Angst und Entsetzen auch noch Hoffnungslosigkeit in ihren Gesichtern. Es schien ihnen nur ein schwacher Trost, als ich versicherte, die Mächte des Lichtes hätten den Kampf gegen das Böse bereits aufgenommen, denn ich gab auch ehrlich zu: „Ich kann euch nicht sagen, ob der Kampf erfolgreich sein wird. Und wir werden kaum etwas erreichen, wenn die Menschen nicht nach Kräften mithelfen. Vielleicht werden viele dabei umkommen, aber wenn sie nicht kämpfen, werden ganz gewiss alle sterben.“
Noch während ich redete, tauchten wie aus dem Nichts Katzen über Katzen auf. Die Dorfbewohner drängten sich zusammen und sahen aus angstgeweiteten Augen auf das Schauspiel, das sich ihnen bot. Ich rief ihnen zu, dies seien die Guten, die Helfer. „Sie sind gekommen, das Dorf zu beschützen“, sendeten die Stimmen von Ra und Rho und ich gab diese Botschaft sofort laut weiter.
Die schier überwältigende Menge der Katzen bildete einen Ring um das Dorf. Sie standen dicht an dicht, erhoben sich auf die Hinterbeine und aus ihren nach oben gereckten Vorderpfoten wuchsen grelle Strahlen, die sich über dem Dorf zu einer Kuppel vereinigten. Daraufhin verschwanden die Tiere lautlos, wie sie gekommen waren, nur die Kuppel aus Energie blieb zurück.
Aguaros hatte recht: Die Katzen verstanden mehr als nur zu schnurren. Die Kuppel, aufgeladen mit weißer Magie, würde für die Mächte der Finsternis ein vorerst unüberwindliches Hindernis darstellen. Für die Dorfbewohner bedeutete dies eine gewisse Zeit der Ruhe.
Mira tat mir leid. Ich befürchtete, dass Jago nicht zurückkommen würde. Mit großer Wahrscheinlichkeit war er den Mächten der Finsternis für immer zum Opfer gefallen. Die junge Frau warf sich mir erneut weinend in die Arme. Ich brachte sie in ihre Behausung. Wortlos legte sie sich auf eines der Lager und drehte das Gesicht zur Wand. Ich ließ sie in Ruhe trauern. Vielleicht würde sie darüber einschlafen und neue Kraft schöpfen. Auf seltsame Art fühlte ich mich für sie verantwortlich. In all den Jahrhunderten meiner Wandlungen und Verwandlungen war ich stets Beschützer und Helfer gewesen. Dieses Mal jedoch kam noch ein bislang unbekanntes Gefühl hinzu.
Ich setzte mich dem Lager gegenüber auf die Bank und bewachte Miras Schlaf, in den sie hineingeglitten war. In angenehme Gedanken versunken, schreckte ich durch das Kichern der Katzen auf, das sich in meinem Kopf breit machte. „Deine Gedanken sind zum Kribbeln komisch.“
„Lacht nur“, wehrte ich mich. „Dieser Männerkörper ist seltsam und eine völlig neue Erfahrung für mich. Gabriel hat bei der Reinigung bestimmt etwas übersehen. Und nun verzieht euch aus meinem Kopf, aber ein bisschen plötzlich.“
„Schon gut, Spaßverderber.“
Ich fühlte, dass die Katzen meiner Aufforderung nachkamen und wandte mich erneut Mira zu. Sie erwachte und schien zu bemerken, dass ich sie betrachtete. Mit Tränen in den schönen grünen Augen sah sie mich an. Das rote Haar fiel ihr in sanften Wellen bis weit über die Schultern herab, als sie sich nun aufsetzte. Die Knöpfe ihres blauen, einfachen Kleides waren aufgegangen und gaben den Blick auf ihr Dekolletee frei.
Das Gefühl, das dieser Anblick bei mir auslöste, bereitete mir Sorge, denn ich ahnte, dass mein geliehener Körper noch einige Überraschungen dieser Art für mich bereithielt. Eine für mich ungewohnte Reaktion spürte ich schon überdeutlich im Schritt. Mira schien es ebenfalls zu bemerken, sie hatte jedoch deutlich weniger Hemmungen. Mit geschmeidigen Bewegungen glitt sie auf mich zu und öffnete Knopf um Knopf ihres Kleides. Ihre grünen Augen funkelten hinter langen dichten Wimpern. Unter dem Kleid trug sie nichts weiter als Haut, samtweiche, leicht gebräunte Haut. Mir wurde heiß. Dann lehrte Mira mich, wozu ein Männerkörper taugte. Wir waren unersättlich in unserer Lust und erst gegen Abend so erschöpft, dass wir eng umschlungen einschliefen.
Als die Dämmerung hereinbrach, fand sich kein Dorfbewohner auf dem Markt ein. Die Energiekuppel absorbierte das Böse und neutralisierte die Magie der Hölle. Die Leute fanden sich auf der Wiese um den Dorfteich ein und feierten ein fröhliches Fest, als sei die Welt schon gerettet.
Als ich erwachte, war es bereits dunkel. Miras warmer Körper lag eng an meinen geschmiegt und tiefe, regelmäßige Atemzüge verrieten, dass sie schlief.
Meine Gedanken galten jetzt den Ereignissen von gestern. Mein Auftrag lautete eindeutig: Aguaros unschädlich machen. Dass Mira in meinem auf Kampf ausgerichteten Dasein plötzlich einen so großen Platz einnahm, verunsicherte mich. Sie regte sich an meiner Seite, schlug die Augen auf und streckte ihren schlanken Körper. Schnell erhob ich mich und lief nach draußen, denn mein Körper reagierte erneut auf ihre Reize. Hinter dem Häuschen stand ein Trog mit Wasser für die häuslichen Verrichtungen. Er war ziemlich groß und das Wasser sehr kalt. Ich stieg hinein und kühlte die in mir aufsteigende Hitze ab. Mira war mir gefolgt, in ein durchsichtiges Tuch gewickelt. Sie lachte. „Was ist mit dir, Adrian? Hat es dir nicht gefallen?“
„Gefallen ist untertrieben“, beteuerte ich. „Es war fantastisch, du bist fantastisch, die Welt ist fantastisch.“
„Komm wieder herunter“, hörte ich die Katzen in meinen Gedanken. Sie waren hinter Mira aufgetaucht. „Zieh dich an, Kämpfer des Lichts. Es gibt Arbeit. Vor dem Energiefeld formieren sich höllische Kreaturen und heulen zum Angriff.“