Aëlita - Alexei Tolstoi - E-Book

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Alexei Tolstoi

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Beschreibung

Enttäuscht von der Menschheit sucht der Ingenieur Lossj sein Heil in der Raumfahrt. Mit einer selbst gebauten Rakete fliegt er zum Mars. Dort trifft er auf menschenähnliche Wesen. Doch welche Enttäuschung: Auch auf dem Mars gibt es eine von den Herrschenden unterdrückte Klasse. Lossj, der den Marsianern die Revolution bringen will, verliebt sich in Aëlita, die Tochter des Marsdiktators Tuskub. Doch dieser ist gewarnt und plant einen Mordanschlag auf Lossj. Ein klassisches Werk der sowjetischen fantastischen Literatur. Null Papier Verlag

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Alexei Tolstoi

Aëlita

Science-Fiction Roman

Alexei Tolstoi

Aëlita

Science-Fiction Roman

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Übersetzung: Alexander EliasbergUmschlaggestaltung: comfreak EV: Allg. Verlagsanstalt, München, 1924 (255 S.) 1. Auflage, ISBN 978-3-962815-91-2

null-papier.de/647

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Eine selt­sa­me An­non­ce.

In Loss­j’ Werk­stät­te.

Der Rei­se­ge­nos­se

Schlaflo­se Nacht

In der glei­chen Nacht

Der Ab­flug

Im schwar­zen Him­mel

Die Lan­dung

Der Mars

Das ver­las­se­ne Haus

Der Son­nen­un­ter­gang

Lossj blickt auf die Erde

Die Mar­sia­ner.

Jen­seits der ge­zack­ten Ber­ge

Soa­ze­ra

Im him­melblau­en Hai­ne

Die Rast

Die Ne­bel­ku­gel

Auf der Trep­pe

Aë­li­tas ers­te Er­zäh­lung.

Eine zu­fäl­li­ge Ent­de­ckung.

Der Mor­gen Aë­li­tas.

Die zwei­te Er­zäh­lung Aë­li­tas

Guss­jew be­ob­ach­tet die Stadt.

Tus­kub

Lossj bleibt al­lein.

Lie­bes­zau­ber

Das alte Lied.

Lossj fliegt Guss­jew zur Hil­fe

Guss­jews Tä­tig­keit am ver­gan­ge­nen Tage.

Wen­dung der Er­eig­nis­se.

Der Ge­gen­an­griff

Das La­by­rinth der Kö­ni­gin Magr.

Chao.

Die Flucht.

Nicht­sein.

Die Erde.

Die Stim­me der Lie­be.

Dan­ke

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htt­ps://null-pa­pier.de/newslet­ter

Eine seltsame Annonce.

Um vier Uhr nach­mit­tags er­schi­en in Pe­ters­burg, auf dem Pro­spekt der Mor­gen­rö­te, eine selt­sa­me An­non­ce – ein klei­nes Blatt grau­es Pa­pier, mit Nä­geln an die ab­ge­brö­ckel­te Mau­er ei­nes leer­ste­hen­den Hau­ses an­ge­schla­gen. Der Kor­re­spon­dent ei­ner ame­ri­ka­ni­schen Zei­tung, Archi­bald Ski­les, sah im Vor­bei­ge­hen eine jun­ge Frau in ei­nem rein­li­chen Kat­tun­kleid bar­fuß vor der An­non­ce ste­hen, sie las sie, die Lip­pen be­we­gend. Das müde, lie­be Ge­sicht der Frau drück­te kei­ner­lei Er­stau­nen aus, die Au­gen blick­ten hei­ter, gleich­gül­tig, ein we­nig ver­rückt. Sie strich sich eine Sträh­ne des ge­well­ten Haa­res hin­ter das Ohr, hob den Korb mit Ge­mü­se vom Trot­toir auf und ging über die Stra­ße.

Die An­non­ce ver­dien­te Be­ach­tung. Ski­les las sie mit großem In­ter­es­se, trat nä­her her­an, fuhr sich mit der Hand über die Au­gen und las noch ein­mal. »Twen­ty three«, ver­setz­te er schließ­lich, was of­fen­bar be­sa­gen soll­te: »Hol’ mich der Teu­fel mit al­len mei­nen Kno­chen.«

Die An­non­ce lau­te­te:

»In­ge­nieur M. S. Lossj for­dert die­je­ni­gen, die mit ihm am 18. Au­gust auf den Mars flie­gen wol­len, auf, bei ihm zwecks per­sön­li­cher Be­spre­chung zwi­schen 6 und 8 Uhr abends vor­zu­spre­chen. Sh­da­now-Kai Nr. 11, im Hofe.«

Mit ge­wöhn­li­chem Tin­ten­stift war die Auf­for­de­rung ge­schrie­ben, auf den Mars zu flie­gen. Ski­les griff sich un­will­kür­lich an den Puls – er war nor­mal. Er blick­te auf sei­ne Uhr: 5 Uhr 10 Mi­nu­ten; der Zei­ger des klei­nen ro­ten Zif­fer­blatts zeig­te auf den 14. Au­gust.

Ski­les war in die­ser ver­rück­ten Stadt mit ru­hi­gem Mut auf al­les ge­fasst. Aber die­se an die ab­ge­brö­ckel­te Mau­er an­ge­na­gel­te An­non­ce wirk­te auf ihn im ho­hen Gra­de schmerz­lich. Durch den men­schen­lee­ren Pro­spekt der Mor­gen­rö­te weh­te der Wind. Die viel­stö­cki­gen Häu­ser mit den teils ein­ge­schla­ge­nen, teils mit Bret­tern ver­na­gel­ten Fens­tern schie­nen un­be­wohnt, kein Kopf sah her­aus. Die jun­ge Frau hat­te ih­ren Korb wie­der aufs Trot­toir ge­stellt und blick­te von der an­de­ren Stra­ßen­sei­te zu Ski­les her­über. Ihr lie­bes Ge­sicht war ru­hig und müde.

Ski­les zit­ter­ten die Ba­cken­kno­chen. Er hol­te einen al­ten Brief­um­schlag aus der Ta­sche und no­tier­te sich die Adres­se. Um die­se Zeit blieb vor der An­non­ce ein groß­ge­wach­se­ner, breit­schult­ri­ger Mann ohne Müt­ze ste­hen, der Klei­dung nach zu schlie­ßen ein Sol­dat; er trug eine Hemd­blu­se ohne Gür­tel und Wi­ckel­ga­ma­schen. Sei­ne Hän­de steck­ten trä­ge in den Ta­schen. Wäh­rend er die An­non­ce las, spann­ten sich die Mus­keln in sei­nem Na­cken.

»Nicht schlecht – auf den Mars!« sag­te er ver­gnügt und wand­te sein son­nen­ge­bräun­tes, sorg­lo­ses Ge­sicht Ski­les zu. Quer über sei­ne Schlä­fe zog sich eine wei­ße Nar­be. Sei­ne grau­brau­nen Au­gen blick­ten trä­ge, und in ih­rer Tie­fe blitz­ten, ge­nau wie in den Au­gen der jun­gen Frau, ver­hal­te­ne Fun­ken. Ski­les hat­te die­se ei­gen­tüm­li­chen Fun­ken in den rus­si­schen Au­gen schon längst be­merkt und sie so­gar in ei­nem sei­ner Ar­ti­kel er­wähnt: »… Die­ses Feh­len je­der Be­stimmt­heit, die­ser ewi­ge Wech­sel zwi­schen Spott und wahn­sin­ni­ger Ent­schlos­sen­heit und schließ­lich die­ser un­be­greif­li­che Aus­druck von Über­le­gen­heit wir­ken auf einen un­ge­wohn­ten Men­schen äu­ßerst schmerz­voll.«

»Mit ihm flie­gen – sehr ein­fach«, sag­te der Sol­dat gut­mü­tig lä­chelnd und mus­ter­te mit ei­nem schnel­len Blick Ski­les von Kopf bis zu den Fü­ßen. Plötz­lich kniff er sei­ne Au­gen zu­sam­men, und das Lä­cheln ver­schwand von sei­nem Ge­sicht. Er sah auf­merk­sam über die Stra­ße auf die jun­ge Frau, die noch im­mer un­be­weg­lich ne­ben dem Korb stand. Er nick­te ihr zu und sag­te:

»Ma­scha, was stehst du da?« Sie zwin­ker­te schnell mit den Au­gen. »Geh lie­ber heim.« Sie be­weg­te ihre stau­bi­gen, klei­nen Füße, und man sah, wie sie auf­seufz­te und den Kopf senk­te. »Geh, geh, ich kom­me gleich nach.«

Die Frau hob ih­ren Korb auf und ging. Der Sol­dat sag­te:

»Ich bin als ver­wun­det ent­las­sen. Gehe her­um, lese die La­den­schil­der, es ist so furcht­bar lang­wei­lig.«

»Ge­den­ken Sie sich auf die­se An­non­ce zu mel­den?« frag­te Ski­les.

»Ich will un­be­dingt hin.«

»Es ist aber Un­sinn – fünf­zig Mil­lio­nen Ki­lo­me­ter durch den luft­lee­ren Raum zu flie­gen …«

»Weit ist es al­ler­dings.«

»Es ist ein Schwin­del oder Wahn­sinn.«

»Al­les ist mög­lich.«

Ski­les kniff die Au­gen zu­sam­men, mus­ter­te den Sol­da­ten, er­rö­te­te vor Zorn und ging mit si­che­ren, großen Schrit­ten in die Rich­tung zur Newa. Er setz­te sich auf eine Bank auf der Pro­me­na­de, steck­te die Hand in die Ta­sche, in der er als al­ter Rau­cher und viel­be­schäf­tig­ter Mensch den Ta­bak of­fen lie­gen hat­te, stopf­te sich mit ei­ner ein­zi­gen Be­we­gung des Dau­mens die Pfei­fe, zün­de­te sie an und streck­te die Bei­ne vor sich aus.

Die al­ten Lin­den rausch­ten. Die Luft war feucht und warm. Auf ei­nem Sand­hau­fen saß, ganz al­lein in den An­la­gen, of­fen­bar schon seit lan­gem ein klei­ner Jun­ge in schmut­zi­gem Hemd, ohne Hose. Der Wind be­weg­te ab und zu sei­ne hel­len, wei­chen Haa­re. Er hielt in der Hand eine Schnur, an de­ren Ende eine alte, zer­zaus­te Krä­he fest­ge­bun­den war. Sie saß un­zu­frie­den und böse da und blick­te wie der Jun­ge Ski­les an.

Plötz­lich – es war nur der Bruch­teil ei­ner Se­kun­de – glitt ein Wölk­chen über sein Be­wusst­sein hin­weg, so selt­sam schwin­del­te ihm der Kopf: sieht er dies al­les nicht im Traum? … Der Jun­ge, die Krä­he, die lee­ren Häu­ser, die lee­ren Stra­ßen, die son­der­ba­ren Bli­cke der Passan­ten und die­se mit Nä­geln an­ge­schla­ge­ne An­non­ce – je­mand for­dert auf, aus die­ser Stadt in die lee­ren Ster­nen­räu­me zu flie­gen.

Ski­les zog den star­ken Rauch tief in die Lun­ge ein. Er lä­chel­te. Dann ent­fal­te­te er den Stadt­plan von Pe­ters­burg und such­te, mit dem Mund­stück der Pfei­fe über das Pa­pier fah­rend, den Sh­da­now-Kai.

In Lossj’ Werkstätte.

Ski­les trat in einen schlecht­ge­pflas­ter­ten Hof, auf dem Hau­fen ver­ros­te­ten Ei­sens und lee­re Ze­ment­fäs­ser her­um­la­gen. Auf den Schutt­hau­fen wuchs zwi­schen Draht­ge­wirr und zer­bro­che­nen Ma­schi­nen­tei­len spär­li­ches Gras. In der Tie­fe des Ho­fes er­hob sich ein ho­her Schup­pen, des­sen stau­bi­ge Fens­ter das Aben­d­rot spie­gel­ten. Eine klei­ne Tür im Schup­pen stand halb of­fen, und auf der Schwel­le hock­te ein Ar­bei­ter, der in ei­nem klei­nen Ei­mer rot­brau­ne Men­ni­ge an­rühr­te. Auf die Fra­ge Ski­les’, ob er den In­ge­nieur Lossj spre­chen kön­ne, wies der Ar­bei­ter mit ei­ner Kopf­be­we­gung ins In­ne­re des Schup­pens. Ski­les trat ein.

Über ei­nem mit Plä­nen und Bü­chern be­deck­ten Tisch brann­te in ei­nem Blech­schirm eine elek­tri­sche Lam­pe. In der Tie­fe des Schup­pens er­hob sich bis zur De­cke ein Gerüst. Da­ne­ben brann­te in ei­ner Schmie­de­es­se Feu­er, das ein an­de­rer Ar­bei­ter mit ei­nem Bla­se­balg an­fach­te. Zwi­schen den Bal­ken des Gerüsts fun­kel­te die me­tal­li­sche, dicht mit Nie­ten be­deck­te Ober­flä­che ei­nes sphä­ri­schen Kör­pers. Durch das of­fe­ne Tor sah man die blut­ro­ten Strei­fen im Wes­ten und die vom Mee­re auf­stei­gen­den Wol­ken.

Der Ar­bei­ter am Bla­se­balg sag­te lei­se:

»Es ist wer zu Ih­nen, Ms­tis­law Sser­ge­je­witsch.«

Hin­ter dem Gerüst trat ein kräf­tig ge­bau­ter Mann von mitt­le­rem Wuchs her­vor. Sei­ne dich­ten Haa­re wa­ren weiß wie Schnee; das Ge­sicht ju­gend­lich, glat­tra­siert, mit ei­nem schö­nen, großen Mund und durch­drin­gen­den, hel­len, un­be­weg­li­chen Au­gen, die dem Ge­sicht vor­aus­zu­flie­gen schie­nen. Er trug ein schmut­zi­ges, an der Brust of­fe­nes Hemd aus gro­ber Lein­wand und eine ge­flick­te, mit ei­nem ge­wöhn­li­chen Strick um­gür­te­te Hose. In der Hand hielt er eine schmie­ri­ge, zer­ris­se­ne Werk­zeich­nung. Als er sich dem Ame­ri­ka­ner nä­her­te, woll­te er das Hemd an der Brust zu­knöp­fen, aber es war kein ein­zi­ger Knopf dar­an.

»Sie kom­men auf die An­non­ce? Sie wol­len mit­flie­gen?« frag­te er mit dump­fer Stim­me und zeig­te Ski­les einen Stuhl un­ter der Lam­pe. Dann setz­te er sich ihm ge­gen­über, warf die Zeich­nung auf den Tisch und be­gann sich die Pfei­fe zu stop­fen. Das war der In­ge­nieur M. S. Lossj.

Wäh­rend er mit ge­senk­ten Au­gen die Pfei­fe an­zün­de­te, be­leuch­te­te das Streich­holz von un­ten sein der­bes Ge­sicht mit zwei bit­te­ren Fal­ten an den Mund­win­keln, die wei­ten Na­sen­lö­cher und die lan­gen, dunklen Wim­pern. Ski­les war mit dem ers­ten Ein­druck zu­frie­den. Er er­klär­te, dass er nicht die Ab­sicht habe, zu flie­gen, aber die An­non­ce auf dem Pro­spekt der Mor­gen­rö­te ge­le­sen habe und es für sei­ne Pf­licht hal­te, sei­ne Le­ser mit ei­nem so au­ßer­ge­wöhn­li­chen und sen­sa­tio­nel­len Pro­jekt ei­ner in­ter­pla­ne­ta­ri­schen Ver­bin­dung be­kanntz­u­ma­chen. Lossj hör­te ihm zu, ohne sei­ne un­be­weg­li­chen, hel­len Au­gen von ihm zu wen­den.

»Scha­de, dass Sie nicht mit­flie­gen wol­len, scha­de«, sag­te er und schüt­tel­te den Kopf. »Die Leu­te mei­den mich wie einen Wahn­sin­ni­gen. In vier Ta­gen ver­las­se ich die Erde und kann noch im­mer kei­nen Rei­se­ge­nos­sen fin­den.« Er rieb ein neu­es Streich­holz an, ließ eine Rauch­wol­ke auf­stei­gen und frag­te: »Was wün­schen Sie für Da­ten?«

»Die wich­tigs­ten Züge Ih­rer Bio­gra­fie.«

»Das kann nie­mand in­ter­es­sie­ren«, er­wi­der­te Lossj. »Nichts von Be­lang. Ich habe fast kei­ne Schu­le be­sucht, muss­te vom zwölf­ten Jah­re an selbst ver­die­nen. Ju­gend, Lehr­jah­re, Ar­mut, Ar­beit, Dienst – wäh­rend der gan­zen fünf­und­drei­ßig Jah­re nichts, was Ihre Le­ser in­ter­es­sie­ren könn­te, nichts Be­mer­kens­wer­tes, au­ßer …« Lossj streck­te die Un­ter­lip­pe vor, run­zel­te die Stirn, die Fal­ten an den Mund­win­keln tra­ten plötz­lich be­son­ders deut­lich her­vor. »Nun, also … An die­ser Ma­schi­ne« – er wies mit der Pfei­fe aufs Gerüst – »ar­bei­te ich schon lan­ge. Habe mit dem Bau vor ei­nem Jahr be­gon­nen. Ge­nügt das?«

»In wie viel Mo­na­ten un­ge­fähr ge­den­ken Sie die Stre­cke zwi­schen der Erde und dem Mars zu­rück­zu­le­gen?« frag­te Ski­les, auf die Spit­ze sei­nes Blei­stifts bli­ckend.

»In neun oder zehn Stun­den, ich glau­be kaum, dass es mehr wird.«

Ski­les ver­setz­te dar­auf: »Aha«, er­rö­te­te, und sei­ne Ba­cken­kno­chen zuck­ten. »Ich wäre Ih­nen sehr ver­bun­den«, sag­te er mit ein­schmei­cheln­der Höf­lich­keit, »wenn Sie mehr Ver­trau­en zu mir hät­ten und mehr Ernst für un­ser In­ter­view zeig­ten.«

Lossj leg­te bei­de Ell­bo­gen auf den Tisch und hüll­te sich in eine Rauch­wol­ke, durch die sei­ne Au­gen fun­kel­ten.

»Am acht­zehn­ten Au­gust nä­hert sich der Mars der Erde auf vier­zig Mil­lio­nen Ki­lo­me­ter«, sag­te er, »und die­se Ent­fer­nung muss ich zu­rück­le­gen. Woraus be­steht sie? Ers­tens aus der Höhe der Erdat­mo­sphä­re – fünf­und­sieb­zig Ki­lo­me­ter. Zwei­tens aus der in­ter­pla­ne­ta­ri­schen Stre­cke im luft­lee­ren Räu­me – vier­zig Mil­lio­nen Ki­lo­me­ter. Drit­tens aus der Höhe der Mar­sat­mo­sphä­re – sech­zig Ki­lo­me­ter. Für mei­nen Flug sind nur die­se hun­dert­fünf­und­drei­ßig Ki­lo­me­ter Luft von Be­lang.«

Er stand auf und steck­te die Hän­de in die Ho­sen­ta­schen; sein Kopf ver­schwand im Schat­ten und Rauch, be­leuch­tet wa­ren nur die of­fe­ne Brust und die be­haar­ten Arme mit den über die Ell­bo­gen auf­ge­krem­pel­ten Är­meln.

»Un­ter Flug ver­steht man ge­wöhn­lich den Flug ei­nes Vo­gels, ei­nes fal­len­den Blat­tes, ei­nes Ae­ro­plans. Das ist aber kein Flug, son­dern ein Se­geln durch die Luft. Rei­ner Flug ist der Fall, bei dem der Kör­per sich nur un­ter der Wir­kung ei­ner ihn sto­ßen­den Kraft be­wegt. Ein Bei­spiel da­für ist die Ra­ke­te. In ei­nem luft­lee­ren Räu­me, wo es für den Flug kei­nen Wi­der­stand gibt, wird sich die Ra­ke­te mit ei­ner stän­dig an­wach­sen­den Ge­schwin­dig­keit fort­be­we­gen – ich kann dort of­fen­bar auch die Licht­ge­schwin­dig­keit er­rei­chen, wenn mich die ma­gne­ti­schen Ein­flüs­se nicht stö­ren. Mein Ap­pa­rat ist näm­lich nach dem Prin­zip der Ra­ke­te ge­baut. In der At­mo­sphä­re der Erde und des Mars wer­de ich hun­dert­fünf­und­drei­ßig Ki­lo­me­ter zu durch­flie­gen ha­ben. Mit dem Auf­stieg und dem Ab­stieg wird es an­dert­halb Stun­den dau­ern. Eine Stun­de brau­che ich, um aus dem Be­reich der An­zie­hungs­kraft der Erde zu kom­men. Im luft­lee­ren Raum kann ich mit ei­ner be­lie­bi­gen Ge­schwin­dig­keit flie­gen. Aber ich habe mit zwei Ge­fah­ren zu rech­nen: bei ei­ner über­mä­ßi­gen Be­schleu­ni­gung kön­nen ers­tens die Blut­ge­fäße plat­zen; zwei­tens, wenn ich mit der ko­los­sa­len Ge­schwin­dig­keit in die Mar­sat­mo­sphä­re hin­ein­flie­ge, kann der An­prall ge­gen die Luft so stark sein, wie wenn ich in Sand stie­ße. Der Ap­pa­rat kann sich mit sei­nem gan­zen In­halt in Gas ver­wan­deln. Im Him­mels­rau­me trei­ben sich Sp­lit­ter von Pla­ne­ten, un­ge­bo­re­nen oder zu­grun­de ge­gan­ge­nen Wel­ten her­um. Wenn sie in die At­mo­sphä­re ge­lan­gen, ver­bren­nen sie in ihr in ei­nem Nu. Die Luft ist ein fast un­durch­dring­li­cher Pan­zer. Und doch ist die­ser Pan­zer der Erde ein­mal durch­bohrt wor­den.«

Lossj zog die Hand aus der Ta­sche, leg­te sie mit der in­ne­ren Flä­che nach oben auf den Tisch un­ter die Lam­pe und ball­te die Fin­ger zu­sam­men.

»In Si­bi­ri­en grub ich im ewi­gen Eise Mam­mu­te aus, die in den Erd­spal­ten um­ge­kom­men wa­ren. In ih­ren Zäh­nen war Gras, sie hat­ten ge­wei­det, wo jetzt nichts als Eis ist. Ich aß von ih­rem Fleisch: es war noch nicht ver­west. Sie wa­ren in we­ni­gen Ta­gen er­fro­ren. So la­gen sie im Schnee be­gra­ben. Die Ablen­kung der Erdach­se war wohl in ei­nem Nu ge­sche­hen. Die Erde war mit ei­nem rie­sen­großen Him­mels­kör­per zu­sam­men­ge­sto­ßen, oder aber wir ha­ben noch einen zwei­ten Tra­ban­ten, der klei­ner als der Mond war, ge­habt. Wir ha­ben ihn an­ge­zo­gen, er fiel auf die Erde, zer­schlug die Erd­krus­te und ver­schob die Erd­po­le. Vi­el­leicht ist ge­ra­de bei die­sem Zu­sam­men­stoß der Kon­ti­nent un­ter­ge­gan­gen, der im Wes­ten von Afri­ka, im At­lan­ti­schen Ozean lag. Wenn ich also in die At­mo­sphä­re des Mars ein­drin­ge, wer­de ich die Ge­schwin­dig­keit be­deu­tend brem­sen müs­sen. Da­rum rech­ne ich für den gan­zen Flug durch den luft­lee­ren Raum sechs bis sie­ben Stun­den. In ei­ni­gen Jah­ren wird eine Rei­se auf den Mars nicht kom­pli­zier­ter sein als heu­te der Flug von Mos­kau nach Ber­lin.«

Lossj trat vom Ti­sche weg und dreh­te an ei­nem Schal­ter. Un­ter der De­cke ent­zün­de­ten sich zi­schend die Bo­gen­lam­pen. Ski­les sah auf den Bret­ter­wän­den Zeich­nun­gen, Dia­gram­me und Kar­ten; Re­ga­le mit op­ti­schen In­stru­men­ten und Mess­ap­pa­ra­ten; Tau­cher­an­zü­ge, Kon­ser­ven­büch­sen, Pel­ze; in ei­ner Ecke des Schup­pens stand auf ei­nem Sta­tiv eine Te­le­skop.

Lossj und Ski­les gin­gen auf das Gerüst zu, das ein me­tal­li­sches Ei um­gab. Ski­les stell­te nach dem Au­gen­maß fest, dass der ei­för­mi­ge Ap­pa­rat min­des­tens acht­und­ein­halb Me­ter Höhe und sechs Me­ter im Durch­mes­ser hat­te. Um die Mit­te des Eies lief rings­her­um ein stäh­ler­ner Gür­tel, der sich wie ein Schirm nach un­ten um­le­gen ließ – das war die Brem­se, die den Wi­der­stand des Ap­pa­ra­tes beim Fal­len durch die Luft ver­grö­ßer­te. Un­ter die­sem Fall­schirm wa­ren drei run­de Ein­gangs­lu­ken an­ge­bracht. Das un­te­re Ende des Eies lief in ei­nem en­gen Hals aus. Die­ser war von ei­ner run­den, dop­pel­ten, in zwei ent­ge­gen­ge­setz­te Rich­tun­gen zu­sam­men­ge­roll­ten Spi­ra­le aus mas­si­vem Stahl um­ge­ben – das war of­fen­bar der Puf­fer. So sah das in­ter­pla­ne­ta­ri­sche Lenk­schiff von au­ßen aus.

Lossj er­klär­te, mit dem Blei­stift auf die ge­nie­te­te Um­hül­lung des Eies klop­fend, die De­tails. Der Ap­pa­rat war aus wei­chem, schwer­schmel­zen­dem Stahl er­baut und in­nen durch Rip­pen ver­steift. Das war nur die äu­ße­re Hül­le. In die­ser be­fand sich eine zwei­te Hül­le aus sechs La­gen Gum­mi, Filz und Le­der. Im In­nern die­ser zwei­ten ge­stepp­ten Le­der­hül­le wa­ren die Ap­pa­ra­te zur Beo­b­ach­tung und Be­we­gung, Sau­er­stoff­be­häl­ter, Vor­rich­tun­gen zur Ab­sorp­ti­on der Koh­len­säu­re und Kis­sen für die In­stru­men­te und Vor­rä­te un­ter­ge­bracht. Kur­ze Me­tall­röh­ren mit Pris­menglä­sern gin­gen durch die äu­ße­re Um­hül­lung des Ap­pa­ra­tes hin­aus und dienten zum Aus­guck.

Der Mo­tor be­fand sich in dem von der Spi­ra­le um­wun­de­nen Hal­se. Die­ser war aus »Obin«-Me­tall ge­gos­sen, das sich durch au­ßer­ge­wöhn­li­che Elas­ti­zi­tät aus­zeich­ne­te und die Här­te von astro­no­mi­scher Bron­ze hat­te. Durch die gan­ze Di­cke des Hal­ses wa­ren senk­rech­te Kanä­le ge­bohrt. Je­der die­ser Kanä­le mün­de­te, sich nach oben er­wei­ternd, in eine so­ge­nann­te Ex­plo­si­ons­kam­mer. Jede Ex­plo­si­ons­kam­mer ent­hielt eine an ein ge­mein­sa­mes Ma­gne­to ge­schal­te­te Zünd­ker­ze und eine Spei­se­röh­re. Genau so wie den Zy­lin­dern ei­nes ge­wöhn­li­chen Mo­tors Ben­zin zu­ge­führt wird, so wur­den die Ex­plo­si­ons­kam­mern mit »Ul­tra­lyd­dit« ge­speist, ei­nem fei­nen Pul­ver von höchs­ter Ex­plo­siv­kraft, das im Jah­re 1920 im La­bo­ra­to­ri­um des x-schen Wer­kes zu Pe­ters­burg ent­deckt wor­den war. Das »Ul­tra­lyd­dit« über­traf an Wir­kungs­kraft alle bis­her be­kann­ten ähn­li­chen Stof­fe. Der Ex­plo­si­ons­ke­gel war un­ge­wöhn­lich eng. Da­mit die Ach­se des Ex­plo­si­ons­ke­gels mit den Ach­sen der senk­rech­ten Kanä­le im Hal­se zu­sam­men­fal­le, muss­te das in die Ex­plo­si­ons­kam­mern ein­tre­ten­de »Ul­tra­lyd­dit« ein Ma­gnet­feld pas­sie­ren. So war in all­ge­mei­nen Zü­gen das Prin­zip des Be­we­gungs­me­cha­nis­mus: eine Ra­ke­te. Der Vor­rat an »Ul­tra­lyd­dit« war für hun­dert Stun­den be­rech­net. In­dem man die Zahl der Ex­plo­sio­nen in der Se­kun­de er­höh­te oder her­ab­setz­te, konn­te man die Ge­schwin­dig­keit des Auf­stie­ges und des Fal­lens re­gu­lie­ren. Der un­te­re Teil des Ap­pa­ra­tes war er­heb­lich schwe­rer als der obe­re, und dar­um muss­te er, wenn er in die An­zie­hungs­sphä­re des Pla­ne­ten ge­riet, sich ihm mit dem Hal­se zu­wen­den.

»Auf wes­sen Kos­ten ist der Ap­pa­rat er­baut?« frag­te Ski­les.

»Das Bau­ma­te­ri­al gab die Re­gie­rung. Zum Teil habe ich auch mei­ne Er­spar­nis­se dazu ver­braucht.«

Lossj und Ski­les kehr­ten zum Tisch zu­rück. Nach ei­ni­gem Schwei­gen frag­te Ski­les et­was un­si­cher:

»Rech­nen Sie auf dem Mars le­ben­de We­sen vor­zu­fin­den?«

»Das wer­de ich Frei­tag, den 19. Au­gust, früh­mor­gens se­hen.«

»Ich bie­te Ih­nen zehn Dol­lar für die Zei­le Rei­se­ein­drücke. Vor­schuss für sechs Feuil­le­tons zu zwei­hun­dert Zei­len. Den Scheck kön­nen Sie in Stock­holm ein­lö­sen. Ein­ver­stan­den?«

Lossj lach­te und nick­te mit dem Kopf. Ski­les setz­te sich an den Tisch und schrieb den Scheck. »Scha­de«, sag­te Lossj, »dass Sie nicht mit­flie­gen wol­len: es ist ja so nahe, ei­gent­lich viel nä­her als nach Stock­holm.«

Der Reisegenosse

Lossj stand mit der Schul­ter an den Pfos­ten des of­fe­nen To­res ge­lehnt. Sei­ne Pfei­fe war er­lo­schen.

Hin­ter dem Tore zog sich bis zum Sh­da­now-Kai ein un­be­kann­ter Platz hin. Ei­ni­ge trü­be La­ter­nen spie­gel­ten sich im Was­ser. In der Fer­ne rag­ten die ver­schwom­me­nen Um­ris­se der Park­bäu­me. Hin­ter ih­nen ver­glomm ein trau­ri­ges, trü­bes Aben­d­rot und schi­en nie er­lö­schen zu wol­len. Von sei­nem Lich­te am Ran­de ge­tön­te läng­li­che Wol­ken la­gen wie In­seln im grü­nen Was­ser des Him­mels. Über ih­nen leuch­te­te ein dunkles Blau. Ei­ni­ge Ster­ne fun­kel­ten dar­in. Es war still und al­les beim al­ten auf der al­ten Erde. Aus der Fer­ne tön­te die Si­re­ne ei­nes Damp­fers her­über. Der graue Schat­ten ei­ner Rat­te husch­te über den Platz.

Der Ar­bei­ter Kus­min, der vor­hin im Ei­mer Men­ni­ge an­ge­rührt hat­te und nun ne­ben Lossj im Tore stand, warf den noch glim­men­den Zi­ga­ret­ten­stum­mel in die Fins­ter­nis.

»Es ist nicht leicht, sich von der Erde zu tren­nen«, sag­te er lei­se, »selbst von sei­nem Hau­se trennt man sich schwer. Wenn ich einst aus dem Dorf zur Sta­ti­on ging, pfleg­te ich un­ter­wegs an die zehn­mal zu­rück­zu­bli­cken. Das Haus ist zwar nur eine stroh­ge­deck­te Hüt­te, aber man hängt dar­an. Ja, es ist nicht leicht, die Erde zu ver­las­sen.«

»Das Was­ser kocht«, rief der an­de­re Ar­bei­ter, Choch­low, da­zwi­schen, »Kus­min, komm, Tee trin­ken.«

Kus­min seufz­te noch ein­mal: »Ja, es ist nicht leicht«, und ging in den Schup­pen. Der mür­ri­sche Choch­low und Kus­min setz­ten sich auf die Kis­ten ne­ben der Schmie­de­es­se, tran­ken Tee, bra­chen be­hut­sam das Brot, lös­ten aus den Dörr­fi­schen die Grä­ten aus und kau­ten lang­sam. Kus­min kniff die Au­gen zu­sam­men, schüt­tel­te sein dün­nes Bärt­chen und ver­setz­te halb­laut:

»Er tut mir leid. Sol­che Men­schen fin­det man jetzt kaum.«

»Be­ei­le dich nicht, ihn ins Grab zu sin­gen.«

»Ein Flie­ger er­zähl­te mir mal: als er im Som­mer acht Werst1 hoch in die Luft stieg, fror ihm das Schmier­öl im Ap­pa­rat ein, so kalt ist es oben. Aber noch hö­her? Kalt und fins­ter.«

»Ich sage aber: es ist noch zu früh, ihn ins Grab zu sin­gen«, wie­der­hol­te Choch­low fins­ter.

»Kein Mensch will mit ihm flie­gen, nie­mand glaubt es ihm. Die An­non­ce hängt ja schon seit zwei Wo­chen da.«

»Ich aber glau­be dar­an«, ver­setz­te Choch­low.

»Dass er oben an­kommt?«

»Das ist es eben, dass er an­kommt. Da wer­den sich aber die Leu­te in Eu­ro­pa gif­ten.«

»Wer wird sich gif­ten?«

»Was heißt, wer? Un­se­re Fein­de wer­den sich gif­ten. Denn wem wird dann der Mars ge­hö­ren? Doch uns Rus­sen.«

»Ja, das wäre schön.«

Kus­min rück­te auf sei­ner Kis­te et­was weg. Lossj ging zu ih­nen her­an, setz­te sich und nahm einen Be­cher mit damp­fen­dem Tee in die Hand.

»Choch­low, wür­den Sie nicht mit mir mit­flie­gen?«

»Nein, Ms­tis­law Sser­ge­je­witsch«, ant­wor­te­te Choch­low ernst, »ich fürch­te mich.«

Lossj lä­chel­te, nahm einen Schluck Tee und schiel­te auf Kus­min.

»Und Sie, lie­ber Freund?«

»Ms­tis­law Sser­ge­je­witsch, ich wür­de schon gern mit­flie­gen, aber mei­ne Frau ist krank, sie isst nichts. Wenn sie auch das Ge­rings­te zu sich nimmt, muss sie sich gleich über­ge­ben. Es ist ein wah­rer Jam­mer mit ihr …«

»Ja, ich wer­de wohl al­lein flie­gen müs­sen«, sag­te Lossj. Er stell­te den lee­ren Be­cher weg und wisch­te sich mit der Hand den Mund. »Es gibt nicht viel Lieb­ha­ber, die Erde zu ver­las­sen.« Er lä­chel­te wie­der und schüt­tel­te den Kopf. »Ges­tern hat sich ein Fräu­lein auf die An­non­ce ge­mel­det: ›Gut‹, sag­te sie, ›ich will mit Ih­nen flie­gen, ich bin neun­zehn Jah­re alt, kann sin­gen, tan­zen, Gi­tar­re spie­len. Ich will nicht län­ger in Eu­ro­pa le­ben, ich habe alle die Re­vo­lu­tio­nen satt. Ein Vi­sum für den Mars ist doch nicht nö­tig?‹ Was die­ses Fräu­lein im Kop­fe hat­te, kann ich auch jetzt nicht be­grei­fen. Dann setz­te sie sich hin und fing zu wei­nen an: ›Sie ha­ben mich be­tro­gen, ich glaub­te, dass die Rei­se viel nä­her geht.‹ Spä­ter kam ein jun­ger Mann, sprach im Bass, hat­te schwei­ßi­ge Hän­de. ›Sie hal­ten mich für einen Idio­ten‹, sag­te er, ›auf den Mars zu flie­gen ist un­mög­lich. Wie kom­men Sie dazu, eine sol­che An­non­ce an­zu­schla­gen?‹ Ich konn­te ihn nur mit Mühe be­ru­hi­gen.«

Lossj stütz­te die Ell­bo­gen in die Knie und blick­te in die Koh­lenglut. Sein Ge­sicht schi­en in die­sem Au­gen­blick müde, die Stirn war von Run­zeln durch­furcht. Of­fen­bar ruh­te er jetzt von der lan­gen Wil­lens­an­span­nung aus. Kus­min ging den Tee­kes­sel mit Was­ser fül­len. Choch­low hüs­tel­te und sag­te:

»Ms­tis­law Sser­ge­je­witsch, ist es denn Ih­nen selbst nicht schreck­lich?«

Lossj rich­te­te auf ihn sei­ne in der Koh­lenglut warm ge­wor­de­nen Au­gen.

»Nein, es ist mir gar nicht schreck­lich. Ich bin über­zeugt, dass ich das Ziel glück­lich er­rei­che. Und wenn es miss­lingt, so wird der Stoß au­gen­blick­lich und schmerz­los sein. Schreck­lich ist et­was an­de­res. Den­ken Sie sich den Fall, dass mei­ne Be­rech­nun­gen nicht stim­men und ich in die An­zie­hungs­sphä­re des Mars nicht ge­lan­ge, son­dern vor­bei­flie­ge. Die Vor­rä­te an Be­triebss­toff, Sau­er­stoff und Spei­se wer­den mir für lan­ge rei­chen. Und so flie­ge ich durch die Fins­ter­nis. Vor mir leuch­tet ein Stern. In tau­send Jah­ren wird mei­ne er­starr­te Lei­che in den Feu­er­ozean die­ses Sterns stür­zen. Aber die lan­gen Tage, so­lan­ge ich noch le­ben wer­de – ich wer­de in die­sem ver­damm­ten Kas­ten sehr lan­ge le­ben – die lan­gen Tage der hoff­nungs­lo­sen Verzweif­lung: ganz al­lein im Wel­tall. Nicht der Tod ist schreck­lich, son­dern die Ein­sam­keit. Ich wer­de nicht mal die Hoff­nung ha­ben, dass Gott mei­ne See­le er­ret­tet. Bei le­ben­di­gem Lei­be in der Höl­le!! Die Höl­le ist ja mei­ne hoff­nungs­lo­se, in die ewi­ge Fins­ter­nis ge­stürz­te Ein­sam­keit. Das ist schreck­lich. Ich habe dar­um so we­nig Lust al­lein zu flie­gen.«

Lossj blick­te mit zu­sam­men­ge­knif­fe­nen Au­gen wie­der in die Koh­len. Sein Mund war trot­zig ge­schlos­sen. Im Tore er­schi­en Kus­min und rief mit lei­ser Stim­me:

»Ms­tis­law Sser­ge­je­witsch, es ist wer zu Ih­nen.«

»Wer?« Lossj stand schnell auf.

»Ein Sol­dat fragt nach Ih­nen.«

In den Schup­pen trat der Sol­dat, der vor­hin auf dem Pro­spekt der Mor­gen­rö­te die An­non­ce ge­le­sen hat­te. Er streif­te Lossj mit ei­nem schnel­len Blick, mus­ter­te das Gerüst und trat zum Tisch.

»Sie su­chen einen Rei­se­ge­nos­sen?«

Lossj schob ihm einen Stuhl hin und setz­te sich ihm ge­gen­über.

»Ja, ich su­che einen Rei­se­ge­nos­sen. Ich flie­ge auf den Mars.«

»Ich weiß es, so steht es auch in der An­non­ce. Ich ließ mir vor­hin die­sen Stern zei­gen. Ge­wiss, es ist weit. Ich möch­te die Be­din­gun­gen wis­sen, wie ist es mit dem Ge­halt und der Ver­pfle­gung?«

»Ha­ben Sie Fa­mi­lie?«

»Ich bin ver­hei­ra­tet, habe aber kei­ne Kin­der.«

Der Sol­dat klopf­te ge­schäf­tig mit den Fin­gern auf den Tisch und sah sich neu­gie­rig um. Lossj er­zähl­te ihm kurz von den Be­din­gun­gen der Fahrt und mach­te ihn auf das mög­li­che Ri­si­ko auf­merk­sam. Er er­klär­te sich be­reit, sei­ne Frau zu ver­sor­gen und das Ge­halt in Geld und Pro­duk­ten vor­aus­zu­be­zah­len. Der Sol­dat nick­te mit dem Kopf, hör­te aber zer­streut zu.

»Ist es Ih­nen be­kannt«, frag­te er, »ob dort Men­schen oder ir­gend­wel­che Un­ge­heu­er le­ben?«

Lossj kratz­te sich den Na­cken und lach­te.

»Ich glau­be, dass dort Men­schen sein müs­sen. Wenn wir ein­mal oben sind, wer­den wir es ja se­hen. Die Sa­che ist näm­lich die: die großen Funk­sta­tio­nen in Eu­ro­pa und Ame­ri­ka ha­ben schon seit ei­ni­gen Jah­ren eine Rei­he un­ver­ständ­li­cher Si­gna­le auf­ge­nom­men. An­fangs glaub­te man, es sei die Wir­kung der Ma­gnet­stür­me an den Erd­po­len. Aber die ge­heim­nis­vol­len Zei­chen er­in­ner­ten all­zu­sehr an al­pha­be­ti­sche Si­gna­le. Je­mand be­müht sich hart­nä­ckig, mit uns in Ver­bin­dung zu tre­ten. Wo­her kom­men die Si­gna­le? Auf kei­nem ein­zi­gen Pla­ne­ten au­ßer Mars sind bis­her An­zei­chen ei­nes Le­bens fest­ge­stellt wor­den. Die Si­gna­le kön­nen nur vom Mars kom­men. Schau­en Sie sich doch sei­ne Kar­te an – er ist von ei­nem gan­zen Netz von Kanä­len durch­zo­gen. Of­fen­bar hat man dort die Mög­lich­keit, Funk­sta­tio­nen von un­ge­heu­rer Kraft zu er­rich­ten. Mars will mit der Erde spre­chen. Vor­läu­fig ha­ben wir noch nicht die Mög­lich­keit, sei­ne Si­gna­le zu be­ant­wor­ten. Aber wir flie­gen auf sei­nen Ruf. Es ist schwer an­zu­neh­men, dass die Funk­sta­tio­nen auf dem Mars von Un­ge­heu­ern, von We­sen, die uns un­ähn­lich wä­ren, er­rich­tet sei­en. Der Mars und die Erde sind zwei win­zi­ge Ku­geln, die ne­ben­ein­an­der krei­sen. Für uns und für sie gel­ten die glei­chen Ge­set­ze. Durch das gan­ze Wel­tall schwebt ein le­ben­spen­den­der Staub, eine in Ana­bio­se er­starr­te Le­bens­saat. Die glei­chen Sa­men fal­len auf den Mars und auf die Erde, auf alle die My­ria­den der er­kal­ten­den Ster­ne. Über­all ent­steht Le­ben, und je­des Le­ben wird von An­thro­poi­den be­herrscht: denn man kann kein voll­kom­me­ne­res We­sen schaf­fen als es der Mensch ist, das Eben­bild des Herrn des Wel­talls.«

»Ich fah­re mit Ih­nen«, sag­te der Sol­dat ent­schlos­sen. »Wann soll ich mit mei­nen Sa­chen kom­men?«

»Mor­gen. Ich muss Sie erst mit dem Ap­pa­rat ver­traut ma­chen. Sie hei­ßen?«

»Ale­xej Iwa­no­witsch Guss­jew.«

»Ihr Be­ruf?«

Guss­jew sah Lossj zer­streut an und senk­te dann den Blick auf sei­ne im­mer noch auf die Tisch­plat­te klop­fen­den Fin­ger.

»Ich ver­ste­he zu le­sen und zu schrei­ben«, ant­wor­te­te er, »kann auch mit ei­nem Auto um­ge­hen. Bin schon als Beo­b­ach­ter im Flug­zeug ge­flo­gen. Von mei­nem acht­zehn­ten Jah­re an bin ich im Krie­ge – das ist mein Be­ruf. Bin über zwan­zig­mal ver­wun­det wor­den. Jetzt hat man mich ent­las­sen.« Er fuhr sich plötz­lich mit der Hand über den Schei­tel und lach­te kurz auf. »In die­sen sie­ben Jah­ren habe ich man­ches er­lebt. Von Rechts we­gen müss­te ich jetzt ein Re­gi­ment kom­man­die­ren – aber ich habe einen un­ver­träg­li­chen Cha­rak­ter. Wenn die Kriegs­ope­ra­tio­nen auf­hö­ren, kann ich nicht ru­hig auf ei­nem Fleck sit­zen. Al­les ist in mir ver­gif­tet. Ent­we­der neh­me ich Ur­laub oder lau­fe ein­fach da­von.« Er rieb sich wie­der den Schei­tel und lä­chel­te. »Vier Re­pu­bli­ken habe ich ge­grün­det – in Si­bi­ri­en, im Kau­ka­sus, die Na­men weiß ich nicht mehr. Ein­mal sam­mel­te ich drei­hun­dert Bur­schen, und wir mach­ten uns auf, In­di­en zu er­obern. Aber wir ver­irr­ten uns un­ter­wegs im Ge­bir­ge, ge­rie­ten in Schnee­stür­me, in Schluch­ten, ver­lo­ren alle Pfer­de. Nur we­ni­ge kehr­ten zu­rück. Dann war ich zwei Mo­na­te beim Het­man Mach­no. In Troi­kas jag­ten wir über die Step­pe – das war schön! Schnaps und Es­sen nach Be­lie­ben, Wei­ber nach Her­zens­lust. Wenn wir auf die Wei­ßen oder auf die Ro­ten sto­ßen, gib­t’s gleich eine Schlä­ge­rei. Wir neh­men ih­nen den Train ab und sind am Abend schon acht­zig Werst weit. Auf die Dau­er freu­te es mich nicht mehr. Auch die Bau­ern hat­ten schon den Mach­no satt. Ich ging zur ro­ten Ar­mee. Als man die Po­len aus Kiew ver­trieb, war ich in Bu­d­jon­ny­js Rei­te­rei. Der gan­ze Feld­zug im Tra­be. Die Po­len be­ka­men von uns ge­nug Prü­gel. Aber vor War­schau bla­mier­ten wir uns: die In­fan­te­rie hielt nicht stand. Das letz­te­mal bin ich bei der Ein­nah­me von Pe­re­kop ver­wun­det wor­den. Dann lag ich fast ein gan­zes Jahr in ver­schie­de­nen La­za­ret­ten her­um – was soll­te ich an­fan­gen? Da stieß ich zu­fäl­lig auf ein Mä­del und hei­ra­te­te. Ich habe eine gute Frau, sie tut mir leid, aber ich kann nicht zu Hau­se le­ben. In mei­nem Hei­mats­dorf habe ich nichts zu su­chen: die El­tern sind ge­stor­ben, die Brü­der sind er­schla­gen, das Land ist ver­wahr­lost. Auch in der Stadt habe ich nichts zu tun. Au­gen­blick­lich gibt es kei­nen Krieg und ist auch kei­ner in Aus­sicht. Ms­tis­law Sser­ge­je­witsch, neh­men Sie mich doch, bit­te, mit. Sie wer­den mich auf dem Mars brau­chen kön­nen – ich er­schre­cke vor nichts, bin al­les ge­wöhnt.«

»Gut, es freut mich«, sag­te Lossj und reich­te ihm die Hand. »Also mor­gen.«

Russ. Weg­maß, 1 Werst en­spricht etwa 1 km  <<<

Schlaflose Nacht

Al­les war zum Ab­flu­ge be­reit. Die bei­den fol­gen­den Tage wur­den auf das Ver­pa­cken ei­ner Men­ge von Klei­nig­kei­ten im In­nern des Ap­pa­rats ver­wandt. Alle In­stru­men­te und Vor­rich­tun­gen wur­den nach­ge­prüft. Man brach das Gerüst, das den Ap­pa­rat um­gab, ab und nahm einen Teil des Da­ches aus­ein­an­der. Lossj zeig­te Guss­jew den Be­we­gungs­me­cha­nis­mus und die wich­tigs­ten Vor­rich­tun­gen. Guss­jew er­wies sich als ge­schickt und ge­leh­rig. Der Ab­flug war für sechs Uhr abends am nächs­ten Tage fest­ge­setzt.

Spät am Abend entließ Lossj die Ar­bei­ter und Guss­jew, schal­te­te die Be­leuch­tung bis auf die Lam­pe über dem Ti­sche aus und leg­te sich in Klei­dern auf das ei­ser­ne Bett, das in ei­ner Ecke des Schup­pens, hin­ter dem Te­le­skop­sta­tiv stand.

Die Nacht war still und ster­nen­klar. Lossj schlief nicht. Er lag, die Hän­de im Na­cken ver­schränkt, blick­te in das Dun­kel un­ter dem von Spinn­ge­we­be über­zo­ge­nen Dach, und das, wo­vor er mor­gen von der Erde flie­hen woll­te, quäl­te ihn wie­der so schmerz­lich wie noch nie. Vie­le Tage hat­te er sich nicht ge­hen las­sen. Aber in die­ser letz­ten Nacht auf der Erde gab er sei­nem Her­zen vol­le Frei­heit: quä­le dich, wei­ne!

In sei­ner Erin­ne­rung er­stand die noch fri­sche Ver­gan­gen­heit … an der Wand, auf den Ta­pe­ten – Schat­ten von Ge­gen­stän­den. Das Licht ist mit ei­nem Bu­che ver­stellt. Es riecht nach Ar­ze­nei­en, die Luft ist sti­ckig. Auf dem Fuß­bo­den steht ein großes Me­tall­be­cken. Wenn man auf­steht und am Be­cken vor­bei­geht, glei­ten über die lang­wei­li­gen, ver­rück­ten Ta­pe­ten­blu­men die Schat­ten der Ge­gen­stän­de. Die­se Qual! Im Bet­te liegt das, was ihm teu­rer als die gan­ze Welt ist – Kat­ja, sei­ne Frau –, sie at­met lei­se und has­tig. Auf dem Kis­sen ru­hen ihre dunklen auf­ge­lös­ten Haa­re. Die Knie sind un­ter der Bett­de­cke er­ho­ben. Kat­ja geht von ihm. Das vor kur­z­em noch so rei­zen­de, sanf­te Ge­sicht hat sich ver­än­dert. Es ist ro­sig und un­ru­hig. Sie hat ihre Hand un­ter der De­cke be­freit und nes­telt am Bett­ran­de. Lossj er­greift schon wie­der die­se Hand und steckt sie un­ter die De­cke. »Nun, mach’ die Au­gen auf, sieh mich an, ver­ab­schie­de dich von mir.« Sie spricht mit lei­den­der, kaum hör­ba­rer Stim­me: »Mach’ das Fens­ter auf, mach’ das Fens­ter auf.« Die­se kaum hör­ba­re, un­glück­li­che Kin­der­stim­me! Schreck­li­cher als je­der Schre­cken ist das Mit­leid mit ihr, mit die­ser Stim­me. »Kat­ja, Kat­ja, sieh mich an.« Er küsst sie auf die Wan­gen, auf die Stirn, auf die ge­schlos­se­nen Au­gen. Aber das Mit­leid gibt kei­ne Er­leich­te­rung. Ihre Keh­le zit­tert, ihre Brust hebt sich stoß­wei­se, ihre Fin­ger klam­mern sich an den Saum der De­cke. »Kat­ja, Kat­ja, was ist mit dir?« … Sie ant­wor­te­te nicht, sie geht von ihm … Sie hat sich auf den Ell­bo­gen auf­ge­rich­tet, die Brust ge­ho­ben, als stie­ße man sie von un­ten. Der lie­be Kopf hat sich vom Kis­sen ge­löst und ist in den Na­cken ge­sun­ken … Sie ist wie­der in die Kis­sen ge­fal­len. Lossj hat sie, vor Schre­cken und Mit­leid zit­ternd, mit bei­den Ar­men um­fasst, sich an sie ge­drückt. Er hat sich einen Zip­fel der Bett­de­cke in den Mund ge­stopft.

Es ist kein Er­bar­men auf Er­den …

Lossj er­hob sich vom Bett, nahm vom Ti­sche die Schach­tel mit den Zi­ga­ret­ten, steck­te sich eine an und ging eine Zeit lang im dunklen Schup­pen auf und ab. Dann trat er vor das Te­le­skop, fand mit dem Su­cher den Mars, der sich schon über Pe­ters­burg er­ho­ben hat­te, und sah lan­ge auf die klei­ne, kla­re, war­me Ku­gel. Der Stern zit­ter­te lei­se in den Kreuz­fä­den des Oku­lars.

»Ja, es ist kein Er­bar­men auf Er­den«, sag­te Lossj lei­se. Er trat vom Te­le­skop weg und leg­te sich wie­der aufs Bett … In sei­ner Erin­ne­rung er­stand ein Ge­sicht. Kat­ju­scha liegt im Gra­se auf ei­nem Hü­gel. In der Fer­ne hin­ter den wo­gen­den Fel­dern fun­keln die gol­de­nen Kup­peln von Swe­ni­go­rod. Ha­bich­te krei­sen in der Son­nenglut über den Korn- und Buch­wei­zen­fel­dern. Kat­ju­scha ist von der Hit­ze ganz faul. Lossj sitzt ne­ben ihr, beißt an ei­nem Gras­halm, blickt auf das blo­ße blon­de Köpf­chen Kat­juschas, auf ihre son­nen­ge­bräun­te Schul­ter mit dem hel­len Strei­fen am Är­mel­rand, auf ihr von ei­ner Mücke ge­sto­che­nes Fäust­chen, in das sie ihre Wan­ge stützt. Ihre grau­en Au­gen sind herr­lich und gleich­gül­tig, auch in ih­nen krei­sen die Ha­bich­te. Kat­ja ist acht­zehn Jah­re alt, sie denkt ans Hei­ra­ten. Sie ist au­ßer­ge­wöhn­lich, ja ge­fähr­lich hübsch. »Wol­len wir«, sagt sie, »heu­te Nach­mit­tag auf dem Hü­gel lie­gen, von dort sieht man so weit.« Nun liegt sie da und schweigt. Lossj denkt sich: Nein, mei­ne Lie­be, ich habe Wich­ti­ge­res zu tun, als mich hier auf die­sem Hü­gel in Sie zu ver­lie­ben. In die­se Fal­le gehe ich nicht, ich kom­me nicht mehr zu Ih­nen in die Som­mer­fri­sche.

Ach, mein Gott, was konn­te es Wich­ti­ge­res ge­ben als Kat­juschas Lie­be! Wie un­ver­nünf­tig hat­te er jene hei­ßen Som­mer­ta­ge vor­bei­ge­hen las­sen. Wenn doch die Zeit da­mals auf dem Hü­gel still­ge­stan­den hät­te. Sie kommt nicht wie­der. Sie kommt nicht wie­der! …

Lossj stand wie­der vom Bett auf, rieb ein Zünd­holz nach dem an­de­ren an, rauch­te, ging auf und ab. Aber auch die­ses Au­fund­ab­ge­hen längs der Bret­ter­wand war schreck­lich: wie ein Tier in ei­ner Gru­be. Lossj mach­te das Tor auf und blick­te zu dem schon hoch am Him­mel ste­hen­den Mars hin­auf.