Agentur der bösen Mädchen - Lotte Kinskofer - E-Book
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Agentur der bösen Mädchen E-Book

Lotte Kinskofer

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Beschreibung

Mieten Sie die Frau Ihrer Alpträume! – Drei Freundinnen gründen eine Agentur der etwas anderen Art: Hier lernen Männer den richtigen Umgang mit Frauen, die ihnen das Leben zur Hölle machen. Ob nervige Geliebte oder böse Schwiegermutter, alles kein Problem. Oder vielleicht doch? Gerade dreißig geworden, zieht Annette Bilanz: kein Job, kein Mann und kein Durchsetzungsvermögen, wahrlich kein Grund zum Feiern! Ihre Tante Ricarda hingegen vertreibt sich die Zeit mit weitaus jüngeren Bettgenossen, nach dem Motto: Bloß nicht verlieben, eine Scheidung reicht. Als Annettes Freundin Eva mit ihrem Emanzentum den Verehrer ihrer Tochter beinahe in die Flucht schlägt, stellt diese fest: »Dich müsste man mieten, Mama. Bei dir könnten die Männer wenigstens lernen, dass sie harten Zeiten entgegensteuern«. Eine brillante Geschäftsidee! Im Auftrag ihrer Agentur finden sich die drei Frauen in allerhand schrägen Situationen wieder. Aber nicht jeder Fall ist zum Lachen. Denn wo Männer sind, lauern Gefühle … und die lassen sich nicht so einfach zu den Akten legen. »Agentur der bösen Mädchen« ist ein unterhaltsamer Roman über entschlossene Frauen – und lernfähige Männer!

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Seitenzahl: 348

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Lotte Kinskofer

Agentur der bösen Mädchen

Roman

Copyright der eBook-Ausgabe © 2013 bei Hey Publishing GmbH, München

Originalausgabe © 1999 bei Reclam Verlag, Leipzig

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: FinePic®, München

Autorenfoto: © foto art, Regensburg

ISBN: 978-3-942822-66-4

Von Lotte Kinskofer ebenfalls bei hey! erschienen:

Nur mir ganz allein

Besuchen Sie uns im Internet:

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www.facebook.com/heypublishing

Agentur der bösen Mädchen

Suchen Sie eine kapriziöse Begleitung, die schrille Geliebte, aber bitte nur für einen Abend?! Wollen Sie im Rollenspiel das verständnisvolle Gespräch mit Ihrer tobenden Ehefrau oder der nun völlig ausgeflippten Tochter üben? Mieten Sie die Frau, mit der Sie um keinen Preis verheiratet sein wollen!

Annette  Wie konnte ich nur. Ich wusste ja, dass er ein Vollidiot war. Außerdem hat er meinen Job bekommen. Na, nicht ganz. Er hat den Job bekommen, den wir beide wollten. Und er war nun mal nach fünf Jahren promoviert, nicht ich. Ich hatte interessante Seminare gemacht, die Aufsätze für den Professor geschrieben, Studenten und Studentinnen betreut, ich war geachtet und beliebt. Thomas galt als faules Stück, aber er hatte seine Doktorarbeit fertiggeschrieben und dann das Angebot zur Habilitation bekommen. Ich stand auf der Straße. Fünf Jahre wissenschaftliche Assistentin – und nun nicht mehr vermittelbar auf dem Arbeitsmarkt, überqualifiziert oder falsch qualifiziert oder gar nicht – je nachdem. Doktor-Thomas, wie sie ihn nun nannten, hatte meine Abschiedsparty organisiert, und ich Trottel war auch noch gekommen. Selber schuld. Da stand ich nun in einem Seminarraum der Fakultät, hörte mir die lobenden Worte des Doktorvaters an, der meine ungeschriebene Dissertation geflissentlich nicht erwähnte, nippte an meinem Glas Sekt und war wütend. Vor allem auf mich. Sie lobten mich noch schnell hinaus, die Herren vom Institut, dann waren sie wieder unter sich. Die vielen »Studentinnen«, die so gerne in meine Seminare gegangen sind, waren nicht mehr zu sehen. Sie hatten sich einen Job gesucht. Vielleicht erinnerten sie sich gelegentlich noch mal daran, dass sie an der Uni gut betreut worden waren, von Annette, der frustrierten Assistentin, die es besser machen wollte als die Helden.

Nach dem offiziellen Teil, als sich alle den Chips zuwandten und ihre Sektgläser noch einmal auffüllten, kam Doktor-Thomas auf mich zu.

»Was wird jetzt aus dir?«

»Keine Ahnung.«

»Kein Angebot? Ein Verlag oder so was?«

»Nein.«

»Hast du's versucht?«

»Interessiert dich das?«

»Mensch, sei nicht so störrisch. Ist doch noch nicht alles zu Ende. Die Doktorarbeit kriegst du besser hin, wenn du nicht in den Laden hier eingespannt bist. Und dann ist dir ein guter Job auch sicher, während ich hier versauere.« Ich strafte seine tröstenden Worte mit Nichtachtung. Aber so richtig pampig wollte ich auch nicht werden, schließlich saß man ja nicht fünf Jahre im selben Büro, um sich dann zum Schluss auch noch gegenseitig fertigzumachen. Wir hatten gemeinsam auf den Professor geschimpft, Freud und Leid miteinander geteilt und gelegentlich auch noch ein bisschen mehr.

Doktor-Thomas unterbrach meinen widersprüchlichen Gedankenfluss. Vertrauensvoll legte er mir die Hand auf die Schulter und kam näher. Ich zuckte zusammen.

»Sag mal …«

»Ja?«

»Wir könnten doch mal wieder miteinander ausgehen?«

»Warum nicht?«

»Was, so begeistert?«

Doktor-Thomas lachte. Er sah wirklich nett aus, wenn er gute Laune hatte. Und plötzlich das Interesse an mir. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah. So kam es also: Donnerstagabend bei unserem Italiener. Ich hatte ja alle Zeit der Welt.

Eva  Ich hatte es schon immer gewusst. Aber mir will ja keiner glauben. Aber jetzt bin ich ganz nah dran. Die werden Augen machen, und die Ohren natürlich zu, denn das wollen sie alle wieder nicht hören. Doch in dem neuen Buch werde ich den Beweis führen. Die meisten Werke der Männer haben nicht sie geschrieben, sondern ihre Frauen, Freundinnen oder Töchter. Thomas Manns Werk wäre demnach zum Teil von Erika Mann, der Erfinder des Existentialismus hieße nicht Sartre, sondern Beauvoir und so weiter. Beweise gab es genug. Dass sie bisher übersehen wurden, war eine Frage der Perspektive. Belege hatte ich schon gesammelt, aus Briefen und Tagebüchern. Selbst wenn die These hart war für die andere Hälfte der Menschheit, da mussten sie einfach durch. Sie hatten ja auch den Frauen ihre Werke geklaut. »Mensch Eva, hör auf zu spinnen, damit kommst du doch nie durch«, sagte Karin, als ich ihr von meiner These erzählte.

Dass Karin dämlich war, fiel mir gerade in diesem Moment wieder auf. Ihre Themen hießen »Weiblichkeit in der Männerwelt« oder so ähnlich, und es klang immer so, als wenn man sich als Frau mit ein bisschen Charme leicht in dieser Welt der Schwanzträger zurechtfinden könnte. Warum Karin unser kleines Archiv für Frauenforschung benutzen durfte, war mir schleierhaft. Schließlich bauten wir unser Informationssystem in der Freizeit auf, neben der Lektoratsarbeit und dem Job in der Buchhandlung. Aber wenn es Arbeit gab, war Karin eigentlich nie zu sehen. Also brauchte sie heute etwas, sonst wäre sie nicht gekommen. Da stand sie nun in unserer kleinen Bude, Büro genannt, balancierte auf ihren Absätzen rum, rührte in ihrem Tässchen – und brachte mir nur deshalb keinen Kaffee, weil ich kein Mann war.

»Ist doch ganz einfach. Glaubst du wirklich, ein Mann würde öffentlich zugeben, beim Sex unten zu liegen? Es steht aber so in Schlegels ›Lucinde‹. Also ist sie von einer Frau geschrieben.«

Karin verzog ihre frischgeschminkten Lippen und sah mich mitleidig an.

»Liebe Eva«, sagte sie. Wie ich das schon wieder hasste. »Liebe Eva, es gibt sie, diese Männer, glaube mir. Vielleicht kennst du sie nicht, aber ich habe schon den einen oder anderen getroffen.«

»Die müssen einen gebrochenen Arm gehabt haben oder 'ne kaputte Wirbelsäule.«

»Nein, liebe Eva, die waren ganz fit.«

»Wie schön für dich.«

Karin lehnte ihren zierlichen Hintern an meinen Schreibtisch und stellte die Tasse auf meinen Unterlagen ab. Mit herablassendem Blick maß sie meinen aus ihrer Sicht lange entwöhnten Körper und lächelte süffisant.

»Verlass dich ganz auf meine Erfahrung. Die Männer sind nicht ganz so phantasielos, wie du dir immer vorstellst.« Ich war stinksauer, hatte aber keine Lust, mit Karin über Männer zu diskutieren. Ihre Meinung kannte ich, sie verbreitete sie ja auch bis zum Erbrechen. Es gab nur einen Trost: Wenn sie ihre Forschungsarbeit über weibliche Sozialisation fertig hatte, würden wir sie nur noch von hinten zu Gesicht bekommen, also in ihr wahres Gesicht blicken können.

»Warum kommst du überhaupt noch«, fauchte ich sie an, »was willst du eigentlich hier, kein einziger Krawattenträger weit und breit.«

»Kannst dir ja eine umbinden, Mannweib«, fauchte Karin zurück.

»Vergleich mich nie wieder mit einem Mann«, brüllte ich, erhob mich vom Stuhl und ging drohend auf Karin zu. Im Türrahmen erschien Lucies Kopf, und sie setzte ein bekümmertes Gesicht auf, während sie über ihre Brillengläser schielte.

»Könnt ihr vielleicht etwas leiser schreien, ich telefoniere gerade.«

»Klar, Chefin«, flötete Karin, hob ihr schönstes Teil von meinem Schreibtisch und stöckelte in Richtung Tür, »an mir soll's nicht liegen. Aber pfeif deine Bulldogge zurück.«

Karin schob sich an Lucie vorbei, lächelte zauberhaft und verschwand. Lucie blickte mich hilflos an, zuckte die Schultern und ging leise, wie sie gekommen war.

Diesen Zweikampf hatte ich verloren.

Ricarda  Schon seit einer halben Stunde hörte ich, wie der Typ in der Küche rumkramte. Aber ich hatte nicht die geringste Lust, auch nur ein halbes Auge zu öffnen. In meinem Alter sind leidenschaftliche Nächte anstrengend, früher habe ich das leichter weggesteckt. Außerdem hätte er ruhig wieder auf die Matratze kommen können, ich hatte kalte Füße.

Als der Kerl wenige Minuten später das Zimmer betrat, war er frisch gesäubert und balancierte ein Tablett vor sich her. Schamhaft hatte er sich mit Boxershorts bekleidet, wäre gar nicht nötig gewesen, ich sehe nicht mehr besonders gut. Lässig ließ er sich vor der Matratze nieder, versuchte mich zu küssen, was ich morgens gar nicht mag, der Geruch von Zahnpasta ist mir zuwider.

»Guten Morgen, es gibt Kaffee.«

Seufzend richtete ich mich auf, damit er sich neben mir niederlassen und das Tablett abstellen konnte. Aber so recht überzeugt war ich noch nicht. Während er sich setzte, nutzte ich die Gelegenheit zu sehen, wo ich gestern Abend gelandet war. Und dann überlegte ich fieberhaft, wie ich möglichst schnell von hier verschwinden könnte.

»Und was machen wir heute?« fragte mein unternehmungslustiger Gefährte der letzten Nacht.

Sofort begannen alle Alarmglocken in meinem Kopf zu schrillen. Das tat weh, ich hatte gestern gut getankt. Schnell versuchte ich, mit einem Schluck Kaffee meine Birne wieder klar zu bekommen, dann warf ich einen zweifelhaften Blick auf das heitere Kerlchen neben mir.

»Du gehst am besten in den Kindergarten, und ich nach Hause.«

Er war keineswegs beleidigt. Fröhlich lachte er auf. Wie ich Heiterkeit hasse am frühen Morgen.

»Ich bin nicht ganz so jung, wie du denkst«, sagte er, offenbar geschmeichelt. »Und ich muss auch nicht erst meine Mama fragen, was ich tun darf.«

Die Vorstellung, dass seine Mutter vermutlich jünger war als ich, amüsierte mich. Aber ich merkte, dass ich zur Tat schreiten musste. Es tut mir immer wieder leid, einen enttäuschen zu müssen. Aber ich war wirklich nicht auf der Welt, um ihnen ihre Langeweile zu vertreiben. Während mein Bettgenosse, dessen Name mir beim besten Willen nicht mehr einfallen wollte, herzhaft in ein Brötchen biss, um sein Kalorienkontingent wieder aufzufüllen, schwang ich meine kalten Beine aus den Federn. Es ist manchmal schwer, sich von einer Matratze zu erheben, die am Boden liegt. Auf jeden Fall macht eine alte nackte Frau dabei keine besonders gute Figur. Aber darauf konnte ich jetzt keinesfalls Rücksicht nehmen. Ich musste verschwinden, der Mann war anhänglich. Also fischte ich meine Brille vom Boden, krabbelte unter der Decke hervor und stellte mich mit Hilfe meiner Hände auf die Beine.

»Wo willst du hin?« fragte mein Begleiter und schluckte schwer an seinem Frühstück.

»Auf den Topf, in die Klamotten und weg.«

»Hast du eine Verabredung?«

»Geht dich nichts an.«

»Jetzt hör mal …«

Ich durfte mich keinesfalls auf eine Diskussion einlassen, und schwach werden sollte ich jetzt auch nicht. Sonst würden die nächsten Wochen extrem anstrengend werden. Mit antrainierter Geschwindigkeit zog ich mich an, schnappte mir meine Tasche und steuerte auf die Ausgangstür zu. Das mit dem Topf musste ich verschieben, denn wenn ich aus dem Bad rausgekommen wäre, hätte er sicher ein Argument gefunden, warum ich noch bleiben sollte. Ich konnte ja unterwegs in einem Kaufhaus aufs Klo gehen.

»Hey, Moment«, rief es noch von der Matratze. Der Kerl erhob sich deutlich müheloser als ich und lief hinter mir her.

»Wo kann ich dich erreichen?«

»Gar nicht. Ich melde mich vielleicht wieder.«

»Entschuldige, aber …«

Doch da war ich schon weg. Als ich um die nächste Straßenecke bog, atmete ich tief durch. Die Nächte waren ja ganz schön, aber diese Abschiede machten mich fertig.

Immer wieder täuschte ich mich in den jungen Leuten. Ich hätte sie für illusionsloser gehalten. Aber vielleicht mussten sie das noch lernen.

Annette  Ich hätte wissen müssen, dass der Tag nicht besser werden würde. Aber der neue Lebensabschnitt, der Arbeitslosigkeit hieß, konnte einfach nicht gut beginnen. Dabei wollte ich das Beste draus machen. Erst mal heim und ein Stündchen geschlafen, dachte ich nach dem Empfang zu meinen Ehren. Der Sekt hatte meine Sinne benebelt und meinen Magen sauer gemacht. Ich stolperte nach Hause und rülpste vor mich hin. Heute wird ferngesehen und noch eine Flasche Wein gekippt, nahm ich mir vor. Und wenn es ganz arg wird mit dem Selbstmitleid, dann rufe ich Eva an. Sie hatte mal bei mir ein Seminar über weibliches Schreiben gemacht und war bekennende Emanze, ein Fossil also, mit ihren dreiunddreißig Jahren viel zu jung, um noch an die Frauenbewegung zu glauben. Sie würde mir sagen, dass es nicht an meinen fehlenden Fähigkeiten lag, dass ich noch nicht promoviert war, sondern an dieser Männerwirtschaft, der Seilschaft derer, die das richtige Chromosom hatten. Sie würde das sicher auch noch viel unfeiner ausdrücken. Aber Eva würde mich aufbauen. Und vielleicht könnte ich in ihrem Lektorat ein bisschen jobben und nebenher meine Doktorarbeit doch noch fertigmachen.

Natürlich kam alles ganz anders. Schon von weitem musste ich feststellen, dass in meiner Wohnung Licht brannte. Das sah zwar nett aus, wie durch die verkleinerten Schaufenster des früheren Milchladens, heute mein Wohnzimmer, die warme Helligkeit mir in den verregneten Abend entgegenleuchtete, aber dafür konnte jeder von der Straße aus meine Einrichtung begutachten. Ich war streng mit mir, schimpfte, dass ich es nicht hätte brennen lassen dürfen, schloss auf. Auf der Couch in der Ecke saß ein Mann – oder das, was man allgemein dafür hielt. Karl-Heinz war ein Cousin von mir, manchmal kam er vorbei, weil er einen Tapetenwechsel brauchte. Die letzten Monate hatte er mich mit seiner Anwesenheit verschont. Die Begrüßung fiel wenig herzlich aus.

»Wie kommst du denn hier rein?«

»Der Vermieter hat mir aufgeschlossen.«

»Was hat der?«

»Ist doch o.k., oder?«

Konnte ich nicht finden. Aber ich schwieg, trollte mich die drei Stufen hinauf, die in den hinteren Trakt meiner Gemächer führen, also Küche, Bad und Schlafzimmer. Früher hatte hier eine alte Frau ihr Leben zugebracht, tagsüber im Laden vorne bedient und abends sich hinten die Zeit vertrieben. Ich machte mir ein Brot und musste mir verkneifen, für Karl-Heinz auch eines zu machen. Der stand inzwischen hinter mir in der Tür.

»Wie lange bleibst du?«

»Weiß nicht, mal sehen.«

Karl-Heinz war keine Plaudertasche. Er arbeitete nie, reiste mit dem Geld seiner Eltern durch die Welt. Er stellte keine Ansprüche, hielt sich daher wahrscheinlich für unsichtbar und glaubte, dass er nicht stören würde. Ich sah das anders. Dass jemand sich in meinem Wohnzimmer lümmelte, nicht arbeiten musste und fröhlich über die Runden kam, weckte meinen Neid. Jeder normale Mensch musste sich neben Karl-Heinz lächerlich Vorkommen, denn er stellte durch seine bloße Existenz alles in Frage, was man jemals gelernt hatte fürs Leben, das mit der Tüchtigkeit und dem Fleiß und so.

»Nächste Woche kriege ich Besuch.«

Ich biss mir auf die Lippen wegen meiner Dämlichkeit. Das war zwar immer die leichteste Ausrede, um ihn wieder loszuwerden, aber ich hätte übermorgen sagen sollen. Bis nächste Woche war noch viel Zeit. Das dachte offenbar auch Karl-Heinz und ersparte sich daher eine Antwort auf meine Ankündigung.

»Kennt dich der Vermieter überhaupt?«

»Nö, ich habe gesagt, ich bin dein Cousin.«

»Und da hat der dir aufgesperrt?«

»Ja.«

Na, der sollte was hören, der Armleuchter. Wenn sich das rumsprach, dass jeder, der angeblich mein Cousin war, einfach bei mir wohnen konnte, dann gute Nacht. Aber zunächst einmal trat ich die Flucht an, packte mein Brot und eine Flasche Wein und zog mich in mein Schlafzimmer zurück. Der Fernsehabend war also gestorben, gerade noch konnte ich mein Telefon neben das Bett retten. Da saß ich nun, in einem kleinen ungeheizten Raum, auf der Bettkante, trank Wein aus der Flasche, bröselte den Baguette-Rest auf mein Bett und war mit meinen Nerven am Ende. In meinem schönen warmen Wohnraum lag Karl-Heinz auf dem Kanapee, ich hörte, wie er durch die Kanäle zappte, ansonsten war es still. Eva traute ich mich nicht mehr anzurufen. Der eine Typ hatte mir meinen Job weggeschnappt, der andere lag auf meiner Couch, das würde sie nie verstehen. Mit Trost war da nicht zu rechnen, eher mit kritischen Anmerkungen zu meiner als Gutmütigkeit getarnten Dummheit. Ich wählte die Nummer von Ricarda. Sie wusste wenigstens, wie man mit Männern umgehen musste, vor allem, wie man sie wieder los wurde. Aber Ricarda war ausgeflogen, und mit ihrer Konserve wollte ich keinesfalls reden. Ich drückte mich noch mal am Wohnzimmer vorbei ins Bad, dann ging ich ins Bett. Echt gelungen, der Tag.

Eva  In der Küche standen drei leere Dosen Cola-Light. Meine Tochter machte gerade wieder Diät und versaute sich dabei ihren Magen und ihr Selbstbewusstsein, nur um irgendwelchen Idioten zu gefallen. Einkäufen war sie natürlich nicht, brauchte ja nichts zu essen, wenn sie abnehmen wollte.

Auf dem Heimweg war ich kurz bei Annette vorbeigegangen, sie hatte heute ihren letzten Tag an der Uni. Der Typ, der die Tür aufmachte, sah aus, als wäre er gerade aus der Mülltonne gekrochen. Auf meine Frage, wo denn Annette sei, sagte er etwas Ähnliches wie »Weiß nicht«, da bin ich gerne wieder gegangen. Weiß der Teufel, wo sie den aufgerissen hat, war gar nicht ihre Art, irgendwelche Trottel in ihr Bett zu ziehen. Das sähe eher Ricarda ähnlich. Aber es war eindeutig Annettes Wohnung und nicht die Villa ihrer alten wilden Tante. Ich ging schnell wieder weg, war wohl nichts mit dem Frauentratsch am Abend. Clara schraubte sich durch die Küchentür, als ich mich gerade auf einem Stuhl niederließ. Sie konnte nichts für meine schlechte Laune, aber sie kam zum richtigen Zeitpunkt.

»Kannst du mal deinen Krempel wegräumen?«

»Klar, Mama.«

Das hatte gerade noch gefehlt. Nichts brachte mich mehr auf die Palme, als wenn sie mich an meine Mütterlichkeit erinnerte. Ich schwieg beleidigt und fragte mich, womit ich so eine Tochter verdient hatte. Clara hatte sich in heiße Klamotten geworfen und war geschminkt. Offenbar war Ausgehen angesagt.

»Machst du wieder einen auf Disco-Maus?«

»Ist dir heute schon ein Mann über den Weg gelaufen oder warum hast du so schlechte Laune?«

Meine Tochter kannte mich gut. Ich war plötzlich versöhnlich gestimmt.

»Ich hatte Ärger im Verlag.«

»Sind die Kolleginnen dir wieder nicht feministisch genug?«

Meine Tochter kannte mich sogar sehr gut. Leider konnte ich ihr nie erzählen, was wirklich los war, denn sie war in diesem Punkt nie meiner Meinung. Und sie war auf diese Debatten auch nicht besonders scharf. Also versuchte sie abzulenken.

»Stell dir vor, ich habe in einer Woche schon drei Kilo abgenommen.«

»Ein Pfund davon war dein Gehirn, oder?«

»Sei doch nicht so giftig, ich versuche doch nur, mich mit dir zu unterhalten.«

So weit war es schon gekommen. Clara hatte Mitleid mit mir. Und sie wollte gut Wetter machen. Fast lautlos verschwanden die Coladosen – und zwar nicht im Restmüll, sondern in der Tüte für Alu. Im Mülltrennen war ich streng.

»Ich geh tatsächlich in einen Club«, sagte meine Tochter, plötzlich ganz vertraulich.

Ich musste wirklich schlecht aussehen. Seit Jahren erzählte sie mir nur noch in Ausnahmefällen, wohin sie gehen wollte. Nie sagte sie, mit wem.

»Und morgen ist Kino angesagt. Komm doch mit.«

Das hatte ich noch nie gehört.

»Willst du wirklich deine alte Emanzenmutter öffentlich ausführen?«

»Klar, darf doch jeder Mensch sein, wie er will.«

Ich war gerührt. Ich dachte immer, Clara schämte sich für mich.

»Außerdem ist Jens schon ganz neugierig auf dich.«

»Wer ist Jens?«

»Na, wirst du schon sehen. Er sagt, er habe noch nie eine Emanze kennengelernt.«

»Und da denkst du, du solltest ihm mal eine zeigen?«

»Mensch, ich hab schon so viel von dir erzählt. Der glaubt das alles nicht.«

»Und du willst es ihm beweisen, oder wie?«

Ich merkte, dass ich weich wurde. Auch wenn wir oft Streit hatten, auf meine Tochter ließ ich nichts kommen. Und sie war der einzige Mensch, der mich mühelos um den Finger wickeln konnte. Sie spielte das auch genial aus. Sie stand gerade hinter meinem Stuhl und legte mir die Hand auf die Schulter. Das durfte sonst niemand, es hat so was Herablassendes, von hinten nach unten.

»Du meinst, ich soll deinen Freund ein bisschen erschrecken.«

»Klar, außerdem will er wissen, wie die Frau aussieht, in deren Klo man nicht im Stehen pinkeln darf.«

»Was, der war schon mal da?«

»Schon öfter, Chefin, ich kenne ihn schon seit ein paar Monaten.«

»Ist mir völlig entgangen.«

»Ja, weil er nicht gegen die Kacheln pinkelt.«

»Er setzt sich hin?«

»Nein, er pinkelt in die Blumenvase und schüttet sie dann aus.«

Mir hob es den Magen, aber Clara fiel nichts auf.

»Also gehst du mit, Mama? Du musst dich doch nicht verstecken.«

Ich hörte nicht richtig zu, in Gedanken ging ich meine Blumenvasen durch, in die der Bettgenosse meiner Tochter zu pinkeln pflegte, und hoffentlich nur das. Clara gab nicht auf.

»Du hast doch nichts davon, wenn du Männern aus dem Weg gehst.«

»Doch, ich habe meine Ruhe.«

»Aber du änderst nichts. Wie sollen die Männer merken, dass die Frauen anders als früher sind, wenn sich die Emanzen nicht zeigen, sondern unter sich bleiben?« Plötzlich war ich hellwach. Die Blumenvase hatte ich in meinen Gedanken schon verräumt.

»Dich müsste man vermieten, Mama. Bei dir könnten die Männer wenigstens lernen, dass sie harten Zeiten entgegensteuern. Damit könnte man viel Geld verdienen.« Eine Idee war geboren. Und sie kam von der angepasstesten Frau, die ich in meiner Nähe duldete. Zufällig war sie meine Tochter.

Ricarda  Ich gönnte mir einen ruhigen Abend. So eine heiße Nacht hinterließ Spuren, es war nicht mehr alles so leicht wie früher. Das Handy war ausgeschaltet und das Telefon ließ ich klingeln, wenn's was Wichtiges war, konnte ich morgen immer noch die Mailbox abhören, dachte ich mir.

Das Haus war ordentlich aufgeräumt, gegen die neue Putzfrau war wirklich nichts zu sagen. Sie mischte sich nicht ein, sie sah nichts und hörte nichts, Männerwäsche stopfte sie genauso ungerührt in die Maschine wie meine, dabei könnte sie sie genauso gut wegwerfen. Ich hob die Sachen der Typen nicht auf. Wer wusste schon, ob einer wiederkommen würde.

Ich ließ die Badewanne volllaufen, schluckte inzwischen einen Likör zur Entspannung und legte mich mit einem Krimi ins Wasser. Ich hatte immer noch das Gefühl, nach dem Kerl von letzter Nacht zu riechen, das mochte ich nicht, das war mir zu nahe. Und so gut hatte er auch wieder nicht gerochen. Vielleicht würde ich morgen mal Annette anrufen. Die Ärmste hatte sicherlich Aufmunterung nötig. Irgendwie war sie jetzt ohne Arbeit. Und das konnte sich nicht jeder leisten. Kurz und knapp gedachte ich des Mannes, dem ich meinen Wohlstand zu verdanken hatte. Der musste viel arbeiten für meinen hohen Lebensstandard, aber das war sein Problem. Nach der ersten Krise konnte ich ihn recht gut entbehren, und ob die Neue angenehmer war, wagte ich zu bezweifeln. Ich hatte läuten hören, dass sie auch viel Geld brauchte, aber auch noch wollte, dass er viel Zeit für sie hätte. Hoffentlich ging die Geschichte nicht auseinander. Nicht, dass er irgendwann mal wieder vor der Türe stand.

Nach dem ausgiebigen Bad machte ich einen Fehler und ging doch ans Telefon. Es war der Mann, an den ich gerade gedacht hatte, der, mit dem ich dreißig Jahre lang, oder sollte man sagen: dreißig lange Jahre, verheiratet gewesen war. Ich wusste gleich, dass irgendwas faul war, warum sonst sollte Franz anrufen. Schon die einleitende Frage »Wie geht's?« war eine reine Zumutung.

»Es geht mir gut, und ich hoffe, du brätst in der Vorhölle.«

Franz lachte verlegen.

»Gar nicht falsch getippt, Ricarda. Kann ich dich mal wieder sehen?«

»Willst du die Überweisungen kürzen?«

Er lachte schon wieder. Wie doof das doch wirkte, wenn jemand lachte, weil ihm nichts einfiel. Früher dachte ich, das machten nur Frauen.

»Nein, ich brauche deinen Rat.«

»Das ist ja noch schlimmer. Das kann man ja nicht mal vor Gericht anfechten.«

»Manchmal vermisse ich deine bösen Sprüche.«

Das war die ganz schleimige Tour. Und das Schlimmste daran war, dass er glaubte, er würde damit was erreichen.

»Also, mach's kurz.«

»Ja, also, um ehrlich zu sein …«

Den Spruch kannte ich gut. Wenn Franz sagte »Um ehrlich zu sein«, folgte meist eine faustdicke Lüge. Das wusste ich aus der Zeit, wo der Herr Internist noch mehr Frauen im Bett als im Wartezimmer hatte, auf jeden Fall mehr Frauen im Bett als ich damals Männer. Jetzt war das eher umgekehrt.

»Würdest du mir helfen?«

»Wenn es mir nützt.«

»Du stellst dich heute wieder wilder als du bist.«

Diese Bemerkung überging ich.

»Was brauchst du?«

»Eine Frau.«

»Laufen doch genug rum.«

»Ricarda, du missverstehst mich. Ich brauche eine Ehefrau.«

»Du hast doch ein neues Modell.«

»Ich brauche dich.«

»Auf Lüge steht Fegefeuer oder zwei neue Plomben.« Franz hatte Angst vorm Zahnarzt. Manchmal mussten auch Ärzte zum Bohren Ich nutzte in diesem Moment mein altes Wissen. Doch Franz beherrschte sich und seine Angst. Das hieß, er hatte vor etwas anderem noch viel mehr Angst.

»Es ist so: Ich muss zu einem Empfang. Ist ziemlich wichtig. Und Mareike ist nicht da.«

»Hat sie dich verlassen?«

»Nein, sie ist mit Bekannten in die Dominikanische Republik.«

»Nicht schlecht. Warum hat sie mich nicht angerufen, ich wäre vielleicht mit. Wenn es nette Bekannte sind.«

»Ricarda, ich bitte dich. Ich möchte nicht alleine zum Empfang. Sieht immer komisch aus. Und da dachte ich, du könntest mich begleiten.«

»Dachtest du.«

»Ja, dachte ich. Aus alter Freundschaft.«

Ich musste grinsen. Ich konnte mich nicht erinnern, dass wir jemals befreundet gewesen waren. Wir hatten uns kennengelernt, wir hatten geheiratet, ich hatte dem erfolgreichen Magenspiegler einen standesgemäßen Haushalt geführt, dafür war er dann zu einer Jüngeren gezogen. Unter Freundschaft verstand ich etwas anderes. Also rief ich mir noch einmal meine Interessen ins Gedächtnis, denn um Freundschaft ging es ja nicht.

»Was krieg ich dafür?«

»Was willst du?«

»Ist es ein Abend?«

»Ja. Reden und Imbiss, Händeschütteln und Small Talk, etwa von acht bis ein Uhr nachts. Ich will nicht alleine, und du kennst ja auch die meisten noch.«

Die letzte Taktlosigkeit erhöhte den Preis.

»Tausend Piepen der Abend, dazu das Kleid etwa zweitausend, macht drei, kleinere Unkosten wie Taxi selbstverständlich.«

Ich hörte ihn schlucken. Aber es hatte eben seinen Preis, mit einer attraktiven und begehrten Frau auszugehen.

»Das ist hart.«

»Hör auf. Deine Frau hätte sich auch ein Kleid gekauft, das hätte dreitausend gekostet, also bin ich nicht teurer.

Und ich bin immerhin nicht in der Dominikanischen Republik – mit Bekannten.«

Ich betonte das letzte Wort. Franz schwieg, denn er wusste, ich hatte recht. Die Neue war immer noch teurer als die neue Alte.

Ich musste die Konversation wieder aufnehmen. Franz schien gerade die Kalkulation durchzugehen.

»Wann überhaupt?«

»Übermorgen.«

»Das geht.«

»Fein, ich hole dich ab, dann kann ich dir auch noch Instruktionen geben.«

»Wem, mir?«

»Ja, wer da ist und was wir reden und so.«

»Das kostet fünfhundert extra.«

»Ricarda, nun sei doch mal vernünftig.«

Ich musste streng werden.

»Stell dich nicht so an. Du steckst zweimal einen Schlauch in einen fremden Magen und das Geld, das ich koste, hast du damit schon verdient. Es ist eben teurer, wenn ich mich vorbereiten und dann auch noch gut benehmen muss.«

»Also gut, ich hole dich um sieben Uhr ab. Den Scheck werfe ich morgen ein, wenn ich auf dem Weg zur Arbeit vorbeifahre.«

Ich wusste noch gar nicht, dass ich auf dem Weg lag. Aber zahlen im Voraus fand ich gut, und deshalb verkniff ich mir eine dumme Bemerkung. Ich ging zufrieden ins Bett. Natürlich würde ich einen von den alten Lappen anziehen und die dreitausendfünfhundert Kröten einstreichen. Geld machte das Leben erheblich leichter.

Annette  Ricarda schien mich nicht zu verstehen. Dass mir der Typ in meiner Wohnung nicht passte, war ihr schwer begreiflich zu machen. Ich hatte mir bei meiner alten Tante mehr Verständnis erwartet. Extra war ich morgens vorbeigefahren, hatte ein paar Brötchen mitgebracht und mich an den Frühstückstisch gesetzt. Es war schlimm, den ersten Tag arbeitslos zu sein. Ich wäre so gerne in die Uni gegangen.

Ich erzählte ausgiebig von meinem Abschied vom Germanistischen Institut und von der Heimkehr, wo ein abgehalfterter Cousin auf mich wartete. Ricarda zeigte kein Mitgefühl. Vielleicht hätte mir Eva in diesem Moment mehr genützt.

»Er ist nicht dein Typ?«

»Er ist mein Cousin.«

»Darf man mit Cousins nicht?«

»Ich will nicht, verstehst du das nicht.«

»Wenn du ihn nicht willst, wieso ist er dann in deiner Wohnung? Schmeiß ihn raus.«

»Das ist nicht so einfach.«

»Doch.«

Das Gespräch drehte sich im Kreis. Und ich kam nicht weiter. Ich dachte, ich könnte mich bei Ricarda ausheulen. Ich hatte sie immer gerne gemocht. So wollte ich auch mal werden. Ricarda zeigte mir, dass es schön war, alt zu sein. Es gab noch so viel zu erleben. Ihre Schwester, meine Mutter, war von ihrem Lebenswandel wenig begeistert. Aber meine Mutter wohnte etwas außerhalb. Und dass ich die Tante gerne besuchte, erzählte ich ihr nicht.

Erfreulicherweise kam Ricarda jetzt auf einen neuen Gedanken.

»Wenn er dein Cousin ist, ist er dann auch mit mir verwandt?«

»Nein, nein, er ist väterlicherseits.«

»Also kenne ich ihn auch nicht. Von der Seite ist mir nur dein Vater über den Weg gelaufen, und das ist auch schon eine Weile her.«

»Kein Wunder, er ist vor fünf Jahren gestorben.«

»Und du bist sicher, dass es sich nicht lohnt, den neuen Verwandten kennenzulernen?«

Typisch Ricarda.

»Er ist wie ein Handtuch im Wind.«

»Das sagt nichts. Glaube mir, da kann man sich ziemlich täuschen.«

Ricarda dachte immer nur an das Eine.

»Soll ich ihn dir mal abnehmen?«

Auf die Idee war ich noch gar nicht gekommen, dass Ricarda was an ihm finden könnte, aber sie gefiel mir gut.

»Ja, komm vorbei und nimm ihn mit.«

»Nur, wenn du mir dafür auch einen Gefallen tust.«

Ich zögerte. Ricardas Ideen waren selten nach meinem Geschmack. »Und der wäre?«

»Du bist morgen Abend um sieben Uhr hier. Besorg dir vorher was Ordentliches zum Anziehen. Kleines Schwarzes oder so. Du gehst mit deinem Onkel Franz aus.«

»Wie bitte?«

»Klar, Innereien-Empfang, wahrscheinlich gibt's Nierchen. Er braucht was Weibliches an seiner Seite.«

»Wo ist seine neue Frau?«

»Der liegt die Sonne auf dem Bauch - bestenfalls.«

Die Geschmacklosigkeit überhörte ich.

»Und da dachte er, die Alte könnte aushelfen«, fuhr Ricarda ungerührt fort. »Aber die Alte will nicht.«

»Und du meinst, ich will?«

»Hier ist ein Scheck über dreitausendfünfhundert Mäuse. Der Onkel lässt sich die Mieze am Arm was kosten.«

Mir war fast schwindlig. So viel Geld hatte ich schon lange nicht mehr gesehen, geschweige denn zur Verfügung gehabt.

»Was muss ich tun?«

»Na also, du siehst, das Geschäft ist gar nicht so schlecht. Vor allem, wo ich dafür völlig kostenlos deinen Untermieter übernehmen will. Von mir aus kann er auch hier wohnen. Wenn er mir nicht passt, werf ich ihn raus, da bin ich weniger einfühlsam als du. Musst du auch noch lernen.«

Ich war gerührt. Ich liebte es, wenn andere Leute meine Probleme lösten.

Eva  Der Typ wartete vor dem Kino. Er sah aus wie alle in diesem Alter so kurz vor zwanzig, ich hatte auch mal so einen gekannt, und ihm hatte ich meine Tochter zu verdanken. Er war groß und schlaksig, das Fett setzte erst später an. Die blonden Haare waren lässig nach hinten gekämmt und fielen programmgemäß gelegentlich in die Stirn, der Unterkiefer war leicht verschoben, weil er den Kaugummi zwischen den Zähnen malmen musste. Er war ordentlich gekleidet. Von mir hatte er wohl erwartet, dass ich in einer lila Latzhose antanzen würde, so wie die Emanzen früher. Aber da dem nicht so war, reagierte er enttäuscht, als Clara mich vorstellte.

»Jens, mein Freund - Eva, meine Mutter.«

Jens gab mir die Hand und schien etwas erstaunt. »Sie habe ich mir ganz anders vorgestellt«, gab er offen zu.

»Das Indienkleid und die Latzhose sind gerade in der Wäsche und die Doppelaxt ist zerbrochen, als ich gestern einem Typen den Schädel eingeschlagen habe.«

Clara kicherte nervös und nestelte an Jens' Jackett, so wie sich eine doofe Frau eben verhielt, wenn sie ihren Typ von irgend etwas Peinlichem ablenken wollte. Jens aber war keinesfalls erschüttert. Er grinste etwas, verstand also meine Bemerkung als humorvollen Beitrag zur Konversation und sah mich dann doch wieder ganz ernst an. Fast begann ich, ihn sympathisch zu finden, bis mir wieder einfiel, dass einer, dem er nicht so ganz unähnlich war, mich in jungen Jahren geschwängert und sich später allen finanziellen Verpflichtungen entzogen hatte. Sollte er verbrutzeln in der Karibik oder wohin er sich sonst abgesetzt hatte. Jens nahm den Gesprächsfaden unbeirrt wieder auf.

»Clara sagt Sie arbeiten irgendwas Feministisches?« fragte er, als wir die letzten Schritte zur Kinokasse hinter uns brachten. »Verdient man da überhaupt was?«

»Die Pauschale ist gering. Aber für jeden abgeschnittenen Schwanz gibt's fünfzig Euro, und das läppert sich dann schon, wenn man hinterher ist.«

Ich musste ein bisschen übertreiben, schließlich hatte Clara mich als Emanze verkauft. Und wenn er unbedingt eine kennenlernen wollte, das konnte er haben. Jens grinste nochmals, blickte unauffällig an sich runter und schob verlegen den Kaugummi in die andere Backe. Clara versuchte abzulenken.

»Seht mal, wie viele Leute schon an der Kasse stehen …« Aber Jens redete scheinbar unbeeindruckt weiter.

»Und wie war das Geschäft heute?«

»Ganz ehrlich, ich könnte noch fünfzig Euro vertragen.«

Jens sah mich durchdringend an.

»Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Das Kino, die Getränke und das Popcorn zahle ich, dafür werde ich heute noch verschont.«

»Aber nur, wenn Sie nie wieder in meine Blumenvasen pinkeln.«

Clara hatte recht gehabt. Mit Emanze-Sein ließ sich Geld verdienen. Es war zwar ein kleiner Anfang, aber es war einer. Und ich hatte gar keine Skrupel, mich von einem Kerl einladen zu lassen.

Ricarda  Annette und ich verbrachten den Nachmittag mit Shopping. Ich kannte mich bei den Klamotten aus, und sie brauchte was für den Abend mit meinem Ex. Annette entschied sich für etwas Schlichtes knapp um die fünfhundert Euro, damit blieb mehr Kohle für sie selbst übrig. Franz würde nicht nach der Quittung fragen. Der war froh, dass er nicht alleine zu seinem Empfang musste.

Anschließend gingen wir ins Café.

»Vielleicht solltest du das öfter machen, ältere Herren begleiten.«

Annette war entsetzt.

»Aber das ist doch kein Beruf für mich. Ich mache das jetzt nur ausnahmsweise, um dir zu helfen.«

»Red keinen Unsinn, du tust es fürs Geld, und das ist auch gut so. Deiner alten Tante brauchst du keinen Gefallen zu tun.«

»Also gut, ich tu's fürs Geld.«

»Na also, das ließe sich doch wiederholen.«

»Ach, du meinst, ich quatsche heute Abend die Ärzte an und frage sie, wer demnächst eine nette Begleitung braucht, ohne Körperkontakt und so?«

»Das mit dem Körperkontakt musst du schon selbst entscheiden. Ich wäre da nicht so, wenn sie jung und reich sind.«

Die Bedienung zögerte, die Kaffeetassen und das Gebäck abzustellen. Sie sah verwirrt von einer zur anderen, und es war völlig klar, dass sie uns in diesem Moment alles zutraute. Womit sie bei mir auch nicht falsch lag. Allerdings dachte die Kleine vermutlich eher, Annette wäre die Frau fürs Bett. Nachdem sich das Fräulein verzogen hatte, rührte Annette angestrengt in ihrer Tasse.

»Du musst doch gar nichts tun, ich kann ja Franz mal fragen, ob seine Kollegen auch Aushilfen brauchen«, schlug ich vor.

»Auf keinen Fall.«

Annette hatte eine seltsame Vorstellung von Frauenbefreiung. Sie meinte wohl, man müsste dann für sich selbst sorgen. Dass man sich mit anderer Leute Geld sehr frei fühlen konnte, war ihr neu. Es wird noch einige Zeit dauern, bis sie das kapiert hat, dachte ich. Ich habe auch lange gebraucht.

Annette  Onkel Franz schien eher angenehm überrascht zu sein, als er seine frühere Frau abholen wollte und mich im Abendkleid vorfand. Ricardas knappe Erklärung, dass eine attraktive junge Nichte immer noch besser als Begleitung wäre als die abgetakelte bessere Hälfte, schluckte er widerspruchslos. Auch als Ricarda boshaft hinzufügte, er könnte das mit der Nichte ja weglassen und damit was fürs Image tun, gab er keine Antwort. Er verschwand schnell aus seinem früheren Haus, verfrachtete mich in den Sportschlitten, und es ging los. Unterwegs gab's kurze Anweisungen.

»Erzähl keinesfalls von deinem letzten Arztbesuch, das wollen die Kollegen nicht hören.«

Ich sparte mir die Antwort auf diesen dämlichen Tipp. »Also keine Magengeschwüre oder Nierensteine.«

Ich blickte angestrengt aus dem Fenster und bereute, mitgekommen zu sein.

»Oder Regelschmerzen oder so was Frauliches.«

»Onkel Franz, jetzt reicht's aber.«

»Und nenn mich nicht Onkel Franz. Bitte nicht Onkel!« Ich musste grinsen. Jetzt hatte ich ihn in der Hand. Der gute Onkel wollte, kein Onkel sein. Das ließ sich verwenden.

Hatte ich vorher noch nervös an der Fingernagelhaut herumgezupft, so sah ich nun dem Abend gelassen entgegen.

Onkel Franz gab entsetzlich an, sprach mal von seiner Bekannten und mal von seiner Mitarbeiterin, meinte aber immer mich. Ich nahm eine gehörige Menge Schampus zu mir, gönnte mir etwas Lachs, war aber doch darauf bedacht, nicht zu kleckern. Nachdem ich etwas intus hatte und sah, wie die anderen Damen mit ihren Typen umsprangen, wurde ich etwas mutiger.

»Franz, würdest du mir bitte noch etwas Brot vom Büfett holen?«

Es klappte tatsächlich. Der Onkel hüpfte, als müsste er mich und die anderen beeindrucken. Mehrmals lud er mein Tellerchen wieder nach meinen Anweisungen voll und brachte das leere zurück zum Büfett. Damit ersparte er mir, auf den Stöckelschuhen durch den halben Raum zu balancieren.

Als er dann versuchte, mich auf die Wange zu küssen, trat ich ihm mit dem Absatz auf die Zehen, so dass er sich leicht hinkend wieder entfernte.

Ich sah mich ein bisschen um. Aber es war nicht leicht, sich hier zu amüsieren. Die Damen unterhielten sich über Gymnastik und Mode, die Herren befassten sich tatsächlich mit Innereien und den Möglichkeiten einer Praxiserweiterung. An ein Gespräch war nicht zu denken. So wandte ich mich wieder dem Onkel zu. Ich ließ ihn meinen Umhang hinaus- und später wieder hereintragen, er begleitete mich an die frische Luft, als mir schlecht wurde, holte mir dann ein neues Glas, später noch eins, er hatte sogar Verständnis dafür, dass ich noch vor Mitternacht die Schnauze voll hatte und nach Hause wollte. Da ich mich nicht noch einmal in seinen tiefergelegten Sportwagen hineinfalten wollte, bezahlte er ein Taxi und fragte, ob er nicht mal wieder auf meine charmante Begleitung zurückgreifen dürfte, natürlich zu ähnlichen Bedingungen.

Auf dem Heimweg kam ich ins Grübeln. Ich hätte nie gedacht, dass man Geld verdienen kann, indem man einen Mann zum Idioten machte. Ich hatte tatsächlich noch viel zu lernen.

Eva  Dem Kinobesuch mit Jens und Clara war gestern ein gemeinsames Abendessen gefolgt. Warum ich mich dazu hatte breitschlagen lassen, wusste ich an diesem frühen Morgen nicht mehr so genau. Ich konnte mich nur erinnern, dass der Unternehmersohn einiges dafür bezahlt hatte, während ich ihm ein paar Frechheiten um die Ohren klatschte. Mit Vor- und Hauptspeise, einem halben Liter Wein sowie Nachtisch und Zigarre blätterte der fast fünfzig Euro für mich hin. Die Zigarre war gut fürs Image. Für mein Wohlbefinden war sie leider nicht so gut.

An diesem Morgen stieg nun eine vage Ahnung in mir auf, dass ich mich mit dem Kerl jetzt duzte, aber in Sachen Pinkeln im Stehen hatte ich sicherlich keine Kompromisse gemacht. Das Schwierigste war, dass ich mich gut amüsiert hatte. Das widersprach meinen bisherigen Erfahrungen und machte es vielleicht nötig, alte Positionen neu zu überdenken.

Bei meinen Kopfschmerzen an diesem Morgen war das unmöglich. Leider konnte ich Jens für diesen Kater nicht die Schuld geben. Er hatte nur bezahlt, getrunken hatte ich selbst.

Die Arbeit konnte mir heute gestohlen bleiben. Ich hatte mich krank gemeldet beim Frauenverlag. Seit Montag herrschte immer noch dicke Luft, und ich hatte weder Lust, Karin zu begegnen, noch wollte ich mir von Lucie noch mal sagen lassen, dass ich etwas diplomatischer sein sollte. Ich hatte schließlich gelernt, dass es finanziell einträglicher war, nicht als Feministin zu arbeiten, sondern als eine aufzutreten.

Vielleicht lag Clara nicht ganz falsch, dachte ich, als ich die Kaffeemaschine anwarf. Ich musste mich nicht verstecken. Rent a Emanze – das wäre wenigstens was Neues.

Ich war gerade der Dusche entstiegen, als es an der Tür klingelte. Ein kurzer kritischer Blick – es war Annette, die mich sofort neugierig musterte.

»Versumpft?«

Nette Begrüßung. Ich sah mir Annette genauer an, soweit dies meine brennenden Augen zuließen.

»Und selbst?«

Annette lachte, offenbar war sie guter Laune. Sonst war sie oft so leidend, ein Opfer der Männerwelt.

»Ich habe tatsächlich einen anstrengenden Abend hinter mir.«

»Setzen, erzählen.«

Wenn ich schlapp war, bediente ich mich gern einer knappen, übersichtlichen Ausdrucksweise. Annette tat das heute nicht. Ich hatte eine völlig aufgelöste Gestalt erwartet, die den Verlust ihres Arbeitsplatzes beklagte, über den bösen und doch so lieben Kollegen Thomas jammerte und dann sich selbst auch noch die Schuld an der ganzen Misere gab. Doch die Universität schien vergessen. Und die Story, die Annette mir auftischte, klang geradezu unglaublich. Dreitausendfünfhundert Piepen für einen Abend, da konnte ich mich mit meinem Abendessen nur verstecken. Mir war gleich klar, dass so ein Coup nicht auf Annettes Mist gewachsen war. Da konnte nur Ricarda dahinterstecken. Ich war schon immer davon überzeugt, dass die Alte gerissen war. Sie zog die Männer bis aufs Hemd aus – die einen finanziell und die anderen tatsächlich. Ich wollte das ja nicht machen, ich wusste auch nicht genau, ob es aus feministischer Perspektive ganz astrein war, aber ich hatte schon immer gehörigen Respekt vor der Hexe.

»Und was hast du gestern Abend so getrieben?« fragte Annette, nachdem sie eine Stunde später einigermaßen zum Schluss gekommen war und ich gerade das zweite Aspirin einwarf.

Ich erzählte von dem Abend, löste wahre Heiterkeitsausbrüche bei Annette aus, die sich einfach nicht vorstellen konnte, dass ich in Begleitung eines jungen Mannes ausgegangen war. Fast war ich gekränkt, dass sie mir das nicht zutraute. Daher fügte ich Claras Spruch »Dich müsste man vermieten« an. Annette wurde ganz nachdenklich. »Komisch, ich habe mir das gestern auch schon gedacht«, murmelte sie.

»Was hast du gedacht?« knurrte ich und suchte in meinem Kühlschrank nach etwas Essbarem, weil mir die Aspirin im Magen grummelten und wieder hochzukommen drohten.

»Schau mal, ich habe aus einem alten Mann einen Narren gemacht, und er zahlt dafür Geld.«

»Und ich habe einem jungen Mann die Emanze vorgespielt und damit zumindest Geld gespart.«

»Wir sollten uns zusammentun, da scheint es eine Marktlücke zu geben.«

Ich hatte gerade noch etwas alten Käse gefunden, den ich aus der Kühlschrankecke zog, in Scheiben schnitt, dekorativ auf dem Teller mit den letzten zwei Scheiben Brot anrichtete und auf dem Tisch platzierte. Vielleicht hatte Annette ja auch Hunger.

»Männer erschrecken und dafür Geld kassieren?«

»Ja, so ähnlich. Mieten Sie die Frau, mit der Sie nicht verheiratet sein wollten.«

»Die Frau Ihrer Alpträume.«

»Eine Modelagentur der anderen Art.«

Komischerweise war ich zögerlicher als Annette, sonst war es immer umgekehrt.

»Wer soll solche Frauen mieten?«