AGG - Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz - Thomas Hey - E-Book

AGG - Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz E-Book

Thomas Hey

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Beschreibung

Dieser praxisnahe Kommentar zum Allgemeinen GleichbehandlungsgeSetz (AGG) behandelt systematisch die Probleme der einzelnen Paragraphen des GeSetzes, ordnet es einleitend in die Gesamtrechtsordnung ein und berücksichtigt auch die zivilrechtlichen Aspekte. Seit dem Erscheinen der Erstauflage sind sowohl auf nationaler als auch auf unionsrechtlicher Ebene zahlreiche neue Entscheidungen zu diskriminierungsrechtlichen Fragestellungen ergangen. Diese werden in der Neuauflage dargestellt und auf ihre praktische Relevanz hin ausgewertet. Der Kommentarteil definiert die sieben Diskriminierungsmerkmale und illustriert sie mit zahlreichen Beispielen. Anschließend erörtern die Autoren ausführlich die arbeitsrechtlichen Regelungen zum Schutz der Beschäftigten und erläutern das Benachteiligungsverbot, mögliche Rechtfertigungsgründe sowie Organisations- und Schadensersatzpflichten der Arbeitgeber. Erstmals gibt eine Entschädigungstabelle einen Überblick über die bisher von den Gerichten zugesprochenen Entschädigungen. Schwerpunktmäßig werden das äußerst praxisrelevante Verbot der Diskriminierung wegen des Alters und spezifische Rechtfertigungsmöglichkeiten umfassend diskutiert. Die Wirkungen des AGG auf das allgemeine Zivilrecht sind Thema im dritten Abschnitt der Kommentierung. Abschließend werden die AGG-spezifische Beweislastverteilung, Vorschriften zur Antidiskriminierungsstelle des Bundes sowie die Schlussvorschriften erläutert. Der Text des AGG sowie seine englische ÜberSetzung runden das Buch ab.

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Seitenzahl: 1728

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Kommentar AGG

Herausgegeben von

Thomas Hey

Rechtsanwalt, Düsseldorf

und

PD Dr. Gerrit Forst LL.M. (Cantab.)

Freie Universität Berlin

Bearbeitet von

PD Dr. Gerrit Forst LL.M. (Cantab.) Rechtsanwalt Thomas Hey, Düsseldorf Rechtsanwalt Dr. Michael Kremer LL.M., Düsseldorf Rechtsanwältin Dr. Lena Lindemann, Düsseldorf Rechtsanwalt ThomasWeimann, Düsseldorf

2., neu bearbeitete Auflage 2015

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-8005-3278-0

© 2015 Deutscher Fachverlag GmbH, Fachmedien Recht und Wirtschaft, Frankfurt am Main

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Satzkonvertierung: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, 69502 Hemsbach

Druck und Verarbeitung: freiburger graphische betriebe GmbH, 79108 Freiburg

Printed in Germany

Vorwort

Acht Jahre nach seinem Inkrafttreten ist es ruhiger geworden um das AGG. Zumindest in größeren Unternehmen ist es heute selbstverständlicher Bestandteil der Unternehmenskultur. Ob es die Praxis – außer bei der Diskriminierung wegen des Alters – wesentlich verändert hat, ist zweifelhaft. Auch vor Inkrafttreten des AGG waren Diskriminierungen wegen personenbezogener Merkmale nicht die Regel, sondern die Ausnahme. Sicher ist, dass das AGG das Bewusstsein für mögliche Diskriminierungen geschärft hat. Sicher ist, dass es den Beschäftigten neue Möglichkeiten eröffnet hat, gegen tatsächliche Diskriminierungen vorzugehen. Beides ist positiv. Sicher ist aber auch, dass es unehrlichen Beschäftigten die Möglichkeit des Missbrauchs eröffnet, den es auch in Zukunft zu unterbinden gilt. Wer Antidiskriminierungsrecht zur persönlichen Bereicherung nutzen will, pervertiert das legitime Anliegen des Gesetzes.

Leider eröffnet das AGG zahlreiche Missbrauchsmöglichkeiten: Beliebt ist vor allem die anonyme oder auch namentliche Anzeige von Vorgesetzten oder missliebigen Kollegen, denen man eine Beförderung nicht gönnt oder gar selbst im Wettstreit mit Kollegen diese erreichen möchte oder sich für welches auch immer Erlittene oder vermeintlich Erlittene rächen möchte. Sowohl die Anzahl der anonymen Falschanzeigen, als auch von Anzeigen, die objektiv keine Benachteiligung im Sinne des AGG darstellen, jedoch je nach Perspektive und Auslegung des Sachverhalts zunächst Anlass zur Anzeige gegeben haben mögen, die der Anzeigende im Nachhinein besser unterlassen hätte, nimmt nach den Erfahrungen der Praxis dramatisch zu.

Solche Anzeigen stellen Unternehmen vor große Herausforderungen: Auf der einen Seite sind sie gezwungen, Anzeigen und Informationen, die auf schwerwiegende Diskriminierung, insbesondere Belästigungen, sexuelle Belästigungen und Mobbing hindeuten, genau nachzugehen. Auf der anderen Seite kann eine mit allen Mitteln betriebene Aufklärung leicht dazu führen, dass eine fälschlich bezichtigte Person oder eine Person, die auch hier Teil solcher Ermittlungen wird, ihrerseits erheblich diskreditiert wird. Das ist insbesondere dann schlimm, wenn sie zu Unrecht Teil der internen Ermittlungen war. Praktiker wissen, dass nur eine schnelle, möglichst umfassende und weitreichende Aufklärung dem ermittelnden Unternehmen bzw. dessen Beratern einen guten Überblick über das wirkliche Geschehen gibt. Hierzu sind dem an einer wirklichen Aufklärung Interessierten alle legalen Mittel recht. Ein zu vorsichtiges oder halbherziges Ermitteln birgt die Gefahr, dass gerade in Situationen, in denen sich die Zeugen oder Betroffenen nicht trauen oder gar beschämt fühlen, über die Situation zu sprechen, keine wirkliche Aufklärung betrieben werden kann. Dann bleibt es für den Ermittelnden bei einer Mauer des Schweigens oder der Nichtauskünfte, ohne dass er beurteilen kann, ob der Sachverhalt sich tatsächlich so ereignet hat. Mit dieser Situation umzugehen, ist eine der größten Herausforderungen für interne Ermittler in Unternehmen, Compliance-Abteilungen, Obleute, Personalabteilungen, Rechtsabteilungen und alle anderen Betroffenen.

Um bereits im Vorfeld aufzuklären, ob eine falsche Anzeige oder eine bewusst schädigende Anzeige vorliegt, kann eine intensive Kommunikation mit dem Anzeigenden hilfreich sein: In so einem Gespräch muss der Anzeigende seine Anzeige ausführlich und unter Angaben von Zeugen und Beweismitteln plausibilisieren. Je intensiver die Gespräche den Anzeigenden fordern, umso eher werden falsche Aussagen entlarvt und unnötige interne Ermittlungen verhindert. Andererseits baut ein detaillierterer Frage- und Antwortprozess gegenüber dem Anzeigenden für manche Unternehmen ungewollte Barrieren auf. Um Anzeigen diskriminierenden Verhaltens zu fördern bzw. nicht jede Anzeige zuerst als schwierig oder gar negativ im Raum stehen lassen, sollte kommuniziert werden, dass Compliance-, Ethik- und Verhaltensrichtlinien ernst genommen werden.

Aus gesetzgeberischer Sicht ist zu überlegen, ob das AGG nicht um einen Paragraphen ergänzt wird, der für den Missbrauch des AGG eine Regelung enthält. Zwar bestehen Zweifel, ob sich der Rechtsmissbrauch tatbestandlich umreißen lässt, doch könnten zumindest schärfere Sanktionen eine allzu leichtfertige Beschuldigung Dritter verhindern: Denkbar wäre zum Beispiel eine Bestimmung, die eine bewusst falsche Anzeige nach dem AGG, die mit dem Ziel abgegeben wird, dem Betroffenen einen persönlichen Nachteil zuzufügen, als Ordnungswidrigkeit ahndet oder gar unter Strafe stellt. Sie würde die allgemeinen Vorschriften der §§ 185 ff. StGB in einem Bereich ergänzen, der von diesen Vorschriften bislang nicht hinreichend erfasst wird. Außerdem wäre es im Sinne einer ausgewogenen Gestaltung des AGG sinnvoll, Betroffenen, gegen die zu Unrecht ermittelt wurde und die dadurch Nachteile erleiden, einen Entschädigungsanspruch für erlittene immaterielle Schäden gegen den bewusst zu Unrecht Ermittelnden und gegen denjenigen zu gewähren, der eine vorsätzlich falsche Anzeige ausbringt.

Auch wenn einerseits die Zahl falscher Anzeigen zunimmt, haben sich andererseits die Warnrufe derjenigen zum Glück nicht bewahrheitet, die US-amerikanische Verhältnisse in Deutschland heraufziehen sahen: Die hierzulande wegen einer Diskriminierung ausgeurteilten Entschädigungssummen bleiben weit hinter den punitive damages US-amerikanischen Rechts zurück. Gleichzeitig herrscht aber noch große Unsicherheit darüber, welche Entschädigungen angemessen sind. Noch liegen zu wenige Entscheidungen vor, um umfangreiche Entschädigungstabellen bilden zu können, wie sie im allgemeinen Haftungsrecht seit Jahrzehnten vorliegen. Unser Anliegen ist es, zumindest einen ersten Schritt in diese Richtung zu wagen: Im Anhang zu § 15 haben wir die bislang ausgeurteilten Entschädigungssummen zusammengetragen und systematisiert. Nach unserer Kenntnis ist dies in Deutschland in diesem Umfang die erste und einzige Auswertung dieser Art überhaupt.

Jenseits dieser ganz praktischen Fragen bleibt auch die Rechtsordnung selbst in Bewegung. Impulse zur Weiterentwicklung des Antidiskriminierungsrechts gehen heute aber weniger vom Gesetzgeber aus (man beachte aber die Richtlinie 2010/41/EU), sondern vor allem von der Rechtsprechung des EuGH und des BAG. Entscheidungen zu den personenbezogenen Merkmalen „Geschlecht“ und „Alter“ haben erhebliche Auswirkungen, weil sie die Wirksamkeit von Tarifverträgen oder gar Gesetzen in Frage stellen und damit eine Breitenwirkung entfalten. In der Versicherungswirtschaft hat das Urteil des EuGH in der Rs. Test-Achats zu Unisex-Tarifen geführt. Auch die Entscheidung des EuGH in der Rs. Kücükdeveci belegt die Macht der Gerichte eindrucksvoll: § 622 Abs. 2 Satz 2 BGB mag zwar noch immer im Gesetz stehen, ist aber nicht mehr anzuwenden. Die Gerichte werden das Antidiskriminierungsrecht auch in Zukunft prägen: Voraussichtlich noch in diesem Jahr wird sich der EuGH dazu erklären, ob Adipositas eine Behinderung i.S.d. Antidiskriminierungsrechts sein kann. Die Folgen wären gravierend, denn in allen Industrienationen ist Übergewicht ein verbreitetes Phänomen. Die vorliegende Auflage bringt nicht nur die Rechtsprechungsnachweise auf den neusten Stand, sondern versucht, künftige Schwerpunkte der Rechtsprechung zu antizipieren und dazu Lösungsvorschläge zu unterbreiten.

Das Antidiskriminierungsrecht hat seine größte Bedeutung nach wie vor im Arbeitsrecht. Deshalb umfassen die Ausführungen zum Arbeitsrecht auch weiterhin den größeren Teil des Bandes. Ein besonderes Anliegen dieses Kommentars ist es jedoch, wie schon in der Vorauflage, auch die zivilrechtliche Seite des AGG umfassend zu würdigen. Das AGG erlangt hier hauptsächlich in der Versicherungs- und Wohnungswirtschaft große Bedeutung, was sich in der Kommentierung widerspiegelt. Andere Bereiche, wie z.B. die Energiewirtschaft, die Telekommunikations- und Energieversorgungsbranche etc. sind in den letzten Jahren nicht so sehr durch das Antidiskriminierungsrecht beeinflusst worden. Dies ist vermutlich dem harten Wettbewerb und vor allem aber der Regelungen in diesen Branchen geschuldet, die für Diskriminierungen wenig Spielraum lassen.

Was bringt die Zukunft? Ein besonderes Anliegen des europäischen wie des deutschen Gesetzgebers sind Quoten. Wir sehen diese kritisch. Ob Geschlechter- oder andere Quoten, ob in Aufsichtsräten, Führungsgremien, bei der Einstellung oder anderen Bereichen: Wenn die Politik es für nötig hält, dass in bestimmten Bereichen die unterrepräsentierte Personengruppe (warum sich die politische Diskussion auf Frauen beschränkt, ist für uns unverständlich) stärker vertreten ist, hilft eine Quote allein nicht weiter, weil sie nur die Symptome bekämpft, ohne die Ursachen für eine Unterrepräsentation zu beseitigen. Statt beispielsweise eine Frauenquote einzuführen, müsste der Gesetzgeber die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für alle Eltern verbessern. Verordnet er stattdessen eine Quote, führt dies zu wirtschaftlichen Nachteilen, vor allem dann, wenn von der unterrepräsentierten Personengruppe nicht besetzte Sitze oder Arbeitsplätze frei bleiben müssen. Eine Quote kann nur dann helfen, wenn es für bestimmte Aufgaben grundsätzlich gleich viele und gleich gute Bewerber bzw. Interessenten aller denkbaren Personengruppen gibt, aber aus diskriminierenden Gründen nur eine Personengruppe berücksichtigt bzw. eine Personengruppe nicht berücksichtigt wird. Nur in diesem letzten Fall würde eine Quote helfen, Diskriminierungen zu beseitigen. Umgekehrt führt eine Quote, welche die unterrepräsentierte Personengruppe begünstigt, zu einer Benachteiligung derjenigen, die nicht dieser Gruppe angehören. Jede sogenannte „positive Maßnahme“ hat negative Effekte für diejenigen, die nicht von ihr profitieren.

Gegenüber der Vorauflage hat es personelle Veränderungen sowohl im Herausgeber- als auch im Autorenkreis gegeben. Der Kommentar erscheint nun unter unserer gemeinsamen Herausgeberschaft. Wir wollen dadurch die praktische Expertise aus der Sozietät Clifford Chance mit der wissenschaftlichen Expertise verbinden und vor allem den Blick für die Ebene der EU schärfen. Mit Editha Beitze hat sich eine Autorin der Vorauflage anderen beruflichen Aufgaben zugewandt und ist aus dem Autorenkreis ausgeschieden. Wir danken ihr noch einmal für ihr Engagement und wünschen ihr für die Zukunft alles Gute. Mit Lena Lindemann hat ihre Bearbeitung eine würdige Nachfolgerin gefunden. Den zivilrechtlichen Teil betreuen wie in der Vorauflage Thomas Weimann und Michael Kremer. Allen Autoren danken wir ganz herzlich für ihre tatkräftige Mitarbeit, ohne die der Band nicht hätte erscheinen können. Dank für herausragende Unterstützung sprechen wir an dieser Stelle außerdem Hannah Vos und Ines Dick aus, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen bei Clifford Chance. Besonders danken wir außerdem Anna Kassandra Louis, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht der Freien Universität Berlin. Sie hat mit großer Sorgfalt die Rechtsprechung zu § 15 AGG ausgewertet und dadurch die bereits erwähnte Entschädigungstabelle wesentlich mitgestaltet. Schließlich danken wir all den wissenschaftlichen Mitarbeitern und Referendaren, die in den letzten Tagen und Wochen der Fertigstellung mit viel Engagement letzte Fehler korrigiert und dafür gesorgt haben, dass das Projekt zügig fertiggestellt werden konnte.

Alle verbleibenden Fehler, Ungereimtheiten und Ungenauigkeiten sind uns als Herausgebern anzulasten. Über Anregungen zur weiteren Entwicklung des Stoffs, insbesondere in Form von Fällen, aber auch in kritischer Diskussion über die geäußerten Meinungen, freuen wir uns immer.

Düsseldorf und Berlin, im Oktober 2014

Thomas Hey/ Gerrit Forst

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Abkürzungsverzeichnis

Einleitung

Abschnitt 1: Allgemeiner Teil

§ 1 Ziel des Gesetzes

§ 2 Anwendungsbereich

§ 3 Begriffsbestimmungen

§ 4 Unterschiedliche Behandlung wegen mehrerer Gründe

§ 5 Positive Maßnahmen

Abschnitt 2: Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligung

Unterabschnitt 1: Verbot der Benachteiligung

§ 6 Persönlicher Anwendungsbereich

§ 7 Benachteiligungsverbot

§ 8 Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicher Anforderungen

§ 9 Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung

§ 10 Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters

Unterabschnitt 2: Organisationspflichten des Arbeitgebers

§ 11 Ausschreibung

§ 12 Maßnahmen und Pflichten des Arbeitgebers

Unterabschnitt 3: Rechte der Beschäftigten

§ 13 Beschwerderecht

§ 14 Leistungsverweigerungsrecht

§ 15 Entschädigung und Schadensersatz

§ 16 Maßregelungsverbot

Unterabschnitt 4: Ergänzende Vorschriften

§ 17 Soziale Verantwortung der Beteiligten

§ 18 Mitgliedschaft in Vereinigungen

Abschnitt 3: Schutz vor Benachteiligungen im Zivilrechtsverkehr

§ 19 Zivilrechtliches Benachteiligungsverbot

§ 20 Zulässige unterschiedliche Behandlung

§ 21 Ansprüche

Abschnitt 4: Rechtsschutz

§ 22 Beweislast

§ 23 Unterstützung durch Antidiskriminierungsverbände

Abschnitt 5: Sonderregelungen für öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse

§ 24 Sonderregelung für öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse

Abschnitt 6: Antidiskriminierungsstelle

§ 25 Antidiskriminierungsstelle des Bundes

§ 26 Rechtsstellung der Leitung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes

§ 27 Aufgaben

§ 28 Befugnisse

§ 29 Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen und anderen Einrichtungen

§ 30 Beirat

Abschnitt 7: Schlussvorschriften

§ 31 Unabdingbarkeit

§ 32 Schlussbestimmung

§ 33 Übergangsbestimmungen

Anhang: Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)/ General Anti-Discrimination Act

Literaturverzeichnis

Sachregister

Sachregister A

Sachregister B

Sachregister C

Sachregister D

Sachregister E

Sachregister F

Sachregister G

Sachregister H

Sachregister I

Sachregister J

Sachregister K

Sachregister L

Sachregister M

Sachregister N

Sachregister O

Sachregister P

Sachregister Q

Sachregister R

Sachregister S

Sachregister T

Sachregister U

Sachregister V

Sachregister W

Sachregister Z

Abkürzungsverzeichnis

AA

Arbeitsamt/-ämter

AAPSS

American Academy of Political and Social Science

ABl.

Amtsblatt

Abs.

Absatz

abw.

abweichend

AER

American Economic Review

AEUV

Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

a.E.

am Ende

a.F.

alte Fassung

AG

Aktiengesellschaft

AGG

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz vom 14. 8. 2006 (BGBl. I S. 1897), das zuletzt durch Art. 8 des Gesetzes vom 3. 4. 2013 (BGBl. I S. 610) geändert worden ist

Anm.

Anmerkung

ArbG

Arbeitsgericht

ArbGG

Arbeitsgerichtsgesetz

ArbuR

Arbeit und Recht

ArbRB

Der Arbeits-Rechts-Berater (Zeitschrift)

Art.

Artikel

ATG

Altersteilzeitgesetz

AuA

Arbeit und Arbeitsrecht

Az.

Aktenzeichen

BAG

Bundesarbeitsgericht

BAGE

Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts

BAT

Bundes-Angestelltentarifvertrag

BayVBl

BayVBl

BayVGH

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

BB

Betriebsberater (Zeitschrift)

BBergG

Bundesberggesetz

BBG

Bundesbeamtengesetz

BDSG

Bundesdatenschutzgesetz

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BeckOK

Beck’scher Onlinekommentar

BerlBesÜG

Berliner Besoldungsüberleitungsgesetz

BetrAV

Betriebliche Altersversorgung

BetrAVG

Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19. 12. 1974, BGBl. I 3610

BetrAVG uaÄndG

Gesetz zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze

BetrVG

Betriebsverfassungsgesetz

BFD

Bundesfreiwilligendienst

BFDG

Bundesfreiwilligendienstgesetz

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

bez.

bezüglich

BG

Bezirksgericht

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGG

Gesetz zur Gleichstellung behinderter Menschen

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen

Bl.

Blatt

BMFSJ

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

BNotO

Bundesnotarordnung vom 13. 2. 1937, RGBl. I 191

BPersVG

Bundespersonalvertretungsgesetz

BR-Drucks.

Bundesratsdrucksache

BSchG

Gesetz zum Schutz der Beschäftigten vor sexueller Belästigung am Arbeitsplatz vom 24. 6. 1994, BGBl. I 1406, 1412, aufgehoben mit Wirkung vom 18. 8. 2006

BT-Drucks.

Bundestagsdrucksache

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

bzw.

beziehungsweise

CMLR

Common Market Law Review

CNIL

Commission nationale de l’informatique et des libertés

DB

Der Betrieb (Zeitschrift)

DRiG

Deutsches Richtergesetz

EFZG

Entgeltfortzahlungsgesetz

EGMR

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

EL

Ergänzungslieferung

EMRK

Europäische Menschenrechtskonvention

EGV

Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft

ErfK

Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 14. Aufl. 2014

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EuZA

Europäische Zeitschrift für Arbeitsrecht

EWCA

European and Wales Court of Appeal

f.

folgende

ff.

fortfolgende

FS

Festschrift

GdB

Grad der Behinderung

GenDG

Gesetz über genetische Untersuchungen bei Menschen (Gendiagnostikgesetz – GenDG)

GleiBeUmsG

Gesetz zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung

GmbHR

Rundschau für Gesellschafts- und Steuerrecht der GmbH und GmbH & Co.

GVBl. NRW

Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Nordrhein-Westfalen

GrCh

Charta der Grundrechte der Europäischen Union

h.M.

herrschende Meinung

H/W/K

Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 6. Aufl. 2014

i.d.R

in der Regel

i.R.d.

im Rahmen des/der

i.S.v.

im Sinn von

i.S.d.

im Sinn des

JurisPK

Juris Praxiskommentar

jurisPR-ArbR

Juris PraxisReport Arbeitsrecht

JArbSchG

Jugendarbeitsschutzgesetz

KirchE

Entscheidungen in Kirchensachen

KR

Gemeinschaftskommentar zum Kündigungsschutzgesetz und zu sonstigen kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften 10. Auflage 2013

KSchG

Kündigungsschutzgesetz vom 25. 8. 1969, BGBl. I 1317

LAG

Landesarbeitsgericht

LKV

Landeskontrollverband

LohnFG

Lohnfortzahlungsgesetz

MüKoBGB

Münchener Kommentar zum BGB, 6. Aufl 2012 ff. (soweit nicht anders zitiert)

MuSchG

Mutterschutzgesetz

NJW

Neue Juristische Wochenschrift (Zeitschrift)

NGO

Nichtregierunsgorganisation

NVwZ

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NZA

Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht

NZA-RR

Rechtsprechungs-Report Arbeitsrecht

NZG

Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht

NZWehrR

Neue Zeitschrift für Wehrrecht

PflR

Pflegerecht

RGBl.

Reichsgesetzblatt

RL

Richtlinie

Rn.

Randnummer

S.

Seite

SAE

Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen

SDLR

San Diego Law Review

SG

Sozialgericht

SoldG

Soldatengesetz

SoldGG

Gesetz zur Gleichstellung von Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr

SuP

Sozialrecht und Praxis

TVG

Tarifvertragsgesetz

TVöD

Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst

TVöD-AT

Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst – Allgemeiner Teil

TzBfG

Teilzeit- und Befristungsgesetz vom 21. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1966), das zuletzt durch Artikel 23 des Gesetzes vom 20. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2854) geändert worden ist

UKlaG

Unterlassungsklagengesetz

Urt.

Urteil

VGH

Verwaltungsgerichtshof

VwVfG

Verwaltungsverfahrensgesetz

YEL

Yearbook of European Law

z.B.

zum Beispiel

ZDG

Zivildienstgesetz

ZfA

Zeitschrift für Arbeitsrecht

ZGR

Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht

Einleitung

Übersicht

I. Entstehungsgeschichte

1. Umsetzung europäischer Richtlinien

2. Antidiskriminierungsgesetz – Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

II. Änderungshistorie

III. Aufbau des Gesetzes

IV. Vorgängerregelungen und ihre heutige Bedeutung für das AGG

1. Beschäftigtenschutzgesetz

2. §§ 611a, 611b BGB a.F.

3. Weitere Regelungen

V. Schwerpunkte der Rechtsprechung.

VI. Das AGG im Kontext sonstiger Diskriminierungsverbote

1. Völkerrecht

a) Europäische Menschenrechtskonvention

b) Sonstiges Völkerrecht

2. Primärrecht der Europäischen Union

a) Antidiskriminierung als Ziel der EU

b) Antidiskriminierungsrecht im AEUV

c) Antidiskriminierungsrecht in der Grundrechtecharta

3. Verfassungsrechtliche Gleichheitssätze

4. Einfachgesetzliche Vorschriften und allgemeiner arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz

5. Beschäftigtendatenschutz als Antidiskriminierungsrecht

VII. Ökonomische Betrachtung des Antidiskriminierungsrechts

VIII. Ausblick

1. Theorie

a) Fortentwicklung des bestehenden Rechtsrahmens

b) Weiterentwicklung des Rechtsrahmens

2. Praxis

I.Entstehungsgeschichte

1

Das am 18.8.2006 in Kraft getretene AGG ist vorläufiges Ergebnis einer langen Entwicklung in der Gesetzgebung in Richtung eines immer umfassenderen Diskriminierungsschutzes. Diese Entwicklung fand über die letzten Jahrzehnte sowohl auf nationaler als auch – insbesondere – auf europäischer Ebene statt. Ausdruck des starken unionsrechtlichen Einflusses ist allen voran die Tatsache, dass das AGG der Umsetzung vier europäischer Richtlinien dient.1

1. Umsetzung europäischer Richtlinien

2

Maßgeblich für das AGG sind:

Die Richtlinie zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (RL 2000/43/EG)2Die Richtlinie zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG)3Die Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 76/207/EWG zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (RL 2002/73/EG);4 nunmehr RL 2006/54/EGDie Richtlinie zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen (RL 2004/113/EG)5

3

Der arbeitsrechtliche Teil des AGG beruht auf den ersten drei Richtlinien, während für den zivilrechtlichen Teil (§§ 19–21) die erste und die letzte Richtlinie von Relevanz sind. Die durch das AGG erfolgte Umsetzung der Richtlinien kann nur zum Teil als gelungen bezeichnet werden.

4

Problematisch sind vor allem die in § 2 Abs. 2 S. 2 und § 2 Abs. 4 enthaltenen (vermeintlichen) Bereichsausnahmen für den Bereich der betrieblichen Altersversorgung sowie des Kündigungsschutzes. Weitere Probleme wirft § 15 auf. Aus § 15 Abs. 1 S. 2 ergibt sich, dass eine potenzielle Schadensersatzpflicht an das Verschulden des Arbeitgebers geknüpft ist. § 15 Abs. 3 bestimmt ferner, dass der Arbeitgeber, sofern er kollektivrechtliche Vereinbarungen anwendet, nur zur Entschädigung verpflichtet ist, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Derartige Einschränkungen sind in den Richtlinien nicht enthalten.6 Auch die in § 22 geregelte Beweislastverteilung ist hinsichtlich der Europarechtskonformität zweifelhaft. Nach der RL 97/80/EG (sog. Beweislastrichtlinie), die in die RL 2006/54/EG integriert wurde, ist es ausreichend, wenn der Antragsteller Tatsachen glaubhaft macht. § 22 verlangt hingegen, dass Indizien bewiesen werden müssen und weicht insofern zu Ungunsten des potenziellen Diskriminierungsopfers von den Vorgaben der Richtlinie ab. Die Umsetzungsdefizite werden in den Kommentierungen der einzelnen Paragrafen vertiefend erörtert.

5

An anderer Stelle geht das AGG über die Vorgaben der Richtlinien hinaus. So enthält der zivilrechtliche Teil ein Diskriminierungsverbot wegen sämtlicher verbotener Merkmale (der „sieben Todsünden“) mit Ausnahme der Weltanschauung. Demgegenüber gebieten die Richtlinien lediglich Schutz vor Diskriminierungen wegen des Geschlechts (RL 2004/113/EG) sowie wegen der Rasse und der ethnischen Herkunft (RL 2000/43/EG). Diesbezüglich liegt eine „überschießende Richtlinienumsetzung“ vor.

2. Antidiskriminierungsgesetz – Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz

6

In der 15. Legislaturperiode wurde zunächst der Entwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes eingebracht. Gegen den Gesetzgebungsbeschluss des Parlaments legte der Bundesrat Einspruch ein und das Gesetzgebungsverfahren konnte aufgrund der Auflösung des Bundestags und der Neuwahlen am 18.9.2005 nicht zu Ende gebracht werden.7 Die Regierung brachte allerdings im Mai 2006 einen Entwurf ein, der große Ähnlichkeiten mit dem Entwurf aufwies, der in der vorangegangenen Legislaturperiode nicht mehr hatte verabschiedet werden können.8 Das Gesetz wurde nun allerdings nicht mehr Antidiskriminierungsgesetz, sondern Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz betitelt. Die Beibehaltung der Begrifflichkeit „Antidiskriminierungsgesetz“ wäre jedoch unter verschiedenen Aspekten vorzugswürdig gewesen. Zum einen ist die Terminologie näher an den europarechtlichen Vorgaben. Zum anderen entspricht der Begriff Antidiskriminierung auch dem Inhalt des Gesetzes. Geregelt wird gerade keine „allgemeine Gleichbehandlung“, sondern das Verbot der Ungleichbehandlung aufgrund besonderer Diskriminierungsmerkmale.9

7

Der Weg bis zur endgültigen Verabschiedung des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes in Deutschland am 14.8.2006 war lang. Dies hatte zur Folge, dass die Umsetzungsfrist verschiedener Richtlinien nicht eingehalten wurde, was wiederum in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland resultierte.10 Grund für die Verzögerungen war nicht nur die zwischenzeitliche Auflösung des Bundestages, sondern auch die politische Brisanz des Themas, Kritiker sahen durch das AGG bzw. das zunächst ins Auge gefasste Antidiskriminierungsgesetz die Privatautonomie gefährdet und befürchteten den Ausbruch sozialistischer Verhältnisse.11 In der Tat befindet sich das AGG am Schnittpunkt der elementaren Frage des Verhältnisses zwischen Freiheit und Gleichheit12 und bietet dementsprechend hinreichend Anlass zu hitzigen Diskussionen und Glaubenskriegen. Die Abweichungen von der vorher bereits bestehenden Gesetzeslage sind letztlich jedoch nicht so bahnbrechend, dass grundlegende Sorgen um den Bestand der Privatautonomie gerechtfertigt wären (vgl. hierzu sogleich).

II.Änderungshistorie

8

Das AGG kann guten Gewissens als schlecht durchdachte Gesetzgebung bezeichnet werden. Neben hinsichtlich der korrekten Umsetzung der Richtlinien bedenklichen Passagen finden sich im AGG vor allem auch eklatante Widersprüche, auf die hier in gebotener Kürze hingewiesen werden soll: § 2 Abs. 2 S. 2 bestimmt, dass für die betriebliche Altersversorgung das Betriebsrentengesetz gilt. Nichtsdestotrotz findet sich in § 10 S. 3 Nr. 4 ein spezifisch Benachteiligungen bei der Altersversorgung betreffender Rechtfertigungsgrund. Ferner bestimmt § 2 Abs. 4, dass für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. Dennoch enthielt § 10 S. 3 Nr. 6 a.F. genaue Vorgaben über die Rechtfertigung einer Kündigung. Kritik unterliegt ferner § 5, dessen Formulierung logische Zweifel aufwirft.13 Gem. § 5 ist eine unterschiedliche Behandlung auch dann zulässig, wenn durch geeignete und angemessene Maßnahmen bestehende Nachteile verhindert oder ausgeglichen werden sollen. Unter logischen Gesichtspunkten ist es allerdings grundsätzlich nicht möglich, dass bereits bestehende Nachteile noch verhindert werden können. Denkbar ist höchstens, dass strukturell bestehende Nachteile in Bezug auf Einzelpersonen oder Personengruppen verhindert werden sollen.

Nichtsdestotrotz ist die Formulierung unglücklich gewählt. Im Hinblick auf die – in Anbetracht der überschaubaren Zahl der Paragrafen des AGG – doch beachtliche Menge von Handwerksfehlern, erstaunt es, dass die Übersicht über vorgenommene Änderungen kurz ausfällt. Die seit dem Inkrafttreten vorgenommenen Korrekturen waren größtenteils kosmetischer Natur bzw. trugen Änderungen in anderen Gesetzen Rechnung.

9

Insgesamt gab es vier Änderungen: Die erste erfolgte bereits im Dezember 2006 durch das Gesetz zur Änderung des Betriebsrentengesetzes und anderer Gesetze (BetrAV u.a. ÄndG).14 Geändert wurden die §§ 10 und 20 AGG. In § 20 wurde ein redaktionelles Versehen korrigiert. Das Diskriminierungsmerkmal der Weltanschauung, welches im zivilrechtlichen Benachteiligungsverbot des § 19 im Gegensatz zum arbeitsrechtlichen Teil nicht enthalten ist, wurde auch aus § 20 gestrichen.15 Ferner wurden die in § 10 S. 3 Nr. 6 und 7 a.F. enthaltenen Bestimmungen zur Rechtfertigung von Kündigungen gestrichen.16 Im Jahr 2008 erfolgte durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechtsberatungsrechts (RBerNG)17 eine Änderung von § 23 Abs. 2, die die Beteiligung von Antidiskriminierungsverbänden als Beistände in Prozessen betraf.18 Weiterhin geändert wurde § 26 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 durch das Dienstrechtsneuordnungsgesetz (DNeuG),19 wobei dies nur eine Verweisung auf das Bundesbeamtengesetz betraf. Zuletzt gab es Änderungen aufgrund des SEPA-Begleitgesetzes (SEPABeG).20 Die Änderung des § 20 Abs. 2 sowie die Einfügung eines fünften Absatzes in § 33 betreffen die Gleichbehandlung der Geschlechter im Rahmen von Versicherungsverhältnissen und sind wohl als die inhaltlich bedeutsamsten Änderungen des AGG anzusehen.21

10

Gem. § 20 Abs. 2 S. 1 a.F. war eine unterschiedliche Behandlung wegen des Geschlechts bzgl. privatrechtlicher Versicherungen bei Prämien oder Leistungen zulässig, wenn dessen Berücksichtigung bei einer auf relevanten und genauen versicherungsmathematischen und statistischen Daten beruhenden Risikobewertung ein bestimmender Faktor ist. Dieser Satz wurde durch die Gesetzesänderung gestrichen. Die Streichung ist zurückzuführen auf das sogenannte test-achats Urteil des EuGH.22 Die Gesetzesänderung zwingt die Versicherungen, in Zukunft sogenannte Unisex-Tarife anzubieten.

11

Im Interesse der Rechtsklarheit wäre es wünschenswert, wenn § 2 Abs. 2 S. 2 und § 2 Abs. 4 seitens des Gesetzgebers gestrichen würden. Auch wenn die Rechtsprechung des BAG einige Klarheit gebracht hat (vgl. hierzu sogleich), wäre eine gesetzliche Änderung einer richtlinienkonformen Auslegung, die sich bedenklich nah an der Wortlautgrenze bewegt, vorzuziehen.

III.Aufbau des Gesetzes

12

Das AGG gliedert sich in sieben Abschnitte:

den allgemeinen Teil (§§ 1–5);den arbeitsrechtlichen Teil (§§ 6–18);den zivilrechtlichen Teil (§§ 19–21);den prozessualen Teil (§§ 22, 23);die Sonderregelungen über öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse (§ 24);die Regelungen zur Antidiskriminierungsstelle des Bundes (§§ 25–30)sowie die Schlussvorschriften (§§ 30–33).

13

Die Vorschriften des allgemeinen Teils sind sowohl auf den arbeitsrechtlichen als auch auf den zivilrechtlichen Teil des AGG anwendbar. § 1 nennt als Ziel des Gesetzes die Verhinderung oder Beseitigung von Benachteiligungen aufgrund eines der sieben Diskriminierungsmerkmale. § 2 regelt den sachlichen Anwendungsbereich. § 3 enthält Begriffsbestimmungen bzgl. der verpönten Handlungen. Während die in den Absätzen 1–3 enthaltenen Begriffsbestimmungen zur unmittelbaren Benachteiligung (Abs. 1), mittelbaren Benachteiligung (Abs. 2) und Belästigung (Abs. 3) Geltung sowohl für den arbeits- als auch für den zivilrechtlichen Teil beanspruchen, sind sexuelle Belästigungen (Abs. 4) und Anweisungen zur Benachteiligung (Abs. 5) nur im Hinblick auf das arbeitsrechtliche Diskriminierungsverbot von Relevanz. § 4 legt fest, dass eine Benachteiligung, sofern sie aufgrund mehrerer Diskriminierungsmerkmale erfolgt, nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn die Rechtfertigung in Bezug auf sämtliche Diskriminierungsmerkmale gegeben ist. § 5 enthält schließlich einen allgemeinen Rechtfertigungsgrund im Hinblick auf positive Maßnahmen.

14

Der arbeitsrechtliche Teil beginnt mit einer Festlegung des persönlichen Anwendungsbereichs. In § 6 wird spezifiziert, wer Beschäftigter und wer Arbeitgeber i.S.d. AGG ist und inwiefern die Vorschriften des AGG auch auf Organe Anwendung finden. § 7 beinhaltet das zentrale Benachteiligungsverbot (Abs. 1) und erklärt dem Benachteiligungsverbot widersprechende Regelungen für unwirksam (Abs. 2). Ferner wird klargestellt, dass ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot auch eine Verletzung vertraglicher Pflichten darstellt (Abs. 3). Sodann folgen mit den §§ 8–10 die arbeitsrechtlichen Rechtfertigungsnormen. § 8 stellt einen „allgemeinen“ Rechtfertigungsgrund wegen berufsspezifischer Anforderungen dar; § 9 ist ein spezieller Rechtfertigungsgrund für kirchlich oder weltanschaulich geprägte Arbeitgeber und § 10 enthält spezifische Rechtfertigungsanforderungen für Benachteiligungen aufgrund des Alters. § 11 bestimmt, dass das Benachteiligungsverbot bereits bzgl. der Stellenausschreibung Anwendung findet. § 12 enthält gewisse Schutzpflichten des Arbeitgebers zur Vermeidung von Benachteiligungen, die Vorschrift hat somit eine hohe praktische Relevanz für Arbeitgeber. §§ 13 und 14 beinhalten ein Beschwerderecht sowie ein Leistungsverweigerungsrecht Betroffener. Von besonderer Bedeutung ist schließlich § 15, der den Entschädigungs- bzw. Schadensersatzanspruch Betroffener regelt. Gem. § 16 darf der Arbeitgeber keinen Beschäftigten benachteiligen, der Rechte nach dem AGG in Anspruch genommen hat oder sich weigert, gegen das AGG verstoßende Weisungen auszuführen. Dieses Maßregelungsverbot entspricht dem Schutzgedanken des § 612a BGB.23 Gem. § 17 Abs. 1 sind alle Beteiligten (Tarifvertragsparteien, Arbeitgeber, Beschäftigte und Betriebsräte) aufgefordert, an der Verwirklichung der Ziele des AGG mitzuwirken. In § 17 Abs. 2 ist geregelt, dass grobe Verstöße gegen das Benachteiligungsverbot durch den Betriebsrat nach § 23 Abs. 3 BetrVG gerichtlich geltend gemacht werden können. Gem. § 18 gelten die Vorschriften des arbeitsrechtlichen Teils schließlich entsprechend im Hinblick auf die Mitgliedschaft bzw. Mitwirkung in Tarifvertragsparteien sowie Vereinigungen.

15

Der zivilrechtliche Teil enthält in § 19 zunächst die Bestimmung, welche Arten von Geschäften dem zivilrechtlichen Benachteiligungsverbot unterfallen. In Bezug auf alle Diskriminierungsmerkmale mit Ausnahme der Weltanschauung sind dies sog. Massengeschäfte sowie privatrechtliche Versicherungen. Das Benachteiligungsverbot wegen der Rasse bzw. der ethnischen Herkunft erstreckt sich auf sämtliche zivilrechtliche Geschäfte (§ 19 Abs. 2). In § 20 sind Rechtfertigungsmöglichkeiten geregelt. Erforderlich für eine Rechtfertigung ist das Vorliegen eines sachlichen Grundes; der Standard entspricht somit dem der Rechtfertigung einer mittelbaren Benachteiligung im arbeitsrechtlichen Teil. Eine Benachteiligung aufgrund der Rasse oder ethnischen Herkunft kann nicht gerechtfertigt werden. § 21 enthält einen Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch für den Fall, dass eine ungerechtfertigte Benachteiligung vorliegt und regelt ferner eine Schadens- bzw. Entschädigungspflicht. Für die Geltendmachung der Ansprüche ist eine Zweimonatsfrist zu wahren.

16

Besonders relevant ist die Regelung der Beweislastverteilung im prozessualen Teil. Gem. § 22 muss die potenziell diskriminierte Person Indizien beweisen, die eine Benachteiligung vermuten lassen. Sodann hat die andere Seite zu beweisen, dass keine Diskriminierung vorlag. Die Rechtsprechung hat sich in der Vergangenheit in hoher Frequenz mit § 22 auseinandersetzen müssen. Insbesondere die Frage, was als Indiz i.S.v. § 22 ausreichend ist, war von großer Relevanz. § 23 sieht schließlich eine Unterstützung durch Antidiskriminierungsverbände vor, wobei die Möglichkeit einer Verbandsklage allerdings nicht eingeräumt wird.24

17

§ 24 ordnet unter Berücksichtigung ihrer besonderen Rechtsstellung die entsprechende Geltung des AGG für Beamte und Richter an.

18

In den §§ 25–30 sind die Errichtung der Antidiskriminierungsstelle sowie die Aufgaben und Befugnisse und die Organisation der Antidiskriminierungsstelle geregelt.

19

Die Unabdingbarkeit der Vorschriften des AGG sowie die weitere Geltung allgemeiner Bestimmungen, sofern das AGG nicht entgegensteht, sind in den Schlussvorschriften (§§ 30–33) geregelt. Ferner enthält § 33 Übergangsbestimmungen bzgl. des zeitlichen Geltungsbereichs.

20

Inwiefern der Aufbau des AGG als gelungen bezeichnet werden kann, ist wohl Geschmacksfrage. Die gewählte Unterteilung zwischen einem arbeits- und einem zivilrechtlichen Teil mag zwar aufgrund der deutlichen Unterscheidungen ihre Berechtigung haben. Der Übersichtlichkeit des AGG wäre hingegen gedient gewesen, wenn hierauf verzichtet worden wäre. Auf diese Weise wäre eine Aufspaltung des sachlichen und des persönlichen Anwendungsbereichs und der verschiedenen Rechtfertigungsgründe vermieden worden.

IV.Vorgängerregelungen und ihre heutige Bedeutung für das AGG

21

Dem großen Aufschrei, den die Einführung des AGG hervorgerufen hat, zum Trotz, lässt sich konstatieren, dass das „Antidiskriminierungsrad“ durch das AGG nicht neu erfunden wurde. Viele Sachverhalte, die seit Inkrafttreten des AGG primär hierüber behandelt werden, könnten auch unter Rückgriff auf andere Vorschriften zu sachgerechten Lösungen geführt werden. Das AGG stellt die Weiterführung einer Entwicklung dar,25 die sowohl völker- und unionsrechtlich als auch im innerdeutschen Rechtssystem bereits lange vor Verabschiedung des AGG begonnen hat. Auf die wichtigsten innerstaatlichen Vorgängerregeln zum AGG soll im Folgenden in gebotener Kürze eingegangen werden. Weiterhin neben dem AGG bestehende Diskriminierungsverbote werden im nächsten Abschnitt erörtert.

1. Beschäftigtenschutzgesetz

22

Das Beschäftigtenschutzgesetz wurde mit Inkrafttreten des AGG aufgehoben.26 Inhaltlich wurde hierin ausschließlich das Verbot der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz geregelt. Nunmehr bestimmt § 3 Abs. 4 AGG, dass eine sexuelle Belästigung eine Benachteiligung i.S.d. AGG darstellt. Die Regelung im AGG geht insofern über das hinaus, was bereits im Beschäftigtenschutzgesetz geregelt war, als nicht mehr erforderlich ist, dass das Opfer die Unerwünschtheit des Verhaltens aktiv zum Ausdruck bringt. Diese muss lediglich objektiv erkennbar sein.27

2. §§ 611a, 611b BGB a.F.

23

§ 611a BGB a.F. enthielt ein Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts. Dem Wortlaut nach waren vom Geltungsbereich des Diskriminierungsverbots Vereinbarungen und Maßnahmen umfasst. Als solche galten insbesondere die Begründung des Arbeitsverhältnisses, beruflicher Aufstieg, Weisung sowie Kündigung. Durch § 611b BGB a.F. wurde klargestellt, dass auch Stellenausschreibungen bereits dem Diskriminierungsverbot unterfallen. Unabhängig von der Tatsache, dass das AGG nicht auf das Diskriminierungsmerkmal des Geschlechts beschränkt ist, wird das Diskriminierungsverbot des § 611a BGB a.F. auch in weiteren Punkten fortentwickelt. So kann bspw. für das Feststellen einer unmittelbaren Benachteiligung nach dem AGG eine hypothetische Vergleichsperson herangezogen werden, während dies nach § 611a BGB a.F. nicht möglich war. Auch durch die Klassifizierung der sexuellen Belästigung als unmittelbare Benachteiligung geht das AGG über § 611a BGB a.F. sowie über das Beschäftigtenschutzgesetz (s. hierzu bereits oben) hinaus.

24

Gem. § 611a Abs. 1 S. 2 BGB a.F. war für eine Rechtfertigung der Benachteiligung erforderlich, dass das Geschlecht eine „unverzichtbare Voraussetzung“ für die Ausübung der Tätigkeit ist. Die Rechtsprechung wendet diesen Standard auch weiterhin bei der Prüfung des Vorliegens eines Rechtfertigungsgrundes – nunmehr im Hinblick auf sämtliche Diskriminierungsmerkmale des AGG – gem. § 8 Abs. 1 AGG an, wenngleich dem Wortlaut nach eine „wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung“ erforderlich ist.28

3. Weitere Regelungen

25

Diverse weitere „Vorgängerregelungen“ zum AGG bleiben weiterhin neben diesem in Kraft; hierzu gehören insbesondere § 75 BetrVG sowie Diskriminierungsverbote des TzBfG. Auf sie wird im folgenden Abschnitt noch Bezug genommen. An dieser Stelle sei lediglich darauf hingewiesen, dass Diskriminierungsverbote im Bereich des Arbeitsrechts in Bezug auf sämtliche Diskriminierungsmerkmale mit Ausnahme des Alters bereits vor Inkrafttreten des AGG in irgendeiner Form gesetzlich geregelt waren. Dies gilt gleichwohl nicht für den zivilrechtlichen Teil.29

26

Die arbeitsrechtliche Landschaft in Deutschland hat dementsprechend durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz keine grundlegende Veränderung erfahren. Thüsing weist zu Recht darauf hin, dass das Antidiskriminierungsrecht in Deutschland allerdings auch deshalb keine derart herausgehobene Position wie beispielsweise in den Vereinigten Staaten einnehmen kann, weil der Arbeitnehmerschutz bereits unabhängig vom AGG sehr viel weiter entwickelt ist als in anderen Ländern.30

V.Schwerpunkte der Rechtsprechung

27

Das AGG ist in den vergangenen Jahren Gegenstand vielfältiger Kasuistik gewesen. Der Rechtsprechung kommt aus zwei Gründen besondere Bedeutung zu: Zum einen bedurften die oben erörterten „Handwerksfehler“ des Gesetzgebers klärender Hinweise seitens des BAG. Zum anderen führt die Tatsache, dass das AGG der Umsetzung vier europäischer Richtlinien dient, dazu, dass der EuGH im Rahmen von Vorabentscheidungsverfahren besonders häufig mit dem AGG befasst ist.

28

Vorab ist anzumerken, dass deutlich mehr Rechtsprechung zum arbeitsals zum zivilrechtlichen Teil des AGG ergangen ist.31 Ferner sei darauf hingewiesen, dass es nicht zu der vorab zum Teil befürchteten Klagewelle gekommen ist.

29

Das BAG hat im Hinblick auf einige der oben dargestellten Widersprüche und europarechtlichen Problematiken wichtige Auslegungshilfen anhand gegeben. In Bezug auf § 2 Abs. 2 S. 2 entschied das Gericht, dass das AGG trotz der darin enthaltenen Verweisung auf das Betriebsrentengesetz Anwendung findet, soweit im Betriebsrentenrecht keine vorrangigen Sonderregelungen enthalten sind.32 Auch mit der in § 2 Abs. 4 (vermeintlich) enthaltenen Bereichsausnahme hat sich das BAG in einigen Urteilen auseinandergesetzt. Klargestellt wurde, dass das AGG bei der Prüfung der etwaigen Sozialwidrigkeit einer Kündigung berücksichtigt werden muss.33 In einer Entscheidung jüngeren Datums34 machte das BAG deutlich, dass das AGG darüber hinaus auch bei solchen Kündigungen Anwendung findet, die nicht vom Kündigungsschutzgesetz erfasst sind. Für diese Fälle sei § 2 Abs. 4 bereits nicht einschlägig, da hier nur das Verhältnis zwischen AGG und Kündigungsschutzgesetz geregelt werden solle.

30

Innerhalb des arbeitsrechtlichen Bereichs erging die meiste Rechtsprechung zum Diskriminierungsmerkmal Alter. Aus der Rechtsprechung hat sich deutlich herauskristallisiert, dass das AGG im Regelfall einer Maßnahme nicht entgegensteht, durch welche die Betriebstreue und Berufserfahrung eines Arbeitnehmers honoriert werden sollen. Die Knüpfung geldwerter Vorteile ausschließlich an das Alter ist hingegen unzulässig. Dies gilt bspw. für eine Steigerung des Einkommens allein aufgrund zunehmenden Alters des Arbeitnehmers.35 Zulässig ist hingegen i.d.R. eine Differenzierung nach Beschäftigungszeit.36

31

Die Festsetzung von Altersgrenzen stellte einen weiteren Schwerpunkt in der Rechtsprechung zur Altersdiskriminierung dar. Hier ist insbesondere auf die Entscheidung des EuGH zur Höchstaltersgrenze der Piloten bei der Lufthansa hinzuweisen.37 Eine Höchstaltersgrenze von 60 Jahren sah der Gerichtshof als nicht zulässig an und zwang dadurch das BAG, seine bisherige Rechtsprechung zu ändern.

32

Von einiger Bedeutung im Zusammenhang mit dem persönlichen Anwendungsbereich des arbeitsrechtlichen Benachteiligungsverbots ist eine Entscheidung des BGH zur Anwendung des AGG auf GmbH Fremdgeschäftsführer.38 Gem. § 6 Abs. 3 findet der zweite Abschnitt des AGG auf Organe und Selbstständige entsprechende Anwendung, sofern die Bedingungen für den Zugang zum Beruf und der berufliche Aufstieg betroffen sind. Der BGH befand einerseits, dass auch § 22 entsprechende Anwendung finden müsse. Vor allem subsumierte der BGH allerdings die Entscheidung des Aufsichtsrats, den Geschäftsführeranstellungsvertrag des Klägers nicht zu verlängern, unter § 6 Abs. 3. Zu überprüfen sei die Entscheidung, den Geschäftsführer nicht erneut zum Geschäftsführer zu bestellen und es gehe somit um den Zugang zur Erwerbstätigkeit. Bei der nicht erfolgten Verlängerung des Vertrags geht es der Sache nach jedoch um Entlassungsbedingungen, so dass der Anwendungsbereich nicht nach § 6 Abs. 3 eröffnet gewesen wäre. Der BGH ist insofern der Frage ausgewichen, ob der Fremdgeschäftsführer einer GmbH auch Arbeitnehmer gem. § 6 Abs. 1 sein kann. Dem „autonomen Arbeitnehmerbegriff“39 des Unionsrechts liegt maßgeblich die Frage zugrunde, ob ein Unterordnungsverhältnis gegeben ist.40 Das Vorliegen eines Unterordnungsverhältnisses bzw. einer gewissen Weisungsgebundenheit kann jedenfalls im Hinblick auf den Fremdgeschäftsführer einer GmbH angenommen werden, so dass dieser bei unionsrechtskonformer Auslegung unter § 6 Abs. 1 zu subsumieren wäre.41 Auch wenn der BGH diesen Schritt nicht gegangen ist, sondern den Sachverhalt „gekünstelt“42 aufgespalten hat, ist dem Urteil eine deutliche Ausweitung des Anwendungsbereichs des AGG auf Geschäftsführer zu entnehmen.43

33

Hinzuweisen ist schließlich auf die Rechtsprechung des BAG in Bezug auf die Ausschreibung von Stellen. Zum einen hat das BAG deutlich gemacht, dass Formulierungen in einer Stellenausschreibung, die auf eine Suche nach jungen Arbeitnehmern schließen lassen, ein Indiz für eine Benachteiligung älterer Bewerber darstellen.44 Der Arbeitgeber trägt hinsichtlich des Nichtvorliegens einer Diskriminierung sodann die Beweislast. Eine Benachteiligung während des Auswahlverfahrens wird ferner nicht dadurch beseitigt, dass die Stelle letztendlich nicht besetzt wird.45 Die Benachteiligung kann vielmehr bereits in dem Versagen einer Chance gesehen werden. Ebenfalls wichtig für das Bewerbungsverfahren ist eine Entscheidung des EuGH,46 in welcher dieser klargestellt hat, dass ein abgelehnter Bewerber keinen Auskunftsanspruch gegen den Arbeitgeber hat bezüglich der Frage, wie die Stelle letztendlich besetzt wurde. Allerdings erscheint es aus Arbeitgebersicht ratsam, bei Bedarf dennoch darlegen zu können, dass die Entscheidung „diskriminierungsfrei“ erfolgte, da die Verweigerung jedweder Auskunft nach Ansicht des EuGH ein Indiz für eine Diskriminierung darstellen kann.

34

In Bezug auf das Diskriminierungsmerkmal des Geschlechts ist ein Urteil des BAG47 hervorzuheben, das im Zusammenhang mit ausgebliebener Beförderung steht und unter das Stichwort „gläserne Decke“ fällt. Die Bedeutung von Statistiken im Zusammenhang mit der Begründung einer Indizwirkung gem. § 22 wurde hier vom BAG erläutert. Das Gericht stellt hohe Anforderungen auf; maßgeblich könne nicht der Gesamtanteil von Frauen in der Belegschaft sein, sondern es müsse darauf abgestellt werden, wie viele Frauen überhaupt unterhalb der maßgeblichen Hierarchieebene angelangt seien. Statistiken könnten zur Begründung eines Indizes nur herangezogen werden, wenn sie sich auf den konkreten Arbeitgeber bezögen und im Hinblick auf diesen aussagekräftig seien. Der Arbeitgeber könne nicht für gesellschaftliche Verhältnisse verantwortlich gemacht werden. Diese Aussage stieß auf Unverständnis, sei es doch grundsätzlich auch Anliegen des AGG strukturelle Benachteiligungen zu beseitigen.48

35

Bezüglich des zivilrechtlichen Teils des AGG ist vor allem ein Urteil des EuGH erwähnenswert, das die Änderung der §§ 20 Abs. 2 und 30 Abs. 5 zur Folge hatte.49 Art. 5 Abs. 2 der RL 2004/113/EG, der eine Ausnahmeklausel vom Gleichstellungsgebot für Versicherungsverträge vorgesehen hatte, sah der EuGH als nicht vereinbar mit den Gleichbehandlungsgrundsätzen der Art. 21 und Art. 23 der EUGrCh an. Infolge des Urteils ist eine Differenzierung nach dem Geschlecht bei Versicherungsverträgen nicht mehr möglich, sondern es müssen sogenannte Unisex-Tarife gelten. Um dem Rechnung zu tragen, mussten die §§ 20 Abs. 2 und 33 Abs. 5 geändert werden.

VI.Das AGG im Kontext sonstiger Diskriminierungsverbote

36

Das AGG dient nicht allein der Umsetzung mehrerer Richtlinien der EU (Rn. 2 ff.), sondern es ist im Zusammenhang mit anderen Diskriminierungsverboten unterschiedlicher Hierarchieebenen zu sehen. Das AGG und diese anderen Vorschriften bilden das Mosaik einer Rechtsordnung, in der Antidiskriminierungsregelungen an Bedeutung gewinnen.

1. Völkerrecht

a)Europäische Menschenrechtskonvention

37

Diskriminierungsverbote enthält zunächst das Völkerrecht. Innerhalb des Völkerrechts hat die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) für die Mitgliedstaaten der EU und damit auch für Deutschland besondere Bedeutung: Erstens sind alle EU-Mitgliedstaaten auch Konventionsstaaten der EMRK und somit an diese gebunden. Zweitens sind die in der EMRK enthaltenen Grundrechte zum Teil als „allgemeine Grundsätze“ durch das Primärrecht anerkannt (Art. 6 Abs. 3 EUV) und sind damit schon jetzt selber Primärrecht der EU.50 Drittens strebt die EU einen Beitritt zur EMRK an (Art. 6 Abs. 2 S. 1 EUV), wodurch sie selbst unmittelbar an die darin enthaltenen Grundrechte gebunden wäre.51

38

Institutionell hätte ein Beitritt der EU zur EMRK zur Folge, dass nicht mehr allein der EuGH über die Auslegung des EU-Antidiskriminierungsrechts zu entscheiden hätte, sondern dass künftig der EGMR als weiterer und vor allem bindender Gesetzesinterpret hinzuträte. Das künftige Verhältnis beider Gerichtshöfe zueinander ist derzeit Gegenstand von Beratungen.52

39

Auch ohne den Beitritt der EU zur EMRK ist das Sekundärrecht – zu dem die Antidiskriminierungsrichtlinien zählen – unter Berücksichtigung der EMRK auszulegen. Das folgt aus Art. 52 Abs. 3 GrCh: Soweit die GrCh Rechte enthält, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen, haben sie danach die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der EMRK verliehen wird. Daraus folgt, dass insbesondere Art. 21 GrCh (Rn. 56 ff.) in Übereinstimmung mit der EMRK auszulegen ist, vor allem mit den in Art. 14 EMRK und in Art. 1 des 12. Zusatzprotokolls zur EMRK enthaltenen Diskriminierungsverboten (Rn. 42). Die Antidiskriminierungsrichtlinien sind ihrerseits in Übereinstimmung mit Art. 21 GrCh auszulegen. Das folgt aus Art. 51 Abs. 1 GrCh, der die Organe der EU an die in der GrCh enthaltenen Grundrechte bindet. Mittelbar wirkt die EMRK so auch auf das AGG ein, denn dieses ist richtlinienkonform auszulegen.

40

Schon jetzt gilt die EMRK in Deutschland als einfaches Bundesrecht.53 Obwohl sie dadurch formal im Rang unter der Verfassung steht, behält sie ihren Status als Völkerrecht. Ob dieses im Rang über der Verfassung oder unter der Verfassung steht, ist umstritten.54 Das BVerfG ist jedenfalls der Ansicht, dass die Bestimmungen des GG völkerrechtsfreundlich auszulegen sind.55 Der Konventionstext und die Rechtsprechung des EGMR dienen nach dieser Rechtsprechung auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des GG. Grenzen der völkerrechtsfreundlichen Auslegung ergeben sich allerdings ebenso aus dem GG. Die Berücksichtigung der EMRK darf nach Ansicht des BVerfG nicht dazu führen, dass der Grundrechtsschutz nach dem GG eingeschränkt wird.56

41

Für das Antidiskriminierungsrecht von Bedeutung ist zunächst Art. 14 EMRK. Die Norm verbietet eine Diskriminierung wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status. Dieses Diskriminierungsverbot bezieht sich aber nur auf den „Genuss der in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten“. Das schränkt die Bedeutung der Vorschrift stark ein, denn sie kann als „akzessorische Garantie“ nur in Verbindung mit einem anderen Konventionsgrundrecht gerügt werden.57

42

Anders als Art. 14 EMRK enthält dagegen Art. 1 des 12. Zusatzprotokolls zur EMRK vom 4.11.2000 ein eigenständiges Diskriminierungsverbot.58 Danach ist der Genuss eines jeden gesetzlich niedergelegten Rechtes ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten. Deutschland hat das 12. Zusatzprotokoll unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert.

43

Der EGMR unterscheidet im Rahmen der Auslegung der genannten Vorschriften zwischen aktiver und passiver Diskriminierung.59 Die aktive Diskriminierung umfasst die unmittelbare sowie die mittelbare Diskriminierung. Die passive Diskriminierung umfasst Fallgruppen, in denen ein Konventionsstaat es unterlässt, Maßnahmen gegen Diskriminierungen zu ergreifen. Der EGMR hat anerkannt, dass Konventionsstaaten verpflichtet sein können, gegen Diskriminierungen zwischen Privaten einzuschreiten.60 Dadurch kommt es zu einer „mittelbaren Drittwirkung“ der EMRK im Privatrechtsverhältnis. Sogenannte „positive“ Maßnahmen, die eine Gruppe diskriminieren, um eine andere Gruppe zu privilegieren, können sowohl nach der Präambel des 12. Zusatzprotokolls als auch nach der Rechtsprechung des EGMR gerechtfertigt sein.61

b)Sonstiges Völkerrecht

44

Zumindest in Europa weniger Beachtung als die EMRK findet sonstiges Völkerrecht. Zu nennen sind hier vor allem die UN-Menschenrechtscharta (UN-MRC) sowie die Konventionen gegen Diskriminierung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO).

45

Die UN-MRC ist zwar kein völkerrechtlicher Vertrag und ihr kommt auch nach der UN-Charta (der „Satzung“ der UN) keine bindende Wirkung zu, doch erlangt sie Verbindlichkeit mittelbar über den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte („Sozialpakt“), der den Rang eines völkerrechtlichen Vertrags hat und der inhaltlich auf die UN-MRC Bezug nimmt. Deutschland hat den Sozialpakt ratifiziert.62

46

Nach Art. 2 Abs. 1 UN-MRC, Art. 2 Abs. 2 Sozialpakt hat jeder Anspruch auf alle in der Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand. Ähnlich wie bei Art. 14 EMRK (Rn. 41) führt die Beschränkung auf „in [der] Erklärung verkündet[e] Rechte und Freiheiten“ dazu, dass Art. 2 Abs. 1 UN-MRC als akzessorische Garantie auszulegen ist, die an ein sonstiges Grundrecht andockt. Dadurch verlieren die Bestimmungen erheblich an rechtlicher Bedeutung. Hinzu kommt auf der Ebene der Rechtsdurchsetzung, dass es an einer Institution fehlt, die das Diskriminierungsverbot gegenüber den Staaten durchsetzen könnte.

47

Wenig mehr Einfluss hat die Rechtsetzung der ILO. Bereits seit 1951 regelt die ILO-Konvention Nr. 100 den Grundsatz der Entgeltgleichheit von Männern und Frauen für gleichwertige Tätigkeit. Seit 1958 enthält die ILO-Konvention Nr. 111 für den Bereich der Beschäftigung ein Verbot der Diskriminierung wegen der „Rasse“, Hautfarbe, Religion, politischen Ansichten, Staatsangehörigkeit oder sozialen Herkunft. Obwohl diese Konventionen bereits mehr als ein halbes Jahrhundert in Kraft sind und beide zu den „Kernarbeitsnormen“ zählen, welche die ILO für besonders wichtig erachtet, ist ihre praktische Relevanz jedenfalls in Europa gering. Das liegt zum einen daran, dass ILO-Konventionen durch die Mitgliedstaaten ratifiziert werden müssen, um rechtsverbindlich zu werden, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 19 (5) (e) der ILO-Statuten dazu aber nicht verpflichtet sind. Zum anderen legen die ILO-Konventionen wegen ihres globalen Geltungsbereichs meistens ein Niveau fest, das unterhalb des in Europa etablierten Standards arbeitsrechtlicher Regulierung liegt. So verhält es sich auch mit den genannten Konventionen, die weniger Merkmale erfassen als das Primär- und Sekundärrecht der EU und die auch großzügiger bei den Möglichkeiten zur Rechtfertigung einer Diskriminierung sind. Selbst wenn die ILO-Konventionen in der EU bzw. Europa nicht erfüllt würden, hätte die ILO nicht die Mittel, einen Staat zu zwingen, sie einzuhalten. Sie verfügt zwar über ein System, mit dem sie überwacht, ob ihre Standards eingehalten werden,63 doch kann sie wenig unternehmen, um gegen einen Verstoß vorzugehen. Sie kann den Rechtsbruch nur öffentlich verurteilen und dadurch moralischen Druck auf einen Staat ausüben.

2. Primärrecht der Europäischen Union

48

Weitaus wichtiger als das „normale“ Völkerrecht ist das Recht der EU. Das AGG selbst ist bester Beweis dafür, dient es doch der Umsetzung von Sekundärrecht der Union (Rn. 2 ff.). Doch auch das Primärrecht enthält zahlreiche Bestimmungen, die sich auf das Antidiskriminierungsrecht auswirken.

a) Antidiskriminierung als Ziel der EU

49

Als Ziel der EU definieren zunächst Art. 2, 3 Abs. 3 UAbs. 2 EUV den Grundsatz der Nichtdiskriminierung. Diese Vorschriften enthalten keine konkreten Rechtsfolgen, doch sie können als Auslegungshilfe bei der Auslegung anderer Rechtsakte herangezogen werden. So ist die Einhaltung der in diesen Artikeln genannten Werte und Ziele eine Voraussetzung für den Beitritt zur EU (Art. 49 EUV) und ihre Verletzung kann die Sanktionen aus Art. 7 EUV (Aussetzung von Mitgliedsrechten) zur Folge haben.64

50

Eine ähnliche Vorschrift enthält Art. 10 AEUV: Bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen zielt die EU danach darauf ab, Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen. Auch diese Norm enthält – ähnlich wie Art. 2, 3 Abs. 3 UAbs. 2 EUV – keine Rechtsfolge, sondern dient als Zielbestimmung vor allem der Auslegung anderer Vorschriften.65

b) Antidiskriminierungsrecht im AEUV

51

Konkretere Vorgaben enthalten andere Vorschriften des AEUV: Art. 18 Abs. 1 AEUV verbietet im Anwendungsbereich der Verträge jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Art. 18 Abs. 2 AEUV ermächtigt die EU, im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (Art. 294 ff. AEUV) dazu Durchführungsvorschriften zu erlassen. Davon hat die EU bislang nur sporadisch Gebrauch gemacht.66 Das Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit ist grundlegend für die Verwirklichung des Binnenmarktes wie auch der Verwirklichung einer „immer engeren Union der Völker Europas“ (Präambel und Art. 1 Abs. 2 EUV). Verboten ist sowohl der EU und ihren Organen wie auch den Mitgliedstaaten67 eine Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit. Ob das Verbot auch unmittelbar zwischen Privaten wirkt, ist umstritten68 und durch den EuGH noch nicht entschieden worden. Art. 18 AEUV hat eine eigenständige Bedeutung neben den Antidiskriminierungsrichtlinien, weil nach der Rechtsprechung des EuGH eine Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit keine mittelbare Diskriminierung wegen der „Rasse“ oder ethnischen Herkunft ist (§ 24 Rn. 33).69

52

Art. 19 Abs. 1 AEUV ermächtigt die Union, geeignete Vorkehrungen zu treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen. Der Kompetenztitelbzw. sein Vorgänger ist die Grundlage für den Erlass der Antidiskriminierungsrichtlinien, die dem AGG zugrunde liegen.

53

Spezifisch auf die Wahrung eines unverfälschten Wettbewerbs ausgerichtete Diskriminierungsverbote finden sich an zahlreichen Stellen des AEUV. Nicht nur zählen das Zollverbot (Art. 30, 200 AEUV) sowie die Grundfreiheiten dazu (das zeigt sich besonders deutlich an Art. 65 Abs. 3 AEUV), sondern auch Vorschriften, die den Mitgliedstaaten Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gestatten, jedoch eingeschränkt durch den Vorbehalt, dass solche Maßnahmen keine Diskriminierung beinhalten dürfen (Art. 36, 37, 114 Abs. 6 AEUV). Ähnliche Regelungen finden sich im Kapitel über den Verkehr (Art. 95 AEUV) sowie im Beihilfenrecht (Art. 107 Abs. 2 lit. a) AEUV). Die Grundfreiheiten können unmittelbar zwischen Privaten wirken,70 wobei der EuGH Private mit besonderer wirtschaftlicher oder gesellschaftlicher Machtstellung (Sportverbände, Gewerkschaften) einer staatlichen Instanz gleichstellt.

54

Solche Regelungen dienen ähnlich wie die Antidiskriminierungsrichtlinien der Marktöffnung und der Verbesserung der Breite und Tiefe der Märkte. Anders als die Antidiskriminierungsrichtlinien verfolgen sie jedoch nicht ausdrücklich das Ziel, die gesellschaftliche Integration der Träger bestimmter personenbezogener Merkmale zu verbessern (zum Ganzen: Rn. 68 ff.).

55

Der Wahrung eines unverfälschten Wettbewerbs diente ursprünglich auch das Gebot gleichen Entgelts von Männern und Frauen für gleichwertige Arbeit, das heute in Art. 157 AEUV enthalten ist. Die ursprüngliche Regelung in Art. 119 EWG-Vertrag diente nicht etwa dazu, die Gleichstellung von Mann und Frau zu fördern. Frankreich, das darauf drängte, die Vorschrift in den EWG-Vertrag einzufügen, hatte vielmehr die Gefahr von Wettbewerbsverzerrungen vor Augen: Anders als das Recht anderer Mitgliedstaaten kannte das französische Recht schon damals ein Gebot der Entgeltgleichheit zwischen den Geschlechtern. Wäre Art. 119 EWG-Vertrag nicht erlassen worden, hätten Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten französische Anbieter unterbieten können, indem sie Frauen bei gleichwertiger Arbeit zu schlechteren Löhnen als Männer beschäftigen.71 Der heutige Art. 157 AEUV hat sich von solchen Wettbewerbsüberlegungen weit entfernt: Er beschränkt sich nicht mehr auf das Arbeitsentgelt, sondern zielt ausdrücklich darauf, die „volle Gleichstellung von Männern und Frauen im Arbeitsleben“ herzustellen. Art. 157 Abs. 3 AEUV ermächtigt die EU, Sekundärrecht zu erlassen, um dieses Ziel zu verwirklichen. Die Vorschrift bzw. ihr Vorgänger ist Grundlage der Richtlinie 2006/54/EG. Art. 157 AEUV wirkt unmittelbar zwischen Privaten.72 Auch das ändert nichts daran, dass all diejenigen durch den Gesetzgeber benachteiligt werden, die weder Mann noch Frau sind (Rn. 84).

c)Antidiskriminierungsrecht in der Grundrechtecharta

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Die Charta der Grundrechte der EU enthält ein ganzes Kapitel über „Gleichheit“, in dem sich neben dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 20 GrCh) mehrere Vorschriften finden, die als spezielle Diskriminierungsverbote verstanden werden können. Dazu zählt in jedem Fall der Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen (Art. 23 GrCh), der Art. 157 AEUV flankiert (Rn. 55). Zu nennen sind hier ferner die besonderen Rechte von Kindern, älteren Menschen und Menschen mit Behinderung (Art. 24, 25, 26 GrCh), die als spezielle Gleichheitssätze nicht nur eine willkürliche Benachteiligung dieser Personengruppen verbieten, sondern zu einem gewissen Grad sogar eine Besserstellung anordnen, um diese Personengruppen in die Gesellschaft zu integrieren. Sie wirken dadurch als spezielle Gleichheitssätze.

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Die wichtigste der Vorschriften des Gleichheitskapitels ist jedoch ohne Zweifel Art. 21 GrCh, der in seinem Absatz 1 Diskriminierungen, insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung verbietet. Absatz 2 untersagt eine Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit und greift damit Art. 18 AEUV noch einmal auf (Rn. 51).

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Sekundärrecht, das gegen Art. 21 GrCh verstößt, ist nichtig. Das hat der EuGH in der Rs. Test-Achats für eine Bestimmung der Richtlinie 2004/113/EG festgestellt (dazu ausführlich § 33 Rn. 36 f.).73 Die Bedeutung des Art. 21 GrCh besteht aber vor allem darin, dass der EuGH ihm die Wirkung beimisst, mitgliedstaatliches Recht unanwendbar werden zu lassen, das gegen seine Bestimmungen verstößt. Das ist eine sehr viel schärfere Sanktion als die üblichen Mittel der richtlinienkonformen Auslegung, der unmittelbaren Anwendung einer Richtlinie oder der Staatshaftungsanspruch nach den Francovich-Grundsätzen (dazu § 33 Rn. 7 ff.).74

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Erstmals festgestellt hat der Gerichtshof diese besondere Rechtsfolge für Art. 21 GrCh in der Rs. Kücükdeveci75 in Bezug auf § 622 Abs. 2 S. 2 BGB, doch formulierte er gleichsinnig bereits in der Rs. Mangold,76 noch bevor die GrCh durch Art. 6 Abs. 3 EUV in den Rang von Primärrecht erhoben wurde. Art. 21 GrCh nimmt damit eine Sonderstellung in der GrCh ein, denn eine vergleichbare Wirkung lehnt der Gerichtshof in der Rs. Association de Médiation Sociale77 für Art. 27 GrCh (Recht auf Unterrichtung und Anhörung der Arbeitnehmer) ab und auch Art. 33 Abs. 2 GrCh (Recht auf bezahlten Jahresurlaub) dürfte eine solche Wirkung nach der Entscheidung in der Rs. Dominguez78 eher nicht beizumessen sein. Nach der Rs. Association de Médiation Sociale ist zudem geklärt, dass die besondere Wirkung des Art. 21 GrCh nicht aus den Antidiskriminierungsrichtlinien folgt (was der ständigen Rechtsprechung des EuGH zu Art. 288 Abs. 3 AEUV widersprechen würde, wonach Richtlinien nicht unmittelbar zwischen Privaten wirken), sondern dass die Antidiskriminierungsrichtlinien heranzuziehen sind, um die Norm auszulegen.79

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Den Antidiskriminierungsrichtlinien kommt aber noch eine weitere wichtige Funktion zu: Nach Art. 51 Abs. 1 GrCh gilt Art. 21 GrCh wie alle anderen Normen der Charta nur, soweit die Mitgliedstaaten überhaupt Unionsrecht „durchführen“. Zwar ist noch nicht abschließend geklärt, wann dies der Fall ist,80 doch ist sicher, dass die Mitgliedstaaten jedenfalls dann Unionsrecht durchführen, wenn sie eine Antidiskriminierungsrichtlinie umsetzen. Führen die Mitgliedstaaten kein Unionsrecht durch, ist Art. 21 GrCh nach Art. 51 Abs. 1 GrCh nicht anzuwenden.

3. Verfassungsrechtliche Gleichheitssätze

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Bevor die Antidiskriminierungsrichtlinien der EU und das diese umsetzende AGG in Kraft traten, waren wichtige Diskriminierungsverbote im GG geregelt. Das betrifft neben dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) vor allem das in Art. 3 Abs. 2 GG geregelte Gebot, Männer und Frauen gleich zu behandeln sowie das in Art. 3 Abs. 3 GG enthaltene Verbot, jemanden wegen seiner Abstammung, seiner „Rasse“, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen zu benachteiligen oder zu bevorzugen. Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG verbietet eine Benachteiligung wegen einer Behinderung. Spezielle Gleichheitssätze finden sich etwa in Art. 6 Abs. 1 GG (Schutz der Familie), Art. 33 Abs. 2 GG (Zugang zu öffentlichen Ämtern) und Art. 38 Abs. 1 GG (Gleichheit der Wahl).

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Obwohl diese Gleichheitssätze im Verhältnis des Bürgers zum Staat weiterhin überragende Bedeutung besitzen, haben sie eher geringe Bedeutung für den Arbeits- und Zivilrechtsverkehr. Das hat vier Ursachen: Erstens sind manche der genannten Vorschriften gegenständlich nicht auf Sachverhalte des Arbeits- und Zivilrechtsverkehrs anwendbar (z.B. Art. 38 Abs. 1 GG). Zweitens war und ist umstritten, inwieweit Art. 3 Abs. 1 GG eine „mittelbare Drittwirkung“ besitzt,81 wie das BVerfG sie den Freiheitsgrundrechten seit der Lüth-Entscheidung82 zuspricht. Drittens sind durch das Inkrafttreten der Antidiskriminierungsrichtlinien weite Teile des Arbeits- und Zivilrechtsverkehrs den Gleichbehandlungsvorschriften des GG entzogen worden. Das BVerfG betont seit der Solange II-Entscheidung,83 dass es keine Grundrechtsprüfung mehr vornimmt, soweit ein Sachverhalt dem Unionsrecht unterfällt, dieses einen dem GG vergleichbaren Grundrechtsstandard bietet und eine Verletzung von Grundrechten daher vor dem EuGH gerügt werden kann. Dem korrespondiert die Rechtsprechung des EuGH, wonach das Unionsrecht als autonome Rechtsordnung über den Verfassungen der Mitgliedstaaten steht84 und nach der ihm auch keine Grundrechte entgegengehalten werden können, die in den mitgliedstaatlichen Verfassungen enthalten sind.85 Viertens gilt der Grundsatz des Anwendungsvorrangs einfachen Rechts vor dem Verfassungsrecht, so dass das AGG als „Gravitationsfalle“ die meisten arbeits- und zivilrechtlichen Sachverhalte einfängt, ehe sie die verfassungsrechtliche Ebene erreichen können.

4. Einfachgesetzliche Vorschriften und allgemeiner arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz

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Sehr viel bedeutender ist die Frage, wie sich das AGG zu anderen einfachgesetzlichen Diskriminierungsverboten verhält. Solche Diskriminierungsverbote finden sich im geschriebenen Recht vor allem in §§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 9 Nr. 2, 13b AÜG und § 4 TzBfG. Diese Regelungen sind parallel zum AGG anzuwenden (s. auch § 32 Rn. 4 f.), schon weil sie ihrerseits Sekundärrecht umsetzen (das AÜG die Richtlinie 2008/104/EG und das TzBfG die Richtlinie 97/81/EG sowie die Richtlinie 1999/70/EG), das seinerseits keinen Vorrang der Antidiskriminierungsrichtlinien kennt.86

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Eine parallele Anwendung beider Regime kommt vor allem dann in Betracht, wenn einer Gruppe von Leiharbeitnehmern, Teilzeitbeschäftigten oder befristet Beschäftigten ein signifikant erhöhter Anteil an Personen angehört, die über ein personenbezogenes Merkmal i.S.d. § 1 AGG verfügen. Praktisch relevant wird dies vor allem bei dem Geschlecht. So hat der EuGH entschieden, dass eine Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten eine mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts sein kann, wenn sich unter den Teilzeitbeschäftigten überwiegend Frauen befinden.87 Zu beachten ist, dass die Möglichkeit, eine Ungleichbehandlung nach dem AÜG oder dem TzBfG zu rechtfertigen, in weiterem Maße gegeben ist als nach dem AGG. Genügt im TzBfG etwa schon ein sachlicher Grund, gelten im AGG die deutlich strengeren Maßstäbe der §§ 8 ff. AGG.

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Anders verhält es sich mit dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Seit einer Entscheidung des RAG aus dem Jahr 1938 in Deutschland anerkannt,88 gebietet er dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gesetzten Regel gleich zu behandeln. Er verbietet nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb einer Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung.89 Diese richterrechtliche Norm ist subsidiär zu ausdrücklich geregelten Gleichbehandlungsgeboten90 und wird deshalb durch das AGG verdrängt.

5. Beschäftigtendatenschutz als Antidiskriminierungsrecht

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In Teilen trägt schließlich auch der Beschäftigtendatenschutz – geregelt vor allem in den §§ 32, 28 Abs. 6 BDSG – den Charakter eines Diskriminierungsverbots. AGG und BDSG weisen tatbestandliche Überschneidungen vor allem bei besonderen Arten personenbezogener Daten (§ 3 Abs. 9 BDSG) auf. Beide Gesetze erfassen die „Rasse“ oder ethnische Herkunft, die Religion und die Weltanschauung (BDSG: philosophische Überzeugung), eine Behinderung (BDSG: Gesundheit) sowie die sexuelle Identität (BDSG: Sexualleben). Erhebt ein Arbeitgeber personenbezogene Daten über eines dieser Merkmale, kann dies eine Benachteiligung i.S.d. § 7 Abs. 1 AGG indizieren.91 Unterschiede zwischen Beschäftigtendatenschutz und Antidiskriminierungsrecht bestehen bei den Rechtfertigungstatbeständen (§ 28 Abs. 6 BDSG gegenüber § 8 AGG) und bei den Rechtsfolgen (§§ 43, 44 BDSG sowie zivilrechtliche und prozessuale Folgen92 gegenüber §§ 15, 22 AGG). Diese Gesetze sind parallel anzuwenden, schon weil sie unterschiedliche Sekundärrechtsakte der EU umsetzen: Während das AGG die Antidiskriminierungsrichtlinien umsetzt, dient das BDSG der Umsetzung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutzrichtlinie).

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Ähnliches gilt für das Verhältnis des Art. 21 GrCh (Rn. 56 ff.), der eine Diskriminierung wegen genetischer Merkmale verbietet, zu den §§ 19, 20 GenDG, die eine Verarbeitung genetischer Daten im Beschäftigungsverhältnis weitgehend ausschließen. Insoweit ist allerdings zu beachten, dass Art. 21 GrCh nach Art. 51 Abs. 1 GrCh nur bei der Durchführung von Unionsrecht gilt. Bislang gibt es keine Richtlinie, die es den Mitgliedstaaten ausdrücklich gebietet, genetische Daten von Beschäftigten besonders zu schützen. Art. 8 Abs. 1 Richtlinie 95/46/EG erfasst nur Daten über die „Gesundheit“. Deshalb ist zweifelhaft, ob Art. 21 GrCh die Mitgliedstaaten in Bezug auf genetische Daten überhaupt schon bindet.

VII.Ökonomische Betrachtung des Antidiskriminierungsrechts

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Das Antidiskriminierungsrecht ist schon seit vielen Jahrzehnten Gegenstand nicht nur juristischer, sondern auch ökonomischer Betrachtung. Im Wesentlichen stehen sich zwei Auffassungen gegenüber, die einem aber in zahlreichen Facetten begegnen.

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Neoklassisch argumentierende Ökonomen neigen dazu, im Antidiskriminierungsrecht marktverzerrende Regelungen zu sehen. Sie argumentieren, das Antidiskriminierungsrecht sei ökonomisch nachteilig, weil es die Nachfrager von Arbeitskraft daran hindere, auf proxies (im hiesigen Kontext sind dies bestimmte personenbezogene Merkmale) zurückzugreifen, um die Qualität der angebotenen Leistungen zu beurteilen. Proxies seien jedoch häufig aussagekräftige Indikatoren der Qualität. Würden sie verboten, führe dies zu Ausweichreaktionen, die nur höhere Transaktionskosten nach sich zögen.93

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Neoinstitutionell argumentierende Ökonomen halten dem üblicherweise entgegen, dass Antidiskriminierungsregeln als Marktzugangsregelungen die Breite und Tiefe des Arbeitsmarktes erhöhen und dadurch seine Allokationseffizienz verbessern. Proxies seien nicht selten fehlerhaft, weil sie auf Vorurteilen beruhten, die sich so nicht bestätigen ließen. Dies führe zu einer Fehlbewertung der angebotenen Leistungen und verhindere, dass bestimmten qualifizierten Arbeitskräften der Markteintritt gelingt. Dies habe zahlreiche nachteilige Folgen: Erstens gehe der Volkswirtschaft die Arbeitskraft verloren, zweitens seien die Ausgegrenzten durch Transferleistungen zu unterhalten, drittens nehme eine bestehende Diskriminierungspraxis den Betroffenen einen Anreiz, in die eigene Ausbildung zu investieren und sich durch gute Leistungen hervorzutun. Dies habe wiederum negative Rückkoppelungseffekte auf die Volkswirtschaft.94

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Die Wahrheit dürfte in der Mitte liegen: Als Marktzugangsregelung führen Antidiskriminierungsvorschriften unter zwei Bedingungen zu Wohlfahrtsgewinnen:

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Erstens müssen die verbotenen personenbezogenen Merkmale als proxies ungeeignet sein und dadurch qualifizierte Arbeitskräfte vom Markt ausschließen. Sind die verwendeten proxies