Alaska Experience - Peter Schmidt - E-Book

Alaska Experience E-Book

Peter Schmidt

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Beschreibung

Der Roman erzählt die letzten Monate im Leben des Jeff DelMare, eines aus ärmlichen Verhältnissen stammenden italienischen Einwanderers in die Vereinigten Staaten. Als skrupelloser Geschäftsmann hat er eine steile Karriere, Geld und seine beruflichen Erfolge zum Maßstab seines Lebens gemacht. Wie für den Drachentöter im Märchen, gibt es auch für ihn kaum ein Problem, das sich nicht irgendwie lösen lässt. Bis er eines Tages erkennen muss, dass das Leben oft nach Regeln spielt, die nicht er gesetzt hat. Was er erlebt öffnet ihm die Augen für neue Perspektiven und Dinge des Lebens, die ihm bislang völlig unbekannt waren oder über die er einfach gedankenlos hinweg gegangen ist. Seine Sicht auf das Leben und die Welt beginnt sich grundlegend zu verändern. Zum Vorschein kommen ganz neue Facetten seines Wesens. Wie er es als erfolgreicher Geschäftsmann immer getan hat, beginnt er unter neuen Vorzeichen den Verlauf seines Weges kühl zu kalkulieren und findet eine Lösung, die seiner Natur und seinem bisherigen, selbstbestimmten Lebensweg entspricht.

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Peter Schmidt

Alaska Experience

Roman

© 2019 Peter Schmidt

Umschlaggestaltung: kunstmacher Korrektorat, Lektorat: MGS

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

 

Paperback:

978-3-7482-3432-6

Hardcover:

978-3-7482-3433-3

e-Book:

978-3-7482-3434-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Für die kritische Durchsicht des Manuskripts, hilfreiche Anregungen und stets konstruktive Vorschläge geht mein Dank an Marlis G Schill, Lucie Neumann, Hans Martin Thill, Franz Lässig

Prolog

Tage nach seinem Verschwinden tauchte er wieder auf. Mit Ausnahme der Alten, der Bettlägerigen und einiger Fischer, die noch auf Fangzug waren, versammelte sich das ganze Dorf am Strand. Schweigend, mit verschränkten Armen, standen die Männer da, die Frauen jammerten und schlugen sich die Hände vor die Brust. An Großmutters Hand verfolgte der Junge das Geschehen. Sie machte einen gefassten Eindruck. Seit ihrer Eheschließung hatte sie mit Derartigem zu rechnen, und wie alle Fischerfrauen des kalabrischen Dorfes, ihr Schicksal ergeben akzeptiert. Tag für Tag hing die Bedrohung über dem Dorf. Jede Familie konnte es treffen. Jederzeit. Tiefe Gläubigkeit trug sie, wie auch die Gewissheit der Solidarität aller im Dorf. Er sah sich kaum noch ähnlich. Die Falten seiner sonnengegerbten Haut waren gewichen, Gesicht und Lippen bleich und aufgedunsen. Haare und Bart schmutzig und voller Tang. Unmöglich, ihm noch einmal in seine warmen, braunen Augen zu schauen, seine Lider waren geschlossen. Die Männer, die Großvater aus dem Wasser gezogen hatten, wichen stumm zur Seite. „Schau doch, mein kleiner Goffredo, er sieht gar nicht unglücklich aus. Er ist nur den Meerjungfrauen zu nahegekommen. Jetzt gehört er ihnen. Er wird es guthaben, dort, wo er jetzt ist“.

Ein rechter Haken von Mike Tyson hätte Jeff DelMare nicht härter treffen können. Unsicher tasteten seine Hände nach dem Geländer, in Sekundenschnelle bildeten sich Schweißflecken auf seinem Hemd. Mitten auf der Gangway beschlugen die Gläser seiner Sonnenbrille und unter der Schädeldecke wummerte ein Presslufthammer. Ihm war kotzübel. Nicht einmal die Fragen des Immigration Officer konnte er beantworten. Bei der Passkontrolle gaben seine Knie nach, der Beamte packte beherzt zu und führte ihn wie einen altersschwachen Greis zu einem Stuhl, auf den er niedersank, bis der Schwächeanfall vorüber war. Dann ließ man ihn gehen. Nicht einmal den Inhalt der Mappe wollte jemand sehen, die Jeff krampfhaft unter den Arm geklemmt hielt. Ihr Inhalt hatte ihn die letzten Tage und Nächte alle Kraft und den letzten Nerv gekostet, bis er die Beteiligten soweit hatte, zu unterschreiben. Über diesen Supercoup vergaß er alles andere. Auch die Meldung des russischen Fernsehens über die Hitzewelle zuhause.

Schon lange wartete Eve nicht mehr am Gate auf ihn, was ihm nur recht war. In den ersten Jahren ihrer Ehe empfing sie ihren Mann stets voller Vorfreude, winkte schon von weitem und flog in seine Arme.

Die neidischen Blicke der mitreisenden Männer taten ihm gut.

Wenn er auf Reisen war, schrieben sie einander regelmäßig oder telefonierten, woran er allerdings schnell die Lust verloren hatte. Die Telefonate und erst recht die Schreiberei gab er auf.

Er hielt sie zunehmend für sinnentleerte, unnötig zeitraubende Rituale, die ihm rasch auf die Nerven gingen. Als sie sich darüber beklagte, war es schon zu spät.

Wie besoffen torkelte er auf ein Taxi zu, kaum fähig dem Fahrer die Adresse seines Büros bei Rossley & Finch zu nennen. Bereits zu Studienzeiten, und schon damals für gutes Geld, hatte er sich für diese Wirtschaftsberatung in jeder freien Minute krummgelegt und früh zeichnete sich ab, dass man ihn gerne ins Boot holen würde. Finch köderte ihn mit einem stattlichen Gehalt und der Aussicht, ihn zu seinem Partner zu machen, sobald sich der alte Rossley vom Acker gemacht habe. Nach dem Deal mit einem bulgarischen Konsortium, der nur mit Eselsgeduld, gnadenlosem Verhandeln und unter massivem Alkoholeinsatz zustande gekommen war, nannte er Jeff eine Wildsau in Nadelstreifen. Der fühlte sich geadelt. Nach dem Ausscheiden des alten Rossley bot Finch ihm dann tatsächlich dessen Büro im 23. Stockwerk des Fox Tower an. Hier oben stört es keinen Menschen, wenn er in den seltenen Zeiten seiner Anwesenheit, schwungvoll dirigierend und jenseits jeder Zimmerlautstärke, eine seiner Lieblingsopern hört und dabei den Wahnsinnsblick über die Stadt, den Washington Park, den Willamette River bis hinüber zum Rose Quarter in sich einsaugt.

In Momenten wie diesen fragte er sich gelegentlich, warum er seiner Leidenschaft für Musik nicht auch beruflich gefolgt war. Doch immer, wenn er sich dann in seinen Räumlichkeiten umschaute, verwarf er diesen hirnrissigen Gedankengang jedes Mal sofort wieder.

„Frag mich niemals, was dieses Traumbüro die Firma kostet“, drohte Finch scherzend bei seinem Einzug. Was Jeff seither steter Ansporn ist, sich rund um die Uhr den Arsch aufzureißen, wie er sich auszudrücken pflegt, um Finchs Erwartungen mit unermüdlichem Einsatz zu rechtfertigen. Er habe Jeff goldene Fesseln angelegt, schimpfte Eve, als sie noch zusammen waren. Seit ihrer Trennung ist dieses Büro Jeffs Zuhause. In jeder Hinsicht. Dorthin ließ er sich bringen. Während der Fahrt fehlte nicht viel und er hätte das halbe Taxi vollgekotzt. Beim Aussteigen tanzte die Umgebung. Seine Augen fanden nirgendwo Halt. Es war ihm so was von scheißegal, dass er sich beim Bezahlen offenbar sehr zum Vorteil des Fahrers vergriffen hatte. Dafür duldete er auch keine Diskussion, als er vom Chauffeur verlangte, ihm das Gepäck bis an den Aufzug zu bringen. Nach getaner Arbeit bestieg der Cabby pfeifend sein Taxi, wo er im Rückspiegel verfolgte, wie sich Jeff direkt vor dem Eingang heftig in die Büsche übergeben musste. Zitternd kauerte er am Boden, bis ihn kräftige Arme nach oben zogen. „Geht´s wieder, Sir, sind Sie O.K.?", hörte er hinter sich den Taxifahrer und war heilfroh, dass der ihn samt Gepäck mit dem Fahrstuhl in den 23. Stock begleitete. Nein, einen Arzt brauche er nicht, es gehe schon wieder besser, log er, als sich oben die Türen des Fahrstuhls öffneten, dankte für die Hilfe und schickte den Fahrer weg. Nicht einmal nach ausgiebigen Saufgelagen und durchverhandelten Nächten mit irgendwelchen hartnäckigen Geschäftspartnern hatte er sich auch nur annähernd so lausig gefühlt und wenn, dann halfen ihm eine Handvoll Tabletten und eine kalte Dusche jedes Mal schnell wieder auf die Beine. Wieso nicht auch jetzt?

Auf allen Vieren robbte er ins Schlafzimmer, zog sich mit letzter Kraft und kaltem Schweiß auf der Stirn aufs Bett und verwarf sogleich seine Idee. Weder Tabletten hätte er jetzt bei sich behalten, noch den Weg zur Dusche bewältigt. Einen Sack voll Geld hätte er gegeben, damit diese Schmerzen im Unterbauch wenigstens ein klein wenig nachließen.

Ihre Kommilitoninnen platzten vor Neid, als Jeff sie mit seinem knallroten Cadillac Deville auf dem Campus abholte. Zum ersten Mal im Leben auf sich selbst gestellt, schlingerte sie durch diese fremde, akademische Welt und es beschäftigten sie zwei existentielle Fragen. Wie sie mit der schmalen Unterstützung von zuhause einigermaßen über die Runden kommen sollte und was der smarte, schwarzhaarige Junge mit den haselnussbraunen Augen ausgerechnet an ihr fand. Daisy Duck wurde sie wegen ihrer träumerischen, sanftmütigen Art schon in der Schule gehänselt. Als sie älter wurde, begann sie ihren flachen Hintern und ihre Twiggyfigur zu hassen. Immer, wenn sie vor dem Spiegel stand oder sich auf Fotos betrachtete, fand sie sich ziemlich hässlich. Was sollte einem Jungen denn an ihr schon gefallen, fragte sie sich dann. Schon bald würde er ihrer überdrüssig werden, da war sie sich sicher. Wäre auch nicht das erste Mal, dass ihr das passiert.

Dennoch hatte sie im Überschwang der Gefühle nicht für sich behalten können, dass genau dieser Jeff ausgerechnet sie nach einer Vorlesung in aller Form um ein Date gebeten hatte. Die eifersüchtigen Mädels zerrissen sich die Mäuler, rätselten, was der Märchenprinz bloß an ihr fand und wie er an diesen Wagen gekommen sein mochte. Die einen wollten gehört haben, Jeff stamme aus einem betuchten Elternhaus, andere streuten weniger freundliche Gerüchte in Anspielung auf seine italienische Abstammung.

Der Wagen sei sein eigener. Bezahlt mit Geld, das er neben dem Studium in jeder freien Minute in einem Consultingbüro verdiente, erstickte Jeff souverän alle Spekulationen im Keim. Dort habe man bereits ein Auge auf ihn geworfen, verkündete er nicht ohne Stolz. Für ihr erstes Rendezvous chauffierte er seine neue Eroberung zum teuersten Diner der Stadt.

Auf dem Parkplatz hätte es um ein Haar gekracht. Ein anderer Fahrer, der es ebenfalls auf die letzte freie Parklücke abgesehen hatte, kam ihnen in die Quere. Jeff schnitt ihm den Weg ab, zog den Schlüssel aus dem Zündschloss, öffnete in Zeitlupe die Fahrertür, plusterte sich auf wie ein Kampfgockel und näherte sich entschlossen dem Rivalen, der es vorzog, im Wagen sitzen zu bleiben. Blitzschnell griff Jeff durch das offene Seitenfenster, zerrte ihn am Kragen aus dem Polster dicht vor sein Gesicht um ihn gleich darauf vehement ins Wageninnere zurück zu stoßen. Eve hatte sich möglichst unsichtbar gemacht und war im Cadillac vom Beifahrersitz in den Fußraum abgetaucht.

Jeff amüsierte sich köstlich, machte Witze über ihre Gesichtsfarbe, die von der des Cadillacs kaum mehr zu unterscheiden war und als er ziemlich spät bemerkte, dass sie seine Häme nicht lustig fand, reichte er ihr galant den Arm und führte sie ins Lokal. Dass sie sich wie ein dämliches Schaf widerspruchslos von ihm abführen ließ, störte sie damals noch nicht. Ein andermal gefiel ihm ihr Kleid nicht, obwohl sie es nicht zum ersten Mal trug.

„Mit so einem Fetzen will ich dich nicht noch einmal sehen. Da muss man sich schämen“, polterte er los. „Auf der Stelle kaufen wir dir was Neues.“

Als sie dann aus der Umkleidekabine trat, war er wie umgedreht. „Ma tu sei una ragazza bellissima, Eve", entfuhr es ihm. Nun fehle nur noch die passende Kette. Und ehe sie sich versah, standen sie im nächstbesten Juweliergeschäft. Dass er, ohne mit der Wimper zu zucken, alles bezahlte, war für ihn selbstverständlich.

Als Eve ein einziges Mal nur den zaghaften Versuch unternahm, eine Getränkerechnung selbst zu bezahlen, bereute sie es auf der Stelle.

„Willst du mich beleidigen?“, brauste er auf. „Wenn ich mir dich nicht leisten könnte, hätte ich dich nicht verdient. Basta.“

Wenn sie beide in den Polstern des Cadillacs versanken und Jeff eine Kassette ins Autoradio schob, war es fast immer eine mit klassischer Musik. Jeff schwärmte für italienische Opern. War sie zuhause alleine, drehte Eve sofort auf einen anderen Sender, wenn sie aus Versehen einen mit klassischer Musik erwischt hatte. Mit Jeffs Arm um ihre Schultern fand sie plötzlich auch an dieser Musik Gefallen.

Andauernd lud er sie zu Konzerten und lieber noch in die Oper ein. Vor jedem der Konzertbesuche arbeitete er die Partituren akribisch durch, nahm sie zur Aufführung mit und verfolgte, selbstvergessen und nur auf die Musik konzentriert, jeden Takt. Dann vergaß er alles um sich herum, war meilenweit weg und saß doch direkt neben seinem Mädchen. In solchen Momenten fragte sie sich, weshalb er sie überhaupt mitgenommen hatte. Hätte sie ihm diese Frage gestellt, wäre Streit die Folge und der Abend versaut gewesen.

Allmählich erkannte Eve, dass Jeffs Kenntnisse in Bezug auf Frauen weit weniger umfangreich waren, als sein Wissen über Autos und Opern. Etwa ähnlich dürftig wie ihre Erfahrungen mit Männern. Trotzdem hätte sie, nachdem sie sich schon eine Weile kannten, gerne gewusst, wie er es fände, später einmal eine Familie zu haben. Doch jedes Mal, wenn sie das Thema auch nur vorsichtig antippte, gab es Differenzen.

„Ich war nicht so ein verzärteltes Einzelkind, wie du“, hielt er ihr entgegen. „Mit fünf Geschwistern hab ich mich herumschlagen müssen. Nervtötend, eins wie das andere. Glaub mir, da ist dein Bedarf an Familie für lange Zeit gedeckt. Heiraten ist Ok, aber Kinder müssen wirklich so schnell nicht sein. Wenn ich erst mein Examen in der Tasche habe, werde ich bei genau dem Unternehmen einsteigen, bei dem ich das Geld für den Cadillac verdient habe. Dann, da wette ich meinen Arsch drauf, lass ich dir ein Traumhaus bauen, eines, das meiner Position, meinem Einkommen und erst recht unserer zukünftigen gesellschaftlichen Stellung entspricht und mit dem sich eine Ms. DelMare nicht zu schämen braucht. Primissima werden die Leute schwärmen, wenn sie davor stehen bleiben und vor Neid erblassen, wenn sie es bei einer unserer legendären Partys von innen sehen. Und wenn es dann wirklich sein muss, können wir später immer noch über bambini reden. Zuerst das Nest und dann die Küken. Capisci?“

An seine deftige Redeweise konnte Eve sich eigentlich nie richtig gewöhnen und an manches seiner Argumente auch nicht. Später machte sie sich oft Vorwürfe, nicht beizeiten auf die Alarmglocken gehört zu haben, wenn er mal wieder versuchte, sie mit Sprüchen oder seinem Imponiergehabe einzulullen.

Ihre Beziehung war noch jung, als er ihr seinen besten Freund Blake Baxter vorstellte, einen angehenden Mediziner, den er schon seit Schulzeiten kannte. Männern wie dem liegen die Frauen doch zu Füßen, dachte Eve und war überrascht, als sie hörte, dass er solo war. Seine liebenswert bescheidene Art hätte auch Schüchternheit sein können, doch nachdem sie ihn eine Weile beobachtet und die ersten Sätze mit ihm gewechselt hatte, erkannte sie, dass vermutlich seine Intelligenz der wahre Grund dafür war.

Mit hämischem Vergnügen forderte Jeff seinen Freund immer wieder zu Tennismatches heraus. Sein Genuss wurde gesteigert, wenn er Eve dazu bringen konnte, auf der Tribüne mitzuverfolgen, wie er seinen Gegner über den Sand scheuchte. Nicht selten brach er einen Streit vom Zaun, wenn er gesehen haben wollte, dass der gegnerische Ball die Linie nicht mehr oder gerade noch berührt habe oder ein Netzroller gewesen sei und verlangte, dass Eve entscheide.

Und wehe, sie gab Blake Recht und nicht ihm.

Trotz der Macken, die an Jeff nicht zu übersehen waren, fand sie ihn als Mann in ihrer naiven Unerfahrenheit durchaus anziehend. Aufkeimende Zweifel an dieser Verbindung wischte sie schnell wieder beiseite. Was willst du blöde Kuh eigentlich, sei doch froh und dankbar, wenn sich ein Mann wie Jeff für so eine Bohnenstange wie dich interessiert. Er trägt dich auf Händen, betet dich an, er verwöhnt dich. Und schon drückte sie wieder einmal beide Augen zu und schämte sich, weil sie ihrer inneren Stimme so gut wie nichts entgegenzusetzen hatte.

Unmerklich fügte sie sich in die Rolle der Frau an seiner Seite, mutierte zum Vorzeigeobjekt, das er brauchte, um seinen gesellschaftlichen Status abzurunden. Dass er sie unter keinen Umständen auf seinen Geschäftsreisen dabeihaben wollte, verstand sie anfangs nicht. Doch als er immer wieder betonte, er könne sich neben seinen Verhandlungen so gut wie gar nicht um sie kümmern und wolle sie doch auch nicht irgendwo auf dem Balkan oder in Russland sich selbst überlassen, akzeptierte sie sein fürsorglich klingendes Argument.

Nicht lange und sie bedauerte immer weniger, wenn er wieder wochenlang weg war und freute sich kaum noch auf seine Rückkehr. War er ausnahmsweise einmal zuhause, häuften sich die Anlässe, wo sie sein großspuriges Auftreten, die Art, wie er sie behandelte, nicht mehr ertragen konnte. „Wahrscheinlich wäre es am besten, wir würden uns scheiden lassen", schleuderte sie ihm da einmal im Affekt entgegen. Ihre Aggressivität verblüffte sie selbst und machte ihr mehr Angst als ihm. Noch erstaunter war sie über seine Reaktion. Aufgebracht wie sie war, konnte sie sich jedoch auf keinerlei Zärtlichkeiten einlassen. Nicht mehr mit diesem Mann.

Wochen später, er war gerade von einer Reise nach New York zurückgekehrt, dauerte es keine zehn Minuten, bis sie wieder einmal heftig stritten. Eve fühlte sich überrumpelt, als er plötzlich in der Tür stand.

„Du hättest mich vielleicht mal anrufen und informieren können, wann du wieder nachhause kommst. Aber nein, der vielbeschäftigte Geschäftsmann hat es ja schon lange nicht mehr nötig, der eigenen Ehefrau derlei Informationen zukommen zu lassen“, beschwerte sie sich. Diesmal nahm er weder den hingeworfenen Fehdehandschuh auf, noch unternahm er Beschwichtigungsversuche, sondern schnappte nur seinen Koffer, grinste sein überlegenes Siegerlächeln und verschwand grußlos. Vermutlich in sein Büro bei Rossley & Finch. Auf die Idee, es seiner Frau einmal zu zeigen, war er nie gekommen.

Ihn darum zu bitten war sie zu stolz.

Blake kannte die Örtlichkeiten und schwärmte von dem nobel ausgestatteten Büro im 23. Stock zu dem, wie er berichtete, auch ein geräumiges Apartment mit herrlichem Blick gehört.

Eine Zeitlang unterstellte Eve den beiden Männern, gewisse heimliche Neigungen und hegte den Verdacht, von Jeff nur als Alibi benutzt zu werden. Doch je besser sie Blake kennenlernte, desto abstruser erschien ihr dieser Gedanke.

Seit jenem Vorfall war Jeff nie mehr zuhause. Eve wusste meistens überhaupt nicht, wo auf der Welt er sich gerade herumtrieb. Sein Sekretariat schirmte ihn hermetisch ab, so dass sie es aufgab, dort anzurufen. Keine drei Monate dauerte es nach diesem Vorfall, bis er von ihrem Anwalt erfuhr, dass sie die Scheidung eingereicht hatte.

Dass sein Freund Jeff wieder ein paar Tage in der Stadt sein würde, freute Blake sehr. Weißrussland und Bulgarien seien die Hölle gewesen, hatte er in einem Telefonat angedeutet und seine Rückkehr avisiert. Nach all der Sitzerei, übermäßigem Essen und viel zu viel Alkohol habe er unbändige Lust auf ein knallhartes Tennismatch und auf ausgiebiges Quatschen.

„Du machst dir ja kein Bild, wie mühsam die Feilschereien mit den Russen sind“, sagte er, „und wie viel Kraft es mich jedes Mal kostet, bis ich die Burschen endlich soweit habe, dass sie unterschreiben. Aber ich habe sie geknackt. Finch wird begeistert sein.“

Als Eve zunächst stundenweise in Blakes Praxis mitzuhelfen begann, stieß das bei Jeff auf Unverständnis.

“Che vergogna what a shame, eine Ms. DelMare hat das weiß Gott nicht nötig“, war sein einziger Kommentar. Letztlich schien es ihm aber auch gleichgültig zu sein. Ob Jeff sich wirklich nicht vorstellen konnte, fragte sich Blake, dass für seine Frau, außer der Suche nach einer sinnvollen Beschäftigung vielleicht noch andere Beweggründe maßgeblich sein könnten, ausgerechnet bei ihm in der Praxis zu arbeiten? Nicht einmal mehr zu Eifersüchteleien war Jeff aufgelegt, die doch zu Studienzeiten immer wieder Anlass für herzhafte Streitereien gewesen waren. Dabei ging es früher oft gar nicht nur um Mädchen. Konkurrenz, gleich welcher Art, war schon immer ein Wesenszug der Freundschaft beider Männer gewesen. Wenn Jeff seinen Freund einen dilettierenden Quacksalber und Pillendoktor schimpfte und im Brustton der Überzeugung behauptete, sein wirtschaftswissenschaftliches Studium sei für die Menschheit wesentlicher als die Medizin, konnte es, vor allem wenn Alkohol im Spiel war, tatsächlich vorkommen, dass er es auch körperlich auf Konfrontation anlegte. Danach gingen sich die beiden tagelang aus dem Weg. Immer war es Blake, der irgendwann nachgab, um eine Tauwetterperiode in ihrer Freundschaft einzuleiten. Schnell war immer auch alles wieder vergessen.

Auch als Jeff und Eve schon zusammen waren, unternahmen sie alle möglichen Aktivitäten oft auch zu dritt.

Bis Blake Caroline kennenlernte. Sie konnte Jeff von Anfang an nicht leiden, was auf Gegenseitigkeit beruhte. Vor allem blieb ihr unverständlich, weshalb Blake und dieser arrogante, streitsüchtige Kerl langjährige beste Freunde waren. Blake verstand es bisweilen selbst nicht, weshalb es ihm auch nie gelang, es ihr zu erklären.

Die Frauen wurden Freundinnen, fanden Paaraktivitäten doof und zogen es vor, unter sich zu bleiben. Geradeso wie ihre Männer.

Vom ersten Tag an, an dem in seiner Praxis arbeitete, wurde Eve für Blake immer unersetzlicher. Sie ist Kummerkasten, Seelentrösterin und einfühlsame Begleiterin seiner Patienten.

„Damit hilfst du manchen Menschen mehr, als ich mit meinen Medikamenten“, sagt Blake immer wieder, wenn er sieht, wie sie den Menschen geduldig zuhört und ihnen Ratschläge gibt, sie tröstet, sie auch einmal in den Arm nimmt, ihre Tränen trocknet.

Es beeindruckt ihn bis heute, wie perfekt sie lügen kann, wenn Patienten anrufen und er nicht in der Praxis ist, sondern auf dem Golfplatz oder beim Tennis. Der Herr Doktor macht den ganzen Nachmittag Hausbesuche oder der Herr Doktor wurde vor wenigen Minuten zu einem Notfall gerufen, da werden Sie bestimmt verstehen, dass ich Ihnen erst für morgen einen Termin geben kann. Ihr glauben die Patienten einfach alles.

Weil ihr zuhause die Decke auf den Kopf fiel, wenn Jeff wochenlang auf Geschäftsreise war, bedeutete für Eve die Praxisarbeit eine willkommene Abwechslung. Vom ersten Tag an ging sie darin auf, zeigte außerordentliches Geschick. Mittlerweile bedarf es zwischen ihr und Blake keiner Worte, wo ein kurzer Blick genügt. Sie weiß, dass Blake sich nach wie vor mit Jeff trifft, wenn er in der Stadt ist, sie Tennismatches austragen wie die Bekloppten oder Männerabende veranstalten. Dann macht sie sich unsichtbar und versucht, Jeff nicht zu begegnen.

Wenn im Freundes- oder Bekanntenkreis jemand nach Jeff fragt, reagiert sie ungerührt und stereotyp. Seit unserer Trennung haben wir uns nicht mehr gesehen und das ist gut so. Dieses Kapitel ist abgeschlossen. Ein für alle Mal. Arrivederci, finito, vorbei, imitiert sie dann die Ausdrucksweise ihres Ex und strahlt selbstbewusst. Blake ist jedes Mal so stolz auf sie, wenn sie das sagt und bewundert, wie sie sich nach der Trennung von Jeff entwickelt hat.

Dessen phantasiearme, emotionslose Haltung ihr gegenüber hatte er noch nie verstanden. Immer würde ihm unerklärlich bleiben, wie einer jahrelang mit einer Frau verheiratet sein konnte ohne zu begreifen, was für ein wunderbares Wesen sie ist. Dass Eve zuhause zu verkümmern drohte, während er mit irgendwelchen Geschäftsleuten in Arabien, Russland oder auf dem Balkan herum verhandelte, scheint dem Egozentriker nie in den Sinn gekommen zu sein. Business first, Erster sein, als Sieger vom Platz gehen, das ist Jeffs Ding. Immer schon gewesen. Ohne dass er es jemals gemerkt hätte, ließ Blake ihn auf dem Tennisplatz schon ab und an gewinnen, wenn er glaubte, sein Tenniskumpel brauche das jetzt, und keinerlei Lust verspürte, mit einem miesepetrigen Jeff den Rest des Tages zu verbringen.

War sein Flugzeug verspätet oder hatte er eine Umsteigeverbindung verpasst, überlegte Blake, als es im Hörer schon zum wiederholten Mal tutete und niemand abnahm. Nach abgründigem Husten eine Stimme, die entfernt nach Jeff klang, Rascheln und lautes Atmen.

„Na, alter Knabe, wieder im Lande", begann der Doktor das Gespräch, zweifelte allerdings, ob er sich nicht doch verwählt hatte und legte wieder auf. Zwei Patienten später versuchte er es erneut. Diesmal wurde das Gespräch nach zwei- oder dreimaligem Läuten angenommen.

„DelMare", meldete sich Jeff mit dünner Stimme.

„Was ist los mit dir, hast du noch Restalkohol oder was ist? Wie wär's denn mit einem kleinen, knackigen Match so gegen Abend? Ich schätze, du wirst chancenlos sein, weil ich dich in zwei Sätzen fertig mache", drehte Blake auf, um Jeff aus der Reserve zu locken. Dass sein Freund auf diese Provokation nicht sofort ansprang, machte ihn stutzig.

„Bin schon fertig, Medizinmann", hauchte es kraftlos aus der Hörmuschel, „kannst mal mit deinem Köfferchen bei mir vorbeikommen, ich brauche was, das mich wieder auf die Beine bringt."

„Wie stellst du dir das vor, das Wartezimmer sitzt voll, ich kann nicht eben mal so verschwinden."

„Sag doch deiner Sprechstundentussi, du wurdest zu einem Sterbenden gerufen und musst dringend weg. Sollen die Patienten doch morgen wiederkommen, bis dahin sei derjenige entweder gerettet oder tot, auf jeden Fall hättest du dann wieder Zeit."

Um einen flapsigen Spruch war er noch nie verlegen gewesen, der alte Jeff mit seinem Galgenhumor.

„Na, so schlimm kann es ja wohl nicht sein, wenn du zu solchen Späßen aufgelegt bist. Also gut, in der Mittagspause werde ich kurz nachsehen, was mit dir los ist. Tu mir bitte den Gefallen und stirb nicht bis dahin. Wär wirklich schade um dich!"

„Nur keine falschen Hoffnungen. Ich werde durchhalten, du Arschloch", war die ermutigende Antwort.

Der Dezember vor zwei Jahren war einer der widerlichsten Dezember, an die sich Eve erinnern konnte. Nass und ungewöhnlich schneearm. Feuchtwarme Luftmassen wechselten sich ab mit Kälteeinbrüchen und an manchen Tagen wollte es gar nicht richtig hell werden.

Der Wagen sah furchtbar aus. Das Foto in der Zeitung zeigte, wie ein Kran das Wrack aus dem Fluss hob. Der angegurtete Leichnam auf dem Fahrersitz war deutlich zu erkennen. Es müsse schnell gegangen sein. Sie sei nicht ertrunken, sondern habe im eiskalten Wasser einen Herzschlag erlitten. Ihr Gesichtsausdruck habe keinen Todeskampf erkennen lassen, versuchte Blake sich selbst und Eve zu trösten, nachdem er seine tote Frau in der Gerichtsmedizin hatte identifizieren müssen.